Johannes Rhenius: Compendium Latinae Grammaticae Pro Discentibus.
Aino Kärnä. TEI-Kodierung durch Jenny Malinen

Inhaltsverzeichnis

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  1. Überlieferung
    1. Standorte (Auswahl):
  2. Verfasser
  3. Inhalt
  4. Kontext und Klassifizierung
  5. Rezeption
  6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur

1. Überlieferung[arrow up]

Die Erstauflage der Grammatica nova. von Bernhard Perger (1479) ist verschollen. Der erste überlieferte Druck stammt aus Venedig wahrscheinlich aus dem Jahr 1480 und die erste uns überlieferte Ausgabe mit Datum und Ortsangabe kommt aus Passau (Patavii), aus dem Jahr 1482 (Schwarz 1913:136f., Hain 12608) 1 . Danach wurde sie 1494 - 1502 fast jährlich hauptsächlich im Süden des deutschsprachigen Raums gedruckt. Exemplare dieser Grammatik sind heute relativ häufig unter den Rara- bzw. Inkunabelbeständen führender europäischer Bibliotheken zu finden.

Die frühen Ausgaben weisen außer typographischen Differenzen untereinander keine beachtenswerten Unterschiede auf. Die späteren, v.a. die postumen Ausgaben dagegen sind auch inhaltlich beträchtlich umgearbeitet, und zwar in Richtung Niccolò PerottisRudimenta. 2 . Späteren Editionen sind die Prosodie und Metrik von Jacob Wimpfeling (anonym) hinzugefügt worden. Auch alphabetische Register und Indizes sind in den späteren Ausgaben dazugekommen.

1.1. Standorte (Auswahl):[arrow up]

2. Verfasser[arrow up]

Über das frühe Leben Bernhard Pergers (auch: Bernardus / Bernhard Perger von Stainz, von Stanz, von Stentz, von Stencz, Magister artium Perger de Stanz, Perger de Stainz, Bernard Pergerl) ist wenig überliefert. Er ist um 1440 wahrscheinlich in der slowenischen Steiermark geboren 3 und begann sein Studium im Jahre 1459 in Wien. Dort machte er 1462 sein Bakkalaureat und ein Jahr später das Lizentiat. 1464 - 1467 unterrichtete Perger neben seinen eigenen medizinischen Studien mathematisch-geometrische Fächer an der Wiener Universität. (Simoniti 2008: 297, 306; Luger 2016:136). Ab 1475 gab er an der artistischen Fakultät Vorlesungen über lateinische Autoren. Bald darauf nahm er das Jurastudium auf und erwarb nach zwei Jahren zunächst das Bakkalaureat und anschließend das Lizentiat im kanonischen Recht. Gleichzeitig war er Schulmeister und Rektor an der St. Stephansschule, die in enger Verbindung mit der Universität stand. 1478 amtierte er als Dekan der artistischen Fakultät und übernahm im Jahr darauf den Posten des Rektors der Universität. Während seiner Lehrtätigkeit hat er sein Hauptwerk, die Grammatica nova verfasst, die erstmals in Venedig gedruckt wurde.

Perger hat sich nicht nur für die lateinische Sprache, sondern ebenso für das Griechische interessiert, was aus dem Briewechsel mit dem damals führenden Gräzisten Johannes Reuchlin hervorgeht (Luger 2016: 145). Außerdem hat Perger einen dem Kaiser Friedrich III. gewidmeten astronomisch-astrologischen Kalender für die Jahre 1482 bis 1500 angefertigt.

Etwa zeitgleich mit der Fertigstellung des Kalenders 1482 trat Perger in den kaiserlichen Dienst in Wien und schlug damit eine administrative Laufbahn ein. Er wirkte als Protonotar der kaiserlichen Kanzlei, in einer Stellung, die auch diplomatische Aufgaben und damit verbundene Reisen involvierte. Eine Reihe von ihm verfasste Urkunden sind aus dieser Zeit erhalten (Faustmann/ Luger 2012: 133, Luger 2016: 136). Auch die im Dezember 1493 gehaltene Leichenpredigt auf Kaiser Friedrich III. „Oratio in funere sancte memorie Friderici III.“ — „Kayszer Friederichs begencknus“ ist erhalten.

