Transkription

Moralia Horatiana: Das ist Die Horazische Sitten-Lehre
Zesen, Philipp
[Inhaltsverzeichnis]
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MORALIA HORATIANA. Das iſt Die Horaziſche Sitten-Lehre/ Aus der Ernſt-ſittigen Geſelſchaft der alten Weiſe-meiſter gezogen/ und mit 43 in kupfer geſtochenen ſinn-bildern/ und eben ſo viel erklaͤrungen und andern anmaͤrkungen vorgeſtellet: Itzund aber aufs neue uͤberſehen/ hier und dar verbeſſert/ und mit reimgedichten vermehret und gezieret durch Filip von Zeſen. Das andere Teil. Gedrukt zu Amſterdam/ durch Kornelis de Bruyn/ In verlegung Kornelius Dankers/ im Jahr 1656.
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Dem Tugend-gefliſſenen LESER.
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WIer wollen unſere kraͤfte zu rahte halten/ weil wier nur auf die helfte unſers vorgeſtekten zieles gelanget; und uns durch nuͦtzliche uͤberdenkungen/ gleich als durch eine angenehme zwiſchen-ruhe/ bereit machen unſern wette- lauf ruhmwuͤrdig zu endigen. Wier haben alle Kunſt- und lehr-tafeln betrachtet/ welche die rechte ſeite des beruͤhmten Kunſt- ſahls gezieret; und ich wuͤrde unſerer rechtmaͤßigen und tugendgefliſſe= nen begierde ungleich tuhn/ wan ich zweifelte/ daß unter uns allen ein ei= niger zu finden/ der nicht auch ſo wohl die augen des gemuͤhts/ als des leibes/ auf ſo ein ſchoͤnes ſchau-werk geworfen. Weil dem nun alſo iſt/ ſo haben wier alle/ ſo wohl tugenden/ als laſter/ die ſich bei allen ſtaͤn= den finden/ angemaͤrkt und behertziget. Ich vor mein teil duͤrfte wohl/ des verdachts der einbildung und leicht-gleubigkeit ungeachtet/ gaͤntz= lich in der meinung ſtehen/ daß ich auch den halb-blinden/ indem ich den vorhang vor ſo klugſinnigen kunſt-tafeln weg-gezogen/ dasjenige/ was der kuͦnſtler der erkentnuͤs des gemeinen mannes zu misgoͤnnen ſcheinet/ recht eigendlich entdekket und vor augen geſtellet. Der geſtalt/ daß itzund keine gemuͤhts-regung/ noch einiges laſter/ ſie moͤgen geſchmuͦnket und und vermummet ſein/ wie ſie immer wollen/ keines weges mehr faͤhig ſein koͤnnen/ die einfalt oder das bloͤde geſichte der anſchauer zu betoͤhren. Die boßheit lieget nicht mehr unter der dekke. ihre ſchmuͤnke ſiehet man maͤrk= lich. ja ein ieder kan ihre fall-ſtruͤkke und fußangel ſehen/ und meiden. Die falſche liebe iſt ſo wankel-muͤhtig/ ſo grauſam und ſo mistreu abge= mahlet/ daß niemand mehr/ es moͤchten dan etliche willig-unbeſonnene ſein/ ihren pfeilen zum ziel/ und ihren flammen zum zunder dienen ſolte. Der hochmuht/ welcher ſeines ſalſchen ſchein-adels wegen/ ruͤhmlich zu ſein ſcheinet/ hat ſeinen auf geblaſenen praͤchtigen nahmen/ den er der edlen großmuͦhtigkeit mit unrecht entzogen/ gaͤntzlich verlohren. wier [ID00004] haben ihn entmaſchket/ und den purpur/ ſo ihm das anſehen der aller= edleſten gemuͤhts-regung gab/ ausgezogen; ja weil wier ſeine unwuͦr= digkeit und angemaßten mietlings-ſchein ſo gar kenlich gemacht/ wird er hinfort/ unſers erachtens/ niemand mehr/ als nur ehrloſe mietlings- gemuͦhter/ entzuͤkken koͤnnen. Der Zorn/ die misgunſt/ der geitz/ die hofart/ ja alle andere laſter ſeind daſelbſten ſotahnig vorgeſtellet/ als ſie ſich befinden. Sie haben uns auch allen zugleich ebenmaͤßiges ſchrekken eingejagt; und in unſere gemuͤhter den ſaamen des haſſes und wider-willens geſtreuet/ der zu ſeiner zeit unfehlbar bekleiben/ und ſolche fruͤchte/ welche dem fleiſſigen bau der weisheit gemaͤß/ zielen und bringen wird. Aber es iſt zeit/ unſern luſtwandel fort zu ſetzen; und im zuruͤkſchreiten auf unſere verlaßene ſpur/ die luſt mit augen und ohren zu büßen. Jedoch/ eh wier unſere ſinnen auf die erſte lehrtafel/ die uns zu betrachten begegnet/ werfen; ſo mus ich ihnen zuvor den zwek unſers auf weisheit gefliſſenen Kuͤnſtlers bil= lich entdekken. Er hat uns bisher alle beſchaffenheiten und berufs= ſtaͤnde des menſchlichen lebens zwar gezeuget/ aber daran nicht ver= binden wollen. Itzund ſtellet er ſie uns weiter vor/ doch in der mei= nung/ daß wier ſie uͤmhaͤlſen ſollen. aber er wil/ daß wier dieſelben waͤhlen/ die uns am meiſten geziemen/ das iſt/ die alleredleſten/ die allerheiligſten/ und der hoheit unſers urſprungs allergemaͤßeſten. Er wird uns in dieſer zweiten ordnung keine andere tafeln zu ſehen geben. Wan ihnen aber etliche derſelben veraͤchtlich/ und den hand= werkern anſtaͤndiger und ziemlicher zu ſein ſcheinen/ ſo ſollen ſie wiſ= ſen/ daß unſer neuer Zeno ihres wahnes nicht iſt. Dan er lebet der meinung/ daß kein handwerk veraͤchtlich ſei/ wan es der menſch in einfalt treiben kan; ja daß die freien und edlen Kuͦnſte ſelbſt/ wie man ſie nennet/ allezeit unehrlich und veraͤchtlich werden/ wan man ſie auf ein knechtiſches und ſchaͤndliches ziel anwendet. Inmittels iſt ſeine meinung nicht/ daß wier uns in ſolchen uͦbungen auf halten ſol= len. Er ſtellet ſie uns vor/ nicht anders/ als ſpiele und ergetzungen vor die reichen; oder aber zum troſt/ ja als noht-huͤlfen und entſa= tzungen vor diejenigen/ die mit dem glükke nicht alzu wohl ſtehen. Sie ſeind auch uͤberdas und in wahrheit anders nichts/ als die er [ID00005] ſten aufgaben/ und frage=ſtuͦkke/ die uns die Weisheit vorgiebet/ da= mit wier alſo gemach und gemach zur erkentnuͤs dieſer großen Kunſt/ dieſes goͤtlichen Kunſtwerkes/ und unauf hoͤrlicher uͤbung der helden und engel ſelbſt/ die auf die freie unverbundene Weisheit gerichtet/ ge= langen ſollen. Daruͤm laßet uns die andacht unſerer augen/ wan ich al= ſo reden darf/ wieder erneuren/ und einem ſo getreuen Weiſemeiſter von ſchrit zu ſchritte folgen. Wier werden ungezweifelt/ durch ſeine klug= heit/ zur beſitzung eines ſolchen ſchatzes/ welchen das gemeine volk ver= geblich ſuchet/ gelangen; und indem wier die Tugend uns zur geleits- frau in unſrem gantzen leben erwaͤhlen/ ſo werden wier ſo gluͦkſeelig ſein/ daß ſie uns auch im tode ſelbſt nicht verlaßen wird.
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1. Cuique ſuum ſtudium.
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(Lib. 1. Epiſt. 14. Lib. 2. Epiſt. 1.)
Quam ſcit uterque, libens cenſebo, exerceat artem.
Navem agere ignarus navis timet: abrotanum ægro
Non audet, niſi qui didicit, dare. Quod medicorum eſt
Promittunt medici, tractant fabrilia fabri.

Erklaͤhrung der erſten Bild- und lehr-tafel.
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WAs koͤnte unſer Kuͤnſtler wohl anmuhtigers und lieblichers waͤhlen/ uns zur ausuͤbung der tugend an zu reitzen/ als die angenehme veraͤnde= rung und manchfaͤltigkeit/ die er uns in dieſer kunſt-tafel vorbildet? In warheit/ ich beherzige ſie als ein lebhaftes bild der herrlichen beſchaffen= heit unſers geiſtes; und wan ich anders ihre ſtumme ſprache recht verſtehe/ ſo ſagt ſie mier/ daß uns die natur alzu lieb hehabt/ uns zur knechtſchaft zu erzielen/ oder vielmehr eine ſeele ein zu gießen/ die zur leibeigenſchaft geſchaffen. Ja freilich ſeind wier frei gebohren. Wier ſeind will-kuͤhrliche/ und meiſter unſers eignen gluͤkkes. unſere zuneugungen ſeind nicht gezwungen. Sie haben freie macht ſich auf dasje= nige zu begeben/ das ihnen am beſten vor ſie zu ſein duͤnket/ ja mit eben dergleichen freien wilkuͤhr erwaͤhlen wier uns unſer amt und unſern beruf. Sie ſehen nur die= ſen mahler an/ der ſeiner guhten eigenwilligkeit mit ſolcher luſt folget/ daß er auch in ſeiner arbeit herſchet/ und ſo gluͤkſeelig nicht ſein wuͤrde/ wan man ihn/ an ſtat ſei= nes mahler-ſtabes und pinſels/ einen Reichs-oder Koͤnigs-ſtab in die hand gebe. Eben daſſelbe ſollen ſie auch von ſeinem nach bahr gedenken/ welcher den lorbeer-krantz/ indem er in ſeiner angenehmen tiefſinnigen andacht und geiſtreichen erfin-duͤn= gen und geſichtern/ etwas hoͤhers/ als in beſitzung der aus-beuten und welt-reiche/ befindet/ auf ſeinem heupte hoͤher/ herlicher/ edeler und ruͤhmlicher ſchaͤtzet/ als den= ſelben/ den Alexander und Zeſer getragen. Wan ſie was weiter hinein ſehen/ werden ſie eines Artztes und Maß-kuͤndigers anſichtig werden/ die ihre luſt und ver= gnuͤgung im erkentnuͤs derer dinge gefunden/ welche mit ihrer zuneugnung uͤber= ein kommen. Gelangen ſie noch ferner hinein bis vor jene ſchmiede; ſo werden ſie gewahr werden/ ſo wohl aus ihrem ſingen/ als aus den geſichtern/ daß ihnen ihre arbeit/ weil ſie willig darzu ſeind/ nur eine wolluſt ſei. Hieraus koͤnnen wier ſchließen/ daß einieder menſch ihm ſeine ſeeligkeit ſelbſt machet; und wan er/ ne= ben ſolcher ſeiner freien berufs-wahl/ allen verſtand und erkaͤntnuͤs hat/ ſo ſein be= ruf erheiſchet/ dan iſt es unmuͤglich/ daß er in dieſem leben nicht den vorſchmak der ſeeligkeit des folgenden ewigen lebens empfinden ſolte.
|| [1]

1. Viel koͤpfe/ viel ſinne.
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CUIQUE SUUM STUDIUM.
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Der menſch hat ſeinen eignen trieb/
der dieſes/ jener das zu lernen.
Dem einen iſt der erd-klump lieb/
der andre ſchwingt ſich zu den ſternen.
So findt ein ieder ſeine luſt
in dem beruf/ der ihm bewuſt/
wan er ihn mit erkaͤntnuͤs treibet/
und ſtaͤts in einem eifer bleibet.
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1. Sua nemo ſorte contentus.
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(Lib. 1. Epiſt. 14.)
Optat ephippia bos piger, optat arare caballus.
Cui placet alterius, ſua nimirum eſt odioſors.(Lib. 1. Epiſt. 10.)
Cui non conveniet ſua res, ut calceus olim,
Si pede major erit, ſubvertet, ſi minor, uret.

Erklaͤhrung der andren Bild- und lehr-tafel.
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WIer haben geſehen/ daß unſer gluͤk auf unſerer eignen willkuͤhr beruhe; daruͤm muͤſſen wier eine guhte wahl tuhn/ weil es an ihr/ uns zu beſeeligen/ allein gelegen. Aber weil auf ſo glattem und ſo ſchlipfrigem wege der ſchrit ſo ungewis/ daß der menſch gemeinlich ſchweere faͤlle tuht/ ſo wil uns un= ſer kuͤnſtler darvor warnen/ damit wier niemand/ wan wier ja fallen ſolten/ zu be= ſchuldigen hetten/ als uns ſelbſten. Dieſes kunſt-ſtuͤkke zeiget uns/ durch eine kurtz= weilige eigenſinnigkeit/ das wenige urteil/ das wier bis weilen zu unſerer berufs-wahl anwenden; ja auch zugleich die reue/ welche uns fort und fort/ als die ungluͤkliche ge= faͤhrtin der unbedachtſamkeit/ auf der ſpuhr nachfolget. Dieſer ſchweerfaͤllige und keuchende ochſe/ der ſein joch mit dem zaume/ und die bauren-arbeit mit dem kriegs= weſen vertauſchet/ beklagt ſich uͤber den wechſel ſeines berufs; und zuͤrnet uͤber den himmel/ daß er ſich den falſchen ſchein und die vergebliche pracht des anſehnlichen ſchmukkes/ welchen die menſchen zur dienſtbarkeit der pferde erfunden/ betoͤhren laßen. Aber dieſer ochſe mag ſeinen uͤbermuht immerhin buͤßen; wier inzwiſchen wollen bekennen/ daß die natur/ als eine guhte und barmherzige mutter/ alle tiere gleicher weiſe treibet/ ihre ſeeligkeit zu ſuchen; und daß dieſe/ wan ſie nicht den irrweg gehen/ ungezweifelt zu dem glüklichen zwekke/ den ſie begehren/ gelangen werden. Es iſt wahr/ daß die menſchen/ ſo bisweilen viel unvernuͤnftiger ſeind/ als die unvernuͤnftigſten tiere ſelbſten/ dem anſehen nach alle gelegenheiten ſuchen/ ſich von ihrer geleits-frau der natur weg zu ſtehlen/ ja die grentzen/ die ſie ihr vorge= geſchrieben/ zu uͤberſchreiten/ ihr verboht und ihre geſetze mit fuͤßen zu treten/ und nur aus bloßer luſt/ die ſie aus der veraͤnderung ſchoͤpfen/ das ungluͤk ſo wohl/ als das gluͤk/ mit ergetzung an zu nehmen pflegen.
|| [3]

2. Niemand leſt ſich an ſeinen gluͤkke genuͤgen.
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SVA NEMO SORTE CONTENTVS.
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Das traͤge rind wil ſein gezeumt/
das ros ein ſchweeres zug-joch tragen.
Dem kaufman duͤnkt es ungereumt
nach wucher mit gefahr zu fragen/
der krieg ſteht ihm oft beſſer an/
da er/ vor wucher/ rauben kan.
Niemand/ noch herr/ noch der da pfluͤgt/
iſt faſt mit ſeinem gluͤk vergnuͤgt.
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3. Multiplex curarum prætextus.
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(Horat. l. 1. Satyr. 1.)
Ille gravem duro terram qui vertit aratro,
Perfidus hic caupo, miles, nautæque per omne
Audaces mare qui currunt: hac mente laborem
Seſe ferre, ſenes ut in otia tuta recedant,
Ajunt, cum ſibi ſint cengeſta cibaria: ſicut
Parvula, nam exemplo eſt, magni formica laboris,
Ore trahit quodcumque poteſt, atque addit acervo,
Quem ſtruit, haudignara, ac non incauta futuri.

Erklaͤhrung der dritten Bild- und lehr-tafel.
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HIer ſehen ſie die bekraͤftigung der wahrheit/ die unſre unruhige ſinnen nach einer oder der andern dichterei erfinden wollen. Vnſer kuͤnſtler hat ihm ein= gebildet/ daß die vergleichung des ochſen und pferdes ſolch=einen nachdruk in unſern hertzen nicht haben wuͤrde/ als er wuͤndſchet. Daruͤm ſetzt er dem menſchen zum beiſpiel den menſchen ſelbſt vor; und indem er ihm die unziemlichen und unehrlichen veraͤnderungen/ denen er unterworfen/ vor augen ſtellet/ ſo gedenkt er ihn/ durch ſeine eigne ſelbſt-erwekte beſtuͤrtzung und ſchaam-roͤhte von ſo einer ſchaͤndlichen ſeuche zu genaͤſen. Der kriegsman wil ein bohts-man ſein; der bohts-man ein kaufman; der kaufman ein arbeiter; der arbeits-man ein gaſt-wirt/ das iſt ſo viel zu ſagen/ als daß ein iedweder beruf demjenigen/ der nicht weiſe ge= nug/ verdruͤßlich iſt; und daß er ſich allezeit/ er mag waͤhlen was er wil/ in ſeiner wahl betrogen findet. Solches aber wiederfaͤhret dem weiſen nicht. Wan er frei gebohren/ ſo hat er ſeine freie gluͤks-wahl; und weis ſeinen ſtand und ſein gluͤk ſo zu fuͤhren/ daß er deſſen nicht uͤberdruͤßig wird/ noch iemahls reue druͤber traͤget. wan ihn Gott in der knechtſchaft/ mitten unter den feſſeln/ hat laßen gebohren werden/ ſo weis er ſich mit großmuͤhtigem hertzen in die niedrigkeit ſeines ſtandes zu ſchikken; und verſuͤßet/ ohne widerbaͤlbern und murren/ wider die algemeine ordnung der dinge/ durch ſeine weisheit/ den bitteren wermuht ſeiner dienſtbar keit.
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3. Alle fehler haben ihren dek-mantel.
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MVLTIPLEX CVRARVM PRÆTEXTVS.
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Gleich wie die ameiſſ’ aͤmſig iſt/
und ſucht vor winters ihre ſpeiſe:
ſo ſcheint auch iederman geruͤſt
ſich reich zu ſamlen/ eh er greiſe.
Wirt/ krieger/ ſchiffer/ akkersman/
ja ieder/ ſamlet was er kan/
durch muͤh und ſchweis/ nach ſeiner ſage/
zum vorraht/ auf die greiſe tage.
|| [6]

4. Cum fructu peregrinandum.
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(Lib. 2. Od. 16.)
Quid brevi fortes jaculamur ævo
Multa? quid terras alio calentes
Sole mutamus? patriæ quis exſul
Se quoque fugit?(Lib. 1. Epiſt. 11.)
Tu, quamcumque Deus tibi fortunaverit horam,
Grata ſume manu, nec dulcia differ in annum:

Erklaͤhrung der vierden Bild- und lehr-tafel.
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LAßt uns/ ſo es ihnen beliebt/ alhier ſtille ſtehen dieſe landſchaft zu beaugen. Ob ſie ſchon mit den vorigen tafeln dieſes Kunſt-ſaals nicht wohl uͤber= ein zu kommen ſcheinet/ ſo iſt ſie doch nicht weniger nuͤtzlich und lehrreich. Sie fragen/ was dieſe wildnuͤs bedeute? was das vor ſeltzame und uͤbel- bekleidete leute ſeind/ die ſie bewohnen? und unter welchem himmel ſich alle dieſe andere ſeltſamkeiten/ die ihnen ſo fremde vorkommen/ befinden? Sie ſollen wiſſen/ daß dieſes eine land-tafel iſt einer der halb-inſeln/ welche der ſonſt muͤßige Kolomb und der Spanier uͤbermuht auſſer den grentzen der natur geſuchet. Vnſer Kuͤnſt= ler ſtellet ſie uns daruͤm vor/ daß er unſere angebohrne unruhe vertilgen wil; und uns vorwerfen/ daß wier faſt alle dergleichen hoch-muͤhtige laͤcherliche wanders- leute ſeind/ die in der alten welt/ vor die fluht und ebbe ihrer unuͤmſchraͤnkten begier= den/ nicht gnugſamen raum finden/ und daruͤm eine neue zu ſuchen begierig. Aber wan wier klug ſeind/ ſo laßet uns heute einen gewiſſen ſchlus machen/ was beſtaͤn= diges und ruhiges zu waͤhlen; und die ruhe/ wan wier ſie recht finden wollen/ in uns ſelbſt zu ſuchen/ und nicht in der manch faͤltigkeit entweder der berufs-uͤbungen/ oder der geſelſchaften. Wier koͤnnen uns auch wahrhaftig keine beſſere und noht= wendigere reiſe vorſetzen/ als wan wier oftmahls in unſer hertz hinunter gehen/ zu erforſchen/ was in einer ſolchen uns ſo wenig bekanten landſchaft vorgehe; und die zeit/ die wier/ auſſerhalb unſers wahren und ſeeligen vaterlandes/ zu beſauren haben/ mit den edleſten und fruchtbahrſten verrichtungen/ aufs alleran genehmſte/ als uns muͤglich/ zubringen.
|| [7]

4. Ein frommer wandersman aͤndert die luft/ nicht den ſinn.
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CVM FRVCTV PEREGRINANDVM.
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Laß andre gehn und ſuchen land/
da/ wo der Welt-kreus hat ſein ende;
und mache dier dich ehrſt bekant/
geh in dich ſelbſt/ ja ſchleus behende
dein fremdes hertz dier fremden auf/
und gruͤnde deinen lebens-lauf
auf tugend/ bis du komſt zum ſtande/
in deinem rechten Vaterlande.
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5. A Muſis tranquillitas.
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(Lib. 1. Od. 26.)
Muſis amicus, triſtitiam & metus
Tradam protervis, in mare Creticum,
Portare ventis.(O vid. 1. Tlriſt. eleg. 1.)
Anxia mens hominum curis, confecta dolore,
Non potis eſt cantus pandere Pierios:
Carmina proveniunt animo deducta ſereno,
Triſtia cum lætis non benè ſigna cadunt.

