Einführung

Joachim von Sandrart: Des Alten und Neuen Roms Grosser Schau-Platz
Anna Schreurs-Morét

1. Titel1
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Des Alten und Neuen Roms Grosser Schau-Platz: Oder Wahre und eigentliche Abbildung derjenigen Welt-Stadt/ samt ihren nach und nach vermehrten antichen / unterschiedlichen Tempeln/ Heydnischen Götzen-Bildern/ Renn-Plätzen/ Spiel-Häusern/ Triumph-Bögen/ Spatzier-Gängen/ Bilder-Säulen/ Begräbnüssen; absonderlich der vortrefflichsten neuerbauten Kirchen/ Paläste/ Lust-Statt-Raths und anderer vornehmen Herren Häuser/ samt mehrern Denkwürdigkeiten in Kupfer-Stücken bestehend und alles nach der Edlen Architectur und Perspectiv Grundrichtigen Kunst-Regeln ordentlich verfasset/ Durch sonderbahren Fleiß und Beysorge Joachims von Sandrart/ Hochfürstl. Neuburgischen Raths/ Venetianischen Ritters S. Marci, und in dem Hochlöbl. Palmen-Orden beygenamset Deß Gemeinnützigen. Nürnberg/ Gedruckt bey Christian Sigmund Froberg/ In Verlegung deß Autoris. Im Jahr Christi/ M. DC. LXXXV. Nürnberg: Froberg, 1685. - Titelblatt (Kupfertafel), 71 Ill., 2°. [opac ↗605325030] [vd17 ↗23:300768B]

2. Verfasser
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Joachim von Sandrart (Frankfurt/Main 1606 – Nürnberg 1688) war zu Lebzeiten nicht nur als bedeutendster deutscher Maler bekannt, als ‚Teutscher Apelles’, sondern auch als Autor und Kunstsammler. Während sein Ruhm als Maler im Laufe der Jahrhunderte abnahm, gilt er heute noch als wichtigster deutscher Kunstschriftsteller zwischen Dürer und Winckelmann: Zwischen 1675 und 1680 publizierte er im Selbstverlag auf eigene Kosten die Teutsche Academie der Edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste in mehreren Bänden. Die darin enthaltenen Künstlerviten trugen ihm den Ehrentitel eines „deutschen Vasari“ (Niedermayer, S. 133) ein: In seine Ausführungen über Barockkünstler wie Nicolas Poussin, Claude Lorrain, Peter Paul Rubens und Adam Elsheimer integrierte er eigene Erlebnisse und Beobachtungen. Zudem publizierte er als Erster Manuskripte aus der Hand Albrecht Dürers und übermittelte Aussagen seiner Zeit zu Matthias Grünewald.

Prägend für seine Kunstanschauungen war ein Romaufenthalt von 1629 bis 1635. Seine Reise hatte ihn über Venedig und Bologna in die ewige Stadt, das barocke Kunstzentrum Europas geführt. Dort studierte er die Werke berühmter Zeitgenossen, darunter Pietro da Cortona und Gianlorenzo Bernini, ebenso intensiv wie die antiken Ruinen und Skulpturen. Im Palast des Marchese Vincenzo Giustiniani betreute er ab 1632 dessen umfangreiche Antikensammlung und organisierte die Publikation der Galleria Giustiniana: Für dieses umfangreiche Konvolut von Kupferstichen nach den Antiken der Sammlung lieferten neben Sandrart selbst verschiedene Stecher wie Theodor Matham und Cornelis Bloemaert zeichnerische Vorlagen.

An seinen späteren Wohnsitzen Amsterdam, Stockau bei Ingolstadt, Augsburg und Nürnberg pflegte der Maler, der 1653 den Titel eines Pfalz-Neuburgischen Rates erhalten hatte, Beziehungen zu hochrangigen Persönlichkeiten und Mäzenen. Daneben war der calvinistische Künstler freundschaftlich und intellektuell mit zahlreichen Dichtern und Literaten wie Sigmund von Birken und Georg Philipp Harsdörffer verbunden. Der Publikation des ersten Hauptteils seiner opulenten, reich mit Kupferstichen ausgestatteten Teutschen Academie verdankte er schließlich die Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft unter dem Mitgliedsnamen ‚der Gemeinnützige’. Die Abfassung der weiteren Bände bis 1680 wurde flankiert von den Gründungen der Kunstakademien in Nürnberg (1662) und Augsburg (1670), an denen Sandrart maßgeblich beteiligt war.

