Das Compendium Latinae Grammaticae Pro Discentibus ist 1611 erschienen und sie wurde seitdem mehrmals, zumindest bis 1781 aufgelegt.
Johannes Rhenius wurde 1574 im meißnischen Oschatz geboren, ging 1591 an die Landesschule in Pforta und studierte klassische Sprachen, Theologie und Philosophie; 1597 erlangte er das Bakkalaureat. Nach dem Abschluss trat er eine Stelle an der Thomasschule an und war dort als Konrektor tätig. 1609 wurde Rhenius außerdem eine Stelle als Adjunkt an der Artistischen Fakultät der Universität Leipzig anvertraut, und 1617 erhielt er dort die Stelle des Professors für aristotelische Schriften (‚Organi Aristotelici‛). Auf dieser Stelle wirkte er nicht lange, denn bereits 1618 nahm er das Rektorat des Gymnasiums in Eisleben an. Dort verfasste er Lehrbücher für die Schüler und widmete sich der Reform der Ausbildung in Logik. Insgesamt wollte er den Unterricht methodisch auf ein höheres Niveau bringen. Dies erhöhte das Ansehen der Schule und die Schülerzahl stieg an. Allerdings sank die Schülerzahl wegen der politischen Unruhen dieser Zeit wieder, und der Generalsuperintendent machte Rhenius dafür verantwortlich. In seiner Verteidigungsschrift gab er zu erkennen, dass der Grund für die Krise in den Kriegsgeschehnissen zu suchen war. Trotzdem legte er sein Amt nieder und verließ 1624 die Stadt. (Ellend 1846:18, 34f.) Ab 1633 wurde er als Rektor des neugegründeten Gymnasiums in Stargard, Pommern berufen. Allerdings nahm er das Amt eventuell gar nicht an 1 , oder legte es nach kurzer Zeit nieder und ging nach Husum, wo er eine Stelle als Konrektor bekam. Dort blieb er bis zu seinem Tod 1639. (Ising 1970:96ff.)
Unter seinen Publikationen stehen zahlreiche Schulbücher zur lateinischen Sprache an erster Stelle: Im Jahr 1611 kamen gleichzeitig der Donatus latinogermanicus cum declinandi et conjugandi modo für die Elementarstufe 2 , das Compendium latinae grammaticae für die Mittelstufe sowie die umfangreichere Grammatica latina 3 für die Fortgeschrittenen heraus. Seine Dissertatio grammatica, die ebenfalls 1611 herauskam, war eine Ergänzung zu den genannten Grammatiken mit dem Ziel, Irrtümer und Mängel der Grammatikliteratur, vor allem der Bearbeitung der Grammatica Latina von Micyllus, explizit aufzuzeigen.
Neben grammatischen Schriften brachte Rhenius auch lateinisch-deutsche Texte von Cicero, Terentius und Fabeln des Aesop für Schüler heraus. Er veröffentlichte außerdem auch griechische Grammatiken und Schriften zur Logik, Rhetorik und zur Religion. In der Methodus Institutionis nova quadruplex (1617) hat er seine Gedanken zur Didaktik der lateinischen Sprache ausführlich erörtert. Dabei verweist er auch auf Nicodemus Frischlins und Wolfgang Ratkes pädagogische Ideen.
Zu seinen polemischen Schriften zählen u.a. die Dissertatio und eine Antwort auf Wankel, Examen Apologetisi Wanckeliani und Historia belli grammaticalis Rheniani (Rhenius 1617: Vorw.) Rhenius‘ bedeutendste pädagogische Errungenschaft besteht in der Gesamtheit der aufeinander aufbauenden drei Lehrbüchern zur lateinischen Grammatik, die der jeweiligen Zielgruppe angepasst waren.
