Niccolò Perotti: Rudimenta grammatices
Aino Kärnä. TEI-Kodierung durch Jenny Malinen

Inhaltsverzeichnis

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  1. Überlieferung
    1. Standorte der Erstausgabe
    2. Weitere Ausgaben und Überarbeitungen (in Auswahl)
  2. Verfasser
  3. Inhalt
  4. Kontext und Klassifizierung
  5. Rezeption
  6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur

1. Überlieferung[arrow up]

Die Erstausgabe der Rudimenta Grammatices kam am 19. März 1473 – mehr als vier Jahre nach dem Abschluss des Manuskripts – mit dem Namen Niccolò Perotti Pontificis Sypontini Ad Pyrrhvm Perotvm Nepotem Ex Fratre Svavissimvm Rvdimenta Grammatices in Rom, in der ersten dortigen Druckerei von Conrad Sweynheym und Arnold Pannartz heraus. Sie ist außerdem unter dem Titel Grammatica Nicolai Perotti: cum additionibus regularum et metrice artis Guarini veronensis herausgekommen. Das dieser Beschreibung zugrunde gelegte Exemplar der HAB ist eine Bearbeitung von Paulus Malleolus und wurde 1501 in Köln in der Druckerei von Heinrich Quentell gedruckt. Neben den Drucken und Faksimiles liegt diese Grammatik auch als moderne Edition von W. Keith Percival vor (Link). 1

1.1. Standorte der Erstausgabe[arrow up]

1.2. Weitere Ausgaben und Überarbeitungen (in Auswahl)[arrow up]

2. Verfasser[arrow up]

Niccolò Perotti (auch Niccolò Perotto, Nicolaus Perottus, Perotus, Sipontinus, Sypontinus, Nicolas Perotti, Nicolaus Saxoferratensis), war ein italienischer Humanist, Grammatiker und Übersetzer aus dem Griechischen. Er wurde 1429 oder 1430 in Sassoferrato geboren, studierte bei Vittorino da Feltre in Mantua und bei Guarino Veronese in Ferrara und an der renommierten Universität Padua. Nach dem Studium ging er nach Rom und wirkte als Sekretär des Kardinals Bessarion. In Rom kam er in Kontakt mit dem Philologen und Professor für Rhetorik Lorenzo Valla, einem der bedeutendsten Humanisten jener Zeit. Ab 1451 gab Perotti Unterricht in Rhetorik und Poetik sowie Philosophie und Medizin an der Universität Bologna. Im Jahre 1452 wurde er zum ‚poeta laureatus‛ ernannt. Während der Zeit in Bologna war er literarisch sehr aktiv: Neben Übersetzungen aus dem Griechischen gab er Texte über die Metrik, Oden von Horaz und Epigramme von Martial heraus sowie ein Kommentar zu Plinius’ Naturalis historia. Danach schlug er eine kirchliche Laufbahn ein. Zu seinen Betätigungen gehört die Funktion als päpstlicher Gouverneur in Süditalien 1455, und im Jahre 1458 wurde er – mit nur 28 Jahren – Erzbischof von Siponto. Etwa zu dieser Zeit verfasste er seine Rudimenta grammatices und begann sich mit seinem enzyklopädischen Werk zur lateinischen Lexik Cornucopiae, zu befassen. Dieses sein Hauptwerk erschien posthum 1504. Perotti starb mit fünfzig Jahren 1480 in seiner Heimatstadt Sassoferrato.

3. Inhalt[arrow up]

Die Rudimenta grammatices erschienen zunächst ohne Vorwort. In späteren Auflagen geht der Grammatik manchmal ein Widmungsbrief voran, in Drucken aus Venedig und Bologna ist es ein Brief von Johannes Calphurnius an Antonius Moretus. Im Druck aus Lyon (ca. 1490) ist es ein Brief von Paulus Malleolus an Egidius Delphus. Dieser ist ebenfalls in den Baseler Auflagen seit 1499/1500 sowie in der hier vorliegenden Kölner Ausgabe zu finden. Eine anonyme Vorrede befindet sich im Kölner Druck aus dem Jahr 1499. Niccolò Perotti selbst widmete die Grammatik – wie die Überschrift zeigt – seinem Neffen Pyrrhus.

