Einführung

Caspar von Ceumern: Theatridium Livonicum
Nikola Roßbach

1. Titel
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Casparis Von Ceumern Salcensis Sorabi Theatridium Livonicum Oder Kleine Lieffländische Schau-Bühne/ Worinnen Aller von Anfang her in Liefland gewesenen/ so Geist- als Weltlichen Regenten als Bischöffen/ Ertz-Bischöffen/ Herrmeistern und Königen Namen/ zu was Zeit sie gelebet/ und in was Jahren ein jeder regieret/ biß zu Anno 1621. siegreicher Schwedischen Eroberung der Stadt RIGA/ zu finden. Darauff folgig eine Verzeichnüß der Städte/ Schlösser/ und Clöster/ wie sie Anno 1555. vor der Moscowitischen Verstörung des Landes/ als Lieffland noch in vollem Flor gewesen/ besessen worden und was darin vor Kirchen und Filialen zu finden. Wie auch eine Specification und Namen-Register des vor deme gewesenen und ausgegangenen und nu jetzo darin befindlichen Adels. Denn auch etliche in alter Nieder-Sächsischer als auch Lateinischer Sprache von vorigen alten Liefflandes Regenten der Ritterschafft damahl gegebene Privilegia ins Teutsche versetzet. Endlich eine kurtze Erwehnung der Müntze/ wie solche bey alten Zeiten in Lieffland gänge und gebe gewesen. Aus alten Monumenten zusamen gezogen/ und herausgegeben. Cum Gratiâ & Privilegiô Sac. Regiæ Majest. Sveciæ. RIGA/ In Verlegung/ Georg Matthias Nöller/ 1690. Riga: Georg Matthias Nöller, 1690. - Titelblatt, 146 pag. Seiten, mit Illustrationen (Holzschnitt), 4°. [opac ↗092220339] [vd17 ↗3:600820B]

2. Verfasser
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Als Verfasser zeichnet sich Caspar von Ceumern (1612-1692) verantwortlich, von dem keine weiteren Schriften nachgewiesen werden konnten. Geboren im thüringischen Landensalza, machte Ceumern in Livland eine juristisch-politische Karriere, im Laufe derer er verschiedene Ämter bekleidete: Ritterschaftssekretär, Beisitzer des Dorpatschen Landgerichts, Beisitzer und Vizepräsident des Dorpatschen Hofgerichts, schließlich Landrat (Hupel, S. 564). Ceumern, der sich aufgrund seiner Verdienste den Adelsbrief erwarb, war verheiratet mit der Rigaer Kaufmannstochter Elisabeth von Dreiling und blieb kinderlos. Der Historiker Friedrich Konrad Gadebusch erwähnt in seiner Abhandlung von livländischen Geschichtsschreibern (Riga 1772) die sprichwörtliche Humorlosigkeit Ceumerns: „Er war sehr ernsthaft, und lachete sehr selten. Daher man im Sprüchworte saget: Er lacht nicht eher, bis dem Bauern der Aermel brennt. Welcher Umstand diesem Ceumern einmal Gelegenheit zu lachen gegeben hat.“ (Gadebusch zit. nach Kupffer, S. 307)

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Erschienen 1690 bei Georg Matthias Nöller in Riga.


Standorte des Erstdrucks

3.2. Weitere Ausgaben
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3.2.1. Neuedition
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Genschmar: Gruber 2004.

3.2.2. Mikroform-Ausgabe
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München: Bayerische Staatsbibliothek.

3.2.3. Digitale Ausgabe
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4. Inhalt
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Der Titel des Theatridium Livonicum signalisiert bereits, dass es sich vorwiegend um eine Zusammenstellung von Verzeichnissen und rechtspolitischen Dokumenten handelt – der Verfasser erklärt, seine Daten „Aus alten Monumenten zusamen gezogen/ und herausgegeben“ zu haben.

