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Beschreibung von Cod. Guelf. 70 Gud. lat.
Die illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek. Teil 1: 6. bis 11. Jahrhundert, beschrieben von Stefanie Westphal (in Bearbeitung)

Vergilius, Opera. Vitae Gudianae

Lyon — 9. Jh., 2. Viertel/Mitte und 10./11. Jh.

Provenienz: 1663 von Marquard Gude in Lyon gekauft. Dort vorher im Besitz des Druckers Jean de Tournes (1504–1564; Eintrag 3v Tornensius). Zusammen mit den übrigen Gudiani gelangte die Handschrift 1710 in den Besitz der Herzog August Bibliothek (zur Erwerbung der Handschriften durch Gude vgl. Lesser Ornamentum).

Pergament — 87 Bl. — 29,5 × 24,5 cm

Aus zwei Teilen zusammengesetzt: A: Bl. 1–4, B: Bl. 5–87. Lagen: 2 I (4). IV (12). V-1 (21). I (23). 7 IV (79). II+4 (87). Neuere Tintenfoliierung. Lose gebunden. Einige Blätter mit genähten Rissen.

Roter Schafledereinband (17. Jh.).

STIL UND EINORDNUNG

Die frühesten Schriften des Vergilius liegen in acht spätantiken Codices vor, nicht selten versehen mit großzügigen szenischen Darstellungen (vgl. Vergilius Vatikanus, Rom, BAV, Vat. lat. 3225, um 400; D. H. Wright, Vergilius Vaticanus. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Codex Vaticanus Latinus 3225 der Biblioteca Apostolica Vaticana. Commentarium. Graz 1984). Die Verwendung der Schriften als Schulbuch für lateinische Sprache, Metrik und Grammatik führten im Mittelalter zu einem stetigen Zuwachs dieses Textes. In textlicher Hinsicht stimmt die Wolfenbütteler Handschrift weitestgehend mit dem spätantiken Vergilius Palatinus der Vaticana überein (Rom, BAV, Pal. lat. 1631, 4./5. Jh.). Die einzige in der Handschrift enthaltene Illustration zu den Himmelzonen (s.o.) steht ohne Vergleich in diesem Textzusammenhang. In Kombination mit den Tierkreiszeichen tritt die Darstellung in nach der Ausgabe Karls des Großen angefertigten astronomischen Handschriften des 9. Jh. auf, wie in der Astronomisch-komputistische Enzyklopädie St. Gallen, StiB, Cod. Sang. 250, 476, St. Gallen, 9. Jh., 4. Viertel; von Euw St. Gallen, Nr. 120. Die beiden Bären erscheinen hier allerdings umgedreht (Rücken an Rücken) und die Tiere sind mit Sternen als Sternzeichen kenntlich gemacht. In späterer Zeit, in der 2. Hälfte des 12. Jh., ziert sie, ebenfalls im Verbund mit den anderen Stern- und Tierkreiszeichen, den Liber Floridus des Lambert von Saint Omer (vgl. Cod. Guelf. 1 Gud. lat.). Dem ausführenden Künstler gelingt im Bild die Kombination von Schema (technischer Zeichnung) und enger Textillustration (Georgica I, 244–246), wobei das Schema zu den Himmelszonen bereits aus spätantiken Handschriften bekannt ist (vgl. Agrimensorencodex Cod. Guelf. 36.23 Aug. 2°, 52v, hier mit Fixsternhimmel). Die Initialen zeigen im Füllornament Motive, die in Lyoneser Handschriften aus vorkarolingischer und karolingischer Zeit bekannt sind (vgl. Lyon, BM, Ms. 443, Lyon, 7./8. Jh. - Bischoff Katalog 2, Nr. 2549a; Lyon, BM, Ms. 604, Lyon, Anfang 7. Jh.; Paris, BnF, nouv. acq. lat. 1549, Lyon, 2. Drittel 9. Jh.; Bischoff Katalog 2, Nr. 5093a; CLA VI, 783). Die kleinen Initialen der Hand des 10./11. Jh. (1r und 3r) entstanden in Anlehnung an die karolingische Ausstattung.

Wolfenbüttel Gud., Nr. 4374. — Werdendes Abendland, Nr. 303. — Schneider Vergil, 26–28. — Bischoff Katalog 3, Nr. 7309. — T. Haye, Späthumanismus und Gelehrtenkultur im Zeitalter Marquard Gudes, in: Retter der Antike. Marquard Gude (1635–1689) auf der Suche nach den Klassikern, hrsg. von P. Carmassi, Wiesbaden 2016, 25–36, hier 30. — Teeuwen, 70f.

A

Pergament — 4 Bl. — Lyon — 10./11. Jh.

Pergament — 4 Bl.

