Johannes Brassicanus: Grammaticae institutiones
Aino Kärnä. TEI-Kodierung durch Jenny Malinen

Inhaltsverzeichnis

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  1. Überlieferung
    1. Standort der Erstauflage
  2. Verfasser
  3. Inhalt
  4. Kontext und Klassifizierung
  5. Rezeption
  6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur

1. Überlieferung[arrow up]

Die Grammaticae institutiones erschienen zum ersten Mal in der Straßburger Druckerei von Prüß und wurden dort mehrfach aufgelegt, zumindest in den Jahren 1509, 1512 und 1513. In Pforzheim wurden sie von Thomas Anshelm 1510 gedruckt, und als dieser nach Tübingen zog, legte er sie dort 1515 und 1516 nochmal auf. 1514 wurden sie in Basel von Peter Langendorff einmal und 1517 drei Mal gedruckt; außerdem erschienen sie in Leipzig bei Lotter, in Straßburg bei Reinhard Beck und in Hagenau beim Drucker Heinrich Gran für den Augsburger Verlag Johann Rynman. 1518 kamen sie bei Anshelm in Hagenau heraus und 1519 nochmal in Straßburg bei Prüß und bei Lotter in Leipzig. Insgesamt zählt man 18 Drucke, wobei der Name variiert: die Grammatik erscheint auch unter den Namen Institutiones Grammaticae und Institutiones Grammaticae elimatissimae.

Ab der neunten Auflage, die 1515 postum in Tübingen erschien, wurden die Institutiones von Brassicanus’ Sohn Johannes Alexander Brassicanus (1500–1539) besorgt. Auch dieser war ein Schüler Bebels und wurde 1518 zum ‚poeta laureatus‛ gekrönt. Die neuen Ausgaben enthalten z. T. neue Paratexte und einige Beispielsätze sind neu formuliert (s. dazu weiter unten).

1.1. Standort der Erstauflage[arrow up]

2. Verfasser[arrow up]

Der deutsche Humanist und Gelehrte Johannes Brassicanus (Namensvarianten: Johannes Köl/ Koel/ Köhl/ Johannes Brassicanus/ Joann[es] Kraut) wurde nach 1470 1 in Konstanz geboren, ging in Konstanz zur Schule u.a. bei dem Humanisten Wenzislaus Brack (ebenfalls Autor einer Grammatik und vor allem des erfolgreichen Vokabulars URN: urn:nbn:de:bvb:12-bsb00034150-1). 2 1489 immatrikulierte sich Brassicanus an der Universität Tübingen und gehörte mit Jakob Henrichmann zum Kreis um Heinrich Bebel, Lehrstuhlinhaber für Dichtkunst. Er erlangte sein Bakkalaureat 1491 und zwei Jahre später den ‚Magister artium‛.

Nach dem Studium war er zunächst ‚Praeceptor‛ (Lehrbeauftragter) in Cannstadt und Konstanz; 3 ab 1506 wirkte er als Lateinlehrer in Urach, wo er seine Institutiones schrieb. Um 1508/1509 wurde er Lateinlehrer an der Tübinger ‚Schola anatolica‛. Seit 1509 hatte er die Leitung der Schule inne 4 und war später auch als öffentlicher Notar tätig. Er hatte gute Beziehungen zu den Tübinger Humanisten, vor allem zu Bebel, aber geriet wegen seiner Grammatik in Konflikte mit der Universitätsleitung. Er erreichte kein hohes Alter, sondern verstarb 1514 mit etwa 40 Jahren in Wildbad.

3. Inhalt[arrow up]

In der Erstausgabe nennt sich der Autor ‚Uracensis paedotribe5 , (‚'Schulmeister in Urach'‛). Den ersten Auflagen sind als Vorspann Gedichte beigefügt, eine Widmungsvorrede an seinen Gönner Graf Johann von Salm, in der sich Brassicanus über die Philosophen (gemeint sind die Professoren der Tübinger Fakultäten) beschwert; danach steht das Gedicht ad librum Phaletium, nachfolgend Briefe an und von Heinrich Bebel sowie ein Text des Autors mit der Überschrift ‚adversus calumniatorem‛ (‚'gegen die Unterdrücker‛').

