1. Titel
2. Verfasser
Johann Jacob Agricola, bayerischer Arzt (?-1709). Weitere biographische Angaben konnten nicht ermittelt werden. Verleger des Schau-Platz deß Allgemeinen Hauß-Haltens war der Nördlinger Drucker Friedrich Schultes.
3. Publikation
3.1. Erstdruck
Das Werk wurde 1674 anonym bei Johann Georg Schwänder erstmals veröffentlicht. Vor der eigentlichen Publikation erschien ein Raubdruck unter dem Titel Schauplatz des Allgemeinen Haußhalten. In drei Teilen brachte der Verleger Agricolas Schau-Platz deß Allgemeinen Hauß-Halten im Jahr 1677 heraus; der zweite Teil Pharmacopaeus, oder Haus-Apothecker genandt wurde auch separat veröffentlicht.
Standorte des Erstdrucks
- Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Hannover, Sign. Ob-A 8
- Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. M: Oe 7 (1) [opac]
- Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. M: Oe 7 (2) [opac]
- Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. M: Oe 7 (3) [opac]
- Hessische Landesbibliothek Wiesbaden, Sign. 4011
- Universitätsbibliothek Augsburg, Sign. 02/IX.1.4.3-1 (Bd. 1)
- Universitätsbibliothek Salzburg, Sign. 72312 I Rarum
3.2. Weitere Ausgaben
3.2.1. Digitale Ausgaben
- Bd. 1: Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek 2009 (= Theatrum-Literatur der Frühen Neuzeit). Vorlage: Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. M: Oe 7 (1). [opac]
- Bd. 2: Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek 2009 (= Theatrum-Literatur der Frühen Neuzeit). Vorlage: Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. M: Oe 7 (2). [opac]
- Bd. 3: Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek 2009 (= Theatrum-Literatur der Frühen Neuzeit). Vorlage: Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. M: Oe 7 (3). [opac]
4. Inhalt
Fraglos bedingt durch die etablierten Konventionen der Hausväterliteratur (siehe Kontext und Klassifizierung), spart sich Agricolas Schau-Platz deß Allgemeinen Hauß-Halten ein einführendes Vorwort an den Leser und damit auch die Reflexion über den theoretischen Rahmen seines Werkes. Stattdessen beginnt er direkt mit dem gattungstypischen didaktisch-praktischen Imperativ – Ziel und Grund allen Haushaltens ist religiöse Erbauung: „Ein christlicher Haus-Herr/ wann bey seiner Haushaltung Segen und Gedeyen seyn soll/ muß vor allen Dingen Gottfürchtig seyn [...]“ (Bd. 1, S. 1). Erschwert wird die Zugänglichkeit und praktische Erschließung des Werkes zunächst durch ein fehlendes systematisches oder alphabetisches Register. Im ersten Kapitel liefert Agricola eine Zusammenschau über die „Klare Unterweisung deß Haußhaltens ins gemein“ (Bd. 1, S. 1): Diese geht zunächst das unter dem thronenden Hausvater notwendige personelle Gefüge des Haushaltes durch und stellt damit die einzelnen Rollen auf der ‚Bühne‘ des Hauses vor. Besonders das Gesinde des Hauses erscheint dabei im üblich schlechten Licht – Agricola bricht hier keinesfalls mit gängigen Sterotypen. Auf die personellen Aspekte folgen wirtschaftliche Grundlagen („Was in Besichtigung eines Gutes wargenommen und wohl erkundiget werden solle“) (Bd. 1, S. 8) und in kompakter Form die monatlichen Hauptaufgaben des Haushaltens. Der erste umfassendere Abschnitt widmet sich nicht dem sozialen Miteinander, sondern der Bewirtschaftung des Gartens (Bd. 1, S. 2 (neue Paginierung)) bis hin zur Schädlingsbekämpfung und den hierfür angemessenen Werkzeugen. Im Fokus steht allerdings nicht nur der Garten als Fläche für Nutzpflanzen, sondern auch als Ort der Zierde („Cap. XIX. Von Künsten an Bäumen und Blumen“) (Bd. 1, S. 31). Es folgt ein detaillierterer Leitfaden der Gartenkultivierung und -nutzung entlang des bereits im anfänglichen Abriss genutzten Monatsrhythmus (Bd. 1, S. 36f.) – das einzige Ordnungsprinzip des Wissens ist damit der jahreszeitliche Wechsel. Zur Sprache kommt das gesamte Spektrum gängiger Nutzpflanzen, einschließlich importierter Gewächse wie der „Aloe aus America“ (Bd. 1, S. 129). Agricola schließt diesen ersten Teil seines Traktats mit einer kurzen Anweisung über die adäquate Aufteilung des Gartens (Bd. 1, S. 150ff.). Der zweite Teil des Schau-Platzes deß Allgemeinen Hauß-Halten mit dem Untertitel Pharmacopaeus, oder Haus-Apothecker wendet die Perspektive über die Verarbeitung der Pflanzen in das Innere des Hauses. Thematisch war die Anleitung zur medizinischen Praxis innerhalb der Hausväterliteratur durchaus obligatorisch, als Arzt räumt Agricola diesem Punkt, insbesondere der Destillatherstellung, jedoch vergleichsweise breiten Raum ein. An den Anfang stellt der Text die heilsame Wirkung von Destillaten und die Frage, wie solche zu gewinnen sind, statt erhebliche Geldsummen in den Apotheken ausgeben zu müssen – denn es solle „sich billich ein jeder HaußVatter oder Hauß-Mutter deß Destillirens befleißigen [...]