Um 1490 war Perger Stadtanwalt im Wiener Stadtrat und 1492, aus dem Dienst des Kaisers ausgeschieden, wurde er zum Superintendenten der Wiener Hochschule ernannt. Perger behielt seine Stellung als Superintendent auch unter dem neuen Kaiser, Maximilian I. Dieser unterstützte Pergers Ziel, humanistische Neuerungen durchzuführen und die Wiener Universität den italienischen anzugleichen. Perger hat z.B. öffentliche Diskussionsabende eingeführt, die zunächst erfolgreich waren, dann aber zu Unruhen führten und eingestellt werden mussten. Seine Berufungen von auswärtigen, italienischen Humanisten waren ebenfalls nicht immer erfolgreich. (Aschbach 1877:45, 56 f.) Perger starb 1497 in Wien (Luger 2016: 137).

Das Todesjahr Pergers wird in älteren Quellen auf 1502 geschätzt (u.a. Grossmann, >Krones, ADB), aber Luger (2016: 142) weist anhand von neu aufgedeckten Belegen sehr glaubwürdig nach, dass Perger bereits im Jahre 1497 in Wien gestorben ist.

3. Inhalt[arrow up]

Perger hat diese Grammatik mit seinen Kollegen verfasst, deren Namen nicht genannt werden. Sie geben an, die Grammatik von Nicolai Perotti Rudimenta. annähernd übersetzt (‚fere transferentes‛) und einige Stellen genau nachgeschrieben (‚in quibusdam locis penitus imitantes‛) zu haben. Unbekannte Eigennamen seien mit geläufigeren ersetzt. (a2r) 4 In späteren Ausgaben ist ebenfalls von einer ‚Übertragung‛ (‚translatum‛) der Grammatik von Nicolaus Perotti die Rede (1485: Kolophon, 1487/88: Titelblatt). Diese Aussage trifft allerdings nur zum Teil zu, denn Perger hat sich keineswegs genau an seine Vorlage gehalten. Viele Definitionen und Regeln sind zwar wörtlich übernommen, doch an vielen Stellen ist der Text vereinfacht und gerafft. (Vgl. auch Jensen, 1997:71f.)

Das Originalwerk besteht aus drei Teilen, der Morphologie, der Syntax und der Brieflehre 5 . In den Ausgaben vor 1500 geht der Grammatik eine kurze Vorrede des Buchhändlers Johannes Cassis voran. In dem darauffolgenden Vorwort Pergers und seiner Kollegen ‚Prefacio in artis grammatica introductorium‛ nehmen die Autoren kritisch Stellung zu der Lage des scholastisch geprägten Lateinunterrichts: die Jugendlichen müssten sich mit langen Ausführungen und subtilen Regeln beschäftigen, ohne Rücksicht auf ihr Alter und ihre Kenntnisse, wobei sie nicht einmal die Regeln des ‚Alexander Gallicus‛ (d.h. mit dem Doctrinale. von Alexander de Villa Dei) beherrschten. Dabei würden unvermeidlich die Lehren von Priscianus und Donatus vernachlässigt. Deswegen stellten sie hier eine Grammatik vor, deren Vorlage die gelehrte und doch verständliche Rudimenta. von Nicolai Perotti sei. Da diese aber für die Italiener geschrieben sei, werde sie jetzt für die deutsche Jugend übertragen. Das Ziel sei, kurz und klar alles darzustellen, was Priscian und Donat und andere Autoren in ihren umfangreichen Büchern lehren.

