Evangeliar
Pergament — 191 Bl. — 25,5 × 18,5 cm — Hildesheim — 10. Jh., Ende
Lagen: I (2). 11 IV (90). II+1 (95). 6 IV (143). III+1+1 (151). 5 IV (191). Bis auf wenige Ausnahmen Befolgung der Gregory-Regel. Tintenfoliierung modern: 1–191. Auf Bl. 1 und 188–191 Rostspuren. Die gesamte Hs. wurde Februar–Juni 1959 in der Werkstatt Schoy in Essen einer grundlegenden Restaurierung unterzogen. Dabei wurde der Codex auseinandergenommen, die Bl. gereinigt und neu geheftet, Rückenüberzug, drei Doppelbünde und zwei Fitzbünde wurden entfernt und durch fünf neue Bünde ersetzt; der Buchrücken ist offen. Von Bl. 1 nur ein 10,5 cm hoher und 18,5 cm breiter Streifen erhalten, bei der Restaurierung ergänzt, vgl. den Briefwechsel in der Akte BA IV, E 198, s.v. "Schoy". Schriftraum: 17 × 12–12,5 cm, einspaltig, je nach Hand 22–23 Zeilen, Blindliniierung. Haupttext in unregelmäßig wirkender karolingischer Minuskel mittleren Schriftniveaus, die wahrscheinlich in Hildesheim geschrieben wurde (vgl. etwa Hildesheim, Domschatz, 34, freundl. Hinweis von Dr. M. Müller, dazu , 280f. Nr. 9). Insgesamt acht Hände, Hand 1: 3r–10v; Hand 2: 11r–58v; Hand 3: 59r–66v; Hand 4: Nachtrag 58v und 67r–90v; Hand 5: 91r–104r; Hand 6: 104r–158r; Hand 7: 158r–175v; Hand 8: 176r–191r; die Reliquienverzeichnisse 1r, 2r und 191r stammen von mindestens zwei weiteren, etwas späteren Händen. Im gesamten Codex wurden Positurae als Hilfen für die liturgischen Lesungen nachgetragen. In marg. Kanon- und Abschnittsnummern, im Text zahlreiche marginale und interlineare Korrekturen, vielfach auf Rasuren, meist der anlegenden Hände. Nachgetragener Text, z. B. 10v, 96r u. ö. ist mit breitem Federstrich eingerahmt. Die Capitula sind mit vergrößerten Satzmajuskeln in Capitalis rustica bzw. Unzialis hervorgehoben, die z. T. aus dem Textspiegel herausgerückt und auf dem ersten Blättern rot gefüllt sind. Incipitseite Bl. 7r: Flechtbandinitiale L mit weißem, rot umzeichneten Randband, Buchstabenkörper rot gefüllt, mit gabelförmig auslaufenden Flechtknoten (Randbandverflechtung) an den Buchstabenenden. Der Raum zwischen den Balken des L ist mit runden, schnallenbesetzten Knollenranken gefüllt, die in stilisierte Palmetten auslaufen. Rechts daneben eine gleichartige kleinere Initiale I, rechts davon wird das Incipit des Evangelientextes in roter Capitalis rustica und schließlich in Minuskeln fortgesetzt: ›LIBER generationis Ihesu Christi filii David filii Abraham‹. Auf Bl. 91r, und 150r sind gleichartige Flechtbandinitialen: Q[uoniam quidem …] bzw. I[n principio …] als Grundlage weiterer Ausführung mit Blindlinien eingedrückt. Vor dem Markusevangelium ist keine Incipitseite vorgesehen. Die gesamte, von zwei Händen ausgeführte (vgl. , 118–120) Ausstattung ist unfertig und zeigt ebenso wie auch die gleichzeitige Hildesheimer Buchmalerei Anklänge an die Regensburger und südwestdeutsche Buchkunst, vgl. dazu demnächst ausführlich Katalog der illuminierten Handschriften der HAB.