Die Grammatik setzt sich aus drei relativ selbständigen Teilen zusammen: im ersten werden die Wortarten besprochen, der zweite beschäftigt sich mit der Syntax, und der dritte Teil macht eine Brief- bzw. Stillehre aus. Die gesamte Grammatik ist, wie die ars minor. von Donatus, erotematisch strukturiert, d.h. sie besteht aus Frage-Antwort- Sequenzen, und Aufforderungen an die Schüler wie sie in der schulischen Unterrichtssituation vorkommen könnten.

Dem eigentlich grammatischen Text geht eine Aufzählung der Buchstaben mit der Aufforderung ‚Da litteris‛ voraus, dann folgen das ‚Ave-Maria‛, das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis. Daran schließen sich im Frage-Antwort- Schema Reflexionen zur Didaktik an, die fast wörtlich aus QuintiliansInstitutio oratoria. übernommen sind.

Der erste Teil über die Wortarten (‚partes orationis‛) fängt mit der Definition der ‚grammatica‛ an: „ars recte loquendi, recteque scribendi scriptorum et poetarum lectionibus observata“. Eine ähnliche Definition mit etwas variierendem Wortlaut finden wir in vielen grammatischen Texten – im Vergleich zu den scholastischen Begriffsbestimmungen der Grammatik 2 ist sie neuartig und kann als Zeugnis einer neuen, humanistischen Betrachtungsweise angesehen werden.

Dieser Begriffsbestimmung folgen Definitionen der Termini ‚littera, vox, syllaba, dictio‛ und ‚oratio‛ (Fo3r-Fo4r) 3 die aus PrisciansInstitutiones grammaticae. stammen. 4 Zu den meisten dieser Begriffe werden, der antiken Tradition folgend, Überlegungen zu ihrer Etymologie angeschlossen (vgl. u.a. Diomedes, Priscianus, Sergius), indem Perotti jeweils die Frage stellt, woher die Bezeichnung kommt: „unde dicitur littera/ syllaba/ dictio?“ Perotti unterscheidet (Fo 3v) zwischen den ‚elementa‛ und ‚litteras‛, d.h. zwischen den Lauten und Buchstaben und seine Ausführungen dazu sind klarer als die des Priscianus. Den Unterschied zwischen Silbe und Wort sieht Perotti darin, dass die Silbe keine eigenständige Bedeutung hat, im Gegensatz zum Wort. (Fo 4r)

Die Wortklassen werden in der priscianischen Abfolge besprochen: ‚nomen, verbum, participium, pronomen, praepositio, adverbium, interiectio, coniunctio‛. Dabei macht Perotti ausdrücklich eine Differenzierung zwischen den deklinierbaren und undeklinierbaren, wie sie seit dem Mittelalter üblich war.

Nach diesen einleitenden Festlegungen fängt die Behandlung der Redeteile mit den Nomina an. Hierbei greift Perotti zu der Definition von Donatus: ‚pars orationis cum casu corpus aut rem proprie communiterue significans‛ (Fo 4v). Auch zum Nomen gibt der Autor zunächst eine Etymologie des Begriffes ‚Nomen dicitur quasi notamen, quod hoc notemus uniuscuiusque substantiae qualitatem, uel á Graeco, quod est onoma‛, bevor er auf die Akzidenzien, d.h. auf die ihnen zukommenden grammatischen Formkategorien, näher eingeht. Zu den Nomina werden sowohl die Substantive als auch die Adjektive gezählt. Sie werden durch die Anzahl möglicher Artikel voneinander unterschieden: dem Substantiv können ein oder höchstens zwei Artikel vorangestellt werden, dem Adjektiv dagegen drei (‚hic & haec & hoc foelix‛). Die Genera ‚masculinum, femininum, neutrum, commune, omne, promiscuum‛, und ‚incertum‛ werden mit 32 durchnummerierten Regeln charakterisiert, wobei einzelne Wörter nach ihrem Genus abgefragt werden (Fo5v-Fo7r). - Die Nummerierung der Regeln scheint eine Innovation von Perotti zu sein, die später u.a. von Brassicanus übernommen wurde. Im Druck aus dem Jahr 1501 erscheinen zusätzliche Angaben als Marginalien, die klarlegen, nach welchen semantischen Kriterien das Genus bestimmt wird: Männernamen, Frauennamen, Bäume und Früchte usw. (‚Virorum propria, mulierum propria, arborum et fructuum‛). Auch Worttypen, die ein bestimmtes Genus haben, etwa griechische Wörter oder Wörter mit bestimmten Endungen werden notiert. Insgesamt liefert Perotti 32 Regeln dazu.