Seit der (postumen) Tübinger Ausgabe aus dem Jahr 1516, die bei Thomas Anshelm herauskam, ist eine Lobrede an die Tübinger Universität und überhaupt an die württembergischen Lehranstalten mit der Überschrift ‚Panegyrica epistola qua gymnasium Tubingense extollitur et commendatur‛ beigegeben. Sie ist die – erzwungene – Entschuldigung Brassicanus’ wegen seiner Ausführungen gegen den einflussreichen Tübinger Professor Jakob Lemp, den der Verfasser in den Beispielsätzen der ersten Ausgaben seiner Grammatik verspottete. 6

In dieser Grammatik steht vorne ein Inhaltsverzeichnis, welches es in den bisherigen in Deutschland gedruckten grammatischen Werken in der Regel nicht gab.

Am Ende der Erstauflage erscheint das Kolophon ‚Ex officina litteraria Ioannis Prüβ chalcographi, cuius Argentini, vulgo Zum Thyergarten nuncupata depromtum. Die vicesimatertia mensis Iunii, Anno salutis, MCCCCCVIII‛. Darunter die fast die ganze Seite beanspruchende Druckermarke.

Die Institutiones zerfallen in zwei Teile: in den morphologischen und den syntaktischen. Laut Autorenangabe (Fo Ir) bestehe die Grammatik aus den Teilen einerseits ‚methodice‛ oder ‚horistice‛ und ‚exegetice‛ andererseits. Dabei würden in dem ersten Teil Regeln des richtigen Sprachgebrauchs behandelt; der zweite widme sich der Exegese, d.h. der richtigen Auslegung der Texte. Diese anspruchsvolle Aufgabenstellung ist eine Anleihe aus verschiedenen Quellen der Antike (Quintilian, Diomedes) und sie geht bereits auf die griechische Grammatikographie zurück. In der Realität bestehen die Institutiones aus der Besprechung der Wortarten und ihrer Formenmerkmale, also der Morphologie, und der Syntax, die vor allem Rektionsfragen bespricht.

Die Institutiones fangen mit den üblichen Definitionen der Grundbegriffe an: die Grammatik selbst wird zunächst definiert als: ‚emendate loquendi et scribendi ars cum enarratione poetarum‛ (Fo Ir) 7 . Dann folgen die Definitionen zu den Teilen der Grammatik, ‚partes grammaticae: littera, syllaba, dictio, oratio‛. Wir können das zugleich kompilatorische und eigenständige Verfahren im Kapitel über die Buchstaben beobachten. Brassicanus bringt für den Begriff ‚littera‛ mehrere Definitionen aus der grammatischen Tradition: ‚forma vocis quae scribi potest.‛ (Fo Ir) 8 . ‚Vel est minima pars vocis compositae 9 .i. dictionis.‛ (Fo IIv). Dann folgt eine Etymologie des Wortes, die von Diomedes stammt. Unter ‚littera‛ sind also hier ausdrücklich die Buchstaben, nicht Laute gemeint. 10 Über den Begriff ‚elementum‛ wird festgehalten: ‚Littera enim elementi figura est‛. Nicht nur das lateinische, sondern auch das griechische Alphabet wird an dieser Stelle (Fo IIv) aufgeführt.

Den Begriffen ‚littera, syllaba‛ und ‚dictio‛ werden auch ihre jeweiligen Akzidentien beigefügt: die Akzidentien der Buchstaben sind ‚nomen, figura‛ und ‚potestas11 , die der Silbe ‚tenor, spiritus, tempus‛ und ‚numerus12 . Und die Akzidentien des Wortes, ‚dictio‛, schließlich umfassen die ‚significatio, etymos‛ und ‚figura‛ (Fo Vv).

