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Vorrede
Von dem Leben, Schriften, und Cha
racter des Verfassers.
Doctor Franz Hutcheson war den 8 August 1694.
gebohren. Sein Vater, Herr Johann Hut
cheson, war Prediger bey einer presbyteriani
schen Gemeinde im nördlichen Theile von Jrrland. Er
hatte den Ruhm eines vernünftigen, gelehrten, from
men und tugendhaften Mannes. Sein Sohn, Franz,
wurde im achten Jahr seines Alters, nebst seinem äl
tern Bruder, der Aufsicht und Anführung ihres Gros
vaters, Herr Alexander Hutchesons, anvertrauet, wel
cher ebenfalls ein würdiger presbyterianischer Geistlicher
in demselben Theile von Jrrland, aber aus Schottland
gebürtig war. Er war der zweyte Sohn einer alten
und angesehenen Familie in der Grafschaft Ayr in die
sem Königreiche.
Franz verrieth gar bald eine ausserordeutliche
Fähigkeit, eine ungemeine Wissensbegierde und die vor
trefflichste Gemüthsbeschaffenheit. Die sonderbare
Menschenliebe und Uneigennützigkeit, durch welche er,
sein ganzes Leben hindurch, sich unterschied, zeigte sich
schon in seiner frühesten Jugend bey verschiedenen Gele
genheiten. Sein unschuldiges und sanftes Betragen,
seine große Fähigkeit und sein besonderer Fleis verschaff
2 Vorrede.
ten ihm bald die vorzüglichste Zuneigung seines Grosva
ters. Aber seine Liebe zu seinem Bruder war so gros,
daß er über die Zärtlichkeit seines Grosvaters keine
Freude empfand, weil sein Bruder nicht einen glei
chen Antheil daran hatte. Der Vorzug, welcher ihm
gegeben wurde, verursachte ihm so gar eine wahre Be
kümmernis, und er wendete alle Mittel und alle nur
mögliche unschuldige Kunstgriffe an, es dahin zu brin
gen, daß sein Bruder die Liebe seines Grosvaters eben
so sehr zu verdienen scheinen möchte. Und da sein
Grosvater in seinem letzten Willen eine ehemalige Ein
richtung seiner Familiensachen, zu seinem Vortheil,
geändert hatte: so konten seine Anverwandten ihn durch
keine Gründe bewegen, es anzunehmen, sondern er schlug
es schlechterdings aus, und bestand darauf, daß es bey
der ersten Einrichtung bleiben müsse. Diese und viele
andere Beyspiele von gleicher Art, welche angeführt
werden könten, liessen seine ausserordentliche Uneigen
nützigkeit in reifern Jahren vorhersehen.
Nachdem er die Anfangsgründe der Wissenschaf
ten erlernt hatte, wurde er auf eine von seinen Anver
wandten etwas entlegene Akademie geschickt, um sich mit
der Weltweisheit bekant zu machen. Er wurde daselbst
in der ordentlichen scholastischen Philosophie unterwiesen,
welche damals in Ansehen stand, und auf welche er sich
mit einem mehr als gewöhnlichem Eifer und Fleis
se legte.
Im Jahr 1710. verlies er die Akademie, und be
gab sich auf die Universität zu Glasgow, in die Classe de
rer, welche die natürliche Weltweisheit erlernten. Zu
gleicher Zeit übte er sich von neuem in der griechischen
Vorrede. 3
und lateinischen Sprache: und er brachte es in allen
Theilen der Gelehrsamkeit, welchen er seinen Fleis wid
mete, so weit, als man es von einem so fähigen und so sorg
fältig gebildeten Geiste erwarten konte.
Nachdem er den gewöhnlichen Lauf der philosophi
schen Wissenschaften vollendet hatte, richtete er seine Ge
danken auf die Gottesgelahrheit, welche er, zu der ei
gentlichen Wissenschaft und Beschäftigung seines Le
bens zu machen, sich vornahm. In dieser Absicht stu
dirte er die Theologie verschiedene Jahre auf der Universi
tät zu Glasgow unter der Anführung des gelehrten Pro
fessors, Johann Simsons.
Unter den mannichfaltigen Lehren der Theologie,
welche er seiner genauesten Untersuchung werth fand, be
schäftigte er sich zuerst mit der erhabenen Lehre von dem
Wesen, den Vollkommenheiten und der Vorsehung Got
tes, worauf die andern sich insgesamt gründen. Das
gelehrte und scharfsinnige Buch, welches Doctor Clark kurze Zeit zuvor hiervon herausgegeben hatte, fiel ihm in die Hände. Ob er gleich die Schlüsse desselben voll
kommen billigte, und einen grossen Begrif von seinen
ungemeinen Fähigkeiten und Einsichten hatte: so fand er
doch, nach einer ernstlichen und aufmerksamen Prüfung
seiner Beweise, die Ueberzeugung nicht, welche er
wünschte und erwartete. Voll Verlangen, sich in dieser
Lehre mehr Genüge zu leisten, und besonders die Stär
ke und Gründlichkeit der Beweise
a priori
, wie man sie
zu nennen pflegt, darinnen angewendet zu sehen, schrieb
er im Jahr 1717. einen Brief an ihn, worinnen er sei
ne Einwürfe anführte, und eine weitere Erklärung
forderte. Man hat unter Hutchesons Briefschaften kei
4 Vorrede.
ne Beantwortung dieses Briefes vom Döctor Clark ge
funden. Je mehr er nachdachte, je mistrauischer wur
de er immer gegen die Richtigkeit und Stärke der me
taphysischen Beweise, durch welche man das Daseyn,
die Einheit und die Vollkommenheiten der Gottheit
darzuthun sich bemüht. Er glaubte nicht nur, daß
diese Art von Beweisen der Fähigkeit gemeiner Menschen
nicht gemäs sey, sondern daß auch die Gelehrten selbst
dadurch keine gründliche und immerwährende Ueberzeu
gung erlangen könten. Er hatte schon in seinen jün
gern Jahren die Meinung, und er hat niemals Ursache
gefunden, sie zu ändern, daß einige Gegenstände unserer
Erkäntnis, ihrer Natur nach, des Beweises einer völli
gen und unwidersprechlichen Gewisheit fähig sind, daß
man hingegen bey andern blos zu einer Wahrscheinlichkeit
gelangen kan; und daß, da Gewisheit zu fordern, wo
es nur bis zur Wahrscheinlichkeit zu bringen ist, für
eben so unvernünftig angesehen werden mus, als wenn
man verlangen wollte, Töne zu sehn, und Farben zu hö
ren. Er war überdieses überzeugt, daß das Unterneh
men, die genauesten Beweise zu geben, wo keine möglich
sind, für die Vortheile der Wahrheit und Religion
von sehr gefährlichen Folgen sey; weil dasselbe, an
statt uns zu einer vollkommenen Gewisheit zu führen,
das Gemüth mit Zweifel und Ungewisheit erfüllt, und
dem Scepticismus geneigt macht. Denn wenn wir bey
der Art von Ueberzeugung, welche die Natur der Sache
zulässt, still zu stehen uns verweigern, und bis zu der
höchsten Art derselben, bis zu den genauesten und un
überwindlichsten Beweisen, hinaufsteigen wollen: so
werden wir unmittelbar hieraus folgern, daß gar keine
Ueberzeugung vorhanden sey, weil wir die Art derselben
Vorrede. 5
nicht antreffen, die wir erwartet hatten. Solcherge
stalt bleibt das Gemüth beständig in Ungewisheit, und
bildet sich ein, gar keine Beweisthümer für sich zu ha
ben, ungeachtet wirklich alle diejenigen, welche die Natur
der Sache zulässt, vor ihm liegen, und einem jeden ge
nug thun, dessen Verstand nicht von einer unnatürli
chen Begierde nach einer gelehrten Erkäntnis in allen
Sachen, ohne Unterschied, in Unordnung gebracht wor
den. Diese Meynung von den verschiedenen Stufen der
Ueberzeugung, welche den verschiedenen Gegenständen un
serer Erkäntnis eigen sind, veranlassten Hutcheson zuerst,
die Sittenlehre auf die Erfahrung, und nicht, auf die
abgesonderten Verhältnisse der Dinge gegeneinander, zu
gründen.
Er hatte sechs Jahre auf der Universität zu
Glasgow zugebracht, als er nach Jrrland zurück gieng,
und sich den gewöhnlichen Prüfungen unterwarf, um
in den geistlichen Stand zu treten; worauf ihm die
Freyheit ertheilt wurde, unter den Presbyterianern zu
predigen. Man wollte ihn eben zum Prediger bey ei
ner kleinen presbyterianischen Gemeinde im nördlichen
Theile von Jrrland machen; als einige Edelleute bey
Dublin, welche wusten, daß seine Geschicklichkeit grösser
war, als daß er sie bey dieser entfernten Gemeinde ganz
hätte anwenden können, ihn ersuchten, eine Art von Pri
vatakademie zu errichten. Er lies sich diesen Antrag
gefallen, und verwaltete das übernommene Amt so an
ständig und so glücklich, daß alle diejenigen, welche ihre
Kinder seiner Aufsicht anvertrauten, mit ihm ausserordent
lich zufrieden waren; und er zog bald die Aufmerksamkeit
der Welt auf sich. Er hatte sich nur eine kurze Zeit
6 Vorrede.
in Dublin aufgehalten, als seine Verdienste und Voll
kommenheiten schon überall bekant waren. Personen
aus allen Ständen, die einigen Geschmack an den Wis
senschaften hatten, oder gelehrte Leute hochzuschätzen wu
sten, suchten seine Bekantschaft und Freundschaft. Un
ter andern beehrte ihn der Lord Viscount Molesworth
mit einer vorzüglichen Achtung und Freundschaft, wel
cher in dem Umgang mit ihm viel Vergnügen fand,
und ihn durch seine Critiken und Anmerkungen in den
Stand setzte, seine Untersuchung über die Begriffe von
der Schönheit und von der Tugend, ehe sie ans Licht
trat, zu verbessern und vollkommener zu machen. Do
ctor Synge, itziger Lord Bischof von Elphin, dessen
Freundschaft Hutcheson allemal unter die grössten Freu
den und Glückseligkeiten seines Lebens zählete, übersahe
ebenfalls seine Schrift, und half ihm den allgemeinen
Plan des Werks entwerfen.
Die erste Ausgabe kam, ohne den Nahmen des
Verfassers, heraus, aber die Vortreflichkeit des Werks
verstattete ihm nicht, lange verborgen zu bleiben. Es er
hielt so vielen Beyfall, und erweckte von dem Verfasser so
grosse Begriffe, daß der damalige Lord Lieutenant von
Jrrland, Lord Granville, dessen Einsicht und Geschmack
in den Werken des Geistes und der Gelehrsamkeit überall
bekant ist, seinen geheimen Secretär abschickte, sich bey
den Buchhändlern nach dem Verfasser zu erkundigen.
Da er aber von denselben seinen Nahmen nicht erfah
ren konte: so lies er ihnen einen an den Verfasser
gerichteten Brief einhändigen. Auf diese Art wurde
Hutcheson mit dem Lord bald bekant, und erhielt, die
ganze Zeit seiner Regierung hindurch, von ihm die
Vorrede. 7
vorzüglichsten Kennzeichen von Vertraulichkeit und
Achtung.
Von dieser Zeit an, wurde seine Bekantschaft in
Jrrland fast von allen denjenigen gesucht, welche entweder
wegen ihrer Würde, oder wegen ihrer Gelehrsamkeit in
Ansehen standen. Der Erzbischof King, der Verfasser
des Buchs
de origine mali
, hielt Hutcheson sehr hoch,
und seine Freundschaft war für ihn in einer Begebenheit
von grossem Nutzen, die ausserdem von verdrieslichen
Folgen gewesen wäre, und ihn gänzlich außer Stand
hätte setzen können, in seiner Stelle noch weiter nützlich
zu seyn. Es wurden zween verschiedene Versuche ge
macht, Hutcheson, vor dem erzbischöflichen Gerichte, zu
verklagen, weil er sich unterstanden hätte, die Erziehung
der Jugend zu übernehmen, ohne sich durch die Unter
schrift der englischen Kirchenordnung und durch die Er
laubnis vom Bischof, hierzu geschickt gemacht zu haben.
Es wurde aber durch diese beyden Versuche nichts aus
gerichtet, weil der Erzbischof den grössten Unwillen gegen
diejenigen zu erkennen gab, welche so kühn gewesen wa
ren, sie zu unternehmen. Er versicherte ihn zugleich,
daß er nicht Ursache hätte, von dieser Seite einige Beun
ruhigung zu befürchten, so lange es in seiner Gewalt
stünde, es zu verhüten.
Er erwarb sich auch die Hochachtung des Primaten,
Bolter, welcher, auf seine Veranlassung, an die Universi
tät zu Glasgow ein Geschenk eines jährlichen Einkom
mens machte, zum Unterhalt eines Stipendiaten, der sich
zu einer gewissen Art von Gelehrsamkeit geschickt machen
sollte. Dieses ist nur eines von den vielen Beyspielen,
die man von der wohlthätigen Gemüthsart dieses Prä
8 Vorrede.
laten anführen kan. Herr West, ein Edelmann von
großer Geschicklichkeit, und von einem bekanten Eifer für
die Vorrechte der Freyheit im Staat und in der Religion,
war besonders von Hutcheson eingenommen, und lebte
mit ihm, so lange er sich in Jrrland aufhielt, in grosser
Vertraulichkeit.
