Die uns vorliegenden Daten über die Druckgeschichte der Elementargrammatik Aelii Donati viri clarissimi de octo partibus orationis methodus, quaestiunculis puerilibus undiq[ue] collectis illustrata per Leonhardum Culmannum (nachstehend: ‚Methodus‛) werfen Fragen auf. Laut Jentsch, der die Leipziger Drucker erforscht hat, ist sie 1531 in Leipzig bei Nicolaus Faber erschienen (Jentsch, 1927:20). Ein solcher Druck ist zwar nicht überliefert, doch der erste uns überlieferte Druck kommt ebenfalls aus Leipzig vom gleichen Drucker. Er ist undatiert, aber auf der Titelseite steht der Name des Druckers, Nicolaus Faber und seine Druckermarke. Das Vorwort trägt die Angabe „Norimberga, … Maij. 1534“ 1 . Erika Ising hält einen Nürnberger Druck für die Erstausgabe. Das Jahr 1534 und den Druckort hat sie aus dem Datum des Vorworts ermittelt. (Ising, 1970: 286). Unterstützt wird diese Annahme durch das Nürnbergische Gelehrten-Lexicon, das diese Ausgabe mit der Bemerkung „kam zuerst heraus Nor., 1534“ (Bd. 5. 1802:194) erwähnt. Aus Frankfurt a.d.O. ist ebenfalls ein Druck aus dem gleichen Jahr dokumentiert, gedruckt von Johannes Eichorn.
Aus diesen, teilweise miteinander kollidierenden Angaben lässt sich keine sichere Folgerung ziehen, welches die Erstauflage ist: Ein unbekannter 1531er Druck aus Leipzig, der Leipziger Druck mit dem in Nürnberg im Mai 1534 datierten Vorwort, oder ein von Ising ermittelter, undatierter Druck aus Nürnberg. – Die Vita des Verfassers lässt beide Druckorte denkbar erscheinen, denn er hat sich an beiden Orten aufgehalten.
Fest steht aber, dass dieses Schulbuch in den nachfolgenden Jahren an verschiedenen Offizinen bis zum Jahr 1700 herauskam. Die ca. 50 Auflagen 2 legen ein sprechendes Zeugnis für die damalige Popularität ab.
Viele dieser Drucke finden sich noch heute in europäischen Bibliotheken und sind auch elektronisch verfügbar. Allerdings werden sie in bibliothekarischen Katalogen meist unter „Aelius Donatus“ angeführt, und Leonhard Culmann erscheint als „Bearbeiter“. Dieses entspricht zwar in gewisser Hinsicht der Wirklichkeit: der Text von Donatus dient als Grundlage dieses Werkes. Da ihn Culmann aber reichlich mit Kommentaren und Glossen versehen hat, kann und soll er hier als Autor berücksichtigt werden.
Die Seitenzahl beträgt 56-80 Blätter je nachdem, aus welchen Teilen sie besteht, d.h. ob eine Syntax beigefügt ist oder nicht.
Der Pädagoge, Schulbuchautor, Dichter und Theologe Leonhard Culmann (auch Culman, Kulmann) wurde 1497 oder 1498 in Crailsheim im damaligen Franken geboren. Der Schulgang des Metzgersohns hatte viele Etappen: er begann in der Heimatstadt und setzte sich 1506-08 in Schwäbisch Hall, 1509 in Dinkelsbühl, 1510 in Nürnberg und 1513 in Saalfeld fort. Das Studium nahm Culmann 1514 an der Universität Erfurt auf, wo er nach drei Jahren Theologiestudien sein Bakkalaureat erlangte. Als ‚baccalaureus sententiarius‛, d.h. als Sententiar, wurden ihm akademische Lehraufgaben zugewiesen. Nach kurzem Aufenthalt in Leipzig wurde er 1517 Lehrer an der Domschule in Bamberg und in Ansbach, bevor er eine Stelle als Küster in Ansbach annahm. 1519 kam es wieder zu einem Wechsel, diesmal nach Nürnberg, wo er zunächst als Cantor tätig war und dann 1522 eine Lehrerstelle an der Spitalschule bekam und ein Jahr später Rektor derselben wurde. Ab 1528 diente er fast zwei Jahrzehnte als Seelsorger im Heilig-Geist-Spital. 1546 war er ein halbes Jahr Prediger an der Frauenkirche, musste sich dort jedoch zurückziehen 3 , bekam aber noch im selben Jahr vertretungsweise und ab 1549 ständig die Predigerstelle von St. Sebald. Im Jahre 1555 kam es jedoch zu einer Auseinandersetzung anlässlich des sog. Osiandrischen Streites 4 , und da Culmann die von Melanchthon vorgetragene Belehrung der Geistlichen von Nürnberg nicht unterzeichnete, musste er abdanken 5 . Von Johannes Brenz empfohlen bekam er 1556 eine Stelle als Prediger in Wiesensteig, musste aber aus konfessionellen Gründen auch hier zwei Jahre später abdanken. Schließlich erhielt er die Pfarrei in Bernstadt, wo er 1561 oder 1562 starb. 6