Schriftraum: 20,6 × 17,5 cm, zweispaltig, 41 Zeilen. Karolingische Minuskel von mehreren Händen. Der Einleitungsteil von drei Händen (A-C). Hand A: 1r; 2vb, Z. 5–9, 31–41; 3rab, Z. 1–14; 3v; 4 (außer 4va, Z. 38–40); Hand B: 1v; 2 (außer 2vb, Z. 5–19, 31–41). Hand C: 3rab, Z. 15ff; 4va (außer Z. 38–40). Incipits und Explicits in tintenfarbiger Capitalis Rustica.

INHALT

1r Vita Gudiana I (Brugnoli, 213–216). 2r Vita Bernensis (Brummer, 66f.; Götte, 248). 2r3r Argumenta Georgicon et Aeneidos (Schaller/Könsgen 12948, 5806, 16235, 12695, 12543, 363, 2699, 12199, 1232, 10049, 3189, 3330, 6652, 1256, 2509, 2674, 16650; Poetae latini minores IV, rec. Ae. Baehrens, Berlin 1882, 173, 444., 151, 176, 163–168). 3r Merkvers zum Einprägen der Anfänge aller Gedichte Vergils (Schaller/Könsgen 16674). 3r4r Vita Gudiana II (Brugnoli, 217–219). 4v Vita Gudiana III (Brugnoli, 220). 4v Vita Donatiana , Exzerpt (Brummer, 17f.; Götte 238). Zu den Texten ausführlich Götte 467–488.

AUSSTATTUNG

2 kleine Zierinitialen.

Initialen: Zu den Textanfängen auf 1r und 3r jeweils eine kleine kolorierte Zierinitiale (0,6–2,3 cm). Als Füllmotive ein Seilband (1r) und eine Achterschlinge (3r), beide im Aussparungstypus.

Farben: Die Initialen tintenfarbig ausgeführt.

B

Pergament — 82 Bl. — Lyon — 9. Jh., 2. Viertel/Mitte

Pergament — 82 Bl.

Schriftraum: 20,6 × 17,5 cm, zweispaltig, 41 Zeilen. Karolingische Minuskel von zwei Händen. Schrift teilweise abgerieben und nachgezogen. Hand A: 5–10r. Hand B: 10rb-87rb. Ausgelassene Verse von etwas jüngerer Hand nachgetragen. Textausfall Georg. 2,53 - 2,260 durch einen Nachtrag mit Georg. 2,53–2,211 ersetzt. Der Fehltext wurde bereits vorher durch ein Blatt ersetzt, das vorerst nach Bl. 13 eingesetzt und dann ans Ende der Handschrift gebunden wurde (dort von Heyne vorgefunden). Dieses Blatt, mit den Versen Georg. 2,53–96 und 2,118–234 wurde bereits vor 1815/20 herausgelöst und befindet sich heute im Besitz der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (Diplom. App. 10 E Mapp. I 28; Beschreibung des Blattes bei Götte 474–477). Eingefügtes Zeichensystem zur Übertragung des Textes in prosaische Wortfolge (Punkte/Schrägstriche, etc.). Interlinear- und Marginalglossen von unterschiedlichen Händen. Von Aen. 5,19 bis Aen. 9 (43va-68rb) Gliederung des Textes in Abschnitte durch Paragraphenzeichen (Г). Versanfänge mit vergrößerten Unzialbuchstaben. Titel in Unzialis in Braun, Rot, Schwarzbraun und Blauschwarz oder Grün. 30v und 31r mit Seitentiteln.

INHALT

5r10r Vergilius: Bucolica. 10r23v Vergilius: Georgica. 24r87r Vergilius: Aeneis , durchgehend glossiert (zu den Texten ausführlich Schneider Vergil 26–28 und Götte 467–488). 87v Glossen.

AUSSTATTUNG

2 kleine Zierinitialen. Eine Federzeichnung.

Initialen: Zu den Textanfängen auf 53v und 58v jeweils eine kleine kolorierte Zierinitiale (1–1,4 cm). Als Füllmotive das Seilband (58v) und das gedrehte Band (53v). Der Buchstabenstamm mit kleinen Stegen in Segmente unterteilt (53v) oder durch einen stilisierten Fisch teilersetzt (58v). Am Faden hängend ein aus Parallelstrichen bestehendes Blatt (58v).

