Einführung

Georg Andreas Böckler: Theatrum Machinarum Novum
Nikola Roßbach

1. Titel
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Theatrum Machinarum Novum, Das ist: Neu-vermehrter Schauplatz der Mechanischen Künsten/ Handelt von Allerhand- Wasser- Wind- Roß- Gewicht- und Hand-Mühlen/ Wie dieselbige zu dem Frucht-Mahlen/ Papyr- Pulver- Stampff- Segen- Bohren- Walcken- Mangen/ und dergleichen anzuordnen. Beneben Nützlichen Wasserkünsten Als da seynd Schöpff- Pomppen- Druck- Kugel- Kästen- Blaß- Wirbel- Schnecken Feuer-Sprützen und Bronnen-Wercken. Damit das Wasser hoch zuheben/ zuleiten und fortzuführen/ auch andern Sachen/ so hierzu dienlich und nützlich zugebrauchen/ Alles mit grosser Mühe und sonderbahrem Fleiß/ auch meisten Theil auß eigner Erfahrung/ dem Liebhaber dieser Künste zusammen getragen und colligirt Durch Georg: Andream Böcklern, Architect. & Ingenieur. Nürnberg/ In Verlegung Paulus Fürsten/ Kunsthändlers. Gedruckt bey Christoff Gerhard. Nürnberg: Paul Fürst, 1661. - Frontispiz, Titelblatt (Kupfertafeln), 68 pag. S., 154 Ill., 2°. [opac ↗0535943822] [vd17 ↗3:311413X]

2. Verfasser
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Georg Andreas Böckler, zwischen 1617 und 1620 als Sohn eines protestantischen Pfarrers im fränkischen Cronheim geboren und 1687 in Ansbach gestorben, war Architekt und Ingenieur, Erfinder, Zeichner und Kupferstecher. Er wirkte zunächst in Straßburg, hielt sich außerdem in Koblenz, Breisach, Frankfurt, Idstein/Taunus, Regensburg, Stuttgart, Heidelberg, Durlach und Ansbach auf. Böckler war an verschiedenen Höfen des Deutschen Reichs als Architekt und Ingenieur tätig; ab 1678 ist sein Aufenthalt am Hof des Markgrafen Johann Friedrich von Brandenburg-Ansbach nachweisbar, wo er zwar nicht den Status eines Hofbaumeisters inne hatte, aber als bautechnischer Berater bei Bauprojekten und Prinzenerzieher arbeitete (Vollmar 1983, S. 12, 229; Hofmann, S. 98-101, 104). Bis zu seinem Tod lebte er in Ansbach als so genannter Hofschutzbeamter in kargen Verhältnissen (siehe zu Böcklers Vita ausführlich Vollmar 1983, A 1-11).

Bauwerke von Böcklers Hand sind wenige bekannt und keine erhalten; seine architekturgeschichtlich unbedeutenden praktischen Arbeiten waren in der Regel auf Bauerhaltungsmaßnahmen von Fortifikationsanlagen beschränkt (Vollmar 1983, S. 22). Bleibende Bedeutung haben hingegen Böcklers Schriften zu diversen Themen – Architektur, Maschinenbau, Militärwesen, Ethik, Druckgraphik, Heraldik, Hausväterliteratur –, in denen er Kompilation und eigenen gelehrten Autorkommentar geschickt verbindet. Insgesamt sind vierzehn Werke unter seinem Namen (als Verfasser, Herausgeber, Übersetzer) erschienen.

Die im Theatrum Machinarum Novum ‚colligirten‘ Kupferstiche, zu denen Böckler die Erläuterungen verfasste, sind zum großen Teil unsigniert; 10 % zeigen die Signatur Balthasar Schwans (um 1620), 5 % die Eberhard Kiesers (1583-1631), beide Beiträger zu Jacopo Stradas Kunstliche Abriß/ allerhand Wasser- Wind- Roß- und Handt Mühlen (1617/18). Tatsächlich handelt es sich um vom Verleger Paul Fürst angekaufte Stiche aus Stradas Maschinenbuch, die Böckler um weitere vermehrt – laut Finsterbusch/Thiele um „all die [...], die ihm von den Schöpfungen eines Ramelli, Besson, de Strada oder de Caus wesentlich erschienen“ (Finsterbusch/Thiele, S. 133). Böckler selbst verweist auf Georgius Agricolas De re metallica libri XII (1556) und Wendelin Schildknechts Harmonia In Fortalitiis construendis, defendendis & oppugnandis (1652). Bibliographisch als künstlerische Beiträger des Theatrum Machinarum Novum verzeichnet werden darüber hinaus Böckler selbst und Valentin Sommer.

