Bearbeitet von Ulrich Bubenheimer und Bearbeitet von Martin Keßler

1. Überlieferung

Handschrift:

ThHSA Weimar, EGA, Reg. O 209, fol. 43r (gestempelte Zählung). (Autograph)

Dieses der Karlstadtforschung zuvor unbekannte Stück wurde von Dr. Hans-Peter Hasse, Dresden, entdeckt. Auf einem kleinformatigen Stück Papier hat Karlstadt einen sehr kurzen Brief eilig niedergeschrieben. Die Rückseite des Blattes ist leer. Das Stück trägt keine Adresse und war nicht gesiegelt. Im heutigen Aktenband ist das Blatt (fol. 43) vor dem längeren Brief Karlstadts an den Kurfürsten vom gleichen Tag (fol. 44–45, KGK 49) eingebunden. Vermutlich war der vorliegende kurze Brief dem von Karlstadt zuvor geschriebenen längeren Brief gleichen Datums als Nachtrag beigelegt gewesen. Das erklärt auch, warum Karlstadt in vorliegendem Stück auf die üblichen Höflichkeitsformeln des Briefstils größtenteils verzichtet hat.

2. Inhalt und Entstehung

Karlstadt entschuldigt sich in dem an einem Donnerstag abgefassten Brieflein dafür, dass er (im Schreiben an den Kurfürsten vom selben Tag) nicht besser geschrieben habe. Daran habe ihn die Vorbereitung einer ganztägigen Disputation gehindert, die er am folgenden Tag durchführen müsse.

Nach Abfassung des längeren Briefes vom 5. März (KGK 49), in dem Karlstadt seine Position zur umstrittenen Frage darlegte, ob ihm als Archidiakon oder dem Kurfürsten das Präsentationsrecht für die Pfarrei Uhlstädt zustehe, wurde Karlstadt die Unzulänglichkeit seines eilig abgefassten Briefes bewusst. In vorliegendem Nachtrag entschuldigt er die Mängel jenes Briefes mit Verpflichtungen an der Universität. Implizit deutet er damit an, dass er seine Position noch besser begründen könne, was er später, am 16. März 1517, in einem ausführlichen Rechtsgutachten (KGK 52) getan hat.

Karlstadt erwähnt in seinem Brief, dass er am folgenden Tag, nämlich am Freitag, 6. März 1517, den ganzen Tag Disputation halten müsse. Nach den Statuten der theologischen Fakultät aus dem Jahr 1508 war der Freitag der Disputationstag der Fakultät. In wöchentlichem Rhythmus fanden an diesem Tag die Zirkulardisputationen statt, allerdings nur von 1 bis 3 Uhr nachmittags. Ganztägige Disputationen hingegen, ebenfalls am Freitag, waren nur vorgeschrieben für den Erwerb des Grades eines Lizentiaten der Theologie, während die übrigen Prüfungsdisputationen auf 3 Stunden beschränkt waren1. Es ist daher zu klären, ob Karlstadt am 6. März 1517 den Vorsitz bei einer Lizentiatendisputation geführt haben kann.

Im Dekanatsbuch, in dem die Prüfungsvorgänge von den Dekanen in der Regel einzutragen waren, fehlt für den 6. März 1517 ein entsprechender Eintrag. Zum Dekan des Wintersemesters 1516/17 war der Augustiner Johann Hergot gewählt worden, dessen letztes Lebenszeichen ein Eintrag ins Dekanatsbuch vom 19. November 1516 ist2. Später wurde er zunächst von seinem Amtsvorgänger Petrus Lupinus vertreten, dann von Karlstadt3. Dieser bezeichnete sich ausdrücklich als Vizedekan, als er die am Montag, 23. März 1517 öffentlich vollzogene Promotion des Dominikaners Johannes Henrici alias Mensing4 zum Lizentiaten eintrug5. Dieser feierliche Vorgang beinhaltete allerdings nicht die ganztägige Prüfungsdisputation, die schon davor an einem Freitag stattgefunden haben musste6.

Stellt man die im Dekanatsbuch enthaltenen Daten zur akademischen Laufbahn Henricis in Wittenberg zusammen7, dann stellt sich heraus, dass das Dekanatsbuch eine offenkundige Lücke aufweist: Die Prüfungsdisputation Henricis für die Graduierung zum Lizentiaten ist nicht eingetragen worden8. Da im Zeitraum nach dem 6. März 1517 kein anderer Theologe zum Lizentiaten promoviert wurde9, kann erschlossen werden, dass Karlstadt am 5. März 1517 die am Freitag, 6. März bevorstehende ganztägige Lizentiatendisputation Henricis vorbereitete.

