Einführung

Jost Amman: Gynaeceum, Siue Theatrvm Mvliervm
Nikola Roßbach

1. Titel
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Gynaeceum, Siue Theatrvm Mvliervm, In Qvo Praecipvarvm Omnivm Per Evropam In Primis, Nationvm, Gentivm, Popvlorvmque, Cvivscvnqve dignitatis, ordinis, status, conditionis, professionis, aetatis, fœmineos habitus videre est, Artificiosissimis Nvnc Primvm figuris, neq vsquam antehac pari elegantia editis, expressos à Iodoco Amano. Additis Ad Singvlas Figvras Singvlis octostichis Francisci Modii Brvg. Opvs Cvm Ad Foeminei Sexvs Commendationem, tum in illorum maximè gratiam adornatum qui à longinquis peregrinationibus institutae vitae ratione, aut certis alijs de caußis exclusi, domi interim variorum populorum habitu, qui est morum indicium tacitum, delectantur. M. D. LXXXV. Francoforti, Impensis Sigismundi Feyrabendij. Frankfurt/Main: Feyrabend, 1586. - Titelseite (Holzschnitt), 239 unpag. S., 122 Ill., 4°. [opac ↗602241405] [vd16 ↗VD16+M+5737]

2. Verfasser und Verleger
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Der Schweizer Zeichner, Maler, Kupferstecher, Formschneider und Radierer Jost (Jobst, Jodocus) Amman (Ammon, Ammannus) (1539-1591) illustrierte das unter dem Namen 'Frauentrachtenbuch' bekannte Theatrum-Werk. Amman, in Zürich geboren und seit 1561 in Nürnberg tätig, war ein äußerst produktiver Künstler. Aus seiner Werkstatt, die er nach 1562 von Virgil Solis übernahm, gingen etliche Bücher, oft Auftragswerke für Verleger, hervor. Die Zeitgenossen schätzten die Werke des später als Produzent minderwertiger Massenware kritisierten Amman sehr; er nahm einen „nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Bildung des Volkes in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts“ (Lemmer, S. 77). Ammans bekanntestes Werk ist die Eygentliche Beschreibung Aller Stände auff Erden [...] (1568), das 'Ständebuch', zu dem Hans Sachs die Verse lieferte. Der Text dient dem Bild, nicht umgekehrt: „Das Kostümbild ist das gattungsbestimmende Elemente des Trachtenbuchs“ (Gattineau-Sterr, S. 2). Demgemäß war es bei Feyrabend übliche Verlagspraxis, die Texte nach den Bildvorlagen zu erstellen (O’Dell, S. 12). Die Begleittexte zu Ammans Holzschnitten haben verschiedene Autoren. Der lateinische Text stammt aus der Feder des bei Brügge geborenen Juristen und Philologen Franciscus (Franz) Modius (1556-1597), der zwei Jahre lang (1585-1587) in Feyrabends Verlag arbeitete, er deutsche Text aus der Feder des evangelischen Predigers und Dichters Konrad (Kunz) Lautenbach (1534-1595). Mit Sigmund Feyrabend (Feyerabend) (1528-11590), dem damals bedeutendsten Frankfurter Verleger, arbeitete Amman seit 1563 vielfach zusammen. Er illustrierte mehr als fünfzig Bücher für Feyrabends Verlag, in dem außer volkstümlichen Bildbänden theologische und juristische Werke erschienen.

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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1586 erschienen in Frankfurt/Main im Verlag Sigmund Feyrabends ein lateinischer Erstdruck des Frauentrachtenbuchs für gelehrte Kreise – das Gynaeceum, Siue Theatrvm Mvliervm – sowie ein deutschsprachiger Erstdruck: Im Frauwenzimmer Wirt vermeldt von allerley schönen Kleidungen vnnd Trachten der Weiber.


Standorte des Erstdrucks

3.2. Weitere Ausgaben
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Die Allgemeine Deutsche Biographie (Franck, S. 72) notiert eine zweite Auflage (1592) der deutschsprachigen Ausgabe, die nicht in Bibliothekskatalogen nachgewiesen ist.

Zwischen 1704 und 1711 gibt der Kupferstecher Johann Stridbeck einige der Holzschnitte unter folgendem Titel in Frankfurt erneut heraus: Frauenzimmer Trachten/ Worinnen zu sehen von allerley Schönen Kleidungen und Trachten der Weiber/ hohen und niedrigen Standes/ wie man fast an allen Orthen vor Alters geschmückt und gezieret gewesen/ als Teutsche/ Welsche/ Frantzösische/ Engelländische/ Niederländische/ Böheimische/ Ungarische/ und andern anstossenden Ländern.

3.2.1. Mikroform-Ausgabe der lateinischen Fassung von 1586
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Urbana, Ill.: The Cicognara Program, Undergraduate Library, University of Illinois [1998] (= The Cicognara Library 1556).

3.2.2. Neueditionen der lateinischen Fassung von 1586
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The theatre of women. Ed. by Alfred Aspland. Manchester: Brothers [u.a.] 1872.