Uns liegen die erste und dritte Edition des Compendiums aus den Jahren 1611 und 1614 vor. 1611 erklärt er im Vorwort seine Beweggründe für diese Publikation und meint, diese Grammatik enthalte alles, was in der Ausgabe der Grammatica Latina. von Micyllus enthalten sei. 4 In dem ausführlichen Vorwort bzw. Widmungsbrief vom Jahr 1614 drückt Rhenius sich schärfer aus: Die Ursache für Probleme der Spracherlernung sieht er nicht in dem Unvermögen (‚Imbecillitate‛) der Schüler oder der Nachlässigkeit (‚negligentia‛) der Lehrer, sondern vor allem in der Weitschweifigkeit und Undeutlichkeit der Lehrbücher. Er greift einige Punkte auf, die seiner Meinung nach in der Überarbeitung der Grammatica Latina. von Micyllus irrtümlich dargestellt worden waren, bringt zahlreiche Einwände gegen die herrschende Doktrin vor und bittet, dass seine neue Lehrart eingeführt würde.
Der Text dieser Grammatik ist durchgängig nach dem Frage-Antwort-Muster aufgebaut. Zuerst wird die Grammatik als „est certa loquendi et scribendi ratio“ definiert. Dann werden ihre Teile aufgezählt: Rechtschreibung, Prosodie, Etymologie (d.h. die Wortkunde) und Syntax. Es folgen die Buchstaben, die in Vokale und Konsonanten eingeteilt sind. All das folgt der Grammatica Latina. Die Definition der Etymologie: „pars Grammaticae, quae singularum vocum naturam explicat“ hingegen zeigt den Einfluss von Petrus Ramus 5 .
Die Wortarten werden in der Abfolge Nomen, Pronomen, Verb, Partizip, Adverb, Präposition, Konjunktion und Interjektion behandelt, die eine Einteilung in deklinierbare und undeklinierbare widerspiegelt. Beide Gruppen werden auch gesondert aufgezählt. Dann werden die Akzidentien aufgezählt, und zwar unterteilt in ‚generalia‛, d.h. solche, die allen Wörtern zukommen, wie ‚species‛ und ‚figura‛, und solche, die nur einigen zukommen wie Analogie, Anomalie, Numerus und Person.
Das Nomen wird definiert als ein Wort, das ein Ding bedeutet, und kein Tun oder Leiden ausdrückt (‚quae rem significant, non agere aliquid aut pati‛) (1611: 4) 6 . In der Grammatica Latina zerfielen die Nomina zunächst in ‚propria‛ und ‚appellativa‛ und die letzteren in Substantive und Adjektive. Hier geschieht die Aufteilung umgekehrt: erst werden die Substative vorgestellt. Sie seien dadurch erkennbar, dass dazu ein deutsches Wort ‚Mann, Weib, Ding‛ nicht hinzugefügt werden kann, und die in Propria und Appellativa aufgeteilt werden 7 . Danach erst folgen bei Rhenius die Adjektive, die dadurch gekennzeichnet sind, dass bei ihnen der Zusatz ‚Mann, Weib, Ding‛ möglich ist. Nach der Komparation folgen die Regeln zu den Genera der Adjektive und der Nomina, wobei viele altbekannte Bedeutungsgruppen aufgezählt werden: die Bezeichnungen für männliche Wesen, Monate, Winde und Flussnamen sind maskulin, die Bezeichnungen für Frauen, Gebiete, Inseln, Städte, Bäume feminin. Auch die Wortendungen, die ein bestimmtes Genus hervorrufen, werden hier besprochen. Dann folgen die verschiedenen Deklinationen, am Anfang in Tabellenform übersichtlich dargestellt, und anschließend einzeln dargeboten. Es folgen die ‚Defectiva‛ und die Numeralien. In der Ausgabe von 1614 sind noch einige Bemerkungen zu den Gerundien hinzugefügt.
Das Pronomen wird als Wort bezeichnet, das gebraucht wird, um auf Sachen hinzuweisen oder um die Wiederholung des Nomens zu vermeiden. Der Wortlaut ‚ubi Nominis repetitio ingrata erat futura‛ (1611: 42) ist eine Definition, die in der Grammatica Latina seit 1532 zu finden ist. Die Pronomen zerfallen in ‚Primitiva‛ (‚Ego, tu, sui, hic, iste, ille, ipse, is, quis, qui‛) und ‚Derivativa‛ (‚Meuus, tuus , suus, noster, vester, nostras, vestras, cujus & cujas‛). Anschließend bringt Rhenius Bedeutungsgruppen der Pronomina, fast die gleichen wie in der Grammatica Latina: ‚Demonstrativa, Relativa, Reciproca, Interrogativa, Possessiva und Gentilis‛ (1611: 43). Anlässlich der Deklination der Pronomina verweist Rhenius auf Donatus. Das Kapitel wird mit einigen Bemerkungen zu defektiven Pronomina beendet.
