Einführung

Johann Christoph Männling: Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten
Flemming Schock

1. Titel1
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M. Johann Christoph Männlings, Bernstad. Siles. P.L.C. Colleg. Illustr. Teut. Cons. V.D.M.S. Curiositäten-Alphabeth, Das ist: Eine angenehme Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten, Bestehend aus sowohl einheimischen, als meist auserlesenen fremden Geschichten, welche völlige Locos Communes machen, und daneben klar und deutlich weisen, wie man die gelesenen Historien und Realia colligiren, und dann in öffentlichen Reden geschickt appliciren und anwenden könne; Denen Gelehrten zum Nutz, Denen Einfältigen zur Ergetzung, Den Alten zum Labsal, Den Mittlern zur Vorschrifft, Den Armen zum Besten, Allen aber zum Gebrauch vorgestellet, Und mit einem richtigen Register ausgeschmücket. Breßlau bey Johann Georg Blessing, 1720. Breslau: Johann Georg Bleszing, 1720. - Bd. 1: Titelblatt (Kupfertafel), 501 pag. S., 8°. - Bd. 2: Titelblatt (Kupfertafel), 612 pag. S., 8°. - Bd. 3: nicht zu ermitteln. [opac ↗053036131]

2. Verfasser
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Johann Christoph Männling (1658-1723), Pastor, Dichter und Kompilator. Männling wurde als Sohn eines protestantischen Pfarrers in Schlesien (Oels) geboren. Nach dem Gymnasialbesuch in Breslau und Thorn nahm er 1679 ein Studium der Theologie in Wittenberg auf, das er sich teils durch Gelegenheitsgedichte finanzierte. 1684 schloss Männling das Studium ab und trat 1688 ein Predigeramt in Kreuzburg an, das er bis 1700 inne hatte; später wechselte er in die Pastoratsstelle in Stargard in Pommern. In späteren Lebensjahren wurde er in die „Deutschgesinnete Genossenschaft“Philipp von Zesens aufgenommen (Szyrocki, S. 420f.).

Hervorgetan hat sich Männling vor allem als Verfasser zweier Poetiken: 1685 veröffentlichte er mit dem Europaeischen Parnassus, Oder Kurtze und deutliche Anweisung Zu der Deutschen Dicht-Kunst zugleich sein erstes Werk; die zweite Poetik, das Deutsch-Poetische Lexicon, der auserlesensten Phrasiologi, Aus denen vornehmste Poeten (1715) antizipiert bereits die alphabetische Anlage der vorliegenden Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten. Seinen ersten Theatrum-Titel veröffentlichte Männling schon 1692 mit der mehrfach aufgelegten Predigtsammlung Schaubühne des Todes, oder Leichen-Reden. Rund ein Dutzend weitere Werke des Autors gelten als verschollen.

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Erschienen in drei Bänden von 1720 bis 1721 bei Bleszing in Breslau.


Standorte des Erstdrucks

3.2. Weitere Ausgaben
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Der zweite Teil wurde 1738 bei Pietsch in Breslau erneut aufgelegt.

3.2.1. Mikroform-Ausgabe
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Yale: University Library 1969: Yale University Library collection of German baroque literature; reel 589, no. 1645b.

3.2.2. Digitale Ausgaben
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  • Bd. 1: Google ebooks 2009. Vorlage: Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München, Sign. P.o.germ. 892 xm-1.
  • Bd. 2: Google ebooks 2009. Vorlage: Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München, Sign. P.o.germ. 892 xm-2.

4. Inhalt
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In einer Widmung an seine „Hochwerthgeschätzte Herren Amts-Brüder“ betont Männling, dass Gott, der Schöpfer, eine jede Weltregion mit ihren besonderen Vorzügen der Natur ausgestattet habe. Er etabliert von Beginn an eine typisch „curieuse“, das heißt selektive Perspektive auf jene Dinge, die dem europäischen Leser fremd waren und dennoch Standards in den zeitgenössischen Reiseberichten bildeten – Krokodile in Ägypten, „das Hunger- und Durst-stillende Kraut“ in Peru, Rentiere in Lappland, die Perlenfischerei in Ceylon etc. Bereits hier wird mit dem Nürnberger Polyhistor Erasmus Francisci (1627-1694) eine der maßgeblichen Quellen der Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten genannt. Zudem erklärt Männling zu seinem kompilatorischen und ‚denkwürdigen’ Konzept: „Hoch-Ehrwürdige, Hoch- und Wohlgelahrte Herren, Herren, Ich stelle ihrer Affection aus Amts-brüderlicher Verbindlichkeit und hertzlicher Liebe also hier wohl weder eine Schale voll Perlen, noch ein angenehmes Honig-Confect, sondern allein ein Curiositäten-Alphabeth historischer Ergetzlichkeiten vor, so ich aus den Erzehlungen derer Gereisten, als das Denckwürdigste und was Europäern am verwunderlichsten vorkommt [...] gezogen“ (Widmung, unpag.). Schließlich solle auch die Unterhaltung nicht zu kurz kommen: „Ich habe, wie Sie sehen werden, eine Vergnügungs-Reise wollen verrichten, und das, was ich in der Fremde curieuses angetroffen, Ihnen zu einer Gemüths-Erqvickung bey ihrer sauren Arbeit dediciren“ (Widmung, unpag.).

