Bearbeitet von Ulrich Bubenheimer und Bearbeitet von Martin Keßler
1. Überlieferung↑
Handschrift:
Literatur:
- Barge, Karlstadt, 59f. mit Anm. 73 [Digitalisat].
- Wähler, Orlamünde, 47–49 (Unterkap. Der Uhlstädter Pfarrstreit).
- Bünger/Wentz, Brandenburg, 91 (zur Auseinandersetzung um die Uhlstädter Besetzungsangelegenheit im Ganzen).
Von Karlstadts Hand geschriebene Ausfertigung. Das Blatt weist einen längeren Einriss auf, jedoch ohne
Textverlust. Vor fol. 44r ist ein abgeschnittenes, jetzt dreieckiges Fragment (Fragment
1) eines breiten Papierstreifens vorgebunden. Auf diesem sind die Zeilenanfänge von Z. 1–7 der Adresse in
unterschiedlicher Länge (maximal 3 Buchstaben pro Zeile) geschrieben. Dieses Fragment 1 gehört zusammen mit
einem weiteren, heute auf fol. 44v unterhalb des Brieftextes befindlichen Fragment
(Fragment 2). Auf Fragment 2 findet sich der restliche Text der in 8 Zeilen geschriebenen Adresse. Setzt man
die beiden Fragmente zusammen, ist der Text der Adresse vollständig vorhanden. Unmittelbar unter die Adresse
schrieb eine unbekannte Hand des 16. Jahrhunderts den Kanzleivermerk Doctor Karlstat
. Auf fol.
44v befindet sich in der rechten unteren Ecke eine spätere Bleistiftnotiz: 5
März
, womit die Datierung des Briefes (Dornstags nach dem Sontag invocavit
) korrekt
aufgelöst ist.
Der Brief weist zahlreiche Verschreibungen auf, die Karlstadt mit einer Ausnahme korrigiert hat. Karlstadt entschuldigte in einem ergänzenden Schreiben (KGK 50) die Unfertigkeit des vorliegenden Briefes mit dem Zeitdruck, unter dem er schreiben musste.
2. Inhalt und Entstehung↑
Kurfürst Friedrich hat durch Dr. Peter [Wolf alias Lupinus] und Lic. [Nikolaus von] Amsdorf seine Verwunderung darüber
mitteilen lassen, dass Karlstadt vor Errichtung der noch unvollendeten [Stifts-]Statuten
jemanden auf die Pfarrei Uhlstädt präsentiert und die Pfarrei verliehen
habe. Karlstadt teilt auf das Verlangen des Kurfürsten die
Gründe für sein Vorgehen mit. Das Präsentationsrecht auf die [dem Allerheiligenstift zu Wittenberg] inkorporierten und in Übereinstimmung mit der
päpstlichen Bulle und gemeinen Rechten
von den Rektoren
[der jeweiligen Kirchen] zu verleihenden [Pfarr-]Lehen wird in den
Statuten [künftig] dem Kurfürsten
übertragen. Jedoch haben die Statuten vor ihrer Vollendung und förmlichen Inkraftsetzung noch keine
Rechtskraft. Karlstadt ist dem Verfahren seiner [Amts-]Vorgänger gefolgt. Die Verleihung
der Pfarrei will er nicht zurücknehmen. Andere [Stifts-]Herren haben sich in
Vergleichsfällen ebenso verhalten. Karlstadt bittet den Kurfürsten zu bedenken, dass er nicht zum Schaden der kurfürstlichen Kanzlei
gehandelt
hat, sondern um die [Pfarr-]Lehen vor dem Zugriff von Kurtisanen
(=
Pfründenjägern) zu sichern. Er, der mehr [Pfarrlehen] als andere Mitglieder des [Stifts-]Kapitels zu verleihen hat, ist
[hinsichtlich der künftigen Neuregelung] dem Begehren des Kurfürsten gutwillig gefolgt. Er bittet jedoch, ihn wie bisher verfahren
zu lassen, bis die Statuten das Präsentationsrecht für das in Frage stehende und weitere Lehen dem Kurfürsten
einräumen werden.