Culmann war anfangs besonders mit der Herausgabe von Schulbüchern befasst und gab mehrere Schriften zur Sprachlehre heraus. Die erste Publikation dieser Kategorie war das 1528 in Nürnberg bei Peypus erschienene Heft Brevis et pverilis declinandi coniugandique Formula, cui teutonica casuum ac temporum interpretatio est adiuncta 7 , das zunächst ohne Nennung des Autors erschien. Es stellt in sehr knapper Form die Artikeldeklination und die Verbformen im Lateinischen und Deutschen nebeneinander vor. Das Heftchen erhielt Neuauflagen 1531, 1537, 1538 und 1540. Neben dem hier vorliegenden Methodus gehört zu Culmanns grammatischem Schrifttum ebenfalls die für fortgeschrittene Schüler konzipierte, sehr umfangreiche Abhandlung Grammatices latinae exercitium novum. (Nürnberg bei Guldenmundt, 1541 und 1546), die in ihrer Frage-Antwort-Struktur wohl als Repetitions- bzw. Übungsbuch oder auch als Unterrichtsmaterial für Lehrer gedacht war. Dieses Werk liefert in der 1541er Auflage einen Anhang Index scriptorum grammaticorum, ein Verzeichnis von damals herausragenden Grammatikern. 8
Seine Sententiae pueriles (zuerst in Nürnberg bei Petreius 1540) machten sein international erfolgreichstes Werk aus. Sie erschienen insgesamt 46mal in Deutschland und im Ausland, sowohl einsprachig lateinisch als auch zwei- oder dreisprachig. Die lateinisch-englische Ausgabe war in England besonders beliebt und wurde dort bis ins 18. Jahrhundert gedruckt. 9 In den Vereinigten Staaten erreichte sie ebenfalls mehrere Auflagen. Allerdings erhielt die Verbreitung der Sententiae pueriles einen spürbaren Schlag, als sie 1550 auf den Index der in den katholischen Ländern verbotenen Bücher geriet. 1552 gab Culmann diese Sammlung unter dem neuen Namen Sententiae veterum sapientum morales heraus.
Neben diesen Schulbüchern hat Culmann Erbauungsliteratur und pädagogisch-moralische Schiften zur Kindererziehung sowie Tugendlehren für junge Erwachsene veröffentlicht. Im Jahr 1529 kam seine Zuchtmeyster für die jungen Kinder heraus, 1532 erschien die Schrift Jungen gesellen Junckfrawen un[d] Witwen so eelich wöllen werden, zu nutz ain undterrichtung und 1533Den Knaben vnd Maydlein so teutsch leren, frag und antwort über die Epistel S. Paulus zu Tito. . Das für Kleinkinder verfasste Büchlein, das die grundlegenden Texte des christlichen Glaubens enthält, Teutsche Kindertafel, Anfang des christlichen Glaubens, erschien 1534 und 1537Wie junge und alte leut recht petten sollen: ein schlechte einfeltige underrichtung. . Culmanns seelsorgerische Schrift De Praeparatione christiana ad crucem et mortem kam 1538 zunächst auf Latein und später auf Deutsch mit dem Titel Trostbüchle: Wie man die krancken trösten, und den sterbenden vorbetten soll heraus.
Culmann verfasste ferner Schuldramen, u.a. Ein Christenlich Teutsch Spil wie ein Sünder zur Buß bekärt wirdt (Nürnberg, 1539 und öfter), Ein schön weltlich spil, von der schönen Pandora (Nürnberg, 1544). Auch das Pamphlet Confabulatio seu disputatio pia et religiosa hominis evangelici et papistici de verae religionis articulis, (Nürnberg, Wächter, 1545 und öfter), ein Gespräch zwischen einem katholischen und einem evangelischen Sprecher, ist in der Form eines Dramas konzipiert.