Federzeichnung: Zeichnung inkl. Schema 10,4 × 4,6 cm. 11v Der nördliche Zirkumpolarkreis und die Wetterzonen der Erde. Ein s-förmig gewundener Drache mit einem in der Mitte schlaufenförmig gelegten und mit gereihten Augen gefülltem Leib. Als Schwanzspitze ein Palmettenblatt. Das geschlossene Maul mit strahlenförmig angedeuteter Zunge. Im oberen und im unteren Binnenfeld auf dem Drachenleib stehend, je ein Bär. Der untere mit etwas längeren Haaren zwischen den Ohren. Direkt darunter anschließend ein Kreisschema mit den Erdzonen/Wetterzonen. Der Kreis horizontal in 5 Segemente geteilt, davon das mittlere mit einem diagonal verlaufenden Grat. Die Segmente bez. von o.nach u.: Septentrionalis (nördlich), Solstitialis (nördlicher Wendekreis), equinoctiat (Tag- und Nachtgleiche), Brumalis (südlicher Wendekreis), Australis (südlich). - Das Kreisschema nennt die Wetterzonen der Erde mit mittig diagonal verlaufenden Tropen (nicht bez.; vgl. Georgica 1, 233–239 - Erren Georgica, Bd. 2, 146, 147). Der Drache, der die beiden Bären umschlingt und direkt am nördlichen Punkt des Kreisschemas ansetzt, zeigt den nördlichen Zirkumpolarkreis (Iucidus Anguis Georgica 1, 205 und … elabitur Anguis Georgica 1, 244; Erren Georgica, Bd. 2, 133, 151). Das Sternbild des großen Bären (großer Wagen) in Reduplicatio (in Anlehung an das Aratos Zitat Die Bären, die sich vor dem dunkelblauen Ozean fürchten; Aratos, Phainomena. Sternbilder und Wetterzeichen, hrsg. von M. Erren, München 1971, ph. 45). Die Bären von Schneider in Anlehnung an Georgica 1, 105) fälschlich als Böckchen benannt (vgl. Schneider Vergil, 27). Text: maximus hic flexu sinuoso elabitur Anguis / circum perque duas in morem fluminis Arctos / Arctos Oceanis metuentes aequore tingui (Mächtig, in Krümmungen gleitend, umschlingt den Nordpol die Schlange, glitzert dahin wie ein Fluß durch beide Bären, die Bären, die sich fürchten, den Fuß in des Ozeans Fluten zu netzen; Text: Georgica I, 244–246; Übersetzung J. und M. Götte, Vergil. Landleben, Würzburg 1970, 75–77). Vgl. Abb. 11v.

Farben: Tintenfarbe.


Abgekürzt zitierte Literatur

Bischoff Katalog 2 B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 2: Laon-Paderborn, Wiesbaden 2004
Bischoff Katalog 3 B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 3: Padua–Zwickau, aus dem Nachlass hrsg. von B. Ebersperger, Wiesbaden 2014
Brugnoli G. Brugnoli, F. Stok, Vitae Vergilianae Antiquae, Rom 1997 (Scriptores Graeci et Latini consilio Academiae Lynceorum editi)
Brummer J. Brummer, Vitae Vergilianae, Leipzig 1912 (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana)
CLA Codices Latini antiquiores. A Palaeographical Guide to Latin Manuscripts prior to the ninth century, hrsg. von E. A. Lowe, Bd. 1–12, Oxford 1934–1971
Erren Georgica P. Vergilius Maro, Georgica, 2 Bde., hrsg. übers. und kommentiert von M. Erren, Heidelberg 1985–2003
Götte J. Götte, M. Götte, Landleben, Berlin 1996 (6. Auflage)
Lesser Ornamentum B. Lesser, Longe maximum vero Bibliothecae Augustae ornamentum, in: Retter der Antike, Marquard Gude (1635-1689) auf der Suche nach den Klassikern, hrsg. von P. Carmassi, Wiesbaden 2016 (Wolfenbütteler Forschungen 147), 445-516
Schaller/Könsgen D. Schaller und E. Könsgen, Initia Carminum Latinorum saeculo undecimo antiquiorum, Göttingen 1977, Supplementbd. fortgeführt von Th. Klein, Göttingen 2005
Schneider Vergil B. Schneider, Vergil. Handschriften und Drucke der Herzog August Bibliothek. Katalog der Ausstellung in der Bibliotheca Augusta, 5. Oktober 1982 bis 27. März 1983, Wolfenbüttel 1982 (Ausstellungskataloge der Herzog-August-Bibliothek 37)
Teeuwen M. Teeuwen, Die Ränder der Handschrift als Spiegel des mittelalterlichen Geistes. Die karolingische Zeit, in: Marginalien in Bild und Text. Essays zu mittelalterlichen Handschriften, hrsg. von P. Carmassi und C. Heitzmann, Wiesbaden 2019 (Wolfenbütteler Forschungen 156), 61-77
von Euw St. Gallen A. von Euw, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, 2 Bde., St. Gallen 2008
Werdendes Abendland V. H. Elbern, Werdendes Abendland an Rhein und Ruhr. Ausstellung in der Villa Hügel, Essen, 18.5.–15.9.1956, 4Essen 1956
Wolfenbüttel Gud. Die Gudischen Handschriften, beschrieben von F. Köhler und G. Milchsack, Wolfenbüttel 1913, ND 1966 (Kataloge der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel. Die alte Reihe 9)

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Katalogisierung der illuminierten Handschriften der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Teil I (6.–11. Jh.).
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