Der Numerus wird mit einer Frage-Antwort- Sequenz erörtert: „Quid est numerus? Est dictionis forma quae discretionem quantitatis facere potest“ (Fo7r), die inhaltlich auf Priscian zurückgeht. Die ‚figurae‛, d.h. Wortbildungsmuster werden in ‚simplex (animus), composita (magnanimus)‛ und ‚decomposita (magnanimitas)‛ geteilt, wobei die Beispiele die gleichen sind wie bei Priscianus oder Guarino. Die sechs Kasusformen werden zwar genannt, aber an dieser Stelle nicht ausführlich besprochen, sondern der Text geht zur Behandlung von Deklinationen über, angefangen mit der ersten Deklination mit 8 Regeln, die jeweils ein oder zwei Kasus und ihre Endungen beschreiben.

Danach folgt unter der Überschrift ‚De modo examinandi‛ plötzlich ein Teil des sog. Ianua-Textes 5 Poeta que pars[?]Nomen. Quid est nomen? Est pars orationis cum casu corpus aut rem, proprie communiterve significans [---]“ (Fo7v). Diese Passage bildet sozusagen einen Übungsteil zu dem Vorausgegangenen. Das Gelernte wird abgefragt und in der Weise befestigt. Der Text stammt nicht von Perotti, sondern aus einem seit dem 13. Jahrhundert in vielen Variationen vorliegenden grammatischen Manualen, die besonders in italienischen Schulbetrieb sehr beliebt waren.

Es geht weiter mit der zweiten Deklination, deren Endungen und Genera aufgezählt werden. Zum Abschluss dieser Passage werden Beispielwörter dekliniert. Entsprechend die dritte, vierte und fünfte Deklination jeweils mit nummerierten Regeln und Beispielparadigmen.

Daran schließt das Kapitel über das Verb, (‚De verbo‛) mit seiner – aus Priscian entnommenen – Definition (GL II, 8), die festhält, dass das Verb eine deklinierbare Wortart mit Modus und Tempus ist, ohne Kasus und dass es ein Tun oder Leiden ausdrückt. Die Definition verbindet also morphologische und semantische Gesichtspunkte. Nach der etymologischen Begründung der Bezeichnung (‚A uerberatu aeris, quod proferendo aer uerberatur‛) (Fo12r) folgt die Aufzählung der Akzidenzien des Verbs, die ebenfalls Priscians Darstellung folgt: ‚Genus, tempus, modus, species, figura, coniugatio, persona, et numerus‛. (Fo 12r)

Die ‚genera verborum‛ (‚actiuum, passiuum, neutrum, commune, et deponens‛), die Perotti nicht – wie Priscian es tat – als ‚significationes‛ bezeichnet, sondern sie als Formen des Verbs ansieht, werden alsdann durch ihre Endungen erläutert.