Die Struktur der Wortklassenkapiteln besteht aus 1) der Definition der Wortklasse, die morphologische, syntaktische und semantische Merkmals beinhalten kann, 2) einer Illustration durch Beispiele, 3) einer Etymologie des Begriffs, 4) der Aufzählung der Akzidentien d.h. der Formenspezifika (und semantische Merkmale), die der Wortklasse zukommen und 5) der ausführlichen Besprechung dieser Akzidentien.

Die einzelnen Bestandteile sind nicht immer vollzählig vorhanden, beim Verb fehlt die etymologische Erklärung, beim Pronomen fehlen die Beispielwörter, die Beispielwörter für Verben betreffen Sonderfälle, usw. Auch kann die Reihenfolge der einzelnen Bestandteile je nachdem variieren, für wie wichtig sie erachtet werden. Syntaktische Erscheinungen werden manchmal im Kapitel der Formenmerkmale mit behandelt, so z.B. im Partizip-Kapitel.

Die Beispiele der Institutiones stammen zum Teil aus der grammatischen Tradition, zum Teil hat aber Brassicanus auch eigene Beispiele gebildet und sie aus dem Alltag oder seinem Privatleben entnommen: „Henrico multos iam annos valde familiariter utor.

Die Wortarten stehen in der Abfolge Donats: ‚nomen, pronomen, verbum, adverbium, participium, coniunctio, praepositio, interiectio‛, aber unser Autor stellt unter der Überschrift ‚De numero partium orationis‛ (Fo VI) auch abweichende Meinungen zu der Anzahl der Wortarten aus der grammatischen und logischen Tradition dar: den Status des Artikels innerhalb der griechischen und lateinischen Grammatiktradition, Quintilians Verbbegriff, die Meinung der Dialektiker, dass nur zwei Wortarten zu unterscheiden sind, aus denen die wahren und unwahren Aussagen bestehen, usw. Alles Standpunkte, die schon seit der Antike in grammatischen Lehrwerken referiert worden waren. Von Diomedes oder Priscian stammt die Einteilung in deklinierbare und undeklinierbare Wörter.

Beim Nomen werden die Akzidentien Qualität (Eigenname vs. Gattungsname), Spezies (Primitiva vs. Derivativa), Komparation (betrifft das Adjektiv), Genus, Wortbildung (‚Figura‛, d.h. Simplex vs. Kompositum), Numerus, Kasus und Deklination aufgeführt. 13 Brassicanus unterscheidet zwischen dem Nomen und dem Adjektiv (Fo VIr), ohne dass es jedoch zu der Aufstellung einer gesonderten Klasse geführt hätte..

Der Abschnitt über die Komparation ist recht ausführlich und nicht sehr übersichtlich, denn an dieser Stelle werden nicht nur die Steigerung der Adjektive, sondern auch Wortbildungsphänomene der Verben ‚volo, dico, facio‛ und ‚loquor‛, die Komparation der Präpositionen (‚post/ posterior‛) und Adverbien sowie der Missbrauch von Komparationsformen bei Adverbien behandelt (Fo VIII). Für die Bestimmung der Genera gibt der Autor viele Regeln, in gleicher Weise wie sie auch in heutigen Fremdsprachengrammatiken zu finden sind: Namen der Flüsse, der Winde, der Monate usw. Den semantischen Gruppen folgen lange Listen von genusbestimmenden Endungen, ähnlich wie sie z.B. in Perottis Rudimenta grammatices. dargestellt wurden. Die gesonderte Behandlung der Genera, Kasus und der Deklination verlängert dieses Kapitel und ihre Übersichtlichkeit lässt zu wünschen übrig.

Am Ende des Kapitels über Nomina werden die Heteroklita erörtert, und ein weiterer Abschnitt befasst sich mit den Zahlwörtern. Als letzter Punkt kommen noch die Patronyme zur Sprache.

Für das Pronomen gibt der Verfasser die tradierte Definition ‚pars orationis que pro nomine posita idem fere significat‛. Es werden acht Formmerkmale angesetzt: Qualität (finit/infinit), Spezies (d.h. Personal-, Possessivpronomen), Genus, Numerus, Wortbildung (Simplex vs. Kompositum), Person, Kasus und Deklination.

