Bearbeitet von Alejandro Zorzin

‖ [59v] Glück und seligkeit/ Achtbar Herr D'octor' nemet wenig für viel/ Denn die zeit und sach dringt mich dazu/ Auff ein andermal wil ich euch/ auch andern mehr leuten schreiben. Diese drey tag uber ist mein Sach in eim seer harten Stand gestanden/ also das ich gar keine hoffnung hatte wiederumb zu euch zu komen/ und das ich mich nichts gewissers denn des Bannes versahe/ Denn der Legat1 wolt in alle weg/ ich solt nicht offentlich disputirn/ So wolt er mit mir allein auch nicht Disputirn/ und rühmet sich allezeit/ er wolt nicht mein Richter sein/ sondern in allen Sachen veterlich mit mir umbgehen. Aber nichts deste weniger wolt er nichts anders von mir hören denn dis wort/ Ich widersprich/ ich widerrufe und bekenne das ich geirret hab. Welchs ich nicht hab wöllen thun. ‖ [60r] Aber am aller meisten ist uber diesen zweien Artickeln gefochten worden. Zum Ersten/ Das ich gesagt hab/ das der Ablas nicht sey der Schatz des Verdiensts unsers lieben Herrn und Seligmachers Christi.2 Zum Andern/ Das ein Mensch/ dera zu dem aller hochwirdigsten Sacrament gehen wil/ Gleuben müsse etc.3

Dagegen der Legat gesetzt hat /die Extravagans in Sexto Decretalium4/ die sich anhebt/ Unigenitus.5 Darauff er sich feste verlies/ und gentzlich vermas/ als were ich dadurch uberwunden/ wolt mich derhalb zu einem Widerspruch bringen. Er zog für sich an die gemeine Opinion und wahn der Scholasticorum oder Schul Lerer von der krafft und wirckung der Sacrament/ und von der ungewisheit des/ der das hochwirdig Sacrament empfehet.

Nach dem nu der Legat alle Sachen allein mit macht und gewalt triebe und handelte/ hab ich heut erst auff viler Leut fürbitte erlanget/ mir zugestatten mein Antwort6 in Schrifft zustellen. Darauff obenante Extravagans, Unigenitus/ verlegt7 ist worden/ und wider den Legaten und sein fürnehmen beweiset/ als ich hoffe/ durch göttlichen Rat/ also das der Legat beschempt/ das ander alles lies faren/ und meins abwesens/ begert sich mit dem Ehrwirdigen Vater Vicarien Doctor Johan Stupitz8 allein zu unterreden. Als nu der Vicarius zu im komen ist/ hat er sich freundlich erboten. Aber wir gleuben den Wahlen9 nicht weiter denn wir sehen/ Denn der Legat gibt es vielleicht alles betrieglicher weise für.

Aber mir wird gemacht eine Appellation10/ so viel es müglich ist/ wol zugericht/ gegründet/ und der sachen bequem und gemes/ Auch ist mein meinung/ so der Legat sich unterwind mit mir mit gewalt zuverfaren/ mein Antwort uber benante zween Artickel/ auszugehen lassen/ damit die gantze Welt sein ungeschickligkeit in dieser Sach vermercken müge/ denn warlich es fliessen aus seiner meinung viel ungereimbte und Ketzrische Setze und meinung. Er ist vieleicht ein namhafftiger Thomist/ aber ein undeutlicher/ verborgener/ unverstendiger Theologus oder Christ/ und derhalb diese Sach zu richten/ erkennen und urteilen/ eben so geschickt/ als ein Esel zu der Harffen.11

Derwegen auch meine Sach in so viel mehrer ferligkeit stehet/ das sie solche Richter hat/ welche nicht allein Feinde und ergrimmet sind/ sondern auch unvermüglich diese Sach zuerkennen und zuverstehen. Aber wie dem allen/ so regirt und lebt der Herr/ welchem ich mich und alles das meine/ befihl/ und zweivel nicht/ mir werde durch etlicher gottfürchtiger Leute Gebet hülff widerfaren/ wie ich mich schier lasse dünken/ als geschehe Gebet für mich.