Als Nächstes werden die Tempora (‚praesens, praeteritum imperfectum, praeteritum perfectum, praeteritum plusquamperfectum, et futurum‛) zwar aufgezählt, aber nicht näher erklärt. Die Modi, die – wieder nach Priscian – als ‚inclinatio animi‛ definiert werden, sind Indikativ, Imperativ, Optativ, Subjunktiv und Infinitiv. Diese Liste hat eine lange Tradition, denn sie geht bereits auf die griechische Grammatik Téchnē grammatikē zurück. In den Rudimenta grammatices werden lediglich die Termini für die Modi etymologisch erklärt sowie die Tempora, die in Frage kommen, aufgezählt. Als nächstes werden die ‚species‛ (d.h. die Wortform, primitiv oder derivativ) erläutert, dann die ‚figurae‛ (d.h. Simplex, Kompositum und Dekompostitum). Auch die Konjugation wird nur kurz charakterisiert, ebenso die Kategorien Person und Numerus. Die Definition des Numerus lautet fast wortgleich mit ars minor: „quot sunt numeri uerborum? duo. singularis, ut lego; pluralis, ut legimus.6 (Fo13v). Die Behandlung der Kategorie Tempus dagegen ist ausführlich und Perotti gibt dabei zu einzelnen Verbformen nummerierte Regeln, die nach den Konjugationen gruppiert sind. Insbesondere werden in Rudimenta grammatices die Formen des Perfekts mit insgesamt 29 Regeln ausführlich besprochen. Das Supinum erhält 14 Regeln. Unter der Überschrift ‚De examinatione verbi‛ folgt wieder eine längere Passage aus dem ‚Ianua‛-Text, die praktisch als Wiederholung der Verbparadigmen fungiert: „Amo quae pars est[?] Verbum est. Quare est verbum[?] Quia est pars orationis declinabilis cum modis et temporibus sine casu, agendi vel patiendi significativa. [---]“ (Fo 17v). Hier werden alle Verben, die in der Ianua auch durchexerziert wurden, aufgeführt, nämlich ‚doceo, lego, audio, sum, volo, fero, edo, eo, fio, gaudeo, memini‛.

Nach den ausführlichen Darstellungen der Verbkonjugation folgt das Partizip, dessen Definition nicht von Donatus stammt, welcher – ähnlich wie viele Grammatiker der Antike – die Benennung daraus herleitet, dass das Partizip sowohl an Kriterien des Nomens als auch des Verbs teilnimmt (‚partem capit‛), sondern aus Priscian hergeleitet ist: „Participium quod est. Est pars orationis declinabilis quae pro verbo ponitur ex quo derivatur, genus et casum habens ad similtudinem nominis.“ (Fo 25r) Nachstehend kommt auch der Gedanke der Teilnahme vor: ‚partem capit á nomine, partem a uerbo‛. Anschließend werden die Formen und die Bedeutungen der Partizipien erörtert.

Die nächste Wortart ist das Pronomen, dessen Definition fast wörtlich mit der Priscians übereinstimmt, „pars orationis declinabilis quae pro nomine proprio uniuscuiusque accipitur, personasque finitas recipit7 . (Fo 26r) Dem Pronomen werden die Akzidenzien ‚species, genus, numerus, figura, persona‛ und ‚casus‛ zugeordnet. Für die Pronomina werden auch Listen angegeben. Perotti folgt hier seinen spätantiken Vorbildern ziemlich genau, und der Text lässt den Verdacht aufkommen, dass die verschiedenen Bedeutungs­klassen von den Pronomina dem Autor nicht ganz klar sind.

Die Präpositionen werden definiert als ‚pars orationis indeclinabilis quae aliis partibus orationis in appositione uel compositione praeponitur‛. (Fo 27v) Für die Präpositionen werden die Kasus angegeben, mit denen sie verbunden werden, und Perotti liefert auch Listen der Präpositionen mit dem Akkusativ und mit dem Ablativ. Auch diese Darstellung folgt der entsprechenden Stelle Priscians.

Die Definition der Adverbien ist eine Kombination aus Donatus' ars minor mit dem priscianischen Zusatz, dass es um Indeklinabilia handelt: „Quid est aduerbium? Est pars orationis indeclinabilis, quae adiecta uerbo significationem eius explanat atque inplet.“ (Fo 28r) Dann folgt eine Erklärung des Begriffes, nämlich dass diese Wortart ihren Namen daher hat, weil es beim Verb (‚ad verbum‛) steht. Nach der Darstellung der Akzidenzien (‚species, significatio,‛ und ‚figura‛) wird ihre Wortbildung kurz abgehandelt und dem folgt eine Liste von 28 Adverb-Bedeutungen. Perottis Liste deckt sich weitgehend mit der von Donatus, mit dem Zusatz von den ‚remittendi‛ und ‚intendendi‛.

