|| [206r:] Vorrede an alle gottesfürchtige vnd gelehrte menner, so die
jugendt in
christlichen schulen vnterweysen.
Es ist kein zweifel, das die jugendt also zum besten vnterweiset werden
jugendt in christlichen schulen vnterweysen.
kahn, so man sie erstlich von dem niedrigsten recht vnderrichtet vnd allge-
(5)mehlich zu dem, was schwerer vnd höher ist, fortbringet. Sehr nützlich aber
ist auch dieses, das man den anfang dieser lehr auf solche weise jungen leu-
ten furlege, das man sie gewehne, widerumb herzusagen, was man hat furge-
ben, vnd ihnen, souiel müglich, gewisse arth zu reden vnd zu antworten fur-
schreibe. Dann do jemandt ohne richtige ordnung hineinfellet vndt keinen
(10)guten grundt in dem anfang der lehre leget oder das hinderst zu forderst keh-
ret, auch in dem anfang einer ieglichen lehre sich an keine gewisse form bin-
det, der wirdts nicht ferne bringen können, sondern ohne besondern nutz
dauon widerumb ablassen müssen.
Ob aber wol dies in gemein von allen künsten vnd lehren recht kan gesaget
(15)werden, jedoch ist in sonderheit viel daran gelegen, soll anders die reyne lehr
göttliches worts erhalten vnd die jugend recht in der gottseligkeit vnterwie-
sen vnndt geübet werden, das man in den kinderschulen von dem, was man
jungen knaben von christlicher lehr furgeben hat, sie wiederumb befrag vnd
also von inen erfordere, was gleichsam zu trewen henden ihnen befholen
(20)worden ist. Denn wenn man auf diese weis junge leuth vorhöret, kan man am
besten erkennen, wieuiel ein jeder dauon || [206v:] behalten, wie er es vorste-
he, was im noch mangel, wo er vom rechten weg abweiche vnd wie er wider-
umb zu recht konne gebracht werden. Jn solcher vnterweisung aber von gött-
licher lehr kan nichts nützlichers geschehen, denn das man einerley schlech-
(25)te, einfeltige vnd gewisse weise zu lehren nach der richtschnur göttliches
wortes bey der jugend anstelle, auch einerley gewisse weise zu reden gebrau-
che, die do vorstendtlich vnd deutlich sein vnd mit der schrifft vbereinkom-
men, wie denn der apostel Paulus selbst seinem jünger Timotheo befhilet,
das er halten solle an dem furbildt der heilsamen lehr, das er von ime gehöret
(30)hab.1 Denn wo vngleiche, vnuorstendtliche, vorwirrete, newe vnd der schrifft
vnd dera reinen lehreb vnnbekannte weise zu reden eingeführet werden, fol-
get bald daraus vortunckelung der lehre, irrung, zwitracht vndt vneinigkeit
vnd werden mutwillige köpfe nur dadurch gestercket, das sie inen macht
nehmen zu tichten, was inen selbst wolgefellet. Also gar ist nicht allein von
(35)weltsachen, sondern auch von der religion allzu war, das der griechische ge-
schichtschreyber Thucydides schreibet, das wo ein jeder etwas sonderliches
ime fornimbt c vnd einer zu diesem, ein ander zu anderem gewehnet wirdt,
c
da kan es anders nicht sein, denn das trennung vnd spaltung folgen mus.2
Domit aber solche vbel abgewendet vnd dargegen die einigkeit in der lehre,
so von den aposteln entpfangen, auch auf die nachkommen fortgebracht wer-
(5)den möchte, hat die erste vndt eltiste kirch nicht || [207r:] allein den bischoffen
vnd pfarherrn das volck mit predigten zu vorsehen auferlegt, sondern auch
besondere personen zu catecheten vorordnet. Welches ampt dieses mitbracht,
das sie die newen christen, so von der heidenschafft sich zur kirchen Gottes
erst newlich begeben hatten, im christlichen glauben vnterweiseten. Die aber
(10)von diesen catecheten also vnterweiset worden, ehe man sie zur tauffe ließ
kommen, wurden vorzeiten genennet „catechumenj“. Die weis vnd form
aber, solche catechumenos zu vnterrichten, wurde genant „catechesis“, sinte-
mal die furnembsten haubtstück christlicher lehr in frag vnd antwort kurtz
darinnen zusammen gefasset vnd den zuhörern also furgeben worden, das sie
(15)widerumb befraget vnd von wort zu wort hersagen musten, was sie zuuor
von dem catecheta gelernet hatten.
Vnd sindt diese wort „catechesis“ und „catechumenos“ in griechischer
sprach auch in den schrifften der euangelisten vnd aposteln nicht vnge-
breuchlich als im anfang des euangeliumbuchs Lucae3 vndt in der epistel
(20)Pauli zu den Römern am 2. cap.4 vnd 1. Cor. 145 vnd zun Galatern am 6.6 So
schreibet Eusebius in seiner kirchenhistorien an vielen orten, das dieser
brauch in der ersten kirchen lange zeit sey erhalten worden, wie er dann auch
ordentlich nacheinander die nahmen etlicher catecheten in der kirchen zu
Alexandria erzelet.7 Gleicher gestalt wirdt auch bey anndern alten lehrern
(25)dieses alten brauchs in der christlichen kirchen || [207v:] vielmals gedacht.
Denn Tertullianus im sermon „De poenitentia“ vormahnet die catechumenos,
das sie die taufe nicht so lang sollen anstehen lassen wie ettliche tathen, die
da vormeineten, das inen soviel desto mehr frey wer zu sündigen, eher sie
getauft wurden.8 Es ist auch ein homilia oder predigt Chrysostomi „ad illu-
(30)minandos“, das ist ahn die, so noch getauft werden sollen, vorhanden, wel-
che sich also anfenget, das man daraus bald sehen kan, welcher gestalt man
die catechismuslehre hab pflegen furzutragen.9 Denn also lautet der anfang
derselben predigt: „ Was ich ewer lieb vorhin hab forgesaget, dauon will ich
ietzundt bey euch fragen, wie ir es gelernet habt. “ 10 Also hat auch Augusti-
nus ein buch geschrieben „De catechisandis rudibus“11 von vnterweisung
der einfeldigen.
(5)Nachdem aber dieser gottselige brauch der alten kirchen vnter dem babstumb
durch mancherley mißbrauch vnd aberglauben fast gefallen vnd aufgehaben
worden, hat der erwirdige, vnser lieber vater vnd praeceptor doctor Martinus
Luther, durch welchen die reine lehr des euangelij aus Gottes gnaden wieder-
umb an tag gebracht, auch solche christliche gewonheit in der kirchen Gottes
(10)widerumb angerichtet vnd hat demnach die furnemsten hauptstück christli-
cher lehr catechismusweise in frag vnd antwort gefasset, welche der jugend
in dieser lande kirchen vnd schulen von den lehrern vnd eltern trewlich wer-
den eingebildet vnd auf solche weise furgegeben, das || [208r:] die zuhörer,
wenn sie befraget werden, widerumb aufsagen müssen, was die erklerung
(15)vnd außlegung eines ieden heuptstuckes christlicher lehr sey. Die aber sol-
chen kleinen catechismum des herrn Lutheri gelernet haben vndt zu mehrem
vorstand vnd alter kommen sindt, denen pfleget man in vnsern kirchen vnndt
schulen auch etwas mehrers vnd weiters furzugeben, das zu übung christli-
cher lehr ie mehr vnd mehr sie weise. Nuhn hat sich aber meistenteils in den
(20)schulen bisher dieses begeben, das fast ein jeder schulmeister einen sonder-
lichen catechismum ime gemacht vnd den knaben, so etwan des herrn
Lutherj catechismum gelernet, furgeleget, darinnen ein jeder nach seinem
guttduncken eine newe ordnung, newe frag vnd antwort, auch newe vnd son-
derliche art vnd weise zu reden gebrauchet hat. Etliche haben d auch in
ddie-
(25)ser zeit e von den
ein streit gezogenen artickeln sich in solche catechismos
vnterstanden mit einzumengen allehrley, so von andern zu schrecklicher vor-
felschung der reynen lehr nuhn etliche zeit her auf die ban gebracht worden
ist, welches der jugendt keinesweges dienstlich vnd nützlich sein kan.
Solches erfahren wir teglich, soofft wir junge leut examiniren sollen, vnter
(30)denen wir vielmals befinden, das etliche entweder gar nichts wissen von der
richtigen vnd ausfürlichen catechismuslehr oder, do sie etwas antworten,
bringen sie frembde, vngereimte vnd vngegründte antwort. || [208v:] Derwe-
gen, auf das diesem so mannichfeltigem vnnrath ettlicher maßen abgeholffen
werden möcht, haben wir für rathsam erachtet, das eine gewiße einfeltige
(35)form eines catechismusbüchlins gestellet würde, welches man in lateinischen
schulen der jugendt konte nach dem catechismo des herren Lutheri furgeben,
sintemal die vollkommene vnd weitleuftige erklerung, so in Examine ordi-
-
nandorum oder in Locis theologicis gefasset sindt,12 mehr fur13 die gehören,
welche allbereit in der lehre vnd in den streiten, so in der kirchen f furgefallen
seindt,
fwolgeubet vnd erfharen sindt. Darkegen aber können sie nicht als-
baldt nach des herrn Lutherj catechismo den jungen knaben furgehalten wer-
(5)den.
Also haben wir nun, soviel müglichen gewesen, aus dem Corpore doctrinae14
vnserer kirchen, darinnen gewisslich der stetwerende consens vnd einhel-
ligkeit der prophetischen vnd apostolischen lehr vnd der allgemeinen symbo-
lorum gefasset ist, diesen kurtzen auszug zusammengebracht, darinnen mit
(10)definitionibus vnd richtigen beschreibungen erkleret wirdt, was in einer sum-
ma in des herrn Lutheri catechismo kürtzlich angezeiget wirdt. Die streitigen
punct aber, dauon anderswo gehandelt wirdt, haben wir nicht allzu genaw
hirinnen anziehen, auch sonsten alle andere stuck nicht zu weitleuftig han-
deln wollen. Dieweil wir aber gentzlich der zuuersicht sein, das dieses büch-
(15)lin nicht vndienstlich sein soll zu besserung der jugendt, sofern denselben
des herrn Lutherj || [209r:] catechismus bekandt vnd ehe dan dieselben zum
Examine theologico15 fortgebracht werden können, haben wir es in Gottes
nahmen durch den druck ausgehen lassen wollen. Wiewol wir aber diesen
fleiss furgewendet, das dieses büchlin nicht zu lang oder weitleuftig würde,
(20)damit nicht die jugendt mit allzuuiel diengen vberschüttet vnd also mehr for-
hindert werden möcht, sintemal es in weitleufftigen schriefften oft pfleget so
zu gehen, das ehe man vf das hinnderste kompt, des forderen allbereit, wie
jhene spartaner zu den frembden legaten sagten,16 vorgessen ist. Derwegen
denn sonderlich fur die jugendt maß gehalten werden mus, damit dieselb,
(25)was furgeben wirdt, auch im gedechtnis behalten mög. Was aber weitleuf-
tiger erklerung sind, die gehören an andere orth vnd gelegenheit. Jedoch ha-
ben wir bisweilen ettlich nütze erinnerung, die da allgemehlich zu den hö-
hern schrifften anleitung geben, nicht gantz vnterlassen wollen, welche wir
aber etwas kleiner haben drücken lassen, damit solche von dem anndern, so
(30)den knaben auswendig zu lernen furgegeben werden soll, desto besser vnter-
schieden werden möge.
Nuhn wollen wir aber niemand diese vnser erbeit eben aufdringen, sondern
stellen zu eines jedern selbst gefallen, ob er dieses büchlin gebrauchen woll.
Gleichwol soll ein jeder wissen, das beides, die res ipsae vnd formae loquen-
di, das ist die lehr vnnd weise zu reden, in diesem büchlin weder von vns
erdacht noch erst new auf die ban gebracht worden. Denn was vnsere knaben
bisher einhellich bestendig vnd trewlich || [209v:] auf einerley weis alzeit ge-
(5)lehrnt haben, das haben wir auch hierinnen widerholet. Sindt derwegen in
guter hoffnung, es werden fromme, gottselige leuth, so mit vnsern kirchen
einig zu sein begeren, dieses büchlin zu danck annehmen vnd gebrauchen,
welche wir auch ermahnen, das sie mit frembden zugenötigten vorkehrungen
was recht vnd grundtlich gelehret wirdt nicht vorderben noch ander frembd
(10)ding hinan flicken lassen wollen, sondern vielmehr daran sein, das sie die
jungen knaben, so inen zw trewen henden befholen, zu dehme, was von vn-
sern lieben praeceptoribus vns hinderlassen ist, gewehnen vnd darinnen sie
recht vnterrichten wollen, damit die trewe beylag der reinen lehr bis vf die
nachkommen vnuorfelscht erhalten werden mög. Daneben gebüret auch
(15)einem jeden, von hertzen zu bitten, das Gott der herr selbst das liecht der rei-
nen lehr vnfurduhnckelt bey vns erhalten vnd dagegen alles furnehmen der-
jenigen, welche der offenbaren warheit aus lautern mutwillen vnd bosheit
vnd mit gesuchter sophisterey vnd betrug widerstehen, vorhindern vnd zu-
nicht machen wolle.