Das Verb erhält zunächst die von Melanchthon übernommene Definition ‚vox significans agere aliquid aut pati‛, aber es folgt der Zusatz, dass das Verb durch die Hinzufügung der deutschen „Partikeln“ ‚Ich/ Du/ Er/ Wir/ Ihr/ Sie‛ zu erkennen sei (1611: 47). Dies ist eine Formulierung, die weder bei Melanchthon noch bei Ramus zu finden ist. 8
Es werden zwei Typen von Verben unterschieden: ‚Personale‛ und ‚Impersonale‛, eine Einteilung, die schon im Mittelalter gemacht wurde und auch in der Grammatica Latina von Melanchthon auftaucht, aber weniger ausführlich besprochen wird. Es werden verschiedene Wortbildungs- bzw. Bedeutungstypen der Verben behandelt: die inchoativen, frequentativen, meditativen und diminutiven Verben. Die umfangreichen Ausführungen zur Konjugation enthalten in der 1614er Ausgabe reichlich Beispiele mit deutschen Interpretamenten. Nach dem Kapitel über unregelmäßige und defektive Verben folgen die ‚Impersonalia‛. Auch hier kommt die Muttersprache ins Spiel; es heißt z.B., dass das Verb ‚decet‛ ins Deutsche mit ‚Es geziemet‛ und ‚Me oportet‛ mit ‚ich muss‛ übertragen wird.(1611: 80)
Das Partizip wird definiert als ‚Nomen Adjectivum verbale, significans Tempus‛, wobei das Wort ‚Adjectivum‛ einen Zusatz im Vergleich zur Melanchthons Urfassung darstellt. Dem Partizip kommen vier Akzidentien zuteil: Bedeutung (Aktiv, Passiv oder Neutrum), Tempus (Präsens, Präteritum und Futur), Genus und Deklination. Als fünftes Akzidens, außerhalb der Liste steht die Komparation, die aber nicht ausgeführt wird. Der Kasus, den Melanchthon als ein Akzidens des Partizips aufführte, ist ausgelassen. Die Formen der Partizipien werden kurz behandelt. (1611: 82-88)
Bevor die Indeklinablen genauer betrachtet werden, ist eine allgemeine Bemerkung zu ihren unterschiedlichen Bedeutungen beigefügt, dahingehend, dass die Partikel in verschiedenen Wortklassen auftreten können. So kann z.B. das Wörtchen ‚ut‛ als Adverb oder als Konjunktion vorkommen und ‚cum‛ kann als Präposition, als Temporaladverb oder als Kausal- oder Kopulativkonjunktion gebraucht werden. (1611: 86-88)
Die Definition des Adverbs folgt dem ursprünglichen Wortlaut der Grammatica Latina, die Melanchthon innovativ formuliert hatte: „Adverbium est pars Orationis, qvae Actionis aut Passionis circumstantiam una voce effert.“ Melanchthon besprach in seiner Grammatica Latina nur die Lokaladverbien genauer, da die anderen bei Donatus aufgeführt seien und ihre Wiederholung sich erübrige. Rhenius dagegen führt 27 Bedeutungstypen 9 auf und gibt Beispiele dazu. Am Ende dieses Kapitels gibt der Vf. Beispiele zu den Adverbien, die kompariert werden. (1611: 88-92)
Auch die Präposition wird ebenso definiert wie in der Grammatica Latina: sie sei ein Bindeglied bzw. Gelenk (‚articulus‛), das das Verb mit dem Nomen verbindet: „Praepositio est propemodum articulus Verbo Nomen adjungens.“ Die gegebenen Beispiele sind erneuert. Neu ist auch die Einteilung in ‚Separabiles‛ und ‚Inseparabiles‛. Mit den letzteren werden in moderner Terminologie Präfixe gemeint, z.B. di-, ne-, re-, se-, con-, die eine Einheit mit ihrem Grundverb bilden. Anschließend werden die Kasus besprochen, die die Präpositionen „regieren“, d.h. den sie verlangen (1611: 92-94).
