Einführung

Anonym: Hungarisch- und Venetianisches Kriegs-Theatrum
Jörn Münkner

1. Titel
[arrow up]

Hungarisch- und Venetianisches Kriegs-Theatrum auff welchem die höchst-glücklichen Feld-Züge, So die Röm. Kayserl. und Venetianischen Armeen, in dem mit Gott zurückgelegten 1716. Jahre, in Hungarn und Griechenland wider die Türcken gethan, Das Hungarische in einer besondern Beschreibung, und Neun nach und nach darauff erfolgten Fortsetzungen derselben, das Venetianische aber in drey Eröffnungen, mit darzu dienlichen curieusen Kupffern, auch einer kurtzgefasten Vorrede und Register, vorgestellet werden. Mit Königl. Poln. und Churfürstl. Sächs. Privilegio. Leipzig, bey Johann Theodoro Boetio, im Durchgange des Rathhauses, in der Boutiqve zum Contoir-Calender, 1717. Leipzig: Johann Theodor Boetius, 1717. - Titelseite (Kupfertafel), 222 pag. S., 72 pag. S., mehrere Ill. (4 Karten, 2 Abb., zahlreiche Tabellen), 4°. [opac ↗150240201] [vd18 ↗1450250X-001]

2. Verfasser
[arrow up]

Das Hungarisch- und Venetianische Kriegs-Theatrum erschien ohne Verfasserangabe bei dem Drucker Johann Theodor Boetius.

3. Publikation
[arrow up]

3.1. Erstdruck
[arrow up]

Erschienen bei Johann Theodor Boetius in Leipzig im Jahr 1717.


Standorte des Erstdrucks

3.2. Vorlage
[arrow up]

Der Buchform voraus ging die periodische Publikation der neun „Fortsetzungen“ des Hungarischen Kriegs-Theatrum sowie der drei „Eröffnungen“ des Venetianisch-Türckischen Kriegs-Theatrum in den Jahren 1716/1717 (Terminus post quem: Kriegsbeginn 5. August 1716). Dass auch die beiden hier zusammengebundenen Kriegstheatra zu Ungarn und Venedig zunächst separat erschienen sind, indizieren die Sondertitelblätter:

Hungarisches Kriegs-Theatrum, so mit Anfang der Türckischen Niederlage bey Carlowitz, den 5. Aug. 1716, eröffnet worden. Leipzig, zu haben im Durchgange des Rathhauses in der Boutique zum Contoir-Calender, Anno 1716.

Venetianisch-Türckisches Kriegs-Theatrum, Auff welchen vorgestellet wird Die Insel Corfu, Nebst einem absonderlichen Grund-Riß der Stadt und Festung Corfu, auch kurtzem Bericht, wie und wann der zwischen den Venetianern und Türcken noch währende Krieg entstanden, und mit was vor Success er bißhero geführet worden. Erste Eröffnung. Leipzig, zu haben im Durchgange des Rathhauses in der Boutique zum Contoir-Calender, Anno 1716.

