Erasmus Schmidt
Aino Kärnä. TEI-Kodierung durch Jenny Malinen

Inhaltsverzeichnis

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  1. Überlieferung
    1. Standorte
  2. Verfasser
  3. Inhalt
  4. Kontext und Klassifizierung
  5. Rezeption
  6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur

1. Überlieferung[arrow up]

Diese von Erasmus Schmidt bearbeitete Grammatik, die sich auf die Grammatica Latina. Philipp Melanchthons bezieht, wurde 1621 1 in Wittenberg bei Selfisch gedruckt. Sie war auf Veranlassung des Kurfürsten hergestellt und erfuhr zumindest neun Neuauflagen in den Jahren 1622-1661. Außerdem wurde sie in Leipzig bei Weidmann (1689 – 1737), ¬¬Gleditsch (1698) und Fuhrmann (1678 – 1683) sowie in Goslar bei Dunker (1637, 1648) gedruckt. Dieses Lehrbuch stellt ein Beispiel für die verschiedenen Varianten der Grammatiken dar, denen der Name Philipp Melanchthons Autorität verschaffen soll.

1.1. Standorte[arrow up]

2. Verfasser[arrow up]

Der Philologe und Mathematiker Erasmus Schmidt (auch Schmid, Schmied) wurde 1570 in Delitzsch (Sachsen) als Sohn des Bürgermeisters seiner Heimatstadt geboren, ging nach der öffentlichen Schule mit 15 Jahren an das kurfürstliche Landesgymnasium in Schulpforta 2 und von dort – unterstützt von einem Stipendium des Kurfürsten – an die Universität Wittenberg. Dort studierte er an der Philosophischen Fakultät klassische Sprachen, Mathematik und Naturwissenschaften und erlangte 1593 die Magisterwürde. Zwei darauffolgende Jahre ohne feste Stelle füllte er mit privaten Vorlesungen aus, reiste dann nach Löcse (Ungarn), aber da er dort einen in Aussicht gestellten Posten nicht bekam, kehrte er nach Wittenberg zurück. 1597 erhielt er an seiner ‚Alma Mater‛ zunächst eine Stelle als Adjunkt und noch im selben Jahr die Professur für Griechisch und Hebräisch. Ab 1614 wurde ihm neben der griechischen Sprache auch die Professur für niedere Mathematik anvertraut.

Der Wittenberger Professor war überdies als Inspektor der kurfürstlichen Stipendiaten sowie als Visitator der Fürstenschulen tätig. Auch publizistisch war er sehr aktiv: Außer der hier vorgestellten Grammatik verfasste er zahlreiche Schriften zur Theologie, Gräzistik und Latinistik. Besondere Anerkennung fanden seine Kenntnisse in der griechischen Sprache und Literatur, wovon seine sorgfältig kommentierten Ausgaben von Gedichten des Pindar und Hesiod mit lateinischer Übersetzung sowie Werke zur Aussprache des Griechischen und zu den griechischen Dialekten zeugten. Zu seinen Publikationen zählen weiterhin ein Begleitwerk zu seiner Grammatik, die Hypomnemata et alia quaedam, ad grammaticam Philippi Melanchthonis revisam pertinentia, (1621 und öfter) und außerdem mathematische und astronomische Schriften. Im Jahr 1637 kam seine, an jüngere Schüler gerichtete, vereinfachte Version der Grammatik, das Compendium Ex Grammatica Latina Philippi Melanchthonis in Rinteln bei Petrus Lucius heraus. Auch diese, etwa 150 Seiten umfassende Anfängergrammatik wurde mehrmals aufgelegt und auch in anderen Druckereien gedruckt. Diese Schulschrift war ebenso auf Anordnung des Kurfürsten verfasst, und vor allem an den jungen Herzog Johann Georg (III) gerichtet. (Richter 1913: 206)