Erklaͤhrung der fuͤnften Bild- und lehr-tafel.
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ICh ſehe wohl/ meine lieben/ wor zu ſie die guhtahrtigkeit ihrer zuneugung treibet. Sie haben ihr geſicht kaum auf die tafel gewendet/ daß ſie ſich ſchon uͤber die wunder/ die ſie darinnen vernehmen/ geruͤhret befunden. Wie gluͤklich ſeind ſie/ daß ſie ſich ſo bald in den adel ihrer natur haben ſchikken lernen/ und durch eine ſo ziemliche wahl der hoheit ihres gemuͤhts beigepflich= tet. In warheit/ der menſch mus der herrligkeit ſeiner ankunft oͤffendlich abſa= gen/ wan er entweder ſo ungluͤklich/ oder ſo ehrloß wird/ daß er ſich auf einen an= dern beruf/ als auf die freien kuͤnſte/ begiebet. Laßet uns dan nun zu dieſem kunſt= gemaͤlde nahen/ und das fuͤrtrefliche guht/ darzu uns unſere tapfermuͤhtige wahl beruffen/ anſchauen. Die gunſt-bezeugungen und ſchein-vergnuͤgligkeiten/ die ſie aus den gemeinen anmuhtigkeiten ſchoͤpfen/ ſeind guͤnſte/ ſeind zu verlaͤſſigkeiten die in ihrem erſten begin verſchwinden; und faſt allezeit diejenigen/ die ſie em= pfangen/ ins verderben ſtuͤrtzen. Aber dieſe hier/ die ihnen die freien kuͤnſte/ mit ſo ſuͤßen anlokkungen/ anbieten/ vergehen nimmermehr. Sie ſeind ungefaͤrbte/ ein= faͤltige/ doch zu verlaͤſſige guͤnſte; ja gnaden-bezeugungen und dienſt-erboͤhtigkeiten/ die ſie durch ihre ſuͤße entzuͤkkungen erheben; und aus menſchen gleichſam zu goͤ= tern machen/ indem ſie ihnen zum gegen-gift wider alle giftige anfaͤlle der wolluſt dienen.
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5. Gelehrte beſitzen die wahre gluͤkſeeligkeit.
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A MUSIS TRANQUILLITAS.
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Wer gelehrtheit iſt gewogen/
wird vor furcht/ noch trauren bleich;
Weil ſie des verſtandes bogen
jagtins meer/ den winden gleich;
ja es macht der weis heit ſchild/
daß ihr anſtoß hier nichts gilt.
dan gelehrtheit bleibt beſchirmet/
wan des ungluͤks wetter ſtuͤrmet.
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6. Diuturna quies vitiis alimentum.
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——— Et, nî(Lib. 1. Epiſt. 2.)
Poſces ante diem librum cum lumine, ſi non
Intendes animum ſtudiis & rebus honeſtis:
Invidiâ, vel amore vigil tor quebere.
——— Vigilare decet hominem(Plaut in Rudente.)
Qui vult ſua tempori conficere officia:
Nam qui dormitat libenter, ſine lucro, & cum malo
Quieſcit.

Erklaͤhrung der ſechſten Bild- und lehr-tafel.
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WIe giebt uns dieſe tafel das vorteil/ das wier aus der liebe zu den freien Kuͤnſten ziehen/ und die uͤbernatuͤrliche aͤmſigkeit/ die ſie in unſrem geiſt er wekket/ ſo artig zu erkennen. Das zimmer/ welches uns alhier abge= bildet wird/ kan eigendlich die wohnung der tugend/ der uͤbungs-platz der weisheit/ der ſitz der freien kuͤnſte und das heiligtuhm/ daraus alle begierden verban= net/ genennet werden. Auch wartet der Weiſe-meiſter/ der ſich darinnen/ als ein lehrer und unterweiſer/ befindet/ auf nichts anders/ als auf die zeit/ die ihm der ſon= nen aufgang ankuͤndiget/ dem Schoͤpfer aller dinge ſein ſchuldiges opfer zu brin= gen. Die ſorgfaͤltigkeit ſeine ſchuldige pflicht zu verrichten; und der eifer/ der ihn treibet die allerhoͤchſte Weisheit/ welcher er ſich geheiliget/ an zu behten/ machen ihn wakker/ ehe der mond die zwei drit-teile ſeines laufs vollendet. Er ſtehet noch zim= lich hoch uͤber den geſichts-grentzen. Er ſcheinet noch durch die fenſter ſeiner kam= mer; und gleichwohl iſt er ſchon aufgeſtanden. ja er hat ſeinen diener auch ſchon aufgewekt; und giebet uns durch ſolche ſeine wachſamkeit dieſe heilſame erinne= rung/ daß der ſteuerman wenig ſorge vor ſein ſchif traͤget/ wan er ſich ſchlafen leget/ und einem einfaͤltigen bohtsgeſellen die wache anvertrauet. Wier ſehen auch den ruhmwuͤrdigen ſieg/ den dieſer wachſame Weiſe/ durch die kraft ſeiner auf ſicht und wache darvon getragen. Dan die allerſtaͤrkeſten gemuͤhts-bewegungen/ wie ſchroͤklich und anlokkend ſie immermehr ſein moͤgen/ verſchwinden als nacht-geiſter und traum-geſichter/ mit dem ſchlaf und der dunkelheit zugleich; und verlaßen den wachenden/ die faulen ſchlumrigen ſeelen zu plagen/ die ihre gluͤkſeeligkeit im bette ſuchen; und dasjenige/ was ſie durch verguͤnſtigung der natur in einfaͤltiger un= ſchuld angefangen/ durch eine ſchaͤndliche weiſe fort zu ſetzen gefliſſen ſeind.
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6. Muͤßig-gang iſt aller laſter aufang.
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DIVTVRNA QVIE S VITIIS ALIMENTVM.
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Der kluge/ wan er wakker wird/
ſteht auf/ damit er auch vor tage
die luſt/ die ſeine ſinnen irrt/
durch leſ= und behten von ſich jage.
Der tohr liegt aber immer hin/
und kraͤnkt durch kummer ſeinen ſinn/
der ſo nichts guhtes kan beſinnen/
noch in der zeit ſein werk beginnen.
|| [12]

7. Virtutis amore cætera vileſcunt.
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(Lib. 1. Epiſt. 1.)
Eſt quodnam prodire tenus, ſi non datur ultra:
Fervet avaritia, miſeróque cupidine-pectus?
Sunt verba & voces, quibus hunc lenire dolorem
Poſſis, & magnam morbi deponere partem.
Laudis amore tumes? ſunt certa piacula, quæ te
Ter purè lecto poterunt recreare libello.

Erklaͤhrung der ſiebenden Bild- und lehr-tafel.
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WIe hoch und wie goͤtlich/ o du tapfermuͤhtige helden-maͤßige Begierde zur wahren wiſſenſchaft und tugend-gefliſſenheit/ ſeind deine entſchluͤſ= ſungen/ welche du diejenigen nehmen machſt/ die du wahrhaftig beſitzeſt! Dieſer aus-ruf entfellet mier rechtmaͤßig/ indem ich dieſe tafel erblikke. Sie ſehen ſie doch nur an; mit eben den augen/ als ich tuhe; und ſie werden mit mier geſtehen/ daß die Weisheit und Wiſſenſchaften/ welche als ſchutz-engel un= ſers geiſtes/ ihm ſeiner hohen herkunft gemaͤße gedanken einpflantzen. Sie geben ihme zu verſtehen/ daß nichts ſo niedrig ſei/ als dasjenige/ was die welt am hoͤch= ſten helt; auch nichts ſo unwehrt und unedel/ als daſſelbe/ das/ uns zu verleiten/ der hochmuht und die andern unziemliche gemuͤhts-regungen vor die allerkoͤſtlich= ſten ausgeben. Sehen ſie wohl den Weiſe-meiſter/ den ſo viel teufel-geſpenſter uͤmringen? Sie verſuchen ihn; aber nur vergeblich. Da bietet ihm die hochmuͤh= tigkeit einen ehren= und reichs-ſtuhl an: dort einen ſieges-krantz: weiter hinein eine ehren-ſeule; und zum letzten verſuch/ die ſtoltze pracht der ſieges-gepraͤnge. In= mittels ſchlaͤget er alles zugleich ab; und ſchaͤtzt es nach dem rechtmaͤßigen wehrte/ ja bleibet bei ihm ſelbſt in der beſtaͤndigen meinung/ daß alle dieſe dinge lauter eitel= keiten ſeind; daß ein reichs-ſtuhl anders nichts/ als ein arm voll holtzes/ mit gold und edelgeſtein aus geſchmuͤkt; daß die andern zeichen der pracht nichts anders/ als zuſammengeflochtene loorbeer-ſtreuſer/ als aus gehauene marmelſtükken/ und zer= brochene aneinander geheftete waffen weren; ja daß die ſieges-pracht ſelbſten/ die der allergroßmuͤhtigſten helden wundſch und verlangen zu ſein pfleget/ nichts an= ders ſei/ als ein vermiſchter hauffen vieler angefeſſelten unſchuldigen/ vieler ver= wegnen und ruchloſen kriegs-kneche/ ja vieler und großer den recht-maͤßigen be= ſitzern abgeraubten ſchaͤtze/ und endlich vieler des unſinnigen volks viehiſcher gluͤks-wuͤndſchungen.
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7. Wer tugend liebet/ achtet das uͤbrige nichts.
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VIRTVTIS AMORE CÆTERA VILESCVNT.
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Ehren-kraͤntze/ ſieges-prachten/
reichs-ſtuͤhl’/ ehr’/ und ehren-preis/
lehrt uns Weisheit wenig achten/
die was edlers vor uns weis;
die uns wahre ruhe giebet/
die uns hier recht ſeelig macht/
die kein hohes hertze liebet/
und des eitlen hochmuhts lacht.
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8. Sapientiæ libertas.
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(Lib. 2. Satyr. 7.)
Quiſnam igitur liber? ſapiens, ſibi qui imperioſus:
Quem neque pauperies, neque mors, neque vincula terrent:
Reſponfare cupidinibus, contemnere honores,
Fortis, & in ſeipſo totus teres, atque rotundus.
Externi ne quid valeat per læue morari:
In quem manca ruit ſemper fortuna.(Lipſius in Manud.) Illa, inquam, eſt abſoluta hæc, & compendio dicenda libertas: non homines timere, non fortunam; nec turpia velle, nec nimia; in ſeipſum habere maximam poteſtatem.

Erklaͤhrung der achten Bild- und lehr-tafel.
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WIewohl ſie/ wo nicht beſcheidenheit/ doch erkentnuͤs genug haben/ ihre begierden/ die ihnen ihre verderbte natur giebet/ zu zwingen; ſo ſeh ich ſie doch/ wider ihren willen/ aus ihren augen herfuͤr blikken; ja ich ſehe ſie gleichſam fragen/ wie koͤſtlich und ſchoͤne der ehren-krantz ſein werde/ den die Wiſſenſchaft und die Tugend ihren verehrern verheiſſen. Es iſt billich/ daß ich ſie vergnuͤge; und weil ich ihnen ſchon vielmahls geſagt/ daß die liebe zu den freien kuͤnſten eine volkommne algemeine artznei ſei vor die krankheiten der ſeelen/ ſo wil ich ihnen zeigen auf was weiſe dieſer wunder-balſam auf unſere ſo unterſchiedliche wunden ſol geleget werden. Sie haben in vorher gehender tafel geſehen/ wie der Weiſe-meiſter die eitelen bilder der ehre/ welche die welt in ihren allerwuͤchtigſten verrich= tungen vor ihr ziel helt/ zu boden geworfen. Nuhn ſehen ſie/ wie er den andern wuͤhtrichen der ſeelen geſetze vorſchreibet; und volgewaltig uͤber die gemuͤhts-regungen und das gluͤkke her= ſchet. Wie ſchoͤn iſt der zierraht an zu ſehen/ der ſeine ſieges pracht verherrlicht. Auf der einen ſeite reichen ihm die palmen-beume ſo viel ehren-kraͤntze zu/ als ſie zweige tragen; auf der andern ſeind ihm die alten unbeweglichen eichen als lebendige bilder ſeiner ſtandfeſtigkeit. Aber ob er wohl ſeine feinde gefeſſelt helt/ ſo ſeind ſie doch noch nicht gar uͤber wunden. Das gluͤk/ wel= ches allezeit verwegen/ und allezeit aufwuͤgleriſch/ unterwindet ſich noch einmahl mit ſeiner uͤbrigen macht ſeinen uͤberwinder zu bekriegen. Damit es aber zu ſeinem zwekke gelange/ ſo ruft es die teufels-geſpaͤnſter des ehrgeitzes/ der geldgierigkeit und aller uͤppigkeiten zuſammen. Die armuht/ die durch verwuͤrrung und unordnung ſich alwege betoͤhren leſſet/ komt auf die ſtim= me des gluͤkkes ſtraks zugelauffen; und ſtellet unſerem Weiſen alles/ was er haͤsliches und ab= ſcheulichs an ihm hat/ vor augen. Die leibeigenſchaft ſelbſt/ der bettelſtand/ und der tod/ wel= cher vor das ungluͤk aller ungluͤkke gehalten wird/ verbinden ſich zuſammen/ dieſen ort/ der ihnen nicht unuͤberwindlich ſcheinet/ an zu fallen. Aber ihr anſchlag iſt vergebens. Dan das gemuͤht unſers weiſen iſt ſo wohl befeſtiget/ daß es weder durch argliſtige raͤnke ſeiner feinde kan uͤberr umplt/ noch durch den anfall ihrer gantzen macht beſtuͤrmet und eingenommen werden.
|| [15]

8. Die volkomne freiheit beſitzt der Weiſe allein.
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SapientiÆ libertas.
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Wer ſich ſelbſt in allen faͤllen
weislich zu beherſchen weis/
den kan nichts nicht uͤberſchnaͤllen/
der erlangt der freiheit preis.
Armuht/ elend/ tod/ gefaͤngnuͤs/
ehre/ wohlluſt/ noch verhaͤngnuͤs/
zwingen keinen ſolchen muht/
der ihm ſelbſten zwang antuht.
|| [16]

9. Mediis tranquillus in undis.
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(Lib. 3. od. 3.)
Iuſtum & tenacem propoſiti virum,
Non civium ardor prava jubentium,
Non vultus inſtantis tyranni,
Mente quatit ſolida, neque Auſter,
Dux inquieti turbidus Hadriæ,
Nec fulminantis magna Iovis manus:
Si fractus illabatur orbis,
Impavidum ferient ruinæ.(Virg. 6. Æneid.)
Ac ſi dura ſilex aut ſtet Marpeſia cautes.

Erklaͤhrung der neunden Bild- und lehr-tafel.
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DIe ſeuchen unſers gemuͤhtes und andere gebrechligkeiten unſers lebens liegen un= ſrem Weiſen zu fuͤßen. Er hat aus ſeinen Gewaltigen leibeigne gemacht. Aber das iſt vor ſeine großhertzige tugend noch nicht genug. Er wil auch aufs allergnaueſte bewaͤhret ſein; und uns dartuhn/ wie er dem zorne des himmels/ und dem wuͤh= ten derer/ die ſeines grimmes volzieher ſeind/ widerſtehen koͤnne. Wier haben deſ= ſen etliche beiſpiele in dieſer tafel. Oben in der hoͤhe derſelben ſehen wier die verwuͤrrung/ die aus dem ſtreit und treffen der zwei hoͤchſten uhrweſen entſtehet. Vnten erzittert und boͤbet die erde vor ihrer ungeſtuͤhmigkeit/ tuht ſich von ſich ſelbſt voneinander/ wuͤrft alles/ was ſie traͤ= get/ uͤber einen hauffen; und wil ſich/ dem anſehen nach/ in ihren eignen einfal begraben. Noch weiter hinunter erſcheinen die uͤbertaͤhtigkeiten der menſchlichen gemuͤhts-regungen/ welche noch viel ſchroͤklicher ſeind. Hier ſehen wier die bedreuungen eines Koͤnigs/ welcher ſeinem unwillen vergnuͤgung zu tuhn/ er ſei gerecht oder unrecht/ lauter blitz und donner auf die uͤmſtehenden/ ohn allen unterſcheid/ aus wirfet. Ein wenig ferner hinein erblikken wier einen hauffen bedekter leiber in menſchen-geſtalt/ welche nicht ahtem hohlen/ es verfolge dan die verwuͤſtung eine uͤber= waͤltigte ſtadt mit feuer und ſchwert. Aber was macht mitten in dieſen unheilen und unordnun= gen unſer Weiſer? Er ſitzt auf einem ſtuhle unbeweglich. Seine verwanten und freunde be= finden ſich zunaͤchſt bei ihm; und ſchreien ihm/ aus angebohrner menſchlichen tumheit/ in das ohr/ damit er nach einem ſo langen ſchlummer endlich erwachen moͤchte; und auf ſeine und der ſeinigen rettung bedacht ſein. Aber dieſer wahrhaftig-menſchliche menſch ſtellet ſich gegen dieſe unzeitige ſchrei-haͤlſe taub. Er wendet ſich auch nicht einmahl uͤm zu ſehen/ wer dieſe ungeſtuͤh= me anhalter ſeind; und indem er in ſeiner goͤtlichen unbewegligkeit verharret/ ſo begiebt er ſich gantz und gar auf ſeiner ſelbſt betrachtung/ uͤberweget mit ernſt die bewegungen ſeines gemuͤhts; und erwartet/ mit der wage in der hand/ in volkomner zufriedenheit/ alles daſſelbe/ was Gott uͤber ihn beſchloſſen.
|| [17]

9. Der Weiſe bleibt unbeweglich.
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POST MULTA VIRTUS OPERA LAXARI SOLET.
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Ein Weiſer bleibt in einem muht.
Laß menſchen wuͤhten/ raſen/ grollen/
die ſtuͤrme ſauſen ſamt der gluht/
die ſchweeren donner brummend rollen/
ja gar die welt zu truͤmmern gehn;
doch wird der Weiſe feſte ſtehn/
den keine furcht nicht kan verletzen/
noch kein geluͤk in unmuht ſetzen.
|| [18]

10. Innocentia ubique tuta.
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(Lib. 1. Od. 22.)
Integer vitæ, ſceleriſque purus,
Non eget Mauri jaculis, nec arcu,
Nec venenatis gravida ſagittis,
Fuſce, pharetra.
Sive per Syrtes iter æſtuoſas,
Sive facturus per inhoſpitalem
Caucaſum, vel quæ loca fabuloſus
Lambit Hydaſpes.(Suet. in Tit. Xiph. in Veſp.) Titus Veſpaſianus audiens prædeceſſores ſuos multis à ſubditis in juriis affectos: Nemo, inquiebat, me injuria af- ficiet, quia nihil ago, quod alios lædere poſſit.

