|| [ID00001]
Ein Leichpredig / Gehalten bey der Leich / des Ehrenuesten vnnd Hochgelehrten
Herrn / Matthei Grabißgaden / der Artzney Doctorn / vnd Fürstlichen
Wirtembergischen Hoffmedi / als er den 27. tag Martij / Anno 87. im HERrn seelig
entschlaffen / vnd folgenden 29. tag begraben ist worden.
Durch M. Johann Magrum / Predigern bey S. Leonhardt zu Stutgart.
APOC. XIIII.
Selig seind die Todten / so in dem HERrn sterben.
Getruckt zu Tübingen / bey Alexander Hock / im Jar nach Christi geburt / als
man zalt
M. D. LXXXVII.
|| [ID00002]
|| [ID00003]
Dem Ehrnuesten Hochgelehrten Herrn / M. Johann Grabisgaden / Medico zu Stutgarten / meinem lieben vnd guten
freundt.
GOttes Gnad / zeitliche vn̅ ewige Wolfahrt zuuor / Ehrnuester /
Hochgelehrter lieber Herr / vn̅ guter freund / Ich kan leichtlich
erachten / daß E. E. durch so vnzeitigen todt (wie es vor vnser vernunfft das
ansehen hat) ewres einigen vnd geliebten Sohns / Doctoris Mattheiseligen /
hochbetriebt seyen. Dann vber seinem / so früen tod / die jhne gekandt / vnnd
dessen bericht worden / neben mir / mit E. E. vnd derselben Freundtschafft ein
Christlichs mitleyden trage̅ / Sonderlich / dieweil jeder zeit /
von Jugendt auff ein herrlich ingenium bey jhm gespürt
worden / welches er nut sonderm fleiß (so er in seinem studirn angewandt) excolirt, vnnd ein trefflich iudicium albereit erlangt / vnnd den sachen tieff nachgedacht hat. Zu
dem er auch in seinem beruff / als ein Medicus, gantz
willig / vnd meniglichen / so tag / so nachts / zu dienen / vnuerdrossen gewesen
/ vnd mit sonderm lust solches ver
|| [ID00004]
richtet. Daneben aber vnnd
zuuorderst / ist er mit warer heilsamen Erkandtnus seines einigen Erlösers
Christi / vn̅ mit einem Gottseligen gemüt begabt gewesen. In
massen jme M. Johannes Magrus / Prediger zu S. Leonhart / des Ehrwirdigen vnnd
Hochgelehrten Herrn / M. Joan̅is Magri / Probst zu Stutgarte̅ / meines freundtlichen liebe̅
Collegae, Son / in seiner Christlichen Leichpredig
warhafftige zeugnus gegeben. Ine hat auch sein eingezoge̅ /
niechter vnnd zichtiger bescheidner Wandel / sambt seinen holdseligen moribus vnd freundtlichheit / wol gezieret: Derwegen ich
mich sein erfrewet / vn̅ verhofft / er würde dem Fürstlichen
löbliche̅ Hause Würtenberg / vil jar mit nutzen dienen / vnd
die andern Fürstlichen Würtenbergischen Medicos (deren
ettliche nunmehr in zimlichem alter) mit lob vnd nutz neben andern Jungen
ersetzen.
Dieweil es aber vnserm Himlischen Vatter anderst / vnd also gefallen / daß er
jhne zeitlich auß disem vnrhüwigen leben vnd Jamerthal zu sich erfordern wöllen
/ sollen wir billich seinem Göttlichen willen vnd Raht (als dem allerbesten /
vnd allerweisesten) vns nicht widersetzen. Vn̅ soll E. E.
gentzlich bey sich schlies
|| [ID00005]
sen / was Gott thut / das sey wol gethan: ob gleichwol E. E. schwer
ankom̅t / derselben willen hierin / in den willen des
himmlischen Vatters / allerdings zuergeben. Es hat E. E. geliebter Sohn /
seeliger gedechtnüs / seinen lauff wol vnd zeitlich verbracht. Dann er von
Jugent auff / in seinem beruff / das ist / im studirn fleissig gewesen. Vnd
nachdem er den gradum Doctoratus erlanget / auch ehe
dan̅ er widerum̅ in sein Vatterland gezogen /
hat er in Italia, sonderlich aber zu Florentz / im
Hospital / vnnd dan̅ etlichen orten in Franckreich / mit besuchung
vnd fleissiger cura der Krancken / lob vnnd rhum
erlanget. Vnd nachdem er herauß in sein Vatterland kommen / vn̅
Fürstlicher Hofmedicus worden / ist er zu Stutgarten / meniglichen zu dienen /
willig vnd geflissen gewesen: Also / daß er an dem tag / da er sich (schwachheit
halben) legen müssen / zuuor noch ettliche seiner Patienten besucht hat.
