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La Veuve à la Mode [Auszug]

2) La Veuve à la Mode; in drey Aufzügen, von dem Herrn von Saint-Foix, zum erstenmal aufgeführt den 26. März 1726.

Personen. Dorante. President und Oheim des Damon und der Eliante. Damon, Liebhaber der Eliante. Eliante, eine junge Wittwe und Liebhaberin des Damon. Pasquin, Bedienter
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des Damon. Dorimene. Marthon, Mädchen der Eliante. Li sette, Mädchen der Dorimene. Damon und Eliante, ob sie gleich in einander verliebet sind, lieben ihre Freyheit doch weit mehr, als selbst das leichte Band, welches sie itzo noch vereiniget. Sie sind beyde gleich geneigt, eine ernsthaftere Verbindung, dergleichen die Heyrath seyn würde, zu fliehen. Dorante, des Damons Oheim, hat sich vorgenommen, ihn mit Elianten zu ver heyrathen, die gleichfalls seine Nichte ist. Beyde aber setzen sich gleich sehr darwider und geben ihre Gesinnungen, indem sie mit ihrem Oheim sprechen, auf folgende Art zu verstehen. Eliante. Uns mit einander zu verheyrathen! so sind Sie es überdrüßig, uns als gute Freunde zu sehen? Pasquin. Es ist auch wahr! Warum wollen Sie nun unter Anverwandten Uneinigkeit stiften? Dorante. Wie? Euch mit einander verheyrathen, heißt Un einigkeit unter euch stiften? Liebt ihr euch denn nicht? Damon. Madame gefällt mir. Meine Gedanken beschäftigen sich mit ihrem Bilde lieber, als mit dem Bilde einer andern. Aber da alle artige Frauenzimmer einander gewissermaassen ähnlich sind, so unterhalte ich die Zärtlichkeit, die ich gegen sie habe, ohne Unter schied mit allem, was ich liebenswürdiges finde. Dorante. Nun wohl! das ist ein guter Anfang zur Liebe; die Heyrath wird das Band derselben schon fester knüpfen. Eliante. Nichts weniger; sie würde vielmehr alles verderben. Wir lieben uns itzo, ohne daß wir uns sehr zu lieben glauben; wir suchen einander, ohn fast daran zu denken, ohne es vielleicht jemals überlegt zu haben; wir haben einerley Freunde, einerley Ergetzungen, einerley Besuche. Aber ach! so bald wir verheyrathet seyn sollten, würden wir gar bald diese beyderseitige Aehnlichkeit, die sich bey allen unsern Handlungen findet, bemerken; sie würde uns nach und nach zur Last werden; jeder von uns würde sie für Eifersucht, für Miß trauen zu halten anfangen; wir würden uns Zwang anthun; die Ungleichheiten, die Unbeständigkeiten, die unter Liebhabern nichts zu bedeuten haben, weil sie denselben nicht weiter ausgesetzt seyn dürfen, als sie es seyn wollen, würden ihren Namen verändern; sie würden zu übler Laune, zu Eckel, zu Abneigungen unter Mann und Frau
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werden, die ein unglückliches Band beständig um einander zu seyn nöthigte. Damon. O meine allerliebste Muhme, wie vortrefflich ist das gesagt! Ich liebe Sie; ich bete Sie an! Nein; ich will Sie nie mals heyrathen.
