Einführung

Samuel Purchas: A Theatre Of Politicall Flying-Insects
Holger Steinmann

1. Titel
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A Theatre Of Politicall Flying-Insects. Wherein Especially the Nature, the Worth, the Work, the Wonder, and the manner of Right-ordering of the Bee, Is Discovered and Described. Together with Discourses, Historical, and Observations Physical concerning them. And in a Second Part are annexed Meditations, and Observations Theological and Moral, in Three Centuries upon that Subject. By Samuel Purchase, Master of Arts, and Pastor at Sutton in Essex. Entered according to Order. London, Printed by R. I. for Thomas Parkhurft, to be sold at his shop. At ehr Three Crowns in Cheapside, over against the Great Conduit, 1657. London: Thomas Parkhurst, 1657. - Zwei Teilbände in einem Band zusammengebunden mit fortlaufender Paginierung, Titelblatt (Kupfertafel), 387 pag. S, 4°. (Teil 1: [14] Bl., 207 S., [1] Bl. Teil 2: [1] Bl., S. 257-387).

2. Verfasser
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Samuel Purchas (jun.) (ca. 1602 (?) - ca. 1658), Sohn des seinerzeit bekannten englischen Kompilators Samuel Purchas, war Pfarrer in Sutton, Essex.

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Die Schrift von Purchas erschien 1657 in einmaliger Auflage bei Thomas Parkhurst in London.


Standorte des Erstdrucks

3.2. Weitere Ausgaben
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1834 erschien eine von Samul Bagster veranstaltete Ausgabe einer Auswahl aus den Meditationen des zweiten Teils. Der Titel diese Ausgabe lautet: Spiritual Honey from Natural Hives or Meditations and Observations on the Natural History & Habits of Bees, first introduced to public notice in 1657 by Samuel Purchas A.M. London 1834.

3.2.1. Mikroform-Ausgabe
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Ann Arbor, Mich.: University Microfilms 1973. (Early English books, 1641-1700; 472:23).

3.2.2. Digitale Ausgaben
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  • Google ebooks 2008. Vorlage: Exemplar der University of Wisconsin Madison, Sign. QL 568.A6 P9.

4. Inhalt
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Bei A Theatre Of Politicall Flying-Insects von Purchas handelt es sich um ein bienenkundliches Werk; der Haupttitel ist also ein wenig irreführend, was aber durch die Konkretisierung im Untertitel schnell richtiggestellt wird. Die Rede von den Politicall Flying-Insects meint, dass es hierbei um geflügelte Insekten geht, die eine erkennbare organisierte Sozialstruktur aufweisen. Im Fokus dieser naturphilosophischen wie theologischen Schrift stehen die domestizierten Bienen, deren prominente Stellung durch die Tatsache begründet wird, dass diese nicht nur, wie die anderen Insekten, naturphilosophischen oder ästhetischen Interessen genügen, sondern den Menschen auch als Nutztiere dienen und ihnen Nahrung bringen.

Der Text gliedert sich in zwei Hauptteile. Der erste ist im strengeren Sinne als naturphilosophisch zu bezeichnen und diskutiert in 26 Kapiteln verschiedene Aspekte des Phänomens der Bienen, wie es sich in der um 1650 verfügbaren gelehrten Literatur darstellt. Weitere 6 Kapitel widmen sich den verschiedenen Arten wilder Bienen, den Wespen, den Hornissen, den Hummeln, den Grashüpfern (!) sowie den amerikanischen Bienenarten. Im zweiten Teil folgen drei Kapitel mit jeweils 100 theologischen und moralischen Meditationen, die erbauliche Allegorien samt Allegoresen in Zusammenhang mit der Biene enthalten.