Wenige Jahre nach der Untersuchung kam die
Abhandlung über die Leidenschaften heraus. Da diese
beyden Bücher schon lange in der Welt sind, und man
davon schon unterschiedene neue Auflagen gesehn hat,
woraus die Aufnahme derselben hinlänglich beurtheilet
werden kan: so würde es unnöthig seyn, von densel
ben etwas zu sagen. Um diese Zeit verfertigte er einige
philosophische Abhandlungen, worinnen er auf eine an
dere, und der menschlichen Natur anständigere Art, als
Herr Hobbs, die Ursachen des Lachens aufsuchte. Diese
Abhandlungen kamen in einer Sammlung unter der Auf
schrist<Aufschrift>: Briefe des Hibernicus, heraus. Einige Briefe in dem
Londoner Journal von 1728. mit der Unterschrift Phi
laretus, welche Einwürfe wider verschiedene Lehren in
der Untersuchung enthielten, veranlassten Hutcheson,
dieselben in dieser öffentlichen Schrift zu beantworten.
Die Briefe und die Beantwortung sind hernach beson
ders gedruckt worden. Der Streit blieb unentschieden,
weil der Briefwechsel, welchen sie nachgehends, nur un
ter sich, fortzusetzen beschlossen hatten, durch den Tod des
Philaretus unterbrochen wurde.
Nachdem er seine Privatakademie in Dublin,
sieben bis acht Jahre, mit großen Beyfall unterhalten
hatte, wurde er im Jahr 1729 nach Schottland als
Professor der Philosophie auf der Universität zu Glas
Vorrede. 9
gow berufen. Der Ruhm, welchen er sich durch seine
Gelehrsamkeit und Verdienste erworben hatte, waren der
einzige Bewegungsgrund, daß die Universität zu Glas
gow ihm die durch den Tod des gelehrten und ver
dienstvollen Herrn Gershom Carmichael erledigte Stel
le antrug. Die Welt billigte ihre Wahl, und der Er
folg rechtfertigte dieselbe sattsam. Die Professoren
merkten gar bald, daß seine Aufnahme in ihr Colle
gium, in Absicht auf den Ruhm und die Vortheile der
Gesellschaft, gute Wirkungen hatte. Verschiedene junge
Standespersonen kamen mit ihm von seiner Akademie,
und sein Ruf lockte viele andere aus England und Jrr
land. Doch vielleicht wird sich der Leser mehr verwun
dern, daß er die Stelle annahm, als daß sie ihm von
der Universität, ohne sein Ansuchen, angetragen wur
de. Wenn man fragen sollte, wie es sich hat zutragen
können, daß ein Mann von Hutchesons Verdiensten,
der so viele vornehme, angesehene und vielvermögende
Personen unter seine Freunde zählen konte, sieben bis
acht Jahre hindurch, einer Privatakademie, mitten in ei
nem Lande vorstehen müssen, wo es so viele Stellen gab,
die sich für gelehrte und verdienstvolle Männer so wohl
schickten; oder wenn man fragen sollte, wie es sich hat
zutragen können, daß man ihm verstattete, sein Va
terland zu verlassen, alle Vereinigung mit seinen
Verwandten und Freunden aufzugeben, und in der Mit
ten seines Lebens sich in ein ander Königreich zu wenden,
um daselbst eine wenig einträgliche aber sehr beschwerli
che Stelle auf einer Universität anzunehmen: so wird
es genug seyn, auf diese Fragen zu antworten: daß
seine Freunde eben so bereit, als fähig waren, ihm zu die
nen, und daß seiner Beförderung von dieser Seite
10 Vorrede.
nichts im Wege stand. Er hatte besondere Ursachen,
die ihn abhielten, eine Beförderung zu suchen, oder
auch die sichersten und unfehlbarsten Mittel anzuwenden,
wodurch er dazu hätte gelangen können. Man muß
aber seinem Charakter Gerechtigkeit wiederfahren lassen,
und zu erwähnen nicht vergessen, daß er in dem Stan
de, worein ihn die göttliche Vorsehung hatte setzen wol
len, eben so nützlich als zufrieden war, und daß weder
die Liebe des Reichthums noch der Schimmer und die
Pracht des menschlichen Lebens ihn vermögen konten, sei
nen Gesinnungen die mindeste Gewalt zu thun. Man
kan noch hinzufügen, daß die unsichtbare Hand einer
allweisen Vorsehung, welche alle Vorfälle des menschli
chen Lebens, und alle Entschliessungen des menschlichen
Willens ordnet, ihn in ein solches Amt führete, das ihn
zwar nicht ausserordentlich vornehm machte, aber doch
vielleicht mehr, als ein jedes anderes, seinen ungemeinen
Talenten angemessen war, und ihm Gelegenheit gab,
der Welt mehr wahre und wichtige Dienste zu leisten,
als er in einem andern Stande zu thun fähig ge
wesen wäre.
In seinem neuen Amte war er nicht, wie auf sei
ner Akademie, verbunden, die Sprachen und verschiede
nen Theile der Philosophie zu lehren, sondern er hatte
Musse, der Wissenschaft, die er vorzüglich liebte, der
menschlichen Natur,
feine<seine> vornehmste Aufmerksamkeit zu
widmen. Er hatte hohe Gedanken von ihrer ursprüng
lichen Würde, und war überzeugt, daß sie, selbst in die
sem verdorbenen Zustande, durch eine richtige Unterwei
sung und fleissige Bildung, grosser Verbesserungen fä
hig wäre. Es wurde ihm das Lehramt der philosophi
Vorrede. 11
schen Sittenlehre angewiesen. Er verfuhr bey der wei
tern Nachforschung in dieser Wissenschaft, auf keine an
dere Art, als bey ihrer Erlernung. Er setzte alle Un
tersuchungen über die abgesonderten Beziehungen der
Dinge auf einander, über die ewige Uebereinstimmung
und Mishelligkeit derselben, bey Seite, und richtete seine
Betrachtungen nur auf das, was uns immer vor Augen
ist, und unmittelbar durch Wahrnehmungen und Er
fahrungen erkant werden kan; nämlich, was wir von
der gegenwärtigen Beschaffenheit der menschlichen Natur,
durch die Erfahrung lernen; welcher Zustand des Her
zens, und welche Art zu leben, unserer ganzen Bestim
mung am gemässesten sey.
Er hatte angemerkt, daß es unsern Zeiten zum
Glück und Ruhm gereichte, daß man sich in der Na
turlehre von der Gewohnheit, Hypothesen und will
kührliche Lehrgebäude anzunehmen, losgearbeitet und die
Mühe übernommen hätte, die Einrichtung der materiali
schen Welt durch Beobachtungen und angestellte Ver
suche selbst kennen, und die darinnen wirkenden Kräfte
und Grundursachen bestimmen zu lernen. Er sahe au
genscheinlich, daß die Naturlehre, blos durch dieses
Verfahren, zu einem höhern Grad der Vollkommenheit,
als sie vorher erreicht hatte, gestiegen wäre, und daß,
wenn man auf diesem Wege fortgehen würde, diese Wis
senschaft noch wichtigere Verbesserungen zu hoffen hätte.
Er war überzeugt, daß ein wahrer Abris der Sitten
lehre ebenfalls keine Geburt des Witzes und der Erfin
dung, oder des richtigsten metaphysischen Tiefsinns seyn
könne, sondern von eigenen Betrachtungen der verschie
denen Kräfte und Grundtriebe hergenommen werden
12 Vorrede.
müsse, deren wir uns in unserm eigenen Busen bewusst
sind, und von welchen wir einsehen können, daß sie, im
ganzen menschlichen Geschlechte, in gewissen Graden wir
ken. Es müsse also in der Sittenlehre wenigstens für
sehr zuträglich gehalten werden, den Bau unsers Innern,
als ein Ganzes, das aus verschiedenen Theilen zusam
mengesetzet ist, genau zu untersuchen, das Amt und
den Endzweck eines jeden Theiles, nebst den natürlichen
Verhältnissen dieser Theile unter einander, anzumerken,
und daraus die Absicht des Ganzen und die mannichfal
tigen Verrichtungen zu folgern, wozu sie von ihrem
großen Urheber bestimmt zu seyn scheinen. Er glaubte,
man hätte Grund zu hoffen, daß, wenn man auf eben
die Art, wie man den Bau eines thierischen Körpers, und
einer Pflanze, oder das System der Himmelskörper zu
untersuchen pflegt, genauere philosophische Untersuchun
gen über die verschiedenen natürlichen Grundtriebe und
natürlichen Neigungen des menschlichen Geschlechts an
stellte, man zu einer weit richtigern Theorie der Sitten
lehre gelangen würde, als es bisher möglich gewesen
wäre: und eine Theorie, welche, auf so deutlichen und
festen Gründen, beruhete, würde einem jeden, der die
Wahrheit zu finden suchte, vollkommene Genüge leisten.
Denn wir können, durch das innere Bewusstseyn und Ge
fühl, die Beschaffenheit unsers innern Wesens eben so
genau kennen lernen, als uns die verschiedenen Theile ei
nes Körpers, durch Hülfe unserer Augen, bekant wer
den: und wir dürfen wegen der Absichten, zu welchen,
wenigstens die vornehmsten Theile unsers Innern, be
stimmt sind, eben so wenig zweifelhaft seyn, als wir es
wegen der Absichten der Glieder an unserm Körper,
und unserer äusserlichen Sinne seyn können. So sehr
Vorrede. 13
wir von dem Daseyn und den Vollkommenheiten des
höchsten Wesens überzeugt sind; eben so sehr sind wir
überzeugt, daß die moralische Beschaffenheit unserer
Natur sein Werk ist, und wir folgern hieraus, daß es
gewis sein Wille sey, daß wir uns in diejenige Ver
fassung des Gemüths setzen, und diejenige Art zu leben
erwählen sollen, welche den offenbaren Absichten und
Bestimmungen seines göttlichen Werks am gemässesten
ist; und daß ein solcher Zustand des Herzens und ein
solcher Plan des Lebens, welcher am gewissesten mit dem
Endzweck aller Theile desselben übereinstimmt, als die
vollkommenste Art zu handeln angesehen werden und die
Pflicht, die Glückseligkeit und Vollkommenheit der Men
schen ausmachen mus.
Unser Verfasser hat in dem folgenden Werke ei
nen Versuch gemacht, zuförderst die verschiedenen Grund
triebe der menschlichen Seele, in so fern sie ein sittliches
Ganzes ausmachen, zu entwickeln, und daher den Ur
sprung unsrer Begriffe vom sittlichen Guten und Uebel,
und unsers Gefühls der Pflicht oder sittlichen Verbind
lichkeit, aufzusuchen. Hierauf bemüht er sich zu er
forschen, worinnen eigentlich die höchste Glückseligkeit
des menschlichen Geschlechts bestehe; und sodann sucht
er die besondern Gesetze der Natur, oder diejenigen Re
geln zu bestimmen, welche nothwendig beobachtet wer
den müssen, wenn in der Verbindung, worinnen wir ge
geneinander, als Mitglieder einer Gesellschaft, stehen, das
allgemeine Beste befördert werden soll. Man mus es
dem Urtheil des aufmerksamen und unpartheyischen Le
sers überlassen, ob der Verfasser in diesem allen glücklich
gewesen ist.
14 Vorrede.
Wenn man indessen auch annehmen wollte, daß
sein Lehrgebäude, nach einer längern und nähern Prü
fung des Wesens, und der Wirkungen unserer Seele, in
einigen Stücken eine Aenderung oder Verbesserung zuge
lassen haben würde: so bleibt doch allemal gewis, daß
alle seine Anmerkungen und Betrachtungen vollkommenen
Beyfall verdienen, weil er die höchste Tugend und Vor
treflichkeit eines Menschen eben darin setzet, worinnen
sie, nach einer gesunden Philosophie und der göttlichen
Offenbarung, bestehen soll, nämlich in einer so ferti
gen und so beständigen Ausübung aller guten
Neigungen gegen Gott und den Menschen, daß
dadurch alls andre Begierden, Leidenschaften
und Neigungen in Schranken gehalten und wir
angetrieben werden, nur solche Handlungen zu
unternehmen, wodurch die Glückseligkeit des
menschlichen Geschlechts auf die vollkommen
ste Art, die in unsern Kräften steht, befördert
werden kan.
*
Man mus bekennen, daß die Lehre
unsers Verfassers, nach welcher wir, vermöge der Be
1
Vorrede. 15
schaffenheit unserer Natur,
**
wirklich in einer innerli
chen geheiligten Verbindlichkeit stehen, das Beste des
menschlichen Geschlechts, selbst auf Unkosten des Lebens
und aller Freuden desselben, zu befördern, mit der Lehre
des Christenthums, die uns gebietet, unser Leben für
die Brüder zu lassen, entweder völlig übereinkommt,
oder ihr doch nahe verwandt ist. Sie giebt uns zu glei
cher Zeit richtigere, liebreichere und würdigere Begriffe
von der menschlichen Natur, die, vermöge ihres Ur
sprungs, darauf eingerichtet ist, nach weit uneigennützi
gern Grundtrieben zu handeln, als diejenigen Weltweisen
gestehen wollen, welche darau<daran> arbeiten, alle Regungen
der menschlichen Seele einzig und allein auf die Selbst
2
16 Vorrede.
liebe zu gründen, so sehr auch dieselben, gleich beym ersten
Anblick, davon entfernt zu seyn scheinen mögen. Ob
gleich diese edlen Grundtriebe, in diesem verdorbenen
Zustand, durch sinnliche und eigennützige Leidenschaften
dergestalt unterdrückt und überwältiget werden, daß sie
sich nicht in der gehörigen Lebhaftigkeit äufsern<äussern>, selbst
wenn die bequemste Gelegenheit dazu vorhanden ist: so
ist doch, nach unsers Verfassers Begriffen, die Absicht
des Urhebers der Natur aus dem wichtigen Umstande
sattsam wahrzunehmen, daß das moralische Gefühl be
ständig sein Amt so treulich verwaltet, daß es niemals
einer wahrhaftig uneigennützigen Tugend den stärksten
und innigsten Beyfall versagen wird. Je weniger Ver
dacht vorhanden ist, daß der Märtyrer, der Patriot,
der Held, wenn er sein Leben, in einer würdigen Sache,
aufgiebt, einige Absichten dabey habe, wenn es auch nur
der Nachruhm wäre; desto lauter und anhaltender ist der
Beyfall aller Zuschauer; dahingegen derselbe sich so
bald vermindert, als man dem Sterbenden den ge
ringsten eigennützigen Bewegungsgrund schuld geben kan.