Erklaͤhrung der zehenden Bild- und lehr-tafel.
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SIe wollen wiſſen/ was die vorſtellung dieſes menſchen bedeute/ welcher mitten in einer wuͤſten gantz allein zwiſchen allerhand ungeheuren einher= gehet/ eben ſo unerſchrokken und freimuͤhtig/ als wan er in einem luſt-gar= ten heruͤmwandelte: ja der/ aus einem mehr als großmuͤhtigen helden- muht/ den angebotenen entſatz und die waffen/ ſo ihm wunderbahrer weiſe zu ge= ſichte geſtoßen/ verachtet. Ich wil es ihnen ſagen/ wan ſie mich weiter daruͤm anlangen. Aber was iſt es nuͤtze/ wan ich ihn nenne. Sie koͤnnen aus meiner be= ſchreibung/ die ich ihnen/ nach anleitung des kuͤnſtlers/ gegeben/ unſchweer er= maͤſſen/ daß es eben derſelbe halb-goͤtliche menſch ſei/ den ich ihnen in der letzten ta= fel gewieſen. Daſelbſten hatte er ſich niedergeſetzet/ weil er ſich verpflichtet befand/ die gefahr zu erwarten. Hier aber ſitzt er nicht/ ſondern gehet/ ohne furcht/ der ge= fahr entgegen/ indem er ſich keiner anderen waffen/ als ſeiner tugend/ gebrauchen wil. Er leſſet ſich auch von ſeinem wege keine drachen/ noch tiger noch tauſend an= dere wuͤhtende tiere zuruͤk halten. Hier koͤnnen wier von ihm lernen/ wie wier un= ſern lebens-lauf wohl volbringen ſollen. ja wier ſollen dis hochnuͤtzlichſte gebot/ das wier ie aus unſerer angenehmen Lehr-ſchule erwarten koͤnnen/ recht behalten; daß derſelbe vor dem frefel des gluͤkkes wohl beſchirmet iſt/ der ihm/ durch ſein rei= nes gewiſſen/ indem er ihm alles guhten bewuſt/ einen ſicheren ort der zuflucht zu wege gebracht.
|| [19]

10. Vnſchuld iſt uͤberall ſicher.
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Innocentia ubique tuta.
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Wer ſein gewiſſen rein bewahrt/
mit laſtern nie beflekt ſein leben;
darf keiner andern waffen art/
als die ihm tugend pflegt zu geben.
Sein’ unſchuld iſt ihm wehr und ſchild/
die mehr als ſchwert und bogen gilt.
kein wuͤſtes land/ noch wuͤrbel-fluht/
kein drach’ erſchrekket ſeinen muht.
|| [20]

11. Victrix malorum patientia.
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(Lib. 1. Od. 24.)
Durum: ſed levius fit patientia,
Quidquid corrigere eſt nefas.(Eurip. in Proteſilao.)
Altero duorum colloquentium indignante,
Is quiſe non opponit, plùs ſapit.

Erklaͤhrung der eilften Bild- und lehr-tafel.
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DEm Weiſen iſt nun nichts mehr hinterſtellig/ als daß er/ durch eine ei= nige ſieges-eroberung/ alles unter ſeiner gewalt ſehe. Dieſe tafel verſich= ert ſie/ daß er dieſen letzten ſieg ſchon in haͤnden habe/ und itzund ſeine ſieges-gepraͤnge beginnen ſol. Sie ſtellet ihnen ſolche durch etliche bil= der vor/ welche ſie vielleicht vor raͤhtſel halten/ zu deren verſtande nicht weniges kopf-brechen gehoͤre. Aber nein. Es iſt nichts ſo klahr und bekannt; und/ die war= heit zu ſagen/ ich mache mier faſt ein gewiſſen/ ihnen zu offenbaren/ daß es ein tu= gendvolkomner man ſei/ der die unbilligkeit und den frefel einer boßhaftigen frauen ſo beſtaͤndig erduldet. Doch/ weil uns alle unſere vorfahren durch dieſes beiſpiel die volkomneſte kraft einer volkommnen tugend/ abbilden wollen/ ſo wuͤrden wier un= ſern zweg nicht wohl beobachten/ wan wier es ſo fluchtſinnig uͤbergingen. So wiſ= ſet demnach/ daß derſelbe/ den ihr alhier in der geduld-ſchule ſehet/ der fuͤrtrefliche Sokrates ſei/ welcher durch ſeine eigne geſchikligkeit/ und den uͤbermachten frefel ſeiner frauen welt-bekant iſt. Sie werden auch gewis urteilen/ daß unter allen de= nen/ davon die Latein= und Griechiſchen geſchichte ſchreiben/ ſich keiner ſo wohl zu dieſem handel/ der in dieſer tafel entworfen wird/ ſchikken koͤnne. Sie behertzigen doch nur/ wie geduldig er leidet/ wie er ſo ſchwere dinge uͤberdenket; ja wie er dieſe ſei= ne gedanken ins werk ſetzet/ und zugleich uns unterweiſet/ wie hoͤchſtnoͤhtig es ſei zur ausuͤbung der edlen gemuͤhter/ daß man boͤſe weiber habe/ welche/ als haus= teufelinnen/ in der hand die peutſche/ im munde die ſchmaͤhlichſten laͤſterungen fuͤhren; damit der Weiſe lerne/ wie weit die wahre geduld gehen/ und wie viel die wahre groß-muͤhtigkeit erdulden koͤnne.
|| [21]

11. Geduld macht hulde.
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VIC TRIX MALORVM PATIENTIA.
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Ein weiſer menſch wird beſſer nicht/
als durch ein boͤſes weib/ bewaͤhret/
das ihn mit laͤſter-worten ſticht/
und nichts/ als ſeine ſchmach/ begehret.
Ein Sokrates iſt dieſer man/
der weiber-frefel dulden kan;
der ſeine frau ſich/ ohn’ entſetzen/
mit kammer-lauge leſſet netzen.
|| [22]

12. Conſcientia mille teſtes.
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(Lib. 1. epiſt. 1.)
——— hic murus aheneus eſto:
Nil conſcire ſibi, nulla palleſcere culpa.(Ovid. 4. Faſtor.)
Conſcia mens ut cuique ſua eſt, ita concipit intra
Pectora, pro facto ſpemque metumque ſuo.
Conſcia mens recti famæ mendacia ridet:
Sed nos in vitium credula turba ſumus.

Erklaͤhrung der zwoͤlften Bild- und lehr-tafel.
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DIejenigen irren/ welche meinen/ daß der Weiſe ſo wohl nach anſehen und ruhm/ als nach tugend/ ſtrebe; und daß er ſich unziemlicher dinge anders nicht enthalte/ als nur die hertzen zu gewinnen/ und ruhm und preis darvon zu tragen/ den auch ſchel= me ſelbſt den tugend-gefliſſenen nicht verſagen duͤrfen. Der Kuͤnſtler/ damit er den irtuhm dieſer leute entdekke/ zeiget uns alhier die heimliche ſieges-pracht eines tugend- eifrigen/ und den verborgenen ehren-ruhm/ den er aus den zeugnuͤſſen ſeines gewiſſens em= pfaͤnget. Er haͤtte uns ſolches durch kein tuhn oder laßen beſſer zeigen koͤnnen/ als in dieſem/ da er die großmuͤhtigkeit ſeiner ſeelen/ und die verachtung der ihm zugefuͤgten unbilligkeiten/ wie auch der ſchmeuchlenden liebe-dienſte des hochfluͤgenden geruͤchtes/ am allerbeſten darzutuhn vermag. Er hat ſich auf einen ſo feſten und ſo niedrigen ſtuhl niedergelaßen/ daß er ſich keines falls befahren darf. und laͤhnet ſich auf buͤcher/ als auf waffen der Weisheit/ welche ſie den men= ſchen mitgeteilet/ das ungluͤk zu beſtreiten. Er hat ſich auch wider eine eherne mauer gelaͤhnet/ die anders nichts iſt/ als die ruhe des geiſtes/ die man durch den has der laſter/ und durch aus= uͦbung der tugend erlanget. Sie ſehen doch nur/ wie kuͤnſtlich und artig der Kuͤnſtler neben ihm dieſe ſchaͤdliche natter/ die man das Geruͤchte zu nennen pfleget/ entworfen. Er hat ihr ein ſchmeuchleriſches weſen und liebelokkendes geſichte gegeben. Sie zeiget unſrem Weiſen die ſchaͤdlichen werkzeuge/ die ungetreue eigen-nuͤtzige trompetten/ die bald unſer lob aus= breiten/ bald uns allerhand laſter beſchuldigen. Aber unſer Weiſe-meiſter/ der beider nutz wohl kennet/ und alle beide gleich verdammet/ bittet dieſe tollſinnige waͤſcherin/ daß ſie doch auf was hoͤhers und edlers in ihren lob-ausbreitenden reden zu ſehen/ und von einem ſolchen/ der anders nicht/ als durch ſich/ und ihme ſelbſt/ wolte bekant ſein/ zu ſchweigen geruhen moͤchte. Ja er bekennet ihr gantz offenhertzig und freiwillig/ daß er ſich weder uͤm ehre/ noch uͤm ſchande bekuͤmmere; und daß der laſter bildnuͤs/ welches ſie ihm zeiget/ wie haͤslich es auch ſei/ dannoch zum abkehr und ekel/ den er ſchon vorhin von natur hette/ nichts mehr tuhn koͤnte. Damit er aber endlich ihrer mit ehren gantz loß werden moͤchte/ ſo erklaͤhrt er ſich gegen ſie rund aus/ daß er von allem/ was die welt von ſeinem leben ſagte/ eines ſo viel achtete/ als das andere/ ſo fern er nur in der unſchuld und einfalt/ die er ihm in allem ſeinen tuhn vorgeſetzt/ verharren koͤnte.
|| [23]

12. Das boͤſe gewiſſen ruhet nicht.
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CONSCIENTIA MILLE TESTES.
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Die unſchuld iſt ein’ ehrne wand.
Wer ſchlecht und recht in einfalt lebet/
ihm ſelbſt/ und niemand ſonſt/ bekant/
und nicht nach hohem nahmen ſtrebet/
der achtet keines laͤſterns nicht/
noch was ein loſer leumund ſprich???
Er bleibt auf tugend ſtaͤts gefliſſen/
und lebt geruhig im gewiſſen.
|| [24]

13. Honeſte & publice.
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(Lib. 1. Epiſt. 16.)
Tu rectè vivis, ſi curas eße quod audis.(Seneca. Lib. de Moribus.) Sic vivendum eſt, tanquam in conſpectu vivamus: ſic cogitandum, tanquam aliquis pectus intimum proſpicere poſſet.

Erklaͤhrung der dreizehenden bild- und lehr-tafel.
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ES iſt warr/ die wahre weisheit iſt keine feindin des wahren ehren-ruhms. Sie verbindet ſich ſo feſt nicht an ihre eigne ſelbſt-erkentnuͤs/ daß ſie auf ei= nen ehrlichen nahmen und offendliches geruͤchte nicht auch achten ſolte. In dieſer tafel ſehen wier einen von den verehrern des leumunds mit ſolchen dingen/ die er am allerverborgneſten helt; und indem er ſie alhier vor dem leumun= de entdekket/ wil er bezeugen/ daß er weder ſein nachforſchen/ noch ſein urteil fliehe. Sie ſollen dieſes lehr-ſtuͤkke der niedrigkeit und aufrichtigkeit zugleich/ ihnen wohl zu nuͤtze machen; und von einem ſo großen lehrmeiſter lernen/ wie ſie nicht allein die ruhm-ſpruͤche und zuruffungen des lobes fliehen/ ſondern auch die guhten zeug= nuͤſſe/ welche ihre tugend in der algemeinen erkaͤntnuͤs und dankbarkeit der welt verdienet/ rechtmaͤßig annehmen und gebrauchen ſollen. So laßet uns dan nun der tugend/ ihr zu liebe befleiſſigen; aber den boßhaftigen und neid-ſuͤchtigen ge= muͤhtern nicht nach ahmen/ welche zwar gaben an ſich haben/ die uns ſehr heilſam ſeind/ aber ſie nicht wollen zu lichte bringen/ und gleichſam ſelbſt aufſchlukken/ da= mit ſie unſere gebraͤchligkeit nicht genaͤſen moͤchten. Laßet uns unſere gemuͤhter gantz nakkend und bloß zeigen; und zulaßen/ daß die menſchen unſern wandel ſe= hen moͤgen; daß ſie uns von auſſen und von innen betrachten. ja mit einem worte/ laßet uns ihre neu-gierigkeit vergnuͤgen/ und den gemeinen mann auch die aller= verborgneſten gemuͤhts-regungen in unſerer ſeelen behertzigen/ damit wier zum wenigſten das unrechfertige gemurmel der muͤßigen ſeelen daͤmpfen/ welche von allen dingen/ die ſich ihres urteils entziehen/ arge gedanken zu ſchoͤpfen pflegen.
|| [25]

13. Wer recht tuht/ der tuht es offentlich.
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HONE STE ET PVBLICE.
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Wer ſo lebt/ daß ein ieder kan
durch ſeiner werkſtat fenſter ſchauen;
der iſt ein tugend-edler man/
der tugend uͤberal wil bauen.
er ſtopft des arg-wahns falſchen mund/
und fuͤhrt ihn auf der wahrheit grund/
mit tau der tugend zu befeuchten;
indem er ihm ſein licht leſt leuchten.
|| [26]

14. Virtutis gloria.
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(Lib. 1. Epiſt. 17.)
Resgerere, & captos oſtendere civibus hoſtes,
Attinget ſolium Iovis, & cæleſtia tentat.(Virg. 6. Æneid.)
Pacere ſubjectis, & debellare ſuperbos.(Lucil. Heſiod. li. op. & dies.)
Virtutem voluêre Dii ſudore parari.
Arduus eſt ad eam longuſque per ardua tractus,
Aſper & eſt primum: ſed, ubi alta cacumina tanges,
Fit facilis, quæ dura priùs fuit inclyta virtus.

Erklaͤhrung der vierzehenden bild- und lehr-tafel.
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ABer es iſt nicht genug/ daß die tugend nur bloß erkennet werde. Sie er= heiſchet was hoͤhers; und vermeinet/ es ſei ihrer wuͤrde gemaͤß/ daß man ihr die ehre/ die ihr zukomt/ antuhe. Vnſer Kuͤnſtler leſſet ihr in dieſer ta= fel ihr recht wiederfahren; und ſtehet ihr dasjenige zu/ was ihre edele muͤh= waltung dankbahres verdienet. Daruͤm zeiget er einen der alten uͤberwinder/ wel= cher im vollen ſieges-gepraͤnge ſich in die Keiſerin der ſtaͤdte/ das damahlige ſie= ges-prangende Rohm/ begiebet. Er ſtehet auf einem ſieges= und ehren-wagen von gold und elfenbein; ſein haͤupt iſt mit loorbeer zweigen gekroͤhnet/ die ihm ſeiner ei= gnen haͤnde ſieg ſelbſten geflochten; und vor ihm her ziehet ein hauffen kriegs-leute/ welche den raub der uͤberwundenen feinde/ ſamt den ruͤhmlichen zeuchen der frei= gebigkeit des Sieges-fuͤrſtens/ mit großer pracht tragen. Eine große anzahl ge= fangener uͤmringen ſeinen wagen. Sie gehen nach dem ehren-ſtande/ den ſie in ihrer vorigen freiheit gehabt. Die koͤnige tragen andere feſſel/ als ihre untertah= nen/ damit einer vor dem andern erkennet wuͤrde; ja es iſt ihnen von ihrer vorigen herrligkeit nichts mehr uͤbrig/ als der eitele glantz des goldes/ damit man ihre ketten bereichert. Das gemeine volk wird gantz verzuͤkt uͤber ſolche wunder/ die ihm zu geſichte ſtoßen; und wiewohl ſie anders nicht/ als anſchauer des koͤſtlichen ſchmuks und reichtuhms/ der hauffen-weiſe durcheinander in die ſtadt gehet/ ſein ſollen; ſo ſch auen ſie doch ſolches alles/ als ihr eignes an; und vermeinen/ ſo unmaͤchtig/ ſo armſeelig und leib-eigen ſie auch ſeind/ daß das leben und der tod/ die freiheit und dienſtbarkeit der voͤlker/ wuͤrkungen ihres gehirnes weren/ ja vollziehungen ihres raht-ſchluſſes/ der aus der vielheit ihrer ſtimmen entſproſſen.
|| [27]

14. Tugend wird uͤberall mit ehren gekroͤhnet.
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Virtutis Gloria.
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Wer ritterlich mit helden-hand
ſich waget fuͤr ſein vaterland/
die buͤrger ſchuͤtzt/ den aufruhr daͤmpfet/
des frommen ſchohnt/ den trotz bekaͤmpfet/
ja in verdienter ſieges-pracht
den feind gefeſſelt zeigt dem volke;
der hat ſich goͤttlich ſelbſt gemacht/
und reicht bis an die hoͤchſte wolke.
|| [28]

15. A Muſis æternitas.
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(Lib. 4. Od. 8.)
Dignum laude virum Muſa vetat mori:
Cœlo Muſa beat.(Lib. 4. Od. 9.)
Vixêre fortes ante Agamemnona
Multi, ſed omnes illacrymabiles
Vrgentur, ignotaque longa
Nocte, carent quia vate ſacro.(Ennius de ſeipſo.)
Nemo me lacrymis decoret nec funere fletum
Faxit. Cur? volito vivu’ per ora virûm.

Erklaͤhrung der funfzehnden Bild- und lehr-tafel.
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DIe tugend iſt mit dem/ daß ſie uns auf den ſieges-wagen geſetzt/ noch nicht zu frieden. Sie weis/ daß dieſe ehre gar zu gemein/ gar zu eitel und uͤber das alzu kurtz iſt/ daß ſie unſere arbeit belohnen ſol. Dieſes iſt nicht guht genug/ dan allein vor die gluͤklichen wage-haͤlſe/ welche von den ih= rigen/ nachdem ſie ihr leben mit einem gluͤklichen ausſchlage gewaget/ und die feinde/ ſo leichlich zu uͤberwinden waren/ eine zeit lang bekaͤmpfet/ ſolche dank= bahre und ihrer tahten gemaͤße belohnung zu gewarten haben. Aber vor die Hel= den/ welche die gantze zeit ihres lebens/ mitten unter ihren faſt unuͤberwindlichen widerſachern/ welche die unwiſſenheit und untugenden ſeind/ in unaufhoͤrlichem ſtreite leben/ iſt es recht und billich/ daß ſie ſonderbahrer ehren genieſſen; und daß die ehre ſelb-ſelbſt ſie nicht allein hoch uͤber dieſe uͤberwinder erhebe/ ſondern auch durch die kraft ihrer eignen fluͤgel von einem ende der welt/ bis ans andre trage/ und ſie allen voͤlkern mit einer ſolchen pracht/ die den glantz aller alten ſieges-ge= praͤnge verdunkelt/ ſehen laße. Dieſes richtet ſie auch in gegenwaͤrtiger tafel zu werke. Sie zwinget die zeit/ ihrer macht und misgunſt ungeachtet/ daß ſie ihr die haͤnde leihen mus/ uns uͤber alle vergaͤngligkeiten zu ſetzen; und von jahren zu jahren/ durch aus-breitung der beruͤhmten leute tahten/ verkuͤndigen; daß alſo alle dieienigen/ welche die tugend darzu wuͤrdig ſchaͤtzte/ ſolten geehret werden.
|| [29]

15. Die gelehrten ſeind/ und machen zugleich unſterblich.
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A MVSIS ÆTERNIT AS.
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Gelehrtheit/ die den laſtern feind/
den unverſtand auch ſtaͤts bekrieget/
die macht/ daß wier geehrter ſeind/
als der viel voͤlker hat beſieget.
Sein ſieg bringt ihm nur kurtze pracht;
uns aber traͤgt auf ihren fluͤgeln
die zeit zu jenen lebens-huͤgeln/
da unſer nachruhm ewig wacht.
|| [30]

16. Virtus immortalis.
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(Lib. 3. Od. 4.)
Virtus recludens immeritis mori
Cœlum, negata tentat iter via:
Cœtuſque vulgareis, & udam
Spernit humum fugiente pennâ.(Seneca, Octav.)
Conſulere patriæ, parcere afflictis, fera
Cœde abſtinere, tempus atque iræ dare,
Orbi quietem, ſæculo pacem ſuo,
Hæc ſumma virtus, petitur hac cœlum via.