Einer Abbildung des livländischen Wappens, eingerahmt mit lateinischen und deutschen Spruchversen, geht zwei Vorreden voraus: In einer Widmung an den König legitimiert der Verfasser, der sich einer vierzig Jahre währenden treuen Dienstbarkeit rühmt, sein Werk mit dem „mangel Historischer Wahrhafften Lieffländischen Beschreibungen“. Offenbar war Ceumern vom König mit der Publikation der livländischen Privilegien beauftragt worden und hatte die in diesem Zusammenhang eingesehenen Originale für sein eigenes chronikalisches Schreibprojekt mitverwendet. Die Kürze des Theatridium Livonicum entschuldigt er mit dem gängigen Topos, zu schneller Veröffentlichung gedrängt worden zu sein, sowie mit der „Weitläufftigkeit/ Lieffländischen Ritter- und Adels-Personen“ (ebd.). In der zweiten Vorrede „Geneigter Leser!“ hebt Ceumern seine Schrift textsorten-typisch von vorausgegangenen Chroniken ab (Balthasar Russow, Reinhold Heidenstein, Lorenz Möller, Salomon Henning, Fridericus Menius) und eröffnet die Perspektive auf eine zukünftig umfassendere, von ‚vollkommenen Lieffländischen Sachen’ handelnde Chronik – explizit reflektiert er den von der enzyklopädischen Theatermetaphorik transportierten Universalitätsanspruch: „DIß Tractätlein kommet nicht darumb heraus und an des Tages-Liecht/ daß es dem Authori einigen Ruhm etwa erwerben solte/ zumahl Er wohl weiß/ daß hin und wieder bey einigen Scribenten und Historicis schon davon was zu finden/ welche aber so leicht nicht einem jeden zu beschaffen/ weitläufftig zu lesen und darin dieß zu suchen/ sondern bloß allein wackere und stattlichere Gemühter zu erwecken/ die aus diesem kleinen Theatridio ein rechtes grosses Theatrum einer Schaubühne warhafften vollkommenen Lieffländischen Sachen forderst herauskommen lassen möchten.“ („Geneigter Leser!“, unpag. [S. 1])

Livlands Entstehungsgeschichte wird – in rasanter Kürze – als zufällige und friedliche christliche Missionierung durch die Deutschen dargestellt: „Lieffland/ So den Namen von den alten Heydnischen Völckern den Lieben hat/ ist Anno 1148. andere meinen 1158. von Bremischen Kauffleuten/ welche nach der damahl gewesenen Kauff- und Handel-Stadt Wieby auf Gottland Schiffen wollen/ und von grossem Sturm und Ungewitter verschlagen/ aufgesegelt worden. Anno 1160. Die Bremische Kauffleute mit den Lieven Freundschafft angefangen zu Pflegen und Verbündniß gemachet [...].“ (S. 1)

Es folgen mehrere chronologisch geordnete, meist tabellarisch angelegte Verzeichnisse zu den Meistern des Deutschen Ordens, Bischöfen und Erzbischöfen, Städten, Schlössern, Klöstern und Kirchen in Livland. Das einschneidende Ereignis des Livländischen Krieges (1558-1583), in dem das Deutsche Reich bzw. der Deutsche Orden Livland verloren hatte, wird dabei immer wieder spürbar: Ein „Verzeichniß aller Städte und Schlösser in gantzem Liefflande“ informiert darüber, „welchen Herren oder Edel-Leuten sie für der eingefallenen Krieges-Empörung und grossen Veränderungen aller vorigen Stände desselbigen Landes Anno 1555./ da Lieffland noch in vollem Flor gestanden/ gehörig gewesen“ (S. 9).

Auffällig ist die flüchtige, zum Teil wahllos anmutende Zusammenstellung der Dokumente, offenbar gerade derjenigen, deren Ceumern habhaft werden konnte – nicht ohne Grund bezeichnet Kupffer das Traktat eher als „Materialsammlung“ denn als „Chronik“ (Kupffer, S. 100). Die Dokumente stehen nicht nur unverbunden nebeneinander, sondern sind zum Teil sinnentstellend verkürzt worden. Ein lateinisch-deutscher Bericht der „General-Commissarien“ an den polnischen König Sigismund III. von 1588 dokumentiert die Ausdehnung Livlands und verweist dabei auf eine nicht mit abgedruckte Landkarte („Was aber vor Provincien, was vor Schlösser und Städte es in sich begrieffe/ wird aus der Land-Charta darüber offenbar.“, S. 22); bei einem Text „von der Lieffländer Treu und Beständigkeit“ handelt es sich offenbar nur um einen Auszug aus einer Rede der „Lieffländischen Ritterschafft Abgesandte an Sigismundum III. König in Pohlen [...], so sie wegen Lieffland zu Warschau auff allgemeinem Reichstage Anno 1597. publicè gehalten“ (S. 31).

