Vorwort
verfasst von Irene Dingel
[Inhaltsverzeichnis]

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Vorwort

Bis heute hat die Forschung die im Anschluss an das Augsburger und das
sogenannte Leipziger Interim von 1548 aufgebrochenen Kontroversen im-
mer wieder als unnützes Theologengezänk abgetan und dabei ihre richtung-
weisende Kraft für die sich bildenden Konfessionen wie auch ihren über die
Grenzen der Territorien des damaligen Heiligen Römischen Reichs deut-
scher Nation ausstrahlenden Einfluss mehr oder weniger ignoriert. Sofern
diese weitgehend innerprotestantischen, freilich vor dem Hintergrund eines
sich konsolidierenden Katholizismus verlaufenden Streitigkeiten in älteren
handbuchartigen Darstellungen Berücksichtigung fanden, schlug zumeist die
jeweilige konfessionell wertende Perspektive des Autors durch. Auch in den
neueren Handbüchern hat sich dies kaum geändert, selbst wenn aktuelle
Einzelforschungen dabei sind, die nachinterimistischen Entwicklungen
multiperspektivisch zu erschließen. Die zahlreichen Quellen jenes Zeitalters
sind dennoch bis heute weitestgehend unbekannt geblieben und schwer
zugänglich. An dieser Stelle will die kritische und kommentierte Edition
„Controversia et Confessio“ Abhilfe schaffen. Sie trägt der Tatsache Rechnung,
dass sich nach dem Tod Martin Luthers in den durch das Interim
ausgelösten und unter dem Einfluss Philipp Melanchthons ausgetragenen
Debatten deutlich die theologische Vielfalt des Protestantismus Augsburger
Konfession äußerte. Hier wurden zudem Fragen diskutiert, die für die wei-
tere Entwicklung von Bekenntnis und Lehre bis in die Gegenwart hinein von
ausschlaggebendem Charakter blieben und die für die beginnende Konfes-
sionsbildung und Konfessionalisierung auf gesellschaftlichem, politischem
und kirchenpolitischem Feld entscheidende Weichenstellungen trafen. Dem-
entsprechend zielt die hier vorliegende Quellenedition nicht auf die Doku-
mentation des Lebens und Wirkens einzelner Verfasser, sondern auf die
Erschließung thematischer Zusammenhänge und deren Entwicklung, einge-
bettet in eine die verschiedensten literarischen Genera nutzende „Streitkul-
tur“. Abgedruckt und über kurze historische Einleitungen sowie Sachkom-
mentare erschlossen werden jene Schriften, deren Rezeption zu weiterer
Debatte Anlass gab und die so den theologischen Meinungsbildungsprozess
beförderten. Auf diese Weise können die sich direkt auf das Augsburger
Interim beziehenden Auseinandersetzungen, d.h. der Interimistische Streit,
die Debatte um die Adiaphora, die antinomistischen, majoristischen, syn-
ergistischen und osiandrischen Streitigkeiten sowie die Kontroversen um die

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anthropologische Relevanz der Erbsünde und – mit dem hier vorliegenden
Band – diejenigen um das Verständnis von Abendmahl und Christologie,
erstmals zusammenhängend aus den Quellen erhoben werden. Dass dies
angesichts der Fülle der Druckerzeugnisse nur in Auswahl erfolgen kann,
versteht sich von selbst. Die Gesamtheit der erschienenen Schriften – ca.
2.000 Drucke zwischen Interim und Konkordienformel – ist bibliographisch
in einer im Internet frei zugänglichen und für Recherchezwecke ausgelegten
Datenbank verzeichnet (http://www.controversia-et-confessio.adwmainz.de).
Hier finden sich auch kurze Inhaltsangaben der Druckschriften, thematische
Zuordnungen zu den jeweiligen Streitkreisen, Informationen zu Druckern
und Druckorten sowie Biogramme der einzelnen Verfasser, die es ermögli-
chen sollen, universitäre Einflüsse und persönliche Netzwerke nachzuver-
folgen.
Dass nach einer vierjährigen Förderung durch die DFG und am Beginn der
2007 auf Antrag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur
(Mainz)
erfolgten Aufnahme des Projekts in die Langzeitförderung durch die
Union der deutschen Wissenschaftsakademien nun der erste Editionsband –
es ist in der Folge der geplanten Bände der achte – erscheinen kann, ist dem
engagierten Einsatz der Bearbeiter Dr. Henning Jürgens und Dr. Johannes
Hund zu danken. Ihre Arbeit wurde durch die mannigfaltigen Recherchen
Dr. Andreas Mohrs grundlegend befördert und durch die sachverständigen
Korrekturen und Ergänzungen Hans-Otto Schneiders entscheidend gestützt.
Sehr zu danken haben wir der Leitung der Herzog August Bibliothek Wol-
fenbüttel
sowie ihren Mitarbeitern für die vielfältige Hilfe und unkompli-
zierte Kooperation bei der Quellenerschließung. Nicht unerwähnt bleiben
sollen all jene – allen voran Frau Kerstin Groß –, die den Bearbeitern in
Texterfassung und -korrektur zuverlässig zur Seite gestanden haben.

Mainz, im November 2007 Irene Dingel
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