Erklaͤhrung der ſechzehenden bild- und lehr-tafel.
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LAßet uns der wiſſenſchaft/ oder wie ihr wollet/ der tugend/ dan ich halte ſie vor eines/ alle die ehre geben/ die ſie verdienet; ja mit aller hertzlichen dankbarkeit/ deren ſie/ als ihr recht/ von uns gewaͤrtig/ entgegen gehen. Sie haben geſehen/ was ſie getahn hat/ uns andern menſchen zum wunder zu machen. Nuhn ſollen ſie auch gewahr werden/ mie ſie ſich unterfaͤnget/ uns neben die engel zu ſetzen. Da ſehen ſie/ wie ſie die welt mit fuͤßen trit; wie ſie ſich uͤber alle vergaͤngliche dinge hinauf ſchwinget/ und in ihren gebuhrts ſitz und ſeeligen wohn-platz begiebet/ da ihr die unſterbligkeit eine krohne bereitet/ die heller und tauerhaftiger/ als der glantz der ſterne ſelbſt. Aber ſie iſt keine von denen ſchoͤnen/ die der veraͤnderung unterworfen; oder durch willige vergesligkeit/ die liebe/ die ſie von ihren liebha= hern zeit ihres lebens genoſſen/ mit ihnen ins grab verſcharret. Sie zwinget die geſetze der noht= wendigkeit ſelbſten/ ſie fuͤhret ſieges-gepraͤnge uͤber die gewalt des todes/ wie ſie uͤber das wuͤhten der laſter getahn hat. Sie reiſſet der zeit den raub ihrer verehrer aus der hand. Sie ſteiget ſelbſt in ihre graͤber; und indem ſie ihre aſche wieder beſeelet/ verſetzt ſie ſelbige in ein anderes leben/ welches uͤm ſo viel erwuͤndſchter/ weil es weder der verfolgung des gluͤks/ noch den ſchwachhei= ten des leibes/ noch dem harten geſetze/ das allen denen/ ſo die freiheit zu leben bekommen/ eine nohtwendigkeit zu ſterben auferlegt/ unterworfen iſt. Damit nun unſer Kuͦnſtler der Tugend auch ſolche liebhaber gebe/ die ihrer wehrt weren/ ſo hat er ſie aus der beſten zeit erleſen/ und mit= ten aus einem ſolchen volke/ deſſen abſonderlicher beruf es war/ ihr gehorſam und folge zu leiſten. Er leſſet ſie die zwee erſten Helden in Griechenland nach dem himmel zu tragen; welche/ durch ihre großmuͤhtigkeit/ die ſie des nahmens/ Kinder der goͤtter genennet zu werden/ wuͤrdig ge= macht/ die allergreulichſten wuͤhteriche und erſchroͤklichſten ungeheuer/ naͤhmlich den unver= ſtand/ und die laſter/ aus zu rotten/ von einem ende der welt zum andern gezogen; ja welche da= durch/ daß ſie die waffen zur gelehrtheit/ und die Stahts-lehre zur Sitten-kunſt gefuͤget/ ſo viel verdienet/ daß ſie die Tugend ſelbſelbſt in der beſitzung des ehren-ruhms/ den ſie durch zwee ſo ſchoͤne und ſchweere wege erlanget/ befeſtiget.
|| [31]

16. Durch tugend wird unſterbligkeit erlangt.
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VIRTVS IMMORTALIS.
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Die Tugend ſchlieſſt den himmel auf
dem/ der zu ſterben nicht verdienet;
ſie foͤrdert den getaͤmmten lauf/
indem ſie ſich ſo hoch erkuͤhnet/
daß ſie vom ſchwachen voͤlklein weicht/
das auf der feuchten erden kreucht/
und die gelehrten Helden fuͤhret/
wo ſie kein tod/ noch ſterben ruͤhret.
|| [32]
(Seneca Herc. furent.)

17. Poſt multa virtus opera laxari ſolet.
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(Lib. 2. Od. 10.)
Sperat infeſtis, metuit ſecundis
Alteram ſortem benè præparatum
Pectus, informes hiemes reducit,
Iupiter: idem
Summovet, non ſi malè nunc, & olim
Sic erit, quondam cythara tacentem
Suſcitat Muſam, neque ſemper arcum
Tendit Apollo.

Erklaͤhrung der ſiebenzehnden Bild- und lehr-tafel.
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DIe Gelehrtheit hat uns viel gegeben. doch iſt noch eine freigebigkeit uͤbrig/ die wier von ihr erwarten; und weil es ihr gebrauch iſt/ daß ſie zu den oͤffendlichen und unſterblichen belohnungen/ eine abſonderliche und verborgene vergnuͤgung hinzutuht/ ſo wil ſie alhier/ daß der auf weisheit gefliſſene ſeinen geiſt abmuͤßige und ſeine tiefſinnige gedanken auf eine zeit verlaße/ ſich auch in den niedrigen ſpielen und ergetzungen des gemeinen voͤlkleins zu erluſtigen. Da ſehen wier ſie ſelbſt mit allen freien Kuͤnſten/ uns zum beiſpiel und zur nachfolge/ in ihrer angenehmen einſamkeit friſche luft ſchoͤpfen. Der Als- got der Gelehrtheit und freien Kuͤnſte/ der ſie begleitet und fuͤhret/ hat ſeinen bo= gen und ſeine pfeile niedergelegt/ und ſpielet dis neun geſchwiſter durch den ſuͤßen klang und tohn ſeines ſeiten-ſpiels gleichſam in den ſchlaf. Daruͤm duͤrfen wier nicht gedenken/ daß uns unſer uͤbungs-fleis an eine ewigwaͤhrende arbeit verbin= de; und daß er uns eine ewig-waͤhrende kwahl ſein muͤſſe. Er wil bisweilen un= terlaßen/ bisweilen wieder vorgenommen/ und bisweilen mit was kurtzweiliges ergetzet ſein. Er wil/ daß ſich der geiſt zu zeiten von ſeiner arbeit abmuͤßige und und verſchnaube/ damit er aus alzu großer abmattung nicht alzu ſehr ermuͤdet und geſchwaͤchet werde. Aber dieſe abmuͤßigung und zwiſchen-ruhe mus zu keiner laſterhaften faulheit gedeihen; oder in ein ſchlafſuͤchtiges ſchlummern veraͤndert werden. Dieſe gelehrte Jungfrauen geben uns ſolches durch ihre gebehrden gnugſam zu vernehmen. Dan wiewohl ſie eingeſchlaͤffet zu ſein ſcheinen/ ſo werden ſie doch durch das anmuhtige getoͤhneihres Fuͤhrers entzuͤkt; und uͤberdenken/ mit tieffem nachſinnen/ in ihrem ſchlummer ſelbſt/ ſolche dinge/ die ihrer aller= edleſten arbeit gemaͤß und anſtaͤndig.
|| [33]

17. Aufgewekte geiſter muͤſſen auch bisweilen ruhen.
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POST MULTA VIRTUS OPERA LAXARI SOLET.
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Ein bogen alzu hoch geſpannt
wird ſchlapp/ und bricht ins ſchuͤtzen hand:
ſo wird auch ſchwach/ ja gar zerriſſt
ein alzeit hoch-geſpannter geiſt.
Den ernſt mus kurtzweil iemahls breche ̅ /
die arbeit eine zwiſchen-ruh.
Gelehrten komt dan billich zu
die wechſels-luſt auch an zu ſprechen.
|| [34]

18. Amant alterna Camœnæ.
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(Lib. 4. Od. 12.)
Miſce ſtultitiam conſiliis brevem;
Dulce eſt deſipere in loco.(Menander in Senariis.)
Omnia tempeſtivè gratiam habent.(Lib. 2. Satyr. 2.)
Juvat interdum, Ludere par, impar, equitare in arundine longa.(Ovid. 1. Pont. el. 5.)
Otia corpus alunt, animus quoquepaſcitur illis:
Immodicus contrà carpit utrumque labor.

Erklaͤhrung der achtzehnden Bild- und lehr-tafel.
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SIe werden ſich wohl zu beſinnen wiſſen/ daß ein großer man in der vor= welt/ da er aus den tugenden und laſtern des Kato eine kurtzweilige ver= miſchung machte/ dieſen ſeltſamen wunder-wahn gefuͤhret: Daß dieſer fuͤrtrefliche man die trunkenheit eher verehrlichen/ als ſie ihn verunehrli= chen koͤnte. Ich wil nicht dergleichen von unſrem Weiſen ſagen/ aber gleich wohl etwas/ das jenem ſehr nahe kommet. Naͤhmlich dieſes/ daß er bisweilen kan ein narre ſein/ und doch ein weiſer bleiben. Dieſe tafel alhier machet uns ſolches wahr. Dan die drei bilder/ ſo darinnen ſtehen/ ſeind als drei verborgene ſchrift-zeuchen/ der bilder-ſchrift der Egiptifchen Pfaffen/ welche nichts anders bedeuten/ als daß zu rechter zeit und nach gelegenheit des ortes/ eine vollkomne Weisheit/ ohne nach= teil/ ein wenig naͤrriſch mit ſein moͤchte. Sie ſehen doch/ wie die Gelegenheit ſelbſt der Weis heit entgegen kommet/ und ihr dieſe kleine naͤrriſche ſchaͤlkin zufuͤhret/ welche die ſtirne mit laͤchlen entrunzelt/ die ſchweermuͤhtigkeit durch kurtzweile/ und ihren durch vieles nachſinnen ermuͤdeten geiſt/ durch abmuͤßigen/ verſuͤßet; ja ſich ſo artig in dasjenige/ da ſie luſt zu hat/ zu ſchikken weis/ daß ſie gleichſam eine andere tugend wird. So duͤrfen wier uns dan nun/ nach einer ſo volkomnen verguͤnſti= gung/ der froͤligkeit und ergetzung/ bei gegebener gelegenheit/ nicht entbrechen. Laßet uns gedenken/ daß der menſch ein menſch ſei; und daß das uͤnauf hoͤrliche ringen der geiſtes/ ſo uns uͤber die ſterbligkeit erhebet/ niemand eigen ſein koͤnne/ als den ſeeligen himmels-geiſtern/ welche nichts ſterbliches an ſich haben.
|| [35]

18. Alles hat ſeine zeit.
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AMANT ALTERNA CAMOENÆ.
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Die ernſte weisheit mus zu zeiten/
nach zeit/ gelegenheit/ und ort/
das pferd der tohrheit auch was reiten/
und ſchertzen auf ein ernſtes wort.
Gleich wie den leib die muße nehret/
ſo nehrt auch eben ſie den Geiſt/
der ſich in ſich alhand verzehret/
wan er ſich nicht einmahl entreiſt.
|| [36]

19. Ex vino ſapienti virtus.
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(Lib. 1. Od. 7.)
Albus ut obſcuro deterget nubila cœlo
Sœpe Notus, neque parturit imbreis
Perpetuos: ſic tu ſapiens finire memento
Triſtitiam, vitæque labores,
Molli, Plance, mero.(Lib. 1. Od. 18.)
Siccis omnia nam duræ Deus propoſuit: neque
Mordaces aliter diffugiunt ſollicitudines.(Epod. Od. 13.)
—— Omne malum vino, cantuque levato,
Deformis ægrimoniæ,
Dulcibus alloquiis.

Erklaͤhrung der neunzehnden Bild- und lehr-tafel.
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SIe duͤrfen an der wahrheit/ die ich ihnen itzund vorgehalten/ nun nicht mehr zweifeln/ weil ſich die Als-goͤttin der Weisheit aus keiner andern urſache in dieſer tafel ſelbſt ſehen leſſet/ als deſſen zeugnuͤs zu geben. Sie giebet ihnen durch ihr tuhn und weſen zu verſtehen/ daß ſie nicht begehre/ daß der Weiſe ein knechtiſches und ſchweermuͤhtiges leben fuͤhre/ das iſt/ daß er allezeit runtzeln an der ſtirne/ traͤhnen in den augen/ blaſen in den haͤnden/ und traurigkeit im hertzen habe. Sie wil/ daß wier einer ehrlichen ergetzligkeit und ge= ziemtem wohlleben kluͤglich nachhaͤngen; und uns/ ſo zu ſagen/ durch die einfaͤl= tigen anlokkungen des Als-gottes der freude und guhten worte bewegen laßen/ die ſorge/ arbeit und verdrüßligkeit auf eine zeit aus dem ſinne zu ſchlagen. Wan ſie das weſen der Weisheit wohl betrachten/ indem ſie uns ihren lob= und liebes-trunk darreichet/ ſo werden ſie befinden/ daß ſie ihn mit nichts leichtfertiges/ geiles und laſterhaftiges vermiſchet. Man moͤchte auch wohl ſagen/ ſo wohl weis ſie alles zu machen/ daß ſie uns/ durch anreitzung zur luſt und froͤligkeit/ zugleich zur maͤſ= ſigkeit/ und enthaltung/ ja zu einer gantz neuen art die wohlluſt zu bekaͤmpfen/ aufmuntere.
|| [37]

19. Der wein behertzt des Weiſen hertz.
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EX VINO SAPIENTI VIRTVS.
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Gleich wie der weiſſe ſud vertreibet
den grauen dampf der dunklen luft/
und meiſtmahls ohne regen bleibet:
ſo ſolſtu auch in ihre kluft
die ſchwartze traurigkeit verſchlieſſen/
und deiner arbeit bitterkeit
mit wein/ doch weislich/ oft verſuͤßen/
der uns gibt kraft/ und kehrt das leid.
|| [38]

20. A poculis abſint ſeria.
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(Lib. 1. Satyr. 2.)
Diſcite non inter lances, menſaſque nitentes
Cum ſtupet inſanis acies fulgoribus, & cum
Acclinis falſis animus, meliora recuſat:
Verum hîc impranſi mecum diſquirite. cur hoc?
Dicam ſi potero, malè verum examinat omnis
Corruptus judex.(Menand. in ſenariis.)
Quàm nihil diſciplina, niſi mens adſit.

Erklaͤhrung der zwanzigſten Bild- und lehr-tafel.
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DIejenigen/ ſo in dieſer tafel vorgeſtellet werden/ verrichten daſſelbe/ was ihnen die Weisheit anbefohlen. Aber ſie ſeind nicht geſchikt genug/ der angewieſenen ſpuhr aufs gnaueſte nach zu gehen. Sie ſteigen auf und nieder ohne verſtand; und laßen blikken/ daß ihre unvolkommenheit noch nicht gnugſam geheilet. In warheit/ ihre ausſchweiffende geſichter und wun= der-werkliche geberden ſolten uns wohl zu glaͤuben bereden/ daß nichts als gemeine ſeuffer in dieſer geſelſchaft weren; wan wier nicht aus ihren ernſthaften/ aber zur unzeit angebrachten/ reden verſtuͤnden/ daß ſie der dampf ihres verworrenen gei= ſtes mehr trunken gemacht/ als die aufſteigende dunſt des weines. An ſtatt deſſen/ daß die gaſtereien pflegen angeſtellet zu werden/ den geiſt zu beruhigen/ und des leibes kraͤfte wieder zu erneuren/ fuͤhren dieſe hier ernſthafte geſpraͤch-uͤbungen ein/ und matten nicht weniger ihren verſtand/ als ihren leib ab. Etliche zanken mit= einander uͤber die vornehmſten hauptſtuͤkke des glaubens. Andre nehmen ſchuͤſ= ſeln und kannen/ ihres anhangs meinung zu vertaͤhdigen. Die uͤbrigen urteilen von hochwichtigen land= und reichs-geſchaͤften; und gleich als wan ſie deſſen volle ver= waltung hetten/ teilen ſie die Reiche eben ſo leichtlich aus/ als ſie die beſten ſtuͤklein des gaſtmahls ausgeteilet. Alles dieſes ſol uns lehren/ daß ein iedes ſeine zeit ha= be; und daß es nicht weniger laͤcherlich ſei im wohlleben mitten unter den zuge= laßenen freiheiten der gaſtereien ſein ernſthaftes weſen und anſehen beobachten wollen/ als in den ſchulen der Weiſen und im Raht der Fuͤrſten eine laͤcherliche kurtz weile anrichten.
|| [39]

20. Lachen zur unzeit iſt naͤrriſch.
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Apoculis absint seria.
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Sei froͤhlich bei der froͤligkeit/
bei ernſtem volk auf ernſt befliſſen.
Wer lernen wil zur ſpielens-zeit/
im gaſtmahl/ hat den huht zerriſſen;
weil koſt und wein das hirn beteubt/
und ſein verſtand ihm gantz zerſteubt.
Wer wil von hohen dingen handeln/
mus nuͤchternſein/ und kluͤglich wandeln.
|| [40]

21. Virtus invidiæ ſcopus.
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(Lib. 1. Od. 24.)
——— Quatenus heu nefas!
Virtutem incolumem odimus:
Sublatam ex oculis quærimus invidi.(Lib. 1. Epiſt. 1.)
O cives, cives, quærenda pecunia primùm eſt,
Virtus poſt numnos.(Lib. 3. Od. 5.)
Nec vera virtus, cùm ſemel excidit,
Curat reponi deterioribus.

Erklaͤhrung der ein und zwanzigſten Bild- und lehr-tafel.
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NAchdem der Kuͤnſtler uns ſo wohl das gemuͤht/ als die augen entzuͤkket/ indem er uns die ehre ſamt der freude/ ſo vor die Tugend beſtimmet/ ſehen laßen; und die krohne der unſterbligkeit/ als die letzte und praͤchtigſte aller derer/ die ihr bereitet worden/ vorgeſtellet; ſo zeiget er uns auch alhier die ungepraͤgte ſeite der muͤntze/ und das ei= nige unheil/ dem dieſe tugend ſelbſt gluͤksfaͤlliger weiſe unterworfen; gleichſam als wan er ſich befahrete/ wier wuͤrden ihn beſchuldigen/ er hette uns betrogen. Sie ſehen ſie al= hier ſitzen auf einem unbeweglichen vier-ek/ da die welt unter ihren fuͤßen lieget; und da ſie durch ihr hohes helden-maͤßiges weſen/ das aus ihrem geſichte blikket/ zu verſtehen giebet/ daß ſie uͤber alles erhoben ſei. Mitlerweile wird ſie zu allen ſeiten angetaſtet. Hier beſchuldiget ſie der wol= luͤſtige/ daß ſie ein alzu ſauer-toͤpfiſches/ barbariſches und mehr als ungluͤkliches leben und we= ſen fuͤhre. Da ſpotten die bluht-iegel/ uͦbervorteiler und die widerſacher ihrer gewiſſenhaftigkeit und vertaͤhdigung. Sie nennen dieſelbe/ zum ſchimpf/ eine Goͤttin der armen-heuſer und betler; und ſchreiben ihr die ſchuld zu/ daß diejenigen/ ſo die wechſel-bank/ den wucher und andere wie= wohl verfluchte/ doch leichte mittel des ſchlamms der bettelei ſich zu entbrechen/ verachten/ einen armſeeligen zuſtand fuͤhren. Dort verweiſet ihr ein verraͤhter/ daß ſie ihn/ eh er ſeine ehre/ ſeinen glauben/ ja mit denſelbigen ſeinen Landes-vater und vaterland ſelbſt ſchaͤndlicher weiſe ver= kaufft/ verhungern laßen/ und nicht einmahl ſeine nohtdurft mitgeteilet. Kurtz/ alle falſche richter/ alle beſitzer eines andern guhtes/ alle wuͤhtriche/ und tauſend andre oͤffentliche untiere ſuchen mit gantzer kraft die beſtaͤndigkeit der tugend zu bewegen; und den grund-ſatz/ darauf ſie ihren ſitz befeſtiget/ uͤm zu werfen. Aber ſo bald ſie ſich an ihren laͤſterungen muͤde gehoͤret/ raͤchet ſie ſich deswegen durch ſie ſelbſten. Dan/ wan das alter/ die krankheiten/ und wiedererſtattung des geſtohlnen guhtes/ ja der lohn vor ihre dieberei/ den zuſtand dieſer ehrvergesnen veraͤndern/ ſo veraͤndert ſie ihnen auch zugleich die zunge ſelbſt. Dan ſchreien ſie. dan ruffen ſie uͤm barmher= tzigkeit. dan bereuen ſie ihr gepflogenes leben. ja dan flehen ſie in ihrem unfall dieſelbigen an/ wider die ſie in ihrem wolſtande ſo viel ſchmaͤhungen ausgegeifert. dan bekennen ſie uͤber= berlaut/ daß die Tugend der einige ſchatz ſei/ uͤm den ſich der menſch/ ſo lange er lebet/ bearbei= ten ſol. Dan verfluchen ſie ihre leichtfertigkeit/ ihre dieberei/ ihre betruͤgerei/ ihre meuchel- moͤrderiſchen anſchlaͤge/ und breiten ihre haͤnde aus zu dem heiligen ſitze der Tugend/ mit de= muͤhtigſter/ bitte/ daß ſie ihrer verzweifelung zuvorkommen/ oder doch zum wenigſten/ zu ihrer rechtmaͤßigen rache/ ihnen in ihrer todes-pein beizuſtehen geruhen wolle.
|| [41]

21. Tugend iſt der misgunſt augenmaͤrk.
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VIRTVS INVIDIÆ SCOPVS.
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Wan Tugend voll im bluͤhen ſteht/
dan wird ſie hoͤhniſch ausgelachet/
ſo bald ſie aber uns entgeht/
dan wird viel werks von ihr gemachet.
Eh’ ehrt man nicht den weiſen man/
als wan man ſeinen raht mus haben;
den ſiht man dan recht neidiſch an/
der ſich gebrauchet ſeiner gaben.
|| [42]

22. Poſt mortem ceſſat invidia.
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(Lib. 2. Epiſt. 1.)
—— Diram qui contudit Hydram,
Notaque fatali portenta labore ſubegit,
Comperit Invidiam ſupremo fine domari.
Vrit enim fulgore ſuo, qui prægravat artes
Infra ſe poſitas: exſtinctus amabitur idem.(Ovid. 3. de Pont.)
Paſcitur in vivis livor, poſt fata quieſcit;
Tunc ſuus ex merito quemque tuetur honos.(Max. Ser. de Invid.) Honeſta, inquit Philo, etiamſi per Invidiam ad tempus obſcurentur: attamen ſuo tempore ſoluta, iterum ſplen- dent.