Dem Verb wird eine sehr ausführliche Beschreibung gewidmet. Die Definition ist die des Donat: ‚pars orationis cum tempore et persona sine casu aut agere aliquid aut pati aut neutrum significans‛. (Fo LXI). Er unterscheidet zwischen den ‚verba adiectiva‛ und ‚verba substantiva‛ (‚sum, forem, existo‛). Dem Verb kommen acht Akzidentien, Modus, Form (‚perfectum/imperfectum‛), Konjugation, Genus (d.h. Aktiv/Passiv), Numerus, Figur, Tempus und Person zu, die der Reihe nach besprochen werden.

Das Partizip hat sechs Akzidentien: Genus, Numerus, Figur, Kasus, Tempus und Bedeutung. Beim Partizip wird außerdem die Begründung dieser Wortklasse, ‚causa inventionis‛ angegeben: ‚brevitatis causa inventa est‛.

Die Definition des Adverbs lautet: ‚Aduerbium est pars orationis quae verbo adjecta eius sensum implet & consum[m]at‛. (Fo XCIIr). Dieser Wortlaut unterscheidet sich leicht von dem tradierten, die meist die Begriffe ‚implere‛ 'ergänzen' und ‚explanare‛ 'erklären' beinhaltet. Die Akzidentien des Adverbs lauten in den Institutiones: Spezies, Bedeutung, Wortbildung und Komparation. Das ist einmal mehr eine Darstellung, die vorgegebene Listen vereint, und damit eine vollständigere Beschreibung erstrebt.

Für die Präpositionen wählt Brassicanus eine Definition, die sich an Priscian anlehnt: ‚pars orationis quae aliis partibus vel in construendo vel componendo praeponitur‛. 14 Sie werden vor allem dahingehend untersucht, mit welchem Kasus sie verbunden werden, denn Kasus wird als ihre einzige Akzidenz festgelegt, da ihnen nicht einmal eine wirkliche Bedeutung zukommt (Fo XCVI). Dieses Kapitel führt die Präpositionen gruppiert nach ihrem Kasus alphabetisch auf und gibt Beispiele für ihre Verwendung.

Die Abschnitte über die zwei restlichen Wortklassen sind sehr knapp, beide zusammen nehmen genau eine Folie in Anspruch. Für die Definition der Klasse Konjunktion wählt der Verfasser das seltenere Verb ‚innectere‛ statt des verbreiteten ‚annectere‛: ‚Coniunctio est pars orationis innectens ordinansque sententiam.‛ Von Diomedes stammt die Aussage laut der sie ‚quia orationi pro vinculo interponatur. Nam sermonem laxum et evagantem instar cathenae interposita devincit.‛ (Fo CIv). Den Konjunktionen kommen die Eigenschaften ‚ordo, figura‛ und ‚potestas‛ zu. 15

Für die Interjektionen schließlich gibt Brassicanus die Definition aus ars minor (Fo CIr), aber ergänzt sie mit Bemerkungen aus Priscian. Ihnen kommt nur die Akzidenz der Bedeutung zu.

Der zweite Teil dieser Grammatik, die Syntax, fängt mit einem kurzen Vorwort an, das den Schülern das Lesen klassischer Autoren nahelegt, denn um den richtigen Sprachgebrauch zu erlernen, reiche es nicht, nur die Regeln zu kennen.

Die Syntax (ab Fo CII) gibt vor allem Regeln zur Kongruenz von Wörtern, angefangen von der Übereinstimmung vom Substantiv und Adjektiv. Als nächstes werden hier auch Wortfiguren (‚syllepsis, prolepsis, zeugma‛) besprochen, die in der ars maior. des Donat unter der Überschrift ‚de vitiis et virtutibus orationis‛ vorkamen. Von einer regelrechten Syntax ist hier nicht viel zu sehen, es sind zum größten Teil Beobachtungen zu einzelnen Wörtern und Wortkombinationen. Eine recht ausführliche Besprechung kommt der Kasusrektion zuteil.