Die Fehde mit Johannes Rhenius brachte eine polemische Seite der Persönlichkeit von Schmidt zum Vorschein. 1616 publizierte er eine giftige Streitschrift gegen Rhenius mit dem Titel Centuriae [VII], collectae studio et opera Erasmii Schmidii 3 , die besonders an der Leipziger Universität für Aufsehen sorgte. Aus seiner Feder stammt auch eine zweite, mittlerweile verschollene Schrift gegen Rhenius, worauf dieser mit seiner Historia belli grammaticalis (1617) erwiderte. Es wurde deutlich, dass diese ehemaligen Freunde 4 sich nun verfeindet hatten. Doch an der Wittenberger Universität Leucorea galt Schmidt nach wie vor als ein anerkannter Philologe und geachteter Lehrer, und ihm wurde die Umarbeitung der Grammatica Latina Melanchthons 5 anvertraut, die als Staatlehrbuch eingesetzt werden sollte. Schmidt nahm sich dieser Aufgabe an, und das Lehrbuch erschien im Jahr 1621.

Schmidt wurde an der Universität Wittenberg sieben Mal zum Dekan gewählt und zweimal bekleidete er das Rektorat, was das Ansehen bezeugt, das unser Autor an der Universität Wittenberg genoss. Seine beiden Stellen als Professor für Griechisch und Mathematik hatte er bis zu seinem Tod 1637 inne.

3. Inhalt[arrow up]

Die von Erasmus Schmidt besorgten Ausgaben 6 und die späteren postumen Auflagen, denen angeblich die Grammatica Latina. von Philipp Melanchthon zugrunde liegt, weisen grundlegende Änderungen im Vergleich zu der Urfassung auf. Es sind so viele Anregungen und Zusätze aus anderen grammatikographischen Richtungen hinzugekommen, dass es angebracht ist, diese Edition als einen gesonderten Eintrag vorzustellen.

Bereits auf dem Titelblatt werden Grammatiker genannt, die herangezogen wurden: Jul[ius] Caes[ar] Scaliger, Petrus Ramus, Nicod[emus] Frischlin, Joseph Scaliger, Johann Wanckel und Johann Rhenius. In dem ausführlichen Vorwort erklärt der Autor seine Beweggründe für diese Publikation und führt die Änderungen auf, die er an der Grammatica Latina vorgenommen hat. Schmidt rühmt zwar Melanchthon (‚vir incomparabilis‛) und lobt seine Grammatik, aber meint, es sei durch den Fortschritt der Forschung begründet, ihre Mängel zu beseitigen, einiges zu berichtigen, zu vervollständigen und Überflüssiges zu entfernen. Die meisten Definitionen zu den Grundbegriffen entsprechen denen der Originalausgabe, aber oft sind sie aus anderen Quellen ergänzt worden.

Der Verfasser erklärt, er habe die Grammatik nach einem neuen System aufgebaut. Dabei entsteht eine durch Markierungen angegebene Abstufung, und zwar: * für Anfängerstufe, † für die mittlere Stufe und ∆ für fortgeschrittene Schüler 7 . Über Regeln, denen ein Quadrat vorangestellt ist, gibt Schmidt an, es sei nicht notwendig, sie zu behandeln, und überlässt es dem Verstand des Lehrers, ob sie im Unterricht aufgenommen werden. Zudem gibt der Autor an, er habe in dem Begleitband Hypomnemata zusätzliches Material gegeben, wo schwierige bzw. strittige Punkte genauer erklärt werden 8 . Die Ziffern in den Marginalien der Grammatik beziehen sich hierauf. Außerdem weist er auf seine Elementargrammatik Compendium hin.

Diese Grammatik ist – im Unterschied zum Originalwerk aber übereinstimmend mit Rhenius – nach einem Frage-Antwort-Muster aufgebaut und umfasst die Orthographie, die Morphologie, die Syntax, die Prosodie und ein Kapitel über Figuren, über Sprachfehler (‚De vitis orationis grammaticae‛), über leicht verwechselbare Wörter sowie eine alphabetische Wortliste mit Angabe der Silbenlänge.