In der Vorrede an den Leser betont Männling umgehend die moralisierende Zielsetzung seines Werkes – die Unterhaltung verfolgt einen höheren Zweck, der sich aus der Distanz zum beschriebenen Objekt speist: „Mein Freund, ich stelle dir in diesem Curiositäten-Alphabeth unterschiedlich Schwachheiten wilder Völcker vor, damit uns an jenen übel gefället, uns vollkommen zu einem Greuel werde, denselben nimmer nachzuarten [...]“ (Vorrede, unpag.). Im Zusammenhang der intendierten Funktion des Werks reflektiert Männling auch das Verhältnis von der sammelnden Werkstruktur und den Inhalten – so bedeute die alphabetische Disposition der Dinge keinesfalls, dass man sich von den realen Materien entferne oder sich auf die Anzahl der Buchstaben beschränke: „Es heist ein Alphabet, darinnen doch mehr Realia werden vorkommen, als einzelne Buchstaben, indeß will ich mit den ersten Littern anfangen, und mit curieusen Vorstellungen schliessen; die so wohl unser Vaterland als ein und ander fremder Boden erzeiget; die Mühe der Colligirung ist mein gewesen, das Vergnügen, Gebrauch und Nutzen wird dein bleiben, und keine andere Unkosten sind hierbey anzuwenden, ausser allein des Durchlesens“ (Vorrede, unpag.). Inhaltlich lässt sich bereits eine leichte Kritik an den Gegenständen der barocken „Curiositäten“-Kultur erkennen, wenn sich Männling über jene Geschichten mokiert, die „nichts taugen applicirt zu werden“ (Vorrede, unpag.) – etwa die Frage „Warum die Chilier in America den Bart mit Muschel-Schalen abnehmen, ob die Cremonenser die ersten Erfinder der Bratwürste sind [...]“ (Vorrede, unpag.). Als Quelle angeführt und zugleich kritisiert wird hier ein früheres Werk der Theatrum-Literatur: Jakob Daniel Ernsts Neue historische Schau-Bühne der menschl. Thorheit und göttlichen Gerechtigkeit (Leipzig 1702). Derartige Gegenstände überlasse er, Männling, vielmehr lieber den „Trödel-Krämern“ (Vorrede, unpag.). Bieten würde er stattdessen „dasjenige, was man bey gelehrten Gesellschaften in Discoursen [...] anziehen“ (Vorrede, unpag.). Deutlicher als andere Kompilatoren betont Männling die Technik des Exzerpierens als Grundlage nützlicher Wissensproduktion: „so habe der Jugend zum Besten mit diesem meinen Excerpiren deutlich weisen wollen, wie man das Gelesene nützlich könne anwenden und appliciren [...]“ (Vorrede, unpag.). So könnten auch die Ungelehrten „[...] durch Lesung dieses Buchs polirter [...] erscheinen, und nebst dem Verngügen einen ziemlichen Apparatum geschickter Wissenschafften und fremder Realien an sich ziehen“ (Vorrede, unpag.).