Derwegen der Allmächtig an seinem bereiten willen vn̅ fleiß / so
er die wenige Jar in seiner practica medica, angewandt /
so wol benügt gewesen / als ob er gleich dreissig Jar oder lenger die krancken
besucht vnd curirt hette. Johannes der Tauffer ist in seinem Theologischen
beruff der Kirchen
|| [ID00006]
Gottes ein gar
kurtze zeit vorgestanden. Vnd haben ohn zweifel / alle guthertzige gottselige
leut darfür gehalten / wann er hette das leben sollen haben / er würde grossen
nutzen mit seinen eiferigen Predigte̅ gege̅ der
Gemein Gottes geschafft haben: Aber Gott hat jne / gleich mitten auß seinem
lauff (wie es das ansehe̅ gehabt) auffgefangen / vnd in sein ewig
Reich erfordert / vn̅ hat jm die kurtze zeit seines beruffs / für
vil Jar gerechnet: Also ist eben derselbige Güttige Allmächtige Gott / an E. E.
geliebte̅ Sons seligen / angewendte̅ fleiß (den
er / in der kurtzen zeit / die er gelebt / angewandt) wol beniegt gewesen / vnd
jne auß Vätterlicher liebe / zeitlich zu seinen Göttlichen gnaden / seliglich
transferirt. Derhalben wöllen E. E. sich zu friden
geben / auff Gottes gnedigen willen sehen / vnd dises Creutz mit Christlicher
geduldt tragen. Der Gott alles trosts / wölle E. E. in disem leid trösten /
vn̅ erhalten / Amen. Datum Beblingen / den 4. tag Aprilis /
Anno 1587.
E. E.
Dienstwilliger
Lucas Osiander D.
|| [ID00007]
Esaias am 56.
Capitel.
ABer der Gerechte kommet vmb / vnd niemand ist / der es zu hertzen neme. Vnnd
heilige Leut werden auffgerafft / vnnd niemand achtet darauff. Denn die
Gerechten werden weg gerafft für dem vnglück / vnnd die richtig für sich
gewandelt haben / kommen zum Fride / vnd ruhen in jhren Kammern.
Außlegung.
GEliebte im HERrn Christo / vnder andern vilfältigen Nutzbarkeiten / so vns
frommer Leut Begräbnuß / vnnd dise versamblungen bringen / ist nicht die wenigst
/ daß sie ware buß vnnd besserung deß Lebens bey vns schaffen. Dann weil GOTT
auch an den frommen / seinen liebsten Kindern / die Sünd / so sie noch am
Fleisch trage̅ / hasset / vnd sie ettwan vor der zeit / vnd ehe es
vns dunckt nutz vnnd gut sein / (gleich wol jhnen nicht zu vngnaden) dem
zeitliche̅ todt vnterwirfft: so haben die Gottlosen darbey
zubedencke̅ / wie der HERr
|| [ID00008]
jhre Sünde / so grösser vnd
schwerer / jhme lasse gefallen / vnd wieuil grössere Straffen sieverdiene̅ / wa sie nicht buß (1. Pet.
4.) wircken. Wie denn Petrus in gemein erfordert / daß man der Frommen
Creutz also ausehe / auff daß die Gottlosen lehrnen Gott fürchten / vnd buß
thun.
Vnnd eben das lehret Esaias auch in den verleßnen worten / vnd stellt vns fromme
abgestorbne Leut / zu Bußpredigern auff / die vns vom schlaff der Sünden
auffwecken / von der sicherheit abmahnen / vnnd zur Christlichen Buß anhalten
sollen. Weil wir dann solcher Bußprediger zu diser vnser zeit / wol bedörffen /
von wegen grössester sicherheit / welche beim grösten hauffen auch vnder vns
Christen / in vollem schwanck gehn / so wöllen wir disen Spruch Esaiae nach
gelegenheit der zeit vnd orts / ein wenig besehen / vnd vmb besserer ordnung
willen / dise vier Stücklin drauß anhören.
I. Wie es mit der Frommen todt geschaffen sey / vnd wahin sie durch denselben kommen.
II. Auß was vrsachen / bißweilen nur die Fromme / durch den todt weg genom̅en werden.
III. Was für nutze̅ jr todt bey der Welt schaffe.
IIII. Wann der Gottloß hauff sich nicht bessert / was für groß vnglück gemeinlich auff jhren todt folge.
Vom Ersten.