Vor dem 29. September 1516 trat Simon Funck von dem Dekanat des sog. Kleinen Chores des Wittenberger Allerheiligenstiftes zurück.1 Die Umstände dieses Schrittes sind unbekannt; der Vorgang selbst ergibt sich aus der stiftsinternen Nachfolgeregelung für die zuvor von Funck versehenen Ämter. Karlstadt setzte sich für den langjährigen Stiftskollegen insofern ein, als er ihn durch seinen Prokurator Caspar Teuschel zum Pfarrer in Uhlstädt2 präsentieren ließ, wo er am 27. Februar 1517 investiert wurde.3 Uhlstädt gehörte zu den der Pfarrei Orlamünde inkorporierten Pfarreien, denen Karlstadt als Lehnsherr vorstand.4
Die Frage, wer das Präsentationsrecht für die den Präbenden der Stiftskanoniker inkorporierten Pfarreien
wahrnehmen durfte, war umstritten. Aufgrund der päpstlichen Errichtungsbulle von 1507 erhob der Senat der Universität den Anspruch darauf, den er dem Kurfürsten am 30. Juni 1509 kommunizierte.5 In der Statutenrevision des Wittenberger Allerheiligenstifts der Jahre 1516 und
1517 drang der Kurfürst sodann darauf, das von ihm
beanspruchte Präsentationsrecht nicht durch Kirche oder Universität
einschränken zu
lassen.6 Zwischen diese
beiden Positionen trat, drittens, die Erwartung des Kapitels, das Präsentationsrecht wahrnehmen zu dürfen.7 Mit der Uhlstädt-Affäre des Jahres 1517 vertrat Karlstadt für sich als Lehnsherr diese
Forderung gegenüber dem Kurfürsten, wobei er die Zustimmung und Unterstützung des Kapitels erfuhr. Wie zu
zeigen sein wird (s. dazu die Einleitung zu KGK 57), waren es
namentlich Henning Göde als Propst und der Scholaster Matthäus Beskau, die vergleichbare Interessen verfolgten und mit
Karlstadt von einer Mehrheit des Kapitels unterstützt wurden. Die Brisanz des Uhlstädter Falles lag darin,
dass er sich als konkretes Anwendungsbeispiel mit den redaktionellen und rechtlichen Abstimmungen der
betreffenden Rahmenbedingungen in der Statutenrevision verband. Hinzu kam, dass noch weitere Bestimmungen der
kurfürstlichen Textgestalt der Statuten auf massive Ablehnung im Kapitel stießen. Der Protest gegen einzelne Artikel, wie dem zur
Jurisdiktion, vereinigte sich in der Korrespondenz des Kapitels mit der Kontroverse um die Uhlstädter Personalentscheidung in ihren Bezügen zu den Statuten.
In der Karlstadtschen Korrespondenz beschränkt sich die Diskussion auf einen Zeitraum von Anfang März bis
Mitte April 1517. Aufgrund ihrer Verzahnung mit der Statutenrevision, die sich zeitgleich vollzog und
archivalisch bis Mitte Juni 1517 zu greifen ist, werden die amtlichen Folgediskussionen zwischen dem Propst und dem Kapitel auf der einen Seite und dem Kurfürsten auf
der anderen in der letzten einschlägigen Editionseinheit (KGK 57) verfolgt.8
Der Kurfürst reagierte nach der Investitur Funcks in Uhlstädt vom 27. Februar 1517 ohne Verzug, indem auf seine Anweisung hin, wie Karlstadts Schreiben vom 5. März referiert, Peter Wolf alias Lupinus und Nikolaus von Amsdorf bei Karlstadt vorsprachen. Beide waren Mitglieder des Kapitels9 und als dessen Vertreter in Torgau gewesen10. Über sie forderte der Kurfürst Karlstadt auf, mitzuteilen, warum er die Pfarrei trotz der unabgeschlossenen Revision der Statuten verliehen habe.