Bereits im Vorwort des letzen Academie-Bandes, der Iconologia deorum, oder Abbildung der Götter, welche von den Alten verehret worden (Nürnberg 1680) kündigte Sandrart eine lateinische Übersetzung seiner Schriften an, die er mit dem großen Interesse begründet, das seine Publikation bei Kunstliebhabern und Künstlern in verschiedenen europäischen Ländern gefunden habe: „Letzlich ist noch zu berichten/ wie daß von Hohen und andern Liebhabern in Italien/ Franckreich/ Engeland und Niederland/ unser Academie Bücher (aber von jedem in seiner eignen Sprache) inständigst begehrt worden: oder ich wolte ihnen die Kupfer verkauffen/ welches aber mir unthunlich seyn will; deßhalben mich resolviren müssen/ solche unsere 3. Academie-Bücher nach und nach in Lateinischer Sprache [...] den Ausheimischen zu gefallen an Tag zu geben“ (Vorrede, unpag.).

Der Gliederung der Teutschen Academie entsprechend nach den drei Gattungen sortiert und unter Wiederverwendung der Kupferplatten publizierte Sandrart noch im gleichen Jahr, 1680, die Sculpturae veteris admiranda mit den Kupferstichen nach antiken Statuen. Es folgten 1683 in der Academia nobilissimae artis pictoriae die theoretischen Kapitel zur Malerei und die Viten; 1684 erschien schließlich, wie die anderen Werke in Nürnberg, der lateinische Band über die Architektur, Romae antiquae et novae theatrum.

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Erschien 1684 bei Sigmund Froberg in Nürnberg. Die deutschsprachige Übersetzung erschien 1685 ebenfalls bei Froberg. Ein zweiter Teil erschien 1694 im gleichen Verlag unter dem Titel Anderer Theil Des grossen Schau-Platzes/ Von dem Alten und Neuen Rom/ Oder Eigentliche und zuverlässige Abbildung der fürnehmsten so wohl Alten als Neuen Kirchen-Gebäuen.


Standorte des lateinischen Erstdrucks

3.2. Weitere Ausgaben
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3.2.1. Digitale Ausgabe
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4. Inhalt
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Bei Joachim von Sandrarts Des Alten und Neuen Roms Grosser Schau-Platz handelt es sich um eine Übersetzung des oben genannten lateinischen Bandes zur Architektur, den der Maler 1684 in Nürnberg publiziert hatte.

Die lateinische, für Kunstinteressierte im Ausland konzipierte Ausgabe umfaßte alle Tafeln zur Architektur, die Sandrart auch im 2. Hauptteil seiner Teutschen Academie von 1679 herausgebracht hatte. Den Tafeln vorangestellt war, wie nun auch im Des Alten und Neuen Roms Grosser Schau-Platz, eine Vorrede an den „Edle[n] und Hochgeneigte[n] Kunst-Liebhaber“, in dem die Ziele der Publikation klar benannt sind: Da in der Antike die Baukunst durch ihre vortreffliche und vorbildliche Form hervorgetreten sei und seit circa 150 Jahren (gerechnet vom Erscheinen des Bandes aus meint Sandrart die Zeit ab ca. 1530, also die Hochrenaissance) einige Architekten in Italien „viel Majestätische Gebäude“ (Vorrede, unpag. [S. 1]) geschaffen hätten, könnten diese Bauwerke zusammen als eine „Kunst-Academie der perfecten Architectur“ (Vorrede, unpag. [S. 1]) bezeichnet werden. Es folgt die in vielen Vorreden von Stichwerken nach Antiken verwendete Erklärung, man habe die Werke nun in Buchform zusammengetragen, da nicht alle Kunst-Liebhaber die Gelegenheit hätten, die vorbildlichen Gebäude selbst in Augenschein zu nehmen: „So habe ich dannenhero Ursach genommen / denenselben vermittelst 46. antiche und 44. moderne in Kupfer gebrachte Figuren und wahre Abbildungen / zu ihren Augen ganz correct vorstellig zu machen.“ (Vorrede, unpag. [S. 1])

Dem Titelblatt vorgeordnet ist ein doppelseitiges Frontispiz, das plakativ in den Band ‚hineinführt’ und den Titel illustriert: Der Leser schreitet gewissermaßen über eine breite Treppenanlage hinauf auf einen bühnenartigen, von einem Arkadengang umsäumten Schauplatz, in dessen Zentrum ihn ein statuenbekröntes Monument mit Inschriften des Publikationstitels empfängt. Durch die Bögen des Wandelganges im Hintergrund werden einige Gebäude sichtbar, die wohl als Hinweis auf die Stadt Rom, deren vorbildliche Architektur es zu entdecken gilt, verstanden werden können.