ABer der Gerechte kommet vmb / spricht Esaias. Durch die Gerechte / welche er
hernach auch heilig nennet / verstehet er nach art heiliger
|| [ID00009]
Schrifft / die so an Christum
vnsern Heiland glauben / welcher im Alten Testament künfftig war / aber im Newen
Testament erschinen ist. Dann also hat der Prophet dises wörtlin (Gerecht)
drobe̅ gebraucht Cap. 53. Durch sein erkentnuß / wirdt er mein
Knecht der Gerechte / vil gerecht machen. Denn er tregt jhre Sünd. Nun erkennet
man Christum allein durch den Glauben / durch welchen er vns alles / was er von
vnsert wegen gethon vnd gelitten hat / schenckt vnd zueignet. Dieweil aber vil
sich des Glaubens vnd diser Gerechtigkeit rhümen / die doch keinen rechten
Glauben haben / so erklärt sich der Prophet selber / was für gerechte Leut seind
/ nämlich / die richtig für sich gewandelt haben / das ist / welche sich der
Gottsforcht vnd Gerechtigkeit / auß glauben beflissen haben. Dann ein warer
Glaub wirdt gespürt vnnd erkennet bey den guten Wercken / wie ein Baum bey den
Früchten. So redt nun der Prophet von denen / welche durch den Glauben vor Gott
vmb Christus willen / für gerecht gehalten werden / vnd durch jhren
auffrichtigen vnärgerlichen wandel / auch für der Welt gerecht seind. Was sagt
er denn von jhnen: Der Gerecht kommet vmb / spricht er / das ist / er stirbt
dahin / er wirdt weg geraumpt auß diser Welt / vnd es ist mit jhm auß.
Sprichstu: Was ist das? Hat nicht Christus den Gläubigen verheissen / daß(Joan. 11.) sie nimmermehr sterben / oder / wann
sie schon sterben / dannoch leben sollen? Wie sagt denn Esaias: Der Gerecht
komme vmb? Antwort: Der Prophet redet an disem ort mit der Welt vnnd den
vnuerständigen / dann für denen werden die Frommen angesehen als stürben sie /
vnd jr hinfahrt würdt für ein verderben gerechnet. Sap. 3. Dann(Sap. 3.)
|| [ID00010]
die Welt meinet / es sey auß mit
den Frommen / vnnd jhr Frömbkeit sey durchden todt verloren. Wie es aber
eigentlich mit jhnen geschaffen / vnnd was er dauon halte / zeigt er selbs an /
da er sagt: Sie kommen zum Friden / vnd ruhen in jhren Kammern. Das ist / der
Todt ist nur jhr Schlaff vnnd sanffce ruh / das Grab ist nur jhr
Schlaffkämmerlin vnd Ruhbethlin. Eben dises (Esa.
26) stehet auch hieuor Cap. 26. da der Prophet auch von der Frommen
todt redet: Gehe hin / spricht er / mein Volck / in eine Kammer / vnd schleuß
die Thür nach dir zu. Vnnd (Joan. 11.) Christus
sagt vom gläubigen Lazaro Johan. 11. als er schon gestorben war: Lazarus vnser
Freund schläfft. Wie (3. Thess. 4.) denn Paulus
dise weiß zureden auch braucht. 1. Thess. 4. Wir wöllen euch / liebe Brüder /
nicht verhalten von denen / so da schlaffen.
Vnd wirdt der Frommen Tod recht vnnd eigentlich / (Job.
14.) ein Ruh vnd Schlaff genennet. Dann in disem Leben ist (Psal. 90.) vil vnruh / vnd das best / so drinnen /
ist Müh vnnd Arbeit / (Syr. 40.) Sorg / Forcht /
Elend vnd Jamer: Daher diß Leben recht ein Jamerthal genennet würdt. Weim aber
ein Frommer stirbt / so würdt er aller Vnruh / Müh / Arbeit vnnd Trübsal
entledigt / doch vil anderst denn die Vngläubigen: seitenmal der vngläubigen
Leiber / von der zeitlichen Trübsal auch ruhen biß an Jüngsten tag / jre Seelen
aber kommen stracks in die ewige vnruh der verdamnuß / da hiegegen die Frommen
mit Leib vnnd Seel zum Friden kommen. Dann jhre Leiber ruhen in der Erden / jhre
Seelen (Sap 3.) aber in Gottes Hand / da sie kein
qual anrieret. Sap. (Apoc. 14.) 3. Apoc. 14.
Darnach aber (dahin die Scha fürnämlich sihet) so haben die Gläubigen / die
hoffnung durch
|| [ID00011]
Christum / daß sie
am Jüngsten tag aufferstehn werden / zum ewigen seligen Leben. Gleich wie nun
die / so ruhen vnnd schlaffen / vnder die Lebendigen gezehlt werden / weil sie
nach etlich stunden werden auffwachen: Also werden die Gläubigen auch nach dem
Todt / für lebendig geachtet / weil sie anjenem tag wider leben sollen. Daher
sagt(Matth. 22.) Christus Matth. 22. von
Abraham / Isaac vnd Jacob / so schier vor 2000. Jaren gestorben waren / daß sie
nicht nur ruhen / sonder auch leben für Gott / weil der sie wider könne vnnd
werde lebendig machen / der sich nach jhrem todt / noch jhren Gott nennet. 2.