Der Text fängt traditionellerweise mit einer Definition der Grammatik an: ‚recte scribendi loquendique scientia, quae et litteraria dicitur, omnium artium liberalium origo et fundamentum‛. Entsprechendes findet sich auch bei Perotti, aber Perger hat die Definition gekürzt und umformuliert 6 . Anders als Perotti, macht Perger nicht von dem Frage-Antwort-Muster Gebrauch, sondern schreibt einfache Aussagesätze.

Es folgen die Buchstaben, eingeteilt in Vokale, Konsonanten und Semivokale. Perger sieht von der Definition der Begriffe ‚littera, vox, syllaba, dictio und oratio‛ ab 7 , und der Text geht gleich zu den acht Wortarten über, die in der Reihenfolge ‚nomen, verbum, participium, pronomen, adverbium, interiectio, praepositio, coniunctio‛ aufgezählt werden 8 . Sie werden in Deklinierbare und Undeklinierbare gegliedert. (a3r)

Das Nomen wird zunächst nach der ars minor morphologisch-semantisch definiert als ein Wort mit Kasus, das Gegenstände oder Sachen bezeichnet. Die Nomina werden – anders als bei Perotti – sogleich in Adjektive und Substantive eingeteilt je nachdem, wie viele Genera bzw. Artikel (‚articulare‛) ihnen zukommen. Es werden sechs Akzidentien aufgezählt: ‚Qualitas, compartio, genus, numerus, figura‛ und ‚casus‛, die anschließend näher erörtert werden. Dabei folgt Perger seiner Vorlage ziemlich genau; nur an einzelnen Stellen sind italienische Beispiele durch andere ersetzt (Pyrrhus -> Bernardus, Paulus -> Andreas). Deutsche Übersetzungen für grammatische Termini kommen nur vereinzelt vor: ‚cognomen‛‚ein zwe namen‛. (a3r)

Der Beschreibung des Superlativs (der Komparativ wird an dieser Stelle übergangen) folgen die Regeln zu den Genera, derer sieben unterschieden werden: ‚masculinum, femininum, neutrum, commune, omne, promiscuum‛ und ‚incertum‛ bzw. ‚dubium‛. (a3v) Wie Perotti, gibt auch Perger eine nummerierte Liste von Regeln, nach denen das Genus bestimmt wird. Die Blickrichtung ist aber anders: Perotti fragte nach dem Genus bestimmter Beispielwörter und gab die Regel dazu: („Pyrrhus cuius generis? – Masculini. Quare? Quia omnia nomina propria uirorum cuiuscunque sint terminationis, masculini sunt generis.“) Perger hingegen bietet erst die Regel und dann die zugehörigen Beispiele: „Prima regula. Omnia nomina propria virorum sunt generis masculini, ut Petrus, Hector, Hercules9 (a3v). Danach folgen nummerierte, auf der Wortbedeutung beruhende Regeln über die Genusbestimmung. Angeschlossen ist eine ausführliche Besprechung der Endungen, die mit einem bestimmten Genus zusammenhängen. Neben den regulären Fällen werden auch jeweils Ausnahmen genannt (a4v - a6r) Es folgt jeweils ein Absatz über die Komparation, ein Satz über den Numerus, eine kurze Erläuterung der Wortbildungstypen und der Kasus. (a6v-a7r)

Eine Darstellung der Deklinationen folgt. Ihr geht ein Einschub voraus, der bei Perotti nicht vorkommt, wohl aber in den spätantiken grammatischen Schriften registriert ist: die Einteilung der Nomina je nachdem, wie viele Kasusformen sie aufzeigen. Der nächste Absatz stellt die fünf Deklinationen vor. Perger führt die Wortendungen jeder Deklination nacheinander auf. Die heteroklitischen Formen, defektive Nomina, Patronymika und griechische Nomina werden traditionell aufgeführt. (b4r ff.) Die Verbalnomina schließen den Absatz über die Nomina ab. (b7r)

Die Definition des Verbs lautet: „Pars orationis declinabilis cum temporibus et modis sine casu, actionem, passionem vel neutrum significans“ ([b7v]). Der Wortlaut unterscheidet sich nur gering von dem Perottis. Pergers Zusatz vel neutrum stammt offenbar von Donatus. Perotti nennt sie nicht in seiner Definition, behandelt aber die ‚verba neutra‛. Beide verwenden zur Definition dieser Wortart sowohl formale als auch semantische Kriterien und keiner von beiden weicht erheblich von der Definition Donats ab.