“ (Bd. 2, S. 1). Agricola stellt neben verschiedenen Destillationsarten ein ganzes Kompendium nützlicher Kräuter vor, die die Grundlage zahlloser heilwirkender Destillate bilden, so ist etwa von „Teuffelsdreck“ die Rede – „Ist auch gut wider die Wassersucht [...]“ (Bd. 2, S. 37). Offensichtlich ging Agricola nicht unbedingt davon aus, dass die Leser auch alle drei Teile des Werks kaufen würden. Der dritte Teil des Schau-Platzes deß Allgemeinen Hauß-Halten erscheint relativ autonom, indem er zum sozialen Kosmos des Hauses zurückkehrt. Anfänglich entwickelt Agricola hier noch einmal kapitelweise generelle, wiederum kompakte Direktiven im Hinblick auf die einzelnen sozialen Rollen im Haus. Darauf schwenkt der Fokus unvermittelt zu nahrungssichernden Kerntätigkeiten des „Haußhaltens“ (Bd. 3, S. 10f.) – dem Backen, dem Brauen diverser Biersorten und weiteren Facetten des Themas; breiten Raum nimmt die Kultivierung von Wein ein. Den Gattungskonventionen gemäß schließen sich „Georgica“ (Bd. 3, S. 38ff.)- und „Hippotrophia“-Kapitel an (Bd. 3, S. 43ff.), die Aspekte des Landbaus und der Nutztierhaltung umfassend abdecken. Agricola beendet seinen Traktat mit einem längeren „Küchen-Anhang“ (Bd. 3, S. 1, neue Paginierung), einem Kochbuch mit eigener Paginierung.
5. Kontext und Klassifizierung
Nicht wenige Werke der Theatrum-Literatur waren Spezialenzyklopädien. Die im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts bis zum frühen 18. Jahrhundert auf ihrem Höhepunkt stehende Traktatgattung der Hausväterliteratur oder Oikonomik (das ganze Haus umfassend) verkörpert par excellence diesen Typus spezialisierter Nachschlagewerke. Gattungsgenealogisch zurückzuführen auf das römische Vorbild der Agrarlehren, lässt die didaktische und an der Praxis orientierte Ratgeber-Literatur meist in minutiöser Breite alle Aspekte des häuslichen Kosmos auf charakteristische Weise verschmelzen – so werden nicht nur (land-)wirtschaftliche Aspekte, sondern auch religiöse sowie moralisch-soziale Imperative entwickelt. Im Mittelpunkt steht das Haus als Produktions- und Konsumgemeinschaft, Adressat war der Hausvater der ländlichen Oberschicht. Im starken Maß trug die populäre Hausväterliteratur hier zur Verfestigung der zeitgenössischen Rollenmodelle bei. Die Autorität des Mannes in der häuslichen Sphäre blieb dabei unbestritten, jedoch akzentuieren die Texte mit ihren rigiden Vorstellungen über geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen auch die zentrale Bedeutung der ‚Hausmutter‘. Hauptvertreter und auch einflussreichster Repräsentant der Haushaltslehren war der protestantische Pfarrer Johannes Coler (1566-1639), der 1593 erstmals sein Werk Oeconomia ruralis et domestica oder Haußbuch veröffentlichte. In großen Teilen noch angelehnt an antike Agrarlehren und durch Verwendung des Deutschen an ein breites Publikum gerichtet, wurde Colers Haußbuch zu einem Bestseller bis ins späte 17. Jahrhundert. Um einen Rekurs auf Colers Standardwerk kamen alle folgenden Texte der Gattung nicht herum, zumal gerade die Hausväterliteratur stark kompilativ verfuhr – Agricolas Schau-Platz deß Allgemeinen Hauß-Halten verschweigt diesen Umstand allerdings und liefert nur punktuell Literaturverweise (Ausnahme ist Pietro Andrea Mattiolis enorm erfolgreiches New Kreutterbuch, seit dem 16. Jahrhundert in vielen Auflagen erschienen, unter anderem 1690 als Theatrum Botanicum) und keine Bibliographie der genutzten Vorlagen. 1682, fünf Jahre nach Agricolas Text, erschien ebenfalls in Bayern (Nürnberg) mit Wolf Helmhardt von Hohbergs (1612-1688) Georgica Curiosa. Das ist: Umständlicher Bericht und klarer Unterricht Von dem Adelichen Land- und Feld-Leben ein weiterer Höhepunkt der Gattung. Dass ihre Kompendien zum häufigen Gebrauch in der Praxis konzipiert waren, zeigt sich konkret schon in der äußeren Form – gängig war eine Publikation im handlichen Quartformat, so auch bei Agricolas Text. Eine Ausnahme markiert der Schau-Platz deß Allgemeinen Hauß-Halten im Gattungskontext durch seine dreiteilige Publikation und seinen relativ geringen Umfang: Der enzyklopädische Anspruch machte aus den übrigen Werken der Hausväterliteratur nicht selten auch dickleibige Werke. Auffällig ist weiterhin die gattungsuntypische, spärliche und qualitativ schlechte Bebilderung des Werkes. Allein der dritte Band des Werks liefert einige Abbildungen.
