1. Titel
2. Verfasser
Die Lebensdaten von Zacharias Zwan(t)zig(k) sind nicht gesichert. Das Datum seiner Geburt (wahrscheinlich im sächsischen Schlettau) ist unbekannt. Gestorben ist er laut Zedlers Universal-Lexikon am 18. Februar 1710; möglicherweise ist er jedoch erst 1716 verstorben. Zwantzig war reformierter Konfession (Zedler, Sp. 1007). Er immatrikulierte sich 1681 an der Universität Wittenberg und verfasste dort eine von 1682 datierende, bei Konrad Samuel Schurzfleisch entstandene Dissertation zur karolingischen Reichsteilung. Seit Januar 1687 war Zwantzig für mindestens zehn Jahre als Geheimer Sekretär in kurbrandenburgischen Diensten tätig, seit 1698/99 dann als Generalauditeur-Lieutenant und seit 1700 als kurfürstlicher Rat; später wurde er auch als Hofrat bezeichnet. Offenbar übernahm er zudem mehrere Gesandtschaften. Die Frage, ob er darüber hinaus auch als Bibliothekar tätig war, ist ebenso umstritten bzw. ungesichert wie seine Verfasserschaft des Ceremoniale Brandenburgicum (Tremoniae 1699, 2. Aufl. Friburgi 1700).
3. Publikation
3.1. Erstdruck
Erschienen laut Titelblatt 1705 in Berlin bei Johann Michael Rüdiger, der während des Neunjährigen Krieges (1688-1697) aus der von den Franzosen verwüsteten Pfalz nach Berlin gezogen war. Die Jahresangabe ist im Vorlageexemplar jedoch durch Handpresse auf 1706 korrigiert worden. Als Verfasser wird auf dem Titelblatt Ehrenhart Zweyburg genannt, ein Pseudonym für Zacharias Zwantzig, der in der zweiten Auflage dann auch namentlich als Verfasser genannt wird.
Standorte des Erstdrucks
- Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. 2 Geneal. 78#Beibd.2
- Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. 2 J.publ.e. 54
- Biblioteca della Facoltá di lettere e filosofia, Polo San Tommaso, dell’Universita’ degli studi di Pavia, Sign. k.A.
- Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg, Sign. F.11.172
- British Library London, Sign. 9915.g.9.
- Fürstlich Schaumburg-Lippische Hofbibliothek Bückeburg, Sign. FHB Ro 56 F
- Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, Sign. 42g Z 1:1
- Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. M: Rq 4° 21
- Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar, Sign. Scha Le 04237
- Koninlijke Bibliotheek Den Haag, Sign. 545 B 10
- Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern Schwerin, Sign. Eb I 4,49
- Marienbibliothek Halle, Sign. Zsch E V.3 (1) Fol
- Niedersächische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Sign. 4 J GENT 1632
- Ostfriesische Bibliothek Emden, Sign. F 215
- Skoklosters slott Bålsta, Sign. Nils Brahes bibliotek Utlånas ej, Sign. k.A.
- Staatsbibliothek zu Berlin, Sign. Ebd 133-4B
- Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Sign. 4 MS 226 :1-2
- Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, Sign. 01 - Jus.H. 2° 00270
- Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt Halle, Sign. Kt 570, 4°
- Universitätsbibliothek Greifswald, Sign. 523/Ii 454 2°
- Universitätsbibliothek Heidelberg, Sign. I 2611 D FOL
- Universitätsbibliothek Rostock, Sign. Ji-12
- Universitätsbibliothek Salzburg, Sign. 95283 II
- Westfälisches Landesmuseum Münster, Sign. Schü K2 24
3.2. Weitere Ausgaben
2. Auflage: Theatrvm Praecedentiae, oder eines theils Illvstrer Rang-Streit/ andern theils Illvstre Rang-Ordnung/ wie nemlich die considerablen Potenzen und Grandes in der welt nach qualität ihres standes/ namens/ dignität und characters samt und sonders in der praecedenz, in dem rang und tractamente streitig seynd und competiren/ Zum andern male in druck gegeben/ und mit vielen anmerckungen vermehre von Zacharias Zwantzig. Franckfurt/ bey Thomas Fritschen/ 1709.