Die Verben zerfallen bei Perger in zwei Klassen, ‚personale‛ und ‚impersonale‛. Nach der Liste der acht Akzidentien ‚genus, tempus, modus, species, figura, coniugatio, persona‛ und ‚numerus‛ folgt ihre Behandlung im Einzelnen. Das ‚Genus verbi‛ umfasst die Kategorien ‚activum, passivum, deponens, neutrum‛ und ‚commune‛.

Perotti hatte fünf Tempora, Perger dagegen drei: ‚presens, preteritum, futurum‛. Allerdings zerfällt das Präteritum in drei weitere: ‚preteritum perfectum, preteritum imperfectum‛ und ‚preteritum plusquamperfectum‛, so dass es insgesamt auf die gleichen fünf kommt. Perger gibt zu den Belegen deutsche Interpretamente: ‚legebam‛, ‚ich las‛; ‚legi‛, ‚ich hab gelesen‛; ‚legeram‛, ‚ich het gelesen‛; ‚legam‛, ‚ich wirt lesen‛. (b8r)

Es werden fünf Modi unterschieden: ‚indicativus, imperativus, optativus, subiunctivus‛ und ‚infinitivus‛. Danach folgen die ‚species‛ der Verben, die traditionell in zwei zerfallen: Primitiva und Derivativa. Die letzteren werden weiter in ‚inchoativa, frequentativa, meditativa, desiderativa‛ und ‚diminutiva‛ aufgeteilt und im Einzelnen erläutert. (c3r -c4r) Die drei Personalformen des Verbs sowie ihre Numeri werden kurz erwähnt, bevor Endungen von Verben besprochen werden. Dieser Absatz und der nächste über die ‚Supini verborum‛ (c4r – c5r) unterscheiden sich von den Ausführungen Perottis. Perger bringt zwar auch eine Liste von Verben, die kein Supinum aufzeigen, aber der Text unterscheidet sich erheblich von dem Perottis.

Unter der Überschrift ‚De verbis defectivis‛ (c5v) bringt Perger irreguläre Verbkonjugationen, wie ‚sum, volo, fero‛ und ‚edo‛, die auch bei Perotti behandelt wurden. 10 Hinzu kommen ‚nolo, malo, faro, cedo‛ u.a., die Perotti nicht aufführt.

Das Partizip wird gleichlautend mit Priscian und Perotti als ein deklinierbares Wort mit Kasus und Genus definiert, das an Stelle eines Verbs gesetzt wird, aus dem es herstammt, und wie die Nomina ein Genus und Kasus aufzeigt. Pergers Formulierung zu den Ähnlichkeiten mit dem Verb lautet: et tempus et significationem ad similtudinem verbi. Die Akzidentien sind die traditionellen: ‚genus, casus, tempus, significatio, numerus‛ und ‚figura‛. ([c6r]) Diese werden zwar vorgestellt, aber der Text ist wieder erheblich kürzer als in Perottis Rudimenta. . Die Ableitung der Partizipialformen aus den Verben wird kurz erörtert, bevor auf ihre Bedeutung näher eingegangen wird. ([c6v])