Prachteinband des 10. Jh., im 12. Jh. ergänzt. Die Deckel messen 28 x 18,5 cm und bestehen aus 1,5 cm starken Eichenholzbrettern. Die Kanten sind mit Leisten aus feuervergoldetem Kupfer beschlagen, die mit einem umlaufenden rechteckigen Mäanderfries mit feinen Punktierungen in den Zwischenräumen verziert sind. Um VD und HD läuft eine 2,5 cm breite Rahmenleiste aus dem gleichen Material mit einem filigranen Fries aus runden Blattranken, deren Enden palmettenartig aufgefiedert (z. T. mit spitzem Mittelblatt) und durch kleine Spangen und kelchartige Blüten, welche die abzweigenden Äste überdecken, gegliedert sind; in den Zwischenräumen finden sich wiederum feine, dichte Punktierungen. Diese Rankenverzierung steht einigen gleichzeitigen oder wenig späteren Goldschmiedearbeiten aus Hildesheim besonders nahe , Der Hezilo-Radleuchter im Dom zu Hildesheim. Beiträge zur Hildesheimer Kunst des 11. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der Ornamentik, Berlin 1975, 73 (Hs. genannt); 2, 478f. Nr. VII–22 ( ). In der Mitte eine um 0,4 cm eingetiefte, ca. 21 x 13,5 cm große Silberplatte, mit Eisennägeln befestigt. In den Ecken vier Medaillons (Durchmesser 4,5 cm) aus feuervergoldetem Silber mit feingeperltem Rand, die in erhabenem Relief die vier Evangelistensymbole, im Uhrzeigersinn von links oben Mensch (Mt, Engel als Büste, schräg nach rechts blickend), Adler (Io, Adler nach links gewandt, dahinter eine Staude), Löwe (Mc, mit zurückgewandtem Kopf nach links schreitend) und Stier (Lc, mit zurückgewandtem Kopf nach rechts schreitend), jeweils auf leeren Schriftrollen stehend zeigen. Auf dem zwischen 1614 und 1644 verlorenen mittleren Medaillon befand sich vermutlich ein Agnus Dei, ähnlich wie auf dem sog. Theophanu-Bucheinband des Essener Münsterschatzes Essen, Münsterarchiv und Münsterschatz, Hs. 3 ( , 152–154 Nr. 62 mit Abb. 88). Die Ausführung des Reliefs und die Figurengestaltung lassen auf eine Enstehung der Medaillons und vielleicht auch der Silberplatte in der 2. Hälfte des 12. Jh. schließen, vgl. 2, 477 (s. oben). Eine gleichartige nachträgliche Verzierung mit ähnlichen, allerdings jüngeren, Evangelistenmedaillons wurde auf dem VD des "Kostbaren Evangeliars des heiligen Bernward" Hildesheim, Domschatz, Nr. 18, angebracht ( , 58f. mit Farbabb. 1). Mit ähnlichen Medaillons versehen ist auch der VD des wohl ebenfalls aus der Diözese Hildesheim stammenden Evangelistars Cod. Guelf. 6.1 Aug. 4° ( , 391–394 Nr. 72, , / ). Drei Doppel- und zwei Kapitalbünde, Lappenkapital. Ursprünglich zwei Riemenschließen mit Ösenverschluss. Als Rückenüberzug wurde ein schwarzer, rot gemusterter Seidenstoff byzantinischer Provenienz verwendet, der als Teil eines Adlerstoffes, ähnlich der sog. Albuinkasel im Diözesanmuseum Brixen, identifiziert werden konnte und wahrscheinlich ins 10./11. Jh. zu datieren ist (briefl. Mitteilung von Dr. R. Schorta, Abegg-Stiftung, Riggisberg, vom 05.07.2012), vgl. auch , Die Adlerkasel in Brixen. Ein bedeutendes Zeugnis frühchristlicher Paramentik, in: Am Anfang war das Auge. Kunsthistorische Tagung anlässlich des 100jährigen Bestehens des Diözesanmuseums Hofburg Brixen, hrsg. von , Bozen 2004 (Veröffentlichungen der Hofburg Brixen 2), 297–309. — Im Zuge der Restaurierung Februar–Juni 1959 in den Werkstätten F. Schoy, Essen-Werden (Buchblock), und E. Treskow, Köln (Goldschmiedearbeiten), wurden die hinteren Kantenbeschläge ersetzt, die Silberplatte abgelöst, geglättet und neu aufgebracht sowie das linke untere Evangelistensymbol (Lc) ausgebessert, hinzu kamen zwei einfache neue Bügelschließen mit Ösenverschluss und Dorn in der Buchdeckelkante. Schließlich wurde als Vorsatz je ein Pergamentbl. vorn und hinten hinzugefügt, das hintere Vorsatz enthält den Restaurierungsvermerk. Zusätzlich wurde eine gepolsterte Schutzkassette mit einem Überzug aus rotem Nigerziegenleder mit goldener Titel- und Signaturprägung angefertigt, in den auch die Reste des originalen Rückenüberzugs und der Lappenkapitale in einem separaten Schuber eingelegt wurden. Weitere Angaben zum Restaurierungsprozess in der Akte BA IV, E 198, s.v. "Schoy".