Dorante wird durch den Widerstand, den ihm sein Neffe und seine Nichte thun, aufs Aeusserste gebracht, und sagt in einem ge bietenden Tone, daß sie einander durchaus heyrathen sollen, und zwar noch heute, oder daß er ihnen sonst seine Erbschaft entziehen, und selbst eine junge Person, Namens Dorimene, heyrathen, und dieser alle sein Vermögen verschreiben wolle. Er fügt hinzu, daß diese Dorimene seine Hand gewiß nicht ausschlagen werde, weil ihr alles Vermögen, das sie zu hoffen habe, von einer ihrer Anverwandtinnen nur mit dem Bedinge vermacht worden, daß sie nicht anders als mit seiner Ge nehmhaltung heyrathen, ja ihren Gemahl selbst von seiner Hand blind lings annehmen solle. Diese Drohung scheinet der Eliante und dem Damon gleich schrecklich; sie besitzen nichts, als was sie von ihm zu hoffen haben, und zu seiner Erbschaft sollen sie sich bloß durch ihre Verbindung berechtigen können; gleichwohl bleiben sie fest auf dem Entschlusse, einander niemals zu heyrathen. Sie sinnen beyde auf Mittel, wie sie ihren Oheim an der Verschenkung seines Vermögens, womit er ihnen gedrohet, hindern wollen. Damon schmeichelt sich, daß ihn Dorimene genugsam liebe, um sie zu bewegen, die Hand des Dorante nicht anzunehmen; er verspricht sich, sie durch neue Auf wartungen, die er ihr machen wolle, noch mehr für sich einzunehmen. Eliante findet dieses Mittel allzu gefährlich, und wird so gar ein wenig eifersüchtig darüber; sie verbietet dem Damon, bey Dorimenen durch aus nichts zu versuchen, und nimmt alles über sich. Sie fängt es folgender maassen an. Sobald sie Damon verlassen hat, so theilt sie ihrem Mädchen der Marthon einen Anschlag mit, auf den sie eben gefallen; sie sagt ihr, daß sie Dorimenen erst gestern zum erstenmal auf dem Balle gesehen, daß sie ihr unter der Kleidung eines Cavaliers zärtliche Dinge vorgesagt, und in kurzer Zeit einen ziemlich starken Eindruck auf ihr Herz gemacht habe. Sie setzt hinzu, daß sie unter eben derselben Kleidung, die ihr so vortheilhaft gewesen, Dorimenen in ihrem Hause besuchen wolle, und verlangt, daß Marthon gleichfalls,
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unter dem Namen Eliante, einen Besuch bey ihr ablegen soll. Das Mädchen ist es zufrieden, sich für die Gebieterin auszugeben, und da mit endet sich der erste Aufzug. In der Zwischenzeit reden sie noch alles mit einander ab, was zu dem glücklichen Ausgange ihrer List etwas beytragen kann. Den zweyten Aufzug eröffnet Dorimene mit ihrem Mädchen, Lisette. Dorimene thut Lisetten zu wissen, daß sie Dorante heyrathen werde, wenn Damon und Eliante sich nicht noch heut einander zu ehelichen entschlössen. Lisette fragt sie, ob sie sich, des zärtlichen Versprechens ungeachtet, das sie dem Valere gethan, keines andern, als die seinige zu seyn, den Dorante zu heyrathen, werde entschliessen können. Dorimene antwortet ihr so, daß sie an ihrer Beständigkeit zu zweifeln anfängt, und endlich gestehet sie ihr offenherzig, daß ein junger Unbekannter, den sie vorgestern Abends auf dem Balle gesehen, und der ihr von Liebe vorgeredt, die schwerste Hinderniß sey, die Dorante ihn ihrem Herzen zu übersteigen habe. Durch die Scene erfährt man nicht allein das Vergangene, sondern sie dienet auch zur Vorbereitung auf das Fol gende. Marthon wird unter dem Namen Eliante, angemeldet. Dorimene befiehlt, sie hereinzuführen. Nach einigen Complimenten, so wie sie bey einem ersten Besuche vorzufallen pflegen, bittet die vermeinte Eliante Dorimenen um Erlaubniß, einem von den Bedienten ins geheim etwas befehlen zu dürfen. Dorimene vergönnt es, worauf sie sich beyde nieder setzen und Eliante sogleich ihr Herz folgender Gestalt ausschüttet. Marthon, oder die vermeinte Eliante. Nicht in dem Ge räusche der Welt, wo uns tausend Ergetzungen zerstreuen, haben wir die Ueberraschungen der Liebe am meisten zu fürchten. Das Jahr der Stille und Eingezogenheit, welches ich dem Andenken