Bearbeitet von Alejandro Zorzin

1. Referenz

Widmungsschreiben an Johann von Staupitz1 in Karlstadts Augustinkommentar (KGK 64).

Literatur:

2. Inhaltliche Hinweise

In Karlstadts am 18. November 1517 datierten Widmungsschreiben2 zu seinem Augustinkommentar bekennt er dem Adressaten Johann von Staupitz gegenüber, auch durch dessen Ansporn in theologische Beschwernisse geraten zu sein. In dieser Lage habe er aufmerksam ein aufmunterndes (bzw. ermahnendes) Briefchen (hortatorium epistolium) von Staupitz gelesen, in dem dieser die Süße Christi in hervorragender Weise hervorhebt.3 Dass es sich dabei um ein von Staupitz an Karlstadt gerichtetes, kürzeres, persönliches Schreiben gehandelt haben mag, lässt sich nicht ausschließen.

In der Passage des Widmungsschreibens, die für die Frage eines verschollenen Briefchens relevant ist, sagt Karlstadt: (1) während des Heraussuchens möglicher Stellen aus Werken Augustins4, die gegen Luthers Position sprechen würden, durch ungnädiges Schicksal auf eine seiner eigenen Position entgegenstehende Aussage Augustins gestoßen zu sein5. Um sie zu entkräften, war er verschiedenen heiteren und sophistischen scholastische, Lösungsversuchen nachgegangen, jedoch ohne Erfolg. (2) Die offensichtliche Wahrheit (der Augustinaussage) färbte ihn schamrot und er erkannte, in tausend scholastischen Aussagen enttäuscht worden zu sein. Staupitz habe (3) nicht lange Zeit danach (also nach Karlstadts durch die Augustinstelle ausgelöster Enttäuschung) Stachel hinzugefügt und ihm einen Dorn eingeschlagen.6 In dieser (4) zusätzlich durch den Ansporn von Staupitz ausgelösten Niedergeschlagenheit liest Karlstadt dessen Briefchen.

Zur Frage, was diese Anreize seitens Staupitz gewesen sein könnten, bietet sich dessen am 6. Februar 1517 in Nürnberg veröffentlichter Libellus de exsecutione aeternae praedestinationis7 an. Es passt chronologisch in den von Karlstadt angedeuteten Ablauf (Kauf der Opera Augustini Anfang Januar 1517 in Leipzig, intensive Lektüre, um Luther zu widerlegen; Enttäuschung über scholastische Aussagen; mögliche Beschäftigung mit dem Libellus von Staupitz und dessen darin vertretener Gnadenlehre). Es hätte also sein können, dass Karlstadt ein gerade erst veröffentlichtes Exemplar des Libellus de exsecutione mit einem hortatorium epistolium von Staupitz aus Nürnberg zugeschickt bekam. Staupitz könnte dieses Briefchen auch auf oder in den an Karlstadt übersandten Druck geschrieben haben.8


1 Johann von Staupitz (ca. 1468–1524); zu ihm Hamm, Staupitz.
3 Et tu, reverende Pater, […] stimulos adiecisti et spinam impegisti. dumque configerer spina, sum versus in erumnam [vgl. Ps 31(32),4 Vg (LXX) conversus sum in aerumna dum configitur spina] horatorium tuum lectitavi epistolium, quo Christi dulcedinem, quam hii, qui puro corde in sacris literis Christum videntes, […] pregustant, […] (KGK 64).
4 Im selben Widmungsbrief gibt Karlstadt an, sich Anfang Januar 1517 Augustins Werke in Leipzig gekauft zu haben.
5 Vgl. Matthias, Anfänge, 101f., der Aug. cont. 3: Ubi non ego, ibi foelicius ego als Möglichkeit vorschlägt.
6 Hier spielt er gleich im Anschluss auf einen Vers aus dem 2. Bußpsalm (Ps 31(32),4) an; etwas später verweist er wieder in der Auslegung vom Wahlspruch Staupitz’ Tuus sum, salvus me fac auf diese Bibelstelle (Kähler, Karlstadt, 8,17).
7 Erstdruck der lateinischen Fassung: Nürnberg 6. Februar 1517; Staupitz, Libellus.
8 Vgl. Ulrich Bubenheimers Hinweise in der Einleitung zu KGK 58, bezüglich des Briefchens von Johann Haner an Johannes Heß im Exemplar der 2. Basler Thesensammlung. In diesem kurzen Brief – weil ins Buch geschrieben – ist am Schluss explizit vom Ermahnen die Rede – und insofern ein Beispiel für die mögliche Gattung exhortatorium epistolium.
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