Laut der Definition Priscians sind die Pronomina deklinierbare Wörter, die für einen Eigennamen gesetzt werden und definite Personen erhalten. Dieser Formulierung, die sowohl formale als auch funktionale Kriterien berücksichtigt, folgen Perotti und Perger. Letzterer fügt hinzu: „sie werden also relativ oder demonstrativ verwendet und es gibt ihrer fünfzehn“. Die Akzidentien sind ‚species, persona, genus, numerus, figura‛ und ‚casus‛. ([c7r]). Sie werden anschließend angeführt: zwei ‚species‛, die Primitiva und die Derivativa, die fünf Genera (‚masculinum, femininum, neutrum, commune‛ und ‚omne‛), die ‚numeri‛, die drei Personen und die zwei Figuren (‚simplex‛ und ‚compositum‛), die Kasus und die Deklination. Hinzu kommen Bemerkungen zu den Pronomina ‚quis‛ und ‚quid‛. All das fast wörtlich aus den Rudimenta, nur die Reihenfolge ist anders und der Absatz insgesamt kürzer gefasst.

Das Adverb erhält zunächst die aus Perotti bzw. Donatus übernommene Definition, wonach das Adverb ein nicht-deklinierbares Wort ist, das dem Verb hinzugefügt wird und dessen Bedeutung erläutert und ausfüllt. Den Zusatz ‚indeclinabilis‛ (in Vergleich zu Donat) hatte auch Perotti. Als Nachtrag folgt eine von Perotti entliehene etymologische Begriffserklärung, die seine syntaktische Stellung mit einbezieht: „Et vocatur adverbium quia in constructione orationis stat ad verbum vel iuxta verbum.“ (c8r) Die Akzidentien des Adverbs sind bei Perger ‚significatio, comparatio‛ und ‚figura‛. Er hält sich also dabei an Donatus; Perotti dagegen hatte die Ansicht Priscians vorgezogen, wonach die Akzidentien des Adverbs ‚species, significatio,‛ und ‚figura‛ seien. Dies führt zu einer unterschiedlichen Behandlung des Stoffes, da Perger zunächst die Bedeutungsgruppen bespricht und erst danach die Wortbildung und ihre etymologische Herkunft. Die nachfolgenden Subklassen der Adverbien entsprechen der Aufzählung der Ars minor, der auch Perotti gefolgt war. Ihnen folgt ein Abschnitt über die Komparation der Adverbien sowie zu ihrer Wortbildung (‚De figura‛) [c8v].

Priscians Definition zu den Präpositionen besagte, dass sie anderen Wörtern vorangestellt werden, entweder als Zusatz oder in Zusammensetzungen, d.h., dass einige Präpositionen nicht mit dem Wort, mit dem sie verbunden werden, zusammenschmelzen, andere dagegen dies tun und ein zusammengesetztes Wort bilden. Diese Definition haben sowohl Perotti als auch Perger übernommen. Das einzige Akzidens ist der Kasus: Akkusativ oder Ablativ. Anders als Perotti, zählt Perger die Präpositionen mit verschiedenen Kasus nicht auf, sondern gibt nur ihre Anzahl an und verweist auf Donatus. ([d1r])

Pergers Definition der Konjunktionen unterscheidet sich von der Perottis, der sie ganz traditionsgemäß als Redeteile, die Sätze verbinden und ordnen, definiert. Perger bedient sich ausnahmsweise des instrumentalen Ablativs und sagt, dass es undeklinierbare Wörter sind, die andere Redeteile kraft ihrer Bedeutung oder Ordnung verbinden „pars orationis indeclinabilis coniungens alias partes orationis vi vel ordine“. Ansonsten fasst sich Perger auch an dieser Stelle kurz und gibt an, dass die Konjunktionen über drei Akzidentien verfügen: ‚potestas (que significatio dicitur), figura‛ und ‚ordine‛. Er hält sich dabei also an Donatus. Perotti hatte ‚speties‛ statt ‚potestas‛, womit aber das gleiche gemeint war, nämlich die Bedeutung. An diesem Punkt bezieht Perger sich explizit auf Donatus, der die 18 Bedeutungen, die Priscian aufführte, auf fünf reduziert habe: ‚copulativa, disiunctiva, expletiva, causales & rationales‛. ([d1r -d1v])