Wie durch den Titel der Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten angekündigt, folgt die Sammlung historischer „Curiositäten“ einem alphabetischen Muster, beginnend mit der „Affen-förmigen Andacht“ (S. 1). Vorangestellt ist den insgesamt acht Kapiteln immer ein Bibelzitat, die Quellen sind in den Fußnoten der Seiten jeweils genau ausgewiesen. Auf 45 Seiten nach Paragraphen unterteilt beschreibt Männling im ersten Kapitel vor allem religiöse Praktiken Außereuropas, gestützt etwa auf den „angenehme[n] Francisci“ (S. 4). Im Mittelpunkt steht der Topos der vermeintlichen ‚Affenverehrung’ der Indianer, der sich bereits im 16. und 17. Jahrhundert durch alle populären ethnographischen Kompilationen und Reiseberichtssammlungen wie ein roter Faden zieht – „[...] indem sie die Affen fast Göttlich verehren, ja vor Creaturen ihres Affen-förmigen Gottes Ramms halten, die eben sowohl als die Menschen würden mit ins Paradis kommen“ (S. 5). Generell gilt: „Curieux ist“ (S. 5) das, was europäische Gemüter besonders befremdet. Der Spott führt automatisch zur Diffamierung: „Diese Affen zeigen doch noch nach ihrer Affen-Art eine seltsame Andacht [...]“ (S. 6). Pauschal dehnt sich die geographische Perspektive aus – verortet wird die Affenandacht nicht nur in Westindien; auch Japan wüsste von diesem „wunder-fremden Götzendienst“ (S. 7). Es folgen u.a. Schilderungen der ‚Götzen-Häuser’, die immer wieder als erbauliches Anschauungsmaterial genutzt werden. Männling geht es darum, am Beispiel des fremden Heidentums vor einer Gefahr für das eigene Seelenheil zu warnen, ein Abfall vom ‚rechten’ Glauben sei schließlich jederzeit möglich: „aber das thun Heyden-Affen, doch, thun es nicht bey uns die Hoffärtigen gar dem Teufel, als dem Affen Gottes?“ (S. 8) Die Einwohner Kurdistans sollen den Teufel selbst anbeten (S. 11), während die ‚Persianer’ „[...] in ihren räuchigen Andacht [...] in ihren Kirchen Toback schmauchen“ (S. 12). In seinem „curieusen“ Katalog fremder Glaubenspraktiken springt Männling abrupt von Land zu Land, ein tatsächliches Interesse jenseits einer pauschalen Verurteilung besteht nicht: „Die Einwohner in dem Königreich Cochin sind überaus einfältig, beten bald eine Kuhe, oder andere Viel, oder auch nur einen Baum an [...]“ (S. 14). Auch die zeitüblichen antijüdischen Tiraden werden von Männling in die Darstellung eingebunden: „Die Jüdischen Affen, sie mögen auch so schön ihre Träume schmücken, als sie wollen, bleiben doch ein Greuel“ (S. 21). Immer wieder kehrt der Text jedoch zu den „Indianischen Heyden“ als Mittelpunkt der Diffamierung zurück: „Daß unter allen menschlichen Thorheiten, und vornehmlich, was die Verehrung Gottes anbetrifft, keine grösser als der Indianischen Heyden sey, bezeugen die Erzehlung derer Gereisten“ (S. 24). Männling lässt dabei keine Gelegenheit aus, in predigerhaftem Ton gegen nicht-christliche Glaubensformen zu wettern: „Das glauben die Heyden, so doch falsch und Lügen, und von der Gebuhrt Jesu Christi, so wahrhafftig erschienen, wollen sie nichts glauben, o Blindheit!“ (S. 29) Zuweilen erweckt die Darstellung jedoch auch den Eindruck ironischer Überzeichnung, etwa dann, wenn Männling sich darüber amüsiert, dass die alten Ägypter Blähungen angeblich für Gotteszeichen gehalten hätten: „Es ist wohl kein grösser Elend, als wenn die Menschen die Sinnen verlieren, denn da werden sie nicht bloß zu Affen, sondern gar zu Narren. [...] Als zum Exempel, daß die Egyptier die Hinter-Raqueten des Leibes [...] vor einen Gott gehalten“ (S. 34). De facto entwickelt sich der Text in diesen Passagen immer mehr zur Schmähschrift – wobei Männling nicht durchweg explizit markiert, ob er die Quellen oder seine eigene Meinung wiedergibt: „Es findet sich in Ost-Indien auf Java Major ein Baum, welchen man [...] auf teutsch Dreckholtz-Baum nennet [...] und die Benennung deßwegen führet, weil er wie Menschen-Koth zu riechen pfleget [...]. Ich wollte wohl sagen, daß der Aberglaube der Heyden mehr stincke, als dieser Baum [...]“ (S. 40). Dieses erste Lemma schließt mit der gottesfürchtigen Erklärung, „[...] alle Götzerey und Affen-förmige Thorheiten (zu) fliehen und zu meiden [...]“ (S. 45).