Die Interjektion erhält nur eine kurze Behandlung. Perotti definiert sie ähnlich wie ars minor: ‚pars orationis indeclinabilis uoce incondita mentis affectum significans‛. (Fo 28v) Darüber hinaus wird festgestellt, dass die Bezeichnung daher rühre, dass die Interjektionen zwischen die anderen Wörter eingeworfen werden. Außerdem wird die Tatsache erwähnt, dass die Griechen die Interjektionen zu den Adverbien zählten. Dieser Wortart kommt nur das Akzidens 'Bedeutung' zu, und von den Bedeutungstypen nennt Perotti einige: ‚dolentis, gaudentis, metuentis admirantis, execrantis, illudendi‛ und ‚ridendi‛.

Die Definition der letzten Wortart, der Konjunktionen, folgt wieder fast wortgleich der ars minor, bzw. der Partitiones. Priscians: ‚pars orationis indeclinabilis annectens ordinansque sententiam‛. (Fo 28v) Auch hier steht der Zusatz, die Konjunktionen seien undeklinierbare Wörter, entweder als eigene Hinzufügung analog zu der Definition der anderen Indeklinablen, oder aus Priscians Institutiones. entnommen. Als Akzidenzien der Konjunktionen werden ‚species, figura‛ und ‚ordo‛ genannt. Unter den ‚species‛ versteht Perotti die semantischen Subklassen der Konjunktionen. Er zählt ganze achtzehn Typen und bespricht sie einzeln, indem er ihre Hauptfunktion definiert und eine Reihe von Beispielen gibt, z.B. „Quae est coniunctio copulativa. Quae copulat tam uerba quam sensum, ut et, etque, at, atque, quidem, quoque, ac, ast, sed, autem, uero.“ Zu den ‚completivae‛ bemerkt er, dass sie des Schmuckes oder Metrums halber gesetzt werden, und nicht unbedingt eine Bedeutung haben: ‚ornatus causa uel metri nulla significationis necessitate ponuntur‛. (Fo 29r). Auch diese Feststellung hat eine lange Geschichte und geht bereits auf die griechische Grammatik zurück. (Vgl. Kärnä 2000: 36 f., 47ff.)

In dem verhältnismäßig umfangreichen Syntaxteil seiner Grammatik (Fo 29v- Fo 63r) bespricht Perotti zahlreiche Fälle, wie zwei Wortarten miteinander kombiniert werden. Es heißt z.B., dass das Adjektiv mit dem Substantiv im Genus, Numerus und Kasus übereinstimmen muss, dass der Nominativ mit dem Verb in der Person und im Numerus und das Relativum mit dem Bezugswort übereinstimmen soll.

Die Verben werden in ‚personale‛ und ‚impersonale‛ geteilt. Die Darstellung der Rektion der Verben (‚ordines verborum‛) besteht aus Verblisten mit etwa 100 Verben. Zum ersten Verbtyp gehören solche, denen ein Substantiv im Nominativ vorangeht (‚res agens‛) und einer im Akkusativ (‚res patiens‛) folgt; zum zweiten gehören die, denen ein Nominativ vorangeht und ein Akkusativ mit Genitiv oder Ablativ haben: ‚tu implesti domu tritico, et consulo te remedii‛; der dritte Verbtyp verbindet sich mit dem Akkustiv und Dativ: ‚trade te studiis philosophiae‛ und den vierten Typ machen Verben mit doppeltem Akkustativ ‚doceo te artem grammaticam‛ aus.

Bei der Besprechung von Verben in Satzkonstruktionen gibt Perotti volkssprachliche Glossen, die ursprünglich italienisch-, in diesem Kölner Druck aus dem Jahr 1501 aber deutschsprachig sind. Sie werden nach Verbtypen behandelt: ‚verba activa, passiva, neutra, communia, deponentalia, impersonalia‛. Insgesamt unterscheidet Perotti sieben Verbtypen im Aktiv. Zu jedem Typ werden eine Reihe von Beispielwörtern geboten, deren Präsensform in der 1. und 2. Person Singular sowie das Perfekt und Supinum angegeben werden. Entsprechend werden die Verben im Passiv und die ‚verba neutra‛ d.h. die transitiven Verben besprochen und illustriert. Ebenso die verschiedenen Typen der Deponentialverben und die Impersonalia, d.h. die unpersönlichen Verben.