Karlstadt hebt mit seinem Schreiben an den Kurfürsten
demgegenüber hervor, dass die veränderten Statuten noch nicht rechtskräftig seien. Als Grundlage der alten,
nach Karlstadts Auffassung noch uneingeschränkt gültigen Rechtspraxis hebt Karlstadt die päpstliche Bulle von
1507 hervor, das gemeine Recht
, das Gewohnheitsrecht der bisherigen Praxis und Vergleichsfälle
anderer Stiftsherren. Das Präsentationsrecht habe demnach unstreitig bei ihm gelegen. Als Vorteil für den Kurfürsten nennt er die Abwehr gegen den Zugriff von
Kurtisanen
(= Pfründenjägern) auf das Lehen.11 Die mit Investitur bereits abgeschlossene
Personalentscheidung möchte Karlstadt nicht revidieren. Bis zum Abschluss der Statutenrevision bittet
Karlstadt um die Zustimmung des Kurfürsten, bei der alten
Praxis bleiben zu dürfen. Der künftigen Übertragung des Präsentationsrechtes auf den Kurfürsten nach
Inkraftsetzung der neuen Statuten habe er freiwillig zugestimmt.
Das Kapitel seinerseits schrieb dem Kurfürsten am 6. März 1517.12 Es nahm auf einen mündlichen Austausch zu den Statuten
Bezug, der in Torgau stattgefunden hatte, und berührt einzelne Punkte, die
weiterer Klärung bedürfen. Abschließend heißt es: Wie es auch umb die pfar Ulstadt ein gestalt hat/ wiel doctor
Carolstadt Euer Churf'urstlichen'
g'naden' unterthenige unterrichtung thuen/ Der pfar halben zu Wittenberg bitten wir alten Thumherren undertheniglich
E'uer'
Churf'urstliche'
g'naden' wolle uns bei unseren alten herkommen privilegien und Herlikeiten
gnediglich bleiben lassen.
Hier ist erkennbar, wie sich Karlstadts Interessen mit denjenigen anderer Stiftsherren im Zuge der
Statutenrevision berühren konnten. Den vom Kapitel
hier angekündigten Bericht zum Fall Uhlstädt hatte Karlstadt bereits am
Vortag mit vorliegendem Schreiben abgefasst.
Die Rekonstruktion des sog. Uhlstädter Pfarrstreites
13 durch Barge ist dessen genuine
Forschungsleistung. Er bearbeitete erstmals die betreffenden Weimarer Archivalien und überführte seine
Ergebnisse in eine knappe synthetische Darstellung14. Diese wurde
von dem Landeshistoriker Wähler15 rezipiert und um einzelne Daten erweitert. Barge selbst sah von einer
Veröffentlichung des archivalischen Materials mit der Begründung ab: Der Streit ist in erster Linie von kirchenrechtlichem Interesse. Aber in einer biographischen
Darstellung Karlstadts kann er nicht wohl beiseite gelassen werden, zumal da die hier behandelten Fragen
für die Beurteilung der rechtlichen Stellung Karlstadts als Orlamünder Pfarrherrn noch im Jahre 1524 bedeutungsvoll werden. – Dagegen erschien mir ein Abdruck
des Aktenmaterials nicht erforderlich.
16Die Erweiterung der Quellenlage (s. KGK 50),
verbesserte Datierung einzelner Stücke sowie umfangreichere Entzifferung in vorliegender Edition führen zu
einem etwas veränderten Bild vom Ablauf der Auseinandersetzung zwischen Karlstadt und dem Kapitel einerseits und dem Kurfürsten andererseits.
Freitag nach Invocavit anno […] xviio.