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Beschreibung von Cod. Guelf. 443 Helmst.
Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 2: 12. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung)

Gregorius I., Moralia in Iob

Lamspringe — 12. Jh., 4. Viertel

Provenienz: 1r Besitzvermerk Liber sancti Adriani in Lamesprigge, Inhaltsangabe (15. Jh., Bastarda): Job VI (12./13. Jh.). Vermerke von dieser Hand auch in Cod. Guelf. 145 Helmst., VS; 204 Helmst.,1r; 447 Helmst., 5r; 475 Helmst., 1r; 480 Helmst., 1r; 482a Helmst., 1r; 504 Helmst., VS; 510 Helmst., 1r; 511 Helmst., 1r; 519 Helmst., 1r; 553 Helmst., 1r; 650 Helmst., 1r; 723 Helmst., 1r; 943 Helmst., 1r; 1012 Helmst., 1r; 1030 Helmst., 1r; 1034 Helmst., 1r; 1113 Helmst., 1r und 1196 Helmst., 1r. 1572 wurde die Handschrift mit den übrigen Lamspringer Codices von Lamspringe in die Bibliotheca Julia in Wolfenbüttel überführt. 1588 von Eberhard Eggelinck im Verzeichnis der Pergamenthandschriften der Bibliotheca Julia als Expositiones super secunda parte de morabilibus Historiæ, Liber 6, 7, 8, 9 et 10, in Pergamein geschrieben in folio vnd brettern mit weißem Pergamein vbertzogen genannt (NLA – StA Wolfenbüttel, 1 Alt 22, 83, 22r–35v, hier 27r). 1614 im Gesamtkatalog von Liborius Otho (Cod. Guelf. A Extrav., p. 297) unter den Papalia Miscellanea als Explicationes in Job de moralibus in membranis manuscr. mit der Signatur Y 42 erwähnt. Seit 1618 in Helmstedt, dort 1644 im Helmstedter Handschriftenkatalog (Cod. Guelf. 27.2 Aug. 2°, 7v) beschrieben als Moralium in Iob pars II in membrana unter den Theologici in folio. Als Nr. 168 im Handschriftenverzeichnis von 1797 aufgeführt (BA III, 52).

Pergament — 132 Bl. — 28 × 18,5 cm

Lagen: 16 IV (128). III–2 (132). Lagenzählung auf der letzten Lagenseite, Fußsteg: erhalten sind 8v Ius, 32v IIIus, 40v Vus, 48v VIus, 64v VIIIus, 80v Xus (der Rest durch Beschnitt verloren). Fragmente VS und HS: Apokalypsenkommentar, 12. Jh., zum Text vgl. Helmstedt 4 (in Vorb.). Moderne Tintenfoliierung. Schriftraum: 21,0 × 11,5 cm, einspaltig (1v, 25rv, 49rv, 83rv, 114v zweispaltig), 33 Zeilen. Carolino-Gothica von einer Hand der Scriptrix-Gruppe (zur Gruppe gehörig: 447 Helmst., 482a Helmst. [1r-81v], 510 Helmst., 519 Helmst., 511 Helmst., 519 Helmst., 718 Helmst. [10v-97r], 723 Helmst., 903 Helmst. [1r-75r], 943 Helmst., 1030 Helmst.). Auszeichnungsschriften in Unzialis. Explicits und Incipits rubriziert. Überschriften in den Buchstaben alternierend rot/grün. Buchzählung in rubrizierten römischen Ziffern auf dem Blattrand. Im Text Satzmajuskeln rubriziert oder mit roten Begleitstrichen.

Romanischer Holzdeckeleinband mit Schafslederbezug. Kanten bündig mit Buchblock geschnitten. Ursprünglich zwei Riemenschließen mit Dornenverschlüssen (verloren), Gegenbleche auf dem HD noch erhalten. VD mit der verblassten und beschädigten Aufschrift Incipit Gregorii [super] Iob exposicio. Der Einband ist identisch mit denen von folgenden Lamspringer Handschriften: Cod. Guelf. 982 Helmst., 475 Helmst., 480 Helmst., 553 Helmst., 903 Helmst., 943 Helmst., 1113 Helmst. und 1196 Helmst.