3.2.1. Mikroform-Ausgabe
New Haven: Research Publications 1969 (= German baroque literature, no. 1679, reel 598).
3.2.2. Digitale Ausgaben
- Digitale Ausgaben der Ausgabe 1705/1706
- Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek 2010 (= Theatrum-Literatur der Frühen Neuzeit). Vorlage: Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. M: Rq 4° 21.
- München: bsb digital. Vorlage: Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München, Sign. 2 Geneal. 78#Beibd.2.
- München: bsb digital. Vorlage: Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München, Sign. 2 J.publ.e. 54.
- Digitale Ausgabe der Ausgabe von 1709
- München: bsb digital. Vorlage: Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München, Sign. 2 J.publ.e. 52.
4. Inhalt
Zwantzigs Theatrum Praecedentiae besteht aus zwei großen Teilen, wobei der erste Teil 81 und der zweite Teil 24 Kapitel umfasst. Der erste Teil bezieht sich vorrangig auf das Völkerrecht, der zweite auf das Reichsrecht. Inhaltlicher Schwerpunkt sind folgende Fragestellungen und Leitgedanken: Wer beansprucht welche Rang- und Präzedenzrechte, wie werden diese begründet und welche Konflikte resultieren daraus? Den Anfang bilden Ausführungen zu den Präzedenzrechten des Kaisers. Es folgen die Präzedenzstreitigkeiten und -rechte der übrigen europäischen Monarchien, Republiken und Reichsstände, wobei auch außereuropäische Völker berücksichtigt werden. Der zweite Teil schildert in erster Linie die Rangverhältnisse im Heiligen Römischen Reich, und zwar in tendenziell hierarchischer Weise von den Kurfürsten bis hin zu den Reichskreisen. Ein umfangreicher Anhang „Annotata ad Schema Sessionis & ordinis inter Principes & Status Imperii“ schließt den Band ab. Die Adressaten werden bereits im Titel genannt: Das Werk ist explizit „Jungen Standes-Personen/ antretenden Negotianten und Ministern zur nützlichen Nachricht“ zugedacht. Der Kreis der Rezipienten war jedoch offenbar deutlich größer, denn die jüngere Forschung hat herausgearbeitet, dass sich zeremonialwissenschaftliche Werke auch im stadtbürgerlichen Kontext großer Beliebtheit erfreuten (Weller, S. 391). Zu seinen Informationsquellen vermerkt Zwantzig einleitend, er habe sie „so wohl in Actis Publicis, als Privat-Memoiren/ Protocollis, fürnehmlich in Authentiqven Nachrichten gelesen/ und bey grosser Herren Verschickungen gehöret/ gesehen/ und verzeichnet“. (Vorrede „An den Leser“, unpag.) Was ihn konkret veranlasst hat, bei seiner Titelwahl die Theatrum-Metapher zu verwenden, ist wohl nicht mit letzter Sicherheit zu sagen. Thomas Weller hat mit Blick auf die Reminiszenzen an die barocke Vorstellung vom Theatrum mundi im Titel jüngst mit guten Gründen darauf hingewiesen, dass im Mittelpunkt „weniger die Präsentation eines als weitgehend statisch imaginierten, wohlgeordneten sozialen Kosmos [steht], der als unmittelbares Spiegelbild der gottgegebenen Ordnung gelesen werden kann, als vielmehr die Zurschaustellung von dynamisch aufeinander bezogenen zeremoniellen Inszenierungen, deren kosmologische Verweisfunktion inzwischen fragwürdig geworden ist, die aber für den Fortbestand der sozialen Ordnung gleichwohl weiterhin konstitutiv und