Mos. 3. Vnnd Johan. 6.(Joh. 6.) sagt er in
gemein: Das ist der will dessen der mich gesandt(2.
Mos. 3.) hat / daß / wer den Son sihet / vnd glaubet an jhn / habe das
ewige Leben. Wie? Muß er doch auch sterben? Antwort: Vnd Ich / spricht Christus
weiter / werde jhn aufferwecken am Jüngsten tage.
Wolan die From̅en sollen hie ein trost mercken / wan̅
sie liebe Leut durch den Todt verliere̅ / daß sie gedencken / weil
die jhren an Christum glaubt / vnd auß glauben Gottselig gelebt haben / so stehe
es jetz nach dem todt vil besser mit jnen / dann da sie noch lebeten. Dann auß
der müh vnd arbeit / seien sie zum Friden vnd Ruhkom̅en / auß der
Trübsal vnd Trawrigkeit / zur ewigen Frewd vnnd Seligkeit / also daß sie auch
nit wünschten noch begerten / in dises Jamerthal wider zu kehren. Derhalbe̅ niemand vber jro̅todt zuuil sollen trawren / auff
daß man jhnen die Seligkeit / zu welcher sie kom̅en / nit
mißgönne. S. Paulus schreibt darum̅(1.
Thess 4.) an seine Thessalonicher / vnd zeigt jnen an / wie es mit den
Todten / so gläubig geweßt / geschaffen sey / auff dz die Thessalonicher nicht
trawrig seind wie die andern / die keine(Syr.
22.) hoffnung habe̅. Vn̅ Syrach sagt: Man
solle nit zu sehr
|| [ID00012]
trawren vber
den Todten / dann er sey zur rhu kommen. So wissen wir nun für das erst / was es
für ein gstalt habe mit der Frommen todt / nämlich / vor der Welt kommen sie
zwar vmb / aber eigentlich kommen sie zum friden / vnnd von jhrer Arbei.
Vom andern.
Nöcht jemandt jetzunder fragen / warumb der Prophet allein von den Frommen sagte
/ daß sie vmbkommen / vnd warumb Gott (wie es die erfahrung lehret / vnd die
Exempel bezeugen) etwann fromme Leut / für den Gottlosen durch den zeitlichen
todt weg neme? Antwort. Hierauff erkläret sich der Prophet selber vnnd sagt:
Heilige Leut werden auffgerafft / vnnd die Gerechten werden weg gerafft für dem
vnglück. Das ist / wann Gott ein grosse straff vber den vngläubigen vnnd
Gottlosen hauffen beschlossen habe / so samble er jhm vor auß demselbigen / die
Gläubigen vnnd Außerwehlte / auff daß nicht auch sie in das gemein vnglück
eingemischt werden / vnd verderben. Er sagt: Gott raffe sie auff / oder raffe
sie hinweg: Welches gleichnußweiß geredt ist. Dann wann ein Brunst auffgehet in
eim Hauß / so sihet der Haußherr vnd die Haußmutter / daß sie das best /
köstlichst vnnd liebst / so sie haben / dannen bringen / entweder jhre liebe
Kinder / oder (da sie keine Kinder haben) jhre Kleinoter / Gelt / vnd was
dergleichen / das raffen sie eilendts zusamen / vnnd machen sich darmit auß dem
Fewer. Oder wann ein groß vnnd schwer Wetter am Himmel ist / vnd es anfahet zu
hageln / so sehen sich die El
|| [ID00013]
tern nach jhren Kindern vmb / suchen sie auff der Gassen / vnder dem
jungen Gsind / vnd wenn sies gefunden / raffen sies hinweg / vnd eylen mit jhnen
zu hauß / biß das Wetter fürüber gehe / vnd die Kinder kein schaden nemen.
