Einführung

Meletaon (Johann Leonhard Rost): Schau-Platz Der Galanten und Gelährten Welt
Christian Meierhofer

1. Titel
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Schau-Platz Der Galanten und Gelährten Welt/ Welcher Die mancherley Begebenheiten auf Universitäten In einem Roman fürstellet/ Und Einen jungen Menschen erinnert/ wie er sich an demselbigen spiegeln soll/ damit er auf Academien Geld und Zeit vernünfftig anwenden/ und von denselbigen mit Nutzen nach Haus gehen kan; In Zweyen Theilen Schertz- und Ernsthafft eröffnet von Meletaon. Nürnberg/ In Verlegung Johann Christoph Lochners/ Buchhändlers. Gedruckt bey Georg Christoph Lochner, An. 1711. Nürnberg: Lochner, 1711. - Titelseite (doppelseitige Kupfertafel), 1. Teil: Zuschrifft: 8 unpag. S., Vorrede: 14 unpag. S., Hauptteil, 504 pag S.; 2. Teil: neues Titelblatt, Zuschrifft: 6 unpag. S., Vorrede: 8 unpag. S., Hauptteil, 591 pag. S.; außer Frontispiz (Kupfertafel) keine Ill., 8°.

2. Verfasser
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Bei Meletaon handelt es sich um ein Pseudonym des Romanschriftstellers und Astronomen Johann Leonhard Rost, der am 14. Februar 1688 in Nürnberg geboren und dort – im Alter von nur 39 Jahren – am 22. März 1727 gestorben ist. Bereits vor seinem Studium der Philosophie, Jurisprudenz und Mathematik, das er zwischen 1705 und 1712 in Altdorf, Leipzig und Jena absolvierte, konnte er Georg Christoph Eimmart (1638-1705), dem Gründer der Nürnberger Sternwarte, „in Praxi astronomica öffters einige Beyhülffe“ (Doppelmayr, S. 151) leisten. Parallel zu seinen Studien verdiente Rost sein Geld mit dem Schreiben von Romanen, die er unter dem erwähnten Pseudonym und in Anlehnung an Talander (August Bohse, 1661-1740) und Menantes (Christian Friedrich Hunold, 1670-1721) publizierte. In kurzer Folge erschienen Die getreue Bellandra, Die Unglückseelige Atalanta (beide 1708), Die Türckische Helena (1710), Der Verliebte Eremit und eben der Schau-Platz der Galanten und Gelährten Welt (beide 1711). Noch im selben Jahr wird die Liebes-Geschichte der Printzessin Normanna veröffentlicht, ein Jahr darauf Die Durchlauchtigste Printzessin Tamestris (Dünnhaupt, S. 3503-3505; Gaab/Simons 2008, S. 116f.). Diese Texte stehen in der unmittelbaren Nachfolge der beiden großen Vorbilder Bohse und Hunold und auch von Ziegler und Kliphausens wirkungsmächtigem Roman Die Asiatische Banise in seinen Ausgaben von 1689 und 1707 (Gelzer 2007, S. 316-323). Doch erst nach Beendigung seiner Romanproduktion und mit der Wiederaufnahme seiner wissenschaftlichen Arbeit in Nürnberg gewann Rost an Bedeutung. Sein Astronomisches Hand-Buch (1718), „darinnen hundert astronomische Problemata solviret zu finden“ (Doppelmayr, S. 152), gilt als eines der ersten auf diesem Gebiet und wurde bis in die 1770-er Jahre aufgelegt.

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Erschienen 1711 bei Johann Christoph Lochner in Nürnberg. Der Roman erschien ohne Vorrede zudem unter dem Titel Die Liebenswürdige und Galante Noris, in einem Helden-Gedichte der curieusen Welt zur Lust und Ergötzung auffgeführet von Meletaon. Leipzig/ Jm Verlag Johann Ludwig Gleditsch und M. G. Weidmanns/ 1711.


Standorte des Erstdrucks

3.2. Weitere Ausgaben
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Eine zweite Auflage mit gleicher Kollation ist 1712 bei Johann Christoph Lochner in Nürnberg erschienen. Diese Ausgabe ist an sehr vielen Bibliotheksstandorten greifbar.

3.2.1. Mikroform-Ausgabe der zweiten Auflage 1712
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Harold Jantz Collection, Sign. no. 2148, reel 444

3.2.2. Digitale Ausgaben
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  • Google ebooks 2009. Vorlage: Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München, Sign. P.o.germ. 1180 l.

