Einführung

Athanasius Kircher: Theatrvm Hieroglyphicvm
Katja Reetz

1. Titel
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Athanasii Kircheri Soc. Iesv Oedipi Aegyptiaci Tomus III. Theatrvm Hieroglyphicvm, Hoc Est, Noua & hucusque intentata Obeliscorvm Cœterorumque Hieroglyphicorum Monumentorum, quæ tùm Romæ, tùm in Aegypto, ac celebrioribus Europæ Musæis adhuc supersunt, Interpretatio Iuxta sensum Physicum, Tropologicum, Mysticum, Historicum, Politicum, Magicum, Medicum, Mathematicum, Cabalisticum, Hermeticum, Sophicum, Theosophicum; ex omni Orientalium doctrina, & sapientia demonstrata. Felicibus Auspicijs Ferdinandi III. Caesaris. Romæ, Ex Typographia Vitalis Mascardi, Anno à Partu Virgineo MDCLIV. Svperiorvm Permissv. Rom: Vitale Mascardus, 1652. - Titelseite (Kupfertafel), 590 pag. S., 35 unpag. S., zahlr. Ill. (Holzschnitte und Kupfertafeln), 11 unpag. gefalt. Bl. (Kupfertafeln), 2°.

2. Verfasser
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Athanasius Kircher (1602-1680), Jesuit und Polyhistor, geboren am 2.5.1602 in Geisa bei Fulda. Bis zum zehnten Lebensjahr wurde Kircher von seinem Vater Johann Kircher, Doktor der Theologie und Philosophie, unterrichtet; bis 1618 war er Schüler am Jesuitengymnasium in Fulda. Danach trat er dem Jesuitenorden bei und ging als Novize nach Paderborn. Den an das Noviziat anschließenden Philosophiekurs, den Kircher am dortigen Jesuitenkolleg begann, beendete er wegen des Krieges in Köln.

Mit 21 Jahren begann er seine Lehrtätigkeit an den Jesuitenkollegs in Koblenz und Heiligenstadt in der griechischen Sprache und Literatur. Neben seinem Interesse für Sprachen widmete sich Kircher besonders naturwissenschaftlichen Experimenten und der Erfindung von Instrumenten. Mit einer Vorführung gewann er das Wohlwollen des Kurfürsten von Mainz, für den er dann einige Zeit an dessen Aschaffenburger Residenz tätig war. Ab 1625 absolvierte Kircher am Mainzer Jesuitenkolleg, wo er eine Professur für griechische Sprache und Literatur inne hatte und als Chorleiter arbeitete, sein Theologiestudium. 1628 zum Priester geweiht, ging Kircher für ein Probejahr nach Speyer. In der dortigen Bibliothek stieß er auf eine Schrift, die seine Forschertätigkeit maßgeblich bestimmte: Sie zeigte römische Obelisken mit hieroglyphischen Inschriften, die Papst Sixtus V. hatte aufrichten lassen. Mit der Erläuterung, dass es sich um antike ägyptische Zeichen handle, die niemand mehr zu entziffern vermag, wurde Kirchers lebenslanges Bemühen erweckt, die Hieroglyphen zu entschlüsseln. Stolzenberg (S. 15) vermutet, dass es sich bei der Schrift um den Thesaurus Hieroglyphicorum des Johann Georg Herwart von Hohenburg aus dem Jahre 1610 handelt.