2, 476f., s. oben), vor allem der Deckelverzierung eines um 1000 entstandenen kastenförmigen Tragaltars, vgl. dazuHerkunft: Nach Ausweis der paläographischen Merkmale und der Gestaltung des Einbandes dürfte der Codex um 1000 in Hildesheim geschrieben und eingebunden worden sein. — Er gelangte zu einem unbekannten Zeitpunkt als Teil der liturgischen Ausstattung ins Kanonissenstift Lamspringe, worauf die Hervorhebung von Adrianus in Capitalis rustica im Reliquienverzeichnis hinweist (s. unten). Im Beschwerdebrief der Domina und des Konvents Lamspringe vom Frühjahr 1573 wird das Evangeliar relativ eindeutig als eines von twe evangelien boyken up den halven myt sulvern vorgulden vorhawen bilden und eddeln stenen beschrieben; analog in den Amtsinventaren von 1572 (ein geschrieben evangeli buch uf pargamein mit silbern clausuren) und 1573 (evangelium buch auff einer halbe mit silberbleche beslagen, sämtlich zitiert bei , 113, 127f. — Der Codex wurde am 10.4.1572 mit der übrigen Konventsbibliothek in die Wolfenbütteler Hofbibliothek überführt; 1614 in deren Gesamtkatalog von Liborius Otho (Cod. Guelf. A Extrav., p. 163 [158]) unter Nr. C 18 der Sacra Biblia et bibliorum sacrorum partes genannt: Quatuor Evangelistae latinè manuscripti in gros 4° pergament mit 5 verguldeten pockeln der vier Evangelisten forne. Hinten sind de pockeln hinweg. Seit 1618 in der Universitätsbibliothek Helmstedt, 1644 in deren Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 3v) als Quatuor Evangelia Latinè, In membrana, In bretter, Vorn mit vier silbernen übergüldeten wapen der vier Evangelisten unter den Theologici [MSSti] in folio beschrieben; im Handschriftenverzeichnis von 1797 (BA III, 52) unter Nr. 405 genannt.
— , Von der künstlerischen Vorlage zum Modell. Strategien der Nobilitierung und der Modellbildung in der Hildesheimer Buchmalerei des 11.–13. Jahrhunderts, in: Codex und Geltung, hrsg. von und , Wiesbaden 2015 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 30), 107–146, hier 112. , Einflüsse aus West und Ost in der Hildesheimer und in der thüringisch-sächsischen Buchmalerei des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Zentrum oder Peripherie? Kulturtransfer in Hildesheim und im Raum Niedersachsen (12.–15. Jahrhundert), hrsg. von und , Wiesbaden 2017 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 32), 305–366, hier 324. — Schatzhüterin. 200 Jahre Klosterkammer Hannover. Eine Ausstellung der Klosterkammer Hannover im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover, Ausstellungskatalog hrsg. von , und , Dresden 2018, 320f. Nr. 93 ( ). — .
, 69 Nr. 3.1. — , 6f. Nr. 134. — Nr. 462. — , 1072 Nr. 1575. — 11, 370. — , 473. — , 434. — , 476f. Nr. VII–21 ( ). — , 468, 476. — , 162 Anm. 704. — , 113, 127f. — , 158f. Nr. 25 ( ). — , 21f. — , 118. — , 39–41 Nr. 3, 71f. Nr. 3. — , 168. — , 24–26. — , 143, 170, 180–180 mit Abb. 5–7. — , 168f. mit Abb. 85. — , 73f. — , 239–241 Nr. IV.1 ( ). — , 109–124, 229. —1r Fragmentum indicis reliquiarum. Sancte crucis. De spongia unde deus bibat. Sancte Marię … — … Sancti Gundberhti. De mensa Domini … (Text bricht ab). – 1v leer.
