Einführung

Anonym: Theatrvm Novellarum Mundi
Flemming Schock

1. Titel1
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Theatrvm Novellarum Mundi, Oder Schau-Platz Der Welt/ neuen sonderbahren traurig- und frölichen Begebenheiten; Mit beygefügter eigendtlicher Beschreibung der Tartarj/ und deß grossen Dnieper-Fluß. Dem curiosen Leser zur Nachricht und Belustigung/ mit schönen Mappen und Kupffer-Figuren vorgestellet. Augspurg/ Gedruckt bey Thomas Astaler/ in Verlag Jacob Enderlins/ Buchhandlers. M DC LXXXVI. Augsburg: Thomas Astaler, 1685. - Titelblatt (Kupfertafel), 77 pag. S., zahlr. Ill., 8°. [opac ↗536721157] [vd17 ↗12:646502B]

2. Verfasser
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Das Theatrvm Novellarum Mundi erschien anonym.

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Die erste Ausgabe erschien 1685 bei Thomas Astaler in Augsburg.


Standort des Erstdrucks

3.2. Weitere Ausgaben
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Eine zweite, textidentische – und offensichtlich stärker verbreitete – Ausgabe erschien 1686 im gleichen Verlag.

3.2.1. Digitale Ausgabe der Ausgabe von 1686
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4. Inhalt
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Die Vorrede an den „Gottliebenden Leser“ legitimiert die Publikation zunächst allgemein mit dem vermeintlichen Wissensdefizit über die „Welt-Händel“ allgemein: „Was gestalten aber die Zeiten/ und der Welt-Händel nacheinander sich verloffen und begeben haben/ ist nicht jedem bekandt“ (S. 1f.). Bitter erscheint vor allem die Einsicht, „daß die Menschen die Welt nicht theilen können/ immer einer mehr als der andere haben will“ (S. 2). Klar umrissen wird darauf der Berichtszeitraum des Theatrvm Novellarum Mundi. Hier greift der anonyme Autor auf die gängige Metaphorik des Welttheaters zurück: „Aniezo aber und in disem Tractätlein/ werden dem curiosen Leser allein vor Augen gestellet/ und als auf einem Welt-Schau-Platz präsentiret/ die merckwürdigste Begebenheiten dises annoch-lauffenden 1685. Jahrs“ (S. 3). Im Mittelpunkt des Jahres stehe jedoch vor allem ein Ereignis – die Einnahme der ungarischen Stadt Neuhäusel (heute Nové Zámky in der Südslowakei).

Der Haupttext beginnt mit einer knappen, allgemeinen historischen „Beschreibung der Neuhäusel“ (S. 4) im 16. Jahrhundert; eine Stadtvedute führt Neuhäusel nicht nur „im Prospect“ vor Augen, sondern auch als umkämpften Ort: Der Kupferstich zeigt die von Heeren belagerte und bestürmte Stadt. Das entscheidende Datum in der Vorgeschichte des Jahres 1685 wird auf S. 5 genannt: „1663. da der Türckische Groß-Vezier den 9. Augusti/ mit grosser Macht [...] auf die Vestung Neuhäusel zugezogen“; schließlich „fieng man an von Aufgab zu reden/ und von dem Groß-Veszier einen Ehr- und leidenlichen Accord zu begehren/ welcher auch von ihme unterschriben und besiglet wurde“. Mit dem Ergebnis, dass die Stadt „in deß Türcken Gewalt in die 22. Jahr lang“ (S. 7) lag. Die dann folgende Rückeroberung scheint unter göttlicher Regie zu stehen: „Weil aber Gott allem Zeit und Zihl setzet/ ist dergleichen hierinnen auch geschehen/ dann nun 3. Jahr hero Ihro Kayserl. Majest. Feld-Herr Ihro Durchl. Von Lothringen/ diesen Ort also beobachtet/ daß er wiederumb in Kayserl. Devotion gebracht werden möchte“ (S. 7). Noch deutlicher sieht der Autor den „Göttlichen Beystand“ (S. 8) in der Erstürmung und Eroberung der Festung am Werk. Die folgenden 12 Seiten des Theatrvm Novellarum Mundi greifen noch einmal zurück und rekonstruieren die Ereignis- und Entscheidungskette während der Belagerung im Stil einer protokollarischen, kleinteiligen Chronik: „Den 11. [Juli] ward Kriegs-Rath gehalten/ und resolvirt die Belagerung alles Ernst Fortzusetzen [...]. Den 13. Begaben sich 100. Mann auß der Vestung/ legten sich hinder die Pallisaden [...]“ (S. 10). Selbst kleinere Scharmützel und Einzelschicksale werden im Dienst einer möglichst glaubwürdigen und lückenlosen Berichterstattung eingefangen: „[...] wobey der Hr. Obrist Leutenandt de Alste mit einem Pfeil getroffen/ ein Fendrich und 18. Gemeine blesiert und erschossen worden“ (S. 11). Auch gegenüber den Türken zeigt sich der Stil dabei nüchtern: „Den 29. Nachmittags zwischen 2. Und 3. Uhren haben die Türcken angefangen/ auf die Chur-Bayrische Galleri starck mit Pfeilen zuschiessen“ (S. 15).