Nach seinem Jahr in Speyer trat Kircher 1630 eine Professur für Ethik, Mathematik und orientalische Sprachen am Würzburger Jesuitenkolleg an, das er ein Jahr später auf der Flucht vor den Schweden in Richtung Frankreich wieder verließ (zu Schwierigkeiten der Datierung Siebert, S. 13ff.). Weiterhin lehrte er für den Jesuitenorden als Professor in Lyon und Avignon. Hier konnte er sich gar ein astronomisches Observatorium einrichten lassen und seine Studien ausweiten. In Frankreich lernte Kircher Nicolaus Peiresc kennen, Wissenschaftsmäzen und Sammler ägyptischer Altertümer. Über diesen gelangte Kircher an die koptischen Schriften, die Pietro della Valle von seiner Orientreise mitgebracht hatte und die Grundlage seiner Veröffentlichungen zur koptischen Sprache wurden (besonders die Lingua restituta aegyptiaca, 1643). Peirescs Einfluss war überdies wichtig für Kirchers Berufung zum Professor für Mathematik, Physik und orientalische Sprachen an das Collegium Romanum im Jahr 1633. Der 31-jährige hatte bis dahin nur die Ars magnesia (1631) publiziert, so dass seine Kenntnisse der orientalischen Sprachen, seine Forschungen zur ägyptischen Kultur und vor allem seine Studien zur Entschlüsselung der Hieroglyphen für den Ruf nach Rom maßgeblich waren (Burkart, S. 237). Ganz im Kontrast zu den häufigen Ortswechseln seines bisherigen Lebens weilte Kircher von diesem Zeitpunkt an mit wenigen Ausnahmen wie einer längeren Maltareise fast ein halbes Jahrhundert lang in Rom. Nach dem achten Jahr der Professur wurde er von der Verpflichtung zur Lehre befreit. Nun konnte er sich ganz der Publikation seiner Studien, seinen Korrespondenzen mit den Gelehrten Europas und Jesuitenmissionaren auf der ganzen Welt sowie seiner Sammlung widmen. Das Museum Kircherianum beherbergte Altertümer, Kuriositäten, die seine Ordensbrüder ihm aus allen Teilen der Erde zukommen ließen, Instrumente und eigene Erfindungen und war schon zu Kirchers Lebzeiten ein wichtiges Ziel für gebildete Romreisende. Das schriftstellerische Schaffen Kirchers umfasst 44 – teilweise ungedruckte – Werke (Jaumann, S. 367) und spiegelt seine vielfältigen Forschungsinteressen wider, die sich aus seinem Wissenschaftsverständnis ergeben (Burkart, S. 240): Unum in omnibus et omnia ex uno war eine seiner leitenden Forschungsmaximen. Neben Publikationen zur Musik, Medizin, Geologie, zu physikalischen Problemen und vielem anderen mehr begleiteten Kircher vor allem die Studien zur altägyptischen Kultur und zur Entschlüsselung der Hieroglyphen ein Leben lang. Als Höhepunkt kann die Publikation seines umfangreichsten Werkes, des dreibändigen Oedipus Aegyptiacus (1652-54), gelten, dessen dritter Band das Theatrvm Hieroglyphicvm ist. Über Langenmantel ist unter dem Titel Fasciculus epistolarum eine Autobiografie Kirchers überliefert (Augsburg 1684). Athanasius Kircher starb am 27.11.1680 in Rom.

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Alle drei Bände des Oedipus Aegyptiacus wurden – wie auch einige weitere Werke Kirchers – in Rom bei Vitale Mascardus gedruckt. Die Drucklegung des ersten Bandes erfolgte 1652, des zweiten Bandes, der in zwei Teilen erschien, 1653. Das Titelblatt des dritten Bandes, des Theatrvm Hieroglyphicvm, vermerkt als Jahr des Druckes 1654 sowie die Erlaubnis des Druckes nach Zensierung durch den Orden („Svperiorvm Permissv“). Im Kolophon wird als Erscheinungsjahr 1655 verzeichnet. Ebendort verzichtet Kircher im Gegensatz zu den vorangegangenen Bänden auf ein Erratum und lobt die Sorgfalt seines Setzers Zacharias Domenicus Acsamitek von Kronenfeld. Der Prager Acsamitek, dessen Wirken in Rom bisher erst ab 1664 als Drucker in der vatikanischen Druckerei Sacra Congregazione di Propaganda Fide dokumentiert ist (CERL Thesaurus), hat demnach schon seit 1652 als Kirchers Setzer für den Oedipus Aegyptiacus in der Druckerei Vitale Mascardus gearbeitet. Das Gesamtprojekt Oedipus Aegyptiacus kündigt Kircher schon 1636 im Prodromus Coptus an, wo er sich als ägyptischer Ödipus inszeniert, der das Rätsel der Sphinx lösen wird (Rowland, s.p.).


Standorte des Erstdrucks

3.2. Vorlage
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Die Biblioteca nazionale centrale Vittorio Emanuele II in Rom verzeichnet das Manuskript des Oedipus Aegyptiacus in der Kategorie Gesuitico (1235, Signatur: 3364). Es diente als Vorlage für die Drucke der drei Bände und enthält außerdem die Kommentare und Streichungen der Zensoren, Textversionen durch eine weitere Hand sowie einige Briefe Kirchers an seine Gönner.

3.3. Weitere Ausgaben
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3.3.1. Mikroform-Ausgaben
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Berlin: Universitätsbibliothek der Freien Universität. Vorlage: Exemplar der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, Sign. 777/96/905(1)-3.

Göttingen: Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. Vorlage: Exemplar der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Sign. MM 92-64:1-2.

Marburg: Universitätsbibliothek. Vorlage: Exemplar der Universitätsbibliothek Marburg, Sign. Bo Film 89/180, T. 3.