Sein theologisches, an angehende Theologen gerichtetes Schrifttum umfasst u.a. das zweibändige Werk Disputationes seu argumentationes theologicae. (Nürnberg: Wächter, 1544 und öfter). Seine Position im Osiandrischen Streit verteidigte er gegenüber dem Kollegenkreis in der Schrift De sola fide iustificante (Basel, 1550, 1555).
Der Methodus ist ein Donat-Kommentar mit dem Text der Ars minor (AM) als Grundlage und Culmanns Anmerkungen dazu. Die Aufstellung entspricht dem Grundsatz, den der Autor in seiner Fortgeschrittenengrammatik Grammatices latinae exercitium novum vorlegt, nämlich dass man die AM nicht in neuere Texte inkorporieren, sondern sie „in sua autoritate“ vorstellen solle. Zwischen den Textabschnitten wird typografisch unterschieden: der Donatus-Text ist in größerer Antiquaschrift und die Kommentare in kleinerer Kursivschrift gesetzt. Stellenweise werden deutsche Interpretamente und Erklärungen am Rand oder im Text geliefert. In dem hier vorliegenden Druck wird jedes neue Wortartkapitel mit einer Schmuckinitiale markiert, und etwas kleinere Initialen zeigen den Beginn eines neuen Absatzes innerhalb des Kapitels an. Diese typografische Markierung soll zur besseren Orientierung im Buch dienen.
Anfangs steht ein im Mai 1534 datierter Widmungsbrief an Christoph Colerus (Koler). Da dieser als ‚puer‛ bezeichnet wird, und Culmann ihm auch väterliche Ratschläge erteilt, handelt es sich offenbar um den Sohn einer angesehenen Persönlichkeit bzw. eines Senators (‚patricus‛). Unter der Widmung ist ein kurzer fiktiver Dialog abgedruckt, wo zwei Schuljungen, Michel und Laurentius, sich darüber austauschen, worum es sich bei diesem Text handelt.
Genau wie in Donatus´ AM fängt der Text direkt mit dem morphologischen Teil an. Abschnitte, die in zeitgenössischen humanistischen Grammatiken oft am Anfang anzutreffen waren, nämlich eine Definition zur Grammatik und ihrer Teile, eine Orthographie, eine Lautlehre oder eine Prosodie fehlen.
Zunächst werden die Wortarten in der katechetischen Form wörtlich aus der AM abgefragt: „Partes orationis quot sunt? Octo.“ (Am Rand die deutsche Glosse: „Von achterley worter wird die lateinisch sprach gemacht“). Kommentare in Kursivschrift folgen. Diese können ebenfalls in Frage-Antwort-Form stehen: „Quare dicuntur partes orationis? Quia sunt voces indicantes mentis conceptum, id est, cogitationem.“ Die Kommentare stammen aus mehreren Quellen und beinhalten u.a. eine Begründung zu der Stelle der betreffenden Klasse in der Liste der Wortarten. Die Termini werden etymologisch begründet und ihre Wortbildung wird gegebenenfalls erörtert.
Als erstes wird das Nomen mit der Frage-Antwort-Sequenz vorgestellt. „Nomen quid est? Pars orationis cum casu aut rem proprie communiterue significans“ (Am Rande: „Der name beschleust ein leiblich oder innerlich ding.“) Dem Donatus-Zitat folgen in kleinerer Kursivschrift Überlegungen zu der Stellung des Nomens an der Spitze der Wortarten, zu der Etymologie der Bezeichnung und zu ihrer Erkennung. Dazu lautet die Antwort, das Nomen sei daran zu erkennen, dass in der Volkssprache (‚vulgari‛) das Wort „ein“ davorstehen kann. 10 Auch der Unterschied zwischen ‚corpus‛ und ‚res‛ wird erklärt.
Es folgt wieder ein Stück aus der AM: die Formenmerkmale d.h. die Akzidentien des Nomens (am Rande: „Des namens zufelle und das ienige das man in eim itzeliche nomen brauchen und bedencken muss.“) werden vorgestellt, abwechselnd mit Zitaten aus Donatus und Erläuterungen dazu in Kursivschrift. (A3r – A4r)
Da die Adjektive zu den Nomina gezählt werden, wird die Komparation in diesem Abschnitt erklärt. Im Kommentartext wird die Komparation auf diejenigen Nomina begrenzt, die zu den ‚nominibus adiectivis‛ zählen. Culmann gibt zwei Formen von Komparation an: die regelmäßige und die unregelmäßige; von diesen wird aber nur die regelmäßige näher dargestellt.