Danach kommen die Gerundien, Supina, Partizipien und die Verbalnomina (‚nomina verbalia‛) zur Sprache und ihnen folgt ein Kapitel über das Relativum gefolgt von einem Abschnitt über die Patronyme, ein Thema, das Priscian (GL 2, 62, 14) ebenfalls schon vorgearbeitet hatte. Es folgen Abschnitte zum Komparativ und zum Superlativ, und der syntaktische Teil schließt mit einem Kapitel über die Lokaladverbien und über Heteroklita.

Der nächste Abschnitt ist den Stilfiguren gewidmet und bespricht Barbarismen, Solözismen, Metaplasmen, ‚schemata lexeos‛, d.h. Wortfiguren, sowie Tropen und syntaktische Figuren (wie Prolepsis, Zeugma usw.). Als letztes Thema im grammatischen Teil werden in den Rudimenta folgende neun Satzzeichen besprochen: ‚suspensiuus, colus, coma, periodus, semipunctus, geminuspunctus, interrogatiuus exclamatiuus seu admiratiuus‛ und ‚parenthesis‛. (Fo 63r)

Der abschließende Teil dieses Lehrbuches ist eine ausführliche Stillehre, die Ratschläge für Briefe zu verschiedenen Anlässen bietet, vor allem geht es um Hinweisen zum eleganten Ausdruck. Dieser umfangreiche Abschnitt 8 macht etwa ein Drittel des gesamten Werkes aus, und es beginnt – analog zu den anderen Teilen der Grammatik – mit einer Definition des Begriffes ‚epistola‛ und mit ihrer Etymologie. (Fo 63r) Als höchste Autorität in stilistischen Fragen sieht der Verfasser Marcus Tullius Cicero an und empfiehlt den Studierenden allein ihn zu imitieren, sogar seine Sätze in ihre Briefe einzubauen. (Fo 64r)

Verschiedene Brieftypen zu unterschiedlichen Anlässen werden vorgestellt und das Kapitel beinhaltet viele Ratschläge zum eleganten Sprachgebrauch in Briefen. Perotti fragt z.B., welcher zuerst genannt wird, der Verfasser oder der Empfänger des Briefes, und die Entscheidung fällt auf den Schreiber. Er verwirft den Gebrauch vom Plural in der Anrede, der keine Begründung hätte, weil ja auch Gott im Singular angesprochen würde. (a.a.O.)

Dieser Teil bringt viel Stoff, in dem die Volkssprache (ursprünglich das Italienische, in der hier vorliegenden Ausgabe das Deutsche) und das Lateinische gegenüberstellt werden. Außerdem erhält der Leser eine ausführliche Definition der Muttersprache: „Quae est lingua vernacula? Est lingua vulgaris et illiterata quam imperiti maternam vocant. Et dicitur vernacula quasi peculiaris patriae nostrae et in patria nostra nata. Nam vernaculus, vernacula, vernaculum significat quod est domi nostrae et in patria nostra natum. et dicitur a verna, qui est seruus domi nostrae natus, hoc est ex nostra ancilla“. (Fo 68r)

Der Autor liefert in diesem Teil eine Fülle von stilistischen Hinweisen, und viele Übersetzungsbeispiele, die erläutern, wie muttersprachliche Sätze in elegante lateinische Wendungen übertragen werden können.

4. Kontext und Klassifizierung[arrow up]

Perottis Rudimenta grammatices. machten die erste umfassende humanistische Grammatik aus, und sie wurden zum Muster für viele humanistische Grammatiken der Frühen Neuzeit. Dieses Lehrbuch ist an den Lehrer fortgeschrittener Schüler gerichtet, wobei auch eine Elementarstufe mitberücksichtigt ist, etwa durch die Darstellung des Alphabets am Anfang. Das Lehrbuch baut zwar weitgehend auf der Tradition auf, da vieles aus der Ianua sowie von Donatus und Priscian aufgenommen ist, aber die grammatischen Regeln werden umfassender als bei Donat und übersichtlicher als bei Priscian dargestellt, und zudem ist das nach ihnen erarbeitete Wissen eingebaut.