Paris: Bibliothèque nationale de France 2007. Vorlage: Exemplar der Bibliothèque nationale de France Paris, Sign. Z-485.

3.3.2. Neuedition
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Seit 2009 ist durch die Förderung der Gerda Henkel Stiftung eine wissenschaftlich kommentierte Reprintausgabe der wichtigsten Werke Kirchers in zwölf Bänden in Arbeit. Der Oedipus Aegyptiacus soll als erster Band erscheinen.

3.3.3. Digitale Ausgaben
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  • Google ebooks 2011. Vorlage: Exemplar der Biblioteca complutense der Universität Madrid, Sign. BH DER 12685.

4. Inhalt
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Der Oedipus Aegyptiacus stützt sich auf zwanzig Jahre Studien, wie Kircher im Epilog betont: „[...] viginti annorum aestu perfunctus, portum inquam unicvm voluntatis complementum ingredimur“ (S. 588). Das Werk umfasst etwas mehr als 2000 Seiten in drei Bänden, von denen das Theatrvm Hieroglyphicvm der letzte ist. Der erste Band bietet eine allgemeine Einführung in Geschichte und Geografie, Staat und Gesellschaft, Religion und Kulte Altägyptens. Der zweite Band erschien in zwei Teilen, von denen der erste den Untertitel Gymnasivm Sive Phrontisterion Hieroglyphicum erhielt, und versteht sich als Enzyklopädie der verborgenen Weisheit der alten Ägypter, die in zwölf Abteilungen von Mathematik und Medizin zu Magie und den mystischen Lehren und vielem anderen mehr erläutert wird. Mit dem Theatrvm Hieroglyphicvm kündigt Kircher die Deutung der Hieroglyphen von Obelisken und anderen ägyptischen Altertümern in Rom, Ägypten und berühmten europäischen Museen an. „[E]x omni Orientalium doctrina & sapientia“ (Titelblatt) möchte er die Sinnebenen der Monumente entschlüsseln (sensus mysticus, sensus mathematicus, sensus hermeticus etc.). Somit können die ersten beiden Bände als umfassende Vermittlung des Wissens betrachtet werden, das für das Ziel des dritten Bandes notwendige Voraussetzung ist.

Das Theatrvm Hieroglyphicvm ist wie schon die Magnes (1641), die Lingua Aegyptiaca Restituta (1643) und die anderen beiden Bände des Oedipus Aegyptiacus Kaiser Ferdinand III. gewidmet, der das Gesamtprojekt mit 3000 Scudi Druckkostenzuschuss unterstützte. Zusätzlich erhielt jedes der zwanzig Syntagmata sowie die Anacephaleosis ein bis zwei Widmungsträger, so dass das Theatrvm Hieroglyphicvm insgesamt 25 Adressaten zählt.

Dem etwa 600 Seiten umfassenden Werk sind vorangestellt: eine Vorrede an Ferdinand III. mit dem Abdruck des kaiserlichen Wappens, eine Auflistung von sechs Autoritäten (Aristoteles, Iamblich, Plotin, Simeon Ben Iochai, Mor Isaic, Abenuaschia) mit ausgewählten Textstellen zur doctrina hieroglyphica der alten Ägypter, sechs Grundsätze für die Kunst der Hieroglyphenauslegung sowie ein weiteres Vorwort an Ferdinand III.