Aber ich kome entweder wiederumb zu euch unverletzt und unabgesondert12/ oder aber ich wende mich an ein andern ort verbannt/ So gehabt euch wol/ halt fest und erhöhet Christum getrost und unverzagt.

Herr Christoffel Langenmantel13 thut so ganz treulich bey mir/ das mich sein so grosse sorgfeltigkeit verdreusst.

Ich hab aller Menschen gunst und zufall/ Allein ausgenomen vieleicht den hauffen/ der es mit dem Cardinal helt. Wiewol der Cardinal mich auch stetigs sein lieben Son nennet/ und meinem Vicario14 gesagt hat/ das ich kein bessern Freund hab denn in. Ich halts aber/ wie oben/ umb ehre willen/ Das weis ich/ das ich der allerangenemst und liebst were/ wenn ich dis einig wort spreche/ revoco. Das ist/ ‖ [60v] Ich widerruffe.15 Aber ich wil nicht zu einem Ketzer werden mit dem Widerspruch/ der meinung durch welche ich bin zu einem Christen worden. Ehe wil ich sterben/ verbrand/ vertrieben und vermaledeiet werden etc. Gehab dich wol, mein liebster Herr/ und zeige diese meine Schrifft/ unsern Theologis/ dem Amsdorff16/ dem Philippo17/ dem Otten18/ und andern/ damit ir für mich/ ja auch für euch bittet/ Denn allhie wird gehandelt euer Sach/ also/ nemlich des glaubens an den Herrn Christum/ und der gnaden Gottes. Geben zu Augsburg/ an S. Calixten tag. 1518.


a das.

1 Kardinal Thomas de Vio aus Gaeta (1469–1534), genannt Cajetan.
2 Luthers These 58 (aus seinen 95 Thesen gegen den Ablass); vgl. Acta Augustana (WA 2, 7,29–31).
3 Luthers Resolutio zur 7. These (seiner 95 Thesen gegen den Ablass); vgl. Acta Augustana (WA 2, 7,35–7).
4 Im Brief an Spalatin richtig: […]Extravagante […] Cle'mentis' Sexti, quae incipit: Unigenitus. (vgl. WA.B 1, 214,15f).
5 Vgl. die Bulle Unigenitus Papst Clemens’ VI. (vom 27. 1. 1343) in CICan 2, 1304–1306; ein Auszug aus derselben bietet WA 2, 5.
6 Luther an Cajetan, Augsburg 14. Okt. 1518; vgl. Acta Augustana (WA 2, 9,16–22,35).
7 widerlegt.
8 Johann von Staupitz (1465–1524).
9 Götze, Glossar 222: Wahl m. Wälscher, Italiener.
10 WA 2,28–33 (vgl. a. WA 9, 787f.); zur Ausarbeitung dieser Appellation vgl. WA.B 1, 225 Anm. 3.
11 ASD II, 335 (Asinus ad lyram).
12 nicht exkommuniziert.
13 Christoph Langenmantel (Freisinger Domherr); vgl. Luthers Brief an ihn vom 25. 11. 1518 (WA.B 1, 256f., mit biographischen Angaben, ebd., 255).
15 Bei Das ist/ Ich widerruffe. handelt es sich wahrscheinlich um einen erklärenden Zusatz in der deutschen Übersetzung.
16 Nicolaus von Amsdorff (1483–1565).
17 Philipp Melanchthon (1497–1560) – Die Bitte Luthers, diesen Brief u. a. Melanchthon zu zeigen, bestätigt, dass Luthers Hinweis im Brief vom 11. Oktober an Melanchthon (Genaueres über seine in Augsburg verhandelte Sache bei Karlstadt erfahren zu können) wahrscheinlich vor dem Hintergrund eines (verschollenen) Schreibens Luthers (vom 10. oder 11. Oktober 1518) an Karlstadt getätigt worden ist (vgl. KGK 92).
18 Otto Beckmann (ca. 1476–1556).