Vor dieser Grammatik waren in Italien schon grammatische Manuale erschienen, die das gleiche Ziel verfolgten, aber nicht so umfassend waren, etwa die Regulae grammaticales. von Guarino Veronese (ca. 1418). Die hier vorliegenden Rudimenta grammatices wurden gleich zu einem Verkaufserfolg, zunächst in Rom und dann in anderen italienischen Städten, und binnen kurzem auch in anderen Ländern Europas. (Percival: (2010: 4 und 6, Anm. 3) und Milde (1982: 29-42).

Die Rudimenta grammatices erhielten bald auch zeitgenössische Konkurrenten, wie Aldus Pius Manutius´ Kompendium Institutiones grammaticae , das 1493 in Venedig herauskam. Giovanni Sulpizio da Veroli (Sulpitius Verulanus) brachte ca. 1475 De componendis et ornandis epistoli sowie 1486 Grammatica Sulpicii Verulani cum vocabulario suo heraus, und Antonio Mancinelli gab 1484 seine auf der Ianua basierende Grammatik Donatus melior ("Verbesserter Donatus") heraus.

5. Rezeption[arrow up]

Die Grammatik Rudimenta grammatices war außerordentlich erfolgreich. Sie erhielt zumindest 132 Ausgaben bis 1500 und weitere 44 danach. (Milde 1982: 29-40; Percival 2010: 6 Anm.) und wurde in etwa 60 000 Exemplaren zunächst vielerorts in Italien (Rom, Venedig, Neapel, Padua, Mailand) und anschließend in Süd- und Mitteleuropa (u.a. Barcelona, Tortosa, Paris, Antwerpen, Lyon, Köln, Leipzig, Basel, Straßburg) gedruckt 9 . Insgesamt wurde sie zumindest 27 Jahre lang herausgegeben. (Percival, 2010: 6; siehe auch KVK).

Diese Grammatik wurde zum Vorbild vieler Humanistengrammatiken. Bald nach ihrem Erscheinen, um 1479, kam auch eine deutsche Bearbeitung von Bernhard Perger mit dem Namen Grammatica nova heraus. Die früheste in unsere Zeit erhaltene Perger-Edition stammt aus dem Jahr 1482. Die ‚deutsche Bearbeitung‛ heißt nicht, dass die Beschreibungssprache oder die Objektsprache deutsch waren, sondern die Beschreibungssprache war nach wie vor Latein, aber es kamen gelegentlich deutsche Interpretamente von Beispielwörtern vor. In Frankreich erschien sie mit französischen Übersetzungen der Beispielwörter 1504.

Perotti übte großen Einfluss auf die Grammatikographie nicht nur in Italien, sondern auch in den Niederlanden, in Deutschland und in England aus, einerseits durch seine Schüler, wie Mattaeus Herben, andererseits durch seine Schrift, die eine weite Verbreitung fand. Und dem Engländer John Anwykyll hat sie als eine seiner Vorlagen gedient.

Was die heutige Bewertung anbelangt, ist das Oeuvre von Niccolò Perotti eingehend untersucht worden und es liegt reichlich einschlägige Literatur vor. Hervorzuheben sind die Editionen und Beiträge von W. Keith Percival, aber auch J.J. Baebler, Robert Black, Kristian Jensen und Franz Josef Worstbrock haben bedeutende Beiträge zu Perotti geliefert (s.u.). Zur Cornu copiae sowie zu Perottis Briefen, Beziehungen und zu seiner Biographie hat Jean-Louis Charlet ansehnlich publiziert.