Der für das England des 17. Jahrhunderts nicht unübliche umfängliche Eingangsteil enthält (neben der üblichen Fürstendedikation an den Earl of Warwick und dentopischen Lobgedichten auf Purchas’ Gelehrsamkeit in Englisch und Latein) zwei Aspekte, die der Erwähnung wert sind. Zum einen folgt direkt auf das Inhaltsverzeichnis ein alphabetischer Katalog der zitierten Autoritäten, was auf den Stellenwert des schriftlich überkommenen Wissens deutet, zum anderen findet sich direkt in dem ersten Loblied auf Purchas die Wendung „Physio-theological History of Bees“ („Titel“, unpag.); mitnichten ist hiermit der durch William Derham etablierte Begriff der Physikotheologie gemeint, der im Rahmen des Argument by Design aposteriorisch von empirischen Naturbeobachtungen ausgeht und aus diesen auf die Allmacht Gottes schließt. Vielmehr geht es um die — zumeist allegorische — Korrelation überlieferten, teils antiken Buchwissens über die Natur mit theologischen Begriffen und Inhalten. So bedient sich Purchas in seiner eigenen einleitenden Fürstendedikation der Topik des Buchs der Natur und formuliert (in Anlehnung an die Theologia naturalis von Raimundus Sabundus): „And the praise of Gods Wisdome and Power, lies asleep and dead in every creature, untill man actuate and enliven it.“ („Einleitung“, A3) Diese Hintergrundmetaphorik des Weltbuchs, des zweiten Buchs, das Gott den Menschen hinterlassen hat, ist hier freilich eine apriorische, die schon weiß, dass durch den Verstand des gläubigen Menschen die theologische Dimension aller Dinge zutage tritt. Sie ist zudem eine fiktive, da der Zugriff des Textes auf die Bienen keineswegs ein empirisch-autopsischer ist, vielmehr argumentiert sie hier entlang der Vorgaben der naturphilosophischen Schriften von Aristoteles (384 v.Chr. - 322 v.Chr.), Plinius (23 n.Chr. - 79 n.Chr.) und Julius Caesar Scaliger (1484-1558) sowie der wichtigen lateinischen landwirtschaftlichen Schriften Georgica von Vergil (70 v.Chr. - 19 v.Chr.) und Rei rusticae libri von Columella (? - um 70 n.Chr.), wobei noch eine große Zahl spätantiker, mittelalterlicher und auch zeitgenössischer Texte hinzugezogen werden. Die Kapitel des ersten Teils widmen sich folgenden Themen: Die Vortrefflichkeit der Bienen; Etymologie; Begriffsdefinition und Beschreibung; Unterarten und Farben; die Beschaffenheit der Bienen und ihre Eigenschaften; Politik, Ethik und Wirtschaft der Bienen; die Sinne der Bienen; die Bienenkönigin; die Drohne; Fortpflanzung; Bienenkörbe und ihre Anlage; Aufstellung der Bienenkörbe, Einrichtung eines Bienengartens; Schwarmverhalten und das Verhalten im Bienenstock; von welchen Blumen die Bienen Pollen sammeln; die Ordnung der Bienen; die Atmung der Bienen; Temperatur, Schlaf und Alter; Kämpfe und Raubzüge der Bienen; Feinde und Krankheiten; Honigtau; Honig; Baum-Honig; Wachs; historische und erdichtete Beobachtungen und Mitteilungen über die Biene; Medizinische und Chirurgische Beobachtungen.

Auffällig ist hierbei, dass die Kapitel in der Regel mit allgemeinen und sehr oft topischen Argumenten beginnen. So setzt das erste Kapitel, das sich der Vortrefflichkeit der Bienen widmet, mit der von Augustinus im Gottesstaat begründeten Topik des magnum in parve ein: „The Bee is a little creature, but Gods smallest springs prove at length main Oceans, his least beginnings grow into great works, great wonders.“ (S. 1) Gott, so das Argument, wirkt auch im Kleinsten und Allerkleinsten die größten Wunder.

Ein besonderes Augenmerk verdient das Kapitel VI über „Bees Politicks, Ethicks, and Economicks“, zumal sich dieses direkt auf den Titel des Werks bezieht. Die politische und soziale Ordnung der Bienen wird hierin als eine ideale monarchische Gesellschaftsform beschrieben, die derjenigen der Menschen weit überlegen sei. Nach einer Aufzählung der defizienten Aspekte der Arten und Weisen der Bestimmung des Herrschers in den menschlichen Gesellschaften (Wahl, Erbfolge, Los), wird den Bienen zugeschrieben, dass sie einen perfekten, naturrechtlich organisierten Staat realisierten. Über dessen „Commander“, also die Bienenkönigin, heißt es: „but by nature hath hee the Sovereignty over all, excelling all in goodliness, and goodness, in mildness, and majesty.“ (S. 17) Dieses Argument beruht freilich ebenfalls auf antiken Quellen und wird durch Verweise auf Plutarch und Vergil untermauert. In diesem Artikel kommen auch der sprichwörtliche Fleiß, die Sauberkeit und die Keuschheit der Bienen („yet whatsoever the Bees do in Venus service they act in secret, and far remote from the eyes and knowledge of all men“ (S. 19)) zur Sprache. Diese Aspekte liefern zum Teil schon die Grundlage für die theologischen und moralischen Meditationen des zweiten Teils. Nach dem Kapitel über die Fortpflanzung der Bienen, in dem er extensiv die unterschiedlichen und widersprüchlichen Gelehrtenmeinungen diskutiert, widmet sich Purchas in den folgenden beiden Kapiteln der Imkerei. Hierbei ist auffällig, dass einerseits die Literaturverweise auf ein Minimum reduziert sind, andererseits viele explizite Beschreibungen darauf hinweisen, dass Purchas sich mit der Praxis der Imkerei recht gut auskannte.

