Einführung

Hans Vredeman de Vries (Ioannes Phrys): Theatrvm Vitae Hvmanae
Constanze Baum

1. Titel
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Theatrvm Vitæ Hvmanæ. Æneis Tabvlis Per. Ioa Phrys. Exaratvm. Ter binos deciesq[ue] nouem superexit in annos. Justa senescentum quos impset vita virorum. Excude. Petrus Balt Antwerp. 1577. S menschen leuen, heeft sÿnen voortganck deur den Tÿdt, In tdeel dat hem Godt toeuoecht, tsÿ schade oft profyt,: Dat in ses eeuwen, soo v wÿsen dees fegueren, Nae die vÿf Oorden, der Colummen, metter vlyt; G hedeildt; daer elck siet, sÿn besueten en besueren, Dwelck Godt werckt, deur den tÿdt; in syn creatueren. Toute chose a du temps sa source, mesme l’home, Et apparoist le bien ou mal que Dieu lui donne, Par temps, s’il suit de vice ou vertu se parti; En six fois seize ans est son aage reparti; Selon les six pilliers mis en ceste figure Ou contemplez l’estat de l’humaine nature, Antwerpen: Peeter Balten, 1577. - Titelblatt (Kupfertafel), 6 S. (Ill.), quer 4°.

2. Verfasser
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Hans Vredeman de Vries (1527-1604), unter zahlreichen ähnlich lautenden Namensfassungen greifbar (Johannes Vredmann Vriese, Ioan Vredem Vriese, Iohannes Phrys etc.), war Maler, Architekt, Ornamentmaler und Dekorateur. Er wurde in Friesland geboren und trug maßgeblich zum Kulturtransfer italienischer Architekturtheorie in die nordalpinen Gebiete, insbesondere die Niederlande, bei. In zahlreichen seiner Publikationen orientierte er sich an Vitruvs (ca. 70 v.Chr. – 10 v.Chr.) Lehren und fand damit Anschluss an dessen Rezeption durch italienische Renaissance-Architekten und –theoretiker wie Leon Battista Alberti (1404-1472).

Seine künstlerische Ausbildung begann Vries mit einer Lehre zum Glasmaler, später zum Stadtmaler. Schon vor Beginn seines eigentlichen künstlerischen Schaffens lernte er nachweislich die Werke Sebastiano Serlios (1475-1554) und Vitruvs kennen (Thieme/Becker, S. 575), erste Arbeiten von seiner Hand sind ab 1555 nachweisbar. Vries war hauptsächlich in Antwerpen tätig, das er jedoch 1570 für fünf Jahre aufgrund eines Erlasses des Herzog von Alba (1507-1582), dem Statthalter der Spanischen Niederlande, aus glaubenspolitischen Gründen verlassen musste. So bestimmt denn auch die politische Situation der Niederlande seine wechselvolle Biographie und bildet zugleich die Grundlage für seinen weitreichenden nordeuropäischen Einfluss. Ein Italienaufenthalt erscheint unwahrscheinlich, die eigenwillige Verwendung antiker und renaissancistischer Formelemente spricht wohl eher für einen freien Umgang mit dem Material, das er aus schriftlichen, teils illustrierten Traktaten oder graphischen Vorlagen kannte oder zu rekonstruieren vermochte. Nach Abzug der Spanier wurde Vries 1577 für acht Jahre zum Festungsbauingenieur in Antwerpen ernannt, bis die Stadt unter oberitalienische Regentschaft fiel.

Ab 1785 war Vries am Hof des Herzogs von Braunschweig in Wolfenbüttel tätig. Weitere Stationen sind Hamburg, Danzig, Prag und Amsterdam. Seine Bemühungen um eine Professur für Architekturlehre nach 1600 an der Universität Leiden scheiterten. 1604 stirbt Vredeman de Vries.

In künstlerischer Hinsicht steht er in der Nachfolge von Cornelis Floris (1514-1575), als dessen bedeutendster Schüler er gilt. Schon seine frühen Ornamentstichfolgen offenbaren diesen Einfluss. Zugleich lässt sich stilanalytisch eine Anbindung an die Schule von Fontainebleau und Androuet du Cerceau (ca. 1510-1585) ausmachen. Seine Architektur- und Perspektivstudien sind herausragende, autonome Einzelstücke. Vries’ schier unerschöpflicher Variantenreichtum zeigt sich in seinen Vorlagenbüchern. Jantzen betont, dass sie „für die Entwicklung des Architekturbildes einen ersten Programmentwurf“ (Jantzen, S. 22) darstellen. Diese Musterbücher, darunter Artis perspectivae plurimum generum etc. multigenis fontibus (bei Gerard de Jode, 1560), Artis perspectiva etc. formualae (bei Johannes und Lucas Deutecum, Antwerpen 1568, gestochen von Gerard de Jode) und Architectura, oder Bauung der Antiquen auss dem Vitruvius, woellches sein funff Collummen orden etc. (bei Gerard de Jode, Antwerpen 1577), haben in der Nachfolge durch zahlreiche Neuauflagen, Übertragungen und Nachstiche große Verbreitung erfahren. Als Verleger seiner Werke treten Hieronymus Cock, Gerard de Jode, Johannes, Theodoor und Philips Galle, Peeter Balten, Hendrik Hondius der Ältere, Jan Janssen und Johannes und Lucas Deutecum in Antwerpen und Amsterdam in Erscheinung. Ganz im Sprachduktus der Theatrum-Literatur weist Hedicke darauf hin, dass „das architektonische und ornamentale Wollen seiner Zeit [...] am besten bei ihm und bei ihm allein erschöpfend sich vor Augen stellen [kann]“ (Hedicke, S. 128). ‚Vor Augen zu stellen’ vermag Vries in seinen Musterbüchern Elemente, die in späteren Umsetzungen sowohl in der Architektur als auch in Gartenanlagen und Freskierungen Eingang gefunden haben. Neben Gemälden religiösen Inhalts malte Vries Architekturbilder und lieferte Perspektiven für Gärten. Seine Söhne Paul und Salomon de Vries folgten ihm künstlerisch, wenn auch weniger bedeutend, nach.