INHALT

1r Besitzvermerk (12./13. Jh.). 1v-132r Gregorius I papa: Moralia in Iob pars II, Libri VI-X (Edition: PL 75, 729-952; CC SL 154, 284-577; CPL 1708; CALMA 4, 418f. Nr. 6).

AUSSTATTUNG

5 Initialen.

Initialen: Zu Beginn der Bücher 6-10 jeweils eine Spaltleisteninitiale (2r lib. VI, 26r lib. VII, 50r lib. VIII, 84r lib. IX, 114v lib. X). Die Initialstämme gefüllt mit Punktreihungen (einfarbig oder zweifarbig versetzt) und einem farblich versetzt gestalteten Palmettenfries (50r), sowie Gittermuster (84r, 114v). Die Initialstammenden mit Blattappliken, einer Maske (50r), einem locker gebundenen Flechtknoten (50r - hier der Initialschaft als Randleisteninitiale) und Fabelwesenköpfen (2r, 84r). Die Stämme sind versehen mit meist zweifach oder fünfach genagelten Spangen, außerdem kommen in den Spangen Kreuzschraffuren (50r, 114v), einfache Kreuzblüten (84r) vor. Auf 114v die Cauda mittig gegliedert durch eine große Blüte. Als Endbesatz der Ranken finden sich große Palmetten mit Rückenschraffur, Äderung und gelegentlicher Perlverzierung (vgl. 2r, 84r, 114v), diese werden gerne direkt mit rückwärts gebogenen Knollenblättern kombiniert (vgl. 114v) und stehen als Silhouette vor rotem Hintergrund (vgl. 114v, 50r). Der Initiale beigefügt ein Vierbeiner (50r) und ein Vogel (84r). Außerdem werden Fruchtdolden (2r) und Dreierblüten (2r) verwendet. Auf 26r als Caudaersatz ein großer Drache mit gepunktetem Leib. Initialhöhen: 5,6-10,9 cm.

Farben: Initialen in roter Federzeichnung. Einige Blätter in Silhouettentechnik ausgeführt. Punktreihen und der Initialfries auf 50r rot/grün wechselnd. Die Initialgründe in Dunkelgrün und Blau, teils auch in Dunkelgelb (2r, 26r). Details (Blätter, Blüten, Spangen) in Dunkelgelb - Gold imitierend.