Gynaeceum, Siue Theatrvm Mvliervm [...]. München, Leipzig: Hirth 1880.

3.2.3. Neueditionen der deutschsprachigen Fassung von 1586
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Im Frauwenzimmer Wirt vermeldt von allerley schönen Kleidungen vnnd Trachten der Weiber [...]. München, Leipzig: Hirth 1880.

Im Frauwenzimmer Wirt vermeldt von allerley schönen Kleidungen vnnd Trachten der Weiber [...]. Darmstadt 1956 [fotomechan. Nachdruck].

Im Frauwenzimmer Wirt vermeldt von allerley schönen Kleidungen vnnd Trachten der Weiber [...]. Begleittext von Manfred Lemmer. Leipzig: Insel 1971 (2. Aufl. 1972).

Frauentrachtenbuch. Handkolorierter Faksimiledruck der deutschen Ausgabe von 1586. Begleittext von Manfred Lemmer. Frankfurt/Main: Insel 1976.

Die Frauenzimmer. Die Frauen Europas und ihre Trachten. Mit einem Nachwort von Curt Grützmacher. Dortmund: Harenberg 1980.

Frauentrachtenbuch. Mit kolorierten Holzschnitten der Erstausgabe von 1586 und einem Nachwort von Manfred Lemmer. Frankfurt/Main: Insel 1986 [Teilausgabe des Nachdrucks von 1976].

3.2.4. Digitale Ausgaben
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- Digitale Ausgabe der lateinischen Ausgabe von 1586
- Digitale Ausgabe der deutschsprachigen Ausgabe von 1586
  • Wikisource. Vorlage: Jost Amman: Die Frauenzimmer. Die Frauen Europas und ihre Trachten. Mit einem Nachwort von Curt Grützmacher. Dortmund: Harenberg 1980.

4. Inhalt
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Jost Ammans Frauentrachtenbuch führt zeitgenössische weibliche Bekleidung verschiedener, vorwiegend europäischer Stände, Ränge, Regionen und Länder vor. Nur selten, in moralisierenden Passagen, ist es an Frauen adressiert. Zwar empfiehlt sich die lateinische Fassung dem weiblichen Geschlecht schon im Titel (commendatio), ohne es damit zur Lektüre aufzufordern; auch die deutsche Fassung will allen ehrliebenden Frauwen vnd Jungfrauwen zu Ehren geschrieben worden sein. In erster Linie jedoch sind Frauen Darstellungsobjekte in Text und Bild, deren Kleidung ausdrücklich als Zeichen der Sitten gilt: als „morum indicium tacitum“.

Sowohl lateinischer als auch deutschsprachiger Erstdruck teilen sich auf in eine Vorrede und einen Hauptteil, der aus Holzschnitten mit Begleittexten besteht: Die 122 Abbildungen sind identisch, wenn auch ihre Anordnung abweicht. Die Texte – Vorrede, bildbegleitende Überschriften und je acht Verse – differieren; es handelt sich keinesfalls um bloße Übersetzungen.

Beide Vorreden stammen vom Verleger. Unverkennbar spricht Sigmund Feyrabend unterschiedliche Leserkreise an, nicht zuletzt dadurch, dass er die lateinische Ausgabe einer Königin, die deutsche einem bürgerlichen Gönner und dessen Frau widmet. Dementsprechend unterscheiden sich auch die bildbegleitenden Texte hinsichtlich ihrer Adressaten. Für Manfred Lemmer gehörten die eleganten, formal geschliffenen Dichtungen von Franciscus Modius – vier Distichen pro Bild – „einer anderen geistigen Welt“ an als Lautenbachs deutsche Verse „in ihrer liebenswerten Schlichtheit und Einfalt“ (Lemmer, S. 80): Paargereimte, vierhebige Knittelverse rahmen jedes mit einer Überschrift versehene Bild ein.

Dennoch transportieren die Texte beider Fassungen ein ähnliches genderspezifisches Moralprogramm, das zu weiblicher Tugend, Sittsamkeit, Häuslichkeit, Dienstbarkeit, rollenkonformer Unterordnung, Gottesfurcht – und entsprechender ehrbarer, züchtiger Bekleidung – auffordert: ein Programm, das die Vorreden ebenso verkünden wie die bildbegleitenden Verse, die moralische Vorbildlichkeit loben und abschreckende Negativbeispiele harsch verurteilen. Jost Ammans Frauentrachtenbuch zeigt, was Frauen anziehen – vor allem jedoch sagt es, was sie tun sollen.