4. Inhalt
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Folgt man den Hinweisen des Titels und der Vorrede, bezweckt Meletaons Roman eine Unterhaltung des Lesers wie auch eine Anleitung für (angehende) Studenten, wie sich diese auf der Universität bzw. während des Studiums richtig, d.h. vernünftig, verhalten sollen. Damit erfüllt sich vordergründig die frühneuzeitlich wichtige poetologische Maßgabe des prodesse et delectare. Hinzu kommt jedoch, dass der Text selbst unter den Bedingungen von Studium und Universität entsteht. Die Zuschrift richtet sich an die „in Jena studirende Nieder-Hessische Landsmannschafft“ („Zuschrifft“, unpag. [S. 1]) und hier zuallererst an den Juristen Johann Dönch, der 1712, ein Jahr nach dem Erscheinen des Romans, seine Dissertatio inauguralis juridica de dote mulierum privilegiata vorlegt. Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Arbeit muss Rost für seinen Roman aber konstatieren, er habe „alles mit flüchtiger Feder entwerffen müssen“ und „die Poëtischen Einfälle“ in der Gesellschaft seiner Kommilitonen „mit keiner solchen Acuratesse ausarbeiten können/ als es billich seyn sollen“ („Zuschrifft“, unpag. [S. 5]). Dieses Zugeständnis an einen schnellen Publikationsrhythmus erklärt letztlich auch die erzählerische Machart des Textes, der sich an ein Publikum wendet, das „nach der jetzigen Mode lieber was Neues als was Altes höret“ (Teil II, S. 367).

Zentral für die Handlung und die Darstellungstechnik der beiden voluminösen Romanteile ist die Präsentation einer Fülle von Figuren, die vor allem dem universitären Bereich entstammen und besonders den jungen Lesern „einen Entwurff von der Academischen Lebens-Art“ (Teil I, „Vorrede“, unpag. [fol. )( 4v]) geben sollen. Es werden dutzende Personengruppen additiv eingeführt, die – zumindest der Vorrede nach – dazu bestimmt sind, als positive oder negative Exempel zu fungieren. Die Schauplatzmetaphorik bietet für solche Schreibintention das passende begriffliche Bezugsfeld: „Was aber sonsten die Materie und die Invention von dem Schau-Platz betrifft/ so ist das Allermeiste davon aus meinem Gehirne erdichtet/ und das Wenigste in der That geschehen/ so daß ich nichts anders damit exprimiren wollen/ als die vielfältigen Schwachheiten und Laster/ davon man heut zu Tage/ auf mancher Universität/ einen sonderlichen Staat machet/ oder sich wol gar damit in Renommeè setzen will.“ (I, „Vorrede“, unpag. [fol. )( 2r]) Im zweiten Teil heißt es außerdem: „eine Universität ist wie ein Opern- oder Comödien-Haus/ auf deren Schau-Platz neue Begebenheiten præsentiret werden/ die unterschiedliche Arten der Leute/ und die Mannigfaltigkeit der Gemüther/ die bald zu diesen/ bald zu jenen geneiget/ die suchen entweder eine Ergötzlichkeit oder stellen doch was an/ worauf man/ mit mehr als gemeinen Augen/ Achtung geben muß.“ (II, S. 127) Die vorgeführten Geschichten sind dem Muster der antiken Schulrhetorik gemäß zumeist historiae, zu denen es jedoch keinerlei Hinweise auf Textquellen gibt, oder argumenta, also entweder tatsächlich vorgefallene oder zumindest denkmögliche Begebenheiten. Zudem sind die Geschichten mit einer illustrativen Funktion versehen. Mit der Fülle der Erzählgegenstände (copia rerum) entfaltet sich nach und nach ein ganzer Lasterkatalog, mit dem das Fehlverhalten der Figuren zum einen differenziert benannt werden kann, zum anderen für die Varianz der Geschehnisse sorgt. Zwar ist eine Anordnung (dispositio) nach dem barocken Modell der loci communes nicht mehr erkennbar; gleichwohl ergeben sich im Fortgang des Erzählens durch die Technik der Häufung (coacervatio) und Reihung (enumeratio) thematische Schwerpunkte, die topischen Charakter gewinnen. Auch wenn vor allem im zweiten Teil Figurenhandlungen noch einmal aufgenommen und fortgeführt werden, hat die Abfolge der Begebenheiten keine erzähllogischen oder strukturellen Konsequenzen (im Sinne eines Höhepunktes oder Spannungsbogens etwa). Der Roman legitimiert sich als solcher allein über die Vielzahl und die Varianz seiner Gegenstände. Geboten werden immer wieder und fast ausschließlich Fälle zwischenmenschlichen Betrugs, Eifersucht, Ehebruch, studentische Spiel- und Trinksucht sowie außer- oder uneheliche Wollust als Affekthandlung, die meist mit den Begriffen der „Liebes-Avanture“ (I, „Vorrede“, [fol. )( 3r]), des Hofierens oder ‚Courtisierens’ sowie des Verführens zu körperlichen Ausschweifungen bzw. des Um- und Abwerbens von Partnern oder ‚Debauchierens’ gefasst werden.