Nach dieser Vorstellung der Dinge trägt die mensch
liche Seele nicht nur in ihren Verstandeskräften das
Ebenbild des göttlichen Verstandes, sondern auch in ih
ren geselligen und auf das gemeine Beste gerichte
ten Neigungen das Ebenbild der göttlichen uneigennützi
gen Gütigkeit an sich. Solchergestalt ist zwischen der
Beschaffenheit unsers Innern, welches darauf eingerich
tet ist, das allgemeine Beste zu befördern, und zwi
schen der Einrichtung des Ganzen die vollkommenste
Uebereinstimmung. Wir finden in der ganzen Natur die
bewundernswürdigste Sorgfalt, die allgemeinen Vor
theile aller Gattungen lebendiger Wesen zu befördern.
Vorrede. 17
Es ist also der Analogie der Natur gemäs, daß die Men
schen, als die oberste Classe der Geschöpfe auf dieser
niedern Welt, mit der Geneigtheit versehen seyn müssen,
das allgemeine Beste ihrer Nebenmenschen vor Augen
zu haben, und es für ihre Pflicht zu halten, selbst ihr Le
ben dahin zu geben, wenn es ein allgemeiner Vortheil
erfordert.
Hutcheson war ein zu vernünftiger und zu gelehrter
Mann, als daß er blos bey besondern Lehrsätzen der
Moral hätte stehen bleiben sollen. Seine Wissen
schaft schränkte sich nicht auf sein eigenes Lehrgebäude ein,
und man wird bey Durchlesung des folgenden Werks deutlich wahrnehmen, daß er mit den Schriften der Al
ten und Neuern, welche die Sittenlehre, die Religion
und die Regierung zum Gegenstand haben, sehr wohl
bekant war. Auch selbst in diesem Umfange war die
Sittenlehre nicht die einzige Wissenschaft, der er seine
ganze Zeit und Aufmerksamkeit widmete. Eine heftige
Wissensbegierde war ihm natürlich. Er liebte die
Wahrheit, und forschte nach ihr mit Unparteylichkeit und
unermüdetem Fleisse. Er besas eine geschwinde Ein
sicht und ein treues Gedächtnis; und er hatte sich nicht
nur gewöhnt, immerfort zu denken und zu forschen, son
dern er fand auch Vergnügen dabey. Seine Seele war
niemals der Ermattung unterworfen, die so oft den Fleis
berühmter Leute unterbricht: seine Kräfte waren be
ständig gleich munter und wirksam. Ein Geist,
der so viele Vorzüge besas, und so viele Jahre hinter
einander in dem Umgang mit den Wissenschaften zuge
bracht hatte, muste sich nothwendig eine weitläuftige Ge
lehrsamkeit erworben haben.
18 Vorrede.
In seiner Jugend machte er sich mit dem Geist der
Alten sehr genau bekant, und er empfand und bewun
derte bald die Richtigkeit und ungekünstelte Schönheit
der Gedanken und des Ausdrucks, welche ihre Schriften
unsterblich und unschätzbar gemacht haben. Er las
die Geschichtschreiber, Dichter und Redner des Alter
thums, mit einer Art von Begeisterung, und zugleich
mit einer critischen Genauigkeit. Er hatte besonders
die Dichter so oft gelesen, daß er lange Stellen aus ihnen
im Gedächtnis behalten hatte, die er in seinen Vorlesun
gen, bey Gelegenheit, auf eine sehr gute Art anzuwen
den wusste. Daß er die lateinische Sprache vollkommen
verstand, ist aus den Schriften zu beurtheilen, die er
darinnen verfertigt hat. Sein Abris der Metaphysik,
Geisterlehre, natürlichen Theologie, und sein Auszug aus
der Ethik sind in einer zierlichen und reinen Schreibart
abgefasset, die man nur selten in neuern lateinischen
Schriften antrift.
Er hatte alle Theile der Philosophie so sorgfältig
durchgedacht, daß er darinnen keine gemeine Einsicht be
sas. Er verfertigte einen kleinen Abris der Vernunft
lehre, welchen er zwar nicht für die gelehrte Welt be
stimmt hatte, wodurch er aber doch sattsam bewies, daß
er ein Meister in dieser Wissenschaft war. Man sieht
aus seiner Metaphysik, daß er die unvernünftigen Fra
gen und unnützen Streitigkeiten der alten Scholastiker,
die über diesen Theil der Philosophie eine so dicke Fin
sternis verbreitet haben, ungemein wohl inne hatte. Er
hat diese Wissenschaft in ein helles Licht gesetzt, und sie
lehrreich und unterhaltend gemacht. Die Naturlehre
verstand er so, wie sie durch die Hülfe der Mathematik
Vorrede. 19
und der Erfahrungen verbessert worden, und er wen
dete die Käntnis derselben zu dem edlen Vorsatz an,
die grossen Wahrheiten von dem Daseyn, den Vollkom
menheiten und der Vorsehung Gottes zu befestigen. Er
hatte es in der Geschichte der Künste und Wissenschaften
sehr weit gebracht; er war bis zu ihrem Ursprung zu
rückgegangen, hatte die verschiedenen Veränderungen,
das Wachsthum, den Verfall, und die Wiederaufnah
me derselben genau beobachtet, und den Character der
merkwürdigsten Philosophen, nebst den unterscheidenden
Lehren und der besondern Eigenschaft ihrer Philosophie
angemerkt. Ueber dieses hatte er eine ungemeine Känt
nis der kirchlichen und bürgerlichen Geschichte alter und
neuer Zeiten, welche desto mehr an ihm zu bewundern
war, da er mit tiefsinnigern und ernsthaftern Wissenschaf
ten Umgang pflog. Er verstand auch die Grundsprache
des alten Testaments, und obgleich seine andern gelehr
ten Beschäftigungen ihm nicht erlaubt hatten, selbst
ein Criticus darinnen zu werden: so waren ihm doch die
wichtigsten Critiken derjenigen bekant, welche sich durch
ihre Gelehrsamkeit in dieser Sprache hervorgethan
hatten.
Nirgends zeigte sich sein grosser fähiger Geist in
einem hellern Glanze, als in dem Umgange mit seinen
Freunden. Man mochte sich unterreden, wovon man
nur wollte; so kosteten ihm seine Gedanken so wenig
Mühe, sein Ausdruck war so faslich, und seine Wissen
schaft von so grossem Umfange, daß ihm jedermann mit
Vergnügen zuhörete. Es giebt Leute, die wirklich ei
nen grossen Vorrath von Gelehrsamkeit besitzen; allein
sie scheinen ihn in so weit von einander entlegenen Ge
20 Vorrede.
genden ihres Verstandes beygelegt zu haben, daß es Zeit
erfordert, ehe sie ihn zusammen schaffen und davon Gebrauch
machen können. Bey andern scheint es, daß ihre grosse
Gelehrsamkeit nur Finsternis über ihre Gedanken verbrei
tet, und daß sie von den untermengten Begriffen, die
sich in ihren Verstand auf einmal eindrängen, verhin
dert werden, die Dinge zu unterscheiden. Aber der
ganze Schatz seiner Wissenschaft lag immer vor ihm,
und war beständig zu seinem Dienst bereit. Er über
sah auf einen Augenblick alles, was mit seinem itzigen
Gegenstand zusammenhieng, und verwarf dasjenige,
was keine Verwandschaft mit demselben hatte. Er
sprach von den schwersten und tiefsinnigsten Sachen mit
einer Leichtigkeit und Deutlichkeit, die vielleicht Leuten
von nicht geringerer Geschicklichkeit wiederholte Bemü
hungen gekostet haben würde, ohne ihn zu erreichen. Es
kostete ihm wenig Arbeit, betrügerische Vernunftschlüsse
aufzulösen. Er unterschied die wahre Gelehrsamkeit
von der falschen; die Gegenstände unserer Erkäntnis,
welche der unwidersprechlichsten Beweise fähig sind, von
solchen, welche es nicht sind; nützliche und wichtige Fra
gen, von solchen, welche blos die Neugier befriedigen
und zum Zeitvertreib dienen. Er hatte nichts so sehr
und so beständig vor Augen, als den wirklichen Nu
tzen, den die Wissenschaften im menschlichen Leben schaf
fen können. Seine Absicht war nicht, mit unerhebli
chen Dingen sich zu belustigen, sondern er hatte bey al
len seinen Untersuchungen den wahren Vortheil des
menschlichen Geschlechts zum Augenmerk. Selbst von
methaphysischen Streitigkeiten, wovon er keinen an
dern Nutzen hoffen konte, nahm er Gelegenheit,
dem Stolz und der Eitelkeit der jungen Leute Ein
Vorrede. 21
halt zu thun, die von ihrer grossen Gelehrsamkeit so
voll sind; und er zeigte, wie unfähig auch die scharf
sinnigsten Sterblichen wären, in die geheime Natur
und in das Wesen der Dinge einzudringen.
Diese besondern Talente waren in Hutcheson mit
den liebreichsten Neigungen und den nützlichsten Tugen
den verbunden. Die Reinigkeit seiner Sitten war,
von seiner Jugend an, unbefleckt. Gleichwie er allemal
den höchsten Abscheu vor dem Laster zu erkennen gab:
also blieb er beständig in den entferntesten Gegenden von
ihm, und vermied auch die mindesten und verzeihlich
sten Unanständigkeiten im Betragen. Allein diese
strenge Tugend wurde nicht von dem Eigensinn, nicht
von der Ungeselligkeit begleitet, die sie so oft zu Gefährten
hat, und die nicht allein so viele sonst schätzbare Leute
unangenehm machen, sondern auch die guten Wirkun
gen hindern, welche ausserdem die Tugenden derselben
auf andere haben würden. Er war vollkommen auf
richtig, und verabscheuete in Worten und Werken auch den
geringsten Schein einer Hintergehung. Er verachtete
diese kleinen Kunstgriffe, die man in der Welt
gemeiniglich für lobenswurdige Geschicklichkeiten und
für Beweise einer nicht gemeinen Klugheit zu hal
ten pflegt. Er war von Natur frey und offenher
zig, und voll Eifer, das zu sagen, was er für wahr
hielt. Schon beym ersten Anblick verrieth er seine red
liche und aufrichtige Seele, und bey einer nahen Bekant
schaft mit ihm fand man ihn niemals von sich unter
schieden. Er war ganz Wohlgewogenheit und Zunei
gung. Man durfte ihn nur sehen, um sich hiervon zu
überzeugen. Seine Mine und sein Betragen bewiesen es.
22 Vorrede.
Diese Gemüthsart war ihm so sehr eigen, daß man auch
in seinen Schriften Spuren davon antrift, an wel
chen vielleicht sein Herz eben so viel Antheil hat, als sein
Verstand. Und wenn dasjenige, was in seinem Lehr
gebäude auf die liebreichen und geselligen Neigungen ge
gründet worden, eine Vertheidigung nöthig hätte: so
würde man es wenigstens auf eine sehr angenehme
Art mit der Gewalt entschuldigen können, welche
diese Neigungen über ihn selbst hatten.
Sein Herz war zur Freundschaft gemacht. Er war zwar mit äusserlichen Versicherungen derselben sehr
zurückhaltend; aber er war allemal bereit, sich jedermann
durch die wichtigsten Dienste, die man von einem Freun
de erwarten kan, gefällig zu machen. Seine Freunde
nahmen bey jedem unglücklichen Zufall, bey jeder Be
kümmernis, ihre Zuflucht zu scinem<seinem> Rath und Beystand.
Die heftige Zuneigung zu seinen Freunden, siegte über
seinen natürlichen Widerwillen gegen den Wunsch, an
gesehen zu seyn; ein Sieg, den die Betrachtung seines
eigenen Vortheils niemals hätte erhalten können. Sei
ne Gefälligkeiten schränkten sich nicht blos auf seine be
sondern Freunde und Anverwandten ein; sein Herz über
flos von Gütigkeit gegen alle, die er kante, und er
ergrif jede Gelegenheit, sich ihnen angenehm und ver
bindlich zu machen. Ob gleich nur wenige einen so star
ken Trieb zu den Wissenschaften haben, und sich densel
ben mit einer so anhaltenden Aufmerksamkeit und An
strengung widmen; so muste doch dieser Geschmack seiner
Neigung, Gutes zu thun, oftmals nachgeben. Er war
von einer ungemein wohlthätigen Gemüthsart; beson
ders war es ihm eine wahre Freude, hoffnungsvollen
Vorrede. 23
Jünglingen, die sich in dürftigen Umständen befanden,
beyzustehen, und ihren Fleis nicht nur mit einem Zu
schus an Gelde, sondern auch durch die Erlaubnis, daß
sie seinen Vorlesungen, ohne einige Bezahlung, bey
wohnen durften, zu unterstützen.
Mit einer Art von vernünftiger Schwärmerey,
die ihn immer begeisterte, und den vornehmsten Theil
seines Characters ausmachte, nahm er sich der Vortheile
der Gelehrsamkeit, Freyheit, Religion, Tugend und
der menschlichen Glückseligkeit an. Aus allem, was er sagte und that, konte man wahrnehmen, daß er die edle
Absicht hatte, sie zu befördern und auszubreiten. Sie
vermochten so viel über ihn, daß sie einen Einflus auf
sein ganzes Betragen hatten, und ihm einen allgemei
nen Geist, von dem weitesten Umfange, mittheilten.