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Erschienen 1661 bei Paul Fürst in Nürnberg. Wiederauflage erschienen 1673 bei Paul Fürst Wittwe und Erben.


Standorte des Erstdrucks

3.2. Weitere Ausgaben
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- Lateinische Erstausgabe

Erschienen 1662 in Köln (Erscheinungsvermerk: Coloniae Agrippinae). Neudruck erschienen 1686 bei Paul Fürst Wittwe und Erben.

- Weitere deutschsprachige Ausgabe

Erschienen 1703 bei Rudolph Johann Helmer in Nürnberg (bibliographisch als ‚vierte Auflage‘ gezählt).

Wiederauflage 1705.

3.2.1. Neuedition
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Ed. facsímil de la de Nuremberg, 1661. Madrid: Universidad Europea de Madrid [u.a.] 1997 (= Una elección que se llama Europa, 2).

3.2.2. Digitale Ausgaben
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- Digitale Ausgaben des Erstdrucks
- Digitale Ausgabe der lateinischen Ausgabe von 1662
- Digitale Ausgaben der deutschsprachigen Zweitauflage von 1673

4. Inhalt
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Böcklers einbändiges Maschinentheater besteht aus zwei klar voneinander getrennten Teilen. Der Textteil besteht aus Widmung, Vorrede, Register, Bildkommentar sowie der aus Zeisings Theatrum Machinarum-Band 3 übernommenen sächsischen Mühlordnung. Der Abbildungsteil enthält 154 Kupferstiche.

Die Widmung gilt „Carl Ludwig, Pfaltzgrav bey Rhein“, Böcklers damaligem Arbeitgeber, dessen Bemühungen um die Reparatur kriegsgeschädigter Mühlen und die Errichtung neuer Gebäude gelobt werden. In der „Vorrede/ An den Kunstliebenden Leser“ definiert Böckler die Mechanica als „edle Kunst“, von Geometrie und Physik hergeleitet und dadurch wissenschaftlich geadelt. Die Mechanik unterteilt er in theoretische („Speculativa“) und praktische („Practica“), worauf bereits die Inschriften ‚Studium‘ und ‚Labor‘ auf dem programmatischen Titelkupfer (siehe detaillierte Interpretation bei Lazardzig, S. 67f.) verweisen. Entschieden grenzt Böckler die mechanische Kunst vom ‚bloßen‘ Handwerk ab: „Unter dem Wörtlein Mechanica aber/ werden nicht allerley gemeine Hand-Wercker verstanden/ als welche offtermahlen gar wenig Kunst/ aber vielmehr eine saure und mühesame Arbeit und Ubung erfordern.“ (Vorrede, unpag. [S. 1]) Die Notwendigkeit mechanischer Kunst wird nach einem gängigen Topos (Stöcklein, S. 36ff.) mit den Widrigkeiten der Natur erklärt: „Derohalben so wir etwas wider die Natur zu wegen bringen wollen/ muß solches durch scharffsinniges Nachdencken/ Kunst/ Mühe und sonderbahre Geschicklichkeit geschehen/ und Werckstellig gemacht werden.“ (Vorrede, unpag. [S. 1])

Dem Hauptteil der Kupferstiche geht ein sorgfältig gemachtes, paginiertes „Register und Ordnung der Figuren dieses Buchs“ voraus. Es dokumentiert, dass Böckler dem selten verwendeten Terminus ‚machina‘ drei andere Begriffe vorzieht: ‚Mühle‘ – meist für antreibende Kraft- oder zerkleinernde Arbeitsmaschinen –, ‚Werck‘ und ‚Kunst‘ – für Wasser bewegende oder hebende Transportmaschinen (Jakob, S. 138). Der erste Eindruck systematischer Ordnung täuscht jedoch. Nur streckenweise, nicht konsequent sind die Maschinenabbildungen nach Anwendungstechniken (Treten, Schleifen, Mahlen, Schleifen, Polieren, Schroten, Sägen, Schöpfen, Pumpen), nach zu bearbeitenden Produkten (Gewürz, Getreide, Papier, Pulver, Öl) und nach Antriebsarten (menschliche oder tierische Kraft, Wasser, Wind) gegliedert. Durchgehalten wird lediglich die ‚Anordnung nach steigender Komplexität: „Ein einfaches Pomppen-Werck“ – „Ein doppeltes Pomppen-Werck“ – „Ein vierfaches Pomppen-Werck“.