Erklaͤhrung der zwei und zwanzigſten Bild- und lehr-tafel.
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DIeſe tafel/ welche der vorigen bekraͤftigung iſt/ vergewiſſert uns/ daß die wahrheit/ die ſie uns alhier vortraͤget/ ſo alt ſei/ als die welt ſelbſten; und daß ſich/ ſo bald nur menſchen auf den erdboden geokmmen/ die misgunſt zur ſtunde mit eingeſchlichen. Der trefliche Held Herkules/ welcher die ungeheuer bezaͤhmet/ die ſonſt nicht zu bezaͤhmen ſchienen/ hat gleichwohl denſel= ben nicht uͤberwinden koͤnnen/ der ihn zwang/ ſeinen eignen muht an ihm ſelbſt zu kuͤhlen. Weil dem alſo iſt/ ſo mus man glaͤuben/ daß nur ein einiger arm maͤchtig genug ſei/ dieſem ſchlangen-geſpaͤnſte den kopf ab zu reiſſen; und daß unter allen waffen/ die man verſuchet ſolches zu erlegen/ die ſenſe des todes allein ſcharf genug ſei das verhaͤngnuͤs dieſes alzeit-wieder-anwachſenden natter-gezuͤchtes auf zu he= ben. Vnſer Kuͤnſtler hat dieſe gedanken uͤber aus wohl abgebildet: dan/ indem er uns den alten Herkules Alzeſohn ſehen leſſet/ welcher die wunderſeltzame ungeheu= re ſchlange der ſumpfichten ſtinkenden Lerne vertilget; ſo wil er uns verſtaͤndigen/ daß niemand iemahls/ wan ja tugend und tapferkeit ſtark genug were das wuͤhten der neider zu daͤmpfen/ ſolch einen vorſchub und vorteil in ſolchem gehabt hette/ als die tugend und tapferkeit des Herkules. Es verſuchte auch in wahrheit dieſer er= loͤſer der welt/ dieſes Wunder der tapferkeit und gerechtigkeit/ wohl tauſend mahl in ſeinem leben daſſelbe große gluͤk/ aber es fehlte ihm alle tauſend mahl; ja es ſchei= net/ daß er uns durch ſolches ſein tuhn wil zu verſtehen geben/ daß er die mis gunſt niemahls unter ſeine gedaͤmpfte ungeheuer zaͤhlen koͤnnen/ wo ihm der tod nicht entſatz geleiſtet.
|| [43]

22. Niemand kan den neid daͤmpfen/ als der tod.
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POST MORTEM CESSAT INVIDIA.
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Wie dem/ der in der ſonnen gehet/
der ſchatten folget fuͤr und fuͤr;
ſo hatt auch der in tugend ſtehet/
die misgunſt ſtaͤts fuͤr ſeiner tuͤhr;
Die niemand/ als ſein tod kan fellen/
und haͤtt’ er ſchon des Herkels kraft/
der ſelbſt das kleinſte nicht geſchafft/
mit allen ſeinen ſpies-geſellen.
|| [44]

23. Virtus mortalia deſpicit.
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(Lib. 3. Od. 2.)
Virtus repulſæ neſcia ſordidæ, in-
contaminatis fulget honoribus:
Nec ſumit, aut ponit ſecureis
Arbitrio popularis auræ.(Lib. 1. Satyr. 6.)
—— Populus nam ſtultus honores
Sæpè dat indignis, & famæ ſervit ineptus:
Et ſtupet in titulis, & imaginibus.

Erklaͤhrung der drei und zwanzigſten Bild- und lehr-tafel.
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WEil man den Gewinner anders nicht/ als nach vollendetem wettelauffe/ zu kroͤhnen pfleget/ ſo empfaͤnget auch der Tugendeifrige ſeinen wahren lohn anders nicht/ als nach volbrachtem lauffe ſeines lebens. Hier ſehen wier gleichſam einen kleinen abris der herrlichen ſieges-pracht/ die der himmel der vollkomnen Tugend verheiſſet. Sie erſcheinet als eine ſieghafte heldin uͤber alle ihre feinde. ſie ſtehet in ihrer vollen kriegs-ruͤſtung. ſie iſt mit ſo viel ſieges- zeuchen uͤmringet/ als ſie widerſacher erleget; und indem ſie den großen und ſchwee= ren gegenſtand des wankelmuͤhtigen gluͤkkes zu boden getreten/ ſo glaͤntzt ſie voll freuden und herrligkeit. Man ſiehet ſie auch ſehr hoch uͤber dieſes ungluͤkliche reich erhoben/ da ihre tod-feindin die grentzen ihres gebietes geleget. Sie herrſchet vol= gewaltig im himmel/ und teilet alda nach freiher wilkuͤhr krohnen/ reichs-ſtaͤbe und andere zeuchen dieſer hohen und rechtmaͤßigen ehren aus/ welche wier nicht koͤnnen erlangen/ als durch erkaͤntnuͤs aller beliebten dinge/ und durch ausuͤbung der guten. Laßet uns/ einer den andern/ antreiben/ einer ſo loͤblichen ſache nach zu denken. Laßet uns betrachten was die Koͤnige ſelbſt auf erden/ und was die tu= gendhaften im himmel ſeind; und alſo uns/ durch die vergleichung des einen mit dem andern/ aufs ernſtlichſte befleiſſigen ein ſolches guht zu erwerben/ dagegen der ſchatz aller Kreſen/ und die macht aller Alexanderer nichts anders iſt/ als lauter bet= telei/ eitelkeit/ ſchwachheit und rauch.
|| [45]

23. Tugend verachtet alles was eitel.
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VIRTVS MORTALIA DESPICIT.
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Der Tugend wird nichts abgeſchlagen;
ſie glaͤntzt im reinen ehren-ſchmuk/
beſitzet durch ſich ſelbſt genug/
und ſchoͤpfet niemahls ein behagen/
wan ihr das eitle volk der welt
anbeut viel krohnen/ macht und geld:
vom himmel wil ſie nur die gaben/
als eine himmels-tochter/ haben.
|| [46]

24. Volat irrevocabile tempus.
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(Lib. 4. Od. 7.)
Immortalia ne ſperes, monet annus, & almum
Quæ rapit hora diem.
Frigora miteſcunt Zephyris: Ver proterit Æſtas
Interitura, ſimul
Pomifer Autumnus fruges effuderit: & mox
Bruma recurrit iners.(Vig. 3. Georg.)
Optima quæque dies miſeris mortalibus ævi
Prima fugit: ſubeunt morbi, triſtiſque ſenectus,
Et labor, & duræ rapit inclementia mortis.

Erklaͤrung der vier und zwanzigſten Bild- und lehr-tafel.
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ABer ehe der menſch zu dieſer herlichen ſeeligkeit und ſeeligen herligkeit gelangen kan/ mus er zuvor daſſelbe ablegen/ was irdiſches an ihm iſt; er mus das kleid/ das ihm die ſterbligkeit gegeben/ ausziehen: und ſeine wallfahrt/ die er am ſelbigen erſten tage/ da er auf die welt kahm/ angefangen/ follfuͤhren. Daruͤm hat unſer Kuͤnſtler ſtraks nach dem ſiegs-gepraͤnge der Tugend/ die ſieges-pracht des todes und der zeit geordnet. Da= mit er uns aber ſolches uͤm ſo viel eigendlicher und natuͤrlicher zeigen moͤchte/ ſo ſtellet er uns erſtlich dieſe tafel der jahrs-zeiten/ darnach des menſchlichen lebens/ vor augen. Der fruͤhling oder das voriahr/ als das allerjuͤngſte und alleranmuhtigſte/ erſcheinet zum allererſten. Darnach kommet der ſommer auf gezogen vol liebes-kraft und feuer. auf dieſen folget der herbſt mit ſei= nen fruͤchten und wenig-waͤhrhaften ergetzligkeiten. Endlich tuht der faule/ ſchwache/ kraͤnk- liche und bealterte Winter ſein beſtes/ daß er von ſeiner geſelſchaft nicht alzu weit dahinten blei= be. Die Zeit befindet ſich/ als ein kleines irrgeiſtghen/ welches tag und nacht fluͤget/ uͤber dieſen vier unterſchiedenen geſelſchaftern. ſie bemaͤrket ihren gang. ſie ſetzt ihrer wanderſchaft ein ziel; und indem ſie dieſelben wiederuͤm dahin/ daher ſie ausgegangen/ leſſet zuruͦkke kehren/ ſo ver= dammet ſie ſolche gleichſam zur ewig-waͤhrenden abwechſelung/ welche eher nicht/ als mit der welt/ ſich endigen ſollen/ wiewohl ſie al-taͤglich ſich endigen. Dieſer aufzug wil uns andeuten/ daß wier von unſerer wiegen an der Tugend zu folgen/ das iſt/ die zeit/ die unnachlaͤslich dar= von fluͤget/ zu rahte zu halten/ beginnen ſollen. Der zeit/ ſage ich/ die uns von einem alter zum andern traͤget/ und mit einer noch mehr unverſehenen geſchwindigkeit/ als der blitz ſelbſten/ gantz unvermuhtlich zu demſelben erſchroͤklichen zeitblikke fuͤhret/ da ſich unſere ſelbſt-eigne auf= loͤſung begiebet. Laßet uns dieſe merkwuͤrdige erinnerung wohl zu hertzen faſſen; und nach muͤgligkeit befleiſſigen das ſo gar kleine teil eines ſolchen dinges/ welches ſo wenig waͤhret/ nicht zu verſchertzen; ja das uns ſo hoch ſol angelegen ſein/ weil daher allein die ewige ehre und herr= ligkeit/ der wier alle nachtrachten/ mus erlanget werden.
|| [47]

24. Die zeit iſt unwiederbringlich.
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VOLAT IRREVOCABILE TEMPUS.
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Daß nichts auf dieſer welt beſtehet/
bezeugt der tag/ wan er der nacht/
und ſie ihm wieder/ raum gemacht.
der Weſt tuhts/ daß der froſt vorgehet.
das jahr mit ſeinen vierteln kehrt
ſich wieder/ wan es aufgehoͤhrt.
ſo wandelt alles auf und nieder:
nur unſer leben kehrt nicht wieder.
|| [48]

25. Tempora mutantur, & nos mutamur in illis.
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(Lib. 3. Od. 6.)
Damnoſa quid non imminuit dies?
Ætas parentum pejor avis, tulit
Nos nequiores, mox daturos
Progeniem vitioſiorem.(Eurip.)
Hei quo progreditur humana mens?
Quis finis temeritatis & audaciæ erit?
Si enim uniuſcujuſque viri vita ſuperbè propagetur:
Et poſterior priore longè
Deterior ſit: Deos adjicere terræ
Oportebit aliam terram, quæ capiat
Eos, qui ſunt injuſti & mali.

Erklaͤhrung der fuͤnf und zwanzigſten Bild- und lehr-tafel.
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NVhn ſehen wier die Zeit/ der alhier unſer kuͤnſtler ihre erſte tafel zueignet. Daraus wir vernehmen/ daß ſie/ als eine ſtaͤts unmuͤßige/ die von einem hundertjaͤhrigen alter zum andern fluͤget/ alle laſter und alle unfaͤlle/ die ihr in ihrem jaͤhen fluge begegnen/ mit ſich fort-reiſſet. Die kleinen pol= tergeiſterlein/ die mitihr heruͤm fahren/ ſeind mit dem wechſel/ den ſie ihnen vorſchlaͤget/ wohl zu frieden; und aus ihrem kurtzweiligen weſen ſolte man ſchier urteilen/ daß ſie uͤm kuͤnftige begebnuͤſſe einige wiſſenſchaft hetten/ und ſchon verſichert weren/ daß ie aͤlter die welt/ ie erneuerter und ſtaͤrker auch ihre kraͤfte wuͤrden. Aber wiewohl ſie vom beginn an aller zeiten zu herrſchen begonnen/ ſo iſt es doch allezeit in des Tugend-gefliſſenen macht geſtanden/ ihnen ihr reich/ da ſie ſich ſonſt ſo wohl befeſtiget/ zu ſtoͤhren und aus den haͤnden zu reiſſen. Dieſer halb-gott nun mus ſich entſchlieſſen/ unaufhoͤrlich zu kaͤmpfen/ imfall er einen ſo großen ſieg erhalten wil. Dan ob dieſe wuͤhteriche ſchon vielmahls von ihrem reichs- ſtuhle gejagt worden; ſo nehmen ſie ihn doch/ ihrem uͤberwinder zum trutz/ ſtraks wie der ein; und finden ſo viel hand-taͤhtige beſchirmer und helfers-helfer/ als die Tugend ihnen feinde erwekken kan. Doch laßet uns lieber der letzten ſeite erwaͤhlen; laßet uns unter ſo einem tapfern Feld-herrn fechten; und der zeit und den laſtern dartuhn/ daß wier hertzhaft genug ſeind/ ſie alleſamt an zu taſten; und daß wier aus dem treffen/ darzu ſie uns gereitzet (ungeachtet aller verraͤhterei derjenigen/ die uns die treueſten ſein ſolten) den vollen ſieg darvon tragen werden.
|| [49]

25. Alles iſt der zeiten veraͤnderung unterworfen.
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TEMPORA MUTANTUR ET NOS MUTAMUR.
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Die zeit verſchlimmert alle jahr:
ſie machte/ daß dein Vater war
viel boͤſer noch/ als ſeine Vaͤter/
die alle zwar ſeind uͤbeltaͤhter.
Du aber uͤbertriffſt ſie weit
in aller ehrvergeſſenheit.
doch wird dein ſohn/ und ſohnskind immer
wohl tauſend tauſend mahl noch ſchlimmer.
|| [50]

26. Tempera te tempori.
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(Lib. 3. Od. 29.)
——— Quid adeſt memento
Componere æquus, cetera fluminis
Ritu feruntur, nunc medio alveo
Cum pace dilabentis Etru- ſcum in mare: nunc lapides adeſos,
Stirpeſque raptas, & pecus & domos
Volventis unà, non ſine montium
Clamore, vicinæque ſilvæ,
Cùm diluvies quietos
Irritat amneis.(Senec. Med. act. 1.)
Compeſce verba, parce jam demens minis,
Animoſque minue. tempori aptari decet.

Erklaͤhrung der ſechs und zwanzigſten Bild- und lehr-tafel.
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WIewohl die zeit der Tugend immerwaͤhrende feindin iſt/ ſo duͤrfen wier ſie doch nicht alle zeit darvor halten. Wan ſie dieſelbe in große gefahr gerah= ten leſſet/ und dem wuͤhten unterſchiedlicher ungeheuer darſtellet/ ſo mus man urteilen/ daß ſie es mehr tuhe ſie zu kroͤhnen/ als zu verderben. Weil dem nun alſo iſt/ ſo muͤſſen wier nicht allezeit mit ihr in den haaren liegen; und ſie mit unaufhoͤrlichen ſchelt- und ſchmaͤh-worten anfahren. Der Weiſe weis ſich ſehr wohl darein zu ſchikken. Er kan dieſelbe wider ſie ſelbſt gebrauchen/ und ſo geſchikt ſein/ daß er es dem ewigen Geiſte/ der ihn erleuchtet (wan es ohne ſchmaͤh= lerung der goͤtlichen ehre kan geſagt werden) nachtuht/ und aus dem boͤſen ſelbſt was guhtes ziehet. Dem nun nach zu kommen/ mus man nichts anders tuhn/ als die zeit und die laſter/ ſo ſie begleiten/ wohl und eigendlich unterſcheiden. Dan/ wan wier ſo behende ſeind/ dieſen Proteus und wilden vogel ein zu ſperren/ ſo wer= den wier ihn leicht dahin bringen/ daß er uns alles daſſelbe zuſtehet/ was die Tu= gend wil/ das wier von ihm fordern ſollen. Dan werden wier die zeit dahin ver= moͤgen/ daß ſie uns/ mit den zinſen/ die geſetze unſerer gaſt-freiheit/ bezahlen mus; wier werden ſie zwingen/ daß ſie uns wider ihren willen/ in die ewige wohnung fuͤhren mus/ da wier unſere erhaltung und ihren untergang finden werden.
|| [51]

26. Schikket euch in die zeit.
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TEMPERA TE TEMPORI.
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Was gegenwertig iſt/ das nuͤtze/
wie du es findeſt/ mit verſtand.
es irre dich noch froſt/ noch hitze.
laß ſtund und zeit nicht aus der hand/
im ſtreit ſo wohl als in dem frieden;
ſie traͤgt dich doch noch aus der laſt/
die ſie dier buͤrdet auf hiernieden/
indem ſie ſchwindet/ dort zur raſt.
|| [52]

27. Tempus rite impenſum ſapiens non revocat.
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(Lib. 3. Od. 29.)
——— Ille potens ſui,
Lætuſque deget, cui licet in diem
Dixiſſe, vixi: cras vel atra
Nube polum, pater, occupato,
Vel ſole puro: non tamen irritum
Quodcumque retro eſt, efficiet: neque
Diffinget, infectumque reddet
Quod fugiens ſemel hora vexit.