4. Kontext und Klassifizierung[arrow up]

Die Institutiones. von Johannes Brassicanus gehören mit zu den ersten in Deutschland geschriebenen Fortgeschrittenengrammatiken, die eindeutig dem Humanismus verschrieben waren. Sie sind im Tübinger humanistischen Gelehrtenkreis im Umkreis von Heinrich Bebel entstanden. Ein paar Jahre vorher, 1506 war die Grammatik Jakob Henrichmanns Institutiones grammaticae. mit der gleichen Zielsetzung URN: urn:nbn:de:bvb:12-bsb00003124-7.

Im Vergleich zu Henrichmann scheint Brassicanus eine vollständigere Darstellung angestrebt zu haben, verliert dabei aber an Übersichtlichkeit und Klarheit. Gemeinsam ist vor Allem der kompilatorische Charakter ihrer Texte 16 . Beide Autoren verwenden sowohl zeitgenössische als auch antike Quellen. Diese beiden Institutiones unterscheiden sich aber deutlich von den scholastischen Lehrbüchern, etwa URN: urn:nbn:de:bvb:12-bsb00002300-0 aus dem Jahr 1505.

Im Jahr 1505 hat die Universität Tübingen beschlossen, das Doctrinale. des Alexander de Villa Dei als Pflichtlektüre der grammatischen Studien beizubehalten. Das war eine Entscheidung, die den Bestrebungen der Humanisten diametral entgegengesetzt war, denn ihr Ziel war es, dieses in Hexametern verfasste Lehrwerk aus dem Jahre 1199 aus dem Universitätsunterricht zu beseitigen. Daraufhin beschloss sich Brassicanus seine Institutiones zu verfassen, wie er in einem Brief an Michael Hummelberger dargelegt hat. 17

Seinen Protest drückte er nicht nur in dem kämpferischen Vorwort aus, sondern auch in zahlreichen Beispielsätzen, die freche Anspielungen auf den Theologieprofessor Jakob Lemp (erkennbar, obwohl unter dem Namen „Pannutius“ verhüllt) enthielten. Dieser wird z.B. als warnendes Beispiel für die falsche Aussprache angeführt, als „Bischof des ungeschliffenen Lateins“ genannt (Fo IIIv), ‚Eo vadas Pannuci qui de latinitate desperaveris‛. (Fo CVIIIv) Diese Beispiele musste er aber auf Einschreiten des Herzogs in den späteren Ausgaben beseitigen und sich mit einer Lobrede auf die Universität für seine Taktlosigkeiten entschuldigen. 18 An vielen Stellen wird auch das Doctrinale ins Visier genommen, und vor den alexandrinischen Regeln wird gewarnt: ‚Caveto preceptores alexandrinos‛ (Fo CVIIIv).

Die Polemik in der Grammatik brachte also Brassicanus in Konflikte mit der Universitätsleitung. Ob ihm in seiner Privatsphäre ein günstigerer Empfang beschieden war, bleibt dahingestellt, denn wo er ein Beispiel für Feminina braucht, fällt ihm der Satz: ‚Qualis uxor? Tigride immanior‛ ein (Fo CVII v). Und: ‚Maritus & uxor contumeliosa rixantur‛. (Fo CIIIr).

Die Institutiones schöpfen ausgiebig aus der römischen Grammatiktradition, die ja bekanntlich auf die griechische zurückgeht. Die artes des Donat und Priscian sowie Diomedes haben hier offenbar als hauptsächliche Quellen gedient, aber Brassicanus führt auch andere Namen Römischer Grammatiker, wie Palaemon, Servius, Sergius, mittelalterliche Namen wie Augustinus und Trapezuntius auf. Italienische Humanisten wie Aldus Manutius, Nicolai Perotti und Curius [Lancelottus] werden ebenfalls herangezogen. Von all diesen hat er profitiert, aber nicht alle genannten Quellen müssen aus eigener Lektüre bekannt sein, denn es gehörte mittlerweile zum grammatikographischen Usus, berühmte Namen an bestimmten Stellen anzuführen.