unverzichtbar sind“ (Weller, S. 406). Mit dieser flexibel-dynamischen Auffassung von Zeremoniell korrespondiert die Tatsache, dass es Zwantzig ausdrücklich ablehnt, die von ihm geschilderten, ebenfalls stetigen Veränderungen unterworfenen Präzedenzstreitigkeiten letztgültig entscheiden zu wollen. In seiner Vorrede schreibt er ausdrücklich: „Und weilen diese hohe Potentzen/ Käyser/ Könige/ Fürsten/ Grafen/ Herrn und andere Staaten in dergleichen Rang und Praecedentzen sehr pointilleux worden/ so seynd daraus die Rang- und Praecedentz-Streitigkeiten erwachsen; Welche niemahlen allesamt finaliter definiret noch decidiret werden können“. (Vorrede „An den Leser“, unpag.) Auch ist keine systematisch-theoretische Aufarbeitung und Durchdringung des zeitgenössischen Zeremoniells, das ja untrennbar mit Rang- und Präzedenzfragen verwoben war, beabsichtigt. Allerdings darf der von Zwantzig und anderen zeremonialwissenschaftlichen Autoren in der Regel demonstrativ hervorgehobene Verzicht auf Entscheidungen oder Parteinahmen in den geschilderten Präzedenstreitigkeiten nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Werke de facto sehr wohl Werturteile beinhalten. Ein markantes Beispiel dafür ist der Diskurs über die vehement vorgebrachten Präzedenzansprüche Ludwigs XIV. von Frankreich (vgl. insgesamt Rohrschneider), die für die Zeitgenossen von großer politischer Bedeutung waren.
5. Kontext und Klassifizierung
Zwantzigs Theatrum Praecedentiae steht im Spannungsfeld zweier Gattungen, die im Verlauf des 17. und frühen 18. Jahrhunderts zu ihrer Blüte gelangten. Gemeint ist zum einen die gelehrte Disziplin des so genannten Ius praecedentiae, ein Zweig der Jurisprudenz, dem es in erster Linie um das Rangrecht ging, und zum anderen die deutsche Zeremonialwissenschaft, die um 1700 und dann vor allem in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts aufkam. Eigentlicher Gegenstand des traditionellen Ius praecedentiae war die Fiktion einer Ranghierarchie der europäischen Potentaten, die in der Regel gemäß bestimmter Würdigkeitskataloge ausdifferenziert wurde. Dahinter stand ursprünglich nicht zuletzt die Überzeugung, dass derartige Ranghierarchien letztlich Ausdruck und Abbild der göttlichen Ordnung waren. Im Laufe der Zeit gründete man die Rangordnungen aber weniger auf metaphysischen Anschauungen, sondern man versuchte vielmehr, die jeweiligen Rangprätentionen historisch-kritisch zu fundieren und ihnen damit größere Erfolgsaussichten zu verschaffen. Zu den Kriterien zählten zum Beispiel das Alter der einzelnen Monarchien bzw. Gemeinwesen, der jeweilige Zeitpunkt ihrer Christianisierung und die eigentliche Machtfülle, aber auch besondere Ehrentitel und nachweisbare Dienste für den Papst und die Kirche spielten in diesen Ranghierarchien eine nicht zu unterschätzende Rolle. An der Spitze der Skala standen zumeist der Kaiser bzw. der Papst. Wer dem Kaiser im Rang unmittelbar nachfolgte, war bereits heftig umstritten. Zu denken ist in diesem Kontext insbesondere an die französisch-spanischen Auseinandersetzungen um die Präzedenz, die im ludovizianischen Zeitalter bis an den Rand eines Krieges der beiden katholischen Kronen führten (1661/62).