Erzählstrategisch signifikant beim Darbieten der Begebenheiten sind die zahlreichen in Fettdruck erscheinenden Kommentierungen, die so genannten Maximen. Allerdings verhindert die Unzahl der Kommentare einen Einsatz als permanent geltende und allein auf die Besserung des Lesers zielende praecepta oder regulae im traditionellen Sinne. Stattdessen werden diese intentional frei verfügbar, auch weil die Figuren sie situationsbezogen und für ihre Belange aufrufen können. Bereits in der ersten Liebesgeschichte, in der Partenio versucht, die in Selander verliebte Almire für sich zu erobern, heißt es demzufolge von „der Verliebten Staats-Regul“: „Wer bey der Tochter/ oder Jungfer/ in dem Haus/ Amour suchet/ muß nur mit der Mutter und der Magd gute Freundschafft halten/ die erstere vergönnet den Zuspruch/ und die abgezielte Conversation, die andere aber hat bißweilen den Schlüssel zum Haus und zu ihrer Jungfer Schlaff-Zimmer/ da dann der Herr Urian durch diesen Pförtner manche geheime Audientz erlangen kan.“ (I, S. 27) Derartige Kommentierungen weisen auf keinen religiös fundierten Sinnzusammenhang mehr, sondern auf soziale Verhaltensregeln, erzeugen zumeist aber eine je eigene Evidenz, auch wenn viele Geschichten inhaltlich große Ähnlichkeit besitzen. Ist eine einheitliche Funktionsgebung im Sinne der persuasio und des docere für die Vorrede noch mehr oder minder gegeben, zielen die erzählten Begebenheiten mehr und mehr auf die kurzweilige Lektüre, dem die eingefügten Maximen wiederum mit einem mal spitzfindig-arguten, mal restriktiv-kritischen Duktus begegnen.

Die so vorfindbare Diskrepanz zwischen einem regelgeleiteten, frühaufklärerischen Vernunftplan, der in den Kommentaren zum Ausdruck kommt, und den davon abweichenden, auch disparaten Geschehnissen zeugt mehrfach davon, wie stark etwaige Belehrungsabsichten und Tugendforderungen unterlaufen werden. Das Divergieren von moralischer Didaxe und konkreter Handlung, das sich für den Roman im nichtkongruenten Verhältnis von Schreibintention und textueller Umsetzung abzeichnet, ist jedoch nicht allein ein Merkmal der von Rost gesammelten und meist erfundenen Einzelfälle, sondern ein Phänomen des institutionalisierten Gelehrtentums im frühen 18. Jahrhundert überhaupt. Die Zuschrift zum zweiten Teil stellt dies unzweideutig heraus: „Universitäten sollen Sitze der Tugenden und der freyen Künste seyn/ allein ob man ihnen in der That den Nahmen geben kan/ davon wäre vieles zu reden“ (II, „Zuschrifft“, unpag. [fol. )( 3r]). Ein Topos, den der Roman in diesem Zusammenhang bedient, ist der Generationenkonflikt zwischen Eltern und Kindern, der aus der Verschwendungssucht der Zöglinge resultiert. So zeigt sich Rosantes’ Vater in einem Brief an seinen Sohn erbost über den Umgang mit finanziellen Zuwendungen, die eigentlich für das Studium vorgesehen sind: „HEist dann das auch studiret/ wann man auf Universitäten weiter nichts thut/ als debauchiret/ frist und säufft/ Schulden machet/ und hernach/ wann es soll bezahlet werden/ die Creditores denen Eltern über den Hals schicket/ daß sie sich von ihnen müssen beschimpffen lassen.“ (I, S. 115) Kurz darauf werden die Folgen dieses Fehlverhaltens demonstriert, als nämlich Rosantes und seine Kommilitonen nach einem Zechgelage „sich wieder nach der Stadt begeben sollten/ wobey es recht lächerlich anzusehen/ wie die guten Herren hin und her taumelten/ und was sie vor confuses Gespräch miteinander hielten/ ein paar schwatzeten Frantzösisch/ ein paar Lateinisch/ […] mit einem Worte/ es gienge fast zu wie bey dem Babylonischen Thurn [!]/ dann es war ein Gewäsch durcheinander/ daß man wol mehr als zwey und siebentzig Dollmetscher haben müssen/ wo sie das Gespräch in rein Teutsch übersetzen sollen.“ (I, S. 133) Hier wird nichts weniger ersichtlich als die Krise eines Gelehrtentums, das sich unter den Bedingungen von Unvernunft selbst subvertiert.