Böcklers Bildkommentare sind nicht-fachsprachliche Erklärungen technischer Sachverhalte. Intendiert ist weniger ein Handbuch als ein Lehrbuch praktischer Mechanik: Wenn ohne eigentliches lexikographisches Verweissystem auf vorausgegangene Texte Bezug genommen wird, zeigt dies die Erwartung eines nicht nur selektiv-konsultativen Lektüreverhaltens. Von Zeisings umständlichem, definitionsgesättigtem Schreibgestus hebt Böcklers zielstrebiger, weniger weitschweifiger Stil sich deutlich ab; die Erläuterungen umfassen höchstens eine Spalte. Markant bringt Böckler sich als Autorsubjekt in Stellung, indem er Deskription durch wertenden Kommentar und weiterführende Vorschläge ergänzt. Offensiv tritt der Bilddeuter hervor – etwa wenn er im ‚Nota‘ die „Intention des Erfinders“ eines ‚Schöpff-Wercks‘ nicht erkennen kann, über das technische Funktionieren spekuliert, ohne damit „andern Verständigen“ vorgreifen zu wollen, und schließlich ebenso lakonisch wie souverän eingesteht: „Was hierunter verborgen/ wollen andere verständige Künstler/ zu entdecken hiemit freundlich gebeten seyn.“ (S. 34)

Nicht nur an dieser Stelle wird die Dialogizität als dynamisierendes Element der Böckler’schen Schrift sichtbar: Immer wieder verlangt der Maschineninterpret, „eine bessere Meinung darvon zu vernehmen“ (S. 36). Im Auge hat er dabei vor allem die wiederholt angesprochenen ‚geübten Künstler‘ und ‚Werck-Meister‘, die durch Nachdenken und Anwendung die Tauglichkeit der abgebildeten Maschinen überprüfen sollen. Nach ihrem fachmännischen ‚Belieben‘ sollen sie Lücken oder Ungenauigkeiten der Darstellung in praxi ‚ergänzen‘ und die Maschine angemessen ‚anordnen‘ und ‚anrichten‘. Die Aufwertung der mechanica practica ist charakteristisch – nicht nur – für Böcklers Technikschaubuch. In Zweifelsfällen, bei denen der Kommentator Skepsis gegenüber der maschinellen Funktionsfähigkeit hegt, verbietet er sich vorschnelle Kritik und verweist auf die Notwendigkeit praktischer Umsetzung – „die Warheit wird sich im Werck finden“ (S. 57). Und selbst wenn ihn eine Erfindung gar nicht überzeugt, bleibt er zurückhaltend und fordert den Leser umso nachdrücklicher zum Dialog auf: Bei einem ‚einfachen Schöpf-Werck mit Kästen‘ etwa hält er es für „nicht rath sam dem Inventori dieser Machinæ zu folgen“, macht Alternativvorschläge und überlässt die Entscheidung schließlich „dem verständigen Werck-Meister“ – „solte von jemand anders etwas bessers vorgebracht werden/ verlangen wir es zuvernehmen“ (S. 50).

Von den kompilierten 154 Kupferstichen sind 48 Jacopo Stradas Kunstlichen Abriß/ allerhand Wasser- Wind- Roß- und Handt Mühlen (1617/1618) entnommen. Stradas Stiche werden unverändert nachgestochen – mit Ausnahme einiger hinzugefügter Buchstabenbeschriftungen, auf die Böckler sich im Begleitkommentar bezieht, sowie veränderter Nummerierung: Stradas Kupfer erhalten im Theatrum Machinarum Novum die Nummern 6, 11, 12, 13, 16, 22, 23, 27, 30, 34, 41, 42, 44, 52, 57, 58, 59, 62, 70, 72, 76, 79, 81, 83, 85, 86, 90, 91, 93, 99, 101, 102, 103, 113, 114, 115, 122, 123, 126, 127, 139, 140, 142, 143, 146, 147, 148, 149. Die aus diversen Quellen stammenden Abbildungen – teils nüchtern, schmucklos und spröde, teils opulent gemäldeartig – zeigen ganz unterschiedliche Maschinen. Während Zeising selten auf eine rahmende Landschaft, Zuschauer und Bedienpersonal verzichtete, präsentiert Böckler Maschinen teils mit, teils ohne Kontext, Betreiber und Betrachter.