Das, was wir in ihm einen allgemeinen Geist nennen,
bestand nicht in einer unbestimmten Begierde nach
allem demjenigen, was wir nicht wissen, oder nicht
vollkommen verstehen; sondern in einem erleuchteten und
uneingefchränkten<uneingeschränkten> Eifer für die Glückseligkeit der Men
schen, und die Mittel sie zu befördern. Seine Liebe zur
wahren Gelehrsamkeit, seine unermüdete Sorgsalt<Sorgfalt>, sie
zu erlangen, und den Geschmack an ihr auszubreiten,
machte ihn zu dem Amte, welches die Vorsicht ihm
angewiesen hatte, ausserordentlich geschickt. Und viel
leicht haben wenige Leute, in gleichen Aemtern, mit glei
chem Glück und Eifer, den Geschmack an der ächten Lite
ratur ausgebreitet. Allein sein Eifer blieb nicht in
den Gränzen seines eigenen Lehramts, sondern derselbe
erstreckte sich auf alles, was im menschlichen Leben
Vortheil und Nutzen schaffen kan. Wenn er sprach: so
24 Vorrede.
glaubte man, er hätte fast allen wichtigen Bedienungen
vorgestanden; so sehr verrieth er, daß er die Vortheile
einer jeden verstand, und sich ernstlich angelegen seyn
lies, zur Beförderung derselben etwas beyzutragen.
Sein gutartiges Herz fand die gröste Freude daran, die
Mittel aufzusuchen, wodurch in den verschiedenen
Ständen der menschlichen Gesellschaft dasjenige, was
von den Regeln der Ordnung abwich, mit denselben in
Uebereinstimmung gebracht, oder dasjenige, was mit
denselben schon übereinkam, zu mehrerer Vollkommenheit
erhöht werden könte. Die von ihm hierzu gemachten
Entwürfe gründeten sich auf keine leere Einbildungen,
sondern sie waren der Ausführung fähig, und hätten die
Aufmerksamkeit aller derjenigen verdient, welche Gewalt
und Ansehen in der Gesellschaft, in den Stand setzten,
sie zur Ausführung zu bringen. Dieser Eifer für das
gemeine Beste zeigte sich beständig in seiner Art zu den
ken, und nicht nur in seinen ernsthaftern, sondern auch in sei
nen heitern und vergnügten Stunden. Er war an Entwür
fen, die den Vortheil anderer angiengen, unerschöpflich;
doch niemals hat er an einen gedacht, der seine eigenen
Nutzen betroffen hätte. Wir haben schon angemerkt,
daß er in seiner Jugend, zu einer Zeit, da man an
Glückseligkeiten, die in die Augen fallen, den meisten
Geschmack zu haben pflegt, niemals auf Vorschläge ge
hört hat, die ihm eine Ausficht<Aussicht> in Reichthümer und An
sehen eröfneten. In seinem reifen Alter, da aber der
gute Zustand seiner Gesundheit ihn noch hoffen lies, viele
Jahre zu leben, wurde ihm der Antrag gethan, auf der
Universität zu Edimburg Professor der philosophischen
Sittenlehre zu werden. Ungeachtet er in dieser Stelle
mehrere Einkünfte und bessere Gelegenheit gehabt haben
Vorrede. 25
würde, mit den vornehmsten und angesehensten Personen
bekant zu werden: so war er doch in seinem gegenwärti
gen Stande vergnügt, und gänzlich abgeneigt, ihn je
mals zu ändern.
Diese vortreflichen Talente machten seinen Umgang,
besonders für seine Freunde, so unterhaltend und lehrreich,
daß derselbe allen denjenigen, die ihn zu geniessen das
Glück hatten, eine Schule der Weisheit war. Es hätte
eine sehr unverständige Gesellschaft seyn müssen, die er
nicht zugleich vergnügt und unterrichtet hätte. Eine un
gemeine Lebhaftigkeit der Gedanken und des Ausdrucks,
ein immerwährender Quell von Gütigkeit und Menschen
liebe, und eine sichtbare Mine von innerer Glückseligkeit
machte ihn zur Seele der Gesellschaft und hatte auf alles,
was ihn umgab, einen belebenden Einflus. Er war
munter und scherzhaft, vertraulich, und im höchsten Grad
gefällig, und ganz und gar frey von Stolz und Zwang.
Kein Zeichen einer Eitelkeit oder Zufriedenheit mit sich
selbst wurde man an ihm gewahr. Er verlangte keinen
Ruhm, und er bildete sich auf den ungesuchten Besitz
desselben nichts ein. Er war unter allen, die um ihn
waren, derjenige, der die meisten Vorzüge besas, und zugleich
der einzige, der es nicht gewahr wurde. Seine Gedan
ken beschäftigten sich niemals mit seinen eigenen Voll
kommenheiten. Er wurde durch die Ausübung liebrei
cher Neigungen, durch den Eifer für die gemeinen Vor
theile, und durch das begierige Forschen nach der Wahr
heit abgehalten, auf sich selbst aufmerksam zu seyn. Die
ses war so ein unläugbarer Theil seines Characters, daß
selbst diejenigen, welche am wenigsten geneigt waren,
vortheilhaft von ihm zu denken, ihn niemals eines Stolzes
26 Vorrede.
oder einer Eitelkeit beschuldigen konten. Seine natür
liche Bescheidenheit wurde durch seine gottesfürchtigen
Gesinnungen noch mehr erhöhet und verfeinert.
Er war von den grossen Wahrheiten der natürli
chen und geoffenbarten Religion und von dem wichtigen
Einflus einer geziemenden und vernünftigen Gottesfurcht
auf die Glückseligkeit des menschlichen Lebens und auf
die Befestigung und Reinigkeit eines tugendhaften Wan
dels, auf das stärkste und lebhafteste überzeugt. Man
konte in dem Umgange mit ihm merken, wie viel Gewalt
seine Gottesfurcht auf sein Herz hatte. In seinen öffent
lichen Vorlesungen lies er keine, auch nicht die, von sei
nem eigentlichen Gegenstand, entfernteste Gelegenheit
vorbey, daß er sich nicht weitläuftig und voll Entzückung
über die Anständigkeit und den Vortheil der voll
kommensten Ehrfurcht gegen Gott, und über unsre
Pflicht, alle unsere Gaben, unsre Tugenden und alles,
was wir besitzen, seiner Gütigkeit zuzuschreiben, erkläret
hätte. Dieses waren in seinen Augen die unfehlbarsten
Mittel, die Aufwallungen von Stolz, von Eitelkeit und
Selbstzufriedenheit zu unterdrücken, welche in den Her
zen solcher Leute zu entstehen pflegen, die nicht ernstlich
und oft daran denken, daß sie nicht besser sind, als an
dere, und daß sie nichts besitzen, als was sie em
pfangen haben. Er sahe diese Gesinnungen, wenn sie
sich einmal in unserer Seelen festgesetzt haben, als den
eigentlichen Grund der Einfalt des Herzens und Wan
dels an, welche die höchste Vollkommenheit eines tu
gendhaften Characters ausmacht.
Hutcheson wurde durch alle diese Vorzüge, durch
seine grosse Gelehrsamkeit, und durch das glückliche Ta
Vorrede. 27
lent, ohne Mühe, und doch richtig und gründlich zu
sprechen, zu dem vortreflichsten Lehrer, den unsre Zeiten je
mals gesehn haben. Er besas eine natürliche und ein
nehmende Beredsamkeit. Er sahe wirklich mehr auf den
Verstand als auf den Ausdruck, und doch war sein Aus
druck gut. Er war in der nachdrücklichen und genauen
Sprache, die zu philosophischen Untersuchungen so unent
behrlich ist, ein Meister. Aber er hielte es weder in sei
nen Vorlesungen, noch in seinen Schriften über Gegen
stände der Religion und Sittenlehre, für seine Pflicht,
ohne Ausnahme ein unterrichtender Lehrer zu seyn, der
für nichts, als die erforderliche Kürze und Genauigkeit
in richtigen Erklärungen und bündigen Schlüssen, zu
sorgen hätte. Er glaubte die Pflichten seines Amts eben
so vollkommen zu erfüllen, wenn er bey moralischen Be
trachtungen, die das Herz rühren können, sich länger
verweilte, und die Liebe zur Tugend erregte, als wenn er
den wichtigsten Lehrsatz mit der grösten philosophischen
Genauigkeit vortrüge und erläuterte. Er sahe die Bil
dung des Herzens als den vornehmsten Endzweck aller
moralischen Unterweisung an. Er machte dieselbe be
ständig zu seinem Augenmerk, und er besas alle Eigen
schaften, darinnen glücklich zu seyn, so weit es durch
menschliche Mittel möglich ist. Er dachte und empfand
mit einer so ausserordentlichen Lebhaftigkeit, daß er bey
den grossen Gegenständen der Sittenlehre und Religion
in die höchste Entzückung gerieth. Dieses gab seinem
Vortrage eine angenehme Gestalt, welche die Aufmerk
samkeit der Zuhörer unterhielt, und zu gleicher Zeit den
stärksten Eindruck in ihren Seelen zurücklies. Er er
füllte ihre Herzen mit einem neuen und höhern Vergnü
gen, als sie jemals zuvor empfunden hatten, wenn er mit
28 Vorrrede.
seiner einnehmenden Art, ihnen eine Aussicht in weite
Gefilde der Erkäntnisse, wovon sie vorhin gar keine Be
griffe gehabt hatten, eröfnete. Wenn er, zum Exempel,
seinen Zuhörern, bey der Vorlesung über die natürliche
Theologie, in dem Bau eines jeden einzelnen Dinges un
zähliche Beweise einer bewundernswürdigen Kunst und
einer liebreichen Absicht entdeckte, und hernach die er
staunlichern Beweise der weisesten Allmacht und der gü
tigsten Sorgfalt in dem allgemeinen Ganzen, als ein
Ding betrachtet, ihnen vor Augen legte: so ist leicht zu
begreifen, daß dieses auf ihre zarten Gemüther, die von
der Liebe zur Wissenschaft voll waren, einen tiefen Ein
druck machen muste. Solche Betrachtungen der Natur
waren ihnen neue Entdeckungen, welche sie mit Vergnü
gen und Erstaunen erfüllten, und ihnen zugleich die an
genehmste und stärkste Ueberzeugung von dem Daseyn und
den Vollkommenheiten des grossen Urhebers der Welt ver
schaften. Wenn er sie von der Betrachtung der äusserli
chen Welt, zu dem Anschauen einer innerlichen, der
menschlichen Seele, fortführte, und ihnen in der morali
schen Beschaffenheit derselben ebenfalls die Spuren der
göttlichen Weisheit und Gütigkeit zeigte: so wurden sie
von neuem Vergnügen und Erstaunen durchdrungen,
und empfiengen neue und überzeugendere Proben von den
herrlichen Eigenschaften des Vaters unserer Geister.
Und wenn er die verschiedenen Tugenden als schön an
sich selbst, als die edelste Anwendung unserer ver
nünftigen und moralischen Kräfte, und als die einzige
Quelle der wahren Würde und Glückseligkeit einzelner
Personen und ganzer Gesellschaften schilderte: so wurden
sie von diesem liebenswürdigen Gemählde bezaubert, und
fühlten ein inniges Verlangen, das zu seyn, was sie
Vorrede. 29
sahen. Das Vergnügen, welches aus dem anbrechen
den Licht der Wahrheit und der Schönheit der Tugend in
fähigen und gutgearteten Seelen entspringt, erregt eine so
heftige Begierde zur Wissenschaft, und einen so grossen
Eifer, sie zu erlangen, daß es auf einige Zeit die Em
pörungen der jugendlichen Leidenschaften aufhält, welche
stark genug sind, junge Leute in ihren besten Jahren
hinzureissen. Damit man sich aber nicht einbilde,
als ob diese mächtige Wirkungen blos den Reitzungen
der Neuheit zuzuschreiben wären: so ist noch zu erwäh
nen, daß einige von seinen Zuhörern, die schon Jahre
und Wissenschaft hatten, seine Vorlesungen über die phi
losophische Sittenlehre, vier, fünf, auch sechs Jahr hin
ter einander besuchten, und immer neue Unterhaltung fan
den, obgleich der Hauptgegenstand, jedes Jahr, allemal
derselbe war.
Seine Vorlesungen wurden dadurch noch nützli
cher, daß sie sich nicht auf tiefsinnige Betrachtungen und
auf ein besonderes Lehrgebäude einschränkten, sondern sich
gemeiniglich bis auf das gemeine Leben erstreckten. Er
entdeckte zuweilen die gewöhnlichen Thorheiten und La
ster des vornehmsten Theils der Welt, die Abweichungen
von Recht und Billigkeit in dem geschäftigen Theil dessel
ben, und die gefährlichen Klippen, an welchen die Ju
gend scheitern, und Tugend und Glückseligkeit verlieren
kan. Zu andern Zeiten blieb er bey Materien stehen, de
ren Wichtigkeit von jedermann eingesehen werden konte.
