Einführung

Christian Heinrich Schmidt: Kleiner Schauplatz des bürgerlichen Gewerbfleißes
Nikola Roßbach

1. Titel
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Die Werkstätten der Künstler und Handwerker oder kleiner Schauplatz des bürgerlichen Gewerbfleißes. Ein Lese- und Bilderbuch für lernbegierige Knaben von Gustav Lehrreich. Mit 6 illuminirten Bildern. Ilmenau 1834. Druck, Verlag und Lithographie von Bernh. Friedr. Voigt. Ilmenau: Bernhard Friedrich Voigt, 1834. - Titelseite, 178 pag. S., 6 Ill., 8°.

2. Verfasser
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Dr. Christian Heinrich Schmidt (Pseudonym Gustav Lehrreich) – nicht zu verwechseln mit dem Zeitgenossen und Dichtungstheoretiker Christian Heinrich Schmid (1746-1800) – war offenbar Hausautor des Weimarer Verlags von Bernhard Friedrich Voigt. Für diesen „bedeutendste[n] Verlag gewerblich-technischer Literatur im Deutschland des 19. Jahrhunderts“ (Metzger), genauer für dessen Monographienreihe „Neuer Schauplatz der Künste und Handwerke. Mit Berücksichtigung der neuesten Erfindungen. Hg. von einer Gesellschaft von Künstlern, technischen Schriftstellern und Fachgenossen“ (1.1817-30.01.1904 [?]) verfasste Schmidt eine wahre Fülle an Einzelbänden. Die Bandbreite seiner Publikationen zu handwerklich-technischen, agronomischen oder pharmazeutisch-chemischen Themen ist immens. Schmidt liefert Monographien zur Herstellung von Kerzen, Seife, Butter, Käse, Kautschuk, Obstwein, Räucherfleisch, Saffian, Wachs, Schokolade, Zucker, Papiertapete, Wolle, Rübensaft, Waffen, Lampen, Töpfen, Branntwein, Pappmachémasken und Backwaren. Er schreibt über Gerberei, Kürschnern, Metallbearbeitung und Drehkunst, über den Anbau von Flachs und Hanf, über Textilherstellung und -bearbeitung wie Bleichen, Spinnen, Drucken und insbesondere Färben. Er verfasst Bücher über Blitzableiter, Uhren, Viehmusterung, Photographie, Warmwasserheizung, Dampfwäsche, Hydraulik und Tabak und darüber, wie man Blutegel und Schafe züchtet.

Der rührige Schriftsteller, über dessen Person bislang nicht mehr zu ermitteln war, war womöglich Lehrer, denn immer wieder gilt sein Augenmerk der zu belehrenden Jugend. Er ist nicht selbst Wissenschaftler, sondern vermittelt Wissen durch Übersetzung, Zusammenstellung, Überarbeitung und didaktische Aufbereitung.

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Erschienen 1834 im Verlag Bernhard Friedrich Voigt in Ilmenau.


Standorte des Erstdrucks

4. Inhalt
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Schmidt schickt seinem Einblick in die Werkstätten der Künstler und Handwerker eine dreiseitige Vorrede voraus, in der er seine Zielgruppe bestimmt: „jüngere Knaben“ (S. III). Viel zu wenig wüssten diese über den Wert technischer Kenntnisse, da „das Nahe unberücksichtigt“ bleibe über der „Sucht nach dem Fremden“ (S. III). Da „das Besuchen der Werkstätten der Künstler und Handwerker“, bei dem die Kinder deren Tätigkeit „mit eigenen Augen“ sehen könnten, leider aus Mangel an Antrieb und Gelegenheit, zumal in kleinen Städten, nicht immer stattfinde, ermögliche sein Buch als Kompensationsmedium den Erwerb technischer Kenntnisse, selbstverständlich ohne eine „eigentliche Technologie“ (S. V) zu sein.

Das folgende Inhaltsverzeichnis ordnet die auf jeweils meist 1-2 Seiten vorgestellten, von 1 bis 65 durchnummerierten Berufsgruppen in drei Gruppen, je nach dem verarbeiteten Material.

„A. Verarbeiter der Erzeugnisse des Pflanzenreiches“ (S. 1): Müller, Bäcker, Brauer, Zimmermann, Brunnenmacher oder Röhrenmeister, Tischler oder Stuhlmacher, Wagner oder Stellmacher, Bötticher oder Fassbinder, Korbmacher, Formschneider, Büchsenschäfter, Orgelbauer, Leinweber, Seiler, Papiermüller, Buchbinder, Färber.