Erklaͤhrung der ſieben und zwanzigſten Bild- und lehr-tafel.
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DEr Alte/ der uns in dieſer tafel abgebildet wird/ hat daſſelbe verrichtet/ was wier itzund geſagt. Er hat ſich der zeit wohl gebrauchet; und weil ſie ſich bei ihm als ein gaſt eingefunden/ hat er von ihr alles dasjenige/ was ihm noͤhtig und erſprieslich/ abgeſehen/ und in ſeinen nutzen gewendet. Auch leſſet er ſie von hertzen gern wieder aus ſeinem hauſe ziehen; weil er ſo wohl von ihr/ als ſie von ihm/ indem ſie viel jahr bei einander zugebracht und gleichſam alle beide zuſammen veraltert/ in der wahrheit vernommen/ daß ihre geſelſchaft nicht ewig tauren koͤnte; und daß ſie fruͤh oder ſpaͤte von einander zu ſcheiden wuͤrden genoͤhtiget werden; dieſer weiſe und hoͤfliche wirt hat ihr mit allem willen ſeine haus-tuͤhre ſelbſt aufgetahn/ weil er geſehen/ daß die ſtunde ihres abſchiedes geſchlagen; und bezei= get ihr gleichſam (doch ohn empfindung einiges hertzleides uͤber ihr abreiſen/ in= dem er ihr ſo willig guhte nacht wuͤndſchet) ſeine vergnuͤgung/ die er hatt/ daß er ſo einen lehrſamen und getreuen freund beherberget. Dieſes hat man nur daruͤm ſo artig vorſtellen wollen/ damit die bloͤden und ſchwaͤchlichen gemuͤhter unterricht bekehmen/ wie ſie ſich des eitelen verwaͤgerns/ welches ſie blikken laßen/ ſo bald die zeit wieder fordert/ was ſie ihnen zu treuen haͤnden geliefert/ entſchlagen moͤchten. Fuͤrwahr/ es iſt uns ſchuͤmpflich/ daß wier ſo treu-loſe Beglaubigte ſeind; und uns ſo boßhaftig des rechten gebrauchen/ wan wier das pfand/ ſo uns anvertrauet worden/ wieder aushaͤndigen ſollen; ja daß wier/ ſo es muͤglich/ durch dasjenige uns bereichern wollen/ was nicht unſer iſt. Dis iſt das boßhaftige verfahren der= ſelben unbeſonnenen/ welche/ wan ſie der ſtunde ihres todes gewahr werden/ ſo wohl Gott als menſchen uͤberlaͤſtig fallen/ die verlaͤngerung ihres lebens aus zu betteln/ und die abſtattung der ſchuld/ darzu ſie gleichſam verdammet/ auf zu ſchieben.
|| [53]

27. Der Weiſe weis/ daß die zeit fluͤchtig.
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TEMPVS RITE IMPENSVM NE REVOCA.
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Der Weiſe weis dem lauf der zeit
gebuͤhrlich guhte nacht zu geben/
und wendt ſich nach der ewigkeit/
wan er hat ausgelebt dis leben.
Er helt ſich fuͤr und fuͤr bereit/
auf daß er in/ und mit der zeit
mag ſeelig leben/ ſeelig ſterben.
nichts beſſers kan er auch erwerben.
|| [54]

28. Quid enim velocius ævo.
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(Lib. 3. Od. 11.)
—— Nec trepides in uſum
Poſcentis ævi pauca; fugit retro
Levis juventas, & decor, aridâ
Pellente laſcivos amores
Canitie, facilemque ſomnum.
Non ſemper idem floribus eſt honos
Vernis, neque uno Luna rubens nitet
Vultu; quid æternis minorem
Conſiliis animum fatigas?

Erklaͤhrung der acht und zwanzigſten Bild- und lehr-tafel.
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HIer ſehen wier die ſtraffen/ darzu dieſelben unbeſcheidenen wirte verdam= met ſeind/ welche die reiſe-faͤrtige Zeit mit gewalt aufhalten wollen. Dan dieſe ungedultige/ die keinen zwang vertragen kan/ wan ſie der gewalt-taͤh= tigkeit gewahr wird/ dadurch man ihren flug zu haͤmmen gedenket/ ver= wandelt ſich in eine grimmige feindin; und wird an ſtat deſſen/ daß ſie allezeit an= genehm und anmuhtig geſchienen/ gantz verdruͤßlich und grauſam/ ja leſſet ihrem wirt anders nichts als traurige und abſcheuliche zeuchen ihrer gegenwart ſehen. Sie vernehmen/ wie ſie an dem orte/ da man ſie einſperret/ unertraͤglich wuͤhtet; und wie ſie/ zur erhaltung ihrer freiheit/ deren man ſie berauben wil/ ihren kaͤrker-mei= ſtern alle gewuͤndſchte liebligkeiten und anmuhtigkeiten ihres lebens abſchneidet. Auf der einen ſeiten entziehet ſie ihnen die jugend mit der ſchoͤnheit/ die nicht koͤn= nen geſondert bleiben. Anderſeits benimt ſie ihnen den ſchlaf und die ruhe: ja die liebe ſelbſt verfolget dieſe alte feindſeelige ſolcher maßen/ daß ſie ihren flug gerade nach der jugend und ſchoͤnheit zu/ die ihre rechte liebſten ſeind/ nehmen mus. Was/ meinen ſie wohl/ wird aus den menſchen werden/ wan ſie ſich ihrer ſchoͤnſten teile beraubet/ und dagegen/ ihrer natur ſo gar zuwider/ mit ſo vielen abſcheuligkeiten uͤmgeſtaltet/ ja unter gleich ſo viel einheimiſchen feinden und haͤnkern/ die ſie peini= gen/ befinden? Fuͤrwahr/ ſie bereuen tag und nacht/ daß ſie ihres lebens verlaͤn= gerung gewuͤndſchet; und ſich/ aus toller liebe zu leben/ ſo unertraͤglichen ſtrafen/ die ihnen dieſelbe lange unempfindligkeit der ſchmertzen/ die den tod mit ſich ſchleppen/ zu wuͤndſchen verurſachet/ gantz frevendlichunte rworfen.
|| [55]

28. Nichts iſt fluͤchtiger als dis leben.
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QVID ENIM VELO CIVS ÆVO.
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Im kleinen/ ſo dis kleine leben
zur nohtdurft heiſcht/ ſei guhtes muhts.
Die glatze deines alters tuhts/
wan zier und jugend uns begeben/
daß dich die Liebe mit-begiebt/
ſo jugendliche ſchoͤnheit liebt/
ja daß dier ſchlaf und ſchmak vergehet.
Hier ſieht man/ wie gar nichts beſtehet.
|| [56]

29. Æternum ſub ſole nihil.
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(De arte Poët.)
——— Mortalia facta peribunt,
Nedum ſermonum ſtet honos & gratia vivax.(Propert. Lib. 3.)
At non ingenio quæſitum nomen ab ævo
Excidet. Ingenio ſtat ſine morte decus.(Auſon. epig. 35.)
Miremur periiſſe homines: monimenta fatiſcunt,
Mors etiam ſaxis nominibuſque venit.(Ovid. lib. 3. de arte.)
Vtendum eſt ætate, cito pede labitur ætas,
Nec bona tam ſequitur, quàm bona prima fuit.
Vivitur ingenio. cetera mortis erunt.

Erklaͤhrung der neun und zwanzigſten Bild- und lehr-tafel.
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DIe zeit hat in denen tafeln/ die wier geſehen/ nichts anders getahn/ als gedreuet. In dieſer richtet ſie ihre dreuungen zu werke. Wan ſie ſiehet/ daß man ſie mit guhtem nicht wil ziehen laßen/ ſo wil ſie mit boͤſem weg/ und uͤbet gewalt in ihrem gefaͤngnuͤs/ ſie zermalmet und ſchlaͤget zu bo= den alles/ was ſie auf helt/ ja brauchet alle ihre grauſame und ſieghafte waffen ge= gen dasjenige/ was ſie am meiſten geliebet. Sie machet ihr eben ſo viel opfer/ als fuͤrtrefliche dinge in der welt ſeind. Die tapfermuͤhtigkeitder Helden; die be= redſamkeit der Redner; ja die uͤbertreflichſten ſchoͤnheiten des Frauen-zimmers haben eben ſo wenig liebes-entzuͤkkende kraft dieſe oͤffendliche feindin zu uͤberwin= den/ als die krohnen/ reichs-ſtuͤhle und andere abgoͤttiſche dinge der klein-muͤhtigen. Alles mus ſich unter dieſe wuͤhterin beugen; alles ihrer grauſamkeit weichen. Es hilfet alhier kein bitten. die macht vermag hier nichts; ja ſie wird auch ſo verwe= gen/ gleichſam/ als were ſie mit unſrem untergange noch nicht genug geſaͤttiget/ daß ſie unſerer/ uͤber alle ausgeuͤbte grauſamkeiten/ damit ſie uns peiniget/ noch darzu in die zaͤhne ſpottet. Sie entbietet das alter zu ihrem entſatz/ deſſen ſie doch nicht benoͤhtiget/ und leſſet uns daſſelbe/ als eine ſolche buͤrde/ deren wier uns an= ders nicht/ als mit dem verluſt unſers lebens/ entbrechen und verluſtig machen koͤnnen/ mit einem hoͤhniſchen lachen ſehen; ja ſie ſchwoͤret noch uͤberdas ſpots-wei= ſe/ daß wier uns in einer ſo weiſen und ergetzlichen geſelſchaft ſehr wohl befinden werden.
|| [57]

29. Alles unter der ſonnen vergehet mit der zeit.
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ÆTERNUM SUB SOLE NIHIL.
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Was zeitlich iſt/ ſchwindt mit der zeit/
dem vielfraß aller irdſchen ſachen.
Es gehet die vergaͤngligkeit
durch alles hin/ was menſchen machen.
Was wunder iſt es dan/ daß wier
den hohen blitz der ſchoͤnen frauen/
die Koͤnigs-pracht/ und Redners-zier
im blik der zeit verſchwunden ſchauen?
|| [58]

30. Vera Philoſophia mortis eſt meditatio.
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(Lib. 1. Epiſt. 4.)
Inter ſpem, curamque, timores inter & iras,
Omnem crede diem tibi diluxiſſe ſupremum.
Grata ſuperveniet, quæ non ſperabitur hora.(Lib. 1. Epiſt. 2.)
Qui cupit aut metuit, juvat illum ſic domus aut res,
Vt lippum pictæ tabulæ, fomenta podagram,
Auriculas cytharæ collectas ſorde dolenteis.(Maximus. Serm. 16.) Interrogatus Muſonius: Quiſnam optimè diem ex- tremum claudere poſſet? Qui, inquit, poſtremum ſibi diem ſemper inſtare propoſuerit.

Erklaͤhrung der dreiſſigſten Bild- und lehr-tafel.
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DIe gemeine Weiſen bilden ihnen ein/ daß ſie den nahmen eines Wei= ſen wohl verdienet/ wan ſie nur die veraͤnderung der dinge betrachten/ gleich wie wir ſie betrachtet haben/ und ihrer letzten ſtunde erwarten/ ob ſie ſich ſchon in ihrem tuhn und weſen darzu nicht gefaſt halten/ oder ei= nige gedanken haben den tod zu betrachten. Aber der Ernſt-ſittige/ das iſt der vol= komne Weiſe/ fraget ſich ſelbſt/ wohin ihn ſein alter leitet; und ſchauet gleichſam als durch ein fern-glas in den himmel ſelbſt/ ſich der geheimnuͤſſe des verhaͤngnuͤſ= ſes zu erkundigen. Ja er macht bei zeiten kundſchaft mit dem tode. Er erinnert ſich/ daß er den großen Zeno wohl hundertmahl ſagen hoͤren/ daß des auf weisheit gefliſſenen leben nichts anders/ als eine ſtaͤtige uͤberdenkung des todes/ ſein ſol. Sie ſehen ihn auch alhier mitten unter ſo vielen verleitenden und verwuͤrrenden dingen ſo andaͤchtig und ſo wohl befriedigt ſitzen/ daß ihn weder hofnung noch furcht verleiten kan. Er hat alle ſeine gedanken auf dieſe ſo gerechte/ als unerbitliche hand gewendet/ welche dort oben aus dem himmel kommet/ und mit einer ſchaͤren unſern lebens-faden ab zu ſchneiden pfleget; ja er helt augen und gemuͤht/ damit er nicht ek= wan unverſehens uͤber-raſchet wuͤrde/ unverwant und unaufhoͤrlich darnach zu/ zu ſehen/ wan ſie das toͤdliche werk-zeug/ das ihn ſeiner dienſtbarkeit befreihen ſol/ zukneupen wil.
|| [59]

30. Die Kunſt wohl zu ſterben wiſſen/ iſt die beſte weisheit.
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Vera philosophia mortis est meditatio.
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In hofnung/ ſorge/ furcht und ſchrekken
gedenke/ daß dier ieder tag
dein wallfahrts-ziel im nun entdekken/
und zur erloͤſung dienen mag.
Die ſtunde kommet/ eh wiers meinen/
die uns macht lachen/ wan wier weinen.
druͤm denk’ an dieſe juͤngſte zeit/
und halt dich ſtaͤts darzu bereit.
|| [60]

31. Varia Senectæ bona.
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(De art. Poët.)
Multa ferunt anni venientes commoda ſecum;
Multa recedentes adimunt.
Lenior & melior fis, accedente ſenecta.(Philip.) Somnum, Guſtum, Cupidinem, ludum, aliaque juvenilia oblectamenta, tempus à viro ſeneſcente depellit: at contrà, ut communis medicus abunde damna reſarciens, varias ani- mi dotes, Prudentiam, Temperantiam, aliaſque virtutes grandiori ætati convenientes, adducit.

Erklaͤhrung der ein und dreiſſigſten Bild- und lehr-tafel.
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HIer ſehen wier das Alter/ welches die Zeit gantz behende in der menſchen ge= ſelſchaft gefuͤhret. Etliche gerahten daruͤber in wunderliche/ ja faſt ver= zweiflende gedanken. andere ſeind unempfuͤndlich. Aber der Weiſe/ wel= cher weis/ daß er durch dieſes zu hoͤheren ehren gelangen kan/ empfaͤnget es ſehr freundlich. Er machet es zur vorſteherin der ſeinigen uͤber ſein gantzes haus. Er vergoͤnnet ihm daſſelbe ab zu ſchaffen/ was ihm misfaͤllet/ und ein zu fuͤhren/ was es guht befindet. Wier ſehen auch alda/ wie das Alter dieſem betagten Greuſen vorſchwatzet/ und ſehr artig vorhelt/ daß er hinfuͤr nicht mehr auf die ergetzligkeit des geſchmaks/ des fuͤhlens und des geſichts ſolte bedacht ſein. Es leſſet ihn auch die unbeſcheidenen und wolluͤſtigen geſpaͤnſter/ die uͤber unſere begierden herſchen/ von ſich jagen; und bringet ihn ſo weit/ daß er dem fleiſch und bluht vor ewig ab= ſaget. Vnſer Graͤus/ der ſolches rankes innen wird/ leſſet ſich gar gern und mit aller luſt gewinnen; ja ſchreibet allen allen luͤſten/ die ſeinem alter unziemlich/ einen ewigen abſage-brief zu. Er kehret auch das heupt mit willen auf die andere ſeite; und wirft ſein ſchwaches geſicht auf ſolche ſchoͤnheiten/ die ihn weit mehr vergnuͤ= gen koͤnnen/ als die er verlohren. An ſtat der liebe zu den verderblichen dingen/ uͤmhaͤlſet er die betrachtung der ewigen; und an ſtat deſſen/ daß er den anlokkun= gen der wohlluſt die ohren zuneugen ſol/ verleihet er ſie anders niemand/ als der klugheit/ der maͤßigkeit und andern tugenden/ welche aus einem hinfaͤlligen fleiſch und abgenuͤtztem zeuge/ ein neues und unſterbliches machen koͤnnen.
|| [61]

31. Das alter hat mancherlei nutzen.
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VARIA SENECTÆ SVNT BONA.
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Wan leibes-augen alt und dunkel/
faͤngt des gemuͤhtes aug’ erſt licht/
und ſtrahlet gleich als ein karfunkel.
dan wird am ſchaͤrfſten fein geſicht.
Als dan erkaͤnnt man in der taht
was boͤſ’ und guht/ was ſchand und tugend.
So giebt das alter uns den raht/
den uns zuvor verſagt die jugend.
|| [62]

32. De futuris ne ſis anxius.
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(Lib. 3. Od. 29.)
Prudens futuri temporis exitum
Caliginoſa nocte premit Deus:
Ridetque, ſi mortalis ultra
Fas trepidat.(Lib. 1. Od. 11.)
Tu ne quæſieris ſcire (nefas,) quem mihi, quem tibi
Finem Dî dederint, Leuconoë: nec Babylonios
Tentaris numeros, ut melius, quidquid erit pati:
Seu plures byemes, ſeu tribuit Iupiter ultimam.

Erklaͤhrung der zwei und dreiſſigſten Bild- und lehr-tafel.
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AN ſtat des Weiſen/ den wier itzund geſehen/ werden wier mit einem hauffen narren uͤmringet. Der Weiſe hatte ſein ſterbe-ſtuͤndlein vorher betrachtet/ und mit freuden ſich darzu gefaſt gemacht. Aber dieſe unbeſonnenen gerah= ten auch uͤber dem bloßen nahmen des todes in verzweifelung; und damit ſie ſich ſeiner entſchlagen moͤchten/ ſo verſuchen ſie alle eitele abergleubiſche dinge/ wel= che der irtuhm/ und die verſchlagenheit der welt eingefuͤhret. Sie ſehen am vornehm= ſten orte dieſer tafel einen alten goͤtzen-knecht mit ſeinen geſellen/ angetahn auf weiſe der goͤtzen-pfaffen. Er ſuchet ſeine abergleubiſche warheit aus dem eingeweide eines ochſen; und vermeinet im bauche eines tieres die geheimnuͤſſe zu finden/ welche uns doch die ſterne ſelbſt nur undeutlich und verwuͤrret verkuͤndigen. Ein wenig hier= von ſtehet ein vogel-haus/ darinnen die Roͤhmer ihres gluͤkkes einheimiſche ausle= ger und wahrſager verſperret hielten; und aus einer ſolchen blindheit/ die ihrer tap= ferkeit keines weges gemaͤß/ in der heis-hungrigen begierigkeit/ oder dem abgeſchmak= ten ekel eines huͤhnleins/ den rahtſchlus in ſolchen dingen ſuchten/ darinnen ſie ihrer eignen vernunft nicht trauen durften. Ein wenig weiter hinein ſehen ſie Kal= deer/ gluͤkskuͤndiger/ wahrſageriſche Stern-ſchauer und andere dergleichen zun= gen-dreſcher; ja/ damit der unzeitige vorwitz ſolcher land-luͤgner uͤm ſo viel mehr be- ſchaͤhmet wuͤrde/ ſo hat der bild-kuͤnſtler zweene von dieſen armſeeligen betruͤgern im verſchieſſen gar artig entworfen/ da ſie ſich unter die leicht-gleubigen frauen und kinder maͤngen/ ihnen guhtes gluͤk zu ſagen. Alle dieſe unterſchiedliche bilder und erfindungen ſeind aus keinen andern urſachen alhier entworfen/ als den einfaͤlti= gen ſolche betruͤgerei zu entdekken/ und ihnen die luſt zukuͤnftige dinge zu wiſſen zu benehmen.
|| [63]

32. Es iſt genug daß ein ieder tage ſeine eigne plage habe.
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DE FUTURIS NE SIS ANXIUS.
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Gott hat bedekt mit dikker nacht/
was uns die zeit ſol offenbaren/
und lacht/ wan iemand kraͤuſe macht
ſein kuͤnftigs gluͤkke zu erfahren;
wan iemand vogel-ſtimmen hoͤrt/
ja das/ was kaum die ſtern-ſchr iſt lehrt/
vorwitzig wil aus daͤrmen klauben/
und hoͤhen baut dem aber-glauben.
|| [64]

33. Tute, ſi recte vixeris.
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(Lib. 2. Od. 13.)
Quid quiſque vitet, nunquam homini ſatis
Cautum eſt in horas. navita Boſphorum
Pœnus perhorreſcit: neque ultrà
Cæca timet aliunde fata,
Miles ſagittas, & celerem fugam
Parthi: catenas Parthus, & Italum
Robur: ſed improviſa leti
Vis rapuit, rapietque gentes.