3. Publikation
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3.1. Erstdruck
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Das Theatrvm Vitae Hvmanae erschien 1577 bei Peeter Balten (auch Pieter Baltens, 1527-1584) in Antwerpen. Hollstein (S. 88) schreibt die Stichvorlagen Jeronimus Wierix (1553-1619) zu, Alvin (S. 298) und Uppenkamp (S. 143) dagegen dessen Bruder Jan Wierix (1549-1615). Die Stiche 2, 3, 4 und 6 weisen das Monogramm IHW auf.

Einige Exemplare des Erstdrucks (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. Uf 4° Sammelbd. 3 (3); Wellcome Library London) weisen zusätzlich eine durchgehende niederländisch-französische Versbeschriftung der einzelnen Blätter auf, die in der hier zugrunde gelegten digitalen Auflage (Folger Shakespeare Online Library) nur auf dem Titelblatt zu finden ist. Der Verfasser des zweisprachigen Textes ist unbekannt, wird von Uppenkamp (S. 166) jedoch im Umkreis von Justus Lipsius verortet.


Standorte des Erstdrucks

3.2. Weitere Ausgaben
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Erschienen bei Theodoor Galle um 1600.

Eine weitere Ausgabe erschien 1638 bei Johannes Galle ebenfalls in Antwerpen. In der Kartusche der Titelseite erscheint „Apud Ioannem Gallæum/ Antverpiӕ/ Anno 1638.“

Faksimilie der Erstausgabe Leeuwarden 1977 (Handelsdrukkerij van 1874).

3.2.1. Mikroform-Ausgabe
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Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek. Vorlage: Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. M: Uf 4° Sammelbd. 3 (3).

3.2.2. Digitale Ausgaben
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- Digitale Ausgaben der Ausgabe von 1577

- Digitale Ausgabe der Ausgabe von 1638

  • London: British Museum. Vorlage: Exemplar des British Museum London, Einzelsign. 1877,0811.1142-1877,0811.1148.

4. Inhalt
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Bei dem Theatrvm Vitae Hvmanae von Vredeman de Vries handelt es sich um eine Stichfolge von insgesamt sechs querformatigen Blättern. Die Serie wird zusätzlich von einem reich dekorierten Titelblatt eröffnet. Vries zeigt auf den einzelnen Stichen den typologischen Zusammenschluss von Lebensaltern und Säulenordnungen und bindet damit emblematische Traditionen und architekturtheoretisches Wissen in ein von ihm erschaffenes, neues Bildgenre. Die Präsentation der Säulenordnungen beschäftigt ihn nachweislich schon ab 1568. 1577 erscheinen nicht nur erneute Auflagen seiner Architekturbücher, die dies zum Thema haben, sondern auch das Theatrum Vitae Humanae. Es bleibt das einzige Theatrum, das Vredeman de Vries in seiner langen Laufbahn anfertigt.