Die grosse Grundregel, auf welcher er bestand, und die
er dem Herzen seiner Zuhörer einzuprägen suchte, war,
sich über alle Dinge zu freuen, in der festen Ueberzeu
gung, daß es eine allgemeine Vorsehung eines unendlich
30 Vorrede.
weisen und gütigen Wesens gebe, welches alle seine Werke
liebt, und von welchem sich nicht denken lässt, daß es et
was, das es gemacht hat, hassen könne. Er pflegte die
ses unaufhörlich, auf das nachdrücklichste, einzuschärfen,
„als den festen Grund eines gänzlichen Vertrauens auf
Gott, und einer ehrerbietigen Unterwerfung unter seinen
Willen, bey allen Vorfallenheiten. Man müsse die Lei
den als unsere grösten Wohlthaten ansehen, weil sie uns
nicht nur Gelegenheit verschaffen, die erhabensten Tu
genden, als die Ergebung in den Willen Gottes, die
Verzeihung der Beleidigungen, die Vergeltung des Bö
sen mit Guten, auszuüben; sondern uns auch den Weg
zeigen, zu richtigen Begriffen von der Eitelkeit aller
Dinge, ausser der Liebe zu Gott, und der allgemeinen
Menschenliebe, zu gelangen: alles, was wir haben,
müsse nicht uns selbst, sondern Gott, welcher alles giebt,
zugeschrieben werden: Liebe und Dankbarkeit, welche
Gott den Ruhm, daß alles, was vortreflich ist, von ihm
herkomme, nicht verweigert; und ein unaufhörlicher Ei
fer, Gutes zu thun, schienen ihm die höchste menschliche
Vollkommenheit auszumachen.“ Er drückte sich über
diese grossen Grundsätze, mit der leichten und einnehmen
den Art aus, welche unmittelbar das Herz rührt, und
der Einbildungskraft die schönsten und reizungsvoll
sten Bilder vorstellt.
Da er alle Jahre Gelegenheit hatte, in seinen Vor
lesungen den Ursprung der Regierung zu erklären, und die
verschiedenen Arten derselben gegen einander zu halten:
so lies er sich besonders angelegen seyn, die wichtigen
Vortheile, welche die Freyheit im Staat und in der Re
ligion der menschlichen Glückseligkeit bringt, einzuschär
Vorrede. 31
fen. Da die Liebe zur Freyheit und der Eifer, sie zu be
fördern, seine eigentliche Grundsätze waren: so pflegte er
sich bey denselben allemal sehr weitläuftig, mit Anführung der
bündigsten Beweise, und mit dem ernstlichsten Vorsatz der
Ueberzeugung aufzuhalten; und er war so glücklich, daß
wenige seiner Zuhörer, mit was für Vorurtheilen fie<sie>
auch zu ihm gekommen waren, ihn ohne die vortheilhaf
testen Begriffe von den Meinungen, die er in diesem wich
tigen Puncte annahm und vertheidigte, verliessen.
Ausser seinen beständigen Vorlesungen, welche er
über die natürliche Religion, die Sittenlehre, die Rechts
gelehrsamkeit und Staatskunst, wöchentlich fünf Tage
hielt, beschäftigte ihn noch eine andere, drey Tage wö
chentlich, worinnen er die besten griechischen und lateini
schen Schriftsteller des Alterthums, über die Sittenlehre,
auslegte, und sowohl die Sprache, als die Grundsätze
derselben, auf die geschickteste Art erklärte.
Ausser diesen Vorlesungen hielte er allemal des
Sontags Abends noch eine über die Wahrheit und Vor
treflichkeit der christlichen Religion, worinnen er alle Beweise
von der Wahrheit und den wichtigen Vortheilen derselben
deutlich und genau anführte, und den Zusammenhang
ihrer göttlichen Lehren aus den ursprünglichen Zeugnis
sen des neuen Testaments selbst, und nicht aus den par
teyischen und scholastischen Lehrgebäuden der neuern Zei
ten vortrug. In dieser Vorlesung hatte er die meisten
Zuhörer, weil die Studirenden aus allen Ordnungen die
sen Tag von ihren besondern Beschäftigungen frey waren,
und derselben desto lieber beywohnten, je mehr sie über
zeugt waren, daß sie Vergnügen und Unterricht fin
den würden.
32 Vorrede.
Ein Lehrer, der solche Gaben hatte, und einen sol
chen Eifer bezeigte, die Pflichten seines Amts zu beobach
ten, der alle Vorzüge eines redlichen Mannes besas, der
für die wohlgeartete Jugend so eingenommen war, der
sich aller ihrer Angelegenheiten annahm, und bey allen
Vorfallenheiten ihnen Gefälligkeiten erwies; ein solcher
Lehrer muste nothwendig ihre gröste Hochachtung und
Zuneigung gewinnen. Dieses setzte ihn bey denselben in
ein grosses Ansehen, welches
er blos zu der vortreflichen
Absicht anwendete, tugendhafte Eindrücke in ihre Herzen
zu prägen, und ihnen eine Neigung zur Gelehrsam
keit, zu schönen Künsten, und zu allem, was im mensch
lichen Leben anständig und nützlich ist, beyzubringen.
Er hatte das besondre Glück, daß er die Liebe zur alten
Literatur, besonders zum Griechischen, wieder erweckte,
welches, vor seiner Zeit, auf der Universität sehr verab
säumt worden war. Jedermann, der um ihn war, er
hielt von ihm eine solche Liebe zur Wissenschaft und eine
solche Begierde zu forschen, daß die Studirenden, auch bey
ihren Spatziergängen und Besuchen, sich mit vielem
Scharfsinn über gelehrte Sachen unterhielten, und da
durch immer begieriger wurden, ihren Fleis auf die wich
tigsten Sachen zu wenden. Er nahm sich nicht nur der
jenigen Studirenden an, die seiner Aufsicht unmittelbar
anvertrauet waren; sondern er bemühete sich auch, den
übrigen in allen Facultäten, so oft sich Gelegenheit fand,
nützlich zu seyn. Besonders suchte er denjenigen, welche
sich der Gottesgelahrheit widmeten, Dienste zu leisten,
und unter andern wichtigen Unterweisungen, ihnen richtige
Begriffe von dem vornehmsten Gegenstand der geistlichen
Redekunst beyzubringen. Tiefsinnige Betrachtungen
über streitige Fragen sowohl aus der Theologie, als aus
Vorrede. 33
der Philosophie, schienen ihm, wenigstens bey den or
dentlichen Gelegenheiten, keine Materien zu seyn, die sich
für die Kanzel schickten. Er hielt besonders dafür, daß
man keinen Nutzen zu hoffen hätte, wenn man auf der
Kanzel die dahin nicht gehörigen speculativischen Fragen
abhandeln wollte, z. E. ob die menschliche Natur unei
gennütziger Neigungen fähig sey? ob der Ursprung der
Pflicht oder der sittlichen Verbindlichkeit aus dem natür
lichen Bewustseyn, oder aus dem moralischen Gefühl;
aus dem Gesetz, oder aus der vernünftigen Betrachtung
des Eigennutzes, herzuleiten sey? und andre solche Unter
suchungen. Ob gleich solche Fragen in der Schule der
Weltweisheit
*
untersucht werden können und müssen;
so gehörten sie doch, seiner Meinung nach, nicht in das
Gebiet des Predigers, dessen Amt nicht ist, die Grund
triebe der menschlichen Seele zu erklären, sondern sich an
dieselben zu wenden, und sie in Bewegung zu setzen.
3
34 Vorrede.
Was überdieses die philosophischen Fragen wegen der sittli
chen Verbindlichkeit anbetrift: so kommen die verschiedenen
Arten sie zu erklären, darinnen vollkommen überein, daß sie die
Ausübung tugendhafter Handlungen nothwendig machen,
welche eben der vornehmste Gegenstand ist, womit der hei
lige Redner sich beschäftigen soll. Der allgemeine Plan zu
predigen, welchen er anpries, bestand in folgenden: Da
die Menschen kraftlose, unwissende, schuldige Geschöpfe
sind, die ihre eigene Glückseligkeit nicht befördern kön
nen, und jeden Augenblick unvermeidlichen Uebeln aus
gesetzt sind: so müssen sie aufgefordert werden, sich für
solche zu erkennen, und die Lehren der natürlichen und ge
offenbarten Religion, welche für diejenigen Trost enthalten,
die sich in dieser demüthigenden Gestalt sehen, müssen
denselben in das höchste Licht gesetzet werden. Da
sie der Gefahr unterworfen sind, durch eigennützige und
sinnliche Leidenschaften, von ihrer Pflicht und Glückse
Vorrede. 35
ligkeit hinweggelockt zu werden: so sind ihnen die schreck
lichen Lehren der Religion, welche sie in Furcht setzen und
ihren unordentlichen Leidenschaften Einhalt thun können;
und hingegen angenehmere, welche sie zur Ausübung rei
ner Sitten, und zur Rechtschaffenheit und Menschenliebe
ermuntern können; in ihrer ganzen Stärke vor Augen zu
legen. Und da sie geneigt sind, bey der allgemeinen Er
käntnis ihrer Pflichten stehen zu bleiben, ohne dieselbe zu
der Einrichtung ihrer Herzen und ihres Lebens anzuwen
den; so mus der heilige Lehrer sich nicht zu sehr bey allge
meinen Sätzen, dergleichen die Schönheit, Vortreflich
keit und Billigkeit der göttlichen Gesetze sind, aufhalten,
sondern sich besonders bemühen, sie zu unterrichten, wie
sie sich in allen Verfassungen und Ständen des Lebens,
selbst bey den geringsten und gewöhnlichsten Geschäften
desselben, zu verhalten haben. Alles dieses mus, ohne
einen mühsamen Schwung des Ausdrucks, auf die deut
liche und ungekünstelte Art vorgetragen werden, welche
das Herz rührt, und in das Gewissen und in das unmit
telbare Gefühl eines jeden eindringt.
Zu allem diesen ist noch hinzuzufügen, daß er auch
ausserhalb seines Lehramts, in allen andern Betrachtungen,
ein brauchbares Mitglied der Universität war, weil seine
grossen Talente und sein unermüdeter Eifer ihn geschickt
und willig machten, die bürgerlichen Vortheile derselben
eben so sehr, als die Gelehrsamkeit, zu befördern.
So war das Leben dieses würdigen Mannes, welches
er in einem unaufhörlichen, aber ihm nicht beschwerlichen
Fleisse, in der beständigen Bemühung, nach allen seinen Kräf
ten Gutes zu thun, und Wahrheit, Tugend und Religion un
ter den Menschen auszubreiten, zugebracht hat. Kurz, er be
sas ungemeine Vorzüge und ungemeine Tugenden, und hatte
36 Vorrede.
nur geringe Fehler, die von seinen guten Eigenschaften her
rühreten. Wenn er zuweilen sich zusehr erhitzte: so war die
ses seinem lebhaften Geist und seinem feinen Gefühl zuzu
schreiben. Wenn sein Unwillen heftig war: so war er blos
durch die Niederträchtigkeit und Bosheit, die sein Herz so sehr
verabscheuete, erregt worden. War er zu einer Zeit offenher
zig, da es besser gewesen wäre, zurückhaltend zu seyn: so war
sein redliches und aufrichtiges Herz daran schuld, das keiner
Verstellung fähig war. Einigen misfiel seine edle Freymü
thigkeit, andere waren auf seinen Ruhm eifersüchtig; ei
nige verläumdeten ihn aus Vorurtheil, andere aus Heuche
ley; aber sein Verstand, sein Geist und seine Verdienste wer
den noch erhoben werden, wenn die Urtheile, die man zu sei
nem Nachtheil fällte, längst vergessen sind.
Eine gute Leibesbeschaffenheit, und eine beständige Ge
sundheit, die, ausser einigen schwachen Anfällen vom Poda
gra, niemals, als einige Monate vor seinem Tode, unterbro
chen worden war, schienen der Welt noch länger den Genus
eines so schätzbaren Lebens zu versprechen. Aber es gefiel der
allweisen Vorsicht, ihn, nachdem er sich wenig Monate nicht
wohl befunden, und einige Tage das Fieber gehabt hatte, in
dem drey und funfzigsten Jahre seines Alters, und im scchs<sechs>
zehnten seines Aufenthalts in Glasgow, abzufordern. Er
wurde von allen Freunden der Gelehrsamkeit und Tugend, be
klagt, und sein Tod war für die Gesellschaft, von welcher er ein
so vortrefliches Mitglied gewesen war, für alle seine Anver
wandten und Freunde, ein unwiederbringlicher Verlust.
Er hatte sich, bald nach seiner Niederlassung in Dublin,
mit Maria Wilson, einer Tochter Franz Wilsons, Esq; ver
heirathet, welcher in der Grafschaft Langford Güter besas, und
sich als Hauptmann in dem Dienst des Königs William, un
sterblichen Andenkens, bey den damaligen Staatsveränderun
Vorrede. 37
gen hervorgethan hatte. Er zeigte bey seiner Verbindung die
Uneigennützigkeit und Grosmuth, die alle andere Handlun
gen seines Lebens begleitete. Er hatte einen Abscheu vor dem
Gebrauch die Heirath für eine Art von Kauf und Verkauf an
zusehen. Er wurde blos durch den guten Verstand, die liebens
würdigen Eigenschaften und vollkommenen Tugenden seiner
Gattin gerührt; und die ununterbrochne Glückseligkeit ih
res Ehestandes rechtfertigte seine weise und tugendhafte Wahl.
Er hat einen Sohn, Franz Hutcheson, Doctor der Arzney
kunst, hinterlassen, welcher frühe Proben seines fähigen Gei
stes abgeleget hat, und der Herausgeber dieses Werks ist.
Wenn jemand wünschen sollte, etwas von Hutchesons äusser
licher Gestalt zu wissen: so darf man nur sagen, daß sie ein
Bild seiner Seele war. Eine mittlere Länge, ein ungezwun
genes und freyes, aber anständiges und männliches Betra
gen, gab ihm ein edles Ansehen. Seine Gesichtsfarbe war
schön und roth, und seine Züge waren regelmäsig. Seine Mi
ne und sein Blick verriethen Verstand, Geist und ein gütiges
und heiteres Herz. Man wurde von seiner ganzen Person,
gleich beym ersten Anblick, zu seinem Vortheil eingenommen.
