Diese Grammatik ist ursprünglich ohne Angabe des Verfassers erschienen, weshalb ihre Autorschaft nicht gesichert ist. C.H. Kneepkens betrachtet Wilhelm Zenders de Wert auf Grund textueller Ähnlichkeiten mit und Querverweisen zu anderen grammatischen Schriften Zenders de Werts als den Autor (2006b: 26f.).
Als Erstdruck wird die in Gouda bei Gotfridus Os gedruckte Auflage [um 1486] angegeben, aber sie ist nicht mehr nachweisbar. 1 Aus Basel und aus Süd- und Mitteldeutschland sind frühe Drucke erhalten. 2 Da die Drucke zunächst ohne Angabe des Druckjahres und -ortes erschienen sind, ist auch der Standort des Erstdrucks bzw. des frühesten erhaltenen Druckes nicht mit Sicherheit festlegbar. Insgesamt sind 21 Ausgaben in zumindest 39 Exemplaren bewahrt. 3
Das hier beschriebene, bei Johannes Amerbach in Basel ca. 1490 gedruckte Exemplar der Herzog August Bibliothek umfasst 175 Seiten in Quartformat. Es ist heute in einem Sammelband mit anderen artistischen Schriften zu finden.
Diese Grammatik ist dem aus Brabant stammenden Magister Wilhelm Zenders de Wert zugeschrieben (Kneepkens 2006 b:26), aber da die Grammatik zunächst anonym erschien, ist der Verfasser umstritten, und viele Quellen führen sie unter den Anonyma auf.
Über William Zenders de Wert (auch: Vert, Wert, Weert, Wilhelm(us), Zenders de Werdt, Gulielmus, Zenders de Wert, Wilhelmus, Zenderus, Guilelmus, Senderus, Guilelmus) ist nicht viel bekannt. Als Lebensdaten werden die Jahre 1429-1506 angegeben, aber auch diese Angabe ist nicht gesichert. Der wahrscheinlich aus Brabant stammende Lateinlehrer war in den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts publizistisch aktiv. Ihm werden – vor allem wegen textueller Übereinstimmungen – sechs grammatische Lehrwerke zugeschrieben. Er erscheint namentlich als Autor in anderen grammatischen Texten dieser Zeit: im Lilium grammaticae (ca. 1490) und im Opus minus (ca. 1490), einem Kommentar zum Doctrinale puerorum von Alexander de Villa Dei. Auch das Exercitium puerorum wird ihm zugeschrieben, (Kneepkens 2006 b, Worstbrock 1999: Sp.1534)allerdings wird aber auch diese Zuweisung in Frage gestellt (Duntze 2007:271).
Das Titelbild zeigt eine typische Schulszene mit dem Magister und seinen Schülern. Der Schulmeister erscheint im Talar und mit einer Rute in der Hand.
Der Text beginnt mit einer kurzen Inhaltsangabe, die die fünf Teile dieser Grammatik anführt: ‚1. Dominus que pars, 2. Regulas congruitatum minores, 3. Regulas congruitatum maiores perutiles, 4. Regulas de modo construendi et traducendi, 5. Duplicia elegentiarum precepta‛.
Diese grammatische Schrift besteht aus fünf relativ unabhängigen Traktaten, die oben angeführt wurden. Den ersten Hauptteil macht eine Fassung der in vielen Versionen seit dem Mittelalter zirkulierenden grammatischen Schultexte mit dem Titel ‚Dominus que pars‛ aus. Obwohl die Fassungen voneinander divergieren, bleibt das Grundkonzept gleich: Die Wortarten und ihre Formkategorien werden der Reihe nach abgefragt, und die Behandlung jeder Wortart wird mit einer Frage eingeleitet: Was für ein Redeteil ist ‚Dominus‛ [bzw. ‚Ego/ Amo/ Legens‛ usw.]? Und die Antwort lautet: Es ist ein Nomen [bzw. Pronomen/ Verb/ Partizip usw.]. Die nachfolgende Frage ‚Quare?‛ wird mit einer meist aus Priscian übernommenen Begründung beantwortet, die in erster Linie semantische Merkmale umfasst.
Diesem Konzept folgt auch die Version, die im Compendium enthalten ist. Beim Nomen heißt es: ‚quia significat substantiam cum qualitate propria vel commune‛.