Mit dem zweiten Lemma macht die Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten einen großen thematischen Sprung und berichtet über „Das unglückliche Braut-Bette“ (S. 45). Hier stehen vor allem historische Exempel und Unglücksfälle im Mittelpunkt – etwa ein aus Versehen strangulierter Bräutigam (S. 48). Vom Exempel der einzelnen Historia kommt Männling immer wieder zu generalisierenden Kommentaren: „Viel Hochzeiten haben, wie Absoloms Gastmahl, einen traurigen Ausgang [...]“ (S. 54). Wiederholt geht es um die moralischen, konkret orientierenden Lehren, die aus den Fallgeschichten zu ziehen sind und diesen überwiegend voran stehen: „Was ist lieblicher und anmuthiger? was ist köstlicher und edeler, weder die edle Regung der Liebe, wann sie in ihrem reinen Wesen erhalten wird? Was aber böser und schädlicher, weder wenn sie aus dem Geschirr schlägt, und sich auf die böse Seite lenckt?“ (S. 61). Oder: „Wer durch Brunst sich dem Teufel vermählet, dem wird die Gluth zum Braut-Bette, und das Verderben zum Feuer-Herde“ (S. 69). Die serielle Verkürzung der Exempelerzählungen geht teilweise so weit, dass sich diese auf einen Satz beschränken: „So gedencket auch Manlius, daß als Anno 1550. zu Freyberg eine solenne Hochzeit angestellet worden, einer aber mit einer Pistole gekünstelt, sey diese loßgegangen, und der Bräutigam auf der Stelle erschossen worden“ (S. 74). Gerne werden – hier basierend auf Erasmus Francisci – auch sensationelle blutige Szenarien zitiert: „Als im Jahr 1644. der Sinisisch Kayser Changiengung wider die Tartern mit Heeres-Macht auszog, hat er [...] von seinen Soldaten verlangt, es solle ein jeder seine Frau, als eine schwere Hinderniß, tödten, ist auch ihnen hierinnen vorgegangen, daß er 300. Concubinen vor ihren Augen massacriren lassen; Hierauf ergriff ein jeder Landsknecht seine Frau bey den Haaren, und schickte ihr ein kaltes Eisen durch die Gurgel, [...] das war ein blutiges Beylager“ (S. 81). Zuweilen rekurriert Männling auch auf den kompilatorischen Status bereits seiner Quellen: „Mandelslo, Geier, Ernst, Francisci, Adami und andere bringen viel Exempel solcher Personen, die ein recht kläglich Braut- und Lust-Bette angetroffen“ (S. 107).

Ab S. 109 wechselt die Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten von den moralisch-historischen Exempla mit dem Buchstaben D („Die artliche Krancken-Cur“) zum ‚pharmazeutischen’ Diskurs. Krankheit wird zunächst im allgemeinen Kontext zeitgenössischer Endzeiterwartungen gesehen: „Die gantze Welt ist nichts richtigers, als ein Spital, worinn so viel Krancke, als Menschen sind, und alle Oerter bleiben der gemeine Winckel, worinn sich unsere Noth und Elend erzeiget“ (S. 109). Es folgen der theologische Kontext und in Anlehnung an das erste Kapitel eine Abhandlung weltweiter Heilpraktiken und ihrer Pflanzen, wobei Männling größtenteils wieder auf die gleichen Quellen zurückgreift. Und auch das Argumentationsmuster gleicht dem ethnographischen Kapitel: Wie der Teufel die ‚irrgläubigen’ religiösen Praktiken außereuropäischer Völker verantwortet, so hat er seine Finger auch bei deren Heilpraktiken im Spiel: „Der werthe Dapper meldet, daß der Teufel die Einwohner in Peru dahin gebracht, daß die Eltern, wenn ihr König kranck war, ihre Kinder, von 4. Biß auf 10. Jahr alt, zu erwürgen pflegen, nur daß er durch diesen Kinder-Mord wieder genesen möchte [...]“ (S. 114). Grundsätzlich dominiert erneut eine von Unverständnis getriebene „curieuse“ Perspektive: „Nachdem jede Nation ihre sonderbare Art hat, so auch die Grünländer mit denen Krancken umzugehen. Wird einer bey ihnen kranck, so legt sich ein Gesunder neben ihm auf den Rücken, dann setzt sich der Krancke auf, bindet einen Band um des Gesunden Kopff, und an der Stirne wird ein Stock drunter gesteckt, damit wird der Kopff offt aufgehoben, viel dazu geredt, erst leicht, hernach schwer, was das bedeuten soll, weiß Gott“ (S. 118). Mit Blick auf Europa fließen auch klassische Heilungswunder in die Kompilation ein: „Daß Gott öffters bey desperaten Kranckheiten unversehens eine Hülffe sendet, und die, so von Menschen verlassen, von Gott angenommen werden, bezeugen die vielen artlichen Begebenheiten“ (S. 128); hinzu kommen eine Art Globalgeschichte der „Fieber-Curen“ (S. 149) und der Vergleich diverser „Recepte“: „Ich weiß aber nicht, ob das Recept, welches der Jesuit Caspar Schott, in seinem Jocoferiis Naturae angiebet, nicht besser soll thun?“ (S. 152) Männling betreibt zudem Eigenwerbung, wenn er auf frühere eigene Kompilationen verweist: „Ich habe sowohl in meinen Curiositäten der abergläubischen Albertäten p. 234sq. als auch in dem so genannten curiösen Traum-Tempel viel seltsame Curen angezogen“ (S. 161). Erneut kommen in der Fülle an Exempeln auch scherzhafte Passagen vor: „Ludwig der XII. König in Franckreich rühmte offtmahls das Recept, welches einer seinem guten Freunde gegeben hatte, welcher gefragt, was vor die Augen am meisten gut wäre, und geantwortet: Wenn man so seltsam, als immer möglich, Advocaten sähe“ (S. 163).