Es ist noch zu gedenken, daß man bey allem, was von
der Philosophie des Verfassers, gesagt worden ist, blos die
Absicht gehabt hat, die Meinungen desselben vorzutragen,
und daß der Verfertiger dieses Lebens, seine eigenen Gedanken
dabey ganz bey Seite gesetzt hat. Der Verfasser war ein
Freund der Wahrheit und der Freyheit zu denken, und er ver
langte nicht, daß jemand seine Meinungen annehmen sollte,
wenn er sich nicht überzeugt sähe, daß sie auf sichern Gründen
ruheten. Die Absicht, die Gottesfurcht, die Tugend und das
Beste der Menschen zu befördern, ist in dem ganzen Werke so
offenbar, daß man hoffen darf, der gröste Theil desselben wer
de den Beyfall aller unpartheyischer und gutgesinnter Leser er
38 Vorrede.
halten, so sehr auch der Verfertiger dieser Nachrichten, oder
andre Leute, in besondern Meinungen, oder in der Entschei
dung besondrer Fragen, von dem Verfasser abgehen möchten.
Einige gütige Richter werden, und vielleicht nicht ohne
Grund, den Ausspruch thun, daß von dem Character Hutche
sons, als Schriftsteller betrachtet, viel zu wenig gesagt wor
den. Sie werden sagen, „man habe von ihm nur erwähnt,
daß er die menschliche Seele, als ein moralisches Ganzes,
untersuchet, und darinnen eine Reihe von Neigungen, wel
che sich alle auf das Beste anderer, als den letzten Endzweck,
beziehen, und ein moralisches Gefühl, welches uns gewisse
Neigungen und Handlungen für gut, und die entgegenge
setzten für böse erkennen lässt, wahrgenommen habe.
Dieses alles aber habe er mit allen Philosophen gemein, die
mit ihm uneigennützige Neigungen in der menschlichen Na
tur zugeben. Er verdiene hingegen, in Ansehung der mei
sten und vornehmsten Artikel, die sich auf die Känt
nis der menschlichen Natur und der Sittlichkeit beziehen,
der Welt als ein Original vorgestellt zu werden. Denn
obgleich alle Anhänger der grosmüthigen Philosophie,
in unsrer Natur gewisse Neigungen annehmen, welche
die Glückseligkeit anderer zum letzten Gegenstand ha
ben: so wird und mus doch alsdenn, wenn die handelnde
Person sich nach den wichtigsten Regeln des menschlichen
Verhaltens umsieht, und die Fragen aufwirft: warum soll
ich dieses gegenwärtige Verlangen befriedigen? oder warum
soll ich mich ihm, zum Vortheil eines andern, widerse
tzen? von Hutcheson eine ganz andre Antwort erfolgen, als
die übrigen Philosophen bisher gegeben haben. Nach diesen
letztern ist die handelnde Person der Betrachtung ihrer per
sönlichen Glückseligkeit, welche aus der Herrschaft der tu
gendhaften Neigungen entspringt, überlassen, und durch die
Vorrede. 39
selbe wird ihre Wahl bestimmt; denn diese Philosophen neh
men für ausgemacht an, daß das ruhige und überlegte Be
streben der handelnden Person, nur einen letzten Zweck ha
ben könne, nämlich ihren eigenen höchsten Vortheil, oder ih
re persönliche Glückseligkeit. Hutchesons Lehre ist von ei
nem ganz andern Inhalt. Vermöge derselben giebt es drey
ruhige Bestimmungsgründe in unserer Natur, nämlich, das
ruhige Verlangen nach unserer eigenen Glückseligkeit; das
ruhige Verlangen nach der Glückseligkeit anderer Wesen,
und das ruhige Verlangen nach der sittlichen Vollkommen
heit. Jeder von diesen Bestimmungsgründen ist als
ein letzter Zweck anzusehen. Zwischen dem zweyten und
dritten kan schwerlich ein Widerspruch entstehen; aber
zwischen dem ersten und den übrigen beyden kan oft, wenig
stens ein scheinbarer Streit, vorfallen, und in allen diesen
Fällen ist es so fern, daß unsere Natur darauf eingerichtet
seyn sollte, dem Verlangen nach unsrer eignen Glückseligkeit,
zum Nachtheil der andern Bewegungsgründe, nachzugeben,
daß vielmehr das moralische Gefühl allemal der handelnden
Person gebietet, einem jeden von den letzten Bestimmungs
gründen den erstern willig aufzuopfern. Alles dieses sind
Sachen, welche auf die Erfahrung ankommen, und ein je
der mus hiervon, nach sich selbst, urtheilen. Nichts ist so sehr
streitig, als ob das Verlangen nach der sittlichen Vollkom
menheit, oder das Verlangen nach der eignen Glückseligkeit
für den höchsten Bestimmungsgrund angesehen werden
müsse, der mit der gegenwärtigen Beschaffenheit unsrer Na
tur übereinkommt. Vor unserm Verfasser ist niemals ein
Philosoph darauf gefallen, eine solche Vorstellung von un
srer Natur zu machen, daß der Trieb nach der sittlichen Vor
treflichkeit dafür angesehen werden müsse. Die Natur hat
die Eintracht zwischen den letztern beyden der drey höchsten“
40 Vorrede.
„Bestimmuugsgründe<Bestimmungsgründe> der menschlichen Seele gestiftet; aber
die Religion allein kan, nach unserm Verfasser, alle drey in
eine unveränderliche Harmonie bringen, und alle Mishel
ligkeit unter ihnen verhüten.
Man mus gestehen, daß Hutcheson diese Lehre vollstän
diger und gründlicher vorgetragen hat, als irgend einer von
den alten und neuen Weltweisen. Aber, daß keiner von ihnen
jemals darauf gefallen sey, kan ohne eine weitläuftige und
sehr genaue Prüfung ihrer Werke nicht mit Gewisheit be
hauptet werden, ungeachtet es vielleicht wahr seyn kan. Unser
Verfasser hat niemals auf den Ruhm neuer Entdeckungen
Anspruch gemacht, sondern ihn vielmehr verbeten. Man kan
dieses seiner ungemeinen Bescheidenheit zuschreiben; und viel
leicht rührt es von eben dieser liebenswürdigen Tugend her,
daß er die Sittenlehre mehr in der schlechten Gestalt bloser Er
fahrungen, als in der prächtigen Tracht einer tiefsinnigen
Wissenschaft ansahe; und daß er sich mehr bemühete, seine Leh
ren in den vornehmsten Stücken mit den Grundsätzen andrer
guter Moralisten in Verwandschaft zu bringen, als sie von
denselben zu trennen. Seine Absicht war also, zu zeigen, daß
wenn man die grosmüthigen Neigungen und das morali
sche Gefühl zugleich in der menschlichen Natur annimmt, die
Lehre von der ewigen Uebereinstimmung und Mishelligkeit
der Dinge und von der Unveränderlichkeit der moralischen
Wahrheiten, richtig und gründlich wird. Aber es ist Zeit, dem
Leser die Durchlesung des Werks und die Beurtheilung der
Lehren des Verfassers, zu überlassen, welche er bey einer ge
nauen Prüfung sehr wohl gegründet finden wird. Auf der
Universität zu Glasgow, den 24 December 1754.
W. Leechmann, Doctor und Professor der Gottesgelahrheit.
Der erste Abschnitt,
Von der Beschaffenheit der menschlichen
Natur, und ihren Kräften, vornehmlich von
dem Verstande, dem Willen und den
Leidenschaften.
I.Die Absicht der philosophischen Sittenlehre(Was die
philosophi
sche Sitten
lehre sey.)
ist, die Menschen zur Ausübung derjenigen
Handlungen zu gewöhnen, welche ihre gröste Glück
seligkeit und Vollkommenheit am sichersten beför
dern können; in so weit dieses durch Wahrnehmun
gen und Folgerungen, die aus der Beschaffenheit
der Natur hergeleitet werden, ohne Hülfe einer über
natürlichen Offenbarung geschehen kan. Diese
Grundregeln, oder Vorschriften des Verhaltens
werden dahero für Gesetze der Natur angesehen,
und das System oder die Sammlung derselben
wird das Gesetz der Natur
genennet.
Die menschliche Glückseligkeit, welche der(Die Känt
nis der
menschlichen Kräfte ist darinnen nöthig.)
Endzweck dieser Wissenschaft ist, kan nicht deut
lich eingesehen werden, wenn man sich nicht zuvor
mit der Beschaffenheit der menschlichen Natur, und
allen ihren empfindenden und handelnden Kräften,
(Erstes
Buch.)
42 Von der Beschaffenheit
und mit den natürlichen Gegenständen derselben be
kant gemacht hat. Denn die Glückseligkeit ist
derjenige Zustand der Seele, worein sie durch
ihre verschiedenen angenehmen Empfindungen oder
Veränderungen versetzt wird. Man verfährt also
in dieser Wissenschaft am natürlichsten, wenn man
die verschiedenen empfindenden und handelnden
Kräfte oder Fähigkeiten der Menschen nebst den
verschiedenen natürlichen Bestimmungen derselben,
und den Gegenständen, von welchen ihre Glückse
ligkeit entsteht, zuförderst untersucht; alsdenn aber
die verschiedenen Vergnügungen, deren sie fähig
sind, mit einander vergleicht, damit wir entdecken
können, worinnen die höchste Glückseligkeit und
Vollkommenheit bestehe, und wie das ganze Ver
halten beschaffen seyn müsse, durch welches dieselbe
erlangt werden kan.
Bey dieser Untersuchung darf man dasjenige,
was zwar, zur Natur unsers Körpers oder unsrer
Seele, gehört, aber in der Sittenlehre keinen grossen
Nutzen schaft, nur kurz berühren. Wir werden
unnöthige Streitigkeiten vermeiden, und wegen
desjenigen, was andre Schriftsteller bereits gut er
klärt haben, uns auf sie beziehen. Wir werden
dahero viel sinnreiche anatomische Betrachtungen
über die Vorzüge, welche der menschliche Körper
vor dem Körper andrer beseelter Geschöpfe hat,
übergehen. Der Leser wird dieselben bey anato
mischen Schriftstellern, und beym Docter Cum
berland finden.
der menschl. Natur und ihren Kräften. 43
(Erster Abschnitt.)
II. Wenn ihr den Menschen, von seiner Ge
burt an, betrachtet: so seht ihr ein Geschöpf, das(Schwach
beiten<Schwachheiten> der Menschen
von ihrer Kindheit an.)
schwächer, und weniger, als alle andere, fähig ist,
ohne Hülfe eines Erwachsenen, sich zu erhalten;
und das auch länger, als alle andre, in diesem
Stande des Unvermögens bleibt. Alle andre be
seelte Geschöpfe gelangen schon in wenigen Mona
ten zu ihrer vollen Lebhaftigkeit, und zu dem voll
kommenen Gebrauch ihrer Kräfte; wenige haben
mehr, als vier oder fünf Jahre, zu ihrer völligen
Reife nöthig. Zehen bis zwölf Jahre brauchen
die Menschen, ehe sie sich durch ihre eigene Kunst
und Arbeit erhalten können, selbst in den gesitte
testen Gesellschaften, und in den Weltgegenden, de
ren Bewohner sich von der Aehnlichkeit mit den wil
den Thieren am weitesten entfernt haben. Andere
beseelte Geschöpfe kommen bekleidet und bewafnet
aus der Hand der Natur; sie haben alles, was zu
ihrer Vertheidigung und Erhaltung gehört, ohne
daß ihres gleichen nöthig hätten, sich darum im
mindesten zu bemühen. Die unbebauete Erde giebt
ihnen ihre Nahrung; Wälder und Felsen dienen
ihnen zu Wohnungen. Die Menschen sind unbe
kleidet und unbewafnet. Jhre zuträglichste und
angenehmste Nahrung ist seltner, und erfordert
Mühe und Arbeit. Jhre Körper sind nicht im
Stande, den Unbequemlichkeiten der Witterung zu
widerstehen, wenn nicht für ihre Kleider und
Wohnungen mühsam gesorgt wird. In ihren zar
ten Jahren hängt also ihre Erhaltung von der
Sorgfalt der Erwachsenen ab; und ihr ganzes Le
ben würde elend seyn, wenn sie sich in Wüsteneyen
(Erstes
Buch.)
44 Von der Beschaffenheit
befänden, und des Beystands ihrer Mitbrüder sich
beraubt sähen.
(Die Ab
sichten der
selben.)
Man mus dieses für keine unbillige Grau
samkeit des Urhebers der Natur gegen die Men
schen ansehen. Wir werden bald das Gegenmittel
wider diese langwierige Schwachheit unsrer jün
gern Jahre in der zärtlichen Zuneigung der Aeltern
zubereitet finden; wir werden die Endursachen der
selben in den verschiedenen Verbesserungen wahr
nehmen, deren wir fähig sind. Die Mittel unse
rer Erhaltung erfordern viel Mühe und Geschick
lichkeit: wir sind verschiedener edler Vergnügungen
fähig, die andern beseelten Geschöpfen unbekant
sind, und in den nützlichen und angenehmen Kün
sten ihren Grund haben, welche wir, ohne eine
lange Erziehung, ohne vielen Unterricht, und ohne
die Nachahmung anderer, nicht erlernen können.
Wie viel Zeit haben wir nöthig, unsre Mutter
sprache zu lernen? Wie viel Geschicklichkeit wird
selbst zu den gemeinsten Künsten des Ackerbaues,
oder anderer zur Wirthschaft gehörigen Verrichtun
gen, erfordert? Ein Körper, mit voller Stär
ke ausgerüstet, ohne eine Seele, die weder
Künste noch Wissenschaften, noch gemeinnützige
Fähigkeiten besässe, würde uns unbändig und un
biegsam machen. Wir würden unsern Aeltern
und Lehrmeistern eine Last seyn. Da wir also nö
thig haben, unterwürfig zu bleiben: so haben wir
nicht so zeitig die Kräfte haben sollen, uns von die
sem nothwendigen und liebreichen Joche losmachen
zu können.
der menschl. Natur und ihren Kräften. 45
(Erster Abschnitt.)