Der vielschichtig gestaltete erste Kupferstich zeigt den in lateinischen Majuskeln gesetzten Theatrum-Titel – von Vries aus eherner Tafel herausgestemmt („aeneis tabulis ... exaratum“, Titelblatt) – in einer von Bandel- und Rollwerk eingefassten, epitaphähnlichen Kartusche, die durch architektonische Elemente wie Gesimse, Konsolen und Rahmungen Gestalt annimmt. Die ionische Ordnung bestimmt das Repertoire der aufgerufenen architektonischen Formelemente. Die durch Ornament und Beschläge entstehenden einzelnen Felder sind beidseitig des Titels mit allegorischen Szenen von Jugend linkerhand – heraldisch gesehen rechts – und Alter rechterhand gefüllt. Eine Allegorie der Zeit, Chronos, als nackte Büste mit ausgemergeltem Gesicht und ausgestreckten Armen in einer Muschel über die Titelplatte gesetzt, trägt eine geflügelte Sanduhr auf dem Kopf, Sonne und Mond als Zeichen von Tag und Nacht zieren seine Brust. In den Händen hält die Figur, die den Blick starr zum Betrachter gewandt hat, gleich einer Waage zwei abgetrennte Köpfe: in der erhobenen Rechten den Kopf eines Säuglings, in der sinkenden Linken das bärtige Haupt eines alten Mannes. Die solchermaßen gesetzte Trennung von Jung und Alt bestimmt auch den restlichen Aufbau des Blattes, das vom Betrachter aus gesehen links einen noch gewickelten Säugling zeigt, der in der erhobenen Hand munter eine Rassel schwingt, während er sich mit der anderen, die einen Palmzweig hält, noch stützen muss. Auf der anderen Seite ist dem ein gebeugter alter Mann gegenübergestellt, der, auf einen Stock gestützt, eine Schlange (hier vielleicht als Zeichen der Weisheit) durch eine vorgehaltene Brille betrachten muss. Der antithetische Aufbau setzt sich fort in zwei von metallen erscheinenden Beschlägen gefassten Ovalen, die diesen allegorischen Einzelfiguren szenische Darstellungen hinzufügen: linkerhand, in Anlehnung an die Allegorie der Caritas, eine Mutter oder Frau, die ein Kind säugt, während ein zweites nackend im Vordergrund auf einem Steckenpferd reitet, rechterhand eine gebeugte männliche Figur mit Mütze und Pantoffeln, die sich an einem Kaminfeuer wärmt, vielleicht als Allegorie der Häuslichkeit zu verstehen. Auch in weiteren Details wird das Thema weiter ausgespielt: So ist die rechte Bildhälfte in den ornamentalen und architektonischen Elementen, die auf Dreidimensionalität angelegt sind, stärker verschattet und die zu Blattgirlanden gebundenen Ölzweige erscheinen auf dieser dem Alter zuzuschlagenden Seite verwelkt. Die geflügelte Sanduhr auf dem Kopf des Chronos zeigt auf der einen Seite einen Vogelflügel und auf der anderen einen Fledermausflügel. Vries streicht die scharfe Antithetik des Lebens auf dem Titelblatt bis ins kleinste Detail heraus und markiert so Anfang und Ende unter der Regie der alles zersetzenden Zeit. Er versammelt hier demzufolge nicht die auf den folgenden Blättern vorgestellten Lebensalter im panoramatischen Querschnitt.

Ein Sinngedicht, auf Niederländisch und Französisch in je einer Spalte unter das Titelkupfer gesetzt, beschreibt den Inhalt der folgenden Blätter in jeweils sechs Versen, zusammengesetzt aus einem Paar- und einem umarmenden Reim im Niederländischen und durchgehenden Paarreimen in der französischen Variante. Die Verse sind in einem handschriftlichen Duktus wiedergegeben und weisen auf die Programmatik und Zusammengehörigkeit der folgenden sechs Blätter: En six fois seize ans est son aage reparti, Selon les six pilliers mis en cest figure, Ou contemplez l’estat de l’humaine nature (Titelblatt). In sechs gleich lange Abschnitte zu je 16 Jahren wird hier das Leben geteilt (in ses eeuwen, soo v wÿsen dees fegueren, Titelblatt) und dies in Korrespondenz zu den fünf Säulenordnungen (die vÿf Oorden, der Colummen, Titelblatt) gesetzt: tuskisch, dorisch, ionisch, korinthisch, komposit. Dies repräsentiere den gesamten Zustand menschlicher Natur. Um den Lebenslauf zu komplementieren, ergänzt Vries als sechste ‚Ordnung’ die Ruine, ohne dass diese hier jedoch schon genannt würde. Der alles Leben überschattende Tod (S menschen leuen, heelt sÿnen voortganck deur den Tÿdt, Titelblatt) wird damit zum emblematischen Zielpunkt, denn die Ruine gilt als immanenter Ausdruck der Vergänglichkeit allen Daseins. Die Wendung zur vanitas ist leitmotivisch allen sechs Blättern immanent eingeschrieben. Während der lateinische Titel die Theatrum-Metapher ausstellt, verweisen die Verse auf die Verbindung von Säulenordnungen und Menschenaltern (Uppenkamp, S. 145).

Tatsächlich wird die angekündigte Programmatik des Titelblattes in den folgenden sechs Blättern stringent eingelöst. Entgegen der sonst hierarchisch vom einfachen zum sublimen Stil gestaffelten Rangfolge der Säulenordnungen wird diese jedoch verkehrt: Ganz dem aussagekräftigen Titelkupfer folgend präsentiert Vries eine Feier der Jugend und ordnet dementsprechend im ersten Blatt die bei Vitruv ranghöchste ornamentale Figur, die Kompositsäule, dem Alter bis 16 Jahren zu. Unter dem Titel „I Composita“, welcher in der unteren Bildmitte zwischen zweizeiligen lateinischen Versen angeordnet ist, findet man eine volkreiche Szene im architektonischen Raum eines Palastgartens. Der Vers verweist auf die erzieherische Aufgabe der Eltern und die Drangsal des Lebens, die das Schicksal des Einzelnen lenken:

„En genus humanu[m] Deus et Natura creatix, Mollibus e cunis grauidaq[ue] parentis ab aluo, Ducit ad ærumnas, his mollibus educat umbris, Illos fortuna[m] iubet incusare potentem.“ (subscriptio, Blatt 1 [unpag.])