Die Interjektionen werden als invariable Wörter dargelegt, die eine Leidenschaft oder eine Erregung des Gemüts bedeuten: „pars orationis indeclinabilis passionem aut affectum animi significans“. ([d1v]) Der Wortlaut unterscheidet sich sowohl von Donat als auch von Priscian und Perotti. Alle diese Grammatiker versuchen jedoch, die Interjektionen auf eine oder andere Weise als Ausdruck von Gemütsbewegungen zu charakterisieren. ({d1v])

Vor dem zweiten Teil der Grammatik, der Syntax, ist ein Schreiben des Matteus Moretus an Johannes Cassis eingefügt, welches der Grammatik ein großes Lob ausspricht.

Das zweite Buch gibt einundzwanzig Regeln über syntaktische Fragen: über die Kongruenz des Adjektivs mit dem Beziehungssubstantiv im Genus, Numerus und Kasus, über die Verbindung zweier Substantive durch eine Konjunktion oder durch den Genitiv, über syntaktische Verbindungen mit einer Komparativform, über Verbindungen mit dem Superlativ und über das Relativum und Interrogativum. (A1r – A3v) Zu jeder Regel gibt es Beispiele, die er manchmal mit einer Übersetzung versehen sind. Diese Ausführungen weichen erheblich von denen der Rudimenta ab, aber sie sind bereits aus mittelalterlichen Schultexten bekannt. Perotti hat zwar entsprechende Punkte ebenfalls behandelt, aber ganz unterschiedlich und an anderer Stelle. Es scheint, dass Perger hier entweder eigene Wege eingeschlagen oder – wahrscheinlicher noch – ein anderes grammatisches Modell herangezogen hat.

Das Kapitel über die ‚verba impersonalia‛ (B2r) gibt neben den lateinischen Sätzen die deutschen Übersetzungen dazu: ‚Quid mea iustet‛ – ‚Was get es mich an‛. ‚Tua nihil refert‛ – ‚Es get dich nichs an‛. Entsprechend werden die Sätze mit dem Genitiv und Dativ mit deutschen Interpretamenten erläutert. In diesem Kapitel werden neben anderen syntaktischen Regeln die Bedeutungen der Konjunktionen nachgeholt ([C3r]).

Das nächste Kapitel ([C4v- D6v)] behandelt unterschiedliche Konjugationstypen von Verben. Dieses Kapitel lehnt sich wieder stark an Perotti an, und die Verblisten stimmen mit seinen überein. In einigen Beispielsätzen sind die Vornamen durch bekanntere ersetzt: Pyrrhus -> Petrus, Penelope -> Johann. Vereinzelt werden ganze Sätze in der Muttersprache geliefert. Die Besprechung vieler syntaktischer Fragen, die Redefiguren und die Satzzeichen, die Perotti behandelt, hat Perger an das Ende seiner Grammatik verlegt.

Als drittes Buch erscheint eine lateinisch-deutsche Brieflehre ([D7r ff.]), in der die Volkssprache ausgiebig zum Einsatz kommt. Diese Brieflehre wäre einer eigenen Beschreibung wert und soll hier nicht im Einzelnen besprochen werden.

Die Redefiguren, die oben ausgelassen wurden, finden in der Grammatica nova nach der Brieflehre ihren Platz. Die verschiedenen Redefiguren bzw. sprachlichen Fehler, die Barbarismen und Solözismen sowie ihre Typen werden eingehend besprochen. Dieses Kapitel hat viele Punkte aus Perottis Rudimenta grammatices. übernommen, aber auch Einiges geändert.