III. Die natürlichen Triebfedern, welche sich
zuerst entdecken, sind unsre äusserlichen Sinne,(Kräfte, welche sich
zuerst äus
sern.)
nebst einigen geringen Kräften, uns selbst zu bewe
gen, einer Begierde nach Nahrung, und einem an
gebohrnen Trieb, sie zu uns zunehmen. Alle diese
Kräfte äussern sich für uns auf eine zu dunkle Art,
als daß wir sie vollkommen verstehen könten: noch
viel weniger wissen die Thiere, daß sie von ihnen zu
den Brüsten ihrer Mütter geführt werden, oder
daß eine besondere Bewegung der Luft nöthig ist,
wenn sie säugen wollen. Wir handeln anfänglich
alle auf gleiche Art nach angebohrnen Trieben, die
uns eine höhere Hand weislich eingepflanzt hat.
Unsre äusserlichen Sinne bringen bald Vor
stellungen des Vergnügens oder des Schmerzens in
unsre Seele: und mit diesen Vorstellungen entdeckt
sich zugleich unmittelbar eine natürliche immerwäh
rende Neigung, jenes zu wünschen, und diesen zu
verabscheuen; nach allem zu trachten, was die Ur
sache oder die Gelegenheit des Vergnügens seyn
kan, und hingegen die Ursachen des Schmerzens
sorgfältig zu vermeiden. Dieses sind wahrschein
licher Weise unsre ersten Begriffe von natürlichem
Guten und Uebel, von Glückseligkeit und Elend.
Die äusserlichen Sinne sind diejenige Einrich(Der eigent
liche Begrif der sinnli
chen Empfin
dung.)
tung unserer Natur, vermittelst welcher alle
mal gewisse Vorstellungen in der Seele ent
stehen, so oft die Gliedmassen des Körpers ent
weder gewisse Eindrücke empfangen, oder
in gewisse Bewegungen gesetztwerden. Ei
nige von diesen Vorstellungen erhalten wir blos durch
(Erstes
Buch.)
46 Von der Beschaffenheit
einen Sinn, andre durch zween oder mehrere.
Untern die erstern gehören diese fünf Arten, näm
lich, Farben, Töne, Geschmack, Geruch, Kälte
oder Hitze; einige scharfsinnige Schriftsteller zäh
len ihrer mehr. Wir können diese die eigentlichen
Begriffe der sinnlichen Empfindung nennen.
Die Gelehrten sind darinnen einig, daß diese
sinnlichen Empfindungen weder in Abbildungen
oder Vorstellungen der äusserlichen Eigenschaften
in den Gegenständen, noch in den Eindrücken oder
Veränderungen, welche die Gliedmassen des Kör
pers empfangen, bestehen. Sie sind entweder
Zeichen, welche uns neue Vorfallenheiten in un
serm Körper, wovon uns die Erfahrung und
Beobachtung die Ursachen entdeckt, ankündigen;
oder sie sind Merkmale, die der Urheber der
Natur angegeben hat, uns zu unterrichten, welche
Dinge nützlich und unschädlich, oder schädlich sind;
oder sie sind Anzeigen der Dinge, welche wir aus
serdem nicht unterscheiden würden, und die gleich
wohl in unsern Zustand einen Einflus haben.
Doch alle diese Merkmale oder Zeichen können zu
der Abbildung dessen, was sich ausser uns befin
det, eben so wenig beytragen, als der Knall eines
Geschützes, oder die Entzündung des Pulvers das
Unglück eines Schiffs abbildet. Die angenehmen
sinnlichen Empfindungen des Geschmacks, Ge
ruchs, und Gefühls, entstehen von unschädlichen
oder nützlichen Gegenständen, wenn sie mit der ge
hörigen Mässigung gebraucht werden: die unange
nehmen oder schmerzhaften Empfindungen hinge
der menschl. Natur und ihrer Kräften. 47(Erster Abschnitt)
gen von solchen, welche schädlich sind, oder keinen
Nutzen haben. Durch das Gesicht und Gehör
scheint der Schmerz keinen unmittelbaren Zugang
zu uns zu finden; kaum ist eine sichtbare Gestalt
oder ein Ton eine unmittelbare Gelegenheit dazu;
obgleich die gewaltsame Bewegung des Lichts oder
der Luft, eine schmerzhafte Empfindung hervorbrin
gen kan. Und doch empfängt die Seele das un
schätzbare Vergnügen über Schönheit und Har
monie, und die Begriffe von Grösse, Figur, Lage
und Bewegung, durch Hülfe des Gesichts und Ge
hörs. Nicht durch diese beyden letztern, sondern
durch die ersten drey, wird in uns das Vergnügen
hervorgebracht, das man sinnlich
nennt.
Die Begriffe, welche wir durch zween oder(Begleiten
de Begriffe der sinnli
chen Em
pfindung.)
mehrere Sinne erhalten, sind Dauer, Anzahl,
Ausdehnung, Figur, Bewegung, Ruhe. Dauer
und Anzahl haben in jeder Vorstellung oder Hand
lung in der Seele statt, sie mag von den Glied
massen des Körpers abhängen oder nicht. Die ein
fachen Begriffe in dieser Classe, welche einige die
begleitenden Begriffe der sinnlichen Empfindung
nennen, sind nicht ohne Ausnahme entweder ange
nehm oder schmerzhaft. Wir finden, an der Ver
einigung verschiedener Arten von Figuren und Be
wegungen, Vergnügen. In den Verhältnissen der
Figur mit der Farbe, liegt Schönheit, und in den
Verhältnissen der Zeit und der Töne, ist Harmonie.
Die Verhältnisse der Zahlen und Figuren sind das
Feld, auf welchem wir die Kräfte unsrer Vernunft
am freyesten und uneingeschränktesten beschäftigen
können. Hiervon hernachmals.
(Erstes
Buch.)
48 Von der Beschaffenheit
IV. Es giebt eine andere natürliche Kraft der
(Begriffe
vom Be
wustseyn und Nach
denken.) Vorstellung, die zwar immer angewendet, aber
nicht genug überdacht wird, eine innerliche Em
pfindung, Wahrnehmung oder ein Bewustseyn al
ler Handlungen, Leidenschaften und Veränderungen
der Seele, wodurch ihre eigenen Vorstellungen,
Urtheile, Schlüsse, Neigungen und Empfindungen,
die Gegenstände ihrer Betrachtung werden können.
Sie kennt sie, und weis ihre Benennungen; und
also kennt sie auf eben die Art, wie sie Körper
kennt, sich selbst, durch unmittelbar empfundene
Eigenschaften, ungeachtet das Wesen beyder unbe
kant ist.
(Urtheile und Schlüsse)
Diese beyden Vorstellungskräfte, die sinnli
che Empfindung und das Bewustseyn, brin
gen der Seele die Gegenstände ihrer Erkäntnis zu.
Alle unsre ersten und unmittelbaren Begriffe ent
springen aus einer von diesen zwo Quellen. Aber
die Seele bleibt nicht bey der blossen Vorstellung
der Dinge stehen. Sie vergleicht die erhaltenen
Begriffe, unterscheidet ihre Beziehungen, bemerkt
die Verändrungen, welche in den Gegenständen ih
rer Betrachtung durch Handlungen, die wir selbst
oder andere unternehmen, veranlasst werden; sie
untersucht die Natur, die Verhältnisse, die Ursa
chen und Wirkungen, die vorhergehenden und nach
folgenden Umstände eines jeden Dinges, wenn sie
nicht durch ungestüme Begierden daran verhindert
wird. Diese Kräfte zu urtheilen und zu schliessen,
sind bekanter, und von allen Philosophen besser
untersucht worden, als irgend eine andre; dahero
der menschl. Natur und ihren Kräften. 49(Erster Abschnitt.)
wir sie übergehen. Alle diese verschiedenen Kräfte
der äusserlichen Empfindung, des Bewusstseyns,
des Urtheilens und des Schliessens werden gemeinig
lich die Wirkungen des Verstands
genennt.
V. Ob es gleich noch einige andere Arten(Die Wir
kungen des
Willens.)
von feinern Empfindungen giebt, die den Men
schen natürlich zu seyn scheinen: so haben doch ei
nige davon die Wirkungen des Willens, die Nei
gungen und Leidenschaften zum Gegenstand. Es
ist dahero nöthig, den Willen und seine natürlichen
Bestimmungen zuförderst ein wenig zu betrachten,
ehe wir uns zu diesen feinern Erfindungen wenden.
Es ist klar, daß, sobald als ein Begrif, ein
Urtheil oder ein Schlus, uns einen Gegenstand
oder eine Begebenheit als unmittelbar gut oder an
genehm, oder als das Mittel eines künftigen Ver
gnügens oder der Sicherheit vor dem Uebel, ent
weder in Absicht auf uns selbst, oder auf eine Person,
die uns lieb ist, vorstellt; daß als denn unmittelbar ei
ne neue Bewegung der Seele entsteht, die von den
Wirkungen des Verstandes unterschieden ist, näm
lich ein Verlangen nach diesem Gegenstand oder
dieser Begebenheit. Sobald wir aber wahrneh
men oder dafür halten, daß ein Gegenstand oder
eine Begebenheit die Gelegenheit zu Schmerz oder
Elend, oder zu dem Verlust eines Gutes, sey; so
bald entsteht die entgegengesetzte Bewegung, welche
Abscheu genennt wird. In allen diesen Fäl
len entstehen die ersten Bewegungen des Willens
von Natur, ohne daß eine Wahl oder ein Ge
heis vorhergeht, und sie sind die allgemeinen
(Erstes
Buch.)
50 Von der Beschaffenheit
Quellen der Handlungen eines jeden vernünftigen
Wesens.
(Vier all
gemeine Classen der
Wirkungen des Willens.)
Zu dem Willen werden genteiniglichgemeiniglich zwo an
dre Gemüthsbewegungen gerechnet, welche, von un
sern Vorstellungen der Gegenstände oder Bege
benheiten, herrühren, in sofern sie, unserm Ver
langen gemäs, erhalten, oder nicht erhalten wer
ten; oder in sofern sie, unserm Abscheu ge
mäs, entfernt und verhütet werden, oder nicht.
Sie werden Freude und Traurigkeit genennet.
Aber da dieselben die Seele nicht unmittelbar in
Bewegung setzen: so scheinen sie eher neue
Empfindungen der Seele, als Wirkungen des
Willens zu seyn. Dem ungeachtet werden diese
Worte oft ohne Unterschied gebraucht, wie es bey
vielen andern Benennungen der Handlungen und
Leidenschaften gewöhnlich ist. Wie man also
durch Vergnügen oder Freude das Verlangen
nach einer Begebenheit, die, wenn sie sich zuträgt,
uns erfreuen wird, auszudrücken pflegt: also wird
Traurigkeit an statt Furcht oder Abscheu ge
braucht. Wir haben dahero die alte
*
Eintheilung
der Bewegungen des Willens, in Verlangen, Ab
4
der menschl. Natur und ihren Kräften. 51(Erster Abschnitt)
scheu, Freude und Traurigkeit angenommen. Wir
können uns auch schwerlich einen Geist vorstellen,
der nicht diese Veränderungen und Bewegungen
des Willens auf eine oder andere Art hätte. Da
die Gottheit alle Macht und alle Vollkommenheit
besitzt: so mus sie freylich aller Bewegungen, die
einen Schmerz einschliessen, unfähig seyn.
Die Wirkungen des Willens können wie(Eigennü
tzige und ge
meinnützige
Wirkungen des Willens)
derum in zwo Classen getheilet werden. Einige
sind auf die Erlangung des Guten und Abwendung
des Gegentheils, in Absicht auf unsern eigenen
Vortheil; einige aber sind auf die Erlangung
des Guten in Absicht auf andere; und auf
die Abwendung der Uebel, die ihnen drohen, ge
richtet. Die erstern wollen wir eigennützig oder
auf uns selbst gerichtet, die andern aber gemein
nützig oder auf andere gerichtet, nennen. Man
mag mit so tiefer Gründlichkeit, als man will, zu
behaupten suchen, daß alle Bewegungen des
Willens aus einer Quelle entspringen: so kan doch
niemand läugnen, daß wir oft ein inneres wahres und
unverstelltes Verlangen, nach der Wohlfart anderer,
in sehr verschiedenen Graden, in uns wahrnehmen.
VI. Es giebt zwo ruhige natürliche Bestim(Die zwo ruhigen Be
stimmungen des Willens. Selbstliebe)
mungen des Willens, welche bey dieser Gele
genheit besonders betrachtet werden müssen.
Erstlich ein unveränderlicher und immerwährender
Trieb nach unserer eigenen höchsten Vollkommen
heit und Glückseligkeit. Dieser natürliche Trieb
wirkt in dem ganzen Geschlechte der Menschen. Da
sie über ihre eigene Beschaffenheit und über ihre
Kräfte, zu handeln und zu empfinden, nicht nach
(Erstes
Buch.)