Die Definitionen für die Teile der Grammatik stimmen fast wörtlich mit denen von Rhenius überein. Die Orthographie wird als Teil der Grammatik erklärt, der die Buchstaben und ihre Unterschiede, die Schrift, Aussprache und Vereinigung in Silben lehrt (1621: 2) 9 . In diesem Kapitel werden die Buchstaben bzw. Laute, Silben und Silbentrennung behandelt. Die Prosodie wird hier genannt, aber ihre eingehende Darstellung erfolgt am Ende des Werks.

Als zweites Kapitel folgt die Etymologie, die ebenfalls fast wortgleich mit Rhenius definiert wird: ‚pars Grammaticae, quae singularum vocum seu Partium orationis integrae naturam explicat‛. (1621: 9) Die Wörter werden in deklinierbare und undeklinierbare unterteilt und in der Abfolge Nomen, Pronomen, Verb, Partizip, Adverb, Präposition, Konjunktion und Interjektion behandelt, die diese Unterteilung widerspiegelt. Anfangs werden die drei Arten von Akzidentien besprochen: solche, die allen oder den meisten Wörtern zukommen (‚Generalia‛) wie ‚Species‛ und ‚Figura‛, und solche, die nur bei den deklinierbaren auftreten (‚Specialiora‛) wie Numerus und Person und schließlich die ganz spezifischen (‚Specialissima‛), die nur vereinzelt vorkommen. Diese Darstellung folgt Rhenius; im Melanchthons Urtext war sie nicht vorhanden.

Die Definition des Nomens hat in Schmidts Edition den Wortlaut Melanchthons annähernd erhalten, denn es wird als ein Wort definiert, das ein Ding (bzw. eine Sache) bedeutet, kein Tun oder Leiden, (‚significans rem, non agere aut pati‛). (1621: 12-13) 10 Nur die Akzidentien Genus und Numerus werden – wie bei Rhenius – an dieser Stelle besprochen, da die anderen (‚species, figura, analogia, anomalia, numerus, persona‛) bereits am Anfang behandelt waren.

Das Kapitel über das Nomen folgt dem von Rhenius und unterscheidet sich entsprechend von der Darstellung Melanchthons. Zunächst folgt eine Einteilung der Nomina in Substantive und Adjektive, wobei beide ‚Mobile‛ oder ‚Immobile‛ sein können. Die ‚Nomina Mobilia‛ haben als Maskulina und Feminina eine unterschiedliche Form, wie ‚Rex‛ und ‚Regina‛; die ‚Nomina Immobilia‛ dagegen weisen keine Formveränderung auf, wie ‚Homo‛ oder ‚Felix‛. Noch eine dritte Gruppe, die ‚Abundans‛ wird genannt. Ein Nomen ist nach Schmidt dadurch zu erkennen, dass man dazu das deutsche ‚Wort Ein/ Der/ Die/ Das‛ setzen kann. 11

Darauf folgt die Behandlung des Substantivs (‚Nomen Substantivum‛), das man – übereinstimmend mit Melanchthon und Rhenius – daran erkennt, dass man dazu kein ‚Man/ Weib/ Ding‛ hinzufügen kann. Zweierlei Substantive werden unterschieden: ‚Propria‛, d.h. Eigennamen und ‚Appellativa‛, Gattungsnamen. Diese Dichotomie führte Melanchthon in seiner Grammatik als erste Einteilung der Nomina auf. Die Passage beinhaltet einige Substantive, die sowohl eine maskuline als auch eine feminine Form aufweisen. (1621: 13ff)

Anschließend behandelt Schmidt die Adjektive, die den Zusatz ‚Mann, Weib, Ding‛ erlauben. Hier wird zwischen Adjektiven mit einer Endung und solchen, die zwei oder drei Endungen haben, differenziert. Nach der Besprechung der regelmäßigen und unregelmäßigen Komparation folgen Regeln zum Genus des Nomens und des Adjektivs zunächst nach Bedeutungstypen und dann nach Endungen geordnet. Die Regeln zur Genusbestimmung sind fast wörtlich von Rhenius entlehnt – allerdings gehörten sie auch zum Gemeingut der Lateingrammatiken. Diesem Kapitel schließt sich eine Darstellung der Deklination an, wobei auch die ‚Defectivae‛ und die ‚Heteroclita‛ beachtet werden. Auch hier folgt der Autor eher Rhenius´ Darstellung, nicht Melanchthons. Der Abschnitt über die Nomina endet mit einigen Bemerkungen zu ihrer Wortbildung.