Ab S. 21 schließt sich – eingeleitet ebenfalls von einer Festungsvedute – der kurze Bericht über den Entsatz und die Schlacht bei der Stadt Gran (heute Esztergom) an. Auch sie endete mit einer Niederlage des osmanischen Heeres. Die anschließenden Abschnitte verfolgen den Rückzug der Türken: „Die flüchtige Feind wendeten sich von Gran auf Ofen“ (S. 25). Auch von Ofen (das heutige Budapest) liefert das Theatrvm Novellarum Mundi eingangs eine knappe Stadtbeschreibung. Da die Stadt erst 1686 – also ein Jahr nach Publikation des vorliegenden Textes – nach einer zweiten Belagerung von den Türken zurückerobert werden konnte, war dem Autor der Ausgang der Auseinandersetzungen noch nicht bekannt. Dank Gottvertrauen klingt er trotzdem zuversichtlich: „Die Stadt Ofen ist der Zeit noch so lang Gott will/ in Türckischem Gewalt/ vergangenen 1684. Ward sie von der Kayserl. Armee belagert/ weil es aber spat ins Jahr gienge/ konte dißmahl nichts fruchtbars verrichtet werden“ (S. 26). Von S. 27-30 schließt sich Abriss der „Einnahm/ Plünder-Abbrenn- und Zerstörung der Stadt Dubiza“ an.

Auch im Folgenden verbleibt das Theatrvm Novellarum Mundi im Rahmen der Großen Türkenkriege und berichtet von den Aktionen der Republik Venedig gegen das Osmanische Reich – zunächst von der Eroberung der Festung Coron im August 1685 (ab S. 31). Ab S. 37 folgt die militärische Aktion Venedigs gegen Morea, ein Herrschaftsgebiet der heutigen Peleponnes. Auch hier stehen einige Notizen zur Geographie und Lage am Anfang: „Dises Land Morea hält bey 180. Teutscher Meilen im Umkreis/ wo sie am längsten ist 58. und am breitesten 35. Ist ringsumb mit dem Egeischen-Mittel-und Ionischen Meer beschlossen“ (S. 37). Ab S. 40 kehrt der Text zurück nach Ungarn. Im Abschnitt „Essegger Brucken“ sind es die architektonischen Höchstleistungen der osmanischen Gegenspieler, die dem Verfasser trotz allem Respekt abnötigen. So habe „der Türck Solymann A. 1566. Über den Drau-Fluß/ durch 20000 Menschen innerhalb 32. Tagen die Brücke schlagen lassen oder erbauen lassen/ welche 8565. Schritt lang und 17. breit war/ so dass 4. Wagen nebeneinander fahren/ und man sonsten über 3. Meil wegs lang darauf gehen können/ dises herrliche Werck/ welches mehr einer Königlichen Gallerie/ als Brucken ähnlich gewesen“ (S. 40). Doch auch die Brücke wird zum Ort des Konflikts: „Es kam aber dises 1685. Jahr den 13. Augusti der Kayserl. Herr General Feldmarschall Leßlie mit einem Corpo auf den Esseger Feldern an/ jagte die Türcken über die Brücken/ die ihre Retirade nacher Griechischweissenburg/ so 2. Tag-Reisen von hier/ an der Donau gelegen/ nahmen“ (S. 41). Die kurze Beschreibung der Stadt „Eperies“ (S. 42f.) beschließt den Berichtsabschnitt über die Kriegsereignisse in Ungarn.