STIL UND EINORDNUNG

Die vorliegende Gregoriushandschrift wurde von einer Hand einheitlich mit qualitativ hochwertiger Initialausstattung versehen. Das Ornament der mit roter Feder gezeichneten Initialen steht in direktem Lamspringer Schulzusammenhang und basiert grundlegend auf der Lippoldsberger Buchmalerei um 1150 (zu Lippoldsberg vgl. 943 Helmst.). In Handschriften der Lamspringer Scriptrix-Gruppe (zur Scriptrix-Gruppe vgl. 943 Helmst.; Härtel Geschrieben und gemalt, 73) begegnet die zusätzliche Kolorierung der Initialdetails (Blätter, Blüten und Spangen - vgl. 1030 Helmst.) und die Blüte als Caudagliederung (vgl. 114v mit 943 Helmst., 1v). In dem erweiterten Blatt- und Knospenrepertoire (u.a. Fruchtdolden auf 2r), der für Lamspringe ungewöhnlichen Initialstammgestaltung auf 50r (gefüllte Randbandinitiale mit Maske), sowie der Farbgebung lassen sich verstärkt Parallelen zur zeitgleichen Kölner bzw. mittelrheinischen Buchmalerei erkennen. Die Farbgebung der Initialgründe, dunkelblau/dunkelgrün, sowie die hervorstechende Randbandinitale mit dem locker verknotetem Ende (50r) findet sich besonders gut ausgeprägt in der Bibel aus der Kölner Bendiktinerinerabtei Groß St. Martin aus dem 3. Viertel des 12. Jh. (Düsseldorf, ULB, M. A 2; Lit. G. Karpp, Mittelalterliche Bibelhandschriften am Niederrhein, Frankfurt a. M. u. a. 2014, 103-109), das Palmetten-Füllmotiv auf 50r ist bereits aus der Frankenthaler, sogenannten Wormser Bibel bekannt (London, BL, Harley MS 2803 und London, BL, Harley MS 2804 - Lit. Cohen-Mushlin Worms Bible, bes. 74-83, Abb. 27; vgl. auch 510 Helmst. und 511 Helmst.). Eine ähnliche Stilstufe mit deutlichen Parallelen im Ornament und Initialaufbau zeigt die im Benediktinerkloster Liesborn (Bistum Münster) im 4. Viertel des 12. Jahrhunderts entstandene Gregoriushandschrift, heute in Berlin (Berlin, SBBPK, Ms. theol. lat. fol. 371-373; Lit. Fingernagel Ill. Hss. 8.–12. Jh., Kat. Nr. 43-45, Abb. 124-135). Liesborn wurde unter Bischof Egbert von Münster 1130 in ein Benediktiberkloster umgewandelt und von Hildesheim ausgehend besiedelt (vgl. hierzu Fingernagel Ill. Hss. 8.–12. Jh., 32f.).

Schönemann, 70 Nr. 3.5. — Wolfenbüttel Helmst., Nr. 478 (Heinemann Nr.). — Krämer, 473. — Wolter-von dem Knesebeck Lamspringe, 468, 476. — El-Kholi, 105. — Oldermann-Meier, 138. — Härtel Lamspringe, 119, 121. — Härtel Geschrieben und gemalt, 42, 72f. Nr. 4. — Bertelsmeier-Kierst Handschriften, 90. — Röckelein Klosterfrauen, 30, 34. — Bertelsmeier-Kierst Audi filia, 68. — J. Merten, Hund oder Drache? Zu einem hochmittelalterlichen Schreibgriffel aus Trier. Mit einer Zusammenstellung von Drachengriffeln und einem technologischen Beitrag, in: Funde und Ausgrabungen im Bezirk Trier 41 (2009) 42–56, hier 48. — Müller Einflüsse, 333–335 mit Abb. 8. — Kat. Helmstedt 3 (in Vorb., vorläufige Beschreibung in der Handschriftendatenbank der HAB).