Ab S. 172 folgt mit „Die grossen Demüthigen“ ein umfassendes Lob religiöser Demuth („Je mehr du bist, je mehr du dich demüthige, so wird dir der Herr hold seyn“). Auch hier geben die historischen Exempel Anlass zu normativ-moralischen Reflexionen: „Wir sind zwar nicht alle Steinmetzens- oder Tünchers-Kinder, unterdessen doch alle in Adam Leim- und Thon-Kinder, aus einem leimichten Erden-Kloß gebildet, darum es billig, daß wir gleichfalls in unserm Gedächtniß einen Erden-Kloß verwahrlich aufheben, um damit alle hochmüthige Einbildungen zu unterdrucken“ (S. 184). Auch in diesem Kapiteln wechseln sich Episoden aus der europäischen Geschichte, vornehmlich großzügiger und gütiger Herrscher, mit Blicken in eine als zeitlos erscheinende außereuropäische Welt: „Die Egyptischen Priester wollten ihre Demuth andeuten durch ihre niedrige Gebäude, und daran gesetzte hieroglyphische Schrifften, daß sich einer über den anderen nicht erheben solle, sondern in einer Gleichheit und einem Thun beysammen verhalten“ (S. 209). Insgesamt wird die Demut immer wieder als positiver Kontrast zur angefeindeten „Hoffart“ oder Hochmut ins Spiel gebracht; mit einem frommen Appell schließt Männling dieses Lemma: „Lieber Gott! der du den Hoffärtigen widerstehest, und den Demüthigen Gnade giebest, auch der Demüthigen Geist erqvickest“ (S. 226).

Es folgen „Die seltsamen Ehe-Stifftungen“ (S. 227). Hier bestimmt den Text erneut ein ausgeprägt ethnographisches Interesse, dieses Mal mit Blick auf die Heiratsrituale anderer Länder: „Wie seltsame Moden und Ceremonien aber bey ein und andern Nationen dabey vorgehen, soll uns diese Beschreibung lehren“ (S. 227). Auch hier liefert die Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten wieder ein sprunghaftes Abschreiten der Länder: „Ich will mich aus Türckey in Persien wenden, welches diese Ceremonien heget“ (S. 235). Und auch in diesem Punkt dominiert die Verurteilung der ‚blinden’ Heiden: „So ist es wohl in Persien und Türckey, da die blinden Ehe-Verlöbnisse vorgenommen werden; Ich weiß aber nicht, ob ich die Ehestifftungen in Mingrelien nicht noch vor blinder soll schätzen?“ (S. 240) Milder ist allein das Urteil über die Griechen (S. 243). Nach Abschreiten vieler Länder überrascht folgende Zwischenbilanz nicht: „Ich will hiemit Asien und ihre Heyrathen verlassen, weil ich doch niemanden dadurch mag einen Appetit machen, ihm eine Braut aus einem dieser Oerter auszusuchen, da, wie Simon Dacht redet, wir selber beständige Waare genug in Europa haben [...]“ (S. 280). Eher selten rekurriert Männling auf die Methode seines Schreibens: „Der Italiäner Bargaeus hat einen Catalogus Scriptorum Historiae Romanae geschrieben, da er lehret, wie man die Autores und Historicus nach einander solle mit Nutz lesen. Ich habe bißher der Einwohner in Asia, Africa und America Eh-Verbindungen beschrieben, es ist aber Zeit, daß ich auch das Ende davon durch den Schluß der Caraber in der Antilles-Insul mache“ (S. 313).