(20)Derwegen bitten wir dich, ewiger Sohn Gottes, herr Jesu Christe, rette du
selbst dein ehr, gib auch zeugnis vff vnsere nachkommen dieser lehre, die du
vns in deinem wort vnd offenbarung gelehret hast, heile die wunden deiner
armen kirchen, wehre allen sophisten, vorleumbdern, tyrannen vnd allen
denen, so nur mit bösen practicken fur vnd fur vmbgehen, erhalte warhafte
(25)einigkeit vnter vns von deiner warheit, damit wir in einem geist, mit einerley
glauben vnd mit einem munde dich hie vnd in alle ewigkeit rhümen vnnd
preisen mögen. Amen.
Geschrieben zu Wittenberg im anfang des 1571. Jahres.
Decanus, senior vndt die anderen doctores der theologen facultet in der vni-
(30)uersitet Wittenberg.
Was heist das wort „catechesis“ vnd woher hat es seinen namen?
„Catechesis“ heist die erste vnterweisung, in welcher die summa christlicher
lehr, in gewiße ordnung gefasset, aufs einfeltigst der jugendt wirdt furgehal-
(5)ten. Es hat aber das wort „catechesis“ seinen vrsprung von dem griechischen
wort κατηχεῖν, welchs bedeütet, einen mündtlich vnterrichten vnd widerumb
von ihm fordern, was er gelernet vnd wie er es verstanden hat.
Welches sind die fürnembsten heüptstück, so in folgendem catechismo
sollen gehandelt werden?
(10)1. Die zehen gebott, 2. der apostolische glaube, 3. das vaterunser, 4. die lehr
von der buß vnd absolution, 5. die lehr von den heiligen sacramenten.
Vom decalogo oder zehen geboten.
Was halten die zehen gebot in sich vnd woher haben sie diesen namen?
Die zehen gebot fassen in sich den inhalt des gesetz Gottes, darnach man das
(15)gantze leben anstellen sol, vnnd wird dieser nahmen „zehen gebott“ oder
„decalogus“ gebraucht, dieweil solcher gebot zehen erzelet werden. || [210v:]
Dann also redet auch Moyses selbst Deuteron. 10, das Gott der herr hab die
zehen wort auf die taffeln geschrieben, die er gered hat aus dem fewer auf
dem berge Sina.17
(20)Wie werden die zehen gebot geteilet?
Jn zwo taffeln: Die erste taffel lehret, was fur gottesdienst Gott dem herrn
selber zu erzeigen sind. Die andere taffel befileht, wie man sich gegen dem
negsten halten soll. Beider taffeln inhalt vnd vnterschiedene ordnung hat der
herr Christus gefasset Math. 22: „Du solt lieben Gott, deinen herrn, von
(25)gantzem hertzen, von gantzer seelen, von gantzem gemüthe. Dies ist das für-
nemest vnd gröste gebot; das ander ist dem gleich: Du solst deinen nechsten
lieben als dich selbst. Jn diesen zweyen hanget das gantze gesetz vnnd die
propheten.“18
Welche gebot gehören zur ersten taffel?
Die ersten drey gebott, vnter welchen das erste lehret von erkentnüs Gottes
im vorstandt vnnd von den innerlichen neigungen vnd bewegungen gegen
Gott ihm willen vnd hertzen. Das ander gebeut, wie man solch erkentnis
(5)Gottes vnd innerliche bewegung mit dem munde bekennen soll. Das dritte
verordnet das gantze predigampt, darmit die göttliche lehre vnd die euserli-
chen gottesdienst, so Gott hat eingesetzt, in offentlichen versamlung außge-
breitet vnnd fortgepflantzet werden.
Welche gebot gehören zur andern taffel?
(10) || [211r:] Die folgenden sieben gebot, welche mit solcher ordnung erzelet wer-
den: Das vierde gebot bestetiget in diesen eußerlichen leben die vorsamlung
oder beysammenwonung des menschlichen geschlechts, dazu der mensch
erschaffen ist, vnnd verordenet mancherley stende, so dieselbe regieren vnd
erhalten sollen. Das fünfte gebot beschützet vnd vertediget einen jedern
(15)menschen sein leib vnd leben, das sechste bestetiget den ehestandt, das sie-
bende bewaret einem jedern sein hauß vnd hof vnd alle seine nahrung. Das
achte erhelt einem jedern seinen guten nahmen vnd bestetiget die weltlichen
gericht, darinnen recht vnd gerechtigkeit einem jedern soll geleistet werden.
Das neundte vnnd zehende gebot sindt ein erklerung, das im gesetz Gottes
(20)nicht allein eüserliche wergk erfordert werden, sondern das auch dadurch
beschüldiget vnd verdammet werde alle böse lust vnnd neigung.
Was fur arth zu reden gebraucht Gott in einem jedem geboth?
Das erste gebot ist beides, affirmatiuum vnd negatiuum, das ist es setzet auß-
drücklich beydes zusammen, nemlich was man thun vnd was man lassen sol.
(25)Denn also lautet es: „Jch bin der herr dein Gott. Du solst kein ander götter
haben neben mir.“ Das dritte vnd vierde gebot sind allein affirmatiua, das ist
sagen nur außdrücklich, was man thun soll. Alls: „Du solt den feiertag hei-
ligen. Du solt deinen vater vnd deine mutter ehren.“ Dagegen die andern
gebot der ersten vnd andern taffel sind allein negatiua, das ist vorbieten nur
(30)außdrücklich, was man lassen sol, als: „Du solst den nhamen deines Gottes
nicht vnnützlich füren, || [211v:] du solt nicht tödten, du solt nicht ehebrechen,
du solt nicht stelen, du solt nicht falsch gezeugnis reden wieder deinen
nechsten, du solt nicht begeren deines nechsten haus, du solt nicht begeren
deines nechsten weib, knecht, magdt, viehe oder alles was sein ist.“ Nhun
(35)muss man aber diese regel mercken, das gleichwol in den negatiuis, das ist
ihn denen geboten, die nuhr vorbieten, was man laßen sol, zugleich auch ver-
standen werden müße, das man thun soll. Dagegen aber in den affirmatiuis,
das ist in denen geboten, die nur außdrücklich befehlen, was man thun soll,
muß man zugleich auch mit einschliessen, was man vnterlassen soll.
Was soll man in allen geboten furnemlich bedencken?
Diese fünf erinnerung soll man in allen geboten mit vleiß betrachten: 1. was
für tugenden oder gute werck in einem ieden erfordert werden, 2. wie alle
gute werck geschehen vnnd wie sie Gott gefallen mögen, 3. was fur sünde
(5)vnd laster in einem jeden gebot verboten werden, 4. was fur verheißung dem
gantzen gesetz vnd einem iedem gebot sind angehengt, 5. was das gesetz
Gottes fur bedroung habe. Solche stück gehören eines teiles zu einem ieden
gebot in sonderheit, eins teils auch zu dem gantzen gesetz in gemeine.
Sag mihr das erste geboth.
(10)Jch bin der herr dein Gott, der dich aus Egypten geführet hat. Du solt kein
ander götter haben g fur mihr.
g19
|| [212r:] Was ist der inhalt des ersten theiles, dieses, darinnen Gott gebeut,
was er von vns haben will?
Diese wort: „Jch bin der herr dein Gott, der dich aus Egypten gefüret hat“20
(15)bestetigen erstlich das gantze gesetz, weil sie melden, von wehme dasselb
gegeben sey vnd vmb welches willen man dasselb hoch vnd werdt halten
soll. Darnach zeigen diese wort auch an, wer der warhafftige Gott sey vnd
wie man ihn erkennen soll. Dann der nahmen Jehoua oder herre vnterschei-
det den Gott, der sich in seiner kirchen hat geoffenbaret, von allen ertichten
(20)göttern. Das aber gedacht wirdt der außfürung aus Egypten, damit geschicht
eine erinnerung, das Gott mit großen wunderwercken sein wort bestetiget
hab, welches er seiner kirchen hat offenbaret.
Was ist Gott?
Gott ist ein geistliches wesen, vorstendig, ewig, von
allen creaturen vnterschieden, (a) warhaftig, gut,
gerecht, keusch, barmherzig, wolthetig, freywillig,
(5)vnermeslicher weisheit vnd allmechtigkeit, das
ernstlich zürnet wieder alle sünde. Jn welchem eini-
gen göttlichen wesen sind drey vntterschiedene per-
sonen: der ewige Vater, welcher den Sohn als sein
volkommen ebenbildt von ewigkeit gezeüget, vnd
(10)der Sohn, welcher vom Vater von ewigkeit geboren
vnd des Vaters volkommen ebenbildt ist, vnd der
heylig Geyst, welcher vom Vater vnd Sohn von
ewigkeit außgehet. Wie diese warhaffte || [212v:] ei-
nige gottheit sich durch ein gewißes wort vnd gött-
(15)liche zeugnis hat offenbaret, das der ewige Vater
sampt dem Sohn vnd heiligem Geist aus nichts er-
schaffen hab himmel vnd erden vnd alle creaturen
vnd das er alle creaturen erhalte vnd samle ihm in
menschlichem geschlecht eine kirchen vmb des
(20)Sohnes willen vnd durch den Sohn vnnd sey ein
richter der gerechten vnd vngerechten.
Wodurch oder auf welcherley weyse will Gott erkannt sein?
Es sind zwo erkentnis Gottes, vns zweyerley ding furgestellet, nemlich das
wort vnd die göttlichen zeugnüs, darmit das wort bestetiget ist. Jm wort Got-
(25)tes sind diese zwo heuptlehren: das gesetz vnnd das euangelium. Die zeugnis
aber sindt die werck Gottes, welche er zw allen zeiten in menschlichem ge-
schlecht erweiset zw bekreftigung seines wortes.
Sindt es auch vnterschiedene lehren, das gesetz vnnd euangelium?
Es müssen diese beide heuptlehren mit fleiß vnterschieden werden. Aber
doch soll man wissen, das man sie nicht voneinander nemen, noch eine ohne
die andere recht vnd volkommen lehren konne vnd das durchaus die erkle-
(5)rung des gesetzes aus dem euangelio soll genommen werden. Den vnter-
schied aber zwischen dem gesetz vnd euangelio weisen die beschreibunge
beyder lehren: Das gesetz Gottes, so man nennet lex moralis, ist die ewige,
vnwandelbare weißheit ihn Gott selbest vnd die ewige regel des gerechtig-
keit in seinem göttlichen willen, die er in die vornunftigen creaturen gebildet
(10)hat vnd hat sie || [213r:] hernach allzeit in seiner kirchen mit seiner göttlichen
stimme vnd predigt erkleret vnndt widerholet, das wir wissen sollen, das
warhafftig ein Gott sey vnd das er sey weyse, gütig, warhaftig, gerecht,
keusch vnnd das er wolle, das die vornunftige creaturn ihm gleichformig sein
sollen, wie dann dieses gesetz alle vernünftige creaturen bindet, das sie dem-
(15)selben gehorsam leisten sollen, vnndt drauet schreckliche straf allen, die die-
ser vnwandelbaren weißheit wiederwertig seind, wo sie nicht wiederumb
versönet werden durch den mittler laut des spruchs: „Verflucht sey jeder-
man, der nicht bleibet ihn alle dem, das geschrieben ist ihm gesetz“,24 item:
Psal. 5: „Du bist nicht ein Gott, dem gottlos wesen gefellet. Du bist feind al-
(20)len vbelthetern.“25
Das euangelium (b) ist die predigt von der buß vnd
der gnedigen vorheißung, welche der vornunfft von
natur vnnbekandt vnnd von Gott selbest offenbaret
ist, darinnen Gott zusaget, das er auß gnaden, nicht
(5)vmb einiger vnßer verdienst oder wirdigkeit willen,
sondern vmb seines Sohnes gehorsam dehnen, so
ahn den Sohn gleuben, gewißlich die sünde vorge-
ben, sie ahnnehmen, die gerechtigkeit zurechnen
vnd das ewige leben schencken wolle. Durch wel-
(10)che predigt der Sohn Gottes die hertzen der gleubi-
gen tröstet vnd lebendig macht vnnd sie errettet
vom ewigen todt vnnd machet sie tempel vnnd wo-
nung Gottes vnd heiliget sie mit dem heiligen Geist,
welcher solche bewegunge ihn ihnen anzündet, wie
(15)ehr selber ist.
|| [213v:] Welche tugenden gehören zum ersten
(20)geboth nach erklerung des euangelij?