4. Kontext und Klassifizierung[arrow up]

Die hier vorliegende Grammatik, die Grammatica nova, ist die erste im deutschen Sprachraum entstandene humanistische Grammatik. Sie setzt Elementarkenntnisse voraus – die Ars minor. des Aelius Donatus oder das Doctrinale puerorum. von Alexander de Villa Dei – und ist somit für den fortgeschrittenen Unterricht zugeschnitten. Es handelt sich um ein umfassendes Werk, das sowohl die Grammatik (Wortkunde und Syntax) als auch eine Stilistik und eine Brieflehre enthält. Der Autor, Bernhard Perger, Lehrmeister, Rektor und Superintendent an der Wiener Universität, zählt zu den frühen Vertretern des österreichischen Renaissance-Humanismus, der besonders für die Reform des Lateinunterrichts eintrat.

Das Ziel dieser Grammatik ist, die mittelalterlichen Lehrbücher, das Doctrinale einerseits und seine scholastischen Kommentare andererseits, im Sprachunterricht zu ersetzen. Um diese Zeit sind eine Reihe von Humanistengrammatiken erschienen, die sich das gleiche Ziel setzten: in Italien haben Autoren wie Niccolò Perotti, Sulpitius Verulanus, Antonio Mancinelli, Aldus Manutius und in Spanien Antonio Nebrija ihre Grammatiken in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts herausgegeben. Im deutschen Sprachraum folgten ihr Anfang des nächsten Jahrhunderts Johannes Brassicanus, Jakob Heinrichmann, Johannes Aventinus, Johannes Cochlaeus und andere. Die Zielsetzung äußert sich vor allem in den Vorreden, die sich gegen die alten Lehrwerke richten, und in dem Bestreben, die grammatischen Regeln kurz und klar darzustellen. Es muss aber festgestellt werden, dass in Wirklichkeit im Text des Öfteren auf das Doctrinale zurückgegriffen wurde.

Die Grammatica nova galt bisher in der Geschichte der Grammatikographie als eine Übertragung (‚translatum‛) der erfolgreichen Grammatik Niccolò Perottis Rudimenta grammatices. , die 1473 in Italien als Druck herauskam. Bernhard Pergers Grammatik ist nur einige Jahre später erschienen, und sie war für das deutschsprachige Publikum angelegt. Den Anstoß für diese Publikation mag ein längerer Italienbesuch Pergers gegeben haben, den er in den 70er Jahren unternommen hat (Simoniti, 1975: 210, Lhotsky 1965, Luger 2016: 136).

Die Ansicht von Perottis Rudimenta. als einzige Quelle kann nicht ohne Vorbehalt aufrechterhalten werden, denn die Grammatica nova unterscheidet sich in vielen Punkten von ihnen: Perger sieht von der katechetischen Form ab, formuliert an vielen Stellen frei, greift manchmal zu Priscian, wo Perotti Donatus verwendet und umgekehrt. Pergers Syntax weicht erheblich von der Perottis ab. Insgesamt kann festgestellt werden, dass Perger dem Text der Rudimenta nur teilweise folgt, ihn erheblich abkürzt und anders ordnet. Die Unterschiede bestehen nicht nur darin, dass die italienischen Einsprengsel und Beispielsätze mit deutschen ausgewechselt sind, sondern an vielen Stellen ist ein ganz anderer Weg eingeschlagen worden. Pergers Werk ist eher eine Kompilation aus mehreren Vorgängergrammatiken und ein Versuch, das grammatische Wissen dem Benutzerkreis anzupassen.

Allerdings haben spätere Bearbeiter die Änderungen, die Perger an Perotti vorgenommen hat, bzw. seine Entscheidungen in der Auswahl und Ausführlichkeit wieder rückgängig gemacht. Sie gaben reichlich zusätzliches Material vor allem aus den Rudimenta hinzu und brachten Pergers Grammatik somit näher an die Vorgängergrammatik. Die postumen Editionen (z.B. des Nicolaus Gerbellius 1513) unterscheiden sich weniger von den Rudimenta als die Originalausgabe. An Einfachheit und Verständlichkeit haben die postumen Editionen dadurch nicht gewonnen.