Es folgen 16 paginierte Seiten mit Erklärungen zu den Kupfertafeln, die sich im Inhalt exakt mit den 15 Seiten der lateinischen Ausgabe decken. In entsprechend den Tafeln durchnummerierten Passagen werden die im Folgenden wiedergegebenen Rekonstruktionen antiker sowie Aufrisse und Schnitte moderner Paläste erläutert.

In der Abfolge der Kupferstiche betont Tafel I die besondere Bedeutung der Stadt Rom, indem das Standbild der bronzenen Wölfin mit Romulus und Remus, das heute noch auf dem Kapitolshügel zu Seiten des Kapitolinischen Palastes zu sehen ist, in monumentalisierter Form vor einer mit Kaisermedaillons geschmückten Palastfassade den Leser empfängt. Die Reihe der Tafeln wird weiterhin strukturiert durch zwei Karten: Diejenige der antiken Stadt Rom, gestochen nach einer Vorlage des Antiquars Pirro Ligorio von 1553 (Bogen/Thürlemann, Nr. 16, S. 84-90), steht am Anfang der Stichserie mit den antiken Gebäuden. Die Triumphbögen, Ehrensäulen, Obelisken und Tempel sind teils als Ruinen, teils in rekonstruierter Form gezeigt, einzig beim Mausoleum des Hadrian wird die Engelsburg als zweite Abbildung hinzugefügt, um das antike und das aktuelle Erscheinungsbild vorzuzeigen. Eine kartographische Darstellung der ewigen Stadt des 17. Jahrhunderts, gestochen nach der Vorlage des berühmten Plans, den Giovanni Battista Falda 1667 bei Giovanni Giacomo de’ Rossi publiziert hatte (Bogen/Thürlemann, Nr. 22, S. 120-122), leitet zu den modernen Architekturen über. Vom Tempietto Bramantes zieht sich hier der Bogen über die Paläste auf dem Kapitol bis hin zu den großen Stadtpalästen der römischen Familien wie Borghese, Altieri, Giustiniani, Mattei etc. Anders als im Architekturband der Teutschen Academie von 1679, den einige Kupfertafeln mit barocken Brunnenanlagen abschließen, sind in der lateinischen Ausgabe und entsprechend im Des Alten und Neuen Roms Grosser Schau-Platz weitere Paläste aufgeführt (zu den zusätzlichen Tafeln Klemm, S. 335).

Während die Texte zu den antiken Gebäuden gleichmäßig lang sind und kompilierend aus der zeitgenössischen, antiquarischen Literatur viel Wissenswertes zusammengetragen wurde, finden sich bei den ‚modernen’ Gebäuden oft nur knappe Bemerkungen, in denen der Besitzer, der Standort sowie der Architekt genannt werden. Nur einzelne Bauwerke, zum Beispiel der Palazzo Farnese in Caprarola von Vignola (der sich einige Kilometer außerhalb der ‚Schaubühne’ Rom befindet!) werden mit detailreichen, die Stiche in ihrer vorbildhaften Aufgabe unterstützenden Beschreibungen der Bauwerke versehen. Bei diesen Bauten vermögen Grundriss und Aufriss von der äußeren Fassade als auch von der Gartenseite eine recht genaue Vorstellung der Architektur zu vermitteln.

Auch wenn der Autor während seines römischen Aufenthalts die antiken Statuen und Bauwerke studierte, geht keine der Abbildungen auf seine eigenen Studien zurück. Die Darstellungen der antiken Architekturen orientieren sich an Vorlagen, die in den berühmten Stichwerken und Publikationen von Antoine Lafrery, Etienne Duperac, Alessandro Donati und Sebastiano Serlio veröffentlicht worden waren (Frommel). Die Tafeln mit den römischen Palästen wiederholen Giovanni Battista Faldas nach Pietro Ferrerio gestochenen Palazzi di Roma de‘ più celebri architetti, die Giovanni Giacomo de‘ Rossi um 1660 in Rom herausgebracht hatte.