Bereits der erste Teil des Textes ist von Gesichtspunkten der Biene durchzogen, die den moralischen und theologischen Bereich berühren. Im zweiten Teil wird dieser moralische Bereich explizit, indem Aspekte der Biene in einzelnen, meist kurzen, Meditationen allegorisiert werden. Viele dieser Meditationen scheinen auf Purchas selbst zurückzugehen. Er verfährt dabei nach einem beinahe emblematischen Schema. So stellt er in der vierten und fünften Meditation die einzelne Biene bzw. ihre Schwäche dar (ein Topos der als una apis, nulla apis bereits im ersten Teil angesprochen wurde) und vergleicht ihn mit der Seele des Christen, der fern von Christus ist. Christus selbst sei der Bienenstock, der der Seele Kraft und ewiges Leben gebe (S. 304). Auch in diesen Meditationen spielt der Staat eine Rolle, so etwa wenn die Tugenden der Biene in die Gesetzmäßigkeit des Bienenstaats führen, das räuberische Verhalten der Wespen aber zwangsläufig zum Ruin des Staates führt (S. 259).

5. Kontext und Klassifizierung
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In seiner Zeit ist der Vater von Purchas als gelehrsamer Kompilator bekannt, sein Sohn folgt ihm mit seinem einzigen Werk über die Bienen in dieser Tradition nach (im 19. Jahrhundert kursierte gar die Meinung, er habe sich maßgeblich der unveröffentlichten Aufzeichnungen seines Vaters bedient, was aber bislang philologisch nicht verifiziert werden konnte). Das Buch gehört in genau diejenige Kategorie naturphilosophischer Werke, gegen die sich der seit Francis Bacon (1561-1626) aufkommende und mit Autoren wie Robert Boyle (1626-1691) und Robert Hooke (1635-1703) nach und nach institutionalisierende Empirismus wendet. Dieser Vorbehalt lag daran, dass sich jene in Frage gestellten Werke auf ein überkommenes Buchwissen stützen, das kommentiert und weitgehend unhinterfragt übernommen wurde. Zwar werden einige Passagen von Autoritäten wie Aristoteles auch bei Purchas angezweifelt, indem etwa bestimmte seiner Aussagen als Fabeln klassifiziert werden (S. 11), doch kommt es an keiner Stelle zu einer systematischen Neuordnung des Wissens über die Bienen, geschweige denn zu einer auf Experimenten fußenden Revision dieses bestehenden Wissens. A Theatre Of Politicall Flying-Insects ist 1657 erschienen, also drei Jahre vor Gründung der Royal Society durch Karl II. und acht vor dem Erscheinen des ersten Bandes der Philosophical Transactions of the Royal Society, eben jenem Organ, das — zunächst in Gelehrtenkreisen — für eine gewisse Verbreitung des Empirismus sorgte. Purchas’ Werk erscheint also genau in der Umbruchszeit, in der die Naturphilosophie den Status einer reinen, meist topisch festgelegten Hilfswissenschaft der Theologie und Moralistik verlässt und nach und nach eine autonome Position bezieht. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass ein weiterer der wichtigsten Autoren des Empirismus, nämlich der genannte Robert Boyle, die Naturphilosophie als Magd der Theologie beschreibt und jene bis zum Ende des 18. Jahrhunderts noch regelmäßig theologischen Argumenten zuspielt oder die Theologie als Legitimationsgrund des naturphilosophischen Tuns angibt oder vorgibt. Von diesen Diskussionen allerdings ist das Werk von Purchas weit entfernt, auch wenn er einige praktische Hinweise zur Imkerei gibt. Dieser war, wie viele Gelehrte seiner Zeit, als Pastor der anglikanischen Kirche tätig, und zwar in der Pfarre von Sutton in Essex. Der Wert des Phänomens der Bienen liegt — abgesehen von einigen praktischen Hinweisen hinsichtlich der Imkerei, der er wahrscheinlich selber nachging — für ihn nicht in den reinen Beobachtungen und Beschreibungen, diese sind für ihn vielmehr nur interessant in Hinsicht auf eine theologisch-moralische Applikation des Ganzen, wobei er einige seiner Meditationen möglicherweise in seine Predigten eingebunden hat.

Als symptomatisch für Samuel Purchas’ Zeit mag noch die Reaktualisierung der Wahrnehmung der Biene als zoon politikon gedeutet werden, als die sie schon bei Aristoteles und Plinius gedeutet worden ist. Der Band erscheint ein Jahr vor dem Tod Oliver Cromwells und die Frage nach der sozialen und politischen Struktur des Staates war nach dem Bürgerkrieg und in der Zeit des Lordprotektorats aktueller denn je; diese wurde auch 1651 von Thomas Hobbes im Leviathan diskutiert. Der Band von Purchas bietet aber keine weitergehende Diskussion dieses Zusammenhangs.

6. Rezeption
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Abgesehen davon, dass das Thema der Bienen als wohlgeordneter Staat oder sozialer Organismus sich von der Antike bis in das 20. Jahrhundert zieht, etwa bei Autoren wie Maurice Maeterlinck (1862-1949) oder Künstlern wie Joseph Beuys (1921-1986), und dass die Biene im christlichen allegorischen Zusammenhang generell eine bedeutende Rolle spielt, ist m.W. keine nennenswerte Rezeption des Theatre Of Politicall Flying-Insects bekannt.

7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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