Die Reihenfolge der Holzschnitte dokumentiert unterschiedliche Ordnungskriterien. Übergeordnetes Kriterium ist die Zugehörigkeit der abgebildeten Frauen zum weltlichen oder zum religiösen Stand. Innerhalb der ersten, säkularen Großgruppe ist das zentrale Kriterium die Ständehierarchie: Der erste Holzschnitt zeigt die „Imperatrix“, der sich Königinnen, Gräfinnen und Fürstinnen anschließen. Ein weiteres Ordnungskriterium ist die Zugehörigkeit zu städtischen, regionalen oder staatlichen Räumen, häufig verschränkt mit hierarchischen Kriterien: Innerhalb geopolitischer Räume wie Augsburg, Sachsen oder Venedig werden Frauen von der Edelfrau bis hinunter zur Magd oder gar Prostituierten („Romana foemina prostratae pudicitiae“) vorgestellt. Den Schlusspunkt bilden die geographisch, kulturell und auch moralisch am fernsten liegenden Vertreterinnen ihres Geschlechts: Der grausamen Tochter des türkischen Sultans, „Camilla Turcici Imperatoris“, folgt unmittelbar eine türkische Hure („Scortum Turcicum“): So werden die beiden Enden der gesellschaftlichen Hierarchie türkischer Frauen konfrontiert, was die Sultanstochter in einen abwertenden Bezug zum niedrigsten Stand bringt. Übrigens handelt es sich bei dieser einzigen Individualnennung nur um eine vermeintliche: Thematisches Vorbild der Figurine ist die in Jean-Jacques Boissards Habitus Variarum Orbis Gentium (1581) abgebildete Sultanstocher Camilla (Gattineau-Sterr Fœmina Peruviana“, einer ebenfalls phantastisch freien Ausgestaltung älterer Trachtenmodelle. Es folgen die Repräsentantinnen der zweiten Großgruppe: Angehörige verschiedener Orden in monastischer Kleidung.

5. Kontext und Klassifizierung
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Jost Ammans Frauentrachtenbuch steht im Kontext der Trachtenbilder und -bücher des 16. und 17. Jahrhunderts. Seit dem 15. Jahrhundert hatte sich eine kunsthistorische „Emanzipation der Kleidung“ vollzogen: „Die Kleidung rückt in den Mittelpunkt der Darstellung, während die Person zur anonymen Figurine degradiert wurde.“ (Gattineau-Sterr, S. 1) Albrecht Dürer begründete die Gattung autonomer Trachtenstudien (ebd., S. 2); beliebte Trachtenbücher schufen im 16. Jahrhundert Sigmund Heldt, Enea Vico, François Deserpz, Ferdinando Bertelli, Hans Weigel, Abraham de Bruyn und Jean-Jacques Boissard. Amman steht unverkennbar in der Tradition dieser Werke. Sie dienen ihm unverkennbar als Vorlagen, auch wenn er sie nicht genau übernimmt: „Trotz oder gerade aufgrund dieser motivischen Kopien verleiht Amman seinen Figurinen einen eigenen unnachahmlichen Stil“ (ebd., S. 200) – durch Isolierung und Dynamisierung der oft steifen Modelle.

Der größte Teil der Amman’schen Figurinen geht auf Hans Weigels Habitus Praecipuorum Populorum Tam Virorum Quam foeminarum Singulari arte depicti [...] (1577) zurück, für das Amman selbst Trachtenbilder angefertigt hatte. 1585 illustrierte er Feyrabends Ständ und Orden der H. Römischen Catholischen Kirchen [...]: Der unter ständigem Zeit- und Kostendruck stehende Künstler übernahm aus diesem Trachtenbuch, das wiederum in der Nachfolge von Abraham de Bruyns Imperii ac sacerdotii ornatus [...] (1578) steht, die Holzschnitte zur Ordenskleidung im Frauentrachtenbuch (Böcker/Böcker, S. 94).

Ammans Frauentrachtenbuch „ist (vermutlich) das erste gedruckte Trachtenbuch in deutscher Sprache“ (Böcker/Böcker, S. 92). Außer geschlechtsspezifischer Morallehre und Unterhaltung bietet es kleiderkundliche Informationen und ist daher von kostümgeschichtlichem Wert. Amman eröffnet Einblicke in die vielfältige und uneinheitliche, jedoch streng ständisch normierte Kleidermode des 16. Jahrhunderts. Dennoch darf man die Kostümbilder keineswegs als getreue Wirklichkeitsabbildungen interpretieren – Gattineau-Sterr (S. 196ff.) weist etwa auf die Verwendung identischer Figurinen für ganz verschiedene Länder und Trachten sowie auf eindeutig phantastische Ausgestaltungen hin.

6. Rezeption
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Amman arbeitete hauptsächlich für den Verlag Feyrabend – und es waren „gerade die Bilder, die die Bücher Feyerabends so erfolgreich machten“ (O’Dell, S. 11). Feyrabend veröffentlichte daher die Holzschnitte aus prächtigen Foliobänden häufig noch einmal unter anderem Titel in preisgünstigeren Quartbänden. Sein Ziel war es, eine breite Käuferschaft zu erreichen. Die Forschung betont die Bedeutung und Popularität Jost Ammans, der extrem produktiv war und Publikationen aus verschiedensten Disziplinen und Bereichen illustrierte. Am 14.6.1577 verlieh ihm der Rat der Stadt Nürnberg das Bürgerrecht, weil „er mit seiner Kunst so beruemt“ war (Ratsverlässe 1577, H. 3, Fol. 22, zit. nach O’Dell, S. 13).

7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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