Das Pronomen wird als Wort bezeichnet, das gebraucht wird, um auf Sachen hinzuweisen oder um die Wiederholung des Nomens zu vermeiden. Der Wortlaut ‚ubi Nominis repetitio ingrata erat futura‛ (1621: 114) weicht von dem der ursprünglichen Formulierung Melanchthons ab 12 . Dieser Zusatz stammt weder von Schmidt selbst noch ursprünglich von Rhenius, der genauso formuliert, aber man findet ihn bereits in früheren Ausgaben der Grammatica (z.B. 1535, 1538, 1542 und 1546).

Die Pronomen zerfallen in mehrere Subklassen: in substantivische (‚Ego, Tu, Sui‛) und adjektivische (‚Hic, Iste & reliqva omnia‛). Weiterhin werden die Arten ‚Primitiva‛ (‚Ego, Tu, Sui, Ille, Iste, Ipse, Hic, Is, Quis, Qui‛) und ‚Derivata‛ (‚Meuus, Tuus‛ usw.) unterschieden. Anschließend bringt Schmidt ein Kapitel über die Wortbildung der Pronomina in Verbindung mit Verben (‚Quilibet‛), Adverbien (‚Eccum, Ellum‛), Präpositionen (‚Mecum, Tecum‛) Konjunktionen (‚Quisque‛) und Nomen (‚Cuiusmodi‛). Diese Typen waren bei Melanchthon zwar kurz erwähnt, aber nicht so ausführlich behandelt. Die Bedeutungsgruppen der Pronomina dagegen sind die gleichen wie in der Originalausgabe: ‚Demonstrativa, Relativa, Reciproca, Interrogativa, Possesiva, Gentilia‛. Ihre Behandlung ist hier detaillierter. (1621: 116-118)

Das Verb erhält zunächst die von Melanchthon übernommene semantisch begründete Definition ‚pars Orationis, significans agere aliquid aut pati‛. (1621: 124) Dass das Verb durch die Hinzufügung der deutschen ‚Partikeln‛‚Ich/ Du/ Er/ Wir/ Ihr/ Sie‛ zu erkennen sei, ist eine von Melanchthon unabhängige Feststellung, die bereits Rhenius hatte. Es werden zwei Arten von Verben unterschieden: ‚Personale‛ und ‚Impersonale‛. Auch die verschiedenen Verbtypen, die inchoativen, frequentativen, meditativen und diminutiven Verben werden eingehend behandelt – im Unterschied zum Original, wo diese Einteilungen zwar genannt, aber nicht ausführlich besprochen werden. Als ‚Genus Verborum‛ werden das Aktiv, Passiv, Neutrum und Deponens genannt und mit Beispielen erläutert. Anschließend folgen Ausführungen zur Wortbildung: die ‚Species Verborum‛ und die ‚Figura Verborum13 .

Das Kapitel über Modus und Tempus macht von der Muttersprache Gebrauch, indem manche Verbformen ins Deutsche übersetzt werden. Der Konjugation der Verba ist ein ausführliches Kapitel gewidmet, das ähnlich wie in den Vorgängergrammatiken gestaltet und mit ausführlichen Verblisten versehen ist.