Es folgen auf etwa 70 Seiten vier Diatribe Praelusoria, die die Hieroglyphen im Allgemeinen behandeln. Ausgehend von der Wortbedeutung Hieroglyphe als „rei sacrae symbolum saxis insculptum“ (S. 8) wird ihre Funktion als Träger verborgener Weisheit erläutert, um sie dann in Beziehung zu den Schriftzeichen der Chinesen, Brachmanen, Mexikaner und der Armenier zu setzen. Es folgen die schon aus vorangegangenen ägyptologischen Werken bekannten Thesen über die Verwandtschaft der Hieroglyphen mit der koptischen Sprache (Beinlich, S. 87-88): Die Hieroglyphen und das Koptische seien gleich alte Schriften aus pharaonischer Zeit; das Griechische sei jünger. Während die Hieroglyphen Symbole seien, die eine höhere Weisheit verbergen und damit für die Allgemeinheit unzugänglich machen, sei das Koptische die Volkssprache gewesen. Durch die Erfindung der Schriftzeichen habe Hermes Trismegistos die reine priesterliche Urweisheit bewahren wollen, die nach der Sintflut in veränderter und verderbter Form überliefert und Grundlage anderer Zivilisationen wurde. Die Griechen hätten neben Wissen und Weisheit auch das Alphabet von den Ägyptern übernommen, das Cadmus nach Griechenland gebracht habe. Zur Erkenntnis der reinen Weisheit in den Hieroglyphen sei deshalb der Bezug auf philosophische Traditionen von vor der biblischen Flut nötig, zu denen Kircher durch seine Kenntnis der orientalischen Sprachen Zugang hatte. Tatsächlich aber ist das Koptische die „späteste Sprachform des Altägyptischen“ (Beinlich, S. 87) und damit nicht gleich alt, sondern jünger als die Hieroglyphen. Die 32 Zeichen umfassende koptische Schrift besteht mit sechs Ausnahmen aus griechischen Buchstaben, die somit älter und nicht jünger sind. Bei den Hieroglyphen handelt es sich nicht um eine Symbolschrift, die über okkulte Philosophien entschlüsselt werden könnte, sondern die Zeichen haben Lautwert (Beinlich, S. 91). 21 Hieroglyphen erläutert Kircher in Bezug auf ihre koptischen und griechischen Entsprechungen und interpretiert ihre symbolische Bedeutung. Dabei werden nicht nur Piktogramme sondern auch die alphabetischen Zeichen als symbolisch aufgefasst, z.B. stünde das A für Α͗γαθòς Δαίμων, lat. bonus daemon (S. 50).

Den Hauptteil des Werkes machen zwanzig Syntagmata aus. Jedes widmet sich einem ägyptischen Altertum bzw. einer Gruppe von ägyptischen Altertümern. An prominenter erster Stelle „as a grandiloquent portal to the third volume“ (Stolzenberg, S. 61) handelt Kircher die berühmte Mensa Isiaca ab, die die gesamte ägyptische Theologie in sich vereine („Aegyptiacae Theologiae summam continet“, S. 80). Sie galt zu Kirchers Zeit als verloren und wird heute im Ägyptischen Museum in Turin aufbewahrt. Es folgen alle Kircher bekannten Obelisken in und außerhalb Roms. Das Syntagma zum größten Obelisken Roms, dem Obeliscus Lateranensis, eignet er wiederum Kaiser Ferdinand III. zu. Zuletzt widmet sich Kircher Mumien, Kanopengefäßen, Sphingen, Götterabbildern, Statuen, Amuletten und sogar Leuchtern. Viele der Gegenstände, die aus Sammlungen aus ganz Europa stammten, können heute nicht mehr identifiziert werden und ihr einziger Überlieferungsnachweis findet sich im Theatrvm Hieroglyphicvm. Andere dagegen können bis in spätere Zeiten nachverfolgt werden: Die Mumien Pietro della Valles beispielsweise werden später nach Dresden gelangen und dort Winckelmann beschäftigen (Nachricht von einer Mumie in dem Königlichen Cabinet der Alterthümer in Dreßden, 1756).

Das übergeordnete Interesse gilt den hieroglyphischen Inschriften der Gegenstände und ihrer Interpretation; trotzdem sind auch solche in die Sammlung aufgenommen, die keine Schriftzeichen tragen, z.B. die Leuchter oder der vatikanische Obelisk. Kirchers Übersetzungsmethode besteht darin, jede Hieroglyphe als Symbol zu interpretieren und durch Einfügen von Verben die Symbolwerte zu Sätzen zu verbinden (Beinlich, S. 91). Dabei liest er von oben nach unten, statt die Blickrichtung der Zeichen zu berücksichtigen. So beginnt er mit dem Symbol für die oberste Gottheit und endet mit irdenen Bezügen (Stolzenberg, S. 71). Stolzenberg identifiziert die neuplatonische Hieroglypheninterpretation des babylonischen Rabbis Barachias Abenephius als grundlegend für Kirchers Auslegungsverständnis (Stolzenberg, S. 63). Von vielen der Hieroglyphen, die Kircher für altägyptisch hielt, konnte nachgewiesen werden, dass sie spätere Imitationen sind (z.B. die der Mensa Isiaca oder des Obeliscus Pamphilus). Die korrekte Übersetzung einer Inschrift im Exkurs über die Obelisken Roms in den Res gestae des Ammianus Marcellinus (ca. 330-395 n.Chr.) wies Kircher dagegen als falsch zurück.