Breiten Raum nimmt das Verzeichnis der livländischen Aristokratie ein (S. 33-54), unterteilt in ausgestorbene („bey voriger Zeit/ so ausgangen“) und noch lebende Adelsgeschlechter („bey itziger Zeit/ so befindlich“). Der Chronist ist sich der Unvollständigkeit seines Materials bewusst: „so hätte der Author gerne gewündschet/ dass/ wo nicht alle der ausgegangenen alten Familien, dennoch der itzo befindlichen vorgesetzetn Liefländischen Edelleute Wapen hie so fort folgig dabey zu stätigem Gedächtniß abgedruckt stehen möchten; Allein weil sie ingesampt alle nicht so bald zu erhalten gewesen oder gestochen werden können/ so erbeut sich der Drucker dieses Werckleins/ daß/ wenn ihme forderst mit dem ersten von einem jeden vom Adel sein Adelich Wapen behandreichet weden würde/ solches vor einen billigen Preiß noch zu bewerckstelligen/ und in kurtzem füglich zu diesem Tractätlein ans Licht kommen zu lassen.“ (S. 55) In Aussicht gestellt wird also eine um ein vollständigeres Adelsverzeichnis und heraldische Informationen vermehrte Ausgabe, die allerdings nie erschien. Mit spürbarer Verärgerung weist der Verfasser jede Schuld für die Defizite seiner Wissenssammlung von sich und schiebt sie auf eine schludrige Bürokratie und Verwaltung: „Gleichfalls hätte auch der Author gerne gesehen/ daß/ laut Anno 1689. mense Majo puplicirtem Patente sich ein jeder inner Jahres frist annu hätte bey einer Edlen Ritter- und Landschaft Secretario, sonderlich von den jüngst neugeadelten/ mit seinem Diplomate Nobilitatis oder gültiger Beweisung seines Adels einfinden mögen/ so hätte man sie in diesem Tractätlein/ wie vorgehet/ mit auff-führen und in Druck ausgeben können; Weil aber solches nicht erfolget/ und Jahr und Tag vorbey/ kan man authori deßwegen nichts beymeßen.“ (S. 56) In einem zweiten, neu paginierten Teil des Traktats „Folgen die Alten Verdeutschten Lieffländischen Privilegien.“ (unpag.). Zunächst druckt Ceumern einige Urteile, Resolutionen, Verordnungen, Relationen ab, hauptsächlich zum Erbrecht, außer deutschen und lateinischen Textteilen kommen auch niederdeutsche vor. Eine derartige bunte Sammlung hatte mit einem modernen Gesetzbuch nichts gemein, konnte jedoch durchaus juristisches Gewicht besitzen: Noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab der livländische Historiker und Jurist Gadebusch aufgrund der „Schwerfälligkeit des livländischen Gerichtswesens und der Unsicherheit der Richter im Hinblick auf die Gültigkeit des Rechts“ (Kupffer, S. 281) einer Sammlung einheimischer Rechtsfälle den Vorzug vor einer Kodifikation der Reichsgesetze. Gadebusch übernahm übrigens auch einen ‚Fall’ aus dem Theatridium Livonicum (Kupffer, S. 283).

Es folgt der Abdruck mehrerer Sendschreiben von „Sigismundus Augustus von Gottes Gnaden/ König in Pohlen/ Groß-Fürst in Littawen/ Reussen/ Preussen/ Masuren/ Samaiten und Lieflandes Herr und Erbe“ (S. 31) die im Zusammenhang mit der 1561 erlangten polnischen Lehnshoheit über Livland stehen (S. 30-99), sowie eines weiteren königlichen Briefs von 1566. Alle Schreiben werden jeweils in lateinischer und deutscher Sprache abgedruckt.

Ceumern beschließt seine kleine Livlandchronik mit knappen Informationen zur alten Währung Livlands: „Folget Die alte Müntz Valeur So vor diesem in Lieffland gang und gebe gewesen“ (S. 131).