Ab S. 43 befasst sich das Theatrvm Novellarum Mundi mit England: „Nun wenden wir uns gegen Abend/ in das Königreich Engelland/ und dero Haupt-Stadt Londen zu besehen“ (S. 43). Auch hier steht die Politik im Fokus. Zunächst berichtet der Text vom Amtsantritt James’ II. (1633-1701) und geht dann zur Monmouth-Rebellion über, in der sich James Scott, Herzog von Monmouth (1649-1685) und illegitimer Sohn Karls II. (1630-1685), selbst zum König von England erklärte, von James II. letztlich jedoch hingerichtet wurde. Die Vorgeschehnisse und die Exekution Monmouths werden minutiös bis S. 53 protokolliert. Mit den kurzen Beschreibungen Londons und Edinburghs nimmt der Text anschließend weniger chronikalische denn topographisch-geographische Züge an, um ab S. 57 zu markanten Ereignissen im Deutschen Reich überzugehen. Den Anfang macht die „Entsetzliche Feuersbrunst“ am 6. August in Dresden, darauf folgt eine nur einseitige Beschreibung von „Neu-Dreßden“ (S. 61). Ab S. 66 wechselt das Theatrvm Novellarum Mundi zur titelgebenden Beschreibung des russischen Flusses Dnepr (hier noch unter der antiken Bezeichnung „Boristhenes“ geführt). Die nur in Umrissen entworfene geographische Beschreibung wird durch einfaches Kartenmaterial ergänzt. Darauf folgt erstmals ein explizit ‚ethnographisches’ Kapitel über die „Cosacken“ (ab S. 67). Anders als „ihre wilde Nachbarn die Tartarn“ (S. 67) erscheinen die Kosaken nicht als primitiv. Ab S. 70 folgt die weit weniger respektvolle Kurzbeschreibung der „Tartaren“ – „Sie verachten alle Menschen“ (S. 74) heißt es hier unter anderem. Es schließt sich eine gedrängte Beschreibung samt Abbildung der Hafenstadt „Kaffa“ (S. 75) (heute Feodossija) auf der Krim an. Das Theatrvm Novellarum Mundi endet mit einem Bericht über die Einnahme einer weiteren Festung durch die christlichen Heere (S. 76) und der Ankündigung baldiger Fortsetzung (zu der es allerdings nicht mehr kam): „Nechst geliebt es Gott/ wird continuation erfolgen/ benebens eigendlicher Beschreibung/ der Wallachi/ Moldau/ Ukraine/ und deß starcken bey Caminieck vorüber ins schwartze Meer lauffenden Niester-Fluß“ (S. 77). Eine „Kurtze Anweisung der Materien“ erleichtert dem Leser die Erschließung des kleinen Bandes.

Zum Inhalt und zur Beschreibung des zweiten Bandes siehe hier.