Den wohl größten Platz nehmen dagegen Fälle von intimen zwischenmenschlichen Beziehungen ein, die auch über Binnenerzählungen der Figuren dargeboten werden können. Diese sind für das Darstellungsverfahren durchaus von Belang, weil zum einen der Sammelcharakter des Romans davon profitiert – so reagiert Cleantes in einer geselligen Runde prompt auf seinen Vorredner: „muß ich doch auch was erzehlen/ welches mit dieser Materie accordiret“ (I, S. 176) – und weil zum anderen das galante Konversieren und der gesellschaftliche Umgang die Triebfeder des gesamten Textunternehmens sind. Dass es dabei nicht allein um positive Beispiele von Aufrichtigkeit und honnêteté geht, wird vielerorts deutlich: „Conversiren und Courtisiren ist noch ein grosser Unterschied/ alleine auf Academien vermischet man es gemeiniglich miteinander/ und treibet das erstere so lange/ bis man zu dem andern Gelegenheit/ und ein Frauenzimmer erst treuhertzig gemacht/ wo sich diese einmal blos geben/ und unsere Visiten gerne sehen/ so darff man schon muthmassen/ daß man ohne sonderliche Bemühung weiter avanciren kan.“ (II, S. 367) Das Simulieren und Dissimulieren von Verhaltens- und Redeweisen zeugt von einem planmäßigen Vorgehen der Figuren zum Zwecke der Triebbefriedigung. Markanterweise gibt es keine geschlechterspezifischen Verhaltensweisen, wie es das Ideal des gentilhomme vielleicht vermuten ließe. Frauen und Männer können gleichermaßen unaufrichtig und skrupellos vorgehen. Im ersten Teil etwa bezahlt Leander für Maronettes Liebesdienste einen hohen Geldbetrag, den sie wiederum juristisch korrekt quittiert: „ICh Endes Unterschriebene bekenne hiemit/ daß/ nachdeme ich mit Monsieur Leandern einig worde/ ihme eine gantze Nacht meines Mannes Stelle vertretten zu lassen/ und alle Liebes-Freyheiten zu gönnen/ welche er von mir fordern würde/ woferns er mir zur Erkänntlichkeit/ und wegen der erzeigten Caressen fünffzig/ sage fünfftzig Species-Ducaten/ am Golde auszahlen wollte; […] dahero zu dessen Versicherung gegenwärtige Quittung eigenhändig unterschrieben“ (I, S. 317) Ordnungsverstöße wie hier der Ehebruch sind im Vernunftplan, mit dem die Geschichten erzählt werden, nicht nur einkalkuliert und narrativ identifizierbar, sondern laufen zuweilen und paradoxerweise auch ordnungsgemäß ab. Die Verstellungskunst avanciert zu einem Handlungsprinzip, das als solches beschreibbar und bei dem die sprachgewandte Routine zum wichtigsten Bestandteil erhoben wird. So resümiert Clorinde in einer Arie: „Man spielet heut zu Tag mit Worten/ | Als wie mit einem Karten-Blat/ | Und mischet sie in solche Sorten; | Daß keines seine Farbe hat“ (II, S. 494). Evident wird dieses Prinzip etwa an der Beziehung zwischen Olorene und Melintes, dessen Liebschaft zu Emilie von Bisental im ersten Teil abgehandelt wird. Im zweiten Teil will sich der Erzähler „erkundigen/ wie es in Montevin mit dem Melintes stehe“, und stellt fest, dass die „Treue/ die er Emilien geschwohren“ (II, S. 237) nach wie vor hält. Diese Treue wird jedoch erprobt, als Melintes Olorene vor dem aufdringlichen Freyherrn von Binou in Schutz nimmt und sie sich daraufhin in Melintes verliebt. Dieser hat allerdings „keinen Lust zu ihr“ (II, S. 246), weswegen sie vorgibt, weiterreisen zu müssen, um einen Tag später als Mann verkleidet wiederzukommen und so in Melintes’ „Compagnie zu continuiren“ (II, S. 248). Zusätzlich initiiert Olorene ein anagrammatisches Namensspiel, das erst im Laufe der Erzählung aufgeklärt wird: „Der geehrteste Leser muß wissen/ daß dieser Reloneo niemanden anderst/ als das Fräulein Olorene/ welche sich in Cavalliers-Kleider gestecket und die Buchstaben ihres Nahmens verändert.“ (II, S. 252) Auf Figurenebene setzt Constantin seinen Freund Melintes von dieser Verstellung in Kenntnis, der sich in seiner Liebe zu Emilie als nach wie vor beständig erweist, aber auch nicht ohne Täuschung auskommt, um sich der unnachgiebigen Olorene zu entziehen. Er flieht regelrecht vor ihr, „weilen man doch dem Wuht einer Manns-Person eher entweichen könnte/ als der erhitzten Rache eines Frauen-Zimmers“, und darum „nahme er seine besten und benöthigsten Sachen mit sich und gab vor/ wie er nach Harlem reisen wollte/ da er aber vor dem Thore/ wendete er sich und nahme den Weeg auf Haag zu“ (II, S. 256). Damit ist eine brisante Problemlage gelöst, die nächste aber schon wieder vorbereitet. Olorene, die Melintes in die falsche Richtung hinterherreist, gerät in ihrer Verkleidung an eine Kaufmännin, die „sich einmal in den Reloneo verliebet“ (II, S. 259). Somit setzt Rost in seiner Darstellungstechnik nicht nur auf den abrupten Wechsel beim Reihen seines Materials, sondern auch auf erzähllogische Übergänge. Daneben deutet das trotz allen Affekten meist reflektierte und wohlüberlegte Vorgehen der Figuren, zuweilen auch das Eingeständnis des eigenen Fehlverhaltens, eine Ereignisdarstellung unter den Voraussetzungen eines vormodernen Bewusstseins an. Die Vernunft und der Verstand des Einzelnen stellen sich hierbei als Mittel heraus, die nicht nur moralischen Zwecken, sondern zunehmend auch individuellen Interessen dienen können.