Erklaͤrung der drei und dreiſſigſten Bild- und lehr-tafel.
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DIe begebnuͤs/ die uns der kuͤnſtler in dieſer tafel vorſtellet/ iſt eben ſo wun= derlich/ als ſie ſeltzam und ungemein iſt. Sie zeiget uns den maͤrklichen unterſcheid zwiſchen dem Weiſen und Gelehrten; und deutet zugleich an/ daß vielmahls die gantze Rede-kunſt und die gantze Dichtkunſt in eines narren kopfe kan gefunden werden. ja ſie giebet uns auch zu erkennen/ daß die ſtunde unſers todes/ man mag uns zuvor verkuͤndiget haben/ was man wolle/ von einem ſonnen-zeiger oder uhrwerke herruͤhre/ die nicht/ wie die unſrigen/ aus furcht koͤnnen auf= oder zuruͤkke gezogen/ oder aus verlangen und ungeduld foͤr= derlichſt loß gelaßen und fortgezogen werden. Dieſer glatzige und kahlkoͤpfige guh= te Alte/ den ſie in ſo tieffen gedanken ſehen/ iſt dieſelbe große Zier des gantzen Grie= chenlandes/ davon die Trauer-ſchau-ſpiele ihren anfang und zierraht bekommen. Man hatte ihm gedreuet/ daß durch den einfall eines gewoͤlbes ſein tod ſolte gezeiti= get und befoͤrdert werden. Damit er nuhn dieſe ungluͤks-verkuͤndigung moͤchte zu nichte wachen/ ſo verließ er die ſtadt/ und wohnete gemeiniglich in den alleran= muhtigſten Siziliſchen einoͤden. Aber/ als er einesmahls was ſonderliches an den tag zu bringen/ in der allertiefſten andacht begriffen; da blieb ein adler/ der am naͤchſten ufer eine ſchild-kroͤhte gefangen/ und ſich uͤberaus hoch hinauf geſchwun= gen/ zu ſeinem ungluͤk gleich uͤber ſolch=einem koͤſtlichen heupte ſchweben/ und in= dem er ſolches/ wie wohl itzund nicht mit adlers-augen/ vor einen ſtein-rotzen an= ſahe/ ſo ließ er es durch die ſchild-kroͤhte zerſchmettern/ die er ſonſt auf ihm wolte zerſchmettert und in ſtuͤkken geworfen haben.
|| [65]

33. Der tod herſchet uͤber alles.
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TVTE, SI RECTE VIXERIS.
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Kein menſch kan ſelbſt nicht gnug verhuͤhten
ſein angezeigtes ungeluͤk/
wo ihm nicht Gott die hand wil bieten/
und ziehn der dinge lauf zuruͤk/
den Er/ als Schoͤpfer eingeſtellet/
doch ſo/ daß er ihn aͤndern kan.
der unfall ſieht Eſchiel nicht an/
den ſein ſelbſt-eigner wahn-witz fellet.
|| [66]

34. Sic vivamus, ut mortem non metuamus.
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(Lib. 2. Od. 14.)
Eheu fugaces, Poſtume, Poſtume
Labuntur anni: nec pietas moram
Rugis aut inſtanti ſenectæ
Afferet, indomitæque morti.(Lip. in Ex- empl. pol.) O miſer hoc aſſiduè times, quod ſemel ferendum eſt: hoc times, quod in tua manu eſt ne timeas.

Erklaͤhrung der vier und dreiſſigſten Bild- und lehr-tafel.
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DIeſer unbeſonnene/ den ſie ohne lachen nicht anſchauen koͤnnen/ iſt noch von einer andern ahrt/ als ſie ſchon geſehen. Er fraget weder das eingewei= de der tiere/ noch das wahn-witzige gehirne der wahrſager und zeuchen-deu= ter uͤm raht/ ſondern er iſt ſein eigner rahtgeber/ und ſuchet die urſache ſei= ner veraͤnderung im ſpiegel. Er ſiehet ſein angeſicht vol runtzeln/ wil ihm aber einbil= den/ daß ſolche runtzeln aus dem falſchen betruͤgeriſchen ſpiegel-glaſe herruͤhren. Er meinet/ daß er noch nicht alt genug were ſo ungeſtalt zu ſein; und daß ihn die zeit betrogen/ wan dieſe runtzeln wahrhaftige runtzeln weren. Ja der arme menſch bil= det ihm ein/ daß er/ als einer/ der ſein gantzes leben-lang wider ſeine begierden ge- ſtritten/ ſeinen ſinnen alles verbohtene verſaget/ und ſeinen gantzen geiſt zur ausuͤ= bung der tugend gewiedmet/ eben ſo wenig veralten ſolte/ als alle dieſe ſchoͤnheiten/ die er angebehtet. Aber hier ſtehet die Gotſeeligkeit/ die ſich uͤber die beſchweerungen und klagen dieſes guhten mannes rechtfaͤrtiget/ und ihm anzeiget; daß ſie weder das alter/ noch den tod zuruͤkhalte: ſondern im widrigen ihre ankunft befoͤrdere/ damit ſie uͤm ſo viel eher allen denen/ die ihr dienen/ die ewige jugend/ die ſonſt nir= gend/ als im himmel zu finden/ verleihen moͤge. Dieſer falſche heilige aber iſt mit ſolcher ſo heiligen und vernunftmaͤßigen entſchuldigung nicht zu frieden. Er mur= ret wider Gott/ dem er ſo ernſtlich und gewiſſenhaftig gedienet; und indem er ſei= nen eigen-nutz und eigne liebe blikken leſſet/ wuͤrfet er ſeinem Schoͤpfer gleichſam vor/ wie ungerecht er mit ihm gehandelt. Hieraus ſehen wier/ wie vorteilhaftig der menſch iſt; wie ſchein-heilig; wie verliebt auf ſich ſelbſt; ja wie wenig er von derſelben ewigen ſchoͤnheit hat/ die er allein lieben ſol.
|| [67]

34. Laßt uns ſo leben/ daß wier den tod nicht fuͤrchten.
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Sic vivamus, ut mortem non metuamus.
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Wie reiſſt/ ach ſchaut! die flucht der jahre.
Kein heilig-ſein wird hier geſcheut/
wan itzt in deine ſtirn’ und haare
des todes fruͤhling bluhmen ſtreut.
Was kraͤnkſtu dich? ein neues leben
wird dier dein tod und alter geben;
ein leben/ da wier ewig ſchoͤn/
und ewig jung/ in freuden ſtehn.
|| [68]

35. De rogo, non de domo, ſenex cogitet
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(Lib. 2. Od. 18.)
Truditur dies die,
Novæque pergunt interire Lunæ:
Tu ſecanda marmora
Locas ſub ipſum funus; & ſepulcri
Immemor, ſtruis domos.

Erklaͤhrung der fuͤnf und dreiſſigſten Bild- und lehr-tafel.
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DIeſer ungelehrte/ den ſie alhier ſehen/ iſt ein bildnuͤs des meiſten teils der menſchen. Es iſt ein alter narre/ der von ſeinem zwanzig-jaͤhrigen alter an/ ſo wohl mit ſeinem gewiſſen/ als mit ſeinem gelde/ kauf handel getrie= ben. Er iſt bekant an allen orten/ da der wucher geduldet wird. Es iſt kein Wechsler/ der nicht wechſel-briefe von ihm bekommen; keine geld-lade/ da er nicht teil an habe; kein handels-man/ der nicht in ſeinem ſchuld-buche angezeichnet ſtuͤnde. Ja es iſt kein gewinſt von ie einem dinge zu gewarten/ und kein eigen-nuͤtz= licher vorſchus/ und eilfaͤrtige foͤrderung/ da er ſich nicht ſelbſt als ein knecht mit ge= brauchen laßen. Durch dieſe ruͤhmliche wege iſt er zu ſo großem guhte gelanget/ das ihm/ wiewohl mit unrecht/ das anſehen eines vornehmen mannes giebet. Aber er iſt zugleich mit zu dem ungluͤklichen alter gelanget/ da er ſein uͤbel-erworbenes guht nicht vergnuͤglich gebrauchen kan. Doch bemuͤhet er ſich zum wenigſten ſein ſterbe-ſtuͤndlein durch eines oder das andere vornehmen/ das ein langwiriges aus= ſehen hat/ auf zu ſchuͤben. Er nimt eine junge fraue; aber vergebens vor ſich. er helt eine koͤſtliche tafel; genießet aber ſelbſt anders nichts/ als eſels-milch. Er haͤlt alle abende gaſtereien; aber das zipperlein/ die fuß-gicht und der ſtein peinigen ihn tag und nacht. Ja er vermeinet den tod zu betruͤgen; aber er betruͤget ſich ſelbſt: und da er doch nichts mehr als ein ausgeſogener/ ausgetrukneter unflaht iſt/ den vielleicht die feuchtigkeit des kurtz-kuͤnftigen herbſtes in ſein erſtes nichts verwan= deln wird/ ſo unterlaͤſſet er gleichwohl nicht/ ſo große herrliche gebeue zu begin= nen/ welche faſt in dreiſſig ſolchen lebe-zeiten/ als die ſeinige iſt/ nicht vollkoͤmlich koͤnen ausgebauet werden. Er moͤchte vielmehr/ ſeine ſuͤnde aus zu ſuͤhnen/ ihm ein grab zu bauen bemuͤhet ſein; und ſich durch ſolchen bau ſeiner letzten wohnung mit allem ernſt und ſtaͤtiger andacht zum einzuge deſſelben bereit halten.
|| [69]

35. Die alten ſollen an nichts/ als an den tod/ gedenken.
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DE ROGO SENEX COGITET.
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Ein tag treibt fuͤr und fuͤr den andern;
der neue mond eilt fort zu wandern;
Du aber denkſt auf ſpaͤte jahr/
da du doch ſtuͤrbeſt immerdar;
du alter narr/ bauſt uͤberalle/
unwiſſend/ daß dein ſtoltzer bau
ſtraks ſein wird deiner leichen halle.
bau eh dein grab dier ſtaͤts zur ſchau.
|| [70]

36. Improviſa lethi vis.
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(Lib. 2. Od. 14.)
Fruſtra cruento Marte carebimus,
Fractiſque rauci fluctibus Adriæ,
Fruſtra per Autumnos nocentem
Corporibus metuemus Auſtrum.(Lib. 2. Satyr. 6.)
——— Neque ulla eſt
Aut magno aut parvo lethi fuga.

Erklaͤhrung der ſechs und dreiſſigſten Bild- und lehr-tafel.
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HIer erſcheinen uns menſchen/ die wohl rechtſchaffen und warhaf tig an den tod gedenken. Aber es ſeind nichts des zu weniger narren/ wie= wohl auf eine andere art/ als die vorigen. Sie bilden ihnen ein/ eben wie der vorige bau-narre getahn/ der tod ſei alzu guhthertzig darzu/ daß er ih= nen ſolte verdrus zufuͤgen/ oder alzu beſcheiden/ daß er kommen ſolte/ wan man ihn nicht geruffen. Der eine darf an den Krieg nicht gedenken/ weil er vermeinet/ daß alda am allermeiſten der tod weder geſchikligkeit/ noch alter/ an zu ſehen ge= wohnet. Der andre waͤhnet/ daß derjenige/ der ſein leben zur ſee waget/ der al= lerunbeſonnenſten einer ſei/ weil er dem ungetreueſten aller dinge ſich anvertrauet/ und an folchem orte lebet/ da er vom tode mehr nicht abgeſondert ſei/ als durch ei= ne einige bohle. Der dritte/ der vom hoͤren-ſagen uhrteilet/ daß der herbſt und die unbeſtaͤndigkeit derſelben jahrs-zeit des todes gehuͤlfen und bediente weren/ dadurch er die welt verheeret/ helt ſich in ſeiner kammer eingeſchloſſen und verborgen. Er er haͤlt daſelbſten durch kunſt/ was am geſundeſten die geſundeſte jahrs-zeit herfuͤr bringet/ friſch und unverdorben; ja bewahret ſich wider den tod durch die beſten mittel/ und nach den beſten lehren der Artznei-kunſt. Aber weder die gefuͤtterten roͤk= ke/ noch die lang-oͤhrichten muͤtzen; noch die gantze Galeniſche weisheit werden eins mahls keines weges verhindern koͤnnen/ daß der ort/ den er ſo wohl zu beſchir= men meinet/ nicht erobert werde. Der tod findet einen weg durch ſeine zweifache fenſter-gitter/ durch ſeine luft-loͤcher und wohl verwahrte tuͤhren; und erleget ihn eben ſo wohl/ als dieſelben/ die allezeit/ es ſei auf der ſee/ oder im kriege/ in to= des-gefahr ſchweben.
|| [71]

36. Der tod komt/ eh wiers gewahr werden.
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IMPROVISA LETHI VIS.
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Es iſt wohl guht/ die kriegs-gefahr/
den ſee-ſturm/ ſamt dem ſuden-jahr
des ungeſunden herbſtes/ fluͤhen/
und auf ſein heil ſich ſtaͤts bemuͤhen.
Doch ohne Den/ der dich gemacht/
wird deine flucht gantz nichts geacht/
und woltſtu ſchon zur fonnen ziehen.
dem tode kanſtu nicht entfliehen.
|| [72]

37. Morte linquenda omnia.
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(Lib. 2. Od. 14.)
Linquenda tellus, & domus, & placens
Vxor, neque harum, quas colis, arborum,
Te præter inviſas cupreſſos,
Vlla bevem dominum ſequetur.
Abſume hæres Cœcuba dignior
Servata centum clavibus: & mero
Tinget pavimentum ſuperbo,
Pontificum potiore cœnis.

Erklaͤhrung der ſieben und dreiſſigſten Bild- und lehr-tafel.
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DEr tod faͤngt alhier ſeinen anfal/ und ſeinen ſieg zugleich an. Wier ſeind zur erfuͤl= lung unſers vorher-verkuͤndigten falles gelanget. die ſtunde des goͤtlichen verhaͤn= nuͤſſes und willens hat geſchlagen. Man mus itzund ſcheiden; und an denſelben ort reiſen/ da die unveraͤnderliche Gerechtigkeit einem ieden nach ſeinen werken loh= nen wird. Dieſer friſche und hurtige man/ den ſie in dieſer tafel ſehen/ war hierauf niemahls bedacht geweſen. Auch lieget ihm noch itzund nichts/ als das ſchroͤkken ſeines endes im ſinne; er hat vor augen ebenmaͤßig nichts/ als deſſen er ſich itzund durch den tod verluſtig macht. Er hat ein ſchoͤnes haus/ eine ſchoͤne fraue/ und ſchoͤne kinder; ja wolte wohl etliche hundert jahr der luſt und freude genießen/ die er aus beſitzung derſelben ſchoͤpfet. Mitler weile wird er gezwun= gen/ eh er ſich deſſen vermuhtet/ ſolche ſo unterſchiedliche ſchaͤtze zu verlaßen. Er mus ſich ſei= ner hertz-entzuͤkkenden koͤſtlichen heuſer begeben; darinnen die pracht des haus-rahts mit den uͦberaus lieblichen luſt-gaͤngen gleichſam uͤm die wette zu ſtreiten ſcheinen. Er ſiehet mit unmuht und verzweifelung dieſe lange gaͤnge/ die mit uͤberaus ſchoͤnen waſſerkuͤnſten gezieret/ wie auch die dikken ſommer-lauben/ von zipreſſen und anderem ſtaͤtsgruͤhnenden baumwerke/ darunter er mitten in den allerheiſſeſten ſommer-tagen die allerangenehmſte kuͦhlung geſchoͤpfet/ und im kaͤlteſten winter ſelbſt die ſchoͤnheit des allerlieblichſten fruͤhlings gruͤhnen ſehen; ja ſo einen fin= ſtern ſchatten befand/ daß man wohl ſagen mochte/ daß ſich daſelbſten die dunkelheit der nacht mit dem lichte des tages vermiſchet. Ach! es iſt gantz vergebens/ daß er ſeinen widerwillen ſie zu verlaßen/ ſo augenſcheinlich blikken leſſet. Er hat ſchon befehl/ ſie ſeinen nachkommen aus zu haͤndigen. Er iſt verpflichtet ſolchem nach zu kommen; und ſich aus den armen ſeiner frauen/ die auſſer allem zweifel nicht uͤbel zu frieden/ daß ſie einem juͤngern/ als er iſt/ ſol zu teil werden/ zu entfernen. Die traͤhnen/ die ſie vergieſſet/ werden ſie ohne zweifel bewegen/ die freiheit mei= ner muhtmaßung einer ſchmach-ſucht zu beſchuldigen. Aber ſie duͤrfen der liſt eines von natur betruͤgeriſchen geſchlechts nicht alzu viel uͤberſehen. An der Efeſtſchen Frauen ſeind wier ſo viel beiſpiels gewahr worden/ daß wier nuhnmehr weder den traͤhnen/ noch dem ſeuſzen/ ja ſelbſt den allerhertz-entzuͤkkenden liebs-bezeugungen der weibes-bilder nicht anders/ als mit großer ge= fahr/ glauben bei zu meſſen vermoͤgen.
|| [73]

37. Der tod beraubet uns aller dinge.
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MORTE LINQUENDA OMNIA.
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du muſt dein ſchoͤnes haus und land/
ja die noch ſchoͤnre Liebſte laßen/
die mehr/ als du/ dein hertz beſaßen.
nichts folgt dier/ als dein grab-gewand/
und die verdruͤßlichen zipreſſen/
aus aller deiner waͤlder luſt/
die ihres herrn im nuh vergeſſen/
ſamt allem/ was ihm war bewuſt.
|| [74]

38. Cunctos mors una manet.
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(Lib. 1. Od. 4.)
Pallida mors æquo pulſatpede pauperum tabernas,
Regumque turres.(Lampſ.)
Dilaceras crines, cœlumque ululatibus imples,
Mæſtaque ſanguineis unguibus ora notas:
Credis an exſtinctos huc poſſe revertere Reges?
Flere obitum, eſt addi vulnera vulneribus.(Menand. in Senariis.)
Moritur ſutor eodem modo ac Rex.

Erklaͤrung der acht und dreiſſigſten Bild- und lehr-tafel.
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VIelleicht were demſelben/ den der tod itzund aus ſeiner Eh-liebſten armen geriſſen/ beſcheidener begegnet worden/ wan er die ahnen ſeines alten adels/ oder die merkzeichen ſeiner wuͤrde vorzeigen koͤnnen? mit nichten. Allenthalben/ wo der tod hin kommet/ iſt er gleich kuͤhne/ gleich gewal= tig/ gleich volmaͤchtig. Hatt er die verwegenheit den elenden und armen das leben zu nehmen; iſt er ſo uͤbermuͤhtig wider die niedrigen; ſo ſtark wider die ſchwachen: ſo wird er auch gewis mit eben denſelbigen waffen die gluͤkſeligen/ die ſtoltzen/ und die ſtarken ſelbſt aufreiben. Alhier rennt er mit dem fuße auf ein mahl die tuͤhre eines hohen turnes auf/ darinnen ſich ein Koͤnig verſchloſſen/ ſeinem wuͤhten zu entge= hen. Dieſem befiehlt er alſobald vollgewaltig/ als ein unbarmherziger anſchauer der krohnen/ daß er ſich herunter begeben ſolte: ja/ als er nur einwenig verzuͤgert ſeinem geboht zu gehorſamen/ da ſtuͤrtzet er ihn vom oberſten des turnes herunter/ damit er ihn durch ſolchen fall dem armen ſchuh-flikker/ der unten am turn in ſei= ner buden arbeitet/ gleich machte. Ich ſehe es ihnen an den augen an/ daß ſie ſich beſtuͤrtzt befinden; und ihren weg wohl lieber einſtellen wolten. Aber ſie muͤſſen ſich bei zeiten daran gewoͤhnen/ was ſie doch/ es ſei fruͤh oder ſpaͤte/ ausſtehen muͤſſen. Dieſelbigen/ ſo die leuen ſpeiſen und mit ihnen ſtaͤtig uͤmgehen/ machen ſie durch ihren taͤglichen uͤmgang zahm: Eben alſo kan es auch mit dem tode ſein. Wan wier uns mit ihm koͤnnen gemein und bekant machen; und durch angewohn= heit/ des ſchroͤkkens/ das uns ſeine haͤsliche geſtalt einjaget/ entſchlagen; ſo wird er uns ſo angenehm und ſo anmuhtig duͤnken/ daß wier von ſtunden an einen rechtmaͤßigen ekel laͤnger zu leben bekommen werden.
|| [75]

38. Dem tode ſeind wier alle gleich.
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CUNCTOS MORS UNA MANET.
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Der tod leufft auf mit einem fuße
die burg/ als wie des betlers kaht;
und giebt dem ſchuhſter gleiche muße
mit dem/ der indem hoͤchſten ſtaht
ſein hoch-erhobnes heupt leſt ſchauen
im blitz vom flinkerndem metall.
Er ſchlaͤgt die huͤgel ſamt den auen/
ja alt und jung/ mit gleichem knall.
|| [76]

39. Mortis certitudo.
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(Lib. 2. Od. 3.)
Divésne priſco natus ab Inacho,
Nil intereſt, an pauper, & infima
De gente ſub dio morêris,
Victima nil miſerantis Orci.
Omnes eôdem cogimur: omnium
Verſatur urna: ſerius ocyus
Sors exitura: & nos in æternum
Exſilium impoſitura cymbæ.