Mit enzyklopädischem Vollkommenheitsanspruch versammelt jedes Syntagma umfangreiche Informationen zu dem jeweiligen Objekt. Den Beginn machen immer die Herleitung des Namens und die Geschichte des Artefaktes aus. Dazu zählen z.B. das erste Auftauchen, Wechsel des Besitzers und der aktuelle Besitzer, bei den Obelisken der Auffindungsort und die Umstände seiner Aufrichtung und auch Vermutungen über die Provenienz. Bei vielen Gegenständen wird der Nutzen erläutert, die Obelisken erhalten genauere Beschreibungen, manchmal Maße und Proportionen oder Angaben zu besonderen Schmuckelementen. Lateinische Inschriften werden aufgezeichnet und im Zusammenhang ihrer Geschichte erläutert. Nach einer allgemeinen Inhaltsbeschreibung folgt die Einteilung des Gegenstandes. Den größten Teil des Textes macht stets die Interpretation der Altertümer aus, d.h. die Deutung des Gegenstandes und seiner Teile sowie die Übersetzung der Hieroglyphen im Kontext der prisca sapientia. Dabei wird jede Figur in ihrer Eigenheit von Kleidung über Gestus und Gegenstände, die sie trägt, und in ihrer Umgebung berücksichtigt.

Das Werk endet mit der „Anacephaleosis“, die noch einmal die Lehre und Weisheit der alten Ägypter, Kirchers Thesen zum Wesen der Hieroglyphen und zuletzt die Schlüsse aus der Beschäftigung mit der ägyptischen Theologie für die christliche Religion darstellt, um mit dem Hymnus „Mercurji Trismegisti in Pymandro“ in Versen auszuklingen. Dem Werk angehängt sind ein „Catalogus Authorum“ mit Referenzen auf die verwendeten Autoritäten und das Inhaltsverzeichnis.

5. Kontext und Klassifizierung
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Der Oedipus Aegyptiacus ist in vielfacher Hinsicht ein herausragendes Werk: innerhalb von Kirchers Schaffen, innerhalb der Ägyptologiegeschichte und in Hinblick auf eine universalistische Welterschließungsmethode für die Wissenschaftsgeschichte. Das Theatrvm Hieroglyphicvm, das allein schon als Sammlung altägyptischer Artefakte für das 17. Jahrhundert und darüber hinaus hervorragt, kann nur als Teil dieses Gesamtwerkes verstanden werden.

Es gab schon vor Kirchers Werk Hieroglyphen- bzw. Obeliskensammlungen und Deutungsversuche wie Pierio Valerianos Hieroglyphica (1556), Michele Mercatis De gli obelischi di Roma (1589) oder den Thesaurus Hieroglyphicorum Herwarts von Hohenburg (1610). Eine Texttradition oder Werkgruppe von Hieroglyphentheatern gibt es jedoch nicht. Vielmehr muss man Kirchers Theatrum im Kontext von Ägyptenrezeption und der Suche nach einer ursprünglichen überlegenen Weisheit lesen.

Neben der aufblühenden Lektüre von Ägyptenberichten antiker Autoren wie Herodot oder Diodor und der Neuplatoniker zur mystischen prisca sapientia wie Iamblich oder Plotin beeinflussten besonders die Neuentdeckungen des 15. Jahrhunderts das Interesse der gelehrten Welt. Die beiden wichtigsten sind die Hieroglyphica des Ägypters Horapollon, die Cristoforo Buondelmonti 1419 von der griechischen Insel Andros nach Florenz brachte, sowie das Corpus Hermeticum, das 1460 von Leonardo von Pistoia wiederentdeckt und dem Hermes Trismegistos zugeschrieben wurde.