5. Kontext und Klassifizierung
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Die Geschichte Livlands ist die Geschichte einer Kolonialisierung. Im 13. Jahrhundert eroberte der christliche Schwertbrüderorden (1237 im Deutschen Orden aufgegangen) unter der Führung des Rigaer Bischofs Albert I. von Buxhöveden das Gebiet des heutigen Estlands und Lettlands, das im Folgenden erst als ‚Livland’ bzw. ‚Eifland’ konstituiert und benannt wurde. Seit 1530 gehörte Livland zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Prägendes Ereignis der Landesgeschichte war der Livländische (auch: Erster Nordischer) Krieg, der von 1558-1583 dauerte. Im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen Russlands, Schwedens, Polen-Litauens und Dänemarks geriet Livland 1561 durch ein Abkommen des livländischen Landmeisters des Deutschen Ordens Gotthard Kettler mit dem polnischen König Sigismund II. Augustus unter polnische Lehnshoheit. 1629 kam Livland größtenteils zu Schweden und war von 1721 bis 1818 russische Provinz.

Ceumerns Schrift reiht sich ein in die livländische Chronistik, die mit Heinrichs von LettlandChronicon Livoniae (entstanden 1225-1227) beginnt. Schon Heinrich stellt die Frühgeschichte des Baltikums unter dem Blickwinkel seiner Christianisierung dar, ein auch für folgende Historiographen leitender Gesichtspunkt: Balthasar Russows mittelniederdeutsche Chronica Der Provintz Lyfflandt (1575) erzählt die Landesgeschichte gar als eine mit wirtschaftlichem Aufschwung verbundene „christliche Heilsgeschichte“ (Kupffer, S. 94), die mit der Ankunft der Deutschen begann. Im 17. Jahrhundert ragt Christian Kelch heraus, „der bedeutendste livländische Chronist des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts“ (Kupffer, S. 99), der 1695 die Liefländische Historia veröffentlicht. Kupffer bewertet die livländischen Chroniken des 17. Jahrhunderts „trotz ihrer Bemühungen um Quellenvielfalt und Ansätzen zu einem kritischen Umgang mit dem historischen Material überwiegend als vorwissenschaftlich“ (Kupffer, S. 100); Ceumerns Kompilat aus heterogensten Dokumenten und Daten macht hier keine Ausnahme.

Wie unkritisch und affirmativ die Darstellung der deutschen Fremdherrschaft in den baltischen Ländern angelegt ist, lässt sich im kontrastierenden Vergleich mit späteren Livlandchroniken ermessen. Otto A. Wernich übt Mitte des 19. Jahrhunderts – ungeachtet eines zeittypisch pathetischen und narrativ-anekdotischen Schreibstils – eine bemerkenswert radikale Kolonialismuskritik: „Die Ostseeländer kamen in die Hände der Deutschen durch die Gewalt des Schwertes und ihr Besitz gründete sich auf Eroberung. Der Zufall hatte die Fremden diese unbekannten Küsten entdecken lassen und Rom sich derselben alsbald als eines Gnadenschatzes bemächtigt. Livland wurde als das Witthum der Jungfrau Maria erklärt, seine Völker unterwerfen oder vertilgen, für ein Sühnewerk, das den Himmel erwerbe und seinen Boden mit dem Blute der Unschuldigen färben, hieß nicht Sünde thun, sondern sich derselben entledigen. Schwert und Kreuz verbanden sich auch hier zu jeder Unthat, welche das Menschengeschlecht entehrt, nur um sich schneller eines Vortheils zu bemächtigen, den ein friedlicher Verkehr erst mit der Zeit gebracht haben würde. Wie sonst, so auch in diesem Fall, begann der Mensch mit Zerstörung, die er leider in seiner Sprache oft eine Schöpfung zu nennen wagt. Könige, Adel, Mönche, Bürger zogen aus nach diesen fernen Ländern und nahmen, was sie fanden, trugen fort, was wegzutragen war oder blieben, da das Beste, der Boden, unbeweglich ihrer räuberischen Hand widerstand, mit Gier an diesem hangen, ein Fluch der Jahrhunderte, schonungslos und unabwendbar. Sie ruhten nicht, bis sie das Fremde sich zu eigen gemacht, das Land mit seinen Bewohnem, um dann desto länger zu ruhen, bis an ihnen dasselbe Schicksal erfüllt und die Sünde auf des Sünders Haupt zurückgefallen sein würde.“ (Wernich, Bd. 1, Abschnitt 1)

6. Rezeption
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Caspar von Ceumerns Theatridium Livonicum ist in zahlreichen Exemplaren in Bibliotheken West-, Nord- und Osteuropas wie Nordamerikas erhalten. Rezipiert wird er von der livländischen Geschichtsschreibung bzw. der sie behandelnden Fachliteratur; darüber hinaus konnten keine Rezeptionsdokumente ermittelt werden.

7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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