Auch bei der Beschreibung der Konjunktion behält Rhenius weitgehend die Darstellung der Urfassung bei: die Definition ist übereinstimmend „Conjunctio est quae superioribus sententiis aut partibus subinde alias annectit.“ Beibehalten sind ebenfalls die Akzidentien (Bedeutung und Wortfolge) und viele der Beispiele. Melanchthon führte sieben Bedeutungstypen auf, bei Rhenius sind es zwölf: ‚Copulativae, Disjunctivae, Electivae, Adversativae, Concessivae, Conditionales, Exceptivae, Explanativae, Causales, Conclusivae, Ordinis und Completivae‛. Gelegentlich sind deutsche Interpretamente eingestreut. (1611: 94-95)
Die Interjektion wird in allen Grammatiken dieser Zeit recht kurz behandelt, und auch Rhenius gibt sich mit einer knappen Besprechung zufrieden. Rhenius behält die Definition der Grammatica Latina bei, nach der die Interjektionen keine eigentlichen Wörter sind, sondern Laute, die einen Affekt ausdrücken: „Interiectio propemodum non est dictio, sed tantum sonus inconditus, animi affectum significans“ (1611: 96), aber die Anzahl der Bedeutungsgruppen ist um das Vierfache gewachsen. Melanchthon nannte nur die Interjektionen der Verwunderung, des Schmerzes, der Furcht und der Entrüstung auf, aber sagte dazu, dass es noch unzählige andere gibt. Rhenius zählt insgesamt siebzehn Bedeutungen auf, u.a. die Interjektionen der Anerkennung, des Ausrufens, der Drohung, der Freude, des Weinens usw.
Der Aufbau der Syntax, die laut Rhenius das richtige Zusammenstellen der Wörter untereinander lehrt „que dictiones inter se recte componere docetad efferendam animi sententiam“ (1611:98). Die Erstausgabe hat noch eine ganz traditionelle Syntax, aber in der Ausgabe 1614 ist sieim Vergleich zur Grammatica Latina neu konzipiert: Sie zerfällt in zwei Teile, in transitive und intransitive Syntax, eine Einteilung, die bei Melanchthon nicht vorlag. Die intransitive befasst sich mit Fragen der Kongruenz (‚Convenientia‛), die transitive Syntax mit der Rektion (‚Rectio‛). Auffallend ist, dass in der dritten Ausgabe (1614) die syntaktischen Regeln sowohl auf Deutsch als auch auf Latein wiedergegeben werden.
Die erste Regel betrifft – wie seit alters her – die Nominalsyntax, u.zw. die Kongruenz des Adjektivs mit dem Substantiv: „Adjectivum & Substantivum eodem Genere, Numero & Casu cohaerent“. Die zweite Regel betrifft die Kongruenz des Relativs mit seinem Bezugswort. Es folgen Regeln zu der Apposition. Danach kommen Regeln zur Verbalsyntax, die festlegen, dass einem finiten Verb ein Nominativ vorangeht und dass die erste und zweite Person der Nominative ‚ego, tu, nos‛, vos wegfällt. Einigen finiten Verben folgt ein Nominativ (‚sum, forem, fio, evado, maneo, existo & nascor‛), desgleichen Verben des Benennens, des Beurteilens usw.