Es sinndt sieben vornehme tugenden des ersten ge-
bothes, so dasselb recht vorstanden vnd aus dem
euangelio erkleret wirdt: 1. wahre erkentnis Gottes,
2. der glaube, (c.) 3. liebe, 4. hoffnung, 5. furcht
(25)Gottes, 6. demut, 7. gedult. Diese erzelung wird
genommen auß den worten „Jch bin der herr dein
Gott, ein starcker eiferer.“36
Denn so ihm willen vnd hertzen Gott wollgefellige bewegung sein sollen, so
muß zuuorher gehen die erkentnis Gottes, sintemal das hertz sich nimmer-
mehr sehnet nach dem, das es nicht kennet.
Nach dieser erkentnis aber folgen die bewegung ihm willen vnd hertzen.
(5)Dann weil alsbaldt anfanges dieser liebliche trost vorgehalten wirdt, das der
herr vnser Gott sey, wird hiermit der glaube erfordert, welcher diesen trost
annimbt vnd allen stücken der göttlichen lehr beyfall gibet. Weil aber zu-
gleich drawungen vorgehalten werden, wird dadurch erwecket die furcht
Gottes. Nachdem aber der glaub im hertzen eine freude bringet von wegen
(10)der erkentnis der gnaden vnnd der barmhertzigkeit vnd gegenwart Gottes,
entstehet zugleich ihm hertzen libe gegen Gott vnnd ist bey dem glauben
auch die hoffnung, gleichwie der furcht Gottes folgen demuth vnd gedult.
Die beschreibung aber dieser tugenden seind diese:
Ware erkentnis Gottes ist, Gott also erkennen, wie ehr sich hat geoffenbaret,
(15)vnd ihn vnterscheiden || [214r:] von allen ertichten götzen, auch nichts anders
von dem wesen vnd willen Gottes oder von andern artickeln des glaubens
halten, dann wie Gott selbst ihn den schriften der propheten vnd aposteln
sich hat offenbaret. Glaube ist wißen vnd ahnnehmen die gantze lehre, so
Gott seiner kirchen hat offenbaret vnnd ist in sonderheit das vortrauen vf die
(20) vorheissung der gnedigen versöhnung mit Gott, dadurch wir ihn zuuorsicht
es Sohns Gottes entpfahen vorgebung der sünden vnnd tretten zu Gott vnd
sinndt gewis, das wir zu gnaden angenommen vnndt von ihm erhöret wer-
den. Liebe Gottes heist, sich Gott vnterwerfen vnd seine geboth halten mit
einer hertzlichen freude, welche entstehet von dem glauben, der da vortrauet
(25)auf die barmherzigkeit Gottes, welche ehr vmb seines Sohns willen vorheis-
sen hat. Hoffnung ist, gewißlichen vnd vngezweifelt das ewige leben vnd
seligkeit erwarten von wegen des Sohns Gottes, auch ihn diesem leben hülf
vnd linderung alles zeitlichen vnglücks sich vorsehen nach dem gnedigen
radt vnd willen Gottes. Kindtliche furcht Gottes heist, im erkentnis des
(30)zornns Gottes wieder die sünde sich entsetzen, doch also, das man sich wi-
derumb aufrichte durch das vortrawen auf die barmherzigkeit Gottes, damit
das hertz von Gott nicht abfalle vnd im schrecken verzage. || [214v:] Demuth
ist, Gott warhafftig fürchten vnd seine eigene schwacheit erkennen vnd doch
im glauben seines berufs warten vnnd von Gott hülf vnd rettung hoffen vnd
(35)nicht nach hohen dingen streben ausserhalb berufs vnnd den gluckseligen
fortgang des berufs nicht seinem vormögen zuschreiben noch andere neben
sich vorachten, als durch die Gott auch wol mehr nutzes schaffen vnd aus-
richten könne. Gedult ist, Gott gehorsam leisten in widerwertigkeit also, das
man nichts thue wieder Gottes befelch noch mit Gott zürne, sondern das man
(40)vielmehr mit glauben erkenne, das vnns Gott gnedig sey, vnnd demnach von
ihm gewarte hulf oder linnderung oder entliche errettung vnd in solchen
glauben vnnd hoffnung das hertz zufriedenstellen.
Was hat Gott vorbotten in dem ersten gebot?
Das weisen diese wort aus: „Du solt nicht ander götter haben neben mir.“37
Ander götter aber werden nicht allein vorstanden die ertichten heidnischen
götzen, sondern alles, darauf menschen ihr hertz setzen ausserhalben dem
(5)warhafften Gott. Derwegen frembde oder ander götter haben heisset, den
creaturen zueigenen, was allein Gott gebüret, als wenn wir auf erschaffene
dinge vnnser vertrauen vnd trost setzen || [215r:] vnd dieselben dem waren
Gott furziehen, das ist mehr lieben vnd fürchten als Gott selber.
Welches sind die furnemsten sünden, so dem ersten
(10)geboth zuwieder seinnd?
Es konnen fünfferley sünden furnemlich genennet werden, welche wieder
das erste geboth zum hochsten streben: Die erste sünde ist die epicurische
blindheit vnd vorstockung, da man durchaus verachtet alles, was von Gott
gesaget wirdt, item heidnischer zweyfel, da man nichts von Gott weiß noch
(15)erkennet. Die andere sünde ist abgötterey, die geschiehet auf mancherley
weyse, als so man ihm selbst ertichtet einen Gott, der doch der warhaffte
Gott nicht ist, oder wenn man Gott bindet ahn eine gewiße stelle, dahin er
sich nicht verbunden hat mit seinem wort, oder so man einer creatur gott-
liche ehr zueignet oder so man auch sonderliche meinung von Gott vnd
(20)besonder gottesdienst erdencket ausserhalb Gottes wort. Vnnd gehöret zu
dieser sünd auch der aberglaube, da man einer creatur sonderliche kraft zu-
schreibet, die sie nicht hat aus Gottes ordnung oder aus natürlichen vrsachen.
Die dritte sünde ist ketzerey, das ist ein halsstarrig furgeben einer lehr, die
wieder das fundament ist vnnd entweder den außdrücklichen befehl vnd ge-
(25)boten Gottes oder den artickeln des glaubens entgegen ist. Die vierde sünde
ist vorbündnis mit dem deufel, da man das vortrawen, so || [215v:] man auf
Gott haben solt, auf die teufel setzet, mit denselben einen bundt machet vnd
hülffe von ihnen begeret vnnd suchet. Die fünfte sünde ist heucheley, da man
sich gottselig stellet vnd ist doch ihm grundt ohne alle furcht Gottes vnd
(30)ohne glauben. Hiezu gehöret fleischliche sicherheit, guttdünckel, der sich
selbst hoch helt vnd auf sich das vertrauen setzet, hoffart, vngedult ihm lei-
den vnd entliche verzweifelung. Welche laster eigentlich sind wieder die
furcht Gottes vnd wieder das vertrauen auf Gottes hulfe.
Sag mir das andere geboth.
Du solt den nahmen Gottes, deines herrn, nicht vnnutzlich furen, den der
herr wird den nicht vngestrafft lassen, der seinen nahmen mißbraucht.38
Was ist Gottes nahme vnd was heist den nahmen
(5)Gottes missbrauchen?
Gottes nahme ist, was von Gott bekand ist aus seinem wort, das er selbest hat
geoffenbaret. Den nahmen Gottes mißbrauchen heist, vnnsers herrn Gottes
nahmen oder seine wergk vnd wolthaten Gott zu vnehren fhüren.
Was sind die tugenden, die zum andern geboth gehören?
(10)Es sind vier furnehme tugenden, dardurch Gottes nahmen recht gebrauchet
wirdt: anruffung Gottes, dancksagung, bekentnis vnd rechtschaffener eydt.
|| [216r:] Ware anruffung Gottes ist, wenn man von dem warhafften Gott, der
sich ihn der vorheischung des euangelij vnd mit der sendung seines Sohns
hat geoffenbaret, allerley güter, ewige vnnd zeitliche, bittet vnd one zweifel
(15)glaubet vnd gentzlich dafurhelt, man sey erhoret vnnd Gott werde nach laut
seiner vorheissungen vmb des mitlers Christj willen vns mitteylen was wir
von ihme bitten. Dancksagung ist, da wir mit hertzen vnnd munde erkennen
vnd bekennen, das wir nicht ohngefer, auch nicht allein durch menschliche
mittel vnd hülff, sondern von Gott erhalten vnd beschützet sein, vnnd das
(20)Gott warhafftig auf vns ein auge hab, vnns beystehe vnnd helffe, auch wen
alle natürliche mittel vns vorlassen. Christliche bekendtnis heisset, die recht-
schaffene lehr des euangelij warhaftig vnd bestendiglich fur Gott vnd den
menschen öffentlich darthun vnd dauon nicht abweichen vmb menschlicher
gunst oder hasses oder vmb verfolgung oder einigerley gefahr willen. Recht-
(25)schaffener eide ist, mit anruffung Gottes ein dieng berühren oder sich auf
Gott beruffen in zusagung eines dinges, welches ihn vnser gewalt vnnd nicht
verbotten ist. Da man nemlich Gott bittet, das ehr ein zeüge sey dessen, das
wir gereden, vnnd das ehr allen betrug straffe, damit man sich dan gleich zur
straffe vorpflichtet vnnd will gleichsam Gott lügen straffen, wo er nicht den
(30)betrug straffen werde.
|| [216v:] Warumb folget so eben das ander geboth auf das erste?
Das erste geboth hat gelehret, wie das hertz ihnwendig Gott seine diennst
vnd ehre leisten soll. Damit aber das hertz so voller erkentnis vnnd liebe
Gottes ist, seine gedancken vnd bewegungen durch die rede darthue, so fol-
(5)get demnach alsbaldt das ander geboth, wie man die sprach vnnd zunge re-
gieren vnnd zw Gottes ehre gebrauchen soll.
Kan nicht die anruffung Gottes vnnd dancksagung geschehen, ob man gleich
nicht eben mit dem munde solches thue?
Man kan ja auch wol mit gedanncken des hertzens Gott anruffen oder jhme
(10)dancksagen. Gleichwol erfordert Gott, das man auch mit außdrücklichen
worten solches thue, auf das hiermit in gemein vnd in sonderheit vnnser be-
kentnis geschehe, darmit wir vnns zu dem warhafften Gott bekennen vnnd
von allen ertichten götzen absondern vnnd wir ihn erzelung des gebets von
vielen hohen dingen vns errinnern vndt vnterweisen, auch vnnser andacht
(15)vnnd den ernst ihm gebeth vormehren vnnd den teufel von vns vorjagen,
welcher keine wehr noch waffen mehr fürchtet als das gebet der gottseligen
vnnd die klerliche vnd außdrückliche bekentnis von Gott.
Welche sünde streiten wieder das annder geboth?
Alle mißbrauch gottlichs nahmens, als da seindt alle reden, damit die heim-
(20)lichen sünden vnnd bößheit des hertzen wieder das erste geboth Gottes wer-
den offenbaret. Dessen zum exempel erzelet werden kahn alles, || [217r:] was
bey den heiden die Epicurer, Stoici, Academici vnnd annder wieder den war-
hafften Gott haben vorgeben, ihndem sie ihn entweder gar verleugnet oder
zw wenig von ihm geredet vnnd gehalten haben. Item alle falsche vnnd vnn-
(25)christliche anruffung, alle vorfelschung der rechtschaffenen lehre, alle zeu-
berey, alles vnnrecht schweren, alle gotteslesterung. Vber das sind auch die-
ses sünde wieder das annder geboth, wann man die anruffung Gottes gar vn-
terlest, wann man vndanckbar ist gegen Gott, wann man die warheit vor-
schweiget oder laugnet, die man bekennen solte, oder wann man Gottes ehr
(30)vnnd nahmen zum schanddeckell brauchet vnnd zur beschönung alles vnbil-
lichen vnnchristlichen furnehmens, wie ihr viel das lieb euangelium zum
schein furwenden, ihre eigene ehrgeitz, gelttgeitz,39 haß oder annder böse
affect des hertzens darmit zu beschönen.
Sag mir das dritte geboth.h
Gedenck, das du den sabbathtag heyligest.40
Was heisset das wort „sabbath“?
Es ist ein hebraisch wort vnnd heisset eygentlich soviel als eine ruhe. Derwe-
(5)gen der sabbathtag so viel heisset als ein ruhetag.
Wie mancherley sabbath werden in der schrift beschrieben?
Es gedencket die heilige schrifft fünferley sabbath: Der erst ist i sabbatum
creationis
i, das ist der sabbath oder rhue Gottes nach der schöpfung, von
welchem || [217v:] Gen. 2 geschrieben ist, das Gott ihn sechs tagen himmel
(10)vnnd erden erschaffen vnd ahn dem siebenden tag geruhet hab,41 welches
also zw vorstehen ist, nicht das Gott nachmals hat aufgehöret, sein geschöpf
zw regieren vnd zu erhalten, sondern das er nach erschaffung des menschen
nicht andere neue creaturen ferner erschaffen hab. Denn er hat nicht eine
newe welt oder newe element oder annder new geschöpf hernach wollen
(15)schaffen, anzuzeigen, das der mensch sein letztes vnnd liebstes geschöpf sey,
daran er seinen wolgefallen haben vnndt in dem ehr rhuen vnd wohnen
wolle.