Nach einer knappen Darstellung von ‚Genus, Numerus, Figur‛ und ‚Kasus‛ (am Rand: „Das Geschlecht, die Zal, die gestalt und ansehen obs nomen gantz oder gestucket sey, der Abfall und das ablencken“), folgt eine recht ausführliche Besprechung der Deklination, zunächst wieder mit den Worten Donats und anschließend im Kommentar detailliert nach den Deklinationsparadigmen geordnet. Diese Übersicht fehlt in dem ursprünglichen spätantiken Text der AM, aber im Methodus ist er trotzdem mit größeren Antiqua-Lettern gesetzt, was darauf hinweist, dass Culmann diese Stelle Donatus zuweist, obwohl sie aus einer späteren Fassung herstammt. Nach den Musterdeklinationen von ‚magister, musa, scamnum, sacerdors, foelix, fructus‛ und ‚species‛, wobei die zwei letztgenannten ebenso eine spätere Interpolation darstellen, folgt die Deklination von ‚hic, haec‛ und ‚hoc‛ mit deutschen Übersetzungen. Diesen Abschnitten schließt sich eine längere Ausführung zu den Endlauten der fünf Deklinationen an. (B2v – B4v)
Das Pronomen folgt. Anfangs steht wieder der AM-Text, und darauf folgen Kommentare dazu. Dabei wird die Stellung des Pronomens an dieser Stelle, nämlich gleich nach den Substantiven, dadurch begründet, dass sie die Funktion eines Nomens übernehmen können (‚nominis officio fungitur‛). Ihren Namen haben sie gerade aus dieser Funktion bekommen, denn sie seien Stellvertreter des Nomens, ‚vicaria nominis‛, erklärt Culmann (B5r). Die Akzidentien des Pronomens werden wieder direkt von Donat übernommen: ‚Qualitas, Genus, Numerus, Figura, Persona‛ und ‚Casus‛.
Anders als beim Nomen und Verbum, gibt es beim Pronomen kein spezielles Erkennungsmerkmal, sondern der Autor weist auf die Liste der Pronomina bei Donatus hin. Es sind die folgenden fünfzehn: ‚Ego, Tu, Sui, Ille, Ipse, Iste, Hic, Is, Meus, Tuus, Suus, Noster, Vester, Nostras & Vestras‛. (B5r) Diese Liste stammt nicht aus dem Originaltext von AM, sondern aus einer späteren Überlieferung. Sie entspricht derjenigen, die Glarean in seinem Methodus aufführt, mit der Ausnahme von ‚quis‛, der dort vorkommt, aber bei Culmann fehlt. Im Kommentartext erklärt unser Autor, dass einige bei Donatus aufgeführten Wörter, wie ‚quis, quae, quod, talis, qualis, quantus, tantus‛ u.a, keine Pronomina seien, da sie Unsicherheit ausdrückten (‚incertitudinem significant‛). Diese Überlegungen hat Culmann von Priscian übernommen, aber nennt seine Quelle nicht, eventuell weil er den Gedanken als allgemein akzeptiert ansieht.
Auch Demonstrativa sind in Culmanns Aufzählung vorzufinden, und anders als in heutigen Lateingrammatiken wurden die Personal- und Possessivpronomina in den damaligen Grammatiken meist nicht unterschieden.
Die Akzidentien der Pronomina stammen aus der AM und dies wird entsprechend typografisch angezeigt. Es sind die sechs: ‚Qualitas, Genus, Numerus, Figura, Persona‛ und ‚Casus‛. Die Qualität wird dadurch erläutert, dass es zweierlei Pronomina gibt, nämlich finite und infinite. Jene beziehen sich auf eine Person, die letzteren nicht. Den Unterschied zwischen Nomen und Pronomen sieht Culmann darin, dass die Nomina eine Substanz und Qualität ausdrücken, die Pronomina lediglich die Substanz. Die einzelnen Akzidentien werden dann der Reihe nach besprochen und kommentiert und zuletzt werden die gegebenen Pronomina (einschließlich ‚quis‛) dekliniert. (B4v – C2v) Am Rande werden die Pronomina in der Muttersprache gegeben.