5. Kontext und Klassifizierung
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Nicht nur Rosts Pseudonym, auch sein Roman gibt explizite Hinweise auf den literaturgeschichtlichen Kontext, in den Autor und Text sich zugeordnet wissen wollen. Pauline etwa führt ein Gespräch mit ihrem Geliebten Calindro über zeitgenössische Romane und Romanschriftsteller, von denen sie Hunold nachdrücklich favorisiert: „Es ist der Herr Menantes/ dessen Europäischen Höfe/ Liebes- und Helden-Geschichte mich ungemein delectiren/ und wo mein einfältiges Raisonament zulänglich/ wollte ich sagen/ daß dessen galante Feder keinen Roman so delicat als diesen ausgeführet/ indeme ja kein Blat in dem gantzen Buche/ welches man nicht mit der grösten Zufriedenheit durchlesen wollte.“ (I, S. 236) Dem schließen sich weitere Fürsprachen an. Leander trifft im Ratskeller auf „etliche Pursche“, „die unterschiedliche Discurse führeten/ und dann auch auf die Romaine zu reden kamen“, von denen sie „des Herrn Menantes Satyrischen Roman“ (I, S. 318) hervorheben. Im zweiten Teil schließlich stellt Gerano im Gespräch mit Amando seine Vorliebe heraus: „ich habe von keinem neuen [Roman] Nachricht/ der sonderlich verdienet gelesen zu werden/ wie ich dann/ ausser des unvergleichlichen und galanten Herrn Menantes und Talanders seiner Arbeit/ sonsten keine æstimire/ die in teutscher Sprache geschrieben sind.“ (II, S. 360) Damit sind bereits auf der Handlungsebene die Namen genannt, die für eine Abgrenzung des galanten vom höfisch-historischen Roman sorgen (Singer 1963, S. 8) und das Geschehen „in einer Sphäre ahistorischer höfischer Geselligkeit“ (Gelzer 2007, S. 188) situieren. Für diese Form der Geselligkeit ist das aus dem französischen Kulturraum entlehnte Verhaltensideal der conduite und der bienséance maßgeblich, das bei Thomasius eine naturrechtliche Begründung erfährt und in die Konzeption des decorum einfließt (Gelzer 2007, S. 51-60 und 2008, S. 493-506). Das Galante taucht demgemäß „oft in Nachbarschaft zum politisch klugen Verhalten auf“ (Simons, S. 277), das sich vor allem auszeichnet durch „Höflichkeit, Konzilianz, Wendigkeit, Anpassungsvermögen, Anerkennung sozialer Ordnungen und geselliger Konventionen“ (Singer 1963, S. 55) – durch Normen also, wie sie noch die Moralischen Wochenschriften durchsetzen wollen.