„B. Verarbeiter der Erzeugnisse des Thierreiches.“ (S. 57): Fleischer, Seifensieder, Lichtzieher, Gerber, Kürschner, Schuhmacher, Beutler, Sattler und Riemer, Täschner und Tapezierer, Hutmacher, Siebmacher, Bürstenbinder, Tuchmacher und Zeugwirker, Strumpf- und Bordenwirker, Schneider, Knopfmacher, Drechsler, Kammmacher.

„C. Verarbeiter der Erzeugnisse des Mineralreiches.“ (S. 101): Töpfer, Ziegelbrenner, Glasmacher und Glaser, Maurer, Steinhauer, Dach- und Schieferdecker, Münzer, Gold- und Silberarbeiter, Kupferschmied, Rothgießer, Gelbgießer, Glockengießer, Stückgießer, Kupferstecher, Kupferdrucker, Nadler, Gürtler, Uhrmacher, Klempner, Grobschmied, Messerschmied, Nagelschmied, Zeug- oder Zirkelschmied, Schlosser, Büchsenmacher, Feilenhauer, Sporer oder Striegelmacher, Knopfpresser, Zinngießer, Buchdrucker.

Ohne Fachvokabular und in verständlicher Sprache geschrieben, sind Schmidts Berufsporträts um ein junges Publikum bemüht. Das belegen Formulierungen wie: „Koster aus Harlem war nämlich durch diesen Bilderdruck auf den 175 Gedanken gekommen, ganze Wörter auf hölzerne Bretter zu schneiden, diese mit schwarzer Farbe zu überstreichen und auf Papier abzudrucken.“ (S. 174f.) Dennoch unterscheidet sich der Kleine Schauplatz des bürgerlichen Gewerbfleißes natürlich hinsichtlich Didaxe und Unterhaltungswert deutlich von dem, was moderne Kindersachbücher auszeichnet – er steht erst am Anfang der Entwicklung einer Kinder- und Jugendliteratur. Der Abschnitt über den Knopfmacher beispielsweise beginnt mit einem umständlich-unbeholfenen Satz, der nicht unbedingt kindliche Neugier weckt: „Die Arbeiten des Knopfmachers bestehen in Zubereitung des gewöhnlich sogenannten Kameelgarnes, in Verfertigung der übersponnenen Knöpfe, und mancher Arbeiten, die der Bordenwirker verfertigt, als: Kniegürtel, Schnüre, Schleifen etc.“ (S. 93)

Meist beginnt der Verfasser in medias res; nur selten führt er etwas weitschweifiger zum Thema hin, so etwa beim Glockengießer: „Die ersten Christen machten die Zeit zu den religiösen Versammlungen vor Erfindung der Glocken durch Schläge auf einem trocknen Brette bekannt, und noch im 7ten Jahrhundert bedienten sich die Mönche einer Art Trommel zu diesem Zwecke; erst seit dem 8ten Jahrhunderte sind die Glocken im Gebrauch. Sie sollen zu Nola in Campanien, einer Landschaft Italiens, erfunden worden sein. – Die Masse, aus welcher gewöhnlich die Glocken gegossen werden, besteht aus Zinn, Messing, Kupfer Wißmuth etc. und heißt Glockengut oder Glockenspeise.“ (S. 131f.)

Die ausführlichste, fast fünf Seiten umfassende Beschreibung ist dem Beruf des Buchdruckers gewidmet, der den krönenden Abschluss des Bandes bildet – eine Reverenz an den Verleger und womöglich Arbeitgeber Voigt? Schmidt bietet einen mediengeschichtlichen Kurzabriss (Malerei – Wortschrift – Silbenschrift – Laut- oder Buchstabenschrift) und stellt die kulturelle Bedeutung des Buchdrucks heraus, bevor er zur konkreten Tätigkeitsbeschreibung des Handwerkers übergeht: „Durch die Buchdruckerkunst können jetzt die Bücher schneller und wohlfeiler vervielfältigt und dadurch allerlei Kenntnisse, Erfindungen, Neuigkeiten etc. überall verbreitet und mitgetheilt werden, und man hat dieser Kunst einzig und allein die Beförderung anderer Künste und Wissenschaften, die Ausbreitung der Gelehrsamkeit und Aufklärung zu verdanken. – Der Buchdrucker hat zum Drucken eine Menge Buchstaben oder Lettern nöthig, die der Schriftgießer aus Messing, Blei, Eisen und Spießglanz gießt.“ (S. 174ff.)