Das Partizip wird definiert als ‚Nomen Adjectivum Verbale, significans Tempus‛ (1621: 199), wobei das Wort ‚Adjectivum‛ einen Zusatz im Vergleich zu Melanchthon darstellt und offenbar von Rhenius übernommen ist. Dem Partizip kommen fünf Akzidentien zuteil: ‚Genus‛ (Masc., Fem., Neutr., Omnia), ‚Figura‛ (Simplex, Composita), ‚Declinatio‛ (drei Deklinationen), ‚Tempus‛ (Praes., Praet., Fut.) und ‚Significatio‛, Bedeutung 14 . Der Numerus und der Kasus, die Melanchthon als Akzidentien des Partizips aufführte, sind weggefallen, aber ansonsten erfahren die Formen der Partizipien eine viel ausführlichere Besprechung als bei Melanchthon.

Die Definition des Adverbs folgt dem Wortlaut der Grammatica Latina. Melanchthon hatte im Unterschied zu der kanonisierten Fassung seine Definition innovativ formuliert: als Adverb sei ein Wort bezeichnet, das den Umstand eines Tuns oder Leidens mit einem Wort ausdrückt: „Adverbium vocarunt, quod actionis aut passionis circumstantiam una voce effert.(Gramm. Lat. 1527: H8v) 15

Drei Akzidentien werden aufgezählt: ‚Species, Significatio‛ und ‚Figura‛. Diese sind aus der Geschichte tradiert und kommen auch sowohl bei Melanchthon als auch bei Rhenius vor, aber die Bedeutungstypen werden hier deutlich differenzierter als im Urtext dargestellt: Melanchthon besprach in seiner Grammatica Latina nur die Lokaladverbien genauer, da die anderen bei Donatus aufgeführt seien und ihre Wiederholung sich erübrige; Schmidt dagegen führt ganze 31 Bedeutungstypen 16 auf und bespricht sie einzeln. Zu jeder Gruppe gibt er in lateinischer und deutscher Sprache ein Erkennungsmerkmal, u.zw. das Fragewort: die Adverbien der Qualität etwa werden durch die Frage ‚Quomodo‛; ‚Wie/ welcher gestalt‛ erkannt. (1621: 213-228) Die Komparation der Adverbien schließt dieses Kapitel ab.

Auch die Präposition wird ebenso definiert wie in der Grammatica Latina, als Bindeglied (‚articulus‛), das ein Verbum mit dem Nomen verbindet und einen Umstand ausdrückt; nur die gegebenen Beispiele sind teilweise geändert. Neu im Vergleich zum Original ist die Einteilung in ‚Separabiles‛ und ‚Inseparabiles‛, die bereits bei Rhenius (1611: 92) vorlag. Anschließend werden die Kasus besprochen, die die Präpositionen verlangen (1621: 229-234).

Die Beschreibung der Konjunktion bewahrt weitgehend die ursprüngliche Darstellung Melanchthons: 17 die Definition besagt, es seien Wörter, die übergeordneten Sätzen andere andere anschließen. Auch das schöne Beispiel bleibt erhalten: „Nox et Amor, Vinumque nihil moderabile suadent“. Schmidt führt ebenfalls drei Akzidentien der Konjunktionen auf: ‚Figura, Significatio‛ und ‚Ordo‛, d.h. Wortbildungs-, Bedeutungs- und Stellungsmerkmale. Allerdings werden zusätzlich Beispiele gegeben und mehr Bedeutungstypen vorgestellt. Der Urtext führte ihrer sieben auf, bei unserem Autor sind es zwölf: ‚Copulativae, Disjunctivae, Electivae, Adversativae, Concessivae, Conditionales, Exceptivae, Explanativae, Causales, Conclusivae, Ordinis‛ und ‚Completivae‛. (1621: 234-237) Das sind die gleichen wie bei Rhenius – mit der Ausnahme der ‚Ordinis‛, die bei Rhenius ‚Continuativae‛ hießen.

Die Interjektion wird in allen Grammatiken dieser Zeit recht kurz behandelt. Schmidt bewahrt die Definition der Grammatica Latina, nach der die Interjektionen keine eigentlichen Wörter seien, sondern nur ungeordnete Laute (‚sonus inconditus‛), die einen Affekt der Seele ausdrücken. Die Anzahl der Bedeutungsgruppen ist im Vergleich zum Urtext um das Dreifache vermehrt. Melanchthon zählte nur die der Bewunderung, des Schmerzes, der Furcht und der Entrüstung auf. Schmidt hat eine Anzahl von zusätzlichen Bedeutungen hinzugefügt: die Interjektionen der Anerkennung, der Freude, des Lachens, des Ausrufens, des Weinens usw. (1621: 237-238). Diese Gruppen sind sehr ähnlich, aber nicht deckungsgleich mit denen von Rhenius (1611: 96).