Manchmal wird die Muttersprache zur Erklärung herangezogen: Das Kriterium zur Unterscheidung des Nomens vom Verb ist, dass zum Nomen das (deutsche!) Wort ‚ein‛ hinzugefügt werden könne. Als Beispiele werden lateinische und deutsche Wörter angeführt: ‚ein ding‛, ‚dominus‛, ‚ein herr‛, ‚albus‛, ‚ein wyß ding‛. Auch das Verb wird dadurch definiert, dass dazu ‚ad vulgare‛ das Wörtchen ‚man‛ hinzugefügt werden könne. 4
p>Es folgen Fragen zu den anderen Merkmalen der Nomina, ob es sich um ein Substantiv oder Adjektiv handelt, welches Genus und welche Deklination in Frage stehen. Diese werden auch ausgeführt und mit Beispielen erläutert.
Anschließend werden die restlichen Wortarten, das Pronomen, das Adverb, der Partizip, die Konjunktion, die Präposition und die Interjektion behandelt. Den Ausgangspunkt bildet jeweils ein Beispielwort aus der entsprechenden Wortklasse, und danach werden – ebenfalls in Frage-Antwort-Form – die näheren Angaben zu diesen Wortklassen besprochen.
Der zweite Hauptteil ist der elementaren Syntax gewidmet. Hier werden insgesamt 34 Grundregeln zur Satzlehre gegeben, die ebenfalls teilweise aus der seit dem Mittelalter überlieferten grammatischen Literatur stammen, vor allem aus dem als Regula puerorum Remigii überlieferten Text.
In diesem Kapitel werden Regeln zur Genus-, Numerus- und Kasuskongruenz von Substantiv und Adjektiv und zur Subjekt–Prädikat -Beziehung 5 gegeben. Ferner geht es um die Übereinstimmung zwischen Relativ-, Interrogativ- und Demonstrativpronomen und ihrem Bezugswort. Der Nominativ als Ergänzung zum Verb wird mit Beispielsätzen wie „Ego sum grammaticus. Tu es logicus.“ festgehalten. Das Gerundiv und Supinum werden besprochen, und ebenso der Gebrauch von Partizipien. Die Regeln für den Gebrauch von Präpositionen erfordern muttersprachliche Erklärungshilfen. In diesem Kapitel werden syntaktische Termini wie ‚regere, convenire‛ verwendet, sowie die Termini ‚suppositum‛ und ‚appossitum‛. 6
Im Text wird stets die Frage gestellt, ob bestimmte Ausdrücke gutes Latein darstellen: ‚est bonum Latinum?‛ Wird die Frage bejaht, folgt dazu die Regel als Begründung. Oft wird dabei das Doctrinale des Alexander de Villa Dei (Wende 12./13. Jahrhundert) herangezogen. Es verbleiben auch Zweifelsfälle und Fälle, wo ein als Vorbild empfundener Text, z.B. der Bibeltext von der Regel abzuweichen scheint, und diese werden kurz erörtert. Der zweite Teil schließt mit Anmerkungen zu den Kasus, die mit bestimmten Interjektionen gebraucht werden.
Im dritten, an eine höhere Stufe gerichteten Teil, werden die vorigen Regeln ausgebaut und vertiefende Regeln zur Syntax unter der Überschrift ‚regule congruitatum maiores gegeben‛. Es geht in erster Linie um Kongruenz- und Rektionsregeln. Zusätzlich wird weiterer Stoff besprochen, der am Anfang ausgespart wurde, etwa rhetorische Figuren, wie ‚prolepsis, zeugma‛ und ‚antithesis‛. Die Übersetzung vom Genetiv, Dativ und Akkusativ aus dem Lateinischen in die Volkssprache wird in diesem Kapitel vorweggenommen. Auch Bedeutungstypen der Adverbien und Konjunktionen werden an dieser Stelle besprochen. Dann folgen bereits aus der Ars minor von Donatus bekannte Listen von Präpositionen mit bestimmten Kasus. Diese werden mit Interpretamenten versehen: ‚Ad patrem‛‚zu dem vater‛, ‚Apud villam‛‚by dem dorff‛ usw. Als letztes bringt dieses Kapitel Beispielsätze mit Interjektionen.
Der vierte Hauptteil ist Übersetzungsregeln aus dem Lateinischen in die Volkssprache gewidmet. Z.B. Die Frage, wie der Nominativ übersetzt werden soll, erhält die Anleitung: „per ‚ein‛, per ‚der‛, per ‚die‛, per ‚das‛. Equus currit ‚ein pfert loufft‛.“ Ebenso werden die anderen Kasus erläutert. Zum Vokativ heißt es, dass im Deutschen dazu das Zeichen ‚signa teutonicalia‛ fehlt: „O custos pulsa nullum est signum. quam valet o custer luyt.“
Die Verbformen des Lateinischen und Deutschen werden sehr ausführlich besprochen und gegenübergestellt. Danach folgt ein Vergleich zwischen den lat. und dt. Adverbien und Konjunktionen nach Bedeutungsgruppen geordnet. Das Kapitel schließt mit dem Hinweis, die Präpositionen seien schon im dritten Abschnitt behandelt worden.