Dann folgen (1614: 144) Regeln zu der transitiven Syntax, d.h. zu Rektionsregeln. Es wird u.a. festgestellt, dass die Gerundien und Partizipien dem Kasus ihres Verbums folgen und dass von zwei nacheinander stehenden Substantiven das letztere im Genitiv steht. Zahlreiche Kasusregeln folgen. Die Verbalsyntax beinhaltet auch Regeln zum Tempus- und Modusgebrauch. Die Syntax schließt mit Regeln zum Gebrauch der Adverbien, Präpositionen, Konjunktionen und Interjektionen. (1614: 144-179)
Der Syntax folgt eine ausführliche Behandlung der Prosodie und Redefiguren, auf die hier nicht eingegangen werden soll. In der 1614er Ausgabe sind einige Regeln zur Wortstellung und ein Abschnitt über die Anzahl der Tage in verschiedenen Monaten und Bezeichnungen der Monate im römischen Kalender angehängt.
Die Zeit, in die das hier vorliegende Werk fällt, war ein Zeitalter der pädagogischen Neuerungen. Zwar war die Grammatica Latina von Philipp Melanchthon in ihren unterschiedlichen Versionen in Deutschland noch die meistgebrauchte und bedeutendste Grammatik ihrer Zeit, aber Gedanken des Pariser Philosophen Petrus Ramus und des Reformpädagogen Wolfgang Ratke zur Umgestaltung des Unterrichts waren bereits im Umlauf. Das Werk Rhenius´ ist sowohl Melanchthon als auch diesen Neuerern verpflichtet. Aus der Grammatica Latina sind vor allem die Definitionen der Wortarten übernommen, in der Syntax zeigt sich der Einfluss von Petrus Ramus und mehr noch der Ratkes. Rhenius kannte sich mit seinen Konzepten bestens aus 10 , aber er hatte auch – anders wie dieser – Erfahrung in der praktischen Lehrtätigkeit und kannte deshalb die Probleme, die das Erlernen der lateinischen Grammatik den Schülern bereitete. Diese praktische Lehrerfahrung hat ihn bewogen, die drei oben genannten, aufeinander abgestimmten grammatischen Werke für unterschiedliche Zielgruppen zu publizieren. Auch die Heranziehung der Muttersprache geschieht aus Rücksicht auf die Schüler.
Obwohl viele von Rhenius‘ Gedanken durchaus mit denen von Wolfgang Ratke vereinbar sind, kann schon wegen des zeitlichen Vorsprungs nicht gefolgert werden, dass Rhenius nur Ratke gefolgt wäre. (Schwabe 1916:11). Rhenius war ein durchaus eigenständiger Grammatiker, der gelegentlich ramistische bzw. ratichianische Ansätze aufnahm. So hat er etwa die Wortarten nicht nach formalen Kriterien definiert wie Ramus, sondern zog die melanchthonischen Definitionen vor, die auf semantischen Kriterien basieren.
Zu Rhenius´ Erneuerungen gehört die Umgestaltung des gesamten Textes in Frage-Antwort -Form (die allerdings bereits in der Antike gebraucht wurde), die Anordnung der Redeteile nach dem Prinzip der Deklinierbarkeit, die Mehrung des Beispielmaterials und sowie in der dritten Ausgabe die deutschen Übersetzungen der syntaktischen Regeln und die Neugestaltung der Syntax insgesamt.
Da Rhenius den hochgeschätzten Autor Melanchthon indirekt und Micyllus direkt kritisierte, wurden seine Schriften als Angriff gegen den ‚Praeceptor Germanie‛ gesehen und lösten heftige Reaktionen aus. Die Kontrahenten waren zunächst der Leipziger Kollege Valentin Hartung und Johannes Wanckel aus Wittenberg, der u.a. die deutschen Interpretamente verwarf 11 . Am schärfsten hat sich der Wittenberger Professor Erasmus Schmidt geäußert. Er veröffentlichte 1616 eine polemische Schrift, Centuriae Praecipuarum Falsitatum, Incommoditatum, Confusionum & Defectuum in Libris Grammaticis M.Johannis Rhenii 12 , die auch persönliche Beleidigungen gegen Rhenius enthielt. Daraus entwickelte sich eine bittere Polemik zwischen den beigen Grammatikern: Rhenius erwiderte mit der Schrift Historia belli grammaticalis Rheniani, die ebenso scharf mit Schmidt verfuhr.