Im dritten Teil, die der Morphologie folgt, in der Syntax, gibt Schmidt die Hauptbestandteile eines Satzes an. Die Syntax ist – wie bei Rhenius – in zwei Teile geteilt: in transitive und intransitive. Die transitive Syntax befasst sich mit Fragen der Rektion, die intransitive mit der Kongruenz.

Die erste Regel betrifft – wie seit jeher – die Kongruenz des Adjektivs mit dem Substantiv: „Adjectivum & Substantivum eodem Genere, Numero & Casu cohaerent“. Diese Regel ist im Original gleichlautend, aber die Begriffe transitiv und intransitiv wurden von Melanchthon nicht geprägt. Die zweite Regel betrifft die Kongruenz des Relativs mit seinem Bezugswort. Es folgen Regeln zu den Numeralia und Regeln zu den transitiven Nomina, womit die Verbindung von zwei Substantiven gemeint ist. Im weiteren Verlauf sind die Regeln nach Wortarten geordnet, aber das Hauptprinzip besteht in der Einteilung nach den Begriffen transitiv und intransitiv. In dem ausführlichen Syntaxteil kommt auch gelegentlich die Muttersprache mit ins Spiel, denn einigen Beispielsätzen werden deutsche Übertragungen beigefügt. Allerdings verhält sich Schmidt in dieser Beziehung recht zurückhaltend.

Nach der Syntax folgt die Prosodie, in der die Quantitäten und Akzente der Silben besprochen werden. Und abschließend, nach einer recht ausführlichen Darstellung der Vers- und Figurenlehre sowie grammatischen Fehlern und gleichlautenden, verwechselbaren Vokabeln steht den Schülern ein alphabetisches Wörterverzeichnis zur Verfügung, die die Betonung und Silbenlängen darlegt.

4. Kontext und Klassifizierung[arrow up]

Diese von Erasmus Schmidt besorgte und für den Universitätsgebrauch bestimmte Grammatik ist im Auftrag des Kurfürsten Johann Georg I entstanden. Das Ziel war, einheitlichen Lateinunterricht in den Schulen und Universitäten einzuführen. Zur Wahl standen die Lehrbücher von Johannes Rhenius oder eine verbesserte Auflage der Grammatica Latina. von Melanchthon. Die philosophische Fakultät der Universität Wittenberg entschied sich für die Neubearbeitung der Grammatik Melanchthons. (Grohmann 1802: 209 Dabei war durchaus nicht klar, worüber eigentlich entschieden wurde. Die vorliegende Grammatik gibt zwar in ihrem Titel an, eine überprüfte und bereicherte Ausgabe der Melanchthon-Grammatik zu sein, in Wirklichkeit unterscheidet sie sich aber in so vielen Punkten von jener, dass diese Aussage nur bedingt als zutreffend betrachtet werden kann. Auch dem Umfang nach unterscheiden sich diese beiden Lehrwerke beträchtlich: aus dem Urtext Melanchthons, der etwa 150 Seiten ausmachte, ist ein Opus von mehr als 600 Seiten entstanden.

Die auf dem Titelblatt angeführten Quellen, Julius C. Scaliger, Joseph Scaliger, Petrus Ramus, Nicodemus Frischlin, Johannes Wanckel und Johannes Rhenius, entsprechen der Aufgabenstellung, die für die Neubearbeitung vorgegeben waren. (Kathe 2002:250) Es waren bekannte Autoren, deren Namen für wissenschaftliche Qualität einer Grammatik bürgten, worauf die Beibehaltung des Namens Melanchthon wahrscheinlich ebenfalls zielte.

