Gregorius I papa, Moralia in Iob
Oberitalien — 9. Jh., 1. Hälfte
Provenienz: Die frühe Provenienz des Codex ist unklar. Sein Eintreffen in Niedersachsen > im Zuge einer Pilgerfahrt des sächsischen Herzogs Liudolf und seiner Frau Oda Billung nach Rom 845/46, bleibt Hypothese. Zum Ende des 15. Jh. befand sich die Handschrift nachweislich im Benediktinerinnenkloster St. Maria in Gandersheim (Wernerus Raphon hier 1477 als Stifter der Bibliothek bezeugt, vgl. vorderer Spiegel; Verwendung als Kettenband für den von Raphon als Kettenbibliothek geführten Bestand). Die Codices dieses Konventes gehörten zum Grundbestand der Helmstedter Universitätsbibliothek. Die Handschrift 323 Helmst. wurde 1644 im Helmstedter Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 6v) erwähnt und als Gregorii Papae Moralium super Iob pars secunda in membrana unter den theologici in folio erwähnt und im Handschriftenverzeichnis von 1797 unter der Nummer 180 vermerkt (BA III, 52). Ausführlich zur Provenienz vgl. .
Pergament — 145 Bl. — 29 × 18 cm
Lagen: 8 IV (63)! IV-1 (70). 3 IV (94). I (96). IV (104). I (106). 2 IV (122). III-2 (125)! 2 IV (141). I (143) Lagenbezeichnungen in römischen Ziffern, mittig auf dem unteren Blattrand am Ende der Lage. Links daneben die Abkürzung qr. Beides häufig verziert mit kleinen Herzblättern (vgl. 78v). Moderne Bleistiftfoliierung. Zählfehler (je eine Blatt nach Bl. 34 und Bl. 125 übersprungen). Vorderer Spiegel (Pergamentstreifen): Wernerus Raphon Instrumentum notarii publici (1440, Einbeck). Hinterer Spiegel: Bertholdus Moller Instrumentum. und Conradus Roeper Testimonium notarii publici. Neben dem Text auf einem Sockel ein Hexamter mit einbeschriebener Blüte (Notarssignet des Conradus Roeper). Zu den Texten, vgl. (in Vorb.). Schriftraum: 23–24 × 14 cm, einspaltig, 31–39 Zeilen (nach Händen wechselnd). Karolingische Minuskel von mehreren Händen. Hand 1: 1r–24v, Hand 2: 25r–81r, Hand 3: 81r–83v, Hand 4: 83v–86v und 87v–88v, Hand 5: 86v–87v und 88v–94v, Hand 6: 107r–125v, Hand 7: 126r–143v, mehrere Schreiber: 81r–106v - darunter ein Lupus (106v in Capitalis) DEO GRATIAS EGO LUPUS FECIT[sic] MANIBUS MEIS. Buchtitel und Explicits in Capitalis.
Spätgotischer Holzdeckelband mit dunkelbraunem Kalbslederbezug. Rückenüberzug an Kopf und Schwanz abgerissen. Streicheisenlinien. Einzelstempel Laubstab ohne Astgabel: 00639. Ornament, Punkte: s003460. Ornament, Raute: s009203. Rosette, zwei Blattkränze, fünfblättrig: s00689. Rosette, ein Blattkranz, sechsblättrig: s007830. Wirbelfigur, Rosettenwirbel: s004671. Sämtlich aus der Werkstatt "Johannes Bernardi" in Braunschweig ( w000217). Drei Doppelbünde. Zwei Langriemenschließen, Schließenösen mit Ring für Zugband. An VD und HD je zwei umgreifende, unverzierte umgreifende Eck- und Kantenbeschläge aus Messing, jeweils fünf Schonernägel entfernt. Liber catenatus, nur noch das Loch der Halteöse und Rostspuren auf dem HS erkennbar. Auf dem VD Titelschild (8 × 8 cm, Papier, 15. Jh., Bastarda): Moralia beati Gregorii pape super Iob pars secunda. Analoge Einbandgestaltung wie bei Cod. Guelf. 301 Helmst. und weiteren Bänden, vgl. , 72f. mit Abb. 34. Angaben zum Einband aus ; vgl. auch , 71–73.
INHALT
1v–143v : Moralia in Iob. Libri VI-X ( 1708; 2634; 4, 418f, Nr. 6; 143). Zum Text vgl. ausführlich [in Vorb.].
AUSSTATTUNG
Vier Initialen.Initialen: Zu einigen Textanfängen unkolorierte Initialen in Federzeichnung (1v, 23r, 84r, 101v; 2,7–7,3 cm). Die Buchstabenstämme als gefüllte Hohlbuchstaben. Die Konturlinie des Buchstabenbogens auf 84r nach innen abzweigend und in zwei Profilpalmetten endend. Als Füllmotive werden der gewinkelte Flechtbandknoten, das Stufenband und die vierblättrige Blüte im Schrägkreuz (sämtliche Motive auf 84r, hier die initiale durch Querstriche in Segmente unterteilt) sowie angedeutete Fische mit gedoppelten Trennsegmenten (23r). Im Besatz die Profilpalmette (1v, 84r - mit fadenförmig auslaufender Spitze, 101v - als Cauda) und eine angefügte Perlenkette als oberer Initialabschluss (84r). Die Q-initiale auf 101v als Mönchsgesicht mit Tonsur und Bart.