Bei diesem Schlagabtausch ging es offenbar um Feinheiten der Grammatikregeln ebenso wie um Publikationsrechte und Druckerprivilegien. Eine Konkurrenz zwischen Wittenberg und Leipzig hat sicherlich auch eine Rolle gespielt. Der spätere Herausgeber der Schriften von Rhenius, Gottfried Lange, liefert in seinem Vorwort 1750 einen ausgewogenen Bericht über diese Fehde und beschreibt den Autor als ein rechthaberisches Gemüt, der aber ein ausgezeichneter Latinist und Pädagoge war, dessen Schriften „in den Schulen jederzeit ihren Wert behalten“. (1750: Vorw.) Er meint, diese Auseinandersetzung hätte etwas Gutes gebracht, denn sie habe Schmidt zur Verbesserung der Ausgabe der Grammatica Latina. (1621) veranlasst.
Zu den Befürwortern von Rhenius gehörten u.a. der Kurfürst von Sachsen und Johann Kirchmann, Rektor in Lübeck. Auch wurden seine didaktischen Gedanken in dem Sammelwerk des Magdeburger Schulleiters Andreas Cramer aufgenommen. Der Rhenius-Biograph Ernst Schwabe stellte sich 1916 entschieden auf seine Seite.
Rhenius´ grammatische Schriften wurden bis ins 18. Jahrhundert gedruckt. Besonders weite Verbreitung fand die zweisprachige Donatus-Ausgabe, die auch in andere Sprachen übertragen wurde. Nach ihrem Modell wurden in Osteuropa mehrere zwei- oder dreisprachige Grammatiken herausgegeben. (Ising 1970: 295-299)
Das Augenfälligste aber ist, dass der schärfste Kritiker von Rhenius, Erasmus Schmidt, in seiner Überarbeitung der Melanchthongrammatik, Philippi Melanchthonis Grammatica Latina. (1621), vieles von Rhenius übernommen hat. Dem Vorbild Rhenius´ entspricht u.a. das Frage-Antwort-Muster, die Dreiteilung des Materials nach Zielgruppen und die Neugestaltung der Syntax. Nahezu alles, was sich in seiner Ausgabe vom Original Melanchthons unterscheidet, ist auf Rhenius zurückzuführen.
1 Lange schreibt (1750 b3v), er wäre von Kaiserlichen Truppen verhindert worden und konnte deshalb nicht Stargrad erreichen.
2 Das ist eine Überarbeitung seiner ersten Veröffentlichung, Elementa latinae grammaticae. (1610), deren Verbreitung aber wegen angeblichem Verstoß gegen ein Druckerprivileg des Verlags Samuel Selfisch untersagt wurde. (Ising 1970:97)
3 Auch mit dem Namen Grammatica latina [maior] cum paralipomenis erschienen.
4 Die Melanchthongrammatik ging damals unter dem Namen Major Philippi Grammatica.
5 Ramus´ Definition für Etymologie lautet: „Etymologia est prima pars Grammaticae, que vocum singularum proprietates interpretatur“ (1578:5).
6 In der Grammatica Latina hieß es: „Nomen est pars orationis, que rem significat, non actionem.“ (1526: F7v).
7 Dieses Kriterium, die Substative von den Adjektiven durch die muttersprachlichen Signa zu unterscheiden, ist bereits im 15. Jahrhundert belegt, z.B. im Exercitium puerorum.
8 Als Erkennungsmerkmal des Verbs gab bereits das Compendium octo die Möglichkeit der Hinzufügung von ‚man‛„ad eius vulgare potsest addi man.“ [ca. 1485: a4].
9 Die Zahl der Adverb-Bedeutungen war nicht festgelegt, Donatus hatte 24, Priscianus 21. Die Liste von Rhenius ist eine Kombination aus verschiedenen Quellen.
10 Rhenius nennt Ratke seinen besten Freund, ‚optimi amici mei‛ (Rhenius 1617, Vorwort).
11 Die Kritik Wankels war deswegen fragwürdig, weil sie nicht die neueste Fassung betraf, sondern die erste, deren Fehler schon in der bereits gedruckten zweiten Auflage korrigiert waren.
12 Auch als Centuriae [VII], collectae studio et opera Erasmii Schmidii bekannt.