Das Verb erhält ebenfalls seine Definition aus der AM (am Rand: „Das Wort betrifft thun, leiden und sein“). Der Kommentarabschnitt kennzeichnet die Verben dadurch, dass ihnen in der Volkssprache „ich, du, der, wir ihr, die“ hinzugefügt werden könne. Ihre Stellung nach dem Nomen und Pronomen ist dadurch begründet, dass diese beiden Wortarten ohne Verb keinen vollständigen Satz bilden können. Die Funktion des Nomens liege in der Benennung der Person, das Verb gebe die Tat an. Zu der Bezeichnung ‚verbum‛ gibt Culmann die von Priscian übernommene, bereits bei Quintilianus anzutreffende Etymologie, laut der sie aus dem Verb ‚verberare‛ (= ‚schlagen‘, quasi als Luftschlag) herzuleiten sei. Der Unterschied zwischen den Wortarten Nomen und Verb bestehe darin, dass das Nomen die Person nennt, das Verbum die Tat. Ebenso wird festgehalten, dass die Verben ein Tempus, die Substantive dagegen ein Kasus aufweisen. Culmann unterscheidet zwei Gruppen von Verben: ‚personale‛ und ‚impersonale‛. Die ersten können durch drei Personen konjugiert werden, die zweiten nicht. Außerdem werden weitere Verbtypen aufgezählt: ‚verbum substantivum, verbum vocativum, verbum transitivum, verbum absolutum‛ und ‚verbum impersonale‛, eine Differenzierung, die ebenfalls eine lange Vorgeschichte hat. Als Akzidentien des Verbs führt Culmann die sieben tradierten aus der AM: ‚Qualitas‛ (am Rand: „Die art und neigung“), ‚Coniugatio‛ („Der gezwang und innunge“), ‚Genus, Numerus, Figura, Tempus‛ und ‚Persona‛. (C2v – C3r)
Die Darstellung der Konjugationen weicht von der der AM ab, indem Culmann zwar im Basistext der AM folgt und drei Konjugationen festlegt, im Kommentartext aber – wie Priscianus und andere Grammatiker der Spätantike – vier Konjugationen unterscheidet. Die Beschreibung der Diathesen (‚Genera verbi‛) entspricht wieder der AM. Es werden ihrer fünf vorgestellt: ‚Actiua, Passiua, Neutra, Deponentia‛ und ‚Communia‛. Hierzu fügt Culmann wieder in den Randglossen muttersprachliche Interpretamente hinzu: „‚Actiua‛. Die ein wirckung oder thun bedeuten. ‚Passiua‛. Die ein leiden bedeuten. ‚Neutra‛. Keinerley, die weder actiue noch passiue sind. ‚Deponentia‛ Die ein bedeutung ablegen, ‚Communia‛ Gemeine uerba, die da einwirckend ding bedeuten ode ein leidens.“ [C6r-C6v]
Das Adverb, („das beywort oder ein anhang des uerbi“) hat die traditionelle donatsche Definition, wonach es Wörter seien, die dem Verb hinzugefügt seine Bedeutung verdeutlichen und ausfüllen (‚explanat atque implet‛). Im Kommentarteil wird die Frage gestellt, warum sie an dieser Stelle erscheinen, und die Begründung lautet, dass sie niemals weit vom Verb stehen (‚nunquam á verbo recedit‛). Der Tatbestand, dass die Adverbien nie ohne Verb vorkommen, die Verben aber nicht unbedingt ein Adverb brauchen, wird ebenfalls bemerkt. Die Funktion bzw. der Gebrauch (‚usus‛) der Adverbien wird nochmals im Kommentarteil dadurch erklärt, dass sie zur Vervollkommnung und zum Schmuck zu den Verben oder zu anderen Wörtern hinzugefügt werden. Ihrer Herkunft nach teilt Culmann sie in ‚primitiva‛ und ‚derivativa‛.
Ihre Akzidentien sind die drei der AM: Bedeutung, Komparation und Figur. Mit der ‚figura‛ wird die Wortbildung gemeint, und es wird das ‚Simplex‛ und das ‚Compositum‛ unterschieden. (D4r) Die Bedeutungsgruppen der Adverbien sind die von Donatus: ‚loci, temporis, numeri, negandi, affirmandi, demonstrandi, optandi, hortandi, ordinis, interrogandi, similtudinis, qualitatis, quantitatis, dubitandi, personalia, vocandi, respondendi, separandi, iurandi, eligendi, congregandi, prohibendi, euentus, comparandi‛. [C8v]
Dann wird jede dieser Bedeutungen ausgearbeitet und mit einer muttersprachlichen Umschreibung versehen: z.B. ‚loci‛„die ein stell oder ort angeben“, ‚temporis‛„die ein Zeit bedeuten“, ‚negandi‛„die nein oder verleugnen bedeuten“, ‚affirmandi‛„damit man ia sagt“ usw. Zu jeder Gruppe werden Beispiele gegeben, zunächst die der AM, dann im Kommentartext sehr umfangreiche Listen von weiteren Adverbien aus der grammatischen Literatur der Spätantike.