Von diesem Ius praecedentiae älterer Herkunft ist die vergleichsweise kurzlebige Zeremonialwissenschaft abzusetzen. Diese Gattung ist lange Zeit von der Forschung vernachlässigt und erst durch die in den späten 1990er Jahre erschienenen Dissertationen von Volker Bauer und Miloš Vec systematisch untersucht worden. Die Zeremonialwissenschaft verstand sich nicht mehr als spezifischer Zweig der Jurisprudenz, sondern das Selbstverständnis ihrer Autoren, wie zum Beispiel Johann Christian Lünig, Julius Bernhard von Rohr, Gottfried Stieve und Friedrich Wilhelm von Winterfeld, beruhte vielmehr darauf, den Lesern praktische, nutzenbezogene Handlungslehren zu liefern, und zwar vor allem für den höfischen Kontext. Soziale Hierarchien wurden nicht mehr primär als Ausdruck starrer göttlicher Ordnung verstanden, sondern die im Zeremoniell sichtbar werdenden Rangordnungen waren letztlich menschengemacht und damit ebenso flexibel wie dynamisch. Sie wurden auch und gerade durch zeremonielle Inszenierungen visualisiert und in performativer Weise immer wieder neu hergestellt. Die Grenzen zwischen den Schriften des älteren Ius praecedentiae und den zeremonialwissenschaftlichen Werken sind allerdings fließend und man wird Zwantzigs Theatrum Praecedentiae sicherlich als Werk zu klassifizieren haben, das noch stark von der Tradition des älteren Rangrechts geprägt ist, insbesondere von James Howells Proedria Basilike: A Discourse Concerning the Precedency Of Kings: Wherin the Reasons and Arguments Of the Three Greatest Monarks of Christendom Who claim a several Right Therunto, Are Faithfully Collected, and Renderd [...] (London 1664) und Jacob Andreas Crusius’ Tractatus Politico-Juridico-Historicus De Praeeminentia, Sessione, Praecedentia, Et Universo Jure Proedrias Magnatum in Europa, tum Ecclesiasticorum, tum Secularium, tam Generali, quám Speciali cujusque Domus Illustris Praerogativâ. Libris Quatuor Absolutus [...] (Bremen 1665). Gleichwohl kann es aber auch im spezifischen Kontext der Zeremonialwissenschaft verortet werden, sodass viel dafür spricht, es als Werk des Übergangs zu klassifizieren.
6. Rezeption
Zwantzigs Theatrum Praecedentiae war wesentliche Grundlage für Jean Rousset de Missys Werk Mémoires Sur Le Rang Et La Préséance Entre Les Souverains De L’Europe Et Entre Leurs Ministres Réprésentans Suivant leurs différens Caractères (Amsterdam 1740), in dessen Vorrede es explizit genannt und gelobt wird.
7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
- Art. „Zwantzig oder Zwanzig, (Zacharias)“, in: Johann Heinrich Zedler (Hg.): Grosses vollständiges Universallexicon Aller Wissenschafften und Künste. 68 Bde., Halle, Leipzig 1732-1754, Bd. 64, Sp. 1007f.
- Peter Bahl: Der Hof des Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft Brandenburg-Preußens (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft 8). Köln, Weimar, Wien 2001, S. 623 [Kurzbiographie Zwantzigs]
- Volker Bauer: Hofökonomie. Der Diskurs über den Fürstenhof in Zeremonialwissenschaft, Hausväterliteratur und Kameralismus. (Frühneuzeitstudien Neue Folge, 1). Wien, Köln, Weimar 1997
- Curt Breysig: Die nachgelassenen Schriften Zacharias Zwantzigks, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 4 (1891), S. 271-278
- Michael Rohrschneider: Das französische Präzedenzstreben im Zeitalter Ludwigs XIV.: Diplomatische Praxis – zeitgenössische Publizistik – Rezeption in der frühen deutschen Zeremonialwissenschaft, in: Francia 36 (2009), S. 135-179
- Barbara Stollberg-Rilinger: Die Wissenschaft der feinen Unterschiede. Das Präzedenzrecht und die europäischen Monarchien vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Majestas 10 (2003), S. 125-150
- Miloš Vec: Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat. Studien zur juristischen und politischen Theorie absolutistischer Herrschaftsrepräsentation (Ius commune Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, 106). Frankfurt/Main 1998, bes. S. 33-42
- Thomas Weller: Kein Schauplatz der Eitelkeiten. Das frühneuzeitliche Theatrum Praecedentiae zwischen gelehrtem Diskurs und sozialer Praxis, in: Flemming Schock, Oswald Bauer, Ariane Koller, metaphorik.de (Hg.): Dimensionen der Theatrum-Metapher in der Frühen Neuzeit. Ordnung und Repräsentation von Wissen. Hannover 2008, S. 379-403, auch in: metaphorik.de 14 (2008)