Die Stellung der Rudimenta grammatices ist in der heutigen grammatikographischen Diskussion unterschiedlich bewertet worden: W. Keith Percival, Herausgeber der elektronischen Edition, sieht sie als – wenn auch einen Meilenstein in der Geschichte der Grammatikographie – so doch in erster Linie eine auf der mittelalterlichen Tradition bauende Zusammenstellung von früheren Lehrschriften, eine Kompilation mit wenig Originalität und betont ihre enge Beziehung zu den Vorgängern (Donatus, Guarini, Ianua). Ähnlich urteilt Robert Black (2001: 124). Franz Josef Worstbrock (2001) dagegen setzt sie in den Rahmen ihrer Zeit und hebt ihre neuen Ansätze und die Bestrebung Perottis, die antike Latinität wiederherzustellen, hervor. Er sieht sie als die erste humanistische Sprachlehre, die „unter den zahlreichen europäischen Grammatiken seiner Zeit bis über die Jahrhundertwende hinaus ihren einzigartigen Rang [behauptete]“. (Worstbrock, 2001: 78).

Im Grunde kann man beiden Ansichten Recht geben, denn die von Percival genannten Quellen sind zwar oft und bisweilen wortgetreu zitiert, aber es kommt doch manches Neue hinzu: die übersichtliche und umfassende Darstellung des grammatischen Stoffes, die sich u.a. in der Nummerierung der Regeln zeigt, und die Hinzufügung der Brief- bzw. Stillehre. Diese neuen Elemente gestalten das Ganze überschaubarer und auch für Fortgeschrittene besser geeignet. Im Vergleich zu manchen anderen Lehrwerken, die den fortgeschrittenen Schülern zur selben Zeit zur Verfügung standen, etwa das in Versform verfasste Doctrinale oder die scholastischen Lehrwerke, tun die Rudimenta grammatices ohne Zweifel einen großen Schritt vorwärts in der Geschichte der Grammatikographie.

6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur[arrow up]


1 Percival benutzte als Vorlage u.a. das Autograf (Cod. Vat. Lat. 6737). Der Wortlaut der hier zitierten Stellen stimmt mit den bei Percival angegebenen überein. Wir geben hier die im Kölner Druck sehr zahlreichen Abkürzungen ausgeschrieben wieder.

2 Vgl etwa Bartholomaeus Arnoldi: „Grammatica est collectio regularum docentium congrue loqui.“ (1505: A2r)

3 Das Werk hat keine Seiten- sondern eine (doppelte) Folienzählung, wobei die sporadischen Angaben am unteren Seitenrand nicht zuverlässig sind. Wir geben hier die Römischen Zahlen in Arabischen Ziffern an.

4 Priscian GL II, 1-2. Auch Guarino in Regulae grammaticales. : „Partes grammaticae sunt quattuor, videlicet littera, syllaba, dictio, et oratio.

5 Das sind die grammatischen Texte, die entweder mit einem Vers „Ianua sum rudibus cupientibus artem […]“ oder direkt mit der Frage „Poeta que pars [est]“ anfangen, werden unterschiedlich bezeichnet. Das GW führt sie unter Aelius Donatus auf, oft werden sie auch unter Remigius gestellt. In der neueren grammatikographischen und sprachwissen­schafts­geschichtlichen Literatur werden sie meist Ianua- Texte genannt, unberücksichtigt dessen, ob der Eingangs-Vers mit erscheint oder nicht. Inhaltlich variieren diese Texte stark, ihnen gemeinsam ist die Besprechung der Wortarten in katechetischer Form, d.h. in Frage-Antwort-Sequenzen. (Vgl. Schmitt 1969: 43–80).

6 Donat: „numeri uerborum quot sunt? duo. qui? singularis, ut lego; pluralis, ut legimus“.

7 Bei Priscianus heisst es: „Pronomen est pars orationis, quae pro nomine proprio uniuscuiusque accipitur personasque finitas recipit“. (GL 2: 557)

8 Perotti hatte in deinem Manuskript die Brieflehre deutlich als einen gesonderten Abschnitt markiert, aber die Drucker haben dies nicht beachtet sondern den Text auf der gleichen Seite fortgesetzt. (Percival 2010: 219, Anm.)

9 Die Angaben zur Druckhäufigkeit und Anzahl der Ausgaben variieren. M. Milway (2000: 137) gibt die Zahl 117 an, W. Milde (1982) kam auf 176 und W. K. Percival (2010: 6) kennt außerdem weitere Drucke, die Milde nicht berücksichtigt hatte.

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