Die Hieroglyphica Horapollons stammt etwa aus dem 5. Jahrhundert – d.h. aus einer Zeit, in der die Hieroglyphenschrift schon seit zwei Jahrhunderten nicht mehr benutzt wurde – und war als griechische Übersetzung überliefert. Auf der Rezeption Horapollons beruht die frühneuzeitliche Interpretation der altägyptischen Schrift als eine symbolische, „deren Bedeutung sich allein aus dem Bildsinn des Dargestellten und nicht aus dem Bezug auf Sprachlaute ergibt“ (Jan Assmann, S. 43). Ebendiese Annahme, die schon in der frühen Neuzeit vereinzelt angezweifelt wurde und seit dem frühen 19. Jahrhundert widerlegt ist, ist Grundlage von Kirchers Hieroglypheninterpretation. Er versteht Hieroglyphen als Symbole, in denen die höhere Weisheit verschlüsselt ist, um sie vor der Allgemeinheit zu verbergen. „HIEROGLYPHICVM […] nihil aliud est, quàm Rei sacrae symbolum saxis insculptum. Dicitur Symbolum, vt mysteriosi sensus ratio indicetur. Dicitur rei sacrae, vt differentia inter symbola sacra & profana constituatur.“ (S. 8) Der zweite der sechs Grundsätze zur Hieroglyphenauslegung am Anfang des Werks, den Kircher an unzähligen Stellen wiederholt und zu beweisen versucht, lautet: „Hieroglyphica symbola ad exemplar naturae instituta, non literis, syllabis, vocibus, periodis. sed conceptibus Idealibus latentium mysteriorum sensus efformant.“ (S. 4) Unter Berufung auf Platon und Philo Biblius macht Kircher Hermes Trismegistos als Urheber der Hieroglyphen und ersten Lehrer der vetusta sapientia aus, die später auch Moses empfangen habe (S. 9f.). Das Corpus Hermeticum wurde eben diesem Hermes Trismegistos zugeschrieben. Mit seiner Entdeckung glaubte man nun, zum einen das Zeugnis einer vorplatonischen Philosophie wiedergefunden zu haben, zum anderen hatte man neben der Bibel „eine noch ältere Offenbarung, auf die man sich berufen konnte“ (Hornung, S. 90). Aus diesem Grund wurde die griechische Traktatsammlung schon drei Jahre später und noch vor Platon von Marsilio Ficino ins Lateinische übersetzt. Den bereits 1614 veröffentlichten Nachweis des Protestanten Isaac Casaubon, dass es sich beim Corpus Hermeticum um ein nachchristliches Werk handeln muss, übergeht Kircher in seiner Herleitung.

Die Auseinandersetzung des Abendlandes mit Ägypten wurde in verschiedenen Bereichen sichtbar: so in der Aufrichtung von Obelisken in Rom und der Imitation ägyptischer Kunst und Schrift. Für Kircher selbst wirkte sich seine Rolle bei der Aufrichtung des Obeliscus Pamphilus auf seine weitere Karriere aus: 1647 hatte Papst Innozenz X. den Abtransport des an der Via Appia liegenden Obelisken und seine Aufrichtung auf der Piazza Navona veranlasst. Bernini wurde mit der Gestaltung des Vierströmebrunnens als Basis des Obelisken betraut, Kircher mit der Sicherung der ägyptischen Schriftzeichen. Sein Ruf als Kenner der orientalischen Sprachen hatte ihm zu dem Auftrag verholfen, der diesen wiederum mehrte: indem Kircher die Hieroglyphen auf der vierten, unten liegenden Seite des Obelisken voraussagte und diese sich nach der Aufrichtung zum großen Teil bestätigten. Das lag jedoch weniger an Kirchers Fähigkeit zur Übersetzung als vielmehr an seiner Fähigkeit, Muster zu erkennen (Beinlich, S. 88). Die allgemeine Begeisterung für Hieroglyphen bringt Aleida Assmann mit der Geschichte des Druckes in Verbindung: Durch den „spektakuläre[n] Durchbruch [des geschriebenen Wortes], kam es zugleich zu einer Apotheose des Bildes“ (Aleida Assmann, S. 263). Da die Alphabetschrift der Bildlichkeit entbehre, deren Fehlen durch den mechanischen Druck im Gegensatz zu gestalteten Handschriften noch verstärkt wurde, stünden ägyptische Hieroglyphen „für eine ausgeschlagene und verlorene kulturelle Option“, für die „verdrängte Seite der abendländischen Schriftkultur“ (ebd., S. 261). Dass die Faszination mit der Entzifferung der Schriftzeichen nicht erlosch, zeige, dass es „weniger um die Erforschung der Schriftzeichen einer fremden Kultur als um eine imaginäre Auseinandersetzung mit den Leitbegriffen, Zeichen und Medien der eigenen Kultur geht“ (ebd., S. 262).