Gottes(5. Mos. 4.) zorn / wann er anbrinnt /
ist ein rechte Brunst / vnd ein verzehrendts Fewer: Er ist ein schwer vnnd
schröcklich Wetter / welches alles verhergt / was es antrifft. Die(Esa. 49.) Gläubigen aber seind seine Kinder / die
er vil lieber hat / denn ein Mutter jhren Sohn / vnnd die er mit grösserm(Zach. 2.) fleiß bewaret / dann ein Mensch seinen
Augapffel. Wann er nun seinen zorn will angehn lassen / vber die Gottlosen / so
rafft er zuuor das fromb häufflin durch den todt hinweg / damit sie nicht auch
vom Fewer seines zorns auffgefressen werden / vnd vom Wetter seiner Straffen
schaden nemmen. Also hat Esaias droben Cap. 26. auch hieuon(Esa. 26.) geredt: Gehe hin mein Volck / spricht
er / in eine Kam̅er / vnnd schleuß die Thür nach dir zu / verbirge
dich ein klein Augenblick / biß der zorn fürüber gehe. Denn sihe / der HERr
wirdt außgehen von seinem Ort / heim zusuchen die boßheit der Einwohner des
Lands vber sie. Sprichsiu: Kan dann Gott die bösen nicht straffen / vnnd dannech
die seinen mitten in der Straff / vnd vnglück vnderm Gottlosen hauffen / lebend
erhalten? Antwort. Ja freylich kan ers. Dan̅ also hat er Noah im
Sündtfluß erhalten / mit(1. Mos. 7.) den seinen
in der Arch: Den frommen Loth mit seinen(1. Mos.
19.) Töchtern im Stättlin Zoar / als Sodoma vnnd die genachbarte Stätt
vndergiengen: Den Propheten Jeremiam(Jerem. 39.)
/ vnnd den frommen König Ebdemelech / in der Eroberung der Statt Jerusalem:
Seine Fromme̅ in der letsten zerstörung der Statt Jerusalem / im
Stättlin Pella genannt. Aber hie können wir ein andere vrsach bringen /
|| [ID00014]
(Sap. 4.) auß dem Büchlin der Weißheit Cap. 4.
nämlich / daß Gott die From̅en durch den tod auß dem Gottlosen
hauffen wegnem̅e / auff daß sie nicht in Sünden vnd sicherheit
fallen / vn̅ also mit den Gottlosen nit in die zeitlich Straff
allein / sonder auch in das ewig verderben gerathen. Er wirdt hingeruckt (der
Gerecht) sagt die Weißheit Cap. 4. daß die boßheit nicht seinen verstand
verkehre / noch falsche Lehr sein Seel betrüge. Den̅ / spricht sie
ferner / die bösen (Psal. 73.) Exempel verfüren
vnd verderben eim das gute. Asaph / der ohn zweifel ein frommer Mann gewest ist
/ wie es seine schöne Psalme̅ gnugsam bezeugen / klagt dises vo̅ jm selbs / er wer schier vom Gottlosen hauffen verführet worden
/ dz er jrem Exempel vnd bösen leben gefolget hette / Psal. 73.
Ey sagstu / dem kan Gott wol thun / dan̅ er kan die frommen
regieren durch seinen Geist / vn̅ kan sie in der Gottsforcht
stercken vnd bestendig erhalten / auch mitten vnder den Bösen. Ist also
vnuonnötten / daß sie deßhalben sterbe̅ / damit sie nicht verführt
werden. Antwort. Dises ist war. (Phil. 1.) Dann
Gott ists / der das gute Werck / des Glaubens vnnd der Gottseligkeit / bey den
seine̅ nicht allein anfahet / sonder auch bstendiglich
volführet / biß auff den tag Jesu Christi. Philip. 1. Aber noch ist ein vrsach
fürhanden / vnnd zwar schier die fürnembste / darumb Gott in vorstehendem
vnglück / die seinen durch den Todt hinnimpt / auff daß sie / nämlich mit jhrem
Gebett Gottes Zorn / vnnd Straffen vber den Gottlosen hauffen beschlossen /
nicht auffhalten. Dann daß der Frommen gläubig vnnd ernstlich Gebett / Gottes
Straffen möge verhindern / dessen haben wir (1. Mos.
18.) Zeugnuß vn̅ Exempel in Gottes Wort. 1. Mos. 18.
Hatte Gott beschlossen / Sodoma vnd die genachbarte Stätt / von wegen jhres
Gottlosen lebens außzutilgen / aber er
|| [ID00015]
verheißt dennoch dem Abraham auff
sein Gebett / wann er in Sodoma nur zehen fromme Männer wurde finden / so wölte
er vmb diser willen auch deß Gottlosen hauffens verschonen. Also verschonet er
auff Loths fürbit / der Einwohner(1. Mos. 19.)
zu Zoar / die auch mit den Sodomitern solten vndergehn: Sihe / spricht der HERr
/ Ich habe auch in disem stuck dich angesehen / daß ich die Statt nicht vmbkehre
/ für die du geredt hast. Eyle vnnd errette dich daselbst / dan̅
ich kan nichts thun / biß daß du hinein kommest. Zu Mose sagt er / 2. Mos. 32.