2r–v Index reliquiariorum diversorum quibus pignora sanctorum asservabantur. Sanctorum Cosme et Damiani martyrum. Sancti Stephani. Sancti Tiburcii martyris … sancti Crisanti martiris. In vitreo scrinio continetur hoc: Sancti Ciriati [!] martyris … — … Hec continentur in scrinio que in operculo imaginem throni domini pretendit. Weiter unten die unvollständige Notiz a credendi fide von anlegender Hand. Der Text enthält die älteste bekannte Beschreibung eines gläsernen Reliquiars, vgl. Der in der Literatur ( , Die Reliquiare des christlichen Kultes und ihre Entwicklung, Freiburg/Br. 1940, ND Osnabrück 1971, 109. , 477) gegebene Hinweis, dass das Reliquienverzeichnis weniger auf das Kanonissenstift Lamspringe als auf den Hildesheimer Dom verweist, dürfte angesichts der an prominenter Stelle genannten Mitpatrone des Doms (Cosmas und Damian, Tiburtius, Valerianus, Caecilia) zutreffen. Ein Vergleich mit anderen Reliquienverzeichnissen des Doms (Chronicon Hildesheimense, in: 7, 851; Notae ecclesiae maioris Hildesheimensis, in: 30/2, 764f.) oder des Benediktinerklosters St. Michael in Hildesheim im Bernwardpsalter (Cod. Guelf. 113 Noviss. 4°, 141r), gedruckt bei , Ein Buch als Reliquie – Aspekte der Bernward- und der Reliquienverehrung im sog. Bernwardpsalter, in: Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek 15 (2009), 45–101, hier 47f., bestätigt die fast vollständige Übereinstimmung. Jedoch kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass die Hildesheimer Domkirche dem ihr unterstellten Kanonissenstift Lamspringe entsprechende Reliquien aus ihrem Besitz schenkte; Nachweise hierfür fehlen allerdings. Edition (teilweise): Nr. 462; , 48f. Nr. 41. Literatur: , Aus dem Kunstkreis Heinrichs des Löwen, in: Städel-Jahrbuch 7–8 (1932), 241–397 (319 Hs. genannt).
3r–191r Biblia sacra (prologis aucta, IV evangelia). (3r–v) Prologus in Mt. 590. Druck: , 15–17. (3v–6v) Capitula Mt. [N]ativitas Christi magi cum muneribus veniunt … — … itemque mandata et doctrina eius de baptismo. ›Explicit breviarium‹. 11016. Druck: , 18–38 col. 2; , 270–280 col. A. (6v–58v) Mt. ›Incipit evangelium secundum Matheum‹ … — … ›Explicit evangelium secundum Matheum‹. (7r) Initialseite, nur Vorzeichnung (s. oben). (7r–58v) Textus. 51r–58r bei Mt 26,1–27,66 zur Passion Christi Textauszeichnung mit litterae significativae, auf Bl. 51r zwischen Mt 26,1a und 26,1b Raum für Rubrik ausgespart. (59r–v) Prologus in Mc. 607. Druck: , 171–173. (59v–61v) Capitula Mc. [D]e Johanne Baptista et victu et habitu eius. De baptismo Ihesu et temptatione eius … — … post resurrectionem mandata et ascensio eius in caelis. 11016. Druck: , 174–186 col. 2; , 282–286 col. A. (61v–90v) Mc. ›Explicit evangelium secundum Marcum.‹ Auf Bl. 85r–90v bei Mc 14,1–16,20 zur Passion Christi Textauszeichnung mit litterae significativae, 85r vor Mc 14,1 Raum für Rubrik ausgespart. (91r–148r) Lc. Auf Bl. 139v–145v bei Lc 22,1–23,56 zur Passion Christi Textauszeichnung mit litterae significativae, 139v vor Lc 22,1 Raum für Rubrik ausgespart. (148r–v) Prologus in Io. 624. Druck: , 485–487. (149r–v) Capitula Io. Pharisaeorum levitae interrogant Johannem. Johannes Ihesum videns agnum dei dicit … — … Maria pedes Ihesu unguit et capillis suis [extergit]… (cap. X, Text bricht ab). 11016. Druck: , 492–506 col. 2, hier bis 500; , 302–310 col. B=A, hier bis 308. (150r–191r) Io. (150r) Initialseite, nur Vorzeichnung (s. oben). 151r leer. (151v–191r) Textus. (Io 1,1–2 fehlen, Text setzt Io 1,3 ein) … omnia per ipsum facta sunt et sine ipso factum est nihil … — … mundum capere eos qui scribendi sunt libros Deo gratias. 184r–188r bei Io 18,1–19,42 zur Passion Christi Textauszeichnung mit litterae significativae, auf Bl. 184r zwischen Io 18,1a und 18,1b Raum für Rubrik ausgespart.
191r Index reliquiarum diversarum. De sepulchro domini. De reliquiis sancti Valentini martyris sancti Eleutherii martyris sancti Fusciani … — … Sancti ADRIANI martyris sancti Stephani protomartyris … sancti Albani sancti Sixti. In nomine domini Sancti Adriani. Ein Großteil der hier genannten Reliquien kommt auch im Verzeichnis oben, 2r, vor; die prominente Erwähnung von Hadrian in Capitalisbuchstaben wird seit Heinemann als Hinweis auf die vermutliche Provenienz aus Lamspringe gedeutet. Ungedruckt. – 191v leer.
Abgekürzt zitierte Literatur
- Manuscripta Mediaevalia Objektnummer hinzugefügt (schassan, 2019-08-20)
- Normdaten ergänzt bzw. korrigiert. (schassan, 2015-09-04)
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften Teil II.