Kirchers Theatrvm Hieroglyphicvm kann in Hinblick auf den Texttypus gleichermaßen als didaktische Enzyklopädie und Sammlungskommentar aufgefasst werden. Der Großteil einer Auflage ging an die Jesuitenkollegs auf der ganzen Welt und wurde dort zur Unterrichtung der studiosi in der jesuitischen Lehre eingesetzt. Dies wird auch deutlich durch die Dreiteilung des Werkes in einführende Diatribe, Hauptteil und rekapitulierende Anacephaleosis. Kirchers Werke hatten also einen Bildungsauftrag. Im Gegensatz zum Vollkommenheitsanspruch z.B. eines Conrad Gessner, der alle erreichbaren Informationen zu einem Gegenstand sammelte, stellte Kircher umfassende Informationen zusammen, die im Dienste seines Unternehmens standen. Die Wissensordnung erfolgt zunächst thematisch nach Einteilung der Artefakte in Gruppen und danach nach Wichtigkeit, die sowohl inhaltlich als auch mathematisch motiviert sein kann, d.h. nach Größe bei den Obelisken oder Anzahl der Artefakte einer Gruppe. Darum steht die Mensa Isiaca, die nach Ansicht Kirchers die gesamte ägyptische Theologie vereinigt, an erster Stelle, gefolgt von den mächtigen Obelisken und abgeschlossen von den kleineren und weniger häufigen Fundstücken. Die Beschreibungen folgen im Wesentlichen dem Schema verbum – res – significatio, d.h. Angaben zum Namen, zum Gegenstand und zu dessen Deutung. Pierio Valeriano hatte seiner Hieroglyphica die Zugabe commentarius gegeben. Herwarts Thesaurus Hieroglyphorum kam fast ohne Text aus. Kirchers Theatrum ist mehr als das, was vor allem durch das Verhältnis von Text und Bild ins Auge fällt. Sein Werk bildet tatsächlich existierende Artefakte ab. Es bietet für jeden einzelnen beschriebenen Gegenstand eine Illustration, wodurch das Werk auf einen vergleichsweise hohen Bildanteil kommt. Seine Präsentation umfasst zudem Gegenstände, die sich außerhalb von Rom, ja außerhalb von Europa befinden. Sie zeigt riesige Obelisken, die niemals in einem Museum ausgestellt werden könnten. Und sie bringt ägyptische Altertümer in die Gegenwart. Kirchers Theatrum ist demzufolge eine virtuelle Sammlung, die Raum und Zeit überwindet. Es ist ein ideales Museum in publizierter Form, durch das er mit seinen Texten führt. Indem es Objekte und Wissen sammelt, ordnet, zur Schau stellt und deutet, führt es zur Erkenntnis: zum Schauen und Erkennen des ἱερός, zur Offenbarung der in den Hieroglyphen verborgenen Weisheit. In diesem Kontext bedient Kircher sich der Theatrum-Metapher.

6. Rezeption
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Zum Einfluss Kirchers auf die Nachwelt urteilt Schmidt-Biggemann: „Seine Werke, im 17. Jahrhundert wenn nicht vielgelesen, so doch weltbekannt, haben in den 300 Jahren nach dem Tode des Verfassers kein Rezeptionsglück gehabt; als Charlatanerien, abenteuerliche Spekulationen, Betrügereien und Renommisterei sind sie verlacht worden.“ (ebd., S. 67). Englmann teilt die Rezeptionsgeschichte Kirchers in drei Phasen von wohlwollend zu seinen Lebzeiten über abgeneigt nach seinem Tod bis zu seiner Neuentdeckung im 20. Jahrhundert ein (Englmann, S. 170). Die Ablehnung sieht sie unter anderem im Wandel von Erkenntnisinteressen begründet: „Gesamtschau und Gesamtkonzepte mussten der Spezialisierung weichen, da in die Tiefe und nicht in die Breite geforscht wurde“ (ebd., S. 171). Kircher, den ein universalistisches Wissenschaftsverständnis (unum in omnibus et omnia ex uno) leitete, wurde nun von den Teildisziplinen rezipiert und der Oedipus Aegyptiacus damit zum „kuriose[n] Beitrag zur europäischen Ägyptologie“ (ebd., S. 171). Hinzu sei eine zunehmende Skepsis von katholischer Seite gegenüber Kirchers ausgeprägtem Einbeziehen von Mystik, Magie und Kabbala in die christliche Lehre gekommen, dem ein Theologe des 18. Jahrhunderts mit seinem Frömmigkeitsverständnis nicht mehr zustimmen konnte (ebd., S. 174). Emden betont gerade die Bedeutung von Autoren wie Kircher, Ficino oder Pico della Mirandola, die die christliche Lehre, die jüdische Mystik und die prisca sapientia zusammenbrachten, für „das philosophische und theologische Bewusstsein des 15. bis 18. Jahrhunderts“ (Emden, S. 299). Auch Mayer-Deutsch argumentiert: „Wäre Kircher den damals vorhandenen, raren Übersetzungen einiger hieroglyphischer Dokumente als Königspreisungen gefolgt statt sie als ideale, heilige Symbole zu verstehen, hätte ihn ein Großteil der Gelehrtengemeinde, welche die Hieroglyphen im Rahmen der Tradition okkulter Philosophie zu verstehen suchte, weniger rezipiert.“ (Mayer-Deutsch, S. 13).