Nachstehend wird kurz die Komparation der Adverbien behandelt, mit dem Zusatz, dass nicht alle Adverbien kompariert werden können. Bevor die nächste Wortart besprochen wird, kommt den Lokaladverbien noch eine besondere Erläuterung zuteil, in der die Bedeutungen ‚in loco, de loco, ad locum‛ und ‚per locum‛ unterschieden werden. ([C8r] - D4v)
Der folgende Abschnitt über das Partizip („Das mitgenoss“) beginnt mit der Definition aus der AM, es sei ein Wort, das sowohl an Verben als auch an Nomina teilhat. Ihm kommen die Akzidentien ‚genus, casus, tempus, significatio, numerus‛ und ‚figura‛ zu: vier Genera, sechs Kasus, drei Tempora, zwei Numeri und zwei Figuren. Das alles nach Donatus, aber nachfolgend wird im Kommentarteil Näheres über die Bedeutung der Partizipien geliefert. Sie sei dem ‚genus verbo‛ vergleichbar, und es gebe also die gleichen Typen wie beim Verb: ‚Activa, Passiva, Neutra, Deponentia‛ und ‚Communis‛. Diese werden dann im Einzelnen behandelt. Danach folgt die Musterkonjugation des Partizips ‚legens‛. (D5r – E1v)
Zu der Konjunktion liefert das Methodus den Text der AM: es sei ein Wort, das den Satz verbindet und ordnet ‚annectens, ordinansque sententiam‛. (am Rand: „Das bandt das anknuppft und den sententz ordenet“). (E1v) Die drei Akzidentien ‚potestas, figura‛ und ‚ordo‛ werden gemäß der AM gegeben, aber dann folgt wieder ein Einschub, in dem nähere Erläuterungen gegeben werden. Die Wortherkunft des Terminus wird erläutert: „Unde dicitur coniunctio? A coniungendo, quod coniungat elocutionem.“ (E1v)
Die Bedeutungsgruppen der Konjunktionen sind die traditionellen fünf der AM: „copulativas („die zusamen fugen“), disiunctivas, („die voneinander scheiden“), expletivas („die den sententz ausfullen oder die rede schmucken“), causales („die ein ursach fur wenden“), rationales („die ein ursach anzeigen warumb“)“. (E2r). Zu den einzelnen Gruppen gibt Culmann die gleichen Beispiele wie Donatus. Im Kommentartext heißt es, dass mit ‚potestas‛ nichts anderes als die Bedeutung der Konjunktion gemeint ist. Im nächsten Absatz werden die vor- und nachgesetzten Konjunktionen unterschieden und aufgezählt. Unter ‚communes‛ versteht man diejenigen, „die man vor oder nach setzen mag“. (E2v – E3r)
Die Präpositionen werden laut der AM als Wörter definiert, die in Verbindung mit anderen Wörtern ihre Bedeutung ergänzen, ändern oder verringern „Pars orationis quae preposita alias partibus in oratione, significationem earum aut complet, aut mutant, aut minuit.“ (E3r). Es folgen Listen von Präpositionen mit dem Akkusativ, dem Ablativ oder mit einem von beiden. In diesem Zusammenhang werden die deutschen Interpretamente nicht am Rande, sondern zwischen den Zeilen des lateinischen Textes gegeben. (E3r – E5r)
Zuletzt kommen die Interjektionen (am Rande: „Der einwürffung“), die einen Affekt des Gemütes in ungeregelter Weise bedeuten, ‚significans mentis affectum voce incognita‛. Der Terminus wird etymologisch erklärt, es seien Wörter, die in der Rede zwischen anderen Wörtern eingeschoben werden, ‚interiacet aliis partibus in oratione‛. (E5v) Das einzige Akzidens der Interjektionen ist die Bedeutung, von denen die AM die der Freude, des Schmerzes, der Bewunderung und der Furcht angibt, (‚laetitiam, dolorem, admiratione, metum‛). Im Kommentarteil erläutert Culmann, dass die Interjektionen ebenso viele Bedeutungen haben, wie es Affekte gibt, und bringt zu den obigen die des Lachens (‚ridentis‛) und der Entrüstung (‚indignantis‛) hinzu. (E5v – E6r)