Das Bezeichnende an Grammaticae institutiones ist die humanistische Einstellung, die sich z.B. in der Heranziehung klassischer Sprachmodelle und in der Zielstellung, den Schülern die Lektüre klassischer Autoren zu erleichtern, zeigt. Eine persönliche Note erhält diese Grammatik von den Beispielsätzen, die Brassicanus zu seiner Meinungsäußerung benutzte.

5. Rezeption[arrow up]

Die Grammaticae institutiones fielen in eine Zeit, wo der Streit um das Doctrinale. des Alexander de Villa Dei Wellen schlug. Heinrich Bebel und seine Schüler Brassicanus und Jakob Heinrichmann traten vehement für seine Verwerfung. Ihre Grammatiken kamen also zu einer günstigen Zeit heraus und wurden als Verfechter eine neuen humanistischen Latinität und Überwinder des mittelalterlichen Grammatikunterrichts gesehen.

Zu seinem Lehrer Heinrich Bebel hatte Brassicanus eine gute Beziehung, wie die der Grammatik beigefügten Gedichte und Briefe zu erkennen geben. Von ihm erhielt Brassicanus die für eine überregionale Akzeptanz benötigte Empfehlung seiner Grammatik, und sie wurde zu einem Auflagenerfolg. Mit seinen Affronts in der Grammatik hat Brassicanus sich jedoch den Weg in die akademischen Kreise Tübingens verbaut und seiner Beziehung zu der damaligen Leitung und führenden Professoren der Universität nachhaltig geschadet.

In unserer Zeit die Grammatiken der Humanisten häufig – wenn überhaupt erwähnt – sehr kritisch betrachtet. Stellvertretend dafür sei Hermann Bender zitiert: „Diese Grammatiken waren freilich noch sehr ungenügend und in mehr als einer Beziehung unwissenschaftlich. Es ist z. B. bei der Declination und Conjugation noch keine Ahnung vorhanden, dass Stamm- und Bildungssilben zu unterscheiden sind, die Erklärung der Formen ist eine durchaus äusserliche, die Ausführungen über Genus, Casus, Tempus sind ohne alles Princip; hic haec hoc wird als Artikel verwendet, es erscheint noch ein besondrer Optativ, Brassican hat in der Declination einen Casus septimus, nämlich den Ablativ ohne Präposition; die grosse Zahl der Regeln ist verwirrend, vollends die Syntax ist äusserst dürftig“ (Bender 1877:31).

Dieses Werk stellt eine polemische Stellungnahme dar, und es muss im Rahmen seiner Zeit gesehen werden, in der es um die Erneuerung des Grammatikunterrichts ging. Brassicanus hat mit seiner Grammatik einen Diskussionsbeitrag geleistet, aber auch dazu beigetragen, dass der erstarrte Unterricht an Hand des Doctrinale zumindest in Frage gestellt wurde.

6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur[arrow up]


1 Nach Hauer. Das Geburtsjahr ist unbekannt, die Quellen geben unterschiedliche Daten an.

2 Hauer (2003: 64)

3 Haller drückt sich folgendermaßen aus: „er hatte für eine Familie zu sorgen und war darum im Schulmeistertum stecken geblieben.Haller (1927: 286).