In das Bild einleitend sitzt am linken Bildrand eine Schreiberfigur auf niedrigem Schemel mit ausgestelltem Bein, die jedoch nicht auf die Szene, sondern auf die Schreibtafel konzentriert scheint. Bilddominant wirkt zudem die im Vordergrund mittig positionierte jugendliche Priestergestalt, die dem Betrachter ein offenes Buch präsentiert und den Blick in den Himmel wendet. Zwischen beiden Figuren schreiten Hand in Hand zwei Jünglinge, Fürst und lahmer Bettler. Die mit Lauben, Treppengängen und Pavillons gestaltete Gartenarchitektur etabliert einen weiten Raum, der dem Betrachter aus leichter Vogelperspektive vorgestellt wird. Hier tummeln sich zahlreiche Kinder unterschiedlichen Alters, vom Wiegenkind bis zum jugendlichen Raufbold. Neben Spielen wie Reifenschlagen, Steckenpferdreiten, Puppenspiel und Balancieren werden Fertigkeiten wie das Erlernen des Laufens durch Hilfsmittel gezeigt, aber auch kriegerische Handlungen vorgestellt (z.B. Bogenschießen). Nützliches (Sammeln von Früchten, Ernten, Geschwisterpflege) und moralisch Verderbliches (sich Auspeitschen, Raufen, mit Dreschflegeln aufeinander Losgehen) werden verschieden in Szene gesetzt. Neben der munteren Geschäftigkeit von Einzelnen und Gruppen schleichen sich jedoch auch allerorts Gefährdungen des jungen Lebens in die Darstellung ein. So sieht man eine Figur, die die Treppe herabgefallen ist, zwei, die über Balustraden in die Tiefe stürzen, und weitere zwei, die in einen Fluss stürzen. Was dieses Blatt vor allem kennzeichnet, ist die Dynamik der Figuren, die den Raum durch ihre verschiedenen Fortbewegungsarten semantisch erschließen. Interessanterweise tritt die Formensprache der Kompositsäule, einer Verbindung von ionischen und korinthischen Elementen in einer übereinander gestaffelten Kapitellform, im Blatt selbst nicht in Erscheinung. Einzig der Gartenpavillon mit einer monumentalen sitzenden Brunnenfigur – Uppenkamp deutet sie als Natura (S. 147) – lässt akanthusartige Kapitellstrukturen erkennen, die sich m.E. jedoch nicht eindeutig auf die Kompositordnung rückbeziehen lassen. Die restliche Architektursprache bleibt mit schlichten Wandpilastern eher unartikuliert, passt sich jedoch in die Idee eines ländlichen Sitzes ein, der in der Gebäudehierarchie in der niedrigsten Ornamentstufe anzusiedeln wäre. Was hier eine Verbindung im Sinne einer ‚Zusammensetzung’ eingeht, sind Natur und Architektur. Alle Säulen und Baluster sind mit jungem Pflanzenwerk berankt. Uppenkamp vergleicht die aus allen Elementen bestehende Kompositordnung mit der im Kind bereits angelegten Vielfalt menschlicher Existenz („all of the equipment necessary for its adult existence“, S. 146). Eine bildgeschichtliche Parallele muss sicherlich zu Breughels Kinderspielen (1560, Kunsthistorisches Museum Wien) gezogen werden. Uppenkamp hat in ihrem Aufsatz die hier vorgestellten Kinderspiele mit ihren emblematischen Festlegungen in Jacob Cats Silenus Alicibiades (1622) in Verbindung gebracht (S. 149). Danach verweisen alle auf Spielarten eines memento mori, so beispielsweise das Seifenblasen Machen auf nutzlose Tätigkeit und Vergänglichkeit.

Das zweite Blatt schließt folgerichtig mit der Säulenordnung „Corinthia“ an, die mit den Zeilen unterschrieben ist:

„Post patiens operu[m], paruoq[ue] assneta iuuenta, Cum subit, ingemias etate parturit artes, Prouenit unde animi rerum Prudenita maior, Et quecu[m]q[ue] sagax tendando repperit usus.“ (subscriptio, Blatt 2 [unpag.])

Als Allegorie der Prudentia, die nicht nur im Sinne von Weisheit sondern auch Wissenschaft gelesen werden kann, steht eine Frauengestalt im vorderen Bildmittelgrund, ausgestattet mit zahlreichen Attributen, die auf die septem artes liberales verweisen: Zirkel, Messstab, Zeichenbrett und Lot in der Rechten, ein aufgeschlagenes Buch in der Linken, scheint sie all diese Utensilien in bewegter Standbein-Spielbein-Pose dem Betrachter darzubieten. Als weitere Insignien können ein astronomischer Globus, verschiedene Musikinstrumente, eine Uhr und architektonische Verzierungsleisten identifiziert werden. Die Frauenfigur steht auf der Terrasse eines Gebäudes, dessen sich anschließende offene Loggia von korinthischen Säulen getragen wird. Alle Figuren, die sich im Gebäude befinden, das mit seinen ionischen Pilastern vielleicht schon auf den folgenden Lebensabschnitt und das sich anschließende Blatt verweist, gehen werktätigen, künstlerischen Beschäftigungen nach: Schreiben, Schreinern, Vermessen, Malen, Schnitzen. Lediglich zwei verschattete Gestalten, die an der Brüstung der Terrasse lehnen, blicken in den tiefer liegenden Bildmittelgrund, der sich wiederum als von Laubengängen gesäumte Gartenarchitektur zu erkennen gibt. Außerhalb dieses geschützten Gebietes öffnet sich der Bildraum in eine karge Felslandschaft, die mit einigen Gebäuden gespickt ist: Man erkennt einen gestaffelten Rundbau im Stil spätrömischer Grabmäler (wie das Hadriansgrabmal in Rom), einen spitzen Obelisk in der Bildmitte und eine bescheidene Burganlage auf einem Felssporn.