Lasse mich (gleich als ob jhn(2. Mos. 32.) Mose
hielte) daß mein zorn vber sie (das Volck Israel) ergrimme / vnd sie aufffresse.
Die Bande / darmit Mose GOtt gefangen hielte / waren das Gebett. Dann es volgt
gleich drauff im selben Capitel: Mose aber flehet für dem HERrn seinem Gott.
Ezech. 13. klagt der HERr(Ezech. 13.) von
Propheten seines Volcks (verstehet aber die falsche Propheten) daß sie mit jhrem
Gebett nicht für die Lucken tretten / vnd machen sich nicht zur Huren vmb das
Hauß Israhel / vnd stehet nicht im streit am tag des Herren. Vnd Cap. 22. sagt
er: Er habe einen gesucht / der sich(Ezech.
2???.) ein Mawr machte / vnnd wider den riß stünde / gegen jhm für das
Lande / das ers nicht verderbte.
Darauß wir lehrnen sollen / wie nutzlich in einer Statt oder in einem Volck
from̅e Leut seyen. Sie seind Säulen / auff welchen eines
gantze̅ Volcks / zeitliches glück vn̅ wolfahrt
stehet / gleich wie die Säulen eine̅ Baw trage̅
müssen. Sie seind Mauren / welche einem Vock die woluerdiente straffen ettwan
lange zeit aufshalte̅ könne̅. So lang nu dise mauren
vn̅ säulen stehn / so lang kan ein Volck fride̅
/ glück vn̅ segen haben. Derhalbe̅ soll man Gott
fleißig anrüffen / das er fromme Leut zu gemeinem nutze̅lange zeit
erhalte.
|| [ID00016]
Vnnd ob wol etwann einer
in eim groben Küttel / wenn er fromb ist / eben so ein starck Vatter vnser
betten / vnnd GOTTES zorn auffhalten mag / als ein frommer / der in eim grossen
ansehen ist: soll man dannoch GOTT für die Hauptsäulen fürnämlich bitten / auff
welchen der gantze Bawstehet / als für fromme Regenten vnnd trewe Prediger. Dann
so lang vns dise Säulen bleiben / so haben wir vns keines vnglücks zubefahren.
Da wir aber je sehen / daß GOTT die Frommen weg nimbt / so sollen sie auch mit
jhrem todt vns nutzen / dauon wir jetz zum dritten reden wöllen.
Vom dritten.
DEnn sie sollen fürs dritt vnsere Bußprediger sein / vns vermahnen zur Buß vnd
besserung des Lebens / vnnd vns auffmundern zum Gebett / auff daß wir die
Straffen / so sie vns mit jhrem todt verkündigen / wider mögen abwenden. Ja sie
soltens wol sein / vnd thund auch jhr bestes / aber Esaias klagt / sie schaffen
bey dem grösten theil keinen nutzen. Der Gerechte kompt vmb / spricht er / vnnd
niemand ist der es zuhertzen neme / vnd heilige Leut werden auffgerafft. Vnd
niemand achtet drauff. Dz ist / die Welt ist so sicher vnnd ersoffen in den
Sünden / daß sie Gott nicht mag zur Buß bringen / wann er schon jhr an from̅er Leut todt / alle tag vorbotten künfftiges vnglück schicket.
Dann Gottlose Leut / die auff keine Menschliche oder Göttliche Warnungen geben /
können allweg etwas finden / damit sie
|| [ID00017]
der sach ein Nasen drehen / wenn
ein Frommer stirbt / so muß es vilen ein ohngfahr ding sein / weil der todt heut
den / morgen jenen nemme: Ist er alt gwesen / so legt man die vrsach seines
todts dem alter zu: Ist er jung gewesen / so muß jhm Gott sein Stündlin jetz
auffgesetzt / vnnd sein zil gesteckt haben / das er nicht habe vbergehen können
/ (welches zwar wol an jhm selbsten war ist: soll vns aber nicht zur
fleischlichen sicherheit dienen) oder sie sagen / wir werden alle sterblich
geboren / vnnd seie keiner nie vberbliben / wie fromm er auch geweßt sey. Daß es
aber jhnen zur warnung geschehe / das wöllen sie nicht sehen. Dises erfahren wir
leider auff disen tag bey vns. Dann ob wir schon sehen / daß Gott die seinen weg
nimmet / vnd samblet durch den Todt / nicht nur durch gemeine Kranckheiten /
sonder nu mehr zwey Jar her / oder lenger / durch Pestilentz an etlichen orten /
vnd andere vngwohnliche Kranckheiten: so sein dennoch deren wenig / die
ernstlich buß thun / vnd Gott bitten / daß er vns die vbrige Säulen / das ist /
die Frommen / welche wir durch sein gnad noch vnter vns haben / erhalte / damit
nicht / wann alle Säulen hinweg seind / der gantze Baw zu hauffen falle: Sonder
der gröste hauff führet ein gantz sicher vnd Epicurisch leben: Die verachtung
Gottes / seines heiligen Worts / vnnd seiner heiligen Sacramenten / Geitz vnd
Finantz / Fressen vnnd Sauffen / Hurerey vnd vnzucht / Fluchen vnnd schwören /
will sehr gemein werden / bey Jungen vnd Alten / vnnd der massen vberhand
genommen / daß mans numehr schier für Tugent / vnnd Heldenthaten halten will.