Ab S. 325 folgt das Kapitel über „Die gnädige Führung des Höchsten“: Hier gibt Männling Beispiele schützender, wunderlicher Interventionen Gottes, Wunderrettungen etwa. Erneut geben die Exempel Anlass für allgemeine predigtartige Einlassungen über die gütige Fügung Gottes: „Drum bleibt der Schluß vor sich: Gott führet seeliglich. Man sehe nur das Exempel dessen an dem, was Titius anführet“ (S. 339). Dabei geht es nicht nur um physische Rettung, sondern auch um die Rettung des Seelenheils: „Daß wir nimmermehr besser die heilige Führung Gottes können erkennen, als in Bekehrung derer Sünder, ist wircklich ausgemacht, denn da führet der Herr die Bösen vom Tode zum Leben, vom Verderben zur Wohlfahrt, und vom Greuen zum Heil“ (S. 344). Immer wieder spannt Männling „curieuse“ Wissensinhalte in seine erbauliche Argumentation ein: „Die Sineser haben ihre Wind-Wagen, welcher sie sich eben so gut zu Lande gebrauchen können, als die Schiffer ihre Seegel und Schiffe zu Wasser. [...] Gottes Wagen aber, worauf er die Seinigen führet, gehet geschwinder [...]“ (S. 382).

Ab S. 384 schließt das folgende Kapitel mit Exempeln aus dem Bereich „Glück aus Unglück“ an, und auch hier macht bereits das vorangestellte Bibelzitat deutlich, dass der ‚göttliche Referenzrahmen’ nicht verlassen wird: „Es kommt alles von Gott, Glück und Unglück“. Im einzelnen Fall sah das – in protestantischen Augen – etwa so aus: „Im Jahr 1631. wollte in der Stadt Gurau in Schlesien ein abgefallener Apothecker seine eigene Kinder zu der päbstlichen Religion nöthigen, es fiel aber unter währendem Gezäncke die gewölbte Stube ein, erschlug den Vater plötzlich, krümmte den Kindern nicht ein Haar, sondern errettete sie aus ihrem Drangsal, befestigte sie aber desto mehr im Glauben“ (S. 403). Auch die Geschichte des Wissens sei reich an ‚glücklichen Unglücksfällen’: „Thomas Campanella wurde [...] hart eingekerckert und gar auf die Tortur gebracht, aber bloß durch verteuffelte Mißgunst. Dem ward sein Kercker zu seiner Studier-Stube, denn er schrieb darinnen ohne Beyhülffe anderer Bücher [...]“ (S. 446). Stets illustriert Männling über die einzelnen Exempla die Auffassung des menschlichen Lebens als ‚Spielball’ von Glück und Unglück: „Daß wir Menschen einem balle gleichen, mit welchem das Glück spielet, ist gar sicher, denn unser ganzes Leben weiset uns nichts anders“ (S. 463).

Ab S. 469 wechselt die Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten zu einem Kapitel über Naturwunder: „Der Islandische Feuer-speyende Berg Hecla und andere seltsame Wunder-Berge“. Im Umfeld dieser Berge zweifelt Männling auch nicht an der Faktizität von Gespenstern: „Gespenster lassen sich öffters da sehen, und wann eine Schlacht oder Blutbad geschehen, so erscheinen darauf auf dem Berge viel Leute in traurigen und ernsten Geberden“ (S. 473). Hier zeigt der protestantische Pfarrer keine Vorbehalte, auch jesuitische Quellen zu rezipieren – so Athanasius Kircher (1602-1680), einen zentralen Universalgelehrten des 17. Jahrhunderts (S. 475). Generell wiederholt sich hier das Muster der vorangehenden Kapitel, wenn Männling zum Beispiel eine weltweite Liste der Vulkane abarbeitet. Im Vergleich zu anderen Themen tritt die auf Gott hin ausgerichtete Argumentation hier zwar erstmals in den Hintergrund und weicht einem Interesse für naturgeschichtliche Wunder; dann jedoch werden diese Wunder wiederum an Gott zurückgebunden: „Daß unser Heiland ihm gemeiniglich zu seiner Cantzel Berge und Schiffe erwehlet hat, finden wir öffters bey den heil. Evangelisten bezeichnet“ (S. 491); oder: „Wie wunderbarlich Gott öffters die Berge formiret, daß keine künstliche Hand selbige nachzuhauen vermögend ist, bezeuget der Augenschein“ (S. 496).

