Einführung

Andreas Reyher: Theatrvm Latino-Germanico-Graecum
Nikola Roßbach

1. Titel
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Andreae Reyheri, Gymnasii Gothani Rectoris quondam meritissimi, Theatrvm Latino-Germanico-Graecum, Sive Lexicon Lingvae Latinae, In quo Ordine nativo Vocabvlorum Latinorum Origines, Genera, Flexiones, Significationes Variæ, & Adpellationes Germanicæ pariter Græcæque, Similiter Formulæ loquendi præstantiores, Sententiæ, Facultatum Scientiarumque Locutiones peculiares, & Proverbia, Cum Oratoribus, tum quoque Philosophis, Mathematicis, Medicis, Juris-Consultis, & Theologis familiariora, tum & recentioriævo usurpata, & ad rectius intelligendos atque explicandos quoscunque Autores Classicos nimium quantum facientia, continentur; Adpositis ubique Notis Criticis ad distingvendas inter se voces Obsoletas, Barbaras, Novas, Theologicas, Philosophicas, Fictas, Poëticas, Dubias, & Medii Ævi, ab iis, quæ sunt puræ Latinitatis. Opvs Sane omnibus elegantem ac puram linguam latinam docentibus ac discentibus perutile, Cvm Indice Locvpletissimo, Ita nunc recognitum, emendatum, auctumque, ut plane novum videri haberique possit, ejectis infinitis mendis, curante Christiano Ivnckero, Dresdense. Gymnasii Isenacensis Rectore. Cum Privilegio S. Cæs. Maj. Regis Polon. & Electoris Saxoniæ. Lipsiae et Francofvrti, Sumptibus Ioan. Herebordi Klosii, M DCC XII.Reyheri Theatrvm Latino Germanico Graecum Leipzig; Frankfurt/ Main: Kloß, Johann Herbort, 1595. - Titelblatt (Kupfertafel), 2392 pag. Sp., 2°. [opac ↗150369646] [vd17 ↗1:042313Z]

2. Verfasser
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Andreas Reyher (1601-1673) war ein protestantischer Pädagoge, der das Schulwesen seiner Zeit vorbildhaft neu gestaltete. Er studierte Philosophie und Theologie in Leipzig und habilitierte sich dort im Jahr 1631, nachdem er „bereits vielfach disputirt“ (Berbig, S. 322) hatte. Ab 1632 arbeitete Reyher als Gymnasialdirektor in Schleusingen, 1639-1640 in Lüneburg und ab 1641 in Gotha. Am dortigen Gymnasium wirkte er bis zu seinem Tod. Reyher reformierte in landesherrlichem Auftrag Sachsen-Gothas Schul- und Bildungswesen – Berbig bezeichnet ihn als „Vater des gothaischen Schulwesens“ (Berbig, S. 325) –, das zum Vorbild für andere deutsche Fürstenstaaten wurde. Reyhers Leistungen sind die Ausarbeitung einer neuen Schulordnung (‚Schulmethodus‘) für das Herzogtum Sachsen-Gotha, die Einführung der allgemeinen Schulpflicht, die Neugliederung des Schulwesens, die Etablierung innovativer Unterrichtsmethoden, die Einführung des ‚Realienunterrichts‘ (Natur-, Sach- und Staatsbürgerkunde) sowie die Verbesserung des Volksschulwesens, der Lehrerausbildung und der Erwachsenenbildung durch das so genannte ‚Informationswerk‘: „Durch im Lande umherreisende Inspektoren wurde der Kenntnisstand der Untertanen ermittelt, um anhand der dabei angefertigten Kataloge gezielt pädagogisch eingreifen zu können.“ (Bernet, Sp. 1121) Reyher verfasste zahlreiche pädagogisch-didaktische Schriften (ausführliche Werkbibliographie bei Bernet) sowie Lehrbücher für den Deutsch-, Fremdsprachen- und Rechenunterricht. Reyher war ein Schulmann durch und durch: „Ich habe [...] die Zeit meines Lebens zu keiner anderen Funktion als zur Didaktika Beliebung getragen und gedenke darinnen, so lange mir mein lieber Gott Leben und Kraft verleihet, beständig zu verharren“ (zit. nach Berbig, S. 324f.). Darüber hinaus schrieb der Pädagoge Gelegenheitsgedichte und religiöse Lieder. Ab 1644 besaß er eine eigene Druckerei in Gotha: „In seiner eigenen Einrichtung wurden die Schriften Reyhers zum Teil in vielen Auflagen gedruckt und verbreitet.“ (Bruhn, S. 16) Unter seinen vielen Kindern – zwölf aus erster, sechs aus zweiter Ehe – sind der Kieler Philosophie- und Mathematikprofessor Samuel Reyher, der Gothaer Arzt Andreas Reyher sowie der Buchhändler Salomon Reyher hervorzuheben, die sich nach dem Tod des Vaters um sein Werk verdient machten.