Der annder sabbath, j sabbatum paedagogicum
j, das ist die eüsserliche ruhe
des leibes, ist, da man ahn einem gewissen tag dem leibe ruhe lest von
(20)dienstarbeiten. Dauon Deut. 5 stehet: „Ahm sabbathtag soltu kein arbeit
thun, noch dein sohn, noch deine tochter, noch dein knecht, noch deine
magd, noch dein ochse, noch dein esel, noch alle dein vieh, noch der frembd-
ling, der ihn deinen thoren ist, auf das dein knecht vnnd deine magd rhue
gleich wie du.“42
(25)Der dritte sabbath ist k sabbatum spirituale
k, das ist die geistliche rhue der
seelen, welche zwar das gesetz Gottes eigentlich vnnd ahm furnembsten er-
fordert von den menschen, nemlich das man die göttliche lehr ihm mit fleiß
laß angelegen sein vnnd rhue oder ablaße von sunden vnnd bösen wercken.
Von diesem sabbath zu erinnern war bey den juden die eußerliche rhue der
feyer, so mit dem leib gehalten wird, furnemlich vorordnet, wie solches
gnugsam angezeigt wird ihn deme, das so offt vnnd mit so großem ernst die
verordnung des sabbats wiederholet ist. Dann also spricht der || [218r:] text
Exod. 31: „Haltet meinen sabbath! Dann derselb ist ein zeichen zwischen
(5)mihr vnnd euch auf euere nachkommen, das ihr wisset, das ich der herr bin,
der euch heiliget. Darumb so haltet meinen sabbath, denn er sol euch heilig
sein vnnd er ist ein ewig zeichen zwischen mir vnd den kindern Jsrael.“43
Der vierde sabbath ist l sabbatum redemptionis
l. Die wunderbare rhue des
Sohns Gottes in seinem leyden, dauon S. Paulus spricht: „Er hat sich geeu-
(10)ßert vnd hat sich selbst ernidriget vnnd ward gehorsam bis zum todt ahm
creutz.“44 Vnnd der alte lehrer Irenaeus, lib. 3, sagt mit sehr feinen worten:
„Gleichwie er ein mensch wahr, das er in allem versucht würde, also war er
das wort, das ehr wiederumb verkleret würde, vnd hat das wort geruhet, da er
versucht vnnd gecreütziget ward, auff das er warhafftig sterben möchte.“45
(15)Der fünffte sabbath ist m sabbatum aeternum
m, das ist die ewige rhue, welche
den außerwelten nach der allgemeinen aufferstehung der toden vorheisen ist.
Dauon Esaiae am letzten geschrieben ist: „Es wirdt ein sabbath nach dem
andern kommen“,46 nemlich als dann, wann Gott alles in allem sein wirdt.47
Was heist das wort „heyligen“?
(20)Eigendlich zu reden, so wird das wort „heilig“ von Gott vnd göttlichen din-
gen gebraucht. Dann wie Gott vnnd alles, was Gottes ist, allein heilig ist, al-
so heißet man dasjenige, das zur übung der gottesdienst gehöret oder das
Gott zugeeignet ist, auch heilig. Derwegen wird durch das wort „ sanctifi-
care“n oder „heyligen“ vorstanden alles thuen, dadurch sich Gott vnns mit-
(25)theilet oder damit wir hinwieder Gottes ehr vnd || [218v:] preyß fürderen.
Wahn nuhn von heiligung des sabbaths ihn diesem geboth gesagt wirdt, ist
es souiel gesagt als den sabbath heylig halten, das ist zw ehren Gott dem
herrn vnd seinen gottesdiensten anwenden, vnnd geschiehet solches, wann
man Gottes wort lehret vnd lernet vnnd andere übung vnd dienst ihm leßet
(30)angelegen sein, darmit das predigampt des euangelij geehret vnd gefördert
wirdt.
Wie kompt das dritte geboth mit den zweyen vorgehenden
gebothen vberein?
Gleichwie das erste geboth lehret von den gottesdiensten ihn den hertzen,
das ander geboth von den wercken, so mit dem munde vnd zungen gesche-
(5)hen, also lehret das dritte geboth von den vbungen der innerlichen gottes-
dienst in den eusserlichen ceremonien vnd verordnet das gantze predigampt
als ein mittel, dadurch die erkentnis vnd anruffung Gottes ihn vns gepflanzet,
gestercket vnd vormehret wirdt, vnnd macht ein vnterscheidt der personen
ihn der kirchen, nemlich zwischen lehrern vnd zuhörern.
(10)Was gebühret den lehrern in der kirchen, damit von ihnen der sabbath
geheyliget werde?
Ein diener des heyligen euangelij soll die lehre des gesetzes vnnd euangelij
lauter vnd vnvorfelscht vortragen, die sacrament nach Christi einsetzung rei-
chen, auch mit seinem leben sich der lehre gemeß erzeigen, wie der apostel
(15)Paulus nach der lenge in der epistel zu Tito am ersten vnd 1. Tim. 3 das le-
ben vnd die tugenden eines bischoffes beschreibet.48
|| [219r:] Was gebühret den zuhörern, das sie den sabbath heyligen?
Ein zuhörer soll die lehr göttliches worttes mit lieb vnnd lust lernen, die hey-
ligen sacrament mit ehrerbietung gebrauchen, sich gerne halten zu den of-
(20)fentlichen versamlungen ihn der kirchen, darneben auch erkennen, was fur
ein grosse gab Gottes sey das heylig predigampt, dafur hertzlich beten vnnd
Gott dancken, auch einen christlichen wandel fhüren vnd sich fur ergernis
hutten, dadurch die lehr vorvnehret wurdt, trewe diener des wortes ihn ehren
halten, ihnen zw gebürlicher vnnterhaltung helffen vnd allen geburlichen
(25)gehorsam erzeigen in allem deme, das dem euangelio nicht zuwieder ist.
Welche sünde streiten wieder das dritte geboth?
Alle ergernüs entweder der lehr oder des lebens, dadurch die reine lehr vor-
felschet, die sacrament vorunehret vnd das predigampt vnd die kirche Gottes
ihn nachrede gesetzt wirdt, item nachleßigkeit, vorachtung oder anfeindung
(30)des predigampts, nemlich des worts vnd der sacramenten oder verfollgung
der personen, so dem predigampt dienen, item leichtfertige kurtzweil vnd
spiele oder auch leibesarbeit, dadurch das predigampt vorseumet, item
schwelgerey vnd fullerey, so man vf die feyertage anstellet, dadurch die be-
trachtung gottliches worts vnd der gottesdienst vorhindert wirdt.
Warumb feyern die christen anstadt || [219v:] des siebenden tages in der
wochen den ersten tag als den sontag?
Das jüdische volck hat nach dem befhel Gottes den siebenden tag gefeyert,
welchen wir nennen den sonnabend. Dadurch worden sie erinnert von der
(5)rhue Gottes nach erschaffung der weldt. Aber die aposteln vnnd derselben
discipel haben den ersten tag ihn der wochen, welchen wir den sontag nen-
nen, zw einem feyertag verordnet vnnd die jüdischen ceremonien vnd opfer,
so auf den sabbath gebreuchlich wahren, aufgehaben vnnd fallen laßen. Sol-
cher vorenderung haben sie zwo vrsachen gehabt, nemlich weil der herr
(10)Christus ahn diesem tage vom tod erstanden vnnd ein exempel der christli-
chen freyheit forzustellen war, daraus erkennet werden möchte, das die cere-
monien der jüdischen policey die christen ihm neuen testament nicht mehr
nottwendig binden oder vorpflichten.
Sag ahn das vierde geboth.
(15)Du solt deinen vater vnd deine mutter ehren, auf das du lannge lebest auf
erden.49
Was begreift die ehre in sich?
Warhafftige ehre ist, so man an einem ding seinen wolgefallen hat, dasselb
hoch helt vnd sich demselben vnterwirft, als ihn dem ettwas sonderlichs gu-
(20)tes ist vnd von Gott fur annder dieng vorgezogen worden ist. Dann der an-
fang vnnd vrsprung aller ehren kompt daher, wann man erkennet, das eine
person oder irgendein ander ding als ettwas fürtrefflichs von Gott verordnet
ist. || [220r:] Es gehören aber zur ehre diese stücke: erstlich, im hertzen eine
person oder ander ding hochhalten in betrachtung, das es von Gott verordnet
(25)vnnd an sich selbst ettwas gutes ist, nachmals auch sich derselben person
oder ding vnterweisen vnd mit eußerlichen ehrerbietung vnd gehorsam an-
zeigen, das man die göttliche ordnung hochhaltte.
Was heissen vater vnd mutter in diesem geboth?
Erstlich werden hierdurch die eltern vorstanden, von welchen wir geboren
(30)sein. Darnach gehören zu diesem nahmen alle, die vnns ahnstadt der eltern
werden furgestellet vnd ettwas vber vns zu gebieten haben, als da sindt prae-
ceptores oder lehrmeister, obrigkeit, haußherrn, furmünde vnd dergleichen.
Disem allen wird dieser liebliche nahmen zugeschrieben, damit ein jeder
regendt erinnert werde, das er gegen denen, vber die er zu gebieten hat, ein
(35)vaters hertz tragen vnd erhalten sol.
Warumb ist das vierde geboth zum anfang der andern taffel verordnett?
Weil die ander taffel der zehen gebot die gemeine geselschafft vnd beysam-
menwonung des menschlichen geschlechts ordnet vnndt bestetiget, ist das
eine sehr feine ordnung, das zum ersten regenten gesetzt vndt die personen
(5)vnnd empter, so ihn gemeinschafft des menschlichen geschlechts sein, müs-
sen vnterschieden werden. Vnd zwar nennt Gott forn ahn die eltern, weil die-
selben allen andern regenten ein furbildt || [220v:] vnd regel sein sollen. Nach-
dem aber in der öffentlichen gemein vnd beisammenwonung des menschli-
chen geschlechts durch dieß geboth die regiment bestetiget worden sindt, als
(10)folgen nachmals in dieser andern tafel solch geboth, die auch einem jeden in
sonderheit seinen leib, weib, gut vnd ehr bewahren.
Welche tugenden gehören zum vierden geboth?
Die furnembsten tugenden sindt diese: trewe vnd liebe der eltern vnd kinder
gegeneinander, gebürliche neigung zwischen oberherrn vnd vnterthanen,
(15)schuldige lieb vnd pflicht zwischen eheleuten vnd trewer vleiß, den ein jeder
in seinem beruf erzeigen sol.
Was gebürt den eltern zu thuen gegen die kinder?
S. Paulus stellet den eltern diese regel für, Ephes. 6: „Jhr veter reitzet euer
kinder nicht zu zorn, sondern ziehet sie auf ihn der zucht vnd vormanung zu
(20)dem herrn.“50 Hiemit gebeut der apostel, das haußveter ihre kinnder vnd ge-
sinde nicht alleine ernehren vnd beschützen, sondern auch ihn der lehre von
Gott vnterweisen vnnd sie gewehnen vnd anhalten sollen, das sie von jugend
auf ein ehrlich leben vnd wandel fhüren.
Was gebüret den öberherrn gegen ihre vnterthanen?
(25)Die obrigkeit soll uber dem gantzen gesetz halten, souiel die eüserliche zucht
belanget. Diß sol also vorstanden werden: Erstlich sol die obrigkeit wieder-
holen vnd in menschlichem geschlecht erhalten göttliche gesetz vnnd nach
demselben ernstlich vorbietten abgotterey, || [221r:] gotteslesterung, meyn-
eide, todtschlag, vnnzucht, diebstal vnnd betrug in handtierungen vnd ihn
(30)gerichten. Zum anndern mag die ordentliche obrigkeit ettliche sönderliche
gesetz furstellen, die nicht wieder das natürliche recht sinndt vnnd doch ihre
billiche vrsachen vnndt nottwendigen nutz haben zw erhaltung vndt wolfart
der welttlichen regiment. Zum dritten sol die obrigkeit halten vber dem gött-
lichen gesetz vnnd ihren eigenen ordnungen vnnd die vorbrecher ernstlich
(35)straffen. Zum vierden soll sie den frommen vnnd gehorsamen schutz leisten
wieder mutwilliger leut gewalt vnd vornehmen nach dem spruch S. Pauli:
„Wilttu dich nicht fürchten fur der obrigkeit, so thue guttes, so wirstu lob
von derselben haben. Dann sie ist Gottes dienerin dir zu gut. Thustu aber bo-
ses, so fürcht dich. Dann sie traget das schwerdt nicht vmbsonst“51 etc.