Kircher war im 17. Jahrhundert eine wissenschaftliche Autorität und wie seine Berufung ans Collegium Romanum zeigt, basierte sein Ruf zum großen Teil auf seiner Kenntnis orientalischer Sprachen und auf Versuchen, Hieroglyphen zu entziffern. Natürlich gab es schon zu Lebzeiten nicht nur Zustimmung. Kirchers Förderer Peiresc kritisierte mehrfach dessen Vorgehen, wies auf Irrtümer hin und sandte ihm Belege, die von Kircher übergangen oder gezielt abgewiesen wurden (Peirescs Briefe an Cassiano bei Stolzenberg, S. 64). Verschiedene Thesen wurden noch zu Kirchers Lebzeiten widerlegt. So wies Andreas Gryphius Kirchers Behauptung zurück, nach dem Verbot von Kulthandlungen durch das Herrscheredikt Kambyses II. (im 6. Jahrhundert v. Chr.) seien Mumifizierungsrituale nicht mehr durchgeführt worden, indem er bei einer Mumiensektion eben diese nachwies, wie er in seinen Mumiae Wratislavienses (1662) festhielt. In der Jesuitensatire Monarchia Solipsorum (1651) des Giulio Clemente Scotti wird Kircher als circulator Aegyptius zum Gespött der Anwesenden, als er auf einem Holzkrokodil sitzend über den Mond in Käseform philosophiert. Trotzdem erschien in der frühen Neuzeit kein Buch über das Koptische, über Mumien, über Ägypten oder über Hieroglyphen, das sich nicht auf Kircher bezog.

Allgemein kann durch die Vernetzung des Jesuitenordens von einer weltweiten Verbreitung des Oedipus Aegyptiacus ausgegangen werden (Englmann, S. 170). Etwa die Hälfte aller gedruckten Exemplare wurde an die Jesuitenkollegs überall in der Welt versendet. Ein großer Teil wurde an die Adelshäuser in Europa, an Gelehrte, Freunde und die Gönner geschickt. Das Werk erlebte nur eine Auflage und wurde auch nie in eine Volkssprache übersetzt. Zum einen könnte dies kostentechnische Gründe haben: Schon die Finanzierung der ersten Auflage war nur durch den hohen Zuschuss Ferdinands III. möglich, was an dem Umfang und Aufwand des Werkes, der hohen Zahl an Kupferstichen und Holztafeln und vor allem dem immensen Anteil an orientalischen Lettern lag, die für dieses Projekt erstmals hergestellt wurden. Zum anderen stellt sich die Frage, welcher volkssprachliche Leser für ein solch umfangreiches und kostenintensives Werk zu einer hochgradig gelehrten Thematik hätte gewonnen werden können. Dies verhinderte allerdings nicht, dass Kirchers Thesen in volkssprachlichen Schriften rezipiert wurden. Innerhalb der Mumienthematik, etwa in Erasmus Franciscis literarischer Kuriositätensammlung Lustige Schau-Bühne von allerhand Curiositäten (1663-73) oder der Mumiographia Medica oder Bericht von den Egyptischen Mumien (1716) des Gothaer Hofapothekers Christian Hertzog, nehmen Bezüge auf Kircher großen Raum ein.

Der wichtigste Punkt in der Rezeptionsgeschichte des Oedipus Aegyptiacus nach Kirchers Tod ist, dass die Hieroglyphenübersetzung von der falschen These ausging, die altägyptischen Schriftzeichen seien als Symbole zu übersetzen. Denn spätestens seit der Entzifferung der Hieroglyphen durch Jean-François Champollion 1822 mithilfe des Steins von Rosette, der ein priesterliches Dekret aus dem Jahre 196 v. Chr. in demotischer und griechischer Sprache sowie in Hieroglyphen enthielt (Beinlich, S. 85), kann Kirchers Auslegungsmethode als nicht mehr haltbar gelten. Beinlich würdigt Kirchers Leistung für den allgemeinen Erkenntnisprozess (ebd.): Seine Arbeiten zur koptischen Sprache und zur Verwandtschaft des Koptischen mit den Hieroglyphen dienten Champollion, der daraufhin gezielt das Koptische erlernte, ebenso als Grundlage seiner Arbeit wie Kirchers vielfältige Sammlung altägyptischer Originaltexte.

In den letzten Jahren wird Kirchers Theatrvm Hieroglyphicvm bzw. der Oedipus Aegyptiacus in der Forschung weniger als das Werk der misslungenen Hieroglyphenentzifferung in der Ägyptologiegeschichte wahrgenommen, es wird vielmehr Kirchers Auslegungsmethode im Rahmen seines universalistischen Wissenschaftsverständnisses als Leistung des 17. Jahrhunderts aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive untersucht.

7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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