Insofern fungiert Rosts Schau-Platz – ähnlich wie die vielen anderen galanten Romane des frühen 18. Jahrhunderts (Roßbach) – als ein Thesaurus gesellschaftlich relevanten Wissens, das durch die Fülle positiver und negativer Exempel nicht nur unterhaltsam dargeboten, sondern als Text archiviert wird. Denn es „passiren täglich neue Begebenheiten/ die man andern zur Erinnerung vorzuschreiben/ nicht verwehren wird.“ (I, Vorrede, unpag. [fol. )( 3v]) Die zahlreichen eingefügten Maximen, mit denen das jeweilige Geschehen kommentiert wird, vermitteln zudem in konziser Form höfische bzw. akademische Verhaltensideale wie auch Klugheitsregeln. Anders jedoch als die prominenten Sprichwörtersammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts ist das wissenswerte Material nicht mehr nach topischen Mustern disponiert, sondern nur noch auf den Wechsel der erzählten Begebenheiten abgestimmt. Die schnelle Auffindbarkeit konkreter Geschehnisse oder Merksätze durch den Leser, wie sie oft zur enzyklopädischen Funktion des historischen Barockromans gehört, scheint hier indes nicht beabsichtigt, auch weil kein Sach- oder Personenregister und keine thematische Ordnung durch Kapiteleinteilung vorhanden ist.

Was das studentische Milieu anbelangt, kann Eberhard Werner Happels Academischer Roman (1690) als wichtiger Bezugstext gelten. Happel versucht, sowohl die unterhaltsamen Exzesse des Studentenlebens nachzuzeichnen als auch eine Belehrung durch die Exemplarizität seiner Figuren zu erzielen. Darüber hinaus wird hier ebenfalls „das allegierte Material gesprächsweise ausgearbeitet“ (Kühlmann, S. 389) und sich insofern auf eine Tradition des geselligen Konversierens berufen, wie sie seit Harsdörffers Gesprechspielen (1644-49) oder auch Rists und Franciscis Monatsgesprächen (1668-71) in Deutschland etabliert wird (Meierhofer, S. 146-152 u. S. 215-223).

6. Rezeption
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Dass Rosts Texte sowohl in Leipzig als auch in Nürnberg erscheinen und der Schau-Platz Der Galanten und Gelährten Welt bei Lochner sogar eine zweite Auflage erfährt, lässt auf eine breite Rezeption schließen. Damit einher geht die zeitnahe und dichte Publikation der oben erwähnten Romane, die eine hohe Nachfrage bei der Leserschaft wie auch gute Verdienstmöglichkeiten für die Autoren nahe legen. Spiegel geht davon aus, dass den galanten Romanen eine „soziologische Stellung […] zwischen Adel und Bürgertum“ zukommt. Denn während das Lesen von Romanen „als Zeichen der höfisch adeligen Unabhängigkeit“ gilt, ist das Schreiben von Romanen „eine unwürdige, weil nutzlose Beschäftigung“ (Spiegel, S. 42f.). Rost selbst betont die Rezeption seiner Texte durch seine Jenaer Kommilitonen, bei denen er sich bedankt, „weilen Sie fast insgesamt meine bißherige Romans mit besonderer Begierde durchgelesen/ und den gegenwärtigen gleichfalls längstens gewünschet/ so gedencke doch/ ich werde excusiret seyn/ wo Ihre Nahmen demselbigen vorschreibe/ und Ihnen als ein Andencken ergebenst überreiche.“ (I, „Zuschrifft“, unpag. [S. 4f.]) Die Neugierde (curiositas) auf Rosts Romane ist also zumindest unter der studentischen Leserschaft groß. Der zweite Teil ist Johann Christof Löffelholz von Kolberg gewidmet, dem Oberhaupt einer Nürnbergischen Patrizierfamilie, so dass eine Rezeption auch außerhalb akademischer Kreise mehr als wahrscheinlich ist.

7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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