Wenig seind / die Gottes warnungen zu hertzen nemmen / sich vorn künfftigen
Straffen von hertzen fürchten / ware Buß würcken /
|| [ID00018]
vnd jhr sündtlich leben
abstellen: Also daß wir warhafftig in der zeit leben / von welcher der HERR
Christus (Matth. 23.) Matth. 23. geweissagt hat /
daß sie werden gleich sein / den zeiten Noah vorm Sündfluß. Dann wie die Leut
damalen sicher geweßt seien / vnnd auff vilfältige trewhertzige warnungen des
Patriarchen Noah / sich nicht wöllen bekennen / auch kein vnglück geförcht
habe̅: Also werde auch zun letsten zeiten / bey meniglich
grosse sicherheit sein / daß man alles warnen / vermahnen / straffen / werde
verlachen vnd verachten. Sie sprechen / die Gottlosen / wie Paulus (2. Thess 5.) 1. Thess. 5. von jhnen sagt: Es ist
fride / es hat kein gfahr. (Esa. 28.) Vnd wie sie
Esa. 28. sagen: Wir haben mit dem Tod einen Bund / vnd mit der Hellen einen
Verstand gemacht / wann schon eine flut (Plage / Straffe) daher gehet / würt sie
vns nicht treffen. Wie aber solche sicherheit endtlich werde außschlagen /
wöllen wir jetz zum Beschluß hören.
Vom vierdten.
DEnn Esaias sagt: Die Gerechten vnd Heiligen Leut werden weg gerafft / für dem
vnglück. Darauß wir sehen / daß auff from̅er Leut todt /
gemeinlich grosse Straffen / vnd gemeines vnglück folge. Dan̅ die
From̅en seind die Säulen eines Volcks / darauff sein zeitlich
Heil vnd Wolfahrt stehet: Wen̅ nu die Säulen vmbgerissen seind /
so muß der gantze Baw zuhauffen fallen. Die From̅e seind wie ein
starcke Maur / weil sie mit jhrem Gebett Gottes zorn auff halten. Wenn nu Gott
dise Maur wegreißt / so fehret Gottes zorn daher / vn̅
vberschwemmet ein gantz Land / wie ein Sündflut / das ers verderbe: sonderlich
aber wan̅ die Hauptsäulen auch hinweg
|| [ID00019]
seind / als trewe Prediger / vnd
fromme Oberkeit. Die Exempel lehrens vns: So bald Noah in die Arch kompt /
schicket Gott den Sündfluß vber den gantzen Erdboden. So bald Loth auß Sodoma
kompt gehn Zoar / regnet es Schweffel vnd Fewr vber die Sodomiter. Als nach der
Him̅elfahrt Christi / die gläubigen von Jerusalem flohen /
vn̅ ein theil schon gestorben ware̅ / ist ein
vnglück nach dem andern vber die Juden kom̅en / biß sie gantz
vn̅ gar verderbet worden. Vnnd deren Exempel haben wir noch
mehr in H. Schrifft: Das ist in gemein war / was Petrus in gemein sagt: 1. Pet.
4. Wen̅ das Gericht Gottes am Hauß(1.
Pet. 4.) Gottes / das ist / an den Gläubigen anfahe / so werde es mit
den Vngläubigen vnnd Gottlosen / ein grewliches end nemmen. Vns hat zwar Gott
noch so hart nicht angriffen / daß er die Hauptsäulen hette weg genommen: sonder
raumet allein etliche Pfosten / oder Rigel hinweg / darauff der Einbaw bestehet.
Dann er ist langwürig vnd gedultig / der des Sünders todt nicht will / sonder
daß er sich bekehre vnd lebe / Ezech. 18. Allein sollen wir zusehen / daß wir
Gottes(Ezech. 18.) langmut vnd gedult nicht
verachten / seinen zorn vnnd wol verdiente Straffen nicht mehr häuffen / vnd jhn
nicht zwingen / mit vnsern Sünden / den Bawgar einzureissen / vnnd allerdings
zuuerderben: Sonder wir sollen rechtschaffne buß thun / das sündtlich lebe̅ abstellen / vnd from̅en Leuten helffen Gott
bitte̅ / daß er dz woluerdienet vnglück abwende / vn̅ vns an Leib vnd Seel zeitlich vn̅ ewig
erhalte.