Das fünfte und umfangreichste Kapitel (ca. 80 Seiten) beschäftigt sich mit stilistischen Fragen „preceptis elegantiarum“, laut Autorenangabe nach dem Vorbild von Laurentius Valla (1407 – 1457). Auch klassische Autoren wie Cicero und Terenz werden hier als Autoritäten herangezogen.
In den vorausgehenden Abschnitten haben die Schüler gelernt, wie man „grosso stilo“ übersetzt, hier geht es um Einzelfälle der Grammatik bzw. der Stilistik. Dieses Kapitel wiederholt einiges aus dem Vorausgegangenen, aber bringt auch weitere Gesichtspunkte zu sprachlichen Zweifelsfällen. Einfache Ausdrucksweisen, wie sie in den Grammatiken (vor allem im Doctrinale) zu finden sind, werden eleganteren Formulierungen gegenübergestellt: „grammaticus dicit“ vs. „orator elegantius dicit“. Auch eine alphabetisch geordnete Wortliste zur Bedeutung und Grammatik schwieriger Wörter ist zu finden.
Das Werk schließt mit einem Gedicht: „Scintilla in fla[m]mas: in flumina crescere rivus saepe solet: platanu[m] virgula parva parit“
Das Compendium oder Opusculum quintupartitum (auch Opusculum quintupertitum) gehört zu den grammatischen Lehrwerken des späten 15. Jahrhunderts, die aus mehreren Teilen bestehen. Der grammatische Stoff wird abgestuft präsentiert und in relativ komprimierter Form dargereicht, wobei auch didaktische Aspekte berücksichtigt werden.
Dieses Kompendium zählt zu den bekanntesten didaktischen Grammatiken des ausgehenden Mittelalters. Zu seiner Entstehungszeit waren zwar die Ars minor des Donat (aus dem 4. Jahrhundert) auf der Elementarstufe und das Doctrinale auf der zweiten Stufe die meistgebrauchten Lehrbücher im Lateinunterricht, aber der aus Italien herannahende Humanismus führte auch in Deutschland und in den Niederlanden einen wachsenden Bedarf nach neuartigen Lehrmaterialien, wie das Compendium, herbei.
Das Compendium octo partium orationis ist ein Lehrbuch, das die Lerner auf verschiedenen Stufen berücksichtigt, und den Stoff abschnittsweise mit einem zunehmenden Schwierigkeitsgrad präsentiert. Das grammatische Wissen wird im ersten Teil auf ein Minimum beschränkt und erst in den weiteren Teilen ausgearbeitet. Anfangs wird die Muttersprache oft zur Hilfe gezogen, in den weiteren Teilen weniger. Eine Ausnahme bildet der Abschnitt über die Adverbien, denen regelmäßig ein deutsches Interpretament hinzugefügt wird. Und Übersetzungsregeln, wo die beiden Sprachen fast gleichwertig nebeneinander stehen.
Direkte Daten zur Rezeption dieses grammatischen Kompendiums sind schwer auffindbar, aber gewisse Anhaltspunkte für ihre Beurteilung liefert die Druckhäufigkeit. Sie bezeugt in diesem Fall von einem beachtlichen Erfolg besonders im süd- und mitteldeutschen Raum im Ausgang des 15. Jahrhunderts.
1 GW 10995; vgl. Kneepkens (2006b: 26, Anm. 25).
2 GW 10988–11006.
3 Frühe Exemplare befinden sich ausserdem in London, (BL Signatur: IA 47381), Cambridge UL: (Inc.5.E.3.5[2887]), USB Köln (Signatur GBII+A235+C) und in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen.
4 Die Einbeziehung der Volksprache erfolgte im Spätmittelalter zunächst in Form von interlinearen Texten und dann als Kontext- und Marginalglossen. In den Drucken aus dem 15. Jh. erscheinen die volkssprachlichen Glossen meist unterschiedslos im lateinischen Fließtext.
5 Dies war meist die erste syntaktische Regel in den frühneuzeitlichen Grammatiken.
6 Die zwei letztgenannten wurden von Petrus Helias (12. Jahrhundert) im Sinne vom heutigen Subjekt und Prädikat eingeführt.