3.3. Weitere Ausgaben
[arrow up]

3.3.1. Digitale Ausgaben
[arrow up]

4. Inhalt
[arrow up]

Das ähnlich anderen bellizistischen ‚Schau- und Leseplätzen‘ mehrgliedrige, gleichwohl thematisch kohärente, zeitnah-aktuelle und gestalterisch abwechslungsreiche Hungarisch- und Venetianische Kriegs-Theatrum bietet auf 337 Seiten einen bildunterstützten Doppelbericht: über zwei „Feld-Züge“ und deren Etappen im Jahr 1716 aus der insgesamt von 1714-1718 andauernden, als „Venezianisch-Österreichischer Türkenkrieg“ bekannt gewordenen Auseinandersetzung zwischen Österreich-Habsburg und der Republik Venedig auf der einen und dem Osmanischen Reich auf der anderen Seite. Dem für den Publikationstyp üblichen ganzseitigen Titelblatt mit Majuskeln und Rubrizierungen schließt sich eine leserheischende Hauptansprache an den Leser an („Geneigter Leser“, unpag. [S. 1]; die Hauptansprache ergänzen später zwei weitere „Geneigter Leser“-Anrufe, die den spezifischen Theatra vorgeschaltet sind). Vor dem Hintergrund des bisherigen Kriegsverlaufs äußert sich der anonyme Verfasser knapp zum Kriegscharakter und zum Wie und Warum des Doppeltheatrums, dessen publizierte Einzelteile als bekannt vorauszusetzen sind. Er geht weniger auf die kommenden Kapitel und ihren Inhalt ein, sondern unterstreicht die herausragende Stellung der ersten Abteilung, nämlich des Ungarischen Feldzugs. Dieser sei „unter die wichtigsten des jetzigen Seculi mit zu rechnen“ („Geneigter Leser“, unpag. [S. 1]). Eine zweite Emphase entfällt auf Prinz Eugen von Savoyen, den erfolgreichen Feldherrn der Christlich-Kaiserlich-Habsburgischen Truppen gegen die des „Ottomannische[n] Reich[s]“. Sodann wird ein Wahrheitsanspruch für die Berichte postuliert, den allerdings Einschränkungen relativieren: 1.) Menschliches Tun –gemeint sein dürfte die Anfertigung von Werken dieser Art – sei immer fehlerbehaftet; 2.) da „dergleichen Feldzüge […] gelehrte Curtios zu ihrer Beschreibung [erfordern]“, der verantwortliche Hauptverfasser aber „keinen auswärtigen hochgelehrten Professorem damit bemühen konnte“, sei mit gewissen Ungenauigkeiten zu rechnen; 3.) man könne aber auf den kritisch-mündigen Leser bauen, der „alle etwann eingeschlichene Fehler zum besten deuten“ wird. (alle Zitate „Geneigter Leser“, unpag. [S. 2]). Ein „Kurtzes Real-Register“ indiziert für die beiden Kriegstheatra – also das insgesamt zehnteilige Hungarische wie das dreigliedrige Venezianische – signifikante Städte, Länder, Inseln, Personen, Namen, Adels- und Funktionstypen („Vezir“, „Kayser“ etc.) sowie Reden, Ehrbezeugungen und Auszeichnungen, die in den Berichten und Darstellungen eine Rolle spielen. Der Buchbinder wird angewiesen, wie er das Blätterkonvolut zu binden hat und zwischen welchen Seiten die Kupfer einzufügen sind („Kurtzes Real-Register“, unpag.).

Ein aus- und einfaltbarer Kupfer, der eine Topographie des wichtigsten Kampfplatzes vom privilegierten Feldherrnhügel aus hybrider Perspektive präsentiert, markiert den Auftakt des Hungarischen Kriegs-Theatrums. Die ebensogut als Flugblatt, Newe Zeytung, Relation oder Avise denkbare Darstellung fungiert als Eingangsportal und rückt qua Fernrohreffekt das durch Beischrift und Datierung als „Schlacht bei Peterwardein“ (serb. „Petrovaradin“, Stadtteil von Novi Sad, heutiges Serbien) ausgewiesene Ereignis vor Augen. Mit dieser Schlacht, die den Beginn des mehrphasigen Feldzugs im Jahr 1716 (fortdauernd in das Jahr 1717) in den Territorien südlich der Donau markiert, beginnt daraufhin die durch ein neues Titelblatt eingeleitete erste Abhandlung und Einführung: Hungarisches Kriegs-Theatrum, so mit Anfang der Türkischen Niederlage bey Karlowitz, den 5. Aug. 1716, eröffnet worden. Karlowitz (serb. Sremski Karlovci) meint keinen Druckfehler oder gänzlich anderen Ort, sondern den in Nachbarschaft zu Peterwardein gelegenen befestigten Platz. Wie weiter oben unter „Vorlage“ erwähnt, ist die Abhandlung bereits 1716 erschienen. Sie wird hier also zusammen mit den neun „Fortsetzungen“ sowie den drei „Eröffnungen“ des Venetianisch-Türckischen Kriegs-Theatrums wiederabgedruckt. Für die originäre Eigenständigkeit aller Teile stehen die individuellen Titelblätter, auf denen das Erscheinungsdatum (1716) vermerkt und der jeweils fortgeschrittene Berichtzeitraum anhand der neuen Kriegsereignisse erkennbar ist. Nach der eingängigen Darstellung der Schlacht bei Peterwardein schreitet das Werk in den „Fortsetzungen“ dem Rhythmus der sich anschließenden Ereignisse entsprechend voran. Die Ereignis- und Berichtkette reicht von der Belagerung von Temeswar, über die Vorstellung mehrerer türkisch besetzter befestigter Plätze (einschl. Belgrad), der Eroberung einiger von ihnen bis hin zur Flucht des Groß-Sultans nach Adrianopel und der Rückkehr der glorreichen kaiserlichen Generalität aus Ungarn nach Wien. Ähnlich strukturiert sind die „Eröffnungen“ zum Venetianisch-Türckischen Kriegs-Theatrum. Sie stellen im ersten Teil die Inselhauptstadt Korfu vor, zzgl. ihrer schematischen Ansicht in einem großformatigen Kupfer, schildern im zweiten Teil die türkische Belagerung der von den Venezianern gehaltenen Insel und ihres Hauptplatzes und den erfolgreichen Entsatz durch die Truppen Venedigs, und liefern im dritten Teil einen Bericht über die anhängenden Scharmützel, die auf die Vertreibung der Türken von Korfu im näheren Umfeld der Insel folgten.