(5)Wie sollen sich die kinnder gegen die eltteren vnd die vnterthanen gegen die
obrigkeit erzeigen?
Syrach spricht cap. 3: „Ehre vater vnnd mutter mit wortten, mit that vnd mit
geduldt, auff das ihr segen vber dich komme.“52 Hiermit erfordert ehr, das
die kinnder diese ordnung Gottes, das ehr der eltern vnd kinderstandt in
(10)menschlichem geschlecht erhelt, erkennen vnnd mit ehrerbietung von ihren
eltern gedencken vnnd reden sollen. Nachmals will er, das man von hertzen
sich ihnen vnterwerffe vnnd ihm werck vnd mit der that gebürlichen gehor-
sam leist. Entlich gebeut ehr, das man auch ettliche schwacheit den eltern zu
gut halten vnnd sie gütlich vortragen soll. || [221v:] o Sölchs sinndt auch die
(15)vnterthanen ihrer obrigkeit zu erzeigen schüldig.
oErstlich, das sie erkennen,
das welttliche obrigkeit Gottes ordnung sey vnd das sie dem menschlichen
geschlecht zum besten furgestellet vnnd das man die person von wegen gött-
liches befehles ihn ehren halten soll. Nachmals, das sie den gesetzen weltt-
licher obrigkeit gehorsam leisten, fur sie hertzlich beten vnd ihre rendt vnnd
(20)schoß53 ihnen williglich folgen lassen. Endlich, das sie mit gedult ettliche
schwachheit ihrer oberherrn vertragen, weil keine regierung, sie sey groß
oder klein, kan gefunden werden, darinnen nicht mancherley feil vndt man-
gel sich zwtragen.
Wie sollen sich eheleut gegeneinander erzeichen?
(25)Erstlich sol zwischen ihnen sein ein hertzliche liebe, zum andern sol eines
dem andern trew vnd glauben halten, zum dritten sollen sie gutes vnd böses
miteinander dulden, zum vierden soll der man dem weib gebürlichen schutz
leisten.
Wie soll ein jeder mensch sich in seinem beruf erzeigen?
(30)Weil Gott der herr niemandt wil auf erden müssig haben vnnd setzet einen
jeden menschen in einen gewissen beruf, soll sich ein ieder befleissigen, das
er der regel Paulj folge, der da spricht, das dies in einem diener erfordert
werde, das er getrew sey.54 Das ist, ein jeder mensch sol mit ernst vnnd mit
bestendigkeit Gott zu ehren vnd vmb ander leut wollfart willen die erbeit, so
seinem beruf geziemen, trewlich vnd fleissig außrichten.
|| [222r:] Welche sünde streiten fürnemlich wieder das vierde geboth?
(5)Erstlichen sündigen eltern vnd oberherrn, wann sie allzu tyrannisch mit den
ihrigen vmbgehen oder auch, wann sie ihnen gar zu viel nachlassen. Kinnder
vnd vnterthanen sündigen entweder mit vnngehorsam vnnd auffrhur oder
auch, so sie wieder gewissen vnd wieder Gott ihrer obrigkeit oder eltern zw
gefallen thun. Es sündiget auch ein jeder in seinem eigenem beruf beydes
(10)durch faulkeit vnd durch furwitz, so er entweder seines ampts vnd standes
gebürende arbeit vorsaumet oder frembder dieng sich vnterstehet, die zu sei-
nem beruf nicht gehören.
Was heißet langes leben, dauon Gott im vierden geboth ein aussdrückliche
vorheissung gegeben hat?
(15)Lanng leben soll man nicht allein vorstehen von einem grossen alter, das ein
mensch fur dem andern erreichet, sondern es wirdt hierdurch vorheißen alle
wolfart, so zu einem gerühigem, glückselichem leben gehöret, als da sinndt
gesundheit des leibes, from gemahel, fromme kinder, from haußgesind, ehr-
liche dienst, fried, gute policey, glückliche narung vnnd in summa alles, wie
(20)es mag nhamen haben, so das leben eines menschen ruhig vnd glückselig
machen kan.
Sag mir das fünfte geboth.
Du solt nicht toedten.55
Welche tugenden gehören zum fünften geboth?
(25) || [222v:] Die fürnembsten vnnter vielen anderen tugenden in diesem geboth
sindt diese: mannheit, sanftmut, billigkeit, barmherzigkeit, freundschafft,
freundligkeit, gütigkeit, eifer, lieb zu einigkeit:
Mannheit, fortitudo ist, wann man vber dem, was recht ist, bestendiglich helt
also, das man entweder zur wehr greift vnnd, was bose vnnd schedlich ist,
(30)von sich oder anderen mit der hanndt, wo man vorstehet, das es recht vnndt
gebürlicher weise geschehen kahn, abweyset, als da geschicht ihm aufrich-
tem kriege oder nottwendiger beschützung seiner selbst oder annderer, die
vnrecht leiden, oder da man auch mit geduldt vberwinndet, wo etwas böses
zu dulden ist, vnnd nicht aus einem vnmuth wieder tugendt vnd redligkeit
handelt, als da iemand in seinem beruf bestenndig bleibet, ob ihm gleich alle
wiederwertigkeit darinnen zustehet.
Sannftmut, mansuetudo heiset den zorn ihm zaum halten, nichts vnnbilliches
(5)fürnehmen durch zorn, auch vmb gemeines friedes willen dehn zorn faren
lassen vnnd sich nicht selbst rechnen.56
Billigkeit, aequitas ist, das ein obrigkeit das scharffe recht bisweilen meßiget
nach erforderung ettlicher vmbstende, sonnderlich ihn einem solchen fall,
>daruon nichts außdrückliches vnnd eigentliches ihm geschrieben gesetz ver-
(10)ordnet ist. Vnter gemeinen leuten aber heißet billigkeit oder aequitas auch
diese tugendt, da man anndern leuten ihre schwachheit zugut helt, oder, wo
sie gestrauchelt vnd gefeilet haben, solches hilft zudecken oder, do auch
offentlich ettwas vorsehen wehre, dasselb dennoch zum besten hilffe wenn-
den, wo ferne man sich vorsehen kan, das man dauon werdt ablassen.
(15) || [223r:] Barmhertzigkeit, misericordia heist ein mitleyden haben mit anndern,
dehnen es vbel gehet, sonnderlich, do sie vnnschüldig dazu kommen sinndt,
vnd ihnen nach gelegenheit seines berufs vnndt nach vormügen helffen oder,
do auch jemandt das vnnglick wol verdienet hat, dennoch in betrachtung der
vmbstende, wo man deßen vrsach haben kahn, das vbel vnnd die straf dem-
(20)selben linndern.
Freündtligkeit, humanitas begreift viel tugenden zugleich in sich, alls da man
mit auffrichtigkeit, sannftmuth, billigkeit, gutthetigkeit vnnd holdtseligkeit
sich gegen anndere ihn reden vnnd geberden lieblich erzeiget.
Gütigkeit, clementia ist die tugendt ahn hohen personen, da man sich gnedig
(25)erweiset gegen frommen leuten vnnd sie ihrer tugend vnnd frommigkeit fur
anndern bösen leuthen geniessen lesset, auch die straffe linndert dehnen, so
da straf vordinet vnnd bey denen doch hoffnung der besserung ist.
Eifer, zelus ist ernnstlich streben nach gerechtigkeit vnnd anndern tugenden
vnnd ernstlich zürnen wieder alle mißhandlung vnnd offentliche vorharrliche
(30)laster.
Lieb oder einigkeit, studium concordiae heist recht vnnd auffrichtig hannd-
len vnd sich mit vleiß hüten, das man nicht vnnötige zannck oder zwietracht
erreg, damit nicht die kirche Gottes verunreiniget, die anruffung vorhindert
vnnd kriege oder vorwüstung ihn regiemendten vorursacht werden.
|| [223v:] Was fur sünden vnnd laster werden im fünften geboth verbotten?
Der herr Christus erzelet Math. 5 viererley vnnterschiedene art der sünden,
so wieder das fünfte geboth streiten. Dann erstlich ist wieder dis geboth, do
man mit öffentlicher gewaldt vnnd vnrecht den nechsten ermordet oder ahn
(5)seinem leib verletzet, zum anndern, so man vnnbillichen zorn im hertzen tre-
get, zum dritten, da man allerley zornige zeichen vndt vnnfreündligkeit ahn
geberden vormercken lesset, welches Christus nennet zu seinem bruder
„raka“ sprechen,57 zum vierden, da man den nechsten vorechtlich helt vnd
auch wol mit vnnfreundtlichen worten angreiffet, welches Christus heißet zu
(10)seinem bruder sprechen: „du narr“.58
Jst dann aller zorn sünde?
Oder ist auch alle rach durchaus vnndt ohn vnderschiedt verbotten?
Es vorbeüt das fünffte geboth vnnrechten oder vnnbillichen zorn, da man oh-
ne vrsach vorgeblich mit dem nechsten zürnet. Deßgleichen verdammet es
(15)die priuatuindict, das ist, da sich jemandt wieder Gottes vnd der gesetz ord-
nung selbst eigene rach zu üben vnnderstehet. Es hebet aber dies gebeth den
billichen vnd gerechten zorn, da man vntugendt vnndt lastern feinnd ist vnnd
von ampts wegen die mißhanndlung straffen muß, keinesweges auf. Derwe-
gen auch niemandt gedencken sol, das durch dies geboth der weltlichen
(20)obrigkeit ampt aufgehaben werde, welche die von Gott befholne rach ihn
straffe der bösen vbet, damit die gemeinschafft vnnd beisammenwonung
menschlichs geschlechts erhaltten werden möge.
|| [224r:] Sag mir das sechste geboth.
Du solt nicht ehebrechen.59
(25)Welche tugenden gehoren zum sechsten geboth?
Es seindt zwo fürnehme tugenden des sechsten gebothes: keüscheit vnndt
messigkeit. Keuscheit, castitas ist, da man in vnd ausserhalb des ehestanndes
alle vnnreinigkeit ihn gedancken, worten vnnd wergken meydet vndt sich
enthelt von allen vormischung, so ihn Gottes wort verbotten sindt. Messig-
(30)keit, temperantia ist, da man in essen vnndt trincken solche maß helt, das die
gesundheit nicht vorletzt vnnd die vbung des gebots vnnd anderer tugenden
dadurch nicht vorhindert werde.
Was fur laster sinndt wieder das sechste geboth?
Es sinndt diesem geboth zuwieder nicht allein ehebruch, hurerey, blutschan-
den vnd alle verbottene vormischung vnd befleckung des leibes, sonndern
auch vnnzuchtige gedancken, vnnfletige reden, furwitzige geberde vnnd al-
(5)lerley vnreine brunst vnnd vnnkeuscheit ihm hertzen. Es streitten auch wie-
der dies geboth trunckenheit, füllerey, vnordnung ihm essen, trincken,
schlaffen vnnd dergleichen, vnnd gehören hieher auch allerley anreitzung
vnd gelegenheit, dadurch vnnfletige gedancken vnnd lust erreget werden.
Sag mir das siebende geboth.
(10)Du solt nicht stehlen.60
Was heist „stehlen“ in gemein?
Sthelen heist einem annder ettwas entfrembden ohne wissen vnnd willen des,
welcher daruber ein herr ist, ohne einige widergelttung oder erstattung.
|| [224v:] Welche tugenden gehören zu diesem geboth?
(15)Gleichwie das sechst geboth den ehestanndt bestetiget, also werden durch
das siebennde geboth gebilliget alle rechtmessige contract vnnd handlung
vnnd wird vnterschiedt des eigentumbs gemacht vnnd verordnet, das ein ie-
der das seine mit guttem gewissen haben vnnd besitzen müge. Auch wirdt
einem iedern aufferleget, das er seiner eigenen gütter recht brauchen soll.
(20)Darnach gehören zw diesem siebenden geboth diese furneme tugenden: ge-
rechtigkeit ihn handlung vnd gewerb, mildigkeit oder gutthetigkeit, sparsam-
keit, danckbarkeit.
Gerechtigkeit in handlung vnd gewerb, iusticia commutatiua ist, da keuffer
vnnd verkeufer vnnd allerley anndere hanndelsleut in kauffen, leihen, bor-
(25)gen, arbeiten, mieten vnnd dergleichen eine billiche gleicheit halten also, das
ein teil das ander nicht vbersetze61 noch aussauge oder verforteil. Milde sein,
liberalitas heist die tugendt, da man mit zeitlichem gut oder willfertigen
diensten einem andern guttwillig hilft, ob man gleich solches aus pflicht oder
zwang der welttlichen gesetz nicht eben schüldig ist, helt aber doch solche
(30)maß hierinnen, das beyde laster gemidden werden, all zu karg vnnd genaw
sein vnnd herwidderumb auch all zu viel vorgeblich vorschwenden vnnd
vnnutzlich anwenden.