5. Rezeption[arrow up]

Das Lehrbuch war an der Druckhäufigkeit gemessen durchaus populär, denn es wurde an vielen Orten, besonders im südlichen Teil des deutschsprachigen Raumes u.a. in Augsburg, Basel, Hagenau, Heidelberg, Köln, Memmingen, Nürnberg, Reutlingen, Speyer, Straßburg und in Wien gedruckt und es kam postum bis 1513 heraus. Milway (2000: 135) nennt eine Anzahl von 12 000 Exemplaren, aber er bezieht sich nur auf 23 Drucke.

Die Grammatica nova wurde nicht nur im Schulunterricht, sondern auch in der Artesfakultät im universitären Bereich eingesetzt. Allerdings wurde sie den Urkunden nach nicht an der Wiener Universität als Pflichtlektüre vorgeschrieben, sondern als das Doctrinale 1499 aus dem Lehrplan verschwand, wurde es durch ‚Perottis Grammatik‛ ersetzt, wobei nicht auszuschließen ist, dass damit möglicherweise die hier vorliegende Grammatik gemeint war.

6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur[arrow up]


1 Den frühesten überlieferten Druck sicher zu bestimmen ist problematisch, weil das Werk anfangs undatiert, ohne Ort und Druckerangabe erschien. Ignazius Schwarz hat in seiner Studie die in Venedig, um 1480/81 gedruckte Ausgabe als die früheste erhaltene erkannt. Sie liegt dieser Beschreibung zugrunde. Zum Vergleich wurden Ausgaben aus den 80er und 90er Jahren des 15. Jahrhunderts sowie einige Drucke aus dem frühen 16. Jahrhundert hinzugezogen.

2 Vgl. hierzu z.B. die 1511 bei Joh. Rynman erschienene Ausgabe. Dort ist die Anzahl der deutschen Interpretamente ebenfalls erheblich größer als in den früheren. Die Syntax folgt jedoch der Erstauflage.

3 Angaben über seinen Heimatort variieren: nach den älteren Angaben (Aschbach und ADB) sei er in der Schweiz, nach Simoniti (1975, 2008:190) in Slowenien bzw. der slowenischen Steiermark, nach Bauch (1903:14) in der Steiermark geboren. Luger (2016:136) lässt den exakten Herkunftsort angesichts des Quellenstandes offen.

4 Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf den Venediger Druck [1480/1481] und mussten teilweise ermittelt werden, da sie im Druck nicht durchgängig vermerkt sind.

5 Seit 1485 ist dem Werk Pergers anonym und ohne sein Wissen eine Metrik angehängt, die erst seit 1505 in Straßburg bei Hupfuff separat gedruckt und Jacob Wimpheling zugeschrieben wurde. (Duntze 2007:284)

6 Bei Perotti hieß es: „Cur in arte grammatices prius instruendi sunt pueri? Quia haec est initium et fundamentum omnium disciplinarum, nec potest ad ullius rei summam nisi praecedentibus initiis perueniri. Quid est grammatice? Est ars recte loquendi recteque scribendi, scriptorum et poetarum lectionibus obseruata. […] Latine enim litteraria dicitur.

7 Die Begriffe ‚littera, syllaba, dictio und oratio‛ werden in den späteren Ausgaben (z.B. 1511) genauer erörtert.

8 Diese Reihenfolge deckt sich weder mit der von Donatus, der die Deklination nicht beachtet, noch von Priscian und Perotti, deren Indeklinabilia in der Folge Präposition, Adverb, Interjektion und Konjunktion behandelt werden.

9 Die Beispiele für Vornamen sind in späteren Ausgaben z.T. geändert, im Druck aus dem Jahr 1501 stehen hier Petrus, Nicolaus, Thomas.

10 Diese vier Verben sind in der Ianua und in der Schrift Es tu scholaris belegt. Donatus hatte ‚fero, sum, volo, Priscian fero, volo, edo‛.

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