meines ver storbenen Gemahls gewidmet hatte, war noch nicht ganz verflossen, als eine von meinen Freundinnen einen ihrer Anverwandten zu mir brachte. Wie liebenswürdig war er! Welcher Anblick für ein Herz, das der Wohlstand seit zehn Monaten nöthigte, sich nur mit traurigen Ideen zu beschäftigen, und dessen Begierden sich durch die wenige Thätigkeit, die ich ihnen erlauben durfte, nur vermehrten. Dieser junge Mensch legt verschiedene Besuche bey mir ab; und endlich gestand er mir, daß er mich liebe. Ich antwortete ihm, ich sey ent zückt darüber, und liebe ihn auch recht sehr.
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Dorimene. Dieser Anfang verspricht viel. Marthon. Er ward über meine Antwort unwillig. Dorimene. Nun? Und was wollte er denn? Marthon. Er wollte, ich hätte mir bey dem Bekenntnisse seiner Leidenschaft ein strenges Ansehen geben sollen; ich hätte ihn miß handeln sollen. Kurz, er wollte, daß ich mich grausam gegen ihn bezeigte; ich aber war viel zu fein, ihm hierinn seinen Willen zu thun. Dorimene. Zu fein? Von dieser Feinheit verstehe ich nichts. Marthon. Und gleichwohl ist sie höchst vernünftig. Darf ein Frauenzimmer, das sich von ihrem Liebhaber am Nachttische gesehen zu werden fürchten muß, das ihm nur durch erborgte Reitze Liebe einzuflössen weis, darf so ein Frauenzimmer auf ihre Eroberung wohl stolz seyn? Dorimene. Gewiß nicht. Marthon. Was sind aber die kleinen Weigerungen, die Hinder nisse, die Schwierigkeiten, wodurch wir die Leidenschaft eines Lieb habers reitzen? Sie sind unserer Person eben so wenig eigen, eben sowohl erborgt als Bleyweiß und Schminke; und man kann sich also auch auf dasjenige Herz, das sie uns erhalten müssen, wenig oder nichts zu gut thun. Allein es wissen, daß unsere Bereitwilligkeit einen Liebhaber leicht nachläßig, kalt und schläfrig machen kann, und ihm dennoch diese Hülfe wider unsere Reitze selbst leihen, um ihm mit desto mehr Ehre überwinden zu können, das, das nenne ich fein ge dacht, und so wie eine Heldin denken muß, die sich ihres Werths bewußt ist, und ihre Siege nur sich selbst zu danken haben will. - Kurz, er mußte sich nach meiner Moral bequemen. Dorimene. Ich sollte auch meinen, daß sie bequemlich genug wäre. Marthon. Er wollte in dem Geschmacke der Romanen, die er gelesen hatte, lieben; jetzt aber ist er kein solcher Neuling mehr, wie Sie bald selbst sehen und mir es zugestehen sollen. Dorimene. Ich? Madame! Marthon. Er liebt Sie; Sie entreissen mir ihn etc.
Diese Scene gefiel bey der Vorstellung wegen ihres paradoxen und seltsamen Inhalts ungemein. Zum Schlusse macht Eliante Dori menen sehr lebhafte Vorwürfe, daß sie ihr einen Gefangenen entführe, den sie mit der besten Art gemacht habe. Dorimene vertheidiget sich wegen des Raubes, den Marthon ihr Schuld giebt; die die wahre
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Eliante, die als Cavalier verkleidet dazu kömmt, überzeugt sie desselben vollends. Ehe aber dieser vermeinte Cavalier erscheinet, sagt Marthon zu Dorimenen, daß sie ihn selbst, in Dorimenens Namen, habe rufen und ihm sagen lassen, daß er sich, um nicht erkannt zu werden, in einem Mantel verhüllt, zu ihr begeben solle. Sie verlange, daß er sich über sie beyde erkläre, und bittet um Erlaubniß, sich einen Augen blick verbergen zu dürfen. - Einige Stellen aus der nun folgenden Scene, werden dem Leser nicht unangenehm seyn. Eliante.