Das nach dem achten Kapitel anschließende Register liefert nicht nur einen Schlüssel für die Kapitel, sondern auch ein „Reg. der Einleitungs-Sprüche“.

5. Kontext und Klassifizierung
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Männlings Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten ist im Kontext mehrerer Einflüsse und Genretraditionen zu sehen. Dabei lassen sich idealtypisch strukturelle und inhaltliche Aspekte unterscheiden. In struktureller Hinsicht – also mit Blick auf die konkrete Ordnung und Anlage des präsentierten Wissens – ist der Text ein später Vertreter der barocken Kuriositätenliteratur und Buntschriftstellerei. Deren Prämisse der ‚gefälligen Unordnung’ im Sinne von varietas delectat besitzt die Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten nicht mehr, sondern zwängt die bewusste Systemlosigkeit der Buntschriftstellerei in das taxonomische Korsett alphabetischer Wissensordnung (Kuriositäten-Alphabet), das sich um 1700 gegenüber alternativen Dispositionstypen erst allmählich durchsetzte. Allerdings ist die Adaption des alphabetischen Musters insofern konsequent, als bereits die Buntschriftstellerei und Kuriosa-Anthologien des Barock auf eine zusammenhangslose, arbiträr fragmentierte Reihung des Wissens setzen – und so legitimiert auch die alphabetische Form die Darbietung nicht mehr durch inhaltliche Beziehungen, sondern nur noch durch die ‚äußere’ Logik der Buchstabenfolge.

Inhaltlich nimmt die Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten zwei Gattungslinien des frühneuzeitlichen Sammelschrifttums (dazu Meierhofer) auf: Erstens steht die Kompilation mit Kapiteln wie „Das unglückliche Braut-Bette“ (S. 45) im Kontext einer Variante nicht-fiktionaler Prosa des Barock, der ‚Histoires tragiques’: Ausgehend von französischen und italienischen Mustern des 16. Jahrhunderts kamen Sammlungen von kurzen, tragischen Erzählungen, Schauer-, Mord- und Kriminalgeschichten auch in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts in Mode (Meid, S. 747ff.) und prägten als Übersetzungsleistungen und eigenständige Fortführungen auch bekannte Kompilationen der Theatrum-Literatur – so Martin Zeillers Theatrum Tragicum (1639) und Georg Philipp Harsdörffers einflussreicher Schauplatz jämmerlicher Mordgeschichte (1649); beide Werke werden auch von Männling mehrfach zitiert. Die sensationellen und skandalösen Sammlungen standen im Dienst der Moral und kamen dem „deutschen Hang nach exempelhafter Erbaulichkeit“ (Meid, S. 747) entgegen. Diese religiös-erbauliche Färbung wird vom Pfarrer Männling deutlich akzentuiert: Die unübersehbare Unterhaltungsfunktion der barocken Fallgeschichten (Breuer) ging mit ihrer konkret normativ-exemplarischen Funktion einher: Aus tragischen Begebenheiten waren Schlüsse für die eigene Lebensführung zu ziehen. Ein Teil des Titels deutet die Funktionszuweisung an ein möglichst disperses Publikum bereits an: Denen Gelehrten zum Nutz, Denen Einfältigen zur Ergetzung, Den Alten zum Labsal, Den Mittlern zur Vorschrifft, Den Armen zum Besten, Allen aber zum Gebrauch vorgestellet.