Die Gartenarchitektur wird dominiert von der quadratischen Einfassung der Laubengänge. In der Mitte wird ein Brunnen, sicherlich als Verweis auf das vorangegangene Blatt, von einem gedrungenen Pavillon gedeckt, auf dessen Dach ein stattlicher Baum emporwächst, vielleicht als Quell und Baum des Lebens auszudeuten. Die umliegende Fläche ist durch ein Heckenlabyrinth strukturiert, in dem verschiedene Figurengruppen lustwandeln. Hier finden sich Paare und Musikanten, aber auch eine Fecht- und Streitszene. Aus diesem ‚Garten der Jugend’, der sowohl als Referenz auf das erste Blatt als auch als Topos des der Venus geweihten Liebesgärtleins zu verstehen ist, führen Treppenanlagen zu der bereits erwähnten Palastarchitektur. Zwei geflügelte Gestalten geleiten mit eiligen Schritten und großer deiktischer Geste zwei Jünglingsgestalten, vielleicht Studierende, und weisen den Weg zur Prudentia. Ein dritter Mann ist von hinten dargestellt: Ein Hund beißt ihm in die Ferse, er wird im Moment des erschreckten Umfallens wiedergegeben und deutet auf das unversehene Straucheln im Lebensplan oder auf Undankbarkeit (Uppenkamp, S. 153). Uppenkamp liest das Blatt „Corinthia“ als Ausdruck von „love, with learning and with art“ (S. 150), lässt aber auch andere Deutungen zu, die das Gartenlabyrinth verstehen als „symbol of people’s involvement in empty pleasures and vice, to which immature young people are especially subject“ (S. 151).

Die „Ionica“, die das Leben vom 32. bis auf das 48. Lebensjahr repräsentieren soll, zeigt sich wiederum in der Mischform von Gebäude und Landschaft. Den Palast zur Linken zieren im unteren Kolonnadengang wie den oberen Arkadenbögen ionische Volutensäulen mit zarter Entasis. Eine stark ausschreitende männliche Figur, die Linke wie mahnend erhoben, bildet in der linken Ecke die Einleitungsfigur ins Bildgeschehen, das wie folgt untertitelt ist und auf die relative Kürze dieses Lebensabschnitts verweist:

„Hinc breuis atq[ue] velox ætas, et plena laboru[m], Que trinis constat ter, cu[m] trieteride lustris, Numinis excelsi contstanter querere regnum, et iubet, intactas reddi sub prefide leges.“ (subscriptio, Blatt 3 [unpag.])

Auffällig ist die Korrespondenz dieser Ordnung mit dem Titelblatt, das sich des gleichen Formenrepertoires bedient. Uppenkamp (S. 145) konstatiert, dass die Mitte des Lebens damit als ausgleichendes Element auf dem Titel repräsentiert sei. Die Ionica wird wegen der Schwellung des Säulenkörpers (Entasis) und der Kapitellform (Voluten) in der Architekturtheorie dem Weiblichen zugeordnet.

Das Hauptgeschehen findet auch hier vor dem Gebäude, auf einer ausgestellten Terrasse im Vordergrund statt. Kontrastiv zum dynamisch morbiden Gehalt des restlichen Blattes, das das Ende des Lebens in zahlreichen Mordszenen vorstellt, sitzt hier eine Familie an einem Tisch. Eine Frau stillt einen Säugling, während verschiedene andere Kinder sich um sie und den Tisch gruppieren, an dem ein älterer Mann mit Kappe und Pelzmantel vor einem aufgeschlagenen Buch sitzt. Rechterhand wird dieser Szene häuslichen Glücks ein Hand in Hand stehendes Paar beiseite gestellt. Der Mann weist auf die Tischgesellschaft, während ein zweiter die rechts davon liegende Treppe emporeilt, die Insignien der Prudentia, Meßlatte und Zirkel, vom vorangegangenen Blatt noch in der Hand. Die Leserichtung wäre in dem Fall von links nach rechts anzusetzen, wonach dieser Mann als Ergebnis der ‚korinthischen’ Lebensphase in die ‚ionische’ eintritt, zum Ehemann und schließlich Familienvater wird, wenn man dem Bild eine narrative Struktur unterlegt. Dieser positiven Wendung, auf die einige Assistenzfiguren aus den Fensterläden des Hauses herabblicken, werden die negativen Anfeindungen des Daseins antipodisch gegenübergestellt (Uppenkamp, S. 154f.). So findet man noch auf der Terrasse ein wie tot wirkendes Kind unbeachtet von der daneben sitzenden Familie am Boden liegen, während weiter hinten eine Schwertkampfszene bereits ein erstes Opfer gefordert hat. Ein der Szene abgewandter junger Mann, der sich auf den Treppenstufen niedergelassen hat, die Augen geschlossen, den Kopf auf die Schulter gestützt hat und die rechte Hand zum Herzen führt, scheint ein Verweis auf plötzliches Ableben zu sein (Uppenkamp, S. 155). Des Weiteren lassen sich eine Enthauptung, eine Gefangennahme, eine Kreuzigung, zwei am Galgen erhängte und zwei in Flammen verbrennende Figuren ausmachen. Im Hintergrund bewegt sich zwischen den Rauchschwaden des Scheiterhaufens auf der einen und einem Renaissancegebäude auf der anderen Seite der Tross einer Armee auf den Bildmittelgrund zu. Kriegerisches Geschehen und tödlicher Ausgang von Auseinandersetzungen werden auf diesem Stich als hintergründige Bedrohung der sittsamen Familienidylle und des werkschaffenden Lebens etabliert.