4 Lorenz (2000); Hauer (2003: 65f.).

5 Der Begriff ‚paedotribe‛ bzw. ‚paedotriba‛ ist keine übliche Bezeichnung für einen Schulmeister, und es gab bereits zu B.s Lebzeiten eine Diskussion darüber, wie dieser Begriff auszudeuten sei und wie man ihn auszusprechen habe. Heinrich Bebel schreibt an Michael Hummelberg: „Est item apud nos Brassicanus in literis latinis haudquaquam indoctus, qui se paedotribam scripsit, quasi puerorum exercitatorem, quod Georgius Simler fol. XXV grammaticae latinae conatus est vellicare, ut videre potes, quid sit paedotriba pueri tritor a ‚παίς παιδός‛, quod puerum significat et τρίβω id est frico vel tero. Ego vero non a ‚τρίβω sed a τριβή‛ quod exercitium et studium significat deduci existimo, propterea quod paedotribae teste Aristotele in octavo politicorum et Platone in Georgia sint magistri olim habiti gymnasiorum, quae non minus animorum quam corporum esse possunt. Tribas insuper tribadis inhoneste esse significationis non ignoro. Paedotriba autem vix credo usquam ad hanc significationem quadrare. Vellem etiam scire, meliusne diceretur paedotriua, ut transtulit Marsilius vel ut vulgo dicimus paedotriba et paenultima longane sit an brevis; ex regulis enim nostris paedotriua producitur, paedotriba corripitur. Item Simler fol. XIIII. secunda pagina de accentu gravi et acuto mulfea disserens dicit, gravem non dici proprie accentum nec signari, nisi aliquando in consequentia orationis.“ Horawitz (1875: 44f.) Der Verweis auf Georg Simmler, den Gegner Bebels (und Brassicans) zielt auf eine Stelle in dessen Grammatik, wo er dieses Wort bespricht und ihm die Auslegung gibt, es handle sich um einen Kinderzüchtiger.

6 Steiff, Episode S. 355-363

7 Dies kommt der Definition Quintilians nahe: ‚recte loquendi scientia et poetarum enarratio‛. Aber Brassicanus definiert die Grammatik als ‚ars‛, nicht als ‚scientia‛.

8 Ab 1510 zusätzlich noch: ‚Vel est vox quae scribi potest individa, auctore Priscia‛. (FoII)

9 Priscian, GL 2,2,6, Perotti Rudimenta

10 Bei Donatus wird der Begriff noch undifferenziert verwendet und er umfasst sowohl das Schriftzeichen als auch die phonetische Einheit: „Littera est pars minima vocis articulatae“. Diomedes: ‚Scaurus sic eam definit, littera est uocis eius quae scribi potest‛ (GL 1, 421). Priscian unterscheidet nach stoischem Vorbild zwischen ‚vox‛ und ‚littera‛: „litera est pars minima uocis compositae ... litera igitur est nota elementi et velut imago quaedam vocis literatae“ (GL II 6,6-23).

11 Ebenso Donatus, Charisius, Diomedes, Priscian und Perotti.

12 Ebenso Priscian (GL 2, 51, 21) und Perotti.

13 Die griechische Grammatik erkannte fünf Akzidentien: Qualität, Genus, Figur, Numerus, Kasus. Donatus hatte 6: ‚qualitas, comparatio, genus, numerus, figura, casus‛; Priscian die fünf: ‚species, genus, numerus, figura, casus‛. Insgesamt war man im grammatischen Kanon einig über: ‚genus, numerus, figura‛ und ‚casus‛. Brassicanus' Darstellung ist also eine Kombination von diesen. Außerdem stellt er Kasus und Deklination gesondert

14 Priscian: ‚est igitur praepositio pars orationis indeclinabilis, quae praeponitur |aliis partibus uel appositione uel compositione‛. (GL 3,24,1-57)

15 Über die Merkmale der Konjunktionen herrscht eine Einstimmigkeit im grammatischen Kanon: ihnen werden ‚ordo, figura‛ und ‚potestas‛ zugeschrieben. Nur die Reihenfolge ihrer Behandlung unterscheidet sich.

16 Das kompilatorische Verfahren, das Brassicanus und Henrichmann geschickt anwenden, hat eine lange Überlieferungsgeschichte und dementsprechend ist vieles in den Grammatiken der Frühen Neuzeit Gemeingut. Ein Name, der allerdings nicht fällt, ist Alexander de Villa Dei, weil er für die Humanisten der Innbegriff des Verwerflichen war.

17 Horawitz, (1877: 253-255)

18 Steiff Episode, (1882: 351-366), Paulsen II S. 143

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