Ein solches Pföstlin / ist auch vnser lieber Mitbruder in Christo gewest. Dann er
war auch deren einer / von welchen hie Esaias schreibet: Gerecht vnnd heilig war
er im Leben vnnd im Sterben / zwar nicht für sich selbs: die
|| [ID00020]
weil er von Natur ein
armer Sünder gewest / welches er auch erkennet vnd bekennet hat: sonder er hette
durch den Glauben die Gerechtigkeit vnnd Heiligkeit Christi des Sons Gottes /
welchen er anfangs im heiligen Tauff angezogen / darnach auß seinem heiligen
Wort (welchs er gern gehört vnnd fleißig gelesen) hat lehrnen recht erkennen:
Vnd denn im heiligen Nachtmal / wie ohn zweiffel bey gsundem Leib mehrmalen /
also auch in seinem Todtbeth sich mit Christo vereinigt / vnd seinen Glauben an
jn gesterckt vnd bekennet hat: welchen Glauben an Christum er auch bestendig /
biß in den letsten seufftzen hat behalten. Darnach ist er auch richtig für sich
gewandelt. Dann ob er wol seine Menschliche fehl vnnd gebrechen / wie wir alle /
gehabt: welche er auch erkennet / vnnd von hertzen berewet hat: so hat er sich
dennoch in seinem gantzen leben beflissen / seinen Glauben durch die
Gottseligkeit zubeweisen. Ist seinen lieben Eltern von jugendt auff gehorsam
gewest / von denen er auch zur Gottsforcht fleissig ist angehalten worden: Gegen
dem Nechsten hat er vnärgerlich vnnd vnsträfflich gelebt: Der Sünd / vnnd
sonderlich den gemeinen Lastern / ist er von hertzen feind geweßt: zuforderst
aber ist er in seinem Beruff geweßt trew vnnd fleissig. Dann nachdem er von
seinen Eltern zum studieren bald ist angehalten worden / hat er die Gaben / so
jhme von Gott verliehen / dermassen gebraucht vnnd angelegt / daß er zu Tübingen
auff der hohen Schul / offentliche zeugnuß seines fleiß vnnd geschicklichheit
hat vberkommen. Auch weil er jhm fürgenommen / in der Artzney / auff die er sich
sonderlich begebe̅ / zu gemeinem nutzen
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seines Vatterlands für andern
etwas zuerlehrnen / hat er mit bewilligung der seinen / auch auff andern
Vniuersiteten / in frembden Landen sich etlich Jar gehalten / vnd souil
außgericht / daß er mit sonderm rhum den gradum Doctoratus in der Artzney
erlanget hat.
Vnnd daß er deren einer gewesen / von welchem hie Esaias redet / ist auch auß dem
offenbar / daß jhn Gott in seinem besten Alter hat hin genommen / da er die
Gaaben / so GOTT jhure für andern verlihen / zu gemeinem nutz seines Vatterlands
/ hat können bald vnd wöllen anlegen: vnnd hat jhn also weg gerafft / entweders
für dem künfftigen vnglück: oder daß er durch böse Exempel nicht verführt wurde:
oder / daß er / als ein frommer / eifferiger Mann (wie er in der warheit
gewesen) des HERrn grim̅ / mit seim Gebett / neben andern
guthertzigen Christen / nicht zu lang auffhielte. Aber es sey gleich welches da
wölle / so haben wir vrsach vber seinen todt zu trawren: nicht vmb seiner Person
willen / dann dieweil er zum Friden ist kommen / vnnd sein Seel in Gottes Hand /
sein Leib aber im Grab ruhet / vnnd der frölichen zukunfft Christi erwartet / so
ists jhm wol gangen: dahin er dann in seiner Kranckheit sich gesöhnet / vnnd
Gott vmb sein Erlösung auß disem Jamerthal offt gebetten hat. Sonder also sollen
wir trawrig sein / daß wir vnser sündtlich vnnd sicher leben erkennen / vns
fürchten für Gottes gerechten Zorn vnnd woluerdienten Straffen / von hertzen vns
zu GOTT bekehren / vnnd vnser sündtlichs leben abstellen: auff daß wir Gottes
Zorn vnnd seine Straffen abwenden / mit freudigem Hertzen vnnd gutem Gewissen
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des Sterbstündlins warten /
vnnd einmal mit vnserm lieben Mitbruder / vnnd allen Außerwehlten Gottes /
aufferweckt werden mögen / zum ewigen Leben / durch vnsern HERRN Jesum Christum
/ Amen.
ENDE.