Farben: Initialen in Tintenfarbe, unkoloriert.
STIL UND EINORDNUNG
, 503, Nr. 7328 gibt den Wolfenbütteler Codex nach Oberitalien und datiert ihn in das 1. oder 2. Viertel des 9. Jh. Die Initialornamentik untermauert diese Einordnung. Für Italien (Oberitalien) sprechen unterschiedliche Stilelemente, wie die nach innen aufgerollte Kontur des Buchstabenbogens und die segmentartige Unterteilung des Buchstabenstammes auf 84r (vgl. Stuttgart, WLB, HB XIV 14, 2r, Mailand, 2. Hälfte 9. Jh.; , Nr. 62, Abb. 254) und der nach oben gerade abschließende Initialstamm mit aufgelagerten Reihungen oder Verzierungen (84r, vgl. München, BSB, Clm 6344, 27r, Italien, 3. oder 4. Viertel 9. Jh.; , Nr. 267, Abb. 586). Ebenfalls auf den italienischen Raum verweist die auf 101v verwendete Kopfinitiale mit Palmettencauda (vgl. München, BSB, Clm 14008, 140r, 180v Rom, letztes Drittel 9. Jh.; , Nr. 268, Abb. 590, 591). Das Füllmotiv des Schrägkreuzes mit Blüte findet sich bereits in spätantiken Handschriften, wie dem Wolfenbütteler Arcerianus (Cod. Guelf. 36.23 Aug. 2° (Burghardsevangeliar), 78v - hier mit Kreis statt Blüte; , Taf. 38, b und g) und dem Evangeliar (Würzburg, UB, M. p. th. f. 68, 65r, Italien [Kampanien], 2. Hälfte 6. Jh.; , Taf. 44, b und c). Es ist jedoch auch ein beliebtes Füllmotiv süddeutscher Handschriften des 9. Jh. (u.a. München, BSB, Clm 4564, 1r, Benediktbeuern, um 800; Abb. in , Taf. 22,10; , Nr. 88; Zusammenstellung für das Motiv des Schrägkreuzes mit Blüte, vgl. , 65).Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB).
, Nr. 358 (Heinemann Nr.). — , 116. — , 503, Nr. 7328. — , 114. — , 312–315 (Abgekürzt zitierte Literatur
Die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek, 2 Bde., bearbeitet von K. Bierbrauer, Wiesbaden 1990 (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München 1) | |
K. Bierbrauer, Die Ornamentik frühkarolingischer Handschriften aus Bayern, München 1979 (Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. NF 48) | |
B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 3: Padua–Zwickau, aus dem Nachlass hrsg. von B. Ebersperger, Wiesbaden 2014 | |
Die vorromanischen Handschriften in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, beschrieben von P. Burkhart, Wiesbaden 2016 (Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek 1) | |
C.A.L.M.A. Compendium auctorum latinorum medii aevi, hrsg. von M. Lapidge u.a., Bd. 1–, Firenze 1999– | |
Corpus Christianorum. Series Latina, Bd. 1–, Turnhout 1954– | |
Clavis patrum Latinorum, hrsg. von E. Dekkers, Steenbrugge u.a. 31995 (Corpus Christianorum. Series Latina) | |
Einbanddatenbank (http://www.hist-einband.de/, besonders die Sammlung Wolfenbüttel) | |
H. Härtel, Lamspringe. Ein mittelalterliches Skriptorium in einem Benediktinerinnenkloster, in: Kloster und Bildung im Mittelalter, hrsg. von N. Kruppa und J. Wilke, Göttingen 2006 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 218 = Studien zur Germania sacra 28), 115–153 | |
B. Lesser, F. Prinsen, Gebunden, geheftet, vernäht. Vielfältige Einbände aus Frauenklöstern, in: | , 71–78|
B. Lesser, Johannes von Brakel – Buchbinder und Schreiber im Benediktinerkloster Clus, in: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte 38 (2014), 77–122 | |
C. Nordenfalk, Die spätantiken Zierbuchstaben, Text- und Tafelband, Stockholm 1970 (Die Bücherornamentik der Spätantike 2) | |
F. Stegmüller, Repertorium biblicum medii aevi, Bd. 1–11, Madrid 1950–1980 | |
O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3) | |
Katalog der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften, Teil II: Cod. Guelf. 277 bis 370 Helmst., mit einem Anhang: Die mittelalterlichen Handschriften und Fragmente der Ehemaligen Universitätsbibliothek Helmstedt, beschrieben von B. Lesser, Wiesbaden 2022 | |
Katalog der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften, Teil III (in Vorb.) |
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).