Nach diesen Wortartkapiteln folgen in Kursivschrift, d.h. als Kommentare oder Zusätze zu der AM, Musterkonjugationen von den Verben ‚amo, doceo, lego, audio‛, und den unregelmäßigen ‚fero, sum‛ und ‚volo‛. (E6r) Dabei stehen am Rand deutsche Interpretamente, etwa beim Futur von ‚amo‛, „‚amabo‛ Ich werde oder wil lieben“. Bei vielen dieser lateinischen Verbformen, etwa beim Optativ, muss der Autor sich mit Umschreibungen behelfen: „‚utinam amarem‛ wolt Gott das ich liebte“. ([E7v])
Das Kapitel über die ‚verba impersonalia‛ schließt diese Grammatik ab. Sie sind nach den Konjugationen geordnet und werden jeweils mit deutschen Übersetzungen versehen, z.B.: „‚Constat constitit‛ Es ist am tag […] ‚Poenitet poenituit‛. Es gerewt […] ‚Incipit incepit‛ Es fecht an […] ‚Conuenit‛ Es bekömt oder fügt sich.“ Als Musterparadigma gibt der Autor das Verb ‚poenitet‛ (‚bereuen‛) in allen Tempus- und Modusformen. (H5r- H8r)
Diese Grammatik gehört zu den zweisprachigen Kompendien der Frühen Neuzeit, die aus der Unterrichtspraxis erwachsen sind, und gleicht vielen Donatus-Kommentaren jener Zeit. Ein ähnliches Konzept liegt u.a. in dem fast gleichnamigen Grammaticae Methodus (später auch als Aelii Donati Methodus) von Glarean(us) (d.h. Heinrich Loriti) aus dem Jahr 1527 vor. 11 Auch Glarean hat den Text der Ars minor mit Kommentarabschnitten versehen, die zusätzliches Material aus der grammatikographischen Tradition hinzufügen.
Der Methodus von Culmann besteht aus abwechselnden Abschnitten aus der AM des Donat – in der damals überlieferten Fassung, vermutlich von Glarean – und Kommentaren bzw. Ergänzungen dazu. Diese stammen aus unterschiedlichen Quellen, die der Autor an der jeweiligen Stelle nicht nennt, obwohl er ausgiebig zitiert. Culmann führt allerdings eine als ein Quellenverzeichnis auslegbare Liste Index scriptorum grammaticorum im Anhang einer anderen grammatischen Schrift, dem Exercitium, auf (s. oben Anm. 8).
Die etymologischen Angaben zu den Wortarten entsprechen denjenigen von Priscian und Remigius. 12 An vielen Stellen scheint der Text im Kommentarteil ähnliche Gedanken aufzugreifen, wie sie Johannes Despauterius in seiner Rudimenta vorgetragen hatte, aber offenbar ist auch aus der Doctrinale totius grammatices 13 geschöpft worden.
Culmanns Grammatik ist nur wenige Jahre nach Melanchthons Grammatica Latina herausgekommen, aber zwischen ihnen besteht offenkundig keine direkte Abhängigkeit Das Gemeinsame dieser beiden Schriften gehört zum Allgemeingut der grammatischen Tradition.
Es handelt sich bei dieser Grammatik nicht um ein eigenständiges Werk, da sie zuvorderst ein Kommentar zu der AM des Donat darstellt. In ihrem Bemühen um eine übersichtliche Darbietung des grammatischen Materials und in der Ausführlichkeit der Paradigmen zugunsten des Lerners hat sie sehr wohl einen Platz in der Geschichte der frühneuzeitlichen Grammatiken verdient.
In diesem konfessionellen Zeitalter gab es nicht nur Differenzen zwischen den Katholiken und den Protestanten, sondern innerhalb der protestantischen Lehre entstand ebenfalls Zersplitterung, und es konnte durchaus vorkommen, dass die konfessionelle Position eines Autors auf die Rezeption seiner Bücher Einfluss ausübte, selbst wenn es sich nur um eine Elementargrammatik handelte. Diesen Umstand können wir auch angesichts des Methodus nicht ausschließen. Er war zudem fast zeitgleich mit Melanchthons Grammatica Latina herausgekommen und hatte deshalb von vornherein eine überragende Konkurrentin auf dem grammatischen Feld, zumindest im protestantischen Deutschland.