6. Rezeption
Bislang keine Dokumente ermittelt.
7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
- VD17 23:654203N [vd17] [opac]
- Volker Bauer: Zeremoniell und Ökonomie, in: Jörg Jochen Berns (Hg.): Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Tübingen 1995, S. 21-56
- Volker Bauer: Hofökonomie. Wien u.a. 1997
- Helga Brandes: Frühneuzeitliche Ökonomieliteratur, in: Albert Meier (Hg.): Die Literatur des 17. Jahrhunderts. München 1999, Bd. 2, S. 470-484
- Otto Brunner: Adeliges Landleben und europäischer Geist. Salzburg 1949
- Otto Brunner: Das ‚Ganze Haus‘ und die alteuropäische ‚Ökonomik‘, in: Ders.: Neue Wege der Sozialgeschichte. Göttingen 1968, S. 103-127
- Johannes Burkhardt: Wirtschaft IV-VII, in: Otto Brunner (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Stuttgart 1992, Bd. 7, S. 550-591
- M.E. Durchesne: Le Domostroi. Paris 1910
- Richard van Dülmen: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Bd. 1: Das Haus und seine Menschen 16.-18. Jahrhundert. München 1990
- Renate Dürr: Mägde in der Stadt. Frankfurt/Main 1995
- Erich Egner: Der Verlust der alten Ökonomik. Berlin 1985
- Gotthart Frühsorge: Die Begründung der ‚väterlichen Gesellschaft‘ in der europäischen oeconomia christiana, in: Hubertus Tellenbach (Hg.): Das Vaterbild im Abendland. Stuttgart 1978, S. 110-123
- Valentin Groebner: Ökonomie ohne Haus. Zum Wirtschaften armer Leute in Nürnberg am Ende des 15. Jhs. Göttingen 1993
- Gotthart Frühsorge: Otto Brunner und die ‚alteuropäische Ökonomik‘, in: GWU 46 (1995), S. 69-80
- Julius Hoffmann: Die ‚Hausväterliteratur‘ und die ‚Predigten über den christlichen Hausstand‘. Weinheim 1959
- Sabine Krüger: Zum Verständnis der Oeconomia Konrads von Megenberg, in: DA 20 (1964), S. 475-561
- Manfred Lemmer: Haushalt und Familie aus der Sicht der Hausväterliteratur, in: Trude Ehlert (Hg.): Haushalt und Familie in Mittelalter und früher Neuzeit. Sigmaringen 1991, S. 181-191
- Vittorio Lugli: I trattasti della famiglia ne quattroceno. Bologna 1909
- Paul Münch: ‚Hausväterliteratur‘, in: Georg Braungart u.a. (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Band II. Berlin 2000, S. 14-17
- Paul Münch: Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit. Texte und Dokumente zur Entstehung der ‚bürgerlichen Tugenden‘. München 1984
- Paul Münch: Lebensformen in der Frühen Neuzeit 1500 bis 1800. Frankfurt, Berlin 1998, S. 167-201
- Claudia Opitz: Neue Wege der Sozialgeschichte? Ein kritischer Blick auf Otto Brunners Konzept des ‚ganzen Hauses‘, in: Geschichte und Gesellschaft 20 (1994), S. 88-98
- Hermann Rebel: Peasant classes. Princeton 1983
- Irmintraut Richarz: Oikos, Haus und Haushalt. Göttingen 1991
- Irmintraut Richarz: Das ökonomisch autarke ‚Ganze Haus‘ - eine Legende?, in: Ehlert (Hg.): Haushalt und Familie in Mittelalter und früher Neuzeit. Sigmaringen 1991
- Wilhelm H. Riehl: Die Familie. Stuttgart, Augsburg 1855
- Inken Schmidt-Voges: Oíko-nomía – Wahrnehmung und Beherrschung der Umwelt im Spiegel adeliger Haushaltungslehren im 17. und 18. Jahrhundert, in: Heike Düselder, Olga Weckenbrock, Siegrid Westphal (Hg.): Adel und Umwelt. Horizonte adeliger Existenz in der Frühen Neuzeit. Köln 2008, S. 403-429
- Werner Trossbach: Das ‚ganze Haus‘, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 129 (1993), S. 277-314
- Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 1. München 1987