Während die früheren Editoren der Grammatik Melanchthons Zeitgenossen, Schüler oder sogar enge Freunde des Autors waren 18 , gehört Erasmus Schmidt einer späteren Generation an. Er war sicherlich Melanchthon und seiner Lehre schon durch die Zugehörigkeit zu der gleichen ‚Alma Mater‛ verbunden, aber dennoch unabhängig und konnte sich deswegen freier zum Text verhalten. Er hat offensichtlich die Überarbeitungen seiner Vorgänger gekannt und sie differenziert genutzt. Manches aus der Überarbeitung Joachim Camerarius´ ist wiederzufinden, aber durchaus nicht alle seine Neuerungen. Schmidt behält z.B. den alten Terminus ‚partes orationis‛ für die Wortarten bei, statt ‚dictionum species‛, den Camerarius vorzog.

Vom Einfluss Scaligers, Ramus´ oder Frischlins ist zumindest im morphologischen Teil allerdings recht wenig zu erkennen. Die Kategorisierung der Wortarten nach formalen Kriterien ist z.B. nicht übernommen worden, sondern es herrschen die ursprünglichen melanchthonischen, weitgehend auf semantischen Kriterien basierenden Definitionen vor. Die Syntax weist dagegen mehr Einfluss aus der Quellenliteratur auf, v.a. in der Einteilung in transitive und intransitive Syntax.

Insgesamt war aber Johannes Rhenius´ Grammatik offenbar die wichtigste Vorlage. In Anbetracht der bitteren grammatischen Fehden, die diese ehemaligen Freunde miteinander führten, ist dies durchaus bemerkenswert.

5. Rezeption[arrow up]

Dieses Lehrbuch erschien nach einer scharfen Polemik zwischen Johannes Rhenius einerseits und Schmidt mit seinen Kollegen andererseits. Sie entfachte sich zu einem regelrechten Grammatikkrieg, wobei Streitschriften aufeinander folgten und Angriffe persönlicher Art nicht ausblieben. Insgesamt ging es offenbar vorwiegend um die Publikationsrechte und um eine Konkurrenz zwischen Wittenberg und Leipzig. – Die Entscheidung darüber, wer bei dieser Polemik recht hatte, scheint vom Standpunkt des Betrachters abzuhängen. Gottfried Lange, der Herausgeber der Schriften von Rhenius, sowie der Rhenius-Biograph Ernst Schwabe stellten sich entschieden auf dessen Seite. Schmidt dagegen hatte Befürworter in seiner ‚Alma Mater‛ und – was sicherlich wertvoll für den Betreffenden war – beim Kurfürsten gefunden.

Diese Schmidt'sche Bearbeitung der Melanchthon-Grammatik trug den Sieg davon und verdrängte die bisher meistgebrauchte Überarbeitung, nämlich die von Jacob Micyllus (1540 und öfter). Genaue Daten über die Rezeption der hier vorliegenden Philippi Melanchthonis Grammatica Latina liegen uns nicht vor, denn dieses Werk erschien zunächst anonym und ging folglich in die grammatikographische und schulgeschichtliche Literatur als eine der Melanchthongrammatiken ein. Ihr Erfolg und ihr Ansehen geht aber aus der langen, weit über das Lebensalter des Verfassers hinausreichenden Publikationsgeschichte hervor. Dasselbe bezeugt die Tatsache, dass sie sehr lange in Schulen Kursachsens eingesetzt wurde und dort den Status eines Staatslehrbuches gewann.

Allerdings muss hinzugefügt werden, dass die wichtigste methodische Neuerung dieses Lehrbuches, u.zw. die dreistufige Darstellung des Stoffes nach Lernstufe, nicht von Schmidt, sondern von seinem Konkurrenten Johannes Rhenius stammte.

6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur[arrow up]


1 Bindseil (1854:235-238) führt als die erste der von Schmidt bearbeiteten Grammatiken das Compendium ex Grammatica Latina Philippi Melanchthonis aus dem Jahr 1620 auf. (Datum des Vorworts 18. Oct. 1619). Dieser Druck ist jedoch nicht mehr auffindbar.