Abgekürzt zitierte Literatur

Bertelsmeier-Kierst Audi filia C. Bertelsmeier-Kierst, Audi filia et vide. Frauenkonvente nach der monastischen Reform, in: Zwischen Vernunft und Gefühl. Weibliche Religiosität von der Antike bis heute, hrsg. von Ders., Frankfurt/M. u.a. 2010 (Kulturgeschichtliche Beiträge zum Mittelalter und der frühen Neuzeit 3), 61–90, hier nach dem ND in: Dies., Buchkultur und Überlieferung im kulturellen Kontext, hrsg. von T. Terrahe, R. Toepfer und J. Wolf, Berlin 2017 (Philologische Studien und Quellen 17), 255–286
Bertelsmeier-Kierst Handschriften C. Bertelsmeier-Kierst, Handschriften für Frauen und von Frauen. Buchkultur aus norddeutschen Frauenklöstern im 13. Jahrhundert, in: Die gelehrten Bräute Christi. Geistesleben und Bücher der Nonnen im Hochmittelalter. Mit einer Einführung von H. Härtel, hrsg. von H. Schmidt-Glintzer, Wiesbaden 2008 (Wolfenbütteler Hefte 22), 83–122
CALMA C.A.L.M.A. Compendium auctorum latinorum medii aevi, hrsg. von M. Lapidge u.a., Bd. 1–, Firenze 1999–
CC SL Corpus Christianorum. Series Latina, Bd. 1–, Turnhout 1954–
Cohen-Mushlin Worms Bible A. Cohen-Mushlin, The making of a manuscript. The Worms Bible of 1148 (British Library, Harley 2803-2804), Wiesbaden 1993 (Wolfenbütteler Forschungen 25)
CPL Clavis patrum Latinorum, hrsg. von E. Dekkers, Steenbrugge u.a. 31995 (Corpus Christianorum. Series Latina)
El-Kholi S. El-Kholi, Lektüre in Frauenkonventen des ostfränkisch-deutschen Reiches vom 8. Jahrhundert bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, Würzburg 1997 (Epistemata 203)
Fingernagel Ill. Hss. 8.–12. Jh. Die illuminierten lateinischen Handschriften deutscher Provenienz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin: 8.–12. Jahrhundert, beschrieben von A. Fingernagel, Teil 1: Textband, Teil 2: Abbildungen, Wiesbaden 1991 (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Kataloge der Handschriftenabteilung, Reihe 3: Illuminierte Handschriften 1)
Härtel Geschrieben und gemalt H. Härtel, Geschrieben und gemalt. Gelehrte Bücher aus Frauenhand. Eine Klosterbibliothek sächsischer Benediktinerinnen des 12. Jahrhunderts, Wiesbaden 2006 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 86)
Härtel Lamspringe H. Härtel, Lamspringe. Ein mittelalterliches Skriptorium in einem Benediktinerinnenkloster, in: Kloster und Bildung im Mittelalter, hrsg. von N. Kruppa und J. Wilke, Göttingen 2006 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 218 = Studien zur Germania sacra 28), 115–153
Kat. Helmstedt 3 In Vorbereitung: Die mittelalterlichen Helmstedter Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil III: Cod. Guelf. 371 bis 460 Helmst., beschrieben von Bertram Lesser
Krämer S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Bd. 1–3, München 1989–1990 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Ergänzungsband 1)
Müller Einflüsse M. E. Müller, Einflüsse aus West und Ost in der Hildesheimer und in der thüringisch-sächsischen Buchmalerei des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Zentrum oder Peripherie? Kulturtransfer in Hildesheim und im Raum Niedersachsen (12.–15. Jahrhundert), hrsg. von ders. und J. Reiche, Wiesbaden 2017 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 32), 305–366
Oldermann-Meier R. Oldermann-Meier, Der Kirchenschatz des ehemaligen Benediktinerinnenklosters Lamspringe. Zusammensetzung und Einziehung zur Zeit der lutherischen Reformation, in: Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart 66 (1998), 111–146
PL Patrologiae cursus completus. Series Latina, Bd. 1–221, hrsg. von J. P. Migne, Paris 1844–1865
Röckelein Klosterfrauen H. Röckelein, Schreibende Klosterfrauen – allgemeine Praxis oder Sonderfall?, in: Die gelehrten Bräute Christi. Geistesleben und Bücher der Nonnen im Hochmittelalter. Mit einer Einführung von H. Härtel, hrsg. von H. Schmidt-Glintzer, Wiesbaden 2008 (Wolfenbütteler Hefte 22), 15–38
Schönemann K. P. C. Schönemann, Zur Geschichte und Beschreibung der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, in: Serapeum 18 (1857), 65–91, 97–107
Wolfenbüttel Helmst. O. von Heinemann, Die Helmstedter Handschriften, Bd. 1–3, Wolfenbüttel 1884–1888, ND Frankfurt/M. 1963–1965 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 1–3)
Wolter-von dem Knesebeck Lamspringe H. Wolter-von dem Knesebeck, Lamspringe, ein unbekanntes Scriptorium des Hamersleben–Halberstädter Reformkreises zur Zeit Heinrichs des Löwen, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235. Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995, Bd. 2: Essays, hrsg. von J. Luckhardt und F. Niehoff, München 1995, 468–477

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil II (12. Jh.).
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