Aufgelockert werden die meist spröden Texte durch einige bunte Abbildungen – ‚illuminierte’ Kupferstiche – , die ausdrücklich dazu dienen sollen, die Tätigkeiten „mancher wenig bekannten Handwerker und Künstler anschaulich zu machen“ (Vorrede, S. V.). Es sind biedermeierliche Szenen, die von der Härte und Mühseligkeit der handwerklichen Arbeit nichts spüren lassen: Pausbäckige, freundlich lächelnde und adrett angezogene Männer arbeiten in possierlichen Stuben, Werkstätten oder Innenhöfen, die den Blick auf hübsche bunte Bürgerhäuser freigeben: Grobschmied (zum Titelblatt), Bäcker (zu S. 4), Zimmermann (S. 12), Wagner (zu S. 24), Böttcher (zu S. 28) und Gerber (zu S. 66).

5. Kontext und Klassifizierung
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Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts distanziert sich von der barocken Idee des exklusiven, tradierten Wissens, das von Gelehrten aus dicken Folianten gehoben werden muss. Gefordert wird stattdessen die Weitergabe eines vielschichtigen, verstärkt empirisch-pragmatischen Wissens in popularisierter Form an Leser verschiedener Schichten, verschiedenen Geschlechts und Alters: Volk, Frauen und nicht zuletzt Kinder sind bevorzugte Zielgruppen aufgeklärter Reformprogrammatik. Damit verändern sich Medien, Formen und Inhalte des Wissens. Im ‚pädagogischen Jahrhundert’ entstehen die ersten Bücher und Zeitschriften speziell für Kinder, zunächst vornehmlich als Mittel moralischer Belehrung und Erbauung konzipiert.

Im 19. Jahrhundert setzt sich die Entwicklung fort bzw. verstärkt sich noch. Ein allgemeines Bevölkerungswachstum im Deutschen Reich und damit verbunden die Zunahme und Ausdifferenzierung des alphabetisierten, lesenden Teils der Bevölkerung (dazu Wittmann, S. 193) lassen Buch, Zeitung und Zeitschrift zum Lesestoff breiter Massen werden. Auch das Lektüreangebot für Kinder und Jugendliche wird wesentlich erweitert.

Vermittelt wird den jungen Lesern nicht mehr nur moralisch Erbauliches zur korrekten Lebensführung; auf dem Buchmarkt findet man neben rein unterhaltsamen Abenteuergeschichten auch Sachbücher, die das aktuelle wissenschaftliche Weltbild vermitteln. Kindern werden – nicht zuletzt vom Weimarer Voigt-Verlag und seinem Autor Christian Heinrich Schmidt – Entwicklungen, Erfindungen und Erkenntnisse auf Gebieten wie Mechanik, Technik, Astronomie oder Chemie nahegebracht. In den weiteren Umkreis der empirischen, durch Funktionalität, Rationalität und Praxisbezug geprägten neuen Wissenschaften gehören seit dem 18. Jahrhundert auch die technischen ‚Künste’ und damit das – wissenschaftlich aufgewertete – Handwerk.

6. Rezeption
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„Nur für jüngere Knaben zur Unterhaltung und Belehrung ist diese kleine Schrift bestimmt; deshalb ist auch das Naheliegende mehr, als das Fernliegende beachtet, und höhere technische Gewerbe, deren Erzeugnisse mehr Kenntnisse erfordern, wo eine Beschreibung und Erklärung für die Jugend doch nur leere Worte wären, sind mit Fleiß übergangen.“ (Vorrede, S. III) Schmidt bestimmt sein Publikum unmissverständlich. Sein Verleger unterstreicht die Adressatenausrichtung durch die am Bandende platzierte Werbung für weitere Kinder- und Jugendsachbücher aus dem Hause Voigt.

Über die tatsächliche Rezeption der kleinen Schrift ist bislang nichts bekannt. Sie wurde nicht wiederaufgelegt und ist nur noch in wenigen Exemplaren erhalten, was jedoch nicht unbedingt auf fehlende Lektüre schließen lässt. Möglich ist immerhin, dass sie als Publikation eines regional erfolgreichen Verlags von vielen Familien als für Kinderhände bestimmte Gebrauchsliteratur erworben und gelesen, jedoch nicht konserviert wurde.

7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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