Die überarbeitete Neuausgabe des Reyher’schen Lateinisch-Deutsch-Wörterbuchs besorgte ein anderer bedeutender Schulmann, Christian Juncker (1668-1714). Der Historiker, Geograph und Bibliothekar war nach einem Universitätsstudium in Leipzig ebenso wie Jahrzehnte zuvor Reyher am Schleusinger Gymnasium beschäftigt; auf diese Konrektorenstelle folgten Rektorate an den Gymnasien in Eisenach (ab 1708) und Altenburg (ab 1713).

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Reyhers Werk erschien 1668 in Gotha im Selbstverlag unter dem Titel Thesaurus Sermonis Latini, Sive Theatrum Romano-Teutonicum.


Standorte der Reyher-Juncker’schen Ausgabe von 1712

3.2. Weitere Ausgaben
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1686 erschien in Leipzig und Frankfurt bei Salomon Reyher (einem Sohn Andreas Reyhers) und Moritz Georg Weidmann unter dem Titel Andreae Reyheri Lexicon Latino-Germanicum Sive Theatrum Romano-Teutonicum eine postume Ausgabe.

1695 erschien unter dem Titel von 1686 eine weitere Ausgabe bei Johann Herbord Kloß in Frankfurt/Leipzig. Wiederauflage 1696.

Weitere Ausgabe unter dem Titel Theatrvm Latino-Germanico-Graecum bei Johann Herbord Kloß 1712 in von Christian Juncker überarbeiteter und vermehrter Form (‚Reyher/Juncker’sche Ausgabe‘).

Neuausgabe der Reyher/Juncker’schen Ausgabe von 1712 im Jahr 1733 unter dem Titel Latinitatis Theatrvm Sive Lexicon Latino-Germanico-Graecvm Universale Reyhero-Jvnckerianvm mit einem Vorwort von Johann Matthias Gesner bei Johann Heinrich Zedler in Leipzig.

3.2.1. Digitale Ausgabe der Reyher/Juncker’schen Ausgabe 1712
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4. Inhalt
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Bereits der barock-weitschweifige Titel weist Reyhers Werk als Sprachwörterbuch aus, das die Ursprünge, Genera, Flexionen und Bedeutungen lateinischer Wörter enthält. Es bietet Redewendungen, Sentenzen und wissenschaftliche Fachtermini, die von früheren und neuen Rednern, Philosophen, Mathematikern, Medizinern, Juristen und Theologen verwendet würden – und die klassische Autoren richtiger und besser verstehen und erklären helfen sollen. Dabei werden – um sie von denjenigen, „quæ sunt puræ Latinitatis“, den rein lateinischen Ausdrücken, zu unterscheiden –, veraltete, ausländische, neue, theologische, philosophische, fiktional-literarische, poetische, zweifelhafte und mittelalterliche Ausdrücke besonders gekennzeichnet: Ein entsprechendes Siglenverzeichnis (D = dubiae etc.) findet sich in Junckers Vorrede an den Leser. Der Titel preist das Werk allen Lehrern und Schülern einer eleganten und reinen lateinischen Sprache als nützlich an – umso mehr, als es nun mit einem Index versehen und in überarbeiteter, stark verbesserter („ejectis infinitis mendis“!) und vermehrter Form, betreut von Christian Juncker, neu herausgegeben werde.

