Bearbeitet von Martin Keßler
1. Überlieferung↑
Handschrift:
Edition:
- Müller, Staats-Cabinet, 328f. [Digitalisat].
Literatur:
- Müller, Staats-Cabinet, 328 [Digitalisat].
- Jäger, Carlstadt, 5 (Deutung als
höchst unverschämte[r][…] Brief
). - Barge, Karlstadt 1, 51 [Digitalisat] (knappe, nüchterne Paraphrase).
- Bubenheimer, Consonantia, 26f. (Anzeige der kirchenrechtlichen Implikationen des Gesuchs).
2. Inhalt und Entstehung↑
Das Schreiben an den Kurfürsten datiert auf den
13. November 1515 und wurde von Karlstadt in Rom aufgesetzt (geben zu
Rom auff xiii tag Novembris im xv jar
). Am 13. August fertigte Karlstadt in Orlamünde eine Urkunde aus.1 Zwischen Wittenberg und Rom war eine Wegstrecke von etwa 1.600 km zu
bewältigen; bei einer durchschnittlichen Tageswanderleistung von 30 bis 40 km, wurden dafür (ohne
Ruhetage) mindestens 40 bis 50 […], realistischerweise wohl insgesamt […] zwei Monate
benötigt2.
Der Eingangspassus macht wahrscheinlich, dass es sich um Karlstadts erste Kontaktaufnahme zu dem Kurfürsten nach Ankunft in Rom handelt. Für den Romaufenthalt erklärt Karlstadt offen und uneingeschränkt seine Absicht zu einem
Studium, von der eine fortgesetzte Tätigkeit in kurfürstlichen Diensten profitieren würde. Im Sinne einer
persönlichen und amtlichen Förderung (also gefurdert
) erbittet er die Gewährung seines
regulären Gehalts (die fruchten meynes archidiaconats so mir von recht gebueren/ und teglich
presencz
) auch während der Abwesenheit. Hinsichtlich der Präsenz erhebt das Schreiben keinen
rechtlichen Anspruch. Dieser beschränkt sich in der beiläufigen Formulierung alleine auf die fruchten
meynes archidiaconats so mir von recht gebueren
und die gnädige Zubilligung ihm zustehender
Präsenzgelder (und teglich presencz auß gnaden
) auch während seiner Abwesenheit.
Indem das Schreiben keine eigenen Geschäfte, sondern Tätigkeiten im Interesse der Kurfürsten in den
Vordergrund rückte, dürfte es Anschlussmöglichkeiten an die rechtliche Verfassung des Allerheiligenstifts eröffnet haben. In einer Reihe noch nicht
statuierter Anregungen (bedenckenn
) aus dem Kapitel findet sich 1508 der Vorschlag, Absenzen
von wegen seyner f[urstlich] g[naden]
im Unterschied zu
solchen in eygen ader andern gescheften
3 ohne Verlust der
Presenzien zu gewähren.4 Eine zweite Möglichkeit eines rechtlichen
Anspruchs auf die regulären
Einkünfte hätte sich für Karlstadt aus dem Studium an der Sapienza ergeben können. Für deren Studenten, die von einer kirchlichen Residenzpflicht
befreit
waren, galt eine auch für Bologna kirchenrechtlich
fixierte Praxis, dass ihnen ihre Einkünfte in absentia zustanden
.5
Ein Nachtrag deutet an, dass sich Karlstadt der zu bestellenden amtlichen Vakanz wohl bewusst war. Er
versichert, sich nach einer Antwort des Kurfürsten um eine
angemessene Vertretung zu kümmern.6 Die Modalitäten, unter denen Karlstadt
seine Romreise antreten durfte, waren von Seiten des Kapitels eindeutig fixiert worden (s. dazu die Einleitung zu KGK 20). Die Angehörigen des Kapitels waren sich über mögliche Sonderabsprachen zwischen
Karlstadt und dem Kurfürsten im Unklaren. Zudem war ihnen
der exakte Termin von Karlstadts Abreise aus Kursachsen unbekannt. Der schriftliche Austausch zwischen Kapitel und Kurfürst datiert auf Mitte Juni; der spätere Bericht des Kapitels gibt an, dass Karlstadt nach der Anweisung durch das Kapitel noch viel wochen ym lande
gebliben
sei.7
Karlstadts Gesuch um die kurfürstliche Gunst einer fortwährenden Gehaltszahlung datiert fünf Monate nach den
Absprachen zwischen dem Kapitel und ihm. Denkbar ist, dass eine anfängliche Gehaltszahlung stattfand, das
Kapitel sich aber nach Ablauf von mehr als vier Monaten legitimiert sah, die Fortzahlung einzustellen.
Ausweislich der Orlamünder Urkunde von Mitte August8 befand sich Karlstadt Mitte November
noch innerhalb der entsprechenden Frist.
Ordnung der Stiftskirches. die Einleitung in KGK 60.