5. Kontext und Klassifizierung
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Für das Theatrvm Novellarum Mundi lassen sich zwei (Publikations-)Kontexte benennen. Zunächst ist das bündige Werk Teil der umfangreichen politischen Publizistik und (Jahres-)Chronistik des 17. Jahrhunderts. Im Dienste einer Zeitgeschichtsschreibung betrieb diese überwiegend eine Zweitverwertung von zuvor in Zeitungen, Flugschriften und Flugblättern verbreiteten Nachrichten und offiziellen Dekreten, deren genaue Quellen dabei überwiegend ungenannt blieben. Das populärste – und mit Abstand langlebigste Beispiel – dieser chronikalischen Nachrichtensammlungen des 17. und 18. Jahrhunderts ist das Theatrum Europaeum (1633-1738). Das kleinformatige Theatrvm Novellarum Mundi gehört demgegenüber dem Kleinschrifttum an; überdies unterscheidet es sich vom Theatrum Europaeum durch einen weiteren Aspekt: Während Merians Großchronik die zentralen Ereignisse auf der ‚Bühne Europas’ narrativ verdichtet und verknüpft, reiht der vorliegende Text das Geschehen größtenteils unkommentiert aneinander und zeigt sich in dieser nüchternen Rekonstruktion nahe an seinen Quellen. Eine kontextualisierende Erklärung, die die Ereignisse in größere historische Zusammenhänge rückt, war eine zentrale Medienfunktion der die Tagespresse begleitenden Chronistik – hier jedoch unterbleibt sie. Insofern darf davon ausgegangen werden, dass das knappe Augsburger Bändchen ohne großen Aufwand kompiliert wurde.

Bevorzugtes Thema der periodischen Nachrichtenpresse waren die Politik und besonders der Krieg. Hier liegt der Anknüpfungspunkt an den zweiten der oben angesprochenen Publikationskontexte: Im Zusammenhang der Theatrum-Literatur ist das Theatrvm Novellarum Mundi dem Korpus der Kriegstheatra zuzuordnen, wenngleich der vergleichsweise unmartialische Titel lediglich neue sonderbahre traurig- und fröliche Begebenheiten ankündigt (die „fröhlichen“ Ereignisse finden sich an keiner Stelle). Konkreter Anlass der Publikation ist immerhin einer der entscheidenden Wendepunkte im Konflikt des Osmanischen Reiches mit dem christlichen Europa (in den so genannten Türkenkriegen): Im Zuge der türkischen Niederlage nach der zweiten Belagerung Wiens (1683) gründete sich unter der Führung von Leopold I. (1640-1705), dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die „Heilige Allianz“, ein Bündnis gegen die Osmanen, dem Venedig, Polen-Litauen, Russland (ab 1686) und einige andere Länder angehörten. Die erfolgreiche Gegenoffensive brachte wichtige, vor allem symbolisch bedeutende Siege ein, darunter 1685 die Rückeroberung der Festung Neuhäusel, die über 20 Jahre von den Türken gehalten wurde. War die christliche Rückeroberung Ungarns ohnehin schon eines der größten Medienereignisse für die zeitgenössische Presse, so galt dies besonders für die Erstürmung von Neuhäusel, die – gerade auch medial – wie ein Fanal wirkte: Das Theatrvm Novellarum Mundi gehört zu einer ganzen Flut an publizistischen Drucken, die das Geschehen vor und nach Eroberung der Festung erschöpfend abbilden und für den curiosen Leser aufbereiten (Allein das VD17 weist mehrere Dutzend ‚Journale’, ‚Diarien’ und Berichte mit Bezug auf Neuhäusel nach). Trotzdem geriert sich das Theatrvm Novellarum Mundi nicht als eine christliche Propagandaschrift: In der sachlichen Schilderung des Kampfes um Neuhäusel – und auch in anderen Passagen – findet sich weder ein triumphaler noch ein polemischer Tonfall. Mehr noch: Gerade durch die milde Äußerung im Vorwort wirkt der Text geradezu wie ein Vertreter der Friedenspublizistik: „daß die Menschen die Welt nicht theilen können/ immer einer mehr als der andere haben will“ (S. 3) – Krieg, gleich von welcher Seite, erscheint als Resultat menschlicher Habgier.

Dadurch, dass in die Berichtspassagen über die kriegerischen Konflikte in Osteuropa, Südosteuropa und England immer wieder Städtebeschreibungen und – mit Blick auf die titelgebende Tartarei – auch ethnographische Informationen eingestreut werden, knüpft das Theatrvm Novellarum Mundi zudem an das weite Feld geographischer, ethnographischer und topographischer Nachschlagewerke der Frühen Neuzeit an.

6. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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1Grundlage der Zitate sowie der formalen und inhaltlichen Beschreibung ist der erste Band der Ausgabe von 1686. Zum zweiten Band siehe den Repertoriumsbeitrag von ↗Pabst.
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