52 Von der Beschaffenheit
denken, noch darauf merken: so haben wenige die
verschiedenen angenehmen Empfindungen, deren sie
fähig sind, oder die verschiedenen Kräfte zu han
deln, betrachtet und verglichen. Wer aber dieses
thut, wird ein ruhiges Verlangen nach der Voll
kommenheit aller unsrer thätigen Kräfte, und nach
den höchsten angenehmen Empfindungen, welche,
wie wir bey der Vergleichung finden, den wichtig
sten Einflus auf unsre Glückseligkeit haben, in uns
wahrnehmen. Diejenigen, welche diese Betrach
tungen und Vergleichungen nicht angestellt haben,
tragen ein natürliches Verlangen nach solchen Ar
ten von angenehmen Empfindungen, wovon sie
durch ihre Sinne oder höhere geübte Kräfte einige
Begriffe erlangt haben, in sofern dieselben neben
einander bestehen, oder zu bestehen scheinen; und
begehren die Vollkommenheit solcher Kräfte, die ihre
Erwartung erfüllen können. Wenn diese Empfin
dungen einander zuwider zu seyn scheinen: so wird
die Seele, wenn sie ruhig ist, vor allen andern die
jenigen verlangen, welche den wichtigsten Einflus
auf ihre Glückseligkeit zu haben scheinen. So weit
sind alle einig.
(Liebe ge
gen andre.)
Die andre erwähnte Bestimmung des Wil
lens ist auf die allgemeine Glückseligkeit anderer ge
richtet. Wenn die Seele ruhig ist, und die Be
schaffenheit und Kräfte anderer Wesen, ihre na
türlichen Handlungen und Fähigkeiten, glückselig
oder elend zu seyn, betrachtet; wenn die eigennü
tzigen Triebe, Leidenschaften und Begierden ent
schlummert sind: so äussert sich ein ruhiger Trieb
der Seele, die grösste Glückseligkeit und Vollkom
der menschl. Natur und ihren Kräften. 53(Erster Abschnitt.)
menheit der ganzen ihr bekanten Welt zu verlan
gen. Unser innerliches Bewustseyn ist ein unver
werflicher Zeuge, daß ein solcher Trieb, eine solche
Bestimmung der Seele in uns ohne alle Bezie
hung auf eine Art unsrer eignen Glückseligkeit
wirkt. Aber hier findet sich wiederum, daß, weil
wenige das ganze System der den Menschen be
kanten Wesen untersucht haben, diese Bestimmung
des Willens sich nicht immer, und nicht in ihrem
ganzen Umfange, äussert; sondern wir finden nur
ein natürliches Verlangen nach der Glückseligkeit
einer solchen einzelnen Person, solcher Gesellschaften,
und solcher Systemen, wider welche bey einer ruhi
gen Betrachtung, weder ein Vorurtheil, noch die
Vermuthung streitet, daß ihre Glückseligkeit der
unsrigen auf einige Art entgegen sey.
Da der Begrif unsrer eignen höchsten Glück
seligkeit, oder die grösste Summe angenehmer Em
pfindungen, nicht bey allen Menschen insgesamt an
zutreffen ist: so ist dieselbe auch nicht ihr aus
drücklicher Wunsch oder Endzweck. Wir können
dahero nicht sagen, daß jedes besonderes ruhiges
Verlangen nach eigenem Vortheil die Erreichung
dieser Summe zur eigentlichen Absicht habe, und
daß nach dem Gegenstand dieses Verlangens, un
ter dem Begrif eines nothwendigen Theils dieser
Summe, getrachtet werde. Die Menschen ver
langen von Natur, selbst bey ruhigen Bewegun
gen der Seele, nur nach solchen Gegenständen,
welche Nutzen bringen, oder die Vermittler ange
nehmer Empfindungen sind, als nach Reichthum,
Gewalt, Ehre; ohne daß sie dabey die Gedanke
(Erstes
Buch.)
54 Von der Beschaffenheit
haben, dieselben zu einem Theil der grössten Sum
me zu machen. Auf gleiche Art haben wir ruhige
Neigungen des Wohlwollens gegen einzelne Perso
nen, oder kleinere Gesellschaften unsrer Mitbrüder,
wobey keine Betrachtung des ganzen grossen
Systems vorhergegangen ist, und wobey diese
Personen und Gesellschaften nicht als Theile dieses
grossen Systems angesehen, noch ihre Glückselig
keit, als ein Theil der grössten Summe der allge
meinen Glückseligkeit, begehrt worden. Derglei
chen sind unsre ruhigen Neigungen des Wohlwol
lens gegen Freunde, gegen das Vaterland, gegen
Personen von ausserordentlichen Verdiensten, ohne
daß wir uns in unsern Gedanken auf das ganze
grosse System beziehen. Wir können, wenn wir
wollen, alle angenehmen Empfindungen, welche
wir, blos um unsertwillen, begehren, zu der gröss
ten Summe unsrer eigenen Glückseligkeit schla
gen; und wir können auf gleiche Art alle unsre ru
higen besondern Neigungen des Wohlwollens gegen
andre, zu der allgemeinen Wohlgewogenheit, im
weitesten Umfange, bringen. Es ist von wichti
gen Folgen, solche grosse Absichten zu haben, und
diese Beziehungen zu machen. Doch es ist klar,
daß die verschiedenen besondern Neigungen, sie mö
gen auf uns selbst oder auf andere gerichtet seyn,
ohne unruhige Bewegungen wirken, wenn auch
keine solche Beziehungen vorhergegangen sind.
(Unruhige auf uns selbst und andre gerichtete Leidenschaf
ten.)
VII. Doch ausser allen diesen ruhigen Be
wegungen des Willens, die von einem kleinern
oder grössern Umfang sind, giebt es besondere Lei
der menschl. Natur und ihren Kräften. 55(Erster Abschnitt.)
denschaften und Begierden, welche bey gewissen
Gelegenheiten, natürlicher Weise entstehen; deren
jede ihre eigene Befriedigung, ohne alle weitere
Beziehung, zum letzten Zweck hat; und welche von
heftigen, verworrenen und unangenehmen Em
pfindungen begleitet werden, die so lange fort
dauern, bis der Gegenstand oder die Befriedigung
erlangt worden. Einige von diesen unruhigen
Leidenschaften und Begierden sind auf uns selbst,
einige aber auf andere gerichtet, und einige sind
beydes zugleich. Von der ersten Art sind Hun
ger, Durst, Wollust, Triebe zum sinnlichen Ver
gnügen, Reichthum, Macht oder Ruhm. Von
der zweyten Art sind Mitleiden, Glückwünschun
gen, Dankbarkeit, eheliche und verwandschaftliche
Neigungen, so oft als sie zu heftigen und unruhi
gen Bewegungen der Seele werden. Zorn, Neid,
Unwillen, können zu beyden Arten gehören, nach
dem sie aus der Betrachtung einer Hindernis entweder
unsers eigenen Vortheils, oder des Vortheils unsrer
Freunde, oder andrer geliebter und hochgeachteter
Personen entstehen. Alle diese entstehen bey na
türlichen Gelegenheiten, wobey die Seele weder
auf die grösste Glückseligkeit ihrer selbst, noch an
derer, bedacht ist.
Der Unterschied zwischen den ruhigen und
unruhigen Bewegungen des Willens, sie mögen
auf uns selbst oder auf andere gehen, mus einem
jeden in die Augen fallen, welcher in Erwägung
zieht, wie oft dieselben einander entgegen han
(Erstes
Buch.)
56 Von der Beschaffenheit
deln.
*
So wird uns Zorn oder Wollust auf ei
ne Seite ziehen; und ein ruhiger Blick auf unsern
höchsten Vortheil, auf die grösste Summe des
eigenen Wohls, oder auf einigen besondern Vor
theil, wird uns auf die entgegengesetzte Seite len
ken. Zuweilen überwindet die Leidenschaft den ru
higen Trieb; und zuweilen ist der letzte Sieger.
Das ruhige Verlangen nach Reichthum wird man
chen, obgleich nicht ohne Weigerung, zu starken
Ausgaben nöthigen, wenn er dadurch zu einem
vortheilhaften Handel, oder zu einer einträg
lichen Beförderung gelangen kan; unterdessen wird
der Geitz über diese Ausgaben unwillig werden.
Das stille Verlangen nach unsrer Kinder oder
Freunde Tugend, Ehre und Vollkommenheit wird
uns veranlassen, sie von uns hinwegzusenden,
und Gefahren auszusetzen; dahingegen die väter
liche und mütterliche oder freundschaftliche Leiden
schaft sich diesem Vorhaben widersetzet. Dankbar
keit, Mitleiden und freundschaftliche Liebe, werden
uns auf dieser Seite anliegen; auf der andern
werden wir von der Liebe des Vaterlandes oder ei
ner Zuneigung von grösserm Umfange, angetrieben
werden. Wir strafen unsre Kinder, wir schrän
ken sie ein, wir halten sie zu mühsamen Lernen und
Arbeiten an, aus einer ruhigen Zuneigung; un
terdessen daß eine zärtliche Leidenschaft, alles, was
ihnen beschwerlich ist, misbilliget. Den Begier
den zuwider, welche zur Erhaltung des Lebens, nach
5
der menschl. Natur und ihren Kräften. 57(Erster Abschnitt.)
dem Lauf der Natur, bestimmt sind, beredet uns
die Liebe des Lebens zur Enthaltsamkeit, zu schmerz
haften Curen, und zu ekelhaften Arzneyen.
Gleichwie zu dem Verstand nicht nur die
niedern Kräfte der sinnlichen Empfindung, die wir
mit den unvernünftigen Thieren gemein haben, son
dern auch die Kräfte der Vernunft und des Bewust
seyns gehören; also
gehörenauch<gehören auch> zu dem Willen nicht
nur die körperlichen Begierden und unruhigen
Leidenschaften, sondern auch die verschiedenen ruhi
gen und weniger eingeschränkten Neigungen einer
edlern Art.
VIII. Wir schreiben auch dem Willen die(Kräfte der Bewegung.)
Kraft zu, uns selbst zu bewegen; weil wir, wenn
wir die Bewegung wollen, gewisse Theile des Kör
pers so bewegen, wie es unser Wille vorschreibt.
Es sind nicht alle Theile desselben so eingerichtet,
daß wir sie, nach unserm Gefallen, bewegen kön
ten; sondern blos diejenigen, deren Einrichtung
auf diese Art für uns nothwendig, und im Leben
nützlich ist. Die Bewegungen der innern Theile,
von welchen die Dauer des Lebens unmittelbar ab
hängt, geschehen ohne alle Wirkungen unsers
Willens, und wir können sie durch kein unmittel
bares Wollen geschwinder oder langsamer machen.
Die Aufsicht über die Bewegungen, welche un
aufhörlich nothwendig sind, würde die Seele be
ständig beunruhigen, und sie zu allen andern Be
schäftigungen unfätzig<unfähig> machen. Es erregt auch
nicht jede Bewegung noch jeder Eindruck auf die
Theile des Körpers, Empfindungen in der Seele.
(Erstes
Buch)
58 Von der Beschaffenheit
Die innern Bewegungen, von welchen das Leben
unmittelbar abhängt, empfindet sie nicht, so lange
der Körper in guter Ordnung ist. Eine solche
Empfindung würde eine beschwerliche und unnütze
Zerstreuung der Seele bey allen ihren guten Unter
nehmungen seyn; wie bey einer Krankheit zu ge
schehen pflegt, wenn wir die Bewegung des Her
zens, oder den Pulsschlag fühlen. Die sinnlichen
Empfindungen zeigen uns nur solche Veränderun
gen, Begebenheiten, oder Gegenstände an, von
welchen wir unterrichtet zu seyn nöthig haben.
Dahero ist die Bewegung des Haupts, der Augen,
des Munds, der Zunge, der Füsse, und des un
schäzbarsten und mit der grössten Kunst gebildeten
Werkzeugs, der Hand, unserm Willen unterwor
fen. Alles dieses sind deutliche Beweise der weisen
und gütigen Einrichtung unsers Schöpfers. Un
sre Glieder werden unmittelbar durch die Muskeln
und durch eine Kraft bewegt, welche das Haupt,
vermittelst der Nerven, durch unsern Körper ver
breitet. Aber, bey unsern willkührlichen Bewe
gungen, wissen wir von dieser Zwischenbewegung
eben so wenig, als wir sie wollen. Wir haben die
lezte Bewegung zur Absicht; und die andern ge
schehen ohne unser Wissen und Willen. Auf glei
che Art wird die sinnliche Empfindung, durch eine
Bewegung in einer Nerve, die bis zu dem Gehirn
fortgehet, hervorgebracht. Wir empfinden keine
Bewegung im Gehirn; sondern wir haben eine
Empfindung, die sich blos auf den äusserlichen Theil
des Körpers, der den Eindruck empfangen hat, be
zieht, und die blos diesen Theil einzunehmen scheint;
der menschl. Natur und ihren Kräften. 59(Zweyter Abschnitt.)
wovon wir keine Erklärung angeben können. Die
se Betrachtungen haben einige scharfsinnige und
fromme Männer auf die Muthmassung gebracht,
daß ein höhers Wesen, oder die Gottheit selbst, nach
gewissen allgemeinen Gesetzen, die einzige physika
lische Ursache aller unsrer Bewegungen, und die
einzige Ursache aller unserer sinnlichen Empfindun
gen seyn müsse.
[voriger Abschnitt] 2/21 [nächster Abschnitt]
4
*
Man sehe die tuscula
nischen Fragen des
Cicero im dritten und vierten Bu
che nach. Virgil sagt:
Hinc metuunt, cupiuntque,
dolent gaudentque
------
Von den Stoikern, den ge
schwornen Feinden der Lei
denschaften, wurde selbst
der Gottheit die β^%/{ου}λησις
und %)ευλάβεια und χαρὰ,
im vollkommensten Grade
beygelegt. Aber alle diese
waren von einer höhern
Gattung, als die unruhigen
Leidenschaften. Von dieser
Eintheilung wird hernach
weiter gehandelt.
5
*
Dieses hat Plato im
neunten Buche von der
Re
publik und
Aristoteles in
der Sittenlehre sehr wohl
beschrieben.