Sparsamkeit, parsimonia ist, das seine zu rath halten62 vnnd zu nottwendi-
gem nutz gebrauchen, nicht vnnötige vnnd vbermessige vnnkost machen
(5)vnnd doch, wo es billiche vrsachen hat, gerne aufwenden, was sich gebüret
vnnd vonnöten ist. || [225r:] Danckbarkeit, gratitudo fasset diese zwo tugen-
den: erstlich, das man mit warheit erkenne vnnd gegen andern rhüme, was
für guttaten wir empfangen haben, zum andern, das man sich befleißige,
gleicheit zw halten vnnd nach vermügen wiederumb die entpfangene woltha-
(10)ten zu vorgelten.
Was fur laster streben wieder dis geboth?
Nicht allein offentliche diebstal vndt reuberey oder betrug vnndt vberfortey-
lung in hanndtlungen vnnd gewerb, sonndern auch geitz,63 begirde fremdes
gutes vnnd vnnbillichen gewinns, item: vorschwendung vnnd vnnütze vor-
(15)tueligkeit,64 filtzigkeit65 vnnd hartigkeit, anndern guttes zu thun, vnndanck-
barkeit gegen wolvordienten leuten.
Sag mir das achte geboth.
Du solt nicht falsch gezeügnis reden wieder deinen nechsten.66
Was heist „falsch gezeügnis“?
(20)Falsch gezeugnis ist, wann man dem nechsten zw schaden vnd nachteil an-
ders von einer person oder dieng redet, als die warheit mit sich bringet vnnd
wir selbst wissen vnd verstehen.
Welche tugenden gehören zum achten geboth?
Die furnembsten tugenden des achten gebots seindt: 1. warheit, veritas, 2.
(25)auffrichtigkeit, candor, 3. nicht halsstarrig sein im irrthumb, sondern sich
gern inns bessern vnterrichten lassen, docilitas, 4. nach gebürlicher ehr stre-
ben, recta appetitio gloriae, 5. zucht, modestia. Dazu || [225v:] gehöret auch
schamhafftigkeit, pudor oder verecundia, so alle menschen, in sonderheit
aber junge leuthe zieret.
(30)Warhaftigkeit, veracitas ist ein ernsten willen vnnd forsatz haben zu erfor-
schen, was recht ist vnd einen guten grund hat, auch was was ist ohne scheu
mit bestendigkeit zu reden vnnd daruber zu halten67 vnd alle geberde vnd
sein ganzes leben also anzustellen, das man gerade den leuthen vnter die
augen gehe, nichts heimisch verberge vnnd anndern zum nachteil sich ann-
ders stelle, als es ihme vmbs hertz ist.
(5)Auffrichtigkeit, candor ist diese tugend, so der warheit verwandt ist, da man
nicht mißtrawen vnnd argwohn ohne vrsach in ander leut setzet, vngewisse
dienng nicht nachsaget vnnd mittelding nicht vbeldeutet oder verkehret, aber
doch diese vorsichtigkeit daneben gebraucht, das man andern nicht zuuiel
vortrawe in betrachtung, das menschliches hertz gar baldt sich vorenndern
(10)vnnd leichtlich einer irren kan, der all sein zuuorsicht auf menschen settzet.
Nicht halsstarrig sein in irrthumb, docilitas ist auch eine tugend, so der war-
heit vorwandt vnd zugethan ist, gehört zum teil auch zur zucht vnnd heist,
von sich selbest nicht zuuiel halten, sich allein nicht fur weise vnnd vorsten-
dig außgeben, annderer vornünfftigen leut radtschleg vnnd vrteil nicht vor-
(15)achten vnnd, so man eines bessern vnnterrichtet vnnd vberweiset worden ist,
demselben folgen vnd sich weysen lassen.
Rechtschaffene ehr, gloria ist, da einer in seinem gewissen befindet, das er
recht thue vnnd anndere fromme leuthe von ihm vnd seiner tugenndt vnnd
löblichen wercken recht vrteylen vnd ime alles gutes nachsagen.
(20) || [226r:] Zucht, modestia heißt die tugendt, da ein jeder in seinen eigenen
gedancken von sich selbest vnnd ihn alle seinem reden, geberden vnnd thun
sich gebürlichen vorhelt, das ist, das er nicht mehr noch höher von sich halte
noch rede, als ime mit warheit gebüret, auch nichts furneme, das ihme zu
hoch ist, vnnd sich allenthalben so geberde, wie die natur vnnd ordnung oder
(25)vmbstende der person, orth vnnd zeit erfordert.
Was fur laster sinndt dem achten geboth zuwieder?
Es sinndt dem achten geboth zu entgegen allerley lüegen, vorkerung dessen,
das an sich selbst gut vnd recht ist, argkwohn, heucheley, halsstarrigkeit in
irrthumb, sophisterey, die man in religionssachen, in künsten oder fur gericht
(30)mit einmenget, lesterung vnd schmehung vnnschüldiger personen, vnnütz
geschwetz, vorlaumbdung, affterreden, leichtfertigkeit in reden, meineidt,
vnbestendigkeit in zusagen, ehrgeitz, vnuorschampt sein vnnd dergleichen.
Jst es auch durchauß sünde, so man etwas vorschweigt oder heimlich
vorbirget oder anders berichtet, als ein ding an sich selbst ist?
(35)Es kann auf zweyerley weiß geschehen, ettwas zu vorbergen: erstlich aus
hinderlist, wenn man gedenckt, damit schaden zw thun; solches ist billich zu
straffen. Zum anndern geschieht aber dießes auch vmbs besten willen ihn
zeittlichen sachen, wie offtmals heylige oder sonsten || [226v:] auch weyse
vnnd vorstenndige leuth mit grosser vorsichtigkeit ettwas pflegen zu hinder-
halten oder zu vorbergen, das nicht eben vonnöten ist, das es jederman wiße.
Solches hat bißweilen billiche entschüldigung vnnd kan nicht schlecht ver-
dampt werden. Die allten68 haben diesen vnnterschied auch auf diese weiß
(5)pflegen zu erkleren, das sie gesaget haben, es konne auf dreyerley weis ge-
schehen, das man nicht allzeit gerad zusag: 1. Endweder anndern leuten zu
schaden, welches sie mendacium perniciosum, das ist schedliche lügen vnndt
vnnwarheit, genennet, 2. oder ein grösser vbel vnnd vnglück zu vorhütten,
mendacium officiosum, 3. oder mit artigen getichten vnnd fabeln anndere zu
(10)vnterweisen, das man mendacium iocosum oder schimpf vnnd ernst nennet.
Sag mir das neunde geboth.
Du solt nicht begeren deines negsten haus.69
Sag mir das zehende geboth.
Du solt nicht begeren deines nechsten weib, knecht, magd, vieh oder alles,
(15)was sein ist.70
Warumb sinndt diese zwey geboth am letzten zu den andern
vorgehenden gebothen der andern tafel angehengt?
p Diese zwey geboth sinndt die rechte erklerung der vorgehenden geboth
vnnd weisen den vnnterschied zwischen den gesetzen der weltlichen obrig-
(20)keit vnnd dem gesetz Gottes.p Dann gleichwie die welttlichen gesetz gleich-
sam ein zaun sinndt, dadurch die eusserliche zucht allein regieret wirdt, also
werden nuhr die eusserlichen groben laster dadurch gestraffet, || [227r:] als da
sinndt aufruhr, todtschlag, ehebruch, diebstal, offenbare lüegen, meyneide
vnnd dergleichen, aber das göttliche gesetz erfordert auch die innerliche rei-
(25)nigkeit des herzens vnnd will, das vnser gantze natur Gott gleichformig sey.
Derwegen es nicht allein die eusserliche sundt vnndt schandt, sondern auch
den innerlichen mangel vnnd böse zuneigung im hertzen annklaget vnnd be-
schuldiget. Daher S. Paulus spricht: „Jch wüste nichts von der lust, wo das
gesetz nicht hett gesaget: ‚Lass dich nicht gelüsten‘“,71 vnndt der herr Chris-
(30)tus saget Math. 5: „Wer ein weib ahnsiehet, ihr zu begeren, der hat schon die
ehe mit ihr gebrochen ihn seinem hertzen.“72
Wie brauchet man das wort „concupiscentia“ oder „lust“ in schriften der
propheten vndt aposteln?
Das wort „concupiscentia“ oder „lust“ heisset eigentlich, nach art vnnd weiß
ihn der kirchen Gottes zu reden, die jemmerliche vorderbung vnnd zurrüt-
(5)tung aller kreften in menschlicher natur, so dem fall vnserer ersten eltern
gefolget ist, als das ihm vorstannd ist blindtheit vnnd zweifel von Gott, das
der wille abgewanndt ist von Gott, ist ohne furcht, ohne glauben, ohne lieb
Gottes. Das hertz ist voller vnngehorsam vnnd widerspenstigkeit, vnreinig-
keit, böser zuneigung, auß welchem allerley böß affect vnnd brunst entste-
(10)hen, es sey nuhn mit zorn, vnnkeuscheit, geitz, lügen vnnd was dergleichen
vnnordentliche bewegung konnen erzelet werden.
Was heist der „nechst“ in den gebothen Gottes?
Der nechste, proximus, heist ein jder mensch, || [227v:] er sey freundt oder
feindt, einheimisch oder frembd, der vnser hülffe bedarf, wie die parabel
(15)oder gleichnis vom Samariter außweiset, Lucae 10.73
Was fur vorheischung oder bedrewung sinndt den
zehen geboten angehengt?
Die summa oder inhalt aller vorheissung oder drawung, so zum gesetz Got-
tes gehören, sinndt ahn dem eingang des ersten gebothes, Exod. 20, ange-
(20)hengt, da Gott also spricht: „Jch, der herr dein Gott, bin ein eiueriger Gott,
der vber die, so mich hassen, die sünde der veter heimsucht an den kindern
bis in das dritte vnd vierdte gliedt, aber dehnen, so mich lieben vnnd meine
geboth halten, den thue ich wol bis in tausent gliedt.“74 Gleicher gestalt wird
ihm dritten buch Moysi am 18. cap. diese allgemeine vorheissung gesetzt:
(25)„Jhr solt meine satzung halten vnnd meine rechte. Dann welcher mensch die-
selben thut, der wirdt dadurch leben. Dann ich bin der herr.“75 Die allgemei-
ne bedrawung aber, so zu allen vnnd jeden gebothen gehören, stehet ihm 5.
buch Mosi am 27. cap: „Vorflucht sey, wer nicht alle wort dieses gesetzes
erfüllet, das er darnach thue.“76 Hierüber sindt noch viel sonnderliche vor-
(30)heissung vnnd bedrawung, so zu einem iedem geboth ihn sonnderheit gehö-
ren als 1. Samuel 2: „Wer mich ehret, den will ich auch ehren; wer aber mich
verachtet, sol wieder vorachtet werden“,77 Jerem. 17: „So ihr den sabbath
heyliget, so sollen auch durch dieses stadtthor aus- vnd eingehen könig vnd
fursten. Dagegen aber – werdet ihr denn sabbath nicht heiligen – so wil ich
mein fewer vnnder78 eweren thoren ahnstecken, das nicht geleschet werden
soll“,79 || [228r:] Prouerb. 30: „Ein auge, das den vater verspottet vnnd verach-
tet, der mutter zu gehorchen, das müssen die raben ahm bach außhacken
vnnd die jungen adler fressen“,80 Genesis 9: „Wer menschenblut vorgeusset,
(5)des blut soll auch durch menschen vergossen werden“,81 Heb. 13: „Die hurer
vnnd ehebrecher wirdt Gott richten“,82 Math. 5: „Selig sinnd die reines hert-
zen sindt, denn sie werden Gott schawen“,83 Lucae 6: „Gebet, so wird euch
gegeben; eben mit dem maß, da ihr mit messet, wirdt man euch wieder mes-
sen“,84 Prouerb. 22: „Wer dem armen vnrecht thut, das seines gutes viel wer-
(10)de, der wirdt auch einem reichen geben vndt mangeln“,85 Prou. 12: „Falsche
meuler sinndt dem herrn ein grewel, die aber trewlich handlen, gefallen im
wol.“86
Jst nicht das gesetz Gottes aufgehaben, weil geschrieben stehet: „Das gesetz
vnnd die propheten gehen bis auf Johannem“?87
(15)Es sinndt dreyerley teyl oder ordnung aller göttlichen gesetz, so Mosi vf
dem berg Sinai gegeben sindt: Erstlich ist lex moralis oder die zehen geboth. Die-
se können nicht auffgehaben werden, sondern alle menschen sindt in ewig-
keit vnnd vnwandelbar zu desselben gehorsam vorpflichtet. Zum andern ist
lex caeremonialis, das gesetz von kirchenordnung vnd leuitischen priester-
(20)thum, zum dritten ist lex forensis, das gesetz von welttlicher gerichtsord-
nung. Diese zweyerley gesetz, nemlich die leuitischen caeremonien vnd die
bürgerlichen gesetz, sinndt also von Gott dem jüdischen volck vohrgestellet,
|| [228v:] das sie haben wehren sollen alls lanng die mosaische policey88 beste-
hen würde. Nuhn aber dieselb ihr ende erlanget, sinndt gemelte gesetz, so
(25)zur mosaischen policey gehören, zugleich auch mit auffgehaben vnnd vor-
pflichten niemandts mehr on allein, wo etwas ihn denselben zu dem gesetz
der zehen geboth oder zu dem natürlichen recht eigentlich gehöret.