Die „Dorica“ behandelt den Lebensabschnitt vom 48. bis 64. Lebensjahr. Die in der vitruvianischen Architektursprache wegen ihrer gedrungenen Ausstrahlungskraft als ‚männlich’ begriffene Ordnung wird entsprechend dieser Tradition von ebensolchen Figuren dominiert. Der kompositorische Aufbau ähnelt dem vorangegangener Blätter. Eine palastartige Architektur mit einer durch hohe Arkadenbögen ausgebildeten Loggia wird von dorischen Säulen gestützt. In den Rundbogennischen des Mauerwerks finden sich gestapelte Bücher. Buch und Belesenheit als Ausdruck der sapientia erscheinen als Leitmotive dieses Stichs, letzteres durch eine am Gebäude angebrachte Fahne mit zwei Brillen angezeigt. Auf der sich anschließenden Terrasse spielt sich die Hauptszene wiederum am Tisch ab. Zwei sitzende und zwei stehende männliche Figuren sind um diesen gruppiert, auf dem drei aufgeschlagene Bücher und eine Brille liegen. Ihre Gesten deuten an, dass sie sich in reger Unterhaltung befinden. Ein weiteres, in den Dialog vertieftes Figurenpaar befindet sich linkerhand im Vordergrund. Der Ältere von beiden, dem Betrachter zugewandt, hält in der Linken ebenfalls ein aufgeschlagenes Buch, die Rechte hat er erklärend zu seinem Gesprächspartner erhoben. Ein Mann mit einem Pokal in der Rechten und vollen Geldsäckeln in der an der Hüfte abgestützten Linken wendet sich der Tischgruppe zu. Und auch ein Geharnischter tritt – vielleicht als Ausdruck des nun endenden kriegerischen Lebensabschnitts – über eine Treppe vom rechten Bildrand hinzu. Alle männlichen Figuren sind als Zeichen des fortschreitenden Alterns bärtig dargestellt, die Bewegungen im Bildraum erscheinen gemessener und beruhigter als in der vorangegangenen Ionica. Die sich im Hintergrund auftürmende Landschaft ist menschenleer und zeigt neben Felsmassiven, burgähnliche Anlagen, einen Flusslauf, Grabkreuz und Obelisk. Buchstäblich aus dem Rahmen fällt auf diesem Blatt eine rittlinks zum Betrachter stürzende männliche Figur im Vordergrund, die in ihrer körperlichen Dynamik und Verdrehung besonders drastisch im Kontrast zu der ansonsten beruhigten Bildkomposition steht. Die lateinische Unterschrift lautet:

„Exactisq[ue] decem lustris cu[m] guattor annis, Sedulitate quidem & magno que repperit vsus, Edocet in medium lingnitq[ue] nepotibus ipsis, Que deceant animos inuenum compescere cura.“ (subscriptio, Blatt 4 [unpag.])

Die „Tvscana“ schlägt dagegen als vorletztes Blatt deutliche dunklere Töne an. Die durch die bossierte und rustizierte Säulenordnung gedrungen wirkende Palastarchitektur, die auf diesem Blatt rechterhand platziert wird, scheint bereits dem Verfall ausgesetzt, Fensterscheiben sind gesprungen. Die karge und öde Landschaft im Hintergrund zeigt nur noch abgestorbene Natur, entlaubte Bäume und Gestrüpp. Von der Terrasse herab führt der Weg zum Friedhof mit Schädelknochen und offenen Gräbern. Figuren mit Gehstock bewegen sich mühsam die Treppen herunter, eine ist wiederum im Fallen gegeben. Das Motiv des Stocks oder Stützens findet auf diesem Blatt reichhaltige Verwendung. Gebeugt vom Alter oder von Krankheit stehen oder hocken die Gestalten im Bildraum. Unterstrichen wird das nahe Ende des Lebens, das hier den Altersabschnitt von 64 bis 80 einnimmt, durch einen blattlosen kargen Baum, der im Bildmittelgrund von der Terrasse aufragt und auf dem drei Vögel, vielleicht Raben, hocken. Die Palastarchitektur, von der eine Fahne mit Brille und gekreuzten Krücken als Wappen herabhängt, ist stark verschattet gegeben. Die Genreszene im Vordergrund, auch hier wiederum als Tischgruppe gestaltet, zeigt einen bebrillten Mann beim Spiel, ein zweiter trinkt statt aus dem vor ihm stehenden Becher aus der Karaffe. Ein dritter Alter steckt in einer Art Narrenkostüm. Auf seinem Schoß sitzt eine Dirne, der er an die Brust fasst. Ein nebenstehender Bärtiger mit einem langen Stab, der sich den beiden zuwendet, hebt mahnend den Zeigefinger. Die lateinische Unterschrift besagt:

Post ubi fata hominem fragili soluere senecta„Atq[ue] sua incipiunt mucilare stamina Parcæ, Tum tripes, et magno insedens curuamine dorsi, Grata Domus tetris tandem est habitare sepulchris.“ (subscriptio, Blatt 5 [unpag.])

Das letzte Blatt schließlich weist den Lebensabschnitt von 80 Jahren bis zum Tod aus. Neben dem Titel „Rvyne“ verweist auch die subscriptio auf den vergänglichen Gehalt, der von Gott und Natur gleichermaßen als unumstößliches Prinzip vorangetrieben wird:

„Deniq[ue] quiequid erit, Deus aut Natura quod ussum, Principium sub solo dedit, mortale necesse est, Paulatim accrescat, paulatim labitur, atq[ue], Tempore commutat vitam cu[m] morte funesta.“ (subscriptio, Blatt 6 [unpag.])

Die Komposition dieses Blattes weicht von den anderen der Serie ab. Deutlich sticht das Bild, dem keine vitruvianische Säulenordnung mehr zugewiesen werden kann, deshalb bereits formal heraus. „Between the foreground and the background landscape there is no longer any recognizable division at hand. Everything has been transformed into an impassable, uncultivated territory.“ (Uppenkamp, S. 161) Das Bild zeigt eine Ruinenlandschaft, in der kein intaktes Gebäude mehr zu erkennen ist. Auf einem Postament am linken Bildrand, das von einer abgebrochenen Säule besetzt ist, gibt der Drucker sich inschriftlich zu erkennen: „Excv. P. Baltens“ ist dort wie eingemeißelt zu lesen. Dominiert wird die mit apokalyptischen Zügen versetzte Landschaft, die bis auf eine vor einem Feuer fliehende Person fast menschenleer ist, durch eine Szene in der vorderen Bildmitte: Ein alter Mann, nur halb in eine Tunika gehüllt, sitzt in einem tiefen Lehnstuhl, den Kopf auf seiner linken Schulter abgelegt, während sein rechter Arm noch aufgestellt die Armlehne umklammert. Er hat die Augen geschlossen. Überfangen wird der Alte von einer nach allen Seiten ruinösen Rundbogennische, deren Architektursprache nur noch aus einfachen Pilastern ohne zuweisbare Ordnung besteht. Über dem Gesims hockt, neben einem auf der Ruine wachsenden, fast blattlosen Baum und einer zu seinen Fußen sitzenden Eule, der geflügelte Chronos. Er ist als sehr alter Mann dargestellt, mit langem Bart und ausgemergeltem Körper. In der Linken hält er die Sense, in der erhobenen Rechten die Sanduhr. Vor dem wie unter einem Baldachin sitzenden Alten lässt sich eine Grube ausmachen, Spatengriff und Seil schauen heraus, sicherlich ein deutlicher Verweis auf das Grab, das bereit steht ihn aufzunehmen. Ebenso bereit steht rechterhand der Tod in breitem Ausfallschritt als Skelett da. Auch er trägt wie Chronos eine Sense und in der anderen Hand eine Sanduhr mit zwei unterschiedlichen Flügeln, wie sie schon auf dem Titelkupfer zu sehen war. Diese Sanduhr hat er auf einer Art Postament mit hieroglyphischen Zeichen abgestellt, der Gesichtsausdruck des Totenschädels ist zu einem Lachen verzerrt. Neben architektonischen Fragmenten, die in der Landschaft lose und zusammenhanglos herumliegen, kann man verschiedene Insignien ausmachen: Zepter, Krone, Schild, Buch, Bischofsmitra, Krummstab und Schwert. Es finden sich Schädel und Knochenreste, aber auch Tote, die ausgestreckt auf dem Boden liegen. Einige Schädel deuten auf einen gewaltsamen Tod durch Aufspießen oder Erhängen hin.

Vries bindet hier zwei verschiedene Ruinentypen in seine Endzeitlandschaft ein (Baum, S. 138f.): Zum einen Ruinen der Dauer, die sich als abgebrochene Säulenstümpfe, überwucherte Substruktionen und umgestürzte Kapitelle zu erkennen geben und deren Verwitterung und Fragmentierung auf keine spezifische Ursache zurückzuführen ist als auf den ‚Zahn der Zeit.’ Zum anderen stellt er diesem Konzept aber auch eine Ruine des Augenblicks gegenüber: ein in Flammen stehendes Gebäude, dessen hoch auflodernde Flammen und Rauchwolken die Dynamik des Bildes bestimmen. Als ikonographische Vorbilder können für diesen Stich Illustrationen von Francesco Petrarcas Trionfi, beispielsweise von Marten van Heemskerck, geltend gemacht werden (Uppenkamp, S. 163).

5. Kontext und Klassifizierung
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Das Theatrvm Vitae Hvmanae ist das einzige Theatrum, das Vries verfasste. Es zeichnet sich gegenüber seinen anderen Werken durch seine gattungsübergreifende Anlage aus. Nicht nur als architekturtheoretische Schrift, sondern mit dem Anspruch einer welterklärenden Relevanz wird hier der Formensprache der Säulenordnung eine Bühne eröffnet. Leben und Architektur werden so in eine emblematisch enge Beziehung gerückt. Architektur, hier speziell die Säulenordnungen, wird als Bedeutungsträger (Günter Bandmann) dechiffrierbar. Die Darstellung der Lebensalter als Serie hat in der Graphik des 16. und 17. Jahrhunderts Tradition, meist werden diese in Bezug zu Jahreszeiten, Stunden oder Planetensystemen gesetzt (Uppenkamp, S. 143; Sears). Vries’ Versuch, die Lebensalter mit den Säulenordnungen zu verknüpfen, steht ohne Vorbilder. Freilich greift er auf vorhandene ikonographische Traditionen zurück, um die Architekturphantasien zu beleben. Der moralische Unterton, der jedem Lebensschritt die möglichen Fehltritte beiseite stellt, zieht sich durch alle Darstellungen. Auch der Lebensbeginn ist dabei nicht frei von Lastern, Lasten und Gefahren. Vita contemplativa und vita activa werden als zwei sich wechselseitig bedingende und ablösende Lebensprinzipien vorgestellt.

Die allen Blättern eigene Darstellung von Architektur und Landschaft in leichter Aufsicht hat Barbara Uppenkamp sowohl auf die Landschaftsdarstellungen Pieter Breughels des Älteren als auch auf Abraham Ortelius zurückgeführt (Uppenkamp, S. 144). Zu Recht ordnet sie die Blätter einer deutlich moralischen und didaktischen Funktion zu. Text und Visualisierung entsprechen einander in den Kernaussagen. Die symbolischen Implikationen und vorgestellten Attribute der Figuren, die nur selten in den Rang individueller Erscheinung rücken und ansonsten schemenhaft bleiben, weisen auf die bereits gültige Tradition der Emblembücher, auf die Vries hier sicherlich referiert und aus deren topischem Reservoir er schöpft.

Als weitere Quelle kann Theodor Zwingers Theatrum Humanae Vitae (Basel, 1565) angenommen werden. Auch wenn Zwingers umfängliches Werk auf historische exempla abzielt und weniger emblematisch vorgeht, lassen sich hier wie dort vergleichbar topische Strukturen ausmachen (Uppenkamp, S. 164). Uppenkamp (S. 165f.) ordnet Vries’ Theatrvm Vitae Hvmanae dem Kreis der Neostoizisten um Justus Lipsius zu, dessen De Constantia (1584) den Takt für die humanistische Lesart der Serie vorgebe. Auffallend ist, dass der überdeutlichen Betonung der Vergänglichkeit in der ganzen Serie keine Hoffnung auf (christliche) Erlösung beiseite gestellt wird.

6. Rezeption
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Bislang konnte keine Wiederaufnahme der von Vries in seinem Theatrum Vitae Humanae vorgeführten Verbindung von Säulenordnungen und Lebensaltern von der Forschung ausfindig gemacht werden. Sein Sohn Paul entwarf für die Architectura (1577), an der Vater und Sohn gleichermaßen und zeitgleich zum Theatrum Vitae Humanae arbeiteten, eine Serie der fünf architektonischen Ordnungen, die er mit den fünf Sinnen allegorisch verband (Kruft, S. 169; Konecny). Die von Vredeman de Vries erfundene Ruinen-Ordnung in Zusammenklang mit einem letzten, sechsten Lebensalter wurde von Wendel Dietterlin (Architectura, 1593/94) aufgegriffen (Uppenkamp, S. 163f.). Dieussarts Theatrum Architecturæ Civilis (1679) nutzt die Theatrum-Metaphorik ebenfalls für seine Abhandlung, die auch Säulenordnungen anführt, diese jedoch nicht in einen allegorisch-emblematischen Sinnzusammenhang rückt.

Das ‚Theatrvm Vitae Hvmanae’ nimmt als eine Form von Repräsentation menschlichen Daseins eine bedeutende Stellung innerhalb der Theatrum-Literatur ein. Neben der relativ gebündelten, visuellen Umsetzung durch Vries und Zwingers 29 Bänden umfassender Abhandlung finden sich noch mindestens vier weitere eigenständige Theatra diesen Titels: Jean Jacques Boissards Theatrvm Vitae Hvmanae (1596), Matthäus Hofstetters Novum Theatrum Humanae Vitae, Das ist: Ein Newer und lustiger SchawPlatz Menschliches Lebens (1615), Laurens Beyerlincks mehrbändiges Magnum Theatrum Vitae Humanae (1631) und Zacharias Hensels Theatrum Vitae Humanae Mysticum. Die von Hiob auffgeführte Geistliche Schau-Bühne Des Menschlichen Lebens (1685).

7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
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