2 Schwabe (1916: 8) spricht von der Klosterschule zu Pforta, womit die gleiche Lehranstalt gemeint ist. Das Zisterzienserkloster war bereits 1543 in eine Internatsschule umgewandelt worden.

3 Auch als Centuriae [VII], praecipuarum falsitatum […] in libris grammaticis M.Johannis Rhenii bekannt. Schwabe (1916: 32) sagt drüber aus: „Unter den hanebüchenen Schmähschriften jener Zeit ist sie eine der ärgsten und giftigsten“.

4 Rhenius bringt dies im Vorwort seiner Historia belli zum Ausdruck.

5 Es handelte sich dabei um die Version, die Jakob Micyllus (1540 und öfter) bzw. Joachim Camererius (1550 und öfter) herausgegeben hatte.

6 Diese von Schmidt besorgte Neubearbeitung der Grammatik ist zumindest 1621, 1622, 1629, 1634 und postum 1639, 1653 1661, 1667, 1672, 1678, 1689, 1698, 1714, 1734 erschienen.

7 Den dreistufigen Aufbau hat Schmidt von Johannes Rhenius übernommen, aber gibt die Quelle nicht an. (Schwabe 1916:38). Vgl. Rhenius in diesem Handbuch.

8 Die Aufteilung des grammatischen Materials in mehrere Bände folgt ebenfalls dem Vorbild Rhenius´.

9 Bei Rhenius etwas kürzer: „Est pars Grammaticae, quae literarum discrimen & scripturam docet“. (1611: 1)

10 In der ursprünglichen Grammatica Latina hieß es: „Nomen est pars orationis, que rem significat, non actionem“.

11 Der Gebrauch dieser volkssprachigen ‚signa‛ geht in den gedruckten Lehrbüchern bereits in das 15. Jahrhundert zurück (vgl. Compendium octo partium orationis in diesem Handbuch), in der Unterrichtpraxis war er wahrscheinlich seit jeher bekannt.

12 In der Grammatica Latina hieß es: „Pronomen est vox, qua utimur in demonstranda re, quam nomine utimur non erat commodum“.

13 Dabei übersieht Schmidt seine eigene, am Anfang gestellte, ramistische Vorgabe, dass diejenigen Akzidentien, die vielen Wortarten gemeinsam sind, eingangs behandelt werden sollten.

14 Auch hier wird das anfangs gestellte Prinzip nicht befolgt.

15 Hierzu ausführlicher Kärnä 2007:168ff.

16 Die Zahl der Adverb-Bedeutungen war nicht fest, Donatus hatte 24, Priscianus 21, Rhenius 25.

17 Melanchthon hatte zu den Konjunktionen folgende ergänzungsbedürftige Definition gegeben: „Conjunctio est, quae subinde superiobus sententiis aut partibus alias annectit. ut, Nox & amor, uinumque niihil moderabile suadet“. ‘Die Konjunktion ist ein Wort, das mit unmittelbar voraus¬gehenden Sätzen oder deren Teilen andere Sätze und Satzteile verbindet.‘

18 Bereits die vorangegangenen Bearbeitungen der Grammatica Latina Melanchthons, z.B. die von Joachim Camerarius (1550 und öfter) und Johannes Faber (1606) hatten erhebliche Änderungen vorgenommen, sie gekürzt oder erweitert und vieles aus der grammatikographischen Tradition hinzugefügt. Zu den Editoren der Grammatica Latina zählt außerdem u.a. Jacob Micyllus (1540 und öfter), der vom Autor selbst aufgefordert war, nötige Korrekturen zu machen und der dem Original ziemlich treu blieb, ebenfalls die Bearbeitung von Eoban Hessus (1560); Lucas Lossius schrieb die Grammatik in Frage-Antwort-Muster um (1544); Nicolai Medler (1560) und Michael Neander (1579) gaben ebenfalls gekürzte Fassungen heraus.

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