Nach der Widmung an den Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg Friedrich (1676-1732) und seinen gleichnamigen Sohn (1699-1772), ebenfalls Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg, folgt eine sechs Seiten lange, von Bearbeiter Juncker und Verleger Kloß signierte Widmungsvorrede. Dieser schließt sich die auf 1712 datierte Vorrede „Lectori Benevolo S.D.P. Christianvs Ivnckerus“ an, in der der Bearbeiter seinen Schleusinger Vorgänger im Rektoramt, Andreas Reyher, lobt, der mit diesem „Theatrum Latinitatis“ (unpag. [S. 1]), der Jugend habe nützen wollen. Juncker rekapituliert den Erstdruck von 1668 sowie die Neuausgabe von 1686 unter der Ägide der Reyher-Söhne Samuel und Salomo, stattet dem Verleger pflichtschuldig Lob ab und listet dann skrupulös die selbst getätigten Eingriffe in das Reyher’sche Original auf. Er benennt Ergänzungen (z.B. um griechische Erläuterungen) und Korrekturen, betont aber auch, was beibehalten wurde. Nach einer weiteren zweiseitigen Vorrede Samuel Reyhers – „Samvelis Reyheri Jcti, Andreae Filii, Explicatio Titvli“ –, die den Theatrum-Titel mit dem universalen Anspruch des vorliegenden Wörterbuchs begründet („LIbrum hunc Theatrvm Romano-Tevtonicvm vocare placuit, qvod in illo omnium rerum in Scena hujus Vniversi occurentium tam Romana sive Latina, quam Teutonica sive Germanica exhibentur vocabula“), folgt „CVM DEO“ endlich der Buchstabe A (Sp. 1). Es ist bemerkenswert, dass sämtliche Paratexte des Theatrvm Latino-Germanico-Graecum in lateinischer Sprache geschrieben sind und sich folglich an einen Kreis bereits lateinkundiger Gelehrter richten. Noch unwissende Schüler, denen das Werk doch ausdrücklich auch von Nutzen sein soll, müssen also bis zum Buchstaben A blättern, bis sie etwas verstehen. Vermutlich setzt der Bearbeiter eine Einweisung Sprachunkundiger in die Benutzung des Lexikons im Rahmen einer mündlichen Unterrichtssituation voraus – dies liegt jedenfalls angesichts des ebenfalls lateinischen Abkürzungsverzeichnisses nahe. Den lateinischen Lemmata – Einzelwörtern, aber auch mehrgliedrigen Ausdrücken und Sentenzen sowie Eigennamen – sind jeweils deutsche Übersetzung, ggf. Erläuterungen oder Autoritätenzitate, etwa von Cicero und Plinius, zugeordnet. Dem letzten Wort „Zythum“ (Sp. 2392) folgt ein unpaginiertes, alphabetisiertes „Register aller in diesem Lexico vorkommenden Teutschen Wörter“, die nur mit Spaltenverweis, nicht mit lateinischer Übersetzung versehen sind.

5. Kontext und Klassifizierung
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Das Theatrvm Latino-Germanico-Graecum ist ein signifikantes Beispiel dafür, dass die Genres Sachwörterbuch und Sprachwörterbuch bis ins 18. Jahrhundert hinein noch nicht getrennt waren: Erläuterungen, vor allem die von Eigennamen, verbleiben inkonsequenterweise oft im Lateinischen, was weniger auf ein Lateinisch-Deutsch-Wörterbuch als auf eine lateinischsprachige Enzyklopädie hinweist. Reyhers monumentales Wörterbuch, bereits 1668 im Erstdruck erschienen, war zu seiner Zeit einzigartig und konkurrenzlos in Umfang und Qualität. Es handelt sich um eines der ersten zweisprachigen Lateinisch-Deutsch-Wörterbücher, denn das im Titel genannte „Graecum“, eine Ergänzung Junckers, bezieht sich lediglich auf äußerst sporadisch hinzugefügte griechische Übersetzungen. Üblicher als zweisprachige Lateinisch-Deutsch-Wörtberbücher waren mehrsprachige wie Johann Amos Comenius’ berühmter Orbis Sensualium Pictus. Hoc est, Omnium fundamentalium in Mundo Rerum & in Vita Actionum Pictura & Nomenclatura (1658) und François Pomeys Königliches Französisch-Lateinisch-Deutsch-Wörterbuch, das Königliche Dictionarium/Dictionarium Regium/Le Dictionaire Royal (1681), beide etliche Male wiederaufgelegt. Dreisprachige Wörterbücher behandelten meist Französisch, Deutsch und Latein wie etwa Johann Hermann Widerholds Neues Dictionarium, In Französisch-Teutscher/ und Teutsch-Französischer/ Samt beygefügter Lateinischer Sprach (1669), das Neue und außführliche Dictionarium Oder Wörter-Buch, In dreyen Sprachen: Als Teutsch, Frantzösisch und Latein (1704) und die Primitiva Latinae Linguae, Germanice Explicata, Gallice Accommodata, Et Figuris Illustrata (1761). Als vierte der führenden europäischen Sprachen galt Italienisch – nicht nur für den Landsmann Giovanni Veneroni: Das Käyserliche Sprach- Und Wörter-Buch/ darinnen die vier Europäische Haupt-Sprachen [...] erkläret und vorgetragen werden / Dittionario Imperiale Nel Quale Le Quattro Principali Lingue D’Europa [...] Si dichiarano e propongono, 1700) (zur Bedeutung des Italienischen als Handels- und Kultursprache im 18. Jahrhundert Bray/Bruna/Hausmann, S. 3015). Erst im 18. Jahrhundert, in dem das Lateinische weiterhin seine Bedeutung als internationale Wissenschaftssprache behauptete, kamen verstärkt zweisprachige Wörterbücher wie das Teutsch-Lateinische Wörter-Büchlein (1713), Benjamin Hederichs Lexicon manuale Latino-Germanicum (1722) und Johann Leonhard Frischs Teutsch-lateinisches Wörter-Buch (1741) auf den Markt, ab dem 19. Jahrhundert waren „viersprachige Wörterbücher nicht mehr denkbar“ (Bray/Bruna/Hausmann, S. 3014).

6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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