Erklaͤhrung der neun und dreiſſigſten Bild- und lehr-tafel.
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DIe ernſt-ſittige Weiſen/ die gefallen tragen den tod unter allerhand ge= ſichtern zu betrachten/ damit ſie ihn/ wie und in waſſerlei geſtalt er ſich auch immermehr wuͤrde ſehen laßen/ ohn entſetzen anſchauen koͤnten/ haben unſern bild-kuͤnſtler bewogen/ ihn ſo abſchaͤulich/ als ſie ihn alhier erblikken/ vor zu ſtellen. Er iſt bemuͤhet mit aus-teilung der frei= und pas-briefe vor diejenigen ſeelen/ welche ihre leibes-buͤrden abgeleget/ und an den ort ziehen wol= len/ den ihnen die Goͤtliche vorſehung zur wohnung beſtimmet. Eine iede be= koͤmt ihren pas-zedel; und indem ſie durch die dik-benebelte fuͤnſternuͤs/ die ſie uͤm= ringet/ einen pas und durch-gang gefunden/ gewinnet ſie den verdruͤßlichen und uͤbelen weg/ da der blinde eben ſo gerade zu-gehet/ als der das ſchaͤrfſte geſichte hat. Aber die warheit zu ſagen/ dieſe trauer-muͤhtige vorbildungen und haͤsliche geſichter/ damit ſich der bild-kuͤnſtler bemuͤhet eine furcht zu erwekken und einen abſcheu vor dem tode zu machen/ haben anders keine macht/ als den kindern und et= lichen bloß-weibiſchen menſchen ein ſchrekken ein zu jagen. Ein weiſer lachet uͤber dieſe maſchken und mum-geſichter der ſchau-taͤntze/ damit die mahler-kunſt den tod zu vermummen pfleget; und indem er ihm in ſeinen gedanken die wahrhaftige geſtalt zueignet/ die er haben ſol/ betrachtet er ihn anders nicht/ als wie er ſeinen uhr= ſprung betrachtet. Er ſiehet/ daß er ſein leben angefangen. Er erkennet/ daß es ſich endigen mus. Er weis auch/ daß er in dem augenblik/ da er angefangen zu leben/ zugleich begonnen habe zu ſterben. Sie leben in gleichen gedanken/ weil ſie gleichen verſtand haben. So laßet uns dan nun die andern bilder des todes mit freuden anſchauen/ und durch ſie uns dahin bewegen/ den tod ſelbſten zu ertragen.
|| [77]

39. Nichts iſt ſo gewis als der tod.
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MORTIS CERTITVDO.
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Dem tode gilt es alles gleich/
du ſeiſt gering/ arm/ oder reich.
Er komme morgen/ oder heute/
ſo wird doch alles ihm zur beute/
was irdiſch in der zeit gebohrn/
vol ſchwachheit und gebrechligkeiten/
und dort zur ewigkeit erkohrn/
dahin ſein pas-brief uns mus leiten.
|| [78]

40. Communis ad letum via.
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(Lib. 2. Od. 14.)
Charontis undaſcilicet omnibus,
Quicumque terræ munere veſcimur,
Enaviganda, ſive Reges,
Sive inopes erimus coloni.(Laer. l. 2. Eraſ. l. 3. Apoph.) Anaxagoras & Socrates cùm mortis ſententiam per nun- tios accepiſſent; Iam olim, reſponderunt, iſtam ſententiam æquè in judices atque in nos tulit natura.

Erklaͤhrung der virzigſten Bild- und lehr-tafel.
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VNſer gelehrte Bild-kuͤnſtler wil/ dem anſehn nach/ alle ſeine kunſt/ und alle ſeine klugſinnige erfindungen uͤber der betrachtung des todes ausgieſ= ſen/ ſolch ein gefallen hat er ihn auf mancherlei art ab zu bilden. Sein Dicht-meiſter hat ihm die gedanken von dieſer todes-fahrt an die hand gege= ben/ darvor die allertapferſten gemuͤhter erzittern; und da die Koͤnige/ indem ſie verpflichtet ſeind das recht ihrer vollen gewalt aus zu antworten/ ſich auch ſelbſt in den allerniedrigſten ſtand ihrer untertahnen herunter laßen muͤſſen. Derſelbe/ den ſie alhier in des todes ſchiflein treten/ und die uͤbrigen ſchulden ſeiner ſterblig- keit traurig abſtatten ſehen/ wird mit einer großen anzahl anderer ſterblichen/ ſo wohl reichen als armen/ jungen als alten/ gelehrten als ungelehrten begleitet/ welche ſich alle durch unterſchiedliche wege an dieſes fuͤnſtere ufer begeben/ da alle ſtaͤnde gleich/ und alle wiſſenſchaften einerlei werden. Irus ſcheinet alhier eben ſo reich und ſo praͤchtig/ als der weltbekante Koͤnig der Lidier. Alexander und Darius ſeind hier gleich-ſieghaftig; und weil ſie keine laͤnder und ſeen mehr zu teilen haben/ ſo lachen ſie/ einer uͤm den andern uͤber ihre ſieghafte eroberungen/ und verlohrne ſchlachten und reiche. Ferdinand und Guſtav wandeln alhier im frieden; und indem ſie ſich nunmehr der begierden entſchlagen/ welche ſie bewogen ihr verder= ben im kriege zu ſuchen/ ſo wolten ſie wohl lieber wiederuͤm auf der welt ſein; oder zum wenigſten ihren nachfolgern verſtaͤndigen/ daß unter allen naͤrriſchen dingen nichts ſo naͤr???ſch ſei/ als wan man durch feuer und ſchwert leuffet/ ein ding zu beſitzen/ das man doch ſchter gezwungen wird zu verlaßen/ ehe mans noch ſelbſt in voͤlligen beſitzbekommen.
|| [79]

40. Der weg zum tode iſt allen gemein.
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COMMVNIS AD LETIM VIA.
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Der zoͤlner in dem dunklen tohr/
dadurch wier gehn aus dieſem leben/
helt allen menſchen-kindern vor
die ſchulden/ die wier muͤſſen geben.
Kein menſch iſt frei von dieſem zol/
auch iſt kein andrer weg zu finden/
als dieſer/ welcher alzeit vol/
und niemand/ niemand leſt dahinden.
|| [80]

41. Inexorabile Fatum.
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(Lib. 4. Od. 7.)
Cùm ſemel occideris, & de te ſplendida Minos
Fecerit arbitria:
Non, Torquate, genus, non tefacundia, non te
Reſtituet pietas.
Cuncta manus avidas fugient heredis, amico
Quæ dederis animo.
Infernis neque enim tenebris Diana pudicum
Liberat Hippolyticum.

Erklaͤhrung der ein und virzigſten Bild- und lehr-tafel.
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ICh beginne uͤber ſo einem hauffen tafeln/ die nur von einer ſache handeln/ ſchier ſelbſt muͤde zu werden. Gleichwohl hat ſie unſer mahler nicht ohne urſache gemacht; und ich bilde mier gaͤntzlich ein/ daß er vermeinet/ er koͤnte uns dieſe wuͤchtige wahrheit/ daß nicht einer von der nohtwen= digkeit zu ſterben ausgeſchloſſen/ nicht genug erneuern/ weil er gewuſt/ wie ſehr wier die ankunft des todes fuͤrchten. Sie ſehen alhier dieſen menſchen/ der nun nichts mehr begehret/ als den ſarg/ tod auf ſeinem bette liegen. Wan die gottes= furcht/ wohlredenheit und der adel einigen menſchen vor dem wuͤhten des todes be= freihen koͤnte/ ſo were dieſer noch in ſolchem glantze ſeiner herrligkeit/ dadurch er die augen der gantzen welt verblenden wolte. Aber wier moͤgen wohlredend oder doͤlpiſch und ungeſchikt/ Keiſer oder huͤrten/ jung oder alt ſein/ ſo muͤſſen wier doch alle zugleich der natur dasjenige wiedergeben/ was ſie uns geliehen. Wier muͤſ= ſen wiederkehren/ daher wier gekommen. man mus die guͤhter verlaßen/ die wier auf keinerlei weiſe gebuͤhrlich/ und als ein anvertrauetes pfand/ getreulich bewah= ret. man mus den purpur ausziehen/ den koͤniglichen zier-raht ablegen/ mit furcht= ſamen geberden uͤm gnade flehen/ da man zuvor ein volmaͤchtiger/ oder wohl gar ein geſtochner gerichts-herr geweſen; ja man mus/ die ſchmertzen zu heuffen/ das grab fuͤllen das unſerer wartet. Wan ja einiger vorzug oder unterſcheid iſt in die= ſer unſerer armſeeligen/ algemeinen/ abwechſelung/ ſo beſtehet ſolcher auf ein wenig marmel und meſſing/ welche bisweilen die eitelkeit unſerer vorfahren uns zum ge= daͤchtnuͤs/ ausarbeiten und aufrichten laßen/ damit ja die ſchwachheit des menſch= lichen zuſtandes uͤm ſo viel herrlicher und praͤchtiger kund getahn wuͤrde.
|| [81]

41. Der tod iſt unerbittlich.
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INE XORABILE FA TVM.
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Der mund/ der hundert tauſend waffen
gedaͤmpfet durch wohlredenheit/
kan gegen einen tod nichts ſchaffen/
den vielfraß dieſer zeitligkeit.
Die ſonne fellt/ und ſteiget wieder;
gehn aber wier nur einmahl nieder/
ſo werden wier nicht wieder bracht/
ja ſchlaffen ewig eine nacht.
|| [82]

42. Ecce ſumus pulvis.
[arrow up]

(Lib. 4. Od. 7.)
Damna quidem celeres reparant cœleſtia Lunæ:
Nos ubi decidimus,
Quò pius Æneas, quò Tullus dives, & Ancus,
Pulvis & umbraſumus.
Quis ſcit, an adjiciant hodiernæ craſtina ſummæ
Tempora DI ſuperi?

Erklaͤrung der zwei und virzigſten Bild- und lehr-tafel.
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WAn die dunkelheit dieſes abſcheulichen gewoͤlbes ihnen zuleſſet dasjenige zu ſehen/ was alhier verborgen lieget/ ſo werden ſie etlicher todes-gefaͤſ= ſe anſichtig werden/ darinnen das unnuͤtze uͤbrige/ das uns die zeit und das feuer gelaßen/ verwahret wird. Man leſe die praͤchtigen ehren-ſchrif= ten/ die uͤber dieſen toͤpfen von aghaht und boͤhmiſchem deamant oder kriſtal/ in ertz gegraben ſtehen. Sie werden uns bezeugen/ daß die groͤßeſten Welt-herren der vergangnen zeiten nichts mehr als ein wenig ſtaub und aſche ſeind. Sie ſeind ſieghafte eroberer geweſen. Sie ſeind Herren uͤber ſo viel voͤlker geweſen. ſie ſeind goͤtter geweſen/ ſo die menſchen gleichſam angebehtet. das iſt ſo viel zu ſagen/ als daß ſie itzund nicht mehr/ noch ſieghafte uͤberwuͤnder ſeind/ noch gehorſamlich ge= fuͤrchtet/ noch goͤtlich geehret werden. In jenem kleinen glaͤſernem geſchirr ſehen wier die aſche der volkomneſten Schoͤnen zu ihrer zeit. Ach meine lieben! ſie be= trachten doch nur in dieſem ſpiegel alhier alle die anmuhtigkeiten/ alle die hertz-an= lokkende liebligkeiten/ ja alle die wunderns-unwuͤrdige wunder/ daruͤber ſie ſo oft ſeufzen; dan hiernach werden ſie ungezweifelt uͤberwuͤnder ihrer uͤberwuͤnderin= nen ſein; ſie werden ſchahmroht uͤber ihre leibeigenſchaft werden; ja ſie werden die feſſel/ die ſie befaſſen und anhalten/ zerreiſſen; nachdem ſie wohl wiſſen/ daß die Schoͤnheiten/ derer goͤtzendiener ſie ſeind/ von dem verhaͤngnuͤs ihres gleichen nicht ausgeſchloſſen. Aber ich merke wohl/ daß ihnen dieſer wohnplatz nicht aller dinge gefaͤllig; und daß ſie nicht willens ſeind laͤnger bei den geſpenſtern und geſich= tern ſich auf zu halten. Gleichwohl ſol er der ort ihrer andachten und ihres abtrittes ſein. Er ſol ihnen zur ſchule dienen/ darinnen ſie lernen ſollen/ was das allerfuͤr= treflichſte und vornehmſte in der welt ſei. ja er ſol das heiligtuhm ſein/ darinnen der uhrheber ihres lebens ſich taͤglich etliche augenblikke wil verehren und anbeh= ten laßen.
|| [83]

42. Wier ſeind nur ſtaub und aſche.
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ECCE SVMVS PVLVIS.
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Die ſonn’ entzieht/ ergaͤntzt auch wieder
dem mohnde ſein geborgtes licht;
wan aber dein licht einſt geht nieder/
ſo komts nie wieder zu geſicht.
dan gehſtu/ menſch/ und muſt zur erden/
daher du kommen/ wieder werden.
dan wird dein leib zu aſch’ und ſtaub/
und der verwaͤſung aß und raub.
|| [84]
(Lib. 1. Epiſt. 16.)

43. Mors ultima linea rerum eſt.
[arrow up]


Poſt obitum benefacta manent, æternaque Virtus
Non metuit, Stygiis ne rapiatur aquis.(Propert. Lib. 3.)
At non ingenio quæſitum nomen ab ævo
Excidet. ingenio ſtat ſine morte decus.
—— Nil non mortale tenemus,
Pectoris exceptis ingeniique bonis.(Lib. 3. Od. 30.)
Non omnis moriar, multaque pars mei
Vitabit Libitinam.
Sit modus laſſo maris, & viarum,
Militiæque.

Erklaͤhrung der drei und virzigſten Bild- und lehr-tafel.
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WEil der tod das ende iſt aller irdiſchen dinge/ ſo iſt es auch billich/ daß er das ziel und ende unſerer luſt-gaͤnge und geſpraͤche ſei. Laßet uns dan nun alhier ſtille ſtehn/ weil er uns ſtille zu ſtehen befielt. Er iſt derſelbe/ der mehr befuget/ als Herkules/ daß er zu dieſen gedaͤchtnuͤs-ſeulen ſetzen ſolte:

Daß niemand fuͤrder gehe.
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Sie ſehen auch/ daß alles alda bleibet. Dieſe krohnen/ dieſe ehren-huͤhte/ und andere merkzeichen der Maͤchtigen/ liegen neben und unter den hand= und fuß-ei= ſen/ den peutſchen und andrem zugehoͤr der leibeignen; und geben uns zu verſtehen/ daß ſich alhier alles vermaͤnge/ und keines mehr oder geringer geachtet werde/ als das andere. Die ſtaͤnde liegen alhier durch ein ander. Die gaben der natur verlie= ren ſich eben auch alhier mit den gaben des gluͤks. Aber wier wollen es der Tugend zum ewigen ehren-ruhm nachſagen/ daß ſie ſich uͤber dieſe todes-grentzen erhoͤbet; und uͤber den tod/ als eine/ die ihren urſprung vom himmel erlanget/ da dieſer uͤbermuͤhtige/ ſtoltze uͤberwinder nichts zu ſagen hat/ ſelbſten ſieges-gepraͤnge fuͤh= ret; und ihm anzeiget/ daß nur die wenigſten/ oder das wenigſte der menſchen ſei= nem wuͤhten unterworfen.
|| [85]

43. Der tod iſt das ende aller dinge.
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MORS ULTIMA LINEA RERUM EST.
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Der tod iſt aller dinge ziel.
alhier gilt herr und knecht gleichviel.
hier wird der Welt lauf angehalten;
dan weiter hat ſie nichts zu ſchalten.
Die tugend geht allein nur ferner/
und kennt den ſchwartzen Pfoͤrtner nicht/
noch den verfluchten Hoͤllen-Kaͤrner.
ſo eilt ſie zu dem wahren licht.
|| [ID00092]

Dem Kunſt= und gunſt-geneugtem Liebhaber Filip von Zeſen.
[arrow up]

ALhier bringen wier dier die lehr-reichen Sinn-ſpruͤche des allerlehr-reichſten Dicht-meiſters der Roͤhmer ſo wohl von den laſtern/ als tugen den/ zu geſichte; welche er als den Kern aus der Griechiſchen Sitten-lehre der alten Ernſt-ſitti= gen Weiſe meiſter gezogen/ und in ſeinen dichtereien hier und dar ſehr ahrtig an= gebracht. Weil aber die Dichtkunſt durch die Bild= und mahler-kunſt/ oder eine durch die andere/ uͤm ſo vielmehr erklaͤhret und gleichſam belebet wird/ wan man ſie beide zu ſammen fuͤget; daruͤm auch Simonides/ nach Plutarchens zeugnuͦs/ jene ein redendes gemaͤlde/ dieſe aber eine ſtumme dichterei genennet: ſo hat der Verleger dieſes Wer= kes/ Herr Kornelis Danker/ die koſten angewendet/ und den ſinn und verſtand gedachter Sinn- ſpruͤche in kupfer gar zierlich und kuͤnſtlich abbilden/ und den augen aller kunſt-liebenden ſo wohl zur ergetzung/ als den gemuͤhtern aller tugend-eifrigen zur erbauung/ durch oͤffendlichen abdruk vor ſtellen laßen. und ſolches ſotahnig/ daß er ſich darinnen ſo wohl nach der heutigen gewohn= heit/ als nach den geſetzen und erfindungen der alten Kuͤnſtler gerichtet. Dan dieſen iſt er ge= folget/ wan er ihre abbildungen der tugenden und laſter/ wie auch aller anderer gemuͦhts-regun= gen und wuͦrkungen der natur/ behalten; jener aber hat er ihr recht auch laßen wollen/ wan er des Diogenes toͤpfernes und irdenes fas/ in geſtalt der hoͤltzernen (wie ſie nachmahls die Gal= lier/ nach Plinius zeugnuͤs/ erfunden/ und noch uͤberall gebreuchlich) vorgeſtellet. Zu dieſen nun habe ich nicht allein/ auf ſein freundliches anſuchen/ etliche Deutſche reim-baͤnde gefuͤget/ ſondern auch die erklaͤhrungen/ die der Herr von Gombreville/ Talaſſius Baſilides/ in ſeiner mutterſprache darzu gemacht/ in unſer Hochdeutſch (wie wohl an vielen oͤrtern nach meinem ei= gnen guhtbefinden/ und nach erheiſchen der bild-tafeln ſelbſt/ in etwas veraͤndert und vermeh= ret) uͦbergetragen. Auch habe ich unſerer edlen mutterſprache den hohn und ſchimpf nicht an= tuhn wollen/ ſie mit fremden und eutſchen woͤrtern aus zu flikken und zu verunehren/ unge= achtet des ſchmachſuͤchtigen/ mehr toͤhrichten/ als kluͤglichen wider-baͤlberns etlicher der Hoch= deutſchen Mutter aus der ahrtgeſchlagenen oder vielmehr Baſtahrt-kinder; derer zahl/ wel= ches mich wohl hoͤchlich wundert/ M. Ziegeler auch zu vermehren gedenket/ wan er in einer vor= rede etlicher ſeiner gedichte die reinliche Deutſche ſprache befchimpfet/ und/ unter andern/ lieber in proſa & ligata, als/ in gebund= und ungebundener rede (da doch dieſe art zu ſprechen ſchon laͤngſt und uͤberall gebreuchlich) zu ſchreiben ſich befleiſſiget/ und alſo dasjenige/ was die Hoͤchſtloͤbliche Fruchtbringende Geſelſchaft und Deutſchgeſinnte Genoſſenſchaft disfals ruͤhmlichſt gebauet/ ſo unbedachtſam wiederuͤm nieder zu reiſſen bemuͤhet iſt. Im uͤbrigen habe ich auch dieſes erinnern wollen/ daß der guͤnſtige Leſer die ſpruͤche/ ſo ich aus Horatzen und andern zu unſrem werklein geordnet/ bei ihnen ſelbſt unbeſchweeret nachſchlagen wolle/ weil wier ſie vielmahls/ aus mangel des raums/ kaum halb anherſetzen koͤnnen. Was die druk-feh= ler betrifft/ die wird er auch ſchon (ſonderlich am 80 bl. vor formida, formido, auch im 2 fin- ſpr. des andern teils vor ſeinen/ ſeinem/ und ſo fort) nach ſeinem belieben zu verbeſſern wiſſen. Inmittels lebe Er wohl/ und urteile von unſerer arbeit beſcheidentlich.
|| [ID00093]
|| [ID00094]


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