Obwohl das grammatikographische Schaffen Culmanns nicht als unbedeutend eingeschätzt werden kann, scheint es, dass Culmann in der modernen Zeit nahezu ins Vergessen geraten ist. Lediglich Matthias Senger (1977 und 1979/1982), der ihn als einen der bekanntesten Schulbuchautoren des 16. Jahrhunderts betrachtet, 14 hat sich eingehend mit seinem Schaffen, vornehmlich aber mit seinen dramatischen Schriften befasst. Gerhard Pfeiffer referiert das ansonsten nicht leicht zugängliche Werk Sengers aus dem Jahr 1979/1982 in seinem Aufsatz (1981) und schließt sich der Ansicht Sengers an. Erika Ising und Helmut Puff haben Culmann in ihren Darstellungen der lateinisch-deutschen Grammatiken ebenfalls beachtet. Unser Autor erscheint aber weder in den vornehmlichen Nachschlagewerken und Handbüchern noch ist sein grammatisches Schaffen in den Fokus von umfangreicheren Einzeldarstellungen geraten.
1 Die Seitenzahlen in unserem Text beziehen sich auf diesen Druck.
2 Vgl. hierzu Senger (1979 zit. nach. Pfeiffer 1981:325f.)
3 Nach anderen Angaben wurde er 1546 auf eigenen Wunsch vom Amt des Schulmeisters enthoben, um sich auf die Stelle als Prediger vorzubereiten (Nürnberger Künstlerlexikon Bd. I 2007: 236).
4 Dabei handelte es sich um eine Meinungsverschiedenheit bezüglich der Rechtfertigungslehre. Der von dem protestantischen Theologen Andreas Osiander vorgetragene Standpunkt wurde von Philipp Melanchthon und seinen Anhängern nicht gebilligt.
5 Über das Gespräch Culmanns mit Hieronymus Baumgärtner und anderen wurde Protokoll geführt. Siehe dazu Strobel 1790:93ff. Vgl. zu der Auseinandersetzung auch MBW 6668, 6669, 6725.
6 Zum Lebenslauf, Geburts- und Todesjahr Culmanns gibt es unterschiedliche Daten. Senger 1979 entscheidet sich für die Geburtszeit 1500/01, zit. nach Pfeiffer 1981:322. Bei Senger (1977: 145) ist die Zeitspanne seines Lebens auf ca. 1500-1561 geschätzt. Viele Quellen, u.a. die ADB und FNiD, geben das Todesjahr 1562 an. Vgl. zum Lebenslauf die leicht divergierenden Angaben in MBW: 324, NKL: 236, Ising 1970: 82f., Senger 1977 und Senger 1979 zit. nach Pfeiffer 1981.
7 Im Bestand der HAB; Standort: Signatur: H: P 854.8° Helmst. (3).
8 Grammatices latinae exercitium novum (1541: o2v-04r) Zu dem Verzeichnis ausführlich Senger (1977:146-161). ̶ Eine ähnliche, aber viel knappere Liste findet sich bei Despauterius in der Vorrede seiner Grammaticae institutionis pars prima (1522: a1v). Eine ausführliche und zeitlich geordnete Aufzählung ist bei Thomas Robertson in seiner Ausgabe der Grammatik von William Lily Gulielmi Lilii De latinorum nominum generibus, de verborum praeteritis et supinis… (1532: A4v- A5v) zu finden.
9 Senger (1979), zit, nach Pfeiffer (1981:326). Senger (1985: 777ff.) bespricht den Inhalt dieser Sammlung.
10 Dieses Merkmal zur Erkennung von Substantiven kennen wir schon aus den Grammatiken des 15. Jahrhunderts, u.a. aus der Exercitium puerorum
11 Glareanus gab 1527 das Grammaticae methodus ut succinctissima, ita et utilissima, eruditissimaque videlicet, Donati de octo orationis partibus Libellus heraus, das auf dem Titelblatt erklärt, es sei eine emendierte Fassung der AM, die früher verunstaltet worden sei.
12 Unter Remigius verstehen wir hier einen seit dem Spätmittelalter verbreiteten Text mit variierendem Inhalt. Welche Fassung Culmann vorlag, kann nicht ermittelt werden.
13 Dabei handelt es sich um eine vereinfachte Prosa-Bearbeitung des Lehrgedichtes Doctrinale von Alexander de Villa Dei bzw. eine AM-Ausgebe, die zuerst anonym herauskam und später mit Hermann Torrentinus’ Namen erschienen ist.
14 Besonders in Bezug auf die Sententia pueriles, s. Senger 1977:145, Anm. 2.