Die Thesen Karlstadts für diese Disputation sind nicht überliefert. Nach den Statuten war die Prüfungsdisputation der angehenden Lizentiaten auf die vier Bücher der Sentenzen des Petrus Lombardus zu beziehen10.


1 UUW 1, 37, Nr. 23, cap. 9.
3 Ebd., 27r. Vgl. KGK 23.
4 Geb. um 1475 in den Niederlanden, gest. 1547 in Halberstadt. 1495 Dominikaner in Magdeburg; als Lektor des dortigen Ordensstudiums am Anfang des Wintersemesters 1515/16 in Wittenberg immatrikuliert (AAV 1, 59a). 1518 Doktor der Theologie in Frankfurt/Oder, 1519 Regens des Ordensstudiums in Magdeburg, hier mehrfach Prior. Ab 1524 publizierte Mensing gegenreformatorische Schriften. 1527 Hofprediger bei der Witwe Fürstin Margarete von Anhalt in Dessau, 1529 Professor der Theologie in Frankfurt/Oder, 1534‑1539 Provinzial der sächsischen Ordensprovinz, ab 1539 Weihbischof in Halberstadt. Ab 1523 gebrauchte Henrici den Nachnamen Mensing. Höhle, Universität, 149–152.
5 Reverendus pater D'ominus' Joannes Heinrici ordinis predicatorum frater die lune xxiii Marcii in lectorio nove domus/ est/ publice licentiatus/ Vices decanatus gerente D'omino' Andrea Carolstaten'si' etc anno MDXVII. Liber Decanorum (Faks.), 27r.
6 Zum Vergleich sei der Ablauf der nächsten Lizentiatenpromotion in der Fakultät aufgeführt: Johann Dölsch respondierte in einer Disputation unter dem Vorsitz des Petrus Lupinus am Freitag, 5. März 1518, ante et post prandium, also ganztägig, unter Anwesenheit von mindestens 19 eruditi viri der Fakultät. Anschließend wurde er zum Erwerb des Lizentiats zugelassen. Am Dienstag, 9. März 1518 vollzog der Dekan Lupinus die Promotion: Liber Decanorum (Faks.), 28r. Zwischen der Disputation und der Promotion zum Lizentiaten konnte auch ein längerer Zeitraum liegen. Sebastian Küchenmeister respondierte am Freitag, 11. Juni 1512 pro licentia, wurde aber erst am 28. September promoviert: Liber Decanorum (Faks.), 21v, 22v.
7 Am 23. 11. 1515 respondierte Henrici pro baccalaureatu ad bibliam, am 3. 12. 1515 Promotion zum bacc. bibl.; am 16. 6. 1516 post rigidum examen Promotion zum bacc. sent.; am Freitag, 7. 11. 1516 post circularem disputationem Zulassung zur Graduierung zum bacc. form., am Freitag, 14. 11. 1516 Disputation für diesen Grad, am 19. 11. 1516 Promotion zum bacc. form. Am Montag, 23. 3. 1517 erfolgte die Promotion zum lic. theol., die der Vizedekan Karlstadt vollzog. Liber Decanorum (Faks.), 26r, 26v, 27r.
8 Analoge Aufzeichnungslücken finden sich auch anderweitig im Dekanatsbuch.
9 Die nächste Lizentiatenpromotion war die des Johann Dölsch vom 9. März 1518. Siehe oben FN 6.
10 […] in materia respiciente quatuor libros sententiarum. UUW 1, 37, Nr. 23. In der Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars Wittenberg (2° HTh 855) findet sich eine Ausgabe der Sentenzen des Petrus Lombardus aus dem Besitz Johannes Henricis (Petri Lombardi […] Sententiarum Textus: […], Basel: Adam Petri, 28. Juli 1513). Henrici hat darin eine Vorlesung des Johannes Dölsch über das 3. und 4. Buch der Sentenzen eingetragen. Auf dem hinteren Spiegel ist die Vorlesungsankündigung Dölschs eingetragen: Tercium sententiarum Magistri, in quo san[c]te incarnationis, passionis necnon preciosi corporis et sanguinis domini nostrri Jesu Christi misteria clare patent, cras hora 4ta incipiet Magister Joannes Do(e)lsch Veltkirchensis theologie baccalaureus formatus in sacello c[orpor]is Christi. Im Rahmen seiner Wittenberger Studienlaufbahn hätte Henrici eine solche Vorlesung spätestens vor 14. 11. 1516 (vgl. FN 7) hören müssen. Dölsch war in dieser Zeit baccalaurus sententiarius formatus (vgl. Liber Decanorum (Faks.), 22r und 28v).
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