Einführung

Anonym: Neues Kriegs-Theater
Flemming Schock

1. Titel1
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Neues Kriegs-Theater oder Sammlung der Merkwürdigsten Begebenheiten des Gegenwaertigen Krieges In Teutschland in accuraten in Kupfer gestochenen Vorstellungen. Leipzig 1758. - Titelblatt (Kupfertafel), 83 unpag. S., 80 Ill., quer-2°.

2. Verfasser
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Das Neue Kriegs-Theater wurde anonym veröffentlicht.

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Erschienen 1757 in Leipzig ohne Verlagsangabe. Offensichtlich wurden alle Karten in zweifacher Form publiziert: in gebundener Buchform der vorliegenden „Sammlung“ und lose im publizistischen Einzelverkauf.


Standorte des Erstdrucks

3.2. Weitere Ausgaben
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Erschienen 1762 in Leipzig ohne Verlagsangabe. Obwohl auf dem Titelblatt das Publikationsjahr 1758 angegeben ist, wurde das Neue Kriegs-Theater erst kurz vor Ende des Siebenjährigen Krieges gedruckt: Als „Supplement“ wurden auch Schlachten ab 1758 in die Sammlung mit aufgenommen.

1773 erschien ebenfalls in Leipzig eine Neuausgabe, die sich nicht mehr dem Siebenjährigen Krieg, sondern dem Konflikt zwischen Russland und der Türkei zuwandte: Neues Kriegs-Theater oder Sammlung der merkwürdigsten Begebenheiten des gegenwärtigen Krieges zwischen den Russen und den Türcken: in accuraten in Kupfer gestochenen Vorstellungen.

3.2.1. Mikroform-Ausgabe
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Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek 2005. Vorlage: Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. M: Gl 2642.

3.2.2. Digitale Ausgabe der Ausgabe von 1762
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4. Inhalt
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Das Neue Kriegs-Theater versammelt insgesamt 80 Kupferstich-Karten. Sie bilden eine Art Atlas zu Schlachten, Belagerungen und Feldlagern des Siebenjährigen Krieges (1756-1763). Die erste Karte liefert eine Darstellung des „Lager[s] derer Sächsischen und Preussischen Armeen bey Pirna sambt umliegender Gegend“, die dritte Karte zeigt mit dem Aufeinandertreffen der Preußen und Österreicher in Lobositz am 1. Oktober 1756 die erste von vielen Schlachtenkarten; die letzte Karte wird auf den 15. Oktober 1762 datiert. Obwohl im Titel die „Merkwürdigsten Begebenheiten“ versprochen werden, wird das Auswahlkriterium im Werk selbst nie expliziert – dies mag nicht zuletzt daran gelegen haben, dass das Neue Kriegs-Theater nahezu ohne (Para-)Texte auskommt. Einzige Ausnahmen bilden zwei eingeschaltete „Avertissments“, von denen die erste einen Raubdruck in Augsburg beklagt (offensichtlich den Erstdruck von 1757) und vor „fehlerhaften Copeyen“ warnt.

Die geradezu quasidokumentarische Perspektive realisiert sich durch die Bild-Text-Kombination des Neuen Kriegs-Theaters: Während auf den kartographischen Ansichten farblich markierte Rechtecke die Truppenkontingente der jeweiligen Gegner in den Hauptschlachten des Krieges symbolisieren, geht die Legende der Karten weit über eine Einwort-Zeichenerklärung hinaus: Stichwortartig und teils auch in ganzen Sätzen findet sich hier vielmehr ein bemüht sachlicher Kommentar der abstrahierten Schlachtenabbildung. Diese sprachliche Rahmung ermöglicht es, der eigentlichen ‚Momentaufnahme‘ des Kartenmaterials eine zeitlich-dynamische Komponente hinzuzufügen – indem zeitlich aufeinander folgende Phasen der Schlacht in einer einzigen grafischen Darstellung visualisiert werden. In der Legende einer Karte über die Schlacht zwischen preußischen und russischen Truppen am 30. August 1757 heißt es etwa in der „Erklaerung derer Buchstaben“: „C. Erste Attaque des Preussischen rechten Flügels auf den Russischen Flügel. D. Zweyte Attaque des Preussischen lincken Flügels auf den Russischen rechten Flügel“. Daneben zeigt das Kartenmaterial noch weitere Charakteristiken: Obwohl erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts publiziert, verbildlicht das Neue Kriegs-Theater einen zentralen Gedanken absolutistischer Kriegsführung – die „Vorstellung von der Berechenbarkeit des Krieges“ (Füssel, S. 207). Ausschlaggebend ist die idealisierte Perspektive: In der direkten kartographischen Aufsicht auf das Terrain wird erstens das militärisch-taktische Wunschbild der vollkommenen, perspektivenunabhängigen Übersicht erzeugt, die in der Wirklichkeit des individuellen und beschränkten Beobachterstandpunktes nie denkbar war; zweitens weicht das blutige und kontingente Chaos auf den Schlachtfeldern in der Kartendarstellung der Suggestion eines präzise geordneten ‚Kriegsspiels‘. In diesem Aspekt konvergiert die Repräsentation des Krieges mit der allumfassenden Ordnungsästhetik des absoluten Fürstenstaates.