Wazu dienen denn die zehen geboth, sintemal sie nicht aufgehaben
werden können?
Drey furnehmer nutz oder brauch sind der zehen geboth: Der erste nutz oder
gebrauch wirdt politicus oder paedagogicus genennet, nemlich das alle men-
(5)schen dardurch angeleitet vnnd getrieben werden zw eusserlicher zucht, auch
die gottlosen vnnd heyden, welchen das gesetz der natur bekandt ist, so mit
den zehen gebotten etlichermassen vbereinstimmet. Der annder nutz oder
gebrauch ist, das durch die zehen geboth in rechtem verstanndt alle sünde
der menschen angeklaget vnnd beschüldiget werden, es sein gleich innwen-
(10)dige oder außwendige laster vnd sünden, ja die gantze vorderbung mensch-
licher natur wird dadurch zw erkennen gegeben vnndt vordampt. Der dritte
nutz vnd brauch ist, das die zehen geboth den bekerten vnnd gleubigen fur-
geschrieben, was fur Gott wollgefellige gottesdienst sie leisten vnnd erzeigen
sollen.
(15)Kan auch die schwache menschliche natur dem gesetz
Gottes genug thuen?
Wann Adam nicht gefallen wehre, so würde die || [229r:] gantze menschliche
natur durchaus dem gesetz Gottes gleichformig gewesen sein. Nuhn aber die
menschliche natur durch die sünde vorderbet ist, kan kein mensch, natürli-
(20)cher weise geboren, von sich selbst dem gesetz Gottes genug thuen. Derwe-
gen spricht S. Paulus Rom 3: „Sie sinndt alle abgewichen vnd allesampt vn-
tüchtig worden. Da ist nicht, der gutes thue, auch nicht einer“, item: „Sie
sindt allzumal sünder vnnd mangeln des rhumes, den sie ahn Gott haben
solten.“89
(25)Kan aber ein mensch eüsserliche zucht leisten?
Eusserliche zucht oder disciplina ist, die eusserlichen gliedmassen nach rech-
ter vernunft regieren, regen oder innhalten90 als augen, ohren, zungen, hende,
füsse vnnd dergleichen also, das die eüsserlichen geberden, thun vnd lassen
mit Gottes gesetz vbereinkommen vnnd durch die eüsserlichen gliedmaß
(30)wircklich nichts furgenommen noch begangen werd, das außdrücklich durch
die geboth Gottes verbotten ist. Dise zucht ist dem menschen ettlichermassen
müglich, dann auch die, so noch nicht wiedergeboren vnnd geheiliget sindt
durch den heiligen Geist, vormögen dennoch die eusserlichen gliedmaßen zu
regen oder innzuhalten vnnd fur groben offentlichen sünden vnnd schanden
(35)sich zu enthalten. Aber diese eüßerliche zucht vordienet nicht vorgebung der
sünden vnnd ist nicht die gerechtigkeit, die fur Gott gilt, noch die ganze er-
füllung des gesetzes Gottes.
Warumb ist aber solche eußerliche zucht
vonnöten?
(5) || [229v:] Vmb viererley vrsach willen: 1. Die erste
vrsach ist Gottes gebot, welchem alle menschen
schüldig sind, gehorsam zu sein, 2. die annder vr-
sach: straffe zu fliehen, die gewißlich folgen auf
eusserliche öffentliche sünde, so da geschehen wie-
(10)der die zehen geboth Gottes, 3. die dritte vrsach: das
wo nicht ein erbar zichtig leben geführet wirdt, da
können ander leute neben dir nicht friede haben, 4.
die vierde vrsach: (d) das eusserliche zucht ist eine
kinnderzucht zu Christo.
(20)Weil das gesetz nicht allein eüsserliche zucht, sondern auch innerlichen
gehorsam erfordert vnndt die christen schüldig sinndt, nach dem gesetz
Gottes gute werck vnnd Gott wolgefellige gottesdienst zw leisten, so sag mir
vfs kürtzte, || [230r:] wie dann in den heiligen in diesem leben solche gute
werck anngefangen werden vndt wie dieselben Gott angenehm vndt gefellig
(25)sinndt, weil in diesem leben noch souiel sünde vndt schwacheit in vns ist?
Von dieser frag kan vnns nicht das gesetz fur sich antworten, sondern allein
die lehre des euangelij, welche vnns weiset zu dem mittler, dem herrn Chris-
to, welcher vnns zum ersten gibet vorgebung der sünden, machet vnnser per-
son Gott angenehm vndt gefellig durch sein erkendnis vnndt glauben ahn
(30)ihn. Darnach, so gibet ehr vnns auch durch solch sein erkendtnis den heiligen
Geist ihn vnnsere hertzen, das er rechte furcht Gottes, rechten glauben, rech-
te anruffung vnndt neuwen gehorsam etc. anzünde vnndt, wiewol dieser ge-
horsam schwach vndt besudelt ist vnnd dem gesetz Gottes vollkümlich nicht
gnug thut, so wil ihm doch Gott denselben gefallen lassen vmb des mittlers
Jesu Christi willen, durch welches glauben vnnser person allbereit mit Gott
vorsünet, ihme gefellig vnndt ahngenehme worden ist.
Weil das euangelium darumb offenbaret ist, das es eine erklerung vnd
(5)linderung des gestrengen gesetz Gotts sein mög, wie werden den durch das
euangelium erkleret alle drawung vnndt vorheissung, so dem gesetz Gottes
sinndt angehenget?
|| [230v:] Erstlich ist droben gesagt, das das gesetz Gottes den ewigen fluch
drewet allen, die es nicht halten. Diesem setzet das euangelium zu entgegen
(10)die predigt von der buß oder bekerung zw Gott vnnd die allgemeine vnnd
gnadenreiche vorheissung von vergebung der sünden vnnd von der vorsö-
nung mit Gott oder gnediger ahnnehmung zum ewigen leben vmb des mitt-
lers, des herrn Christi willen. (e)
Zum andern hat das gesetz auch bedrawung der
(15)zeittlichen vnndt leiblichen straffen wieder die vnn-
gehorsamen. Hieruon lehret das euangelium, das do
man sich von hertzen zw Gott bekehret, auch diese
leibliche straffen entweder hinnweg || [231r:] genom-
men oder je gelindert werden sollen den bußferti-
(20)gen.
Zum dritten: Alle vorheissungen des gesetzes erfor-
dern einen vollkommen gehorsam nach dem spruch:
„Thue das, so wirstu leben.“98 Weil aber wir das
gantze gesetz in diesem leben fur vns nicht haltten
(25)mögen, könten vnns die vorheissunge des gesetzes
keinen nutz brinngen. Aber das euangelium lehret,
das wehr an den mittler, den Sohn Gottes, gleubet,
welcher fur vnns das gesetz erfüllet vnndt vmb des
willen auch vnnser angefangener gehorsam Gott
(30)wollgefellet, der soll gewisslich aller vorheissungen,
so den guten wercken ihn dem gesetz versprochen
sindt, geniessen vnndt teilhafftig werden, wie S.
Paulus spricht: „Alle verheissung sindt ja in Christo
vnnd amen in ihm, Gott zw lob durch vns.“99
(5)Zum vierden, nachdem Gott der herr ausdrückliche verheissung gethan hat,
auch von leiblichen güttern, lehret das euangelium, das obwol Gott seiner
kirchen vnnd einem ieden gottseligen allerley notdurfft auch zw diesem le-
ben vorleyehn vnnd geben wollt, so behelt er ihme doch vor, die seinen
vndter dem creutz zu üben oder auch vmb der sünden willen mit leiblichem
(10)mangel zu züchtigen. Es lehret auch das euangelium, das man Gott nicht zeit
noch mittel furschreiben solle, die zeittlichen gütter zu geben, vnnd das wir
außerhalb berufs nicht durch vnnser eigen guttdüncken solche leibliche
gütter zu vns reissen sollen.
Weil zuuor gesagt ist, das dieses auch ein nutz ist des gesetzes, das es die
(15)sünde offenbare, so sage mir: Was heist sünde?
|| [231v:] Sünde ist, was wieder Gottes gesetz ist, welches man also vorstehen
soll, das sünde sey alle vnordnung, bose neygung vnd thuen, so wieder die
zehen geboth Gottes ist, damit man vordienet Gottes ewigen zorn vnndt das
ewige vordammnus, wo es nicht vergeben wirdt vmb Christi willen.
(20)Wie mancherley ist die sünde?
Erstlich ist dieser vnterschiedt der sünden, das ettliches erbsünde, ettliches
aber wirckliche sünde genennet wirdt.
Was ist erbsünde?
Erbsünde ist in Gottes vnngenade sein von wegen der ersten vbertretung
(25)Adams vnd Heua vnndt von wegen der anngebornen blindtheit von Gott
vnnd böser neigungen, die in vnserer vorderbten natur durch denselben fall
kommen seindt, vnndt seinndt ihrer arth nach eine feindtschafft wieder Gott
vnnd werden von Gott verdammet.
Was ist wirckliche sunde?
(30)Wirckliche sünde seindt alle werck wieder Gottes geboth, innerlich in der
seel vnnd ihm hertzen vnndt eüsserlich ihn allen gliedtmassen, damit man
auch Gottes ewigen zorn vnndt vordamnis verdienet, wo sie nicht vergeben
werden vmb des herren Christi willen.
Jst auch noch ein annder vnterschiedt der sünden?
Jn der kirchen Gottes werden die sünde derer, die einmal wiedergeboren
seindt, also vnterschieden, das ettliches heissen todtsünde oder herschende
sünde, etliches aber leßliche sünde oder nicht herrschende sünde. Vnns deüt-
(5)schen sinndt die zweyerley wort mehr bekanndt: sünde wider gewissen vnd
sünde nicht wieder gewiessen.
|| [232r:] Was heißen todtsünde?
Todtsündt heißet ihn den vnnbekerten alle sünde, erbliche vnndt wirckliche
sünde, aber in denen, so wiedergeboren sinndt, heißet todtsünde, wenn der,
(10)so einmal zu Gott bekeret worden, entweder in einen irrthum wieder den
grundt christlicher lehr gereth vnnd darinnen verharret oder wieder sein ge-
wissen, das ist wissentlich vnndt forsetzlich hanndelt wieder Gottes geboth.
Dann also vorleüret er widerumb die gnade Gottes, den heiligen Geist vnndt
glauben nach den spruch: „Wo ihr nach dem fleisch lebet, so werdet ihr ster-
(15)ben müssen“, Rom. 8.100
Was heißen leßliche sünde, venialia peccata?
Leßliche sünde oder sünde nicht wieder das gewißen sinndt in den bekerten,
so lange sie ihn diesem leben sinndt, die angeborne erbsünde, allerley zwei-
fel, böße neigung, lust vnnd begierde, welchen doch die heiligen wiederstre-
(20)ben, henngen denselben nicht nach wieder gewissen, haben ein ernstes
mißfallen ahn solcher vnreinigkeit, trösten sich durch den glauben, das ihre
person vmb des mittlers willen Gott angenehme vnnd gefellig sey vnnd das
vmb desselben willen solche vnnreinigkeit zugedecket vnnd ihnen nicht
zugerechnet werde vnnd das die gnade Gottes vberschwennglich grösser sey
(25)dan die sünde, die in vns ist.
Zwo regeln, so in gemein von den zehen gebothen
zu betrachten nützlich sein.
Die erste taffel muß man allzeit der andern taffel vorziehen vnnd den gehor-
sam gegen Gott || [232v:] höher halten als gegen die menschen. Dann der
(30)mensch soll sich fürnemlich nach Gott seinem schöpfer richten vnndt Gottes
ehre allen menschlichen dingen forziehen.
Das erste geboth ist der grundt vnndt quell aller annderen geboth. Derwegen
auch in auslegung eines iedern geboths diese wort aus dem ersten geboth zu
wiederholen sinndt: „Wir sollen Gott furchten vnnd lieben“101 etc. Dann vmb
Gottes des herrn willen ist man schüldig allen anndern gebothen gehorsam
zu leisten. Dagegen aber ist der vnngehorsam wider ein jedes geboth auch
ihn der andern taffel zugleich ein verachtung Gottes zuwieder dem ersten
geboth, als do jemandt vngebürlicher weise sich wieder seine obrigkeit auf-
(5)lehnet, der vorsündiget sich zugleich auch ahn Gott dem herrn selber vnndt
also fort auch in anndern gebothen.