Sehr viel eigenständiger ist vor dem Hintergrund dieser aus anderen Stichwerken kopierten Gebäudedarstellungen die Tafel II. Des Alten und Neuen Roms Grosser Schau-Platzes, in der Ruinen und Figurenfragmente zu einer Szene mit allegorischem Sinn zusammengefügt sind. Der Stich zeigt eine pittoreske Komposition aus männlichen und weiblichen Torsi, Köpfen und Büsten antiker Statuen. Aus diesen ragt die ebenfalls als Torso wiedergegebene ‚zeitgenössische’ Statue der Heiligen Susanna von François Duquesnoy, einem Freund Sandrarts in den römischen Jahren, heraus. Sie weist geradezu symbolhaft auf Sandrarts Auffassung hin, nach der vortreffliche Kunst nur durch enge Orientierung an den antiken Meisterwerken zu schaffen sei. Eigentliches Thema des Blattes ist jedoch, wie es die Inschrift auf dem Architrav einer fast im Schutt der Jahrhunderte versunkenen Tempelruine zu verstehen gibt, die glanzvolle Herrlichkeit der ewigen Stadt Rom, die selbst noch in ihren Fragmenten zu erkennen ist (Eintrag zu diesem Kupferstich im Kunstwerkindex der Online-Edition von Joachim von Sandrarts Teutscher Academie).

Desweiteren ragt der Kupferstich auf Tafel IIII als eigenständig und ungewöhnlich aus den Abbildungen heraus. Sandrart verleiht darin einer ägyptischen Statue, die zu seiner Zeit in Rom gefunden wurde, eine angemessene Umgebung und Ausstattung, in dem er sie mit einer ägyptisierenden Nische umgibt und ihr zwei Priester flankierend zur Seite stellt (zur Identifizierung der Statuen siehe den Eintrag zu diesem Kupferstich im Kunstwerkindex der Online-Edition von Joachim von Sandrarts Teutscher Academie und Schreurs, S. 250-254).

5. Kontext und Klassifizierung
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Sandrarts Des Alten und Neuen Roms Grosser Schau-Platz bietet zwar für den an kultureller Bildung interessierten Leser der damaligen Zeit die Möglichkeit, sich antike und moderne Bauwerke der ewigen Stadt vor Augen zu führen und den eigenen Horizont dadurch zu erweitern. Sie gehört damit im weitesten Sinne zur Gattung der Reiseliteratur, spiegelt sie doch auch Erfahrungen und Eindrücke des Malers, die er während seiner Italienreise gesammelt hatte. Doch begründet sich der Band letztlich in denjenigen Zielen, die Sandrart auch mit der Publikation seiner Teutschen Academie verfolgt hatte: Die Bände sollten den Künstlern Vorbilder für das eigene Kunstschaffen präsentieren, wie sie ebenso das Auge des möglichen Auftraggebers und Kunstförderers erfreuen und darüber hinaus auch schulen sollte. Der im Verhältnis zu den Tafeln sehr schmale und auf Erläuterungen reduzierte Text läßt die Publikation eher mit Stichwerken vergleichen, wie sie von Antoine Lafrery und vor allem dem Verlagshaus der De‘ Rossi in Rom herausgegeben wurden (Haskell, S. 11f.). Der Begriff der ‚Schaubühne’ als Übersetzung des lateinischen Titels Theatrum korrespondiert bei Sandrarts Publikation folglich mit dem ebenfalls in Werken des 17. Jahrhunderts weit verbreiteten Begriff der „Lehr-Schrift“, denn als „Kunst-Academie“ der vortrefflichen Architektur, als Theatrum also, das der Unterweisung dient, bezeichnet er seine Publikation im Vorwort selbst.

6. Rezeption
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Johann Jacob von Sandrart, der Großneffe des Autors der Teutschen Academie, verwendete Sandrarts Kopien nach Faldas römischen Palästen für seine Publikation Palatiorum Romanorum à Celeberrimis sui aevi Architectis erectorum (3 Teile, Nürnberg 1694) und ergänzte sie mit Stichen nach Villen des Andrea Palladio (hierzu Oechslin). Die Illustrationen zur modernen Architektur waren, mehr noch als die Tafeln zur antiken Baukunst, ganz offensichtlich diejenigen, die bei den Zeitgenossen auf das größte Interesse stießen (mit weiterführender Literatur Klemm, S. 335).

7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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1Grundlage der Zitate sowie der formalen und inhaltlichen Beschreibung ist die deutsche Ausgabe von 1685.
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