5. Kontext und Klassifizierung
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Die frühneuzeitliche Signifikanz der Theatrum-Metaphorik galt besonders für die tatsächliche, aber auch für die medial vermittelte Wahrnehmung des Krieges (umfassend Füssel 2008). Schon der konkrete geographische Raum der Schlacht wurde überwiegend als kriegerischer ‚Schauplatz‘ (‚Theatrum belli‘) betitelt und begriffen und konsequenterweise folgte auch die mediale Repräsentation des Krieges einer hochgradig präsenten Rhetorik des Theaters. Innerhalb der Theatrum-Literatur markieren die Kriegstheatra mit mehr als dreißig Titeln einen gewichtigen Ausschnitt des Gesamtkorpus, der wiederum eine thematische Binnendifferenzierung erkennen lässt (Friedrich): Quantitativ am stärksten vertreten sind historiographische und landeskundliche Kriegsschauplätze, gefolgt von der Druckgraphik in Form von Kartographie und Schlachtplänen. Dieses Feld der Kriegs- und Schlachtenkartographie, dem auch das Neue Kriegs-Theater zuzuordnen ist, lässt sich im weiteren Kontext der Theatrum-Literatur bereits auf nicht-militärische Vorläufer des 16. Jahrhunderts zurückführen: So wurde die Konzeption von Welt- und Landkarten als imaginäre Schauplatzsammlungen wesentlich von Abraham Ortelius’ Theatrum orbis terrarum (1570) geprägt. Anders als die allgemeine Kartographie waren die kartographischen Kriegstheatra vom jeweiligen historischen Ereignisverlauf abhängig und trugen in relativer Zeitnähe zur publizistischen Kriegsberichterstattung bei – so berichtet das Neue Kriegs-Theater über den Siebenjährigen Krieg (1757-1763). Andere Kriegstheatra beschränkten sich nicht nur auf das Medium Karte: Ein ebenfalls anonym publizierter Neueröfneter Schauplatz aller vorfallenden Staats-, Kriegs- und Friedens-Begebenheiten (1751-1760) wurde in serieller Folge publiziert und deckt neben einer ausführlichen textuellen Berichterstattung über den Siebenjährigen Krieg in enzyklopädischem Zuschnitt auch die „neuesten Geschichte der Kirchen, der Gelehrsamkeit und der Natur, nebst anderen Merkwürdigkeiten“ ab. Charakteristisch für Kriegstheatra allgemein und auch das Neue Kriegs-Theater ist, dass die Herausgeber nicht nur aus dem Krieg selbst Kapital schlagen wollen, sondern auch aus dem (noch) offenen Verlauf des Konfliktes. Auf ihn wird publizistisch flexibel reagiert. So stellt man den Lesern in einem „Avertissement“ weitere „Stücke“ in Aussicht. Vor allem aber stilisiert man das gelieferte Material gemäß zeittypischer Ideale als „unpartheyische Vorstellung“, also als tatsächlich objektive Kriegsberichterstattung: „So wird man, wie bisher, so auch künftig, bemühet seyn, […] iederzeit accurate, zuverlässige und besonders unpartheyische Vorstellungen zu liefern“. Im Vergleich mit anderen Kriegstheatra verzichtet das Neue Kriegs-Theater fast vollständig auf die medienwirksame Inszenierung von Gewalt: Während andere Kriegsschauplätze der Gewaltdarstellung in Text und Bild breiten Raum geben, beschränkt sich das vorliegende Werk auf eine geradezu geo-metrisch-abstrakte Abbildung eines wie am Reißbrett ablaufenden Kriegsgeschehens. Eine über diesen Grad hinausgehende Dramatisierung des Dargestellten findet nicht statt.

6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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1Grundlage der Zitate sowie der formalen und inhaltlichen Beschreibung ist nicht der Erstdruck von 1757, sondern die Ausgabe von 1762 [Erscheinungsvermerk auf Titel: 1758].
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