Was soll einem christen vrsach geben, das er fur vndt fur die zehen geboth
fleissig betrachte?
Alle menschen sollen die zehen geboth ernstlich anschawen vmb dieser not-
(10)wendigen vrsach willen: das wir daraus errinnert werden, das warhafftig ein
Gott sey vnnd das er weiß, gerecht, keusch, wolthetig, warhafftig sey etc.,
wie er in seinem gesetz gleich sich selbst beschrieben vnndt abgemahlet hat;
das wir lernen, warzu die menschliche natur erstlich geschaffen vnnd was fur
ein schönes bildt aller tugenden nach dem gesetz Gottes in dem menschen,
(15)ehe er gefallen, gewesen sey; das wir stets fur augen haben eine gewisse re-
gel vndt richtschnur alles vnsers thuns || [233r:] vnnd lassenns, darnach wir
vnns befleissigen sollen, vnnser leben anzustellen; das wir vnnsere sündt-
haffte natur erkennen vnnd gleich als in einem spiegel vnsere vnnreinigkeit
vndt vorderbung anschawen vnd beklagen; das wir mit grösserm ernst vnns
(20)nach Christo als dem mittler vmbsehen vnndt vnns zu ihme halten, alls der
fur vnns das gesetz erfüllet hat; das wir hertzlich bitten, das Gott von tag zu tag in vnns die verneuerung mehren vnnd vnns seinem gesetz hie vnndt ihn
alle ewigkeit gleichförmig machen wolle.
Was begreifft das symbolum apostolicum oder das christliche apostolische
glauben bekendtnüs in sich?
Es ist im symbolo apostolorum die gantze summa aller artickel christliches
glaubens gefasset, durch welcher bekendtnis vnnd rechten vorstandt die kir-
(30)che Christi von allen anndern heiden vnndt secten vnterschieden wirdt.
Was heist das wort „symbolum“?
Symbolum heisset ein kennzeichen, dabey man jemandt kennet, wie in ei-
nem feldtlager gebreüchlich ist, das man den kriegsknechten feldtzeichen
vnd losung gibet, dabey man ein vnter- || [233v:] schiedt zwischen ihnen vnnd
(35)den feinden haben möge.
Warumb heisset man es „symbolum apostolicum“?
Das es das apostolische glauben bekentnis genennet wirdt, geschicht da-
rumb, das entweder die heiligen apostel dasselb selbst gemacht vnd der
christlichen kirchen hinderlassen haben, wie es die alten lehrer stets dafur
(5)gehaltten, oder das es doch ohne das mit der rechten apostolischen lehre
vberein kommet vnd auff dieselbe als auff einen vnnbeweglichen grundt
gebawet ist, es hab es auch gemacht, wer da wolle.
Was sol vns vorursachen, teglich das symbolum apostolicum
von wort zu wort herzusprechen?
(10)Fünferley groß, wichtige vrsachen seindt, darumb sich ein jeder christ ge-
wehnen sol, teglich das apostolische glauben bekentnüs mit hertzen vnndt
munde herzusprechen:
ist es eine erinnerung von den fürnembsten wercken vnnd wolthaten Gottes,
daraus wir Gottes willen gegen vnns erkennen mögen,
(15)wird das hertz ihn erzelung der wolthaten des Sohnes Gottes zugleich zum
glauben erwecket, das es nicht allein in gemein dieselben bekenne, sonndern
auch ihm selbest in sonderheit zweigene,
dienet es zw bestendigem trost in allen nöten,
ist es das rechte bekendtnüs, so teglich dem teufel vnd allen seinen werck-
(20)zeugen entgegen soll gesetzt werden,
gibet es vns vrsach, das wir die zeugnis christlicher lehre, nemlich die offen-
barung göttliches wortes vnd die wunderwerck, dadurch dieselbe bestetiget,
desto fleissiger nachsuchen vnd betrachten.
|| [234r:] Jn wieuiel artickel pfleget man das symbolum zu theilen?
(25)Jn diese drey heuptartickel: Der erste lehret von der schöpfung, der annder
von der erlösung menschliches geschlechts, der dritte von der heyligung.
Wie lautet das erste artickel?
Jch gleub ahn Gott den Vater, allmechtigen schöpfer himmels vnnd der er-
(30)den.
Was sinndt fur erinnerung zu mercken bey diesen worten:
„Jch gleub an Gott“?
Erstlich wird durch das wort „Jch gleube“ anngezeiget, das wir in diesem
leben nicht im schawen, sondern durch glauben annehmen vnd haben, was
(5)wir von Gott bekennen, sinntemal der glaube, wie zun Ebreern geschrieben
stehet, ist eine gewisse wissenschafft des, das man nicht siehet.102
Zum anndern wirdt durch dies einige wort „Jch gleube“ aller zweyfel auff-
gehaben vnndt werden wiederleget alle fladergeister, die da forgeben, man
wisse nichts gewisses noch bestendiges von Gott. Dann glauben heist ohne
(10)zweiffel ettwas fur gewiß haltten.
Zum dritten, weil dabey stehet das wörtlein „an Gott“, wirdt ein vnterschied
geweist zwischen dem blosen wißen, fides historica genant, vnd zwischen
einem rechten christlichen glauben. Dann das blose wissen ist, wann mans
allein mit worten nachsagen kahn vnnd nicht fur vnwarheit helt, aber der
(15)rechte christliche glaube ist nicht allein wissen vnd beyfall geben im vor-
standt, sonndern auch im willen vnnd hertzen eine zuuorsicht drauff setzen.
|| [234v:] Zum vierden, weil ein jeder christ fur sich spricht: „Jch gleube“,
wird hiemit auch vnnterschieden fides specialis vnndt fides generalis, das ist
der gemeine vnnd eigene glaube. Denn es nicht gnugsam ist, das anndere
(20)solches fur war ahnnehmen vnnd darauf vortrawen, sonndern ich sol für
mich auch solches vortrawen an Gott haben.
Zum fünften werden mit diesen bekendtnüs „Jch gleube ahn Gott“ verwor-
ffen alle ertichte göttzen, von welchen der apostel saget 1 Cor. 8: „Wir wis-
sen, das ein götz nichts in der welt sey vnnd das kein annder Gott sey ohne
(25)der einige.“103 Vnnd weil allezeit der glaub sich aufs wort vnd vorheissung
Gottes gründen muß, bezeugen wir hiemit, das wir allein auf den warhafften
Gott vnnser vortrawen setzen, der sich vnns in seinem wort hat offenbaret,
darinnen er auch vnns befileht, das wir im gleuben vnnd trawen sollen, wie
er spricht: „Jch bin der herr dein Gott.“
(30)Sindt auch mehr götter als ein Gott?
Es ist nhur ein ewiger warhaffter Gott, wie im fünfften buch Mose stehet am
6. Cap.: „Höre, Jsrael, der herr vnnser Gott ist ein einiger herr“,104 1. Cor. 8:
„Wiewol es sinndt, die götter genennet werden, es sey im himmel oder auf
erden, so haben wir doch nur einen Gott.“105
Wirdt dann der nahme Gottes allein der person des Vaters zugeeignet, weil
das symbolum spricht: „Jch glaub an Gott den Vater“?
Der nahmen Gottes ist nomen essentiae, das ist er beschreibet das gantze
göttliche wesen vnndt || [235r:] gebüret semptlichen vnd sünderlichen den
(5)dreyen personen, dem Vater, Sohn vnd heyligen Geist, welche ein einiger
vnnzertrenter Gott sein. Dieses zu erinnern hat die christliche kirche allezeit
fein vnterschiedlich den anfang des symboli also außgesprochen, das nach
diesen worten „Jch gleub an Gott“ oder, wie im Nicenischen symbolo stehet,
„Jch gleub an einen Gott“106 ettwas styll gehalten vnnd alsdann nacheinander
(10)mit gutem vnnterschied die ordnung der dreyen personen erzelet werde,
damit man vorstehen mog, das wir christen einen einigen Gott bekennen, ahn
den wir auch gleuben. Nachmals aber, das man wisse, das eben dieser einige
Gott sey der Vater, Sohn vnndt heylige Geist. Dis dienet wieder die newen
mutwilligen ketzer vnnd irrgeister, welche des symboli mißbrauchen vnnd,
(15)indeme sie diese wort zusammen ziehen „Jch gleub an Gott den Vater“,
vnterstehen sie sich daraus zu folgern, das allein der Vater Gott sey vnnd
verleugnen also die ewige gottheit des Sohnes vnnd heyligen Geistes.
Sag mir ein zeugnis der schrifft, das drey personen in dem einigen göttlichen
wesen sein, nicht mehr noch weniger.
(20)Jn der tauffe des herrn Christi, Math. 3, offenbaret sich Gott der Vater mit
dieser stimme, damit er zugleich seine person von der person des Sohnes
vnnterscheidet: „Dies ist mein lieber Sohn, ahn dem ich wollgefallen hab.“107
Der Sohn stehet im Jordan in seiner zarten menscheit, der heylige Geist fert
herab gleich als eine taube vnndt || [235v:] ruhet auf Christo. Eben also nennet
(25)vnndt vnterscheidet der herr Christus die drey personen in der stifftung vnnd
einnsetzung vnnser heyligen tauffe: „Gehet hin vnndt lehret alle heiden
vnndt tauffet sie im nahmen des Vaters vnndt des Sohnes vnd des heyligen
Geystes.“108
Wodurch werden die personen in dem göttlichen
(30)wesen vnnterschieden?
Es sinndt zweyerley eigenschafften, damit die personen der einigen gottheit
warhafftig vnterschieden werden: Erstlich sinndt dießes die innerlichen per-
sönlichen eigenschafften. Der ewige Vater ist die erste allmechtige person,
die den Sohn, der des Vaters ebenbildt ist, von ewigkeit gebohren hat. Der
(35)ewige Sohn ist die annder allmechtige person, von ewigkeit geboren vom
Vater vnnd ist des Vaters Wort vnnd vollkommenes wesentliches ebenbildt.
Der heylige Geist ist die dritte allmechtige person, die von ewigkeit vom Va-
ter vnd Sohn außgehet, vnnd ist die wesentliche lieb vnndt freude des Vaters
gegen dem Sohne vnd des Sohnes gegen dem Vater. Zum anndern werden
die drey personen auch vnterschieden nach betrachtung der wollthaten vnnd
(5)werck, damit ein jede person gegen die christliche kirche sich in sonnderheit
hat offenbaret. Der Vater wirdt nicht gesanndt von einer anndern person,
sonndern sendet den Sohn vndt durch den Sohn auch den heyligen Geist. Der
Sohn ist gesandt, das euangelium aus der schoß des Vaters zu vorkündigen,
vnndt hat || [236r:] zw bestimbter zeit menschliche natur in der jungfrawen
(10)Maria ahn sich genommen vnnd ist der mittler, versöner, vnsere gerechtig-
keit vnndt seligmacher. Der heylig Geist wirdt in die hertzen der gleübigen
gesanndt, das er sie heilige zum ewigen leben vnnd solche regung, lieb vnndt
freude an Gott anzünde, wie er selber ist.
Welches sinndt die heuptstück in der lehre von erschaffung der weldt?
(15)Diese fünf vmbstende sollen ihn der lehre von erschaffung aller creaturen
offt betracht werden: Erstlich, das die erschaffung von allen dreyen personen
geschehen ist, wie im 33. Psalm geschrieben ist: „Der himmel ist durch das
Wort des herrn gemacht vnd all sein here durch den Geistu seines
mundes.“109
(20)Zum anndern, das (f) alle Creaturen, sichtbar vnd
vnsichtbar, aus nichts geschaffen sindt, wie Johan.
am 1. geschrieben stehet: „Alle ding sindt durch das
Wort gemacht, vnnd ohne dasselb ist nichts ge-
macht, was gemacht ist“116 vndt im 33. Psalm: „Er
(25)spricht, so geschicht es, er gebeuth, so stehet es
da.“117 Zum dritten soll man wissen, das Gott
|| [237r:] freywillig, vnngenötiget vnndt vnngezwun-
gen die welt geschaffen hab, da es nach seiner gött-
lichen weisheit im also gefallen hat, hat aber nicht
(30)erst anngefangen zw sein, als die weldt geschaffen
ist, dann Moses spricht: „Jm annfang schuf Gott
himmel vnnd erden“,118 das ist: Gott war allbereit
von ewigkeit her gewesen, als er allen andern dinn-
gen den annfanng in der schöpfung gegeben hat.
Zum vierden sol man warhafftig gleüben, das gewißlich eine stetwerende
göttliche vorsehung vnnd vorwaltung sey. Dann Gott ist von seinem ge-
(20)schöpf nicht hinnweg gangen als ein zimmermann, der ein schif gebauet hat,
der gehet hernach dauon vnndt lest das schiff im wasser vnndt wetter, hat
nichts weiter damit zu thun, sonndern Gott ist warhafftig bey