(im Tone eines Petitmaitres)

Wenigstens hat mich niemand erkannt. Ohne uns zu schmeicheln, wir sind bey dergleichen Aben theuern öfterer gewesen. Dorimene. Mein Herr - - Eliante. Zum Henker, Mademoiselle, wie glücklich ich bin! Ich komme auf Ihren Befehl hierher; und was noch mehr ist, ich komme verkleidet. Unser erster Besuch ist geheimnißvoll! O das Ge heimnißvolle! Es ist zu allen gut; aber besonders in der Liebe, be sonders da lebe das Geheimnißvolle! Dorimene. Mein Herr - - Eliante. Ich bekannte Ihnen meine Liebe; und Sie glaubten mir auf der Stelle. Das ist die gewöhnliche Wirkung der Wahrheit; man darf sie nur hören, um sogleich überzeugt zu werden. Dorimene. Mein Herr - - Eliante. Ja, Mademoiselle, wenn ich Ihnen auch meine Liebe nicht bekannte hätte; so hätten Sie sie doch mit allem Recht vermuthen können, da Sie so schön, so reitzend sind! Erlauben Sie, daß ich Ihre schönen Hände küssen darf.

(Er wirft sich ihr zu Füssen.)

Dorimene. Stehen Sie doch auf, mein Herr etc.
Auf diese Scene folgen noch verschiedene andere, die mit gleichem Feuer, und gleicher Leichtigkeit geschrieben sind. Marthon, oder die falsche Eliante, hatte sich, wie man gesehen, wegbegeben, um dem ver meinten Cavalier bey Dorimenen freyes Feld zu lassen. Nun kömmt sie wieder, begiebt sich aber auch bald zum zweytenmale weg, nachdem sie sich gestellt, als ob die Liebe in ihrem Herzen dem Verdruße, sich aufgeopfert zu wissen, Platz gemacht. Dorimene kann dem vermeinten Cavalier nicht länger widerstehen; sie capituliret; sie ergiebt sich; das
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Gesetz, welches ihr der Sieger vorschreibt, bestehet darinn, daß sie den Damon nicht mehr sehen, und die Hand des Dorante durchaus nicht annehmen soll. Dorimene läßt sich alles gefallen; und indem kömmt Damon dazu. Eliante hatte ihm aus dem Streiche, den sie Dori menen spielt, ein Geheimniß gemacht, und fährt also fort, unter ihrer Verkleidung auch ihn zu hintergehen; sie nimt noch dazu den Gas conischen Accent an, damit er sie nicht an der Stimme erkennen soll. Dorimene läßt sie beysammen, und sagt dem vermeinten Cavalier in einem zärtlichen Tone, daß sie ihn diesen Abend erwarte. Die Scene zwischen dem Damon und der Eliante, ist ungemein lustig; denn da Damon seine Gebieterinn nicht erkennt, so sagt er ihr Dinge, die sie ungemein verdriessen, und in dem Vorsatze, sich nie mit ihm zu ver heyrathen, bestärken. Auch sie macht es ihm nicht besser, und bringt ihm, indem sie sich rühmt, auch über Elianten bald zu triumphiren, einen unüberwindlichen Abscheu vor dieser Heyrath bey. Der vermeinte Cavalier begiebt sich endlich weg; Damon befiehlt dem Pasquin, ihm zu folgen; Lisette, die von Dorimenen den nämlichen Befehl erhalten hat, gesellt sich zum Pasquin, um ihn gleichfalls kennen zu lernen. In der Zwischenzeit zum dritten Aufzuge, hat Lisette er fahren, daß der vermeinte Cavalier Eliante selbst ist; Pasquin aber hat diese Entdeckung nicht gemacht, sondern sagt seinem Herren bloß, daß der Cavalier, dem er auf seinen Befehl nachgefolgt, geraden Weges zu Elianten gegangen sey, und sich da Freyheiten herausgenommen habe, die nur einem beglückten Liebhaber, oder einem Gemahle zu stünden. Dieses Wort Gemahl, stehet in Ansehung der Entwicklung nicht umsonst; der Verfasser hat es sich folgendermaaßen zu Nutze ge macht. Dorimene wird durch den Streich, den ihr Eliante gespielt, erbittert, und schwöret sich dafür zu rächen. Da sie nun die grosse Abneigung kennt, welche Damon und sie vor der Heyrath haben, so glaubt sie sie nicht besser bestraffen zu können, als wenn sie sie, Trotz dieser Abneigung, mit einander verheyrathet. Sie beredet also den Damon, daß Eliante seit sechs Monaten insgeheim vermählt sey; und ein gleiches heftet sie auch Elianten von dem Damon auf. Sie fallen beyde so glücklich in dieses Netz, daß sie dem Dorante versichern, sie wären nun bereit die Verbindung, vor welcher sie so viel Widerwillen bezeigt, zu vollziehen. Dorante faßt sie bey dem Worte; sie unter
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zeichnen ben Contract, und jeder bildet sich ein, daß er wegen der frühern Verbindung, wegen der sie einander in Verdacht haben, null und nicht seyn werde. Da aber diese frühere Verbindung eine blosse Erfin dung von Dorimenen ist, so sind sie verbunden den Contract zu erfüllen. Dorante erzeigt sich dafür gegen Dorimenen so erkenntlich, daß er ihr erlaubt, sich mit ihrem ersten Liebhaber, dem Valere, zu verheyrathen.


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