Die behauptete Faktizität und Authentizität der Exempla verbindet sie mit der zweiten Gattungslinie, der bereits genannten Buntschriftstellerei und Kuriositäten-Literatur. Diese nahm (unter anderem) die serielle Präsentation der kurz gehaltenen ‚Historique tragiques’ auf und ergänzte sie um die Kompilation unzähliger anderer Stoffe, die mit der Tradition barocker Fallgeschichten vor allem das Kriterium des Sensationellen teilten: Was die maßgeblichen Autoren barocker „Curiositäten“ wie Erasmus Francisci (1624-1697) oder Eberhard Werner Happel (1647-1690) aus zahllosen Quellen und vorangehenden Kompilationen zusammentrugen, diente vor allem der Sättigung der Neugier eines wachsenden Publikums auf Merk- und Denkwürdigkeiten aller Art, kurz: auf Dinge, die faszinierten und unterhielten, weil sie ‚wunderbar’ waren und als solches der Alltagserfahrung zuwider liefen. Schon vor der Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten steuerte Männling in weiteren Publikationen fleißig zur „Curiositäten“-Mode bei: So mit den Denckwürdigen Curiositäten derer so wohl inn-als ausländischer abergläubischen Albertäten (1713) und wenig später mit Dapperus Exoticus curiosus, das ist des viel-belesenen Hn. Odoardi Dapperi Africa- America- und Asiatische Curiositäten (1717-1718). Die Kompilation der erfolgreichen Werke des Niederländers Olfert Dapper (1635-1689) – ihrerseits bereits Kompilationen – setzte Männling dann auch im vorliegenden Werk intensiv fort.

Während das enzyklopädische Spektrum des von der Buntschriftstellerei kompilierten Wissens kaum überschaubar war und ganz dem umfassenden, universalen Horizont des Polyhistorismus entsprach, knüpft Männling in der Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten vor allem an einen – wenngleich großen – Aspekt aus diesem Sammlungsfeld an: an die ethnographische Begeisterung des 17. Jahrhunderts für außereuropäische Länder: Wie seine Quellen, so nähert sich auch Männling in der Beschreibung fremder Welten diesen nicht unvoreingenommen an. Funktional geht es eher darum, ein europäisches Überlegenheitsgefühl im Blick auf den Anderen zu stabilisieren und die „tummen“ Heiden als prinzipiell unterlegen zu diffamieren. Anders gewendet: Es geht nicht darum, sich auf den anderen tatsächlich in seiner Andersartigkeit einzulassen, sondern nur darum, das bestehende Selbstbild im Anderen negiert zu sehen. Nicht zufällig beginnt Männlings Text daher mit der „Affen-förmigen Andacht“ (S. 1), also der Konzentration auf fremde religiöse Praktiken. Diese indizierten den größtmöglichen Grad kultureller Fremderfahrung und markierten schon in den Reiseberichten und vorangehenden ethnographischen Kompilationen einen der Angelpunkte der Beschreibung (dazu: Nolde). Hinzu kommen auch Naturwunder und weitere, übliche Schwerpunkte der Kuriositätenliteratur.

Hinsichtlich seiner Quellengrundlage ist bemerkenswert, dass die Schau-Bühne Historischer Ergetzlichkeiten noch im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert alle maßgeblichen Texte aus dem ‚Handapparat’ barocker Wissenswelten zitiert und deren lange Wirkungsgeschichte belegt. Zudem stellt die Kompilation eine der wenigen Beispiele dar, in denen ein Theatrum explizit andere Theatra referenziert und exzerpiert. Diese sind: Christian Lehmanns Historischer Schauplatz derer natürlichen Merkwürdigkeiten (1699), Heinrich Anselm von Ziegler und Kliphausens Täglicher Schau-Platz der Zeit (1695), Christian Matthiaes Theatrum Historicum Theoretico-Practicum (1648), das erwähnte Theatrum Tragicum (1639) von Martin Zeiller sowie Mattäus Merians Theatrum Europaeum (1633f.) und Theodor Zwingers Theatrum Vitae Humanae (1565). Zu den am häufigsten zitierten Autoren gehört jedoch der Nürnberger Kompilator Erasmus Francisci mit seinen Werken Neu-polirter Geschicht-Kunst- und Sitten-Spiegel ausländischer Völker (1670) und Acerra Exoticorum: Oder Historisches Rauchfaß: Darinnen Mancherley fremde Fälle und Geschichte/ nebens andern Erzehlungen/ als etlicher Kunst- und Natur-Wunder/ alter Pracht-gebäue/ wie auch einiger Meldungs-würdiger Sitten/ Gewonheiten/ so wol als andrer anmercklicher Sachen außheimischer Völcker (1672f.). Während die Kompilationen von Francisci und anderen bereits teilweise ein säkulares Interesse aufweisen, nutzt Männling das rezipierte Material jedoch, um es konsequent in seine theozentrische Konzeption zu stellen.

6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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1Die formale und inhaltliche Beschreibung berücksichtigt exemplarisch den ersten Teil des Werks.
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