Realistische Arbeitsmaschinen stehen neben solchen mit unglaubwürdigem Energiehaushalt. Ein Perpetuum Mobile ist Böcklers Urteil nach vom Inventor „schwerlich ins Werck gerichtet“ worden, doch bezieht sich seine Skepsis nicht auf selbstbewegende Maschinen allgemein – er stellt einen (nie erschienenen) „eigenen Tractat/ de perpetuo mobili“ (S. 59) in Aussicht. Nicht nur hier zeigen sich die fließenden Grenzen zwischen Empirie und Phantastik, Pragmatik und Vision, die für die barocken Technikbücher so typisch sind: „In der barocken Technik sind die phantasievollen Vorstellungen von der sich immerfort ohne äußeren Antrieb bewegenden Maschine durchaus noch in die nützliche Technik eingebunden.“ (Jakob, S. 124) Nach Jakobs Einschätzung gehört das Maschinentheater Böcklers ebenso wie das Heinrich Zeisings/Hieronymus Megisters – anders als die Werke von Agostino Ramelli und Salomon de Caus sowie Böcklers eigenes zweites Maschinenbuch Architectura Curiosa Nova (1664) – zu den auf höherem Technikniveau angesiedelten Werken des Theatrum-Machinarum-Korpus. Sein Werk sei weniger als andere von den „wundersamen Technikvorstellungen“ (Jakob, S. 125) des Barock durchdrungen: Eine These, die Quantität gewichtet (die Überzahl der realistischen Arbeits- und Kraftmaschinen in Böcklers Schrift ist unstrittig), nicht Qualität: Böckler reiht phantastische Perpetuum mobile-Entwürfe bruchlos in seine Kollektion ein.

Das letzte Bild zeigt wie auch bei Zeising – in sicherlich intendierter Zuspitzung – eine Feuerspritze bei der Anwendung, allerdings eine andere. Es handelt sich um die von Hans Hautsch 1658 erfundene Feuerspritze mit Windkessel, die bislang nur über Flugblätter bekannt geworden war: Böcklers Theatrum Machinarum Novum fungiert als Verbreitungsmedium aktuellen Technikwissens und stellt dies werbewirksam heraus: „NB. Dergleichen Feuer-Sprützen ist zuvor nie gesehen worden/ dann sie der Kunstreiche Meister/ Hans Hautsch/ Circkel-Schmid und Bürger in Nürnberg/ selbst Anno 1658. erst erfunden und gemacht hat/ und seine Prob damit zuthun/ sich verobligirt/ bey welchem sie auch noch beede zufinden/ und zusehen sind. Dann die Grosse besonders in grossen Städten/ ein treffliches/ hochnützliches und nöthiges Werck ist.“ (S. 61)

5. ↗Kontext und Klassifizierung
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6. Rezeption
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Der Polyhistor und vielseitige Schriftsteller Böckler gilt als „für seine Zeit typisch und durch seine Bücher (trotz der lat. Titel deutsch geschrieben) von Einfluss“ (Klinckowstroem). Er war kein origineller Schriftsteller, doch seine Kompilationen, meist Auftragsarbeiten für Nürnberger und Frankfurter Verlage, waren sehr populär (Beyer), selbst wenn es sich zum Teil um hastig zusammengestellte Stichwerke mit dürftigen, gar fehlerhaften Textteilen handelte – so Kruft (S. 197) kritisch zu Böcklers bekanntestem Werk, der Architectura Curiosa Nova (1664).

Böcklers Adressaten waren potenzielle Auftraggeber aus der niederen Aristokratie, dem Land- ebenso wie dem Stadtadel innerhalb seines Wirkungskreises protestantischer Territorialstaaten: Vollmar bestimmt jene Zielgruppe hinsichtlich der Böckler’schen Palladius-Übersetzung näher als „sowohl das städtische Patriziat bzw. die adelige Hofbeamtenschaft als auch die landsässigen Grundherren“ (Vollmar 1983, S. 210; siehe auch ders. 1991).

Speziell zum Theatrum Machinarum Novum ist zu sagen, dass Böckler als erfahrener Architekt und Ingenieur die Bedeutung des Mühlen- bzw. Maschinenbaus erkannte und mit seinen Schriften diesen Zweig der Baukunst förderte (Finsterbusch/Thiele, S. 132). Das Theatrum Machinarum Novum wurde bald nach seinem Erscheinen ins Lateinische übersetzt und über mehrere Jahrzehnte immer wieder neu aufgelegt; Böckler-Experte Vollmar bezeichnet es neben der Architectura Curiosa Nova (1664) und dem Hausvaterbuch Nützliche Hauß- und Feld-Schule (1678) als Standardwerk des 17. und frühen 18. Jahrhunderts (Vollmar 1983, S. 229). Auch Gottfried Wilhelm Leibniz schätzte Böcklers Theatrum und ließ sich eventuell durch das bekannte Frontispiz in der wissenschaftstheoretischen Verwendung der Theatermetapher bestärken (Bredekamp, S. 38).

7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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