Beachtung verdient die Kombination der rhetorischen, poetischen und piktoralen Gestaltungs- und Ausdrucksmittel. So beinhaltet ein nüchternes Eingangsresümee Medienreflexionen, die einen versierten Hymnus auf die siegreichen christlichen Armeen einschließen. Dieser mündet nahtlos in einen ausführlich berichtenden, nuancenreichen Prosateil ein, welcher Zeitungsausschnitte („Relation Von der den 2. Augusti bey Carlowitz vorgegangenen Action, und darauff den 5ten dito erfolgten totalen Niederlage der Türken“; 1. Abhandlung, S. 9) und andere Verlautbarungen inkorporiert. Zu letzteren gehören hoheitliche Depeschen („Extract-Schreiben aus Wien“, S. 14), Wortmeldungen von Aktanten, die die Authentizität des Berichteten erhöhen und den Leser näher an das Geschehene rücken („Extract-Schreiben[] von einem Kayserlichen Artillerie-Officier“, S. 27), als ‚Beilagen‘ bezeichnete Vorschriften für Musketiere, öffentlichkeitswirksame Briefe des Feldherrn und päpstliche Breve, sowie Listen, Aufzählungen und abermals Listen wie die „Specification desjenigen, was bey der Türkischen Niederlage von den Kayserl. gefangen, erobert und erbeutet seyn soll“, S. 15). Dieser Mehrstimmigkeit, deren enumerativer Poetik eine gewissen Eigenständigkeit zukommt, arbeiten die sparsam eingesetzten Bildmedien zu, die – wenn auch schematisch – Kampfgeschehen veranschaulichen, den Leser geographisch orientieren und Kriegsmänner glorifizieren helfen: so die Titelkupfer mit topographischen Karten, Aufrisse und Frontalansichten befestigter Plätze, kriegstechnische Infrastrukturen (bspw. Pontonschiffe zur Donauüberquerung), daneben Tabellen und Listen, wobei letztere Werkpassagen durch die ‚Verbuchung‘ der Gefallenen („Tödtlich Blessirte“, S. 28), der Proviantmengen, der Ausrüstungsgegenstände, Dienstgrade, Regimenter und Truppenkontingente gleichsam in Buchhaltungseinträge transformieren; zudem Porträts, Karten u.a.m. Unschlüssigkeit besteht, was es mit der ‚krummen‘ Seitenzählung im Hungarischen Kriegs-Theatrum auf sich hat: Da sie nach fortlaufender Nummerierung in der achten Fortsetzung abrupt springt, stellt sich die Frage, ob für das zehnteilige Werk eine fortlaufende Zählung von Anfang an konzipiert oder dem Reprint nachträglich, und dann nicht stringent verabreicht wurde.

5. Kontext und Klassifizierung
[arrow up]

Zum Ende des 17. Jahrhunderts, als der Große Türkenkrieg zwischen dem Osmanischen Reich und der Heiligen Liga christlich-europäischer Mächte mit dem Frieden zu Karlowitz (1699) seinen vertraglichen Abschluss fand, war die Bedrohung Nordwesteuropas durch die Türken nicht mehr akut. Weniger angstbesetzte Vorstellungsbilder vom ehemals als blutrünstig und hyperpotent imaginierten Türken beginnen sich durchzusetzen. Der bezwungene Osmane wird nicht länger als Barbar perhorresziert, sondern man gesteht ihm ein vergleichsweise menschliches Aussehen zu (Kammel, S. 517; Schilling, S. 233ff.; Münkner/Ghattas, S. 61f.) Eine solche Sicht auf den Osmanen und türkischen Feind bestimmt auch das überwiegend um Sachlichkeit bemühte Hungarisch- und Venetianisches Kriegs-Theatrum („einen deutlichen und ohnpassionirten Bericht geben“, S. 1). Dennoch ist das Werk nicht frei von tendenziösen Formulierungen, die den Türken als grundständigen Antagonisten der Christenheit tradieren: „Erb-Feind“, „Erhitzter Saracen“ und/oder „auffgeblasener Türke“ lauten die Titulierungen (S. 1ff.), und die (Schaden-)Freude ob seines unrühmlichen Scheiterns findet beredten Ausdruck in dem weiter oben erwähnten Siegeshymnus im Hungarischen Kriegs-Theatrum: „Du hast, nechst GOttes Zorn, der Teutschen Schwerdt gefühlt, und das erhitzte Blut im Sau-Fluß abgekühlt [gemeint ist die Save], Dreyeiniger Sieges Fürst, der seine Macht von oben, Bey der erfochtnen Schlacht so deutlich dargestellt, Vor welchem Mahomet wie Staub zu Boden fällt, Auch, was der Muselmann sonst noch als Gott verehret […]“ (S. 2f.).

Die Schauplatzmetapher und die (Selbst-)Einordnung des Kompaktprints in den Strom von Bild-Text-Medien mit theatralen Gestaltungs- und Darbietungsmerkmalen findet sich in mindestens zweifacher Bedeutung: 1.) wenn Begriffe wie „Vorstellungen“, „Auftritte“ und „Probe und Applaus der Zuschauer“ den Zentralterminus ‚Kriegs-Theatrum‘ bzw. ‚Kriegsschauplatz‘ umstellen und eine inszenatorische Zurichtung des Hybrid-Mediums suggerieren (passim) und 2.) wenn das ‚Theatro/Theatrum/der Schauplatz‘ den konkreten geographischen Ort der Kriegshandlung bezeichnet: „wenn man von dem rechten Kriegs-Theatro oder Ort, wo der Krieg geführet wird, nicht deutlich genug informiret ist […]“ (S. 1) oder etwa auf dem Titelkupfer zur ersten Abhandlung des Hungarischen Kriegs-Theatrum mit der topographischen Miniatur des Donaugebiets um Peterwardein/Karlowitz, wo es heißt, dass das Theatrum [gemeint ist der Gesamtkonflikt!] mit der Schlacht bei Karlowitz am 5. August 1716 eröffnet worden sei (dazu Füssel, S. 207f.). Drittens wird das oszillierende Sowohl-als-auch-Potential des Theatrum-Begriffs bewusst ausgespielt, das dessen mehrdimensionale, produktive Indienstnahme ja wesentlich mitbedingt, wenn es etwa heißt: „Carlowitz, der Welt-beruffene Ort, wo Anno 1699. den 16. Januarii, und folglich vor siebenzehen und einem halben Jahre das damahlige Hungarische Kriegs-Theatrum zugezogen worden, hat nunmehro […]“ (S. 1).

Die in das Werk eingelassenen Visualisierungen, die Tabellen, die Zeitungsauszüge und die Augenzeugenberichte etc. bringen im Zusammenspiel mit den wortreichen, vielfach langatmigen Verbalbeschreibungen eine Art plurimedialen Schauplatz hervor. Dieser lässt sich einer bebilderten Gazette oder einem monatsperiodischen Kleinalmanach vergleichen. Dominant sind Aufschreibe- und Bildgebungspraktiken, die nicht nur chronikalisch-berichtend, sondern qua selektiver Übernahme diverser Verlautbarungen aus dem zeitgenössischen Medienverbund (Zeitungen, Flugblätter, Flugschriften, Veduten, Kriegsberichte, Depeschen, öffentliche Gratulationen, Auszeichnungen und Kondolenzen, Gefallenenlisten) eine Diskursmelange herstellen. Hinzu kommen individuelle Erfahrungsberichte über die Kriegsereignisse. Das Ergebnis ist ein Großbericht, der Einschätzung, Kommentar und Vermutungen über den betreffenden Gegenstand für die Öffentlichkeit bereithält. Die Tabellen der Gefallenen muten übrigens wie Beilagen einer Wochenzeitung an, der als Benachrichtigungsmedium für die Gemeinschaft als Ganzes die Überbringung der für die Gemeinschaft relevanten Todesanzeigen ihrer Gefallenen obliegt. Rhetorische, poetische und visualisierende, selektive und evaluative Verfahren verschränken sich jedenfalls zu einer publizistischen Praxis, die Teil hat an der Erzeugung des Wissens vom Krieg und der (teilweise) mobilgemachten Gemeinschaft. Das Hungarisch- und Venetianische Kriegs-Theatrum wird zum Enthüllungsschauplatz (‚Enthüllung‘ nicht im sensationsheischenden Sinn) mit privilegierter Fern- und Einsicht in das Zeitgeschehen am südöstlichen Rand des Reichs. Im Werk wird erfahrbar, inwiefern „‚Theatralität‘ im Sinne reflektierter szenischer Gestaltung des Wirklichen […] eine zentrale Kategorie literarischer Darstellung [ist]“, und dass der theatrale Darstellungsmodus immer dann relevant wird, wenn es u.a. darum geht, „Beschreibungsperspektiven plausibel zu machen oder das Gesagte zu beglaubigen“ (Matala/Pornschlegel, Buchrücken u. S. 9-14); das bedeutet im Umkehrschluss, dass das Doppeltheatrum weniger als Sachbuch denn als Gesamtkunstwerk zu betrachten ist.

Ein Wort auch noch zum Aktualitätsbezug des zunächst ja periodisch-seriell publizierten Werks, zu seinem Selbstanspruch sowie der internen Medienreflexion. Die berichteten Ereignisse sind gerade erst passiert, sind lange noch nicht sedimentierte Geschichte: etwa wenn im Anfangsappell an den Leser vom „heurige[n] Feldzug“ die Rede ist, der Verfasser die Möglichkeit der Weiterführung der Berichterstattung „in dem jetzt angetretenen 1717. Jahre“ ins Auge fasst (je nachdem, ob es mit den kriegerischen Handlungen weitergehe) und wenn von „Continuation“ als Publikationsprinzip gesprochen wird (S. 2). Es scheint, als warte man nur auf den nächsten Schuss, um weiterberichten zu können – eine Erwartungshaltung, die zum Zeitpunkt der Verfertigung des Werks zu Beginn des Jahres 1717 wegen der immer noch unentschiedenen Kriegslage zwischen zwei ambitionierten, aggressiven Kriegsparteien gerechtfertigt war: „[man] den künfftigen Feldzug, geliebt es Gott! nach und nach in besondern Auftritten vorstellen werde“ („Geneigter Leser“, unpag. [S. 2]). Oder wenn angeschrieben steht, dass der letzte Teil des Ungarischen Kriegstheatrums „künfftige Woche“ herauskomme (S. 72). Im Unterschied zu den parallel erscheinenden Zeitungen könne man situationsbezogener, was impliziert auch wahrheitsgetreuer berichten, denn ersteren fehle „ein zulängliche[r] Begriff von den Gegenden, wo die Kriegs-Operationes vorgenommen werden“ (S. 1). Diese Einschätzung führt umgehend zu einem nächsten Affront gegen das Konkurrenzmedium, wenn der oder die Verfasser den (angeblich übereilt hergestellten) Zeitungen unterstellen, sie produzierten Nachrichten, die „nicht viel besser, als Erzehlungen von Träumen [seien]“ (S. 1), die „Schnee-Bällen“ ähnelten, „die, ie weiter sie gewälzet, ie grösser, aber, wenn man sie an die Sonne der Wahrheit leget, öffters bis auf einen kleinen Rest geschmolzen werden“ (S. 2). Diese Aussagen stellen die Glaubwürdigkeit der Zeitungen erheblich in Frage, doch finden sich auch gemäßigtere Töne bezüglich der Qualität jener externen, immerhin teilweise übernommenen Nachrichtenerträge. Beispielsweise gibt der Verfasser ganz zum Schluss lediglich zu bedenken, dass man keine Gewähr für den Wahrheitsgehalt der zitierten Zeitungen übernehmen könne: „Der Anfang des Hungarischen Kriegs-Theatri hat dem geneigten Leser, nebste einigen flüchtigen Zeitungen von der Kayserl. completen Victorie, vor deren Wahrheit man die Gewehrschafft ihren Urhebern überlässt, unter andern die Haupt-Anstalt des Kayserl. Herren General-Lieutenants zu bevorstehendem Treffen vorgestellt […]“ (S. 23). Die Aussage katapultiert ins Hier und Jetzt mit den uns mittlerweile geläufigen Hinweisen, dass für die Inhalte verlinkter Seiten allein die Herausgeberseite verantwortlich sei.

Das Werk und seine mediale Konstitution – soviel abschließend – kann als typisch gelten für die Beschaffenheit frühneuzeitlicher Medien am Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts: Es vermischen sich periodische Formen der Zeitschrift und der Chronik, Veröffentlichungen obrigkeitlicher Ansagen und Vorgaben, zudem Verlautbarungen vermeintlich authentischer Privatstimmen (dazu ausführlich in Flemming Schocks Repertoriumsbeitrag zum Theatrum Novum Politico-Historicum).

6. Rezeption
[arrow up]

Informationen zur Qualität der Rezeption des Hungarisch- und Venetianischen Kriegs-Theatrum liegen nicht vor, doch lassen sich einige plausible Mutmaßungen hinsichtlich des Rezeptionsumfangs und der Popularität des Kompendiums anstellen. Der Drucker-Verleger des Doppeltheatrums, Johann Theodor Boetius in Leipzig, dürfte zuvor auch schon die Einzelausgaben auf den Markt gebracht haben, doch ist dies nicht zwingend notwendig für die folgende Überlegung. Im ersten Drittel des Jahres 1717 muss das vorliegende Werk auf den Markt gekommen sein, denn als Terminus ante quem können die Belagerung und die schließlich für die kaiserlich-österreichischen Truppen siegreiche Eroberung Belgrads von Mai bis August 1717 gelten. Sie sind nicht mehr Teil des Hungarisch- und Venetianischen Kriegs-Theatrum. Seit dem Kriegsbeginn am 5. August 1716 und der umgehend einsetzenden, regelmäßig-periodischen Herausgabe der „Abhandlung“, „Fortsetzungen“ und „Eröffnungen“, und zusätzlich (wahrscheinlich) der gebündelten Einzeltheatra können nicht mehr als insgesamt acht Monate vergangen sein. Mit dem kumulativen Doppeltheatrum gelangen diese Berichterstattungen quasi ein drittes Mal als Kompaktausgabe auf den Markt und an die Öffentlichkeit. Der Verleger-Drucker und Entrepreneur (Boetius?) muss mehr als spekulatives Wunschdenken bezüglich eines handfesten Käuferinteresses in die unternehmerische Waagschale geworfen haben. Dass sich die „Abhandlung“, „Fortsetzungen“ und „Eröffnungen“ beider Kriegsschauplatzereignisse eines guten Absatzes erfreuten, wird schließlich durch die (als Vertröstung eines begierigen Leser-Käufers interpretierbare) Ankündigung seitens des Herausgebers am Ende der dritten Venetianischen Fortsetzung nahegelegt: „Und endlich ist noch zu melden/dass die achte Fortsetzung des Hungarischen Kriegs-Theatri, nebst dem Beschluß des heurigen Feld-Zugs und 2. curieusen Kupffern / zu Ende künfftiger Woche gewiß zu haben seyn wird.“ („Dritte Eröffnung des Venetianisch-Türkischen Kriegs-Theatri“, S. 72; siehe auch Jörn Münkners Repertoriumsbeitrag zu Johann Christian Adelungs Schauplatz des Baierischen Erbfolgekrieges (1778), Abschnitt „Rezeption“). Dass bellizistische Theatra im zeitgenössischen Medienverbund ihren festen Platz hatten, zeigt die Reihe ihrer Titel. Im „Geneigten Leser“-Anruf zum Hungarischen Kriegs-Theatrum wird nun gleich zu Anfang auf das gerade erst beendete Pommerische Kriegs-Theatrum verwiesen: gemeint sein dürfte der „Pommernfeldzug“ als Teil des Großen Nordischen Krieges, bei dem eine Allianz aus Preußen, Dänen und Sachsen den Schweden bis Mitte April 1716 ihre letzten, in Norddeutschland verbliebenen Gebiete abnahmen. Dieser Hinweis ist bezeichnend, insofern auf die dichte Folge kriegerischer Ereignisse angespielt wird, die seinerzeit fast immer eine entsprechende publizistische Aufmerksamkeit erfuhren. Der Leser wird derart mit der ersten Zeile in einen ihm bekannten Ereigniszusammenhang gestellt, zu dem ebenfalls ein ‚Schauplatz‘ Zutritt gewährt hat und der mit zeitnahen Vorgänger- und Folgeschauplätzen in enger Beziehung steht (oder gebracht wird).

7. Bibliographische Nachweise und Forschungsliteratur
[arrow up]

XML: http://diglib.hab.de/edoc/ed000200/tei-introduction.xml
XSLT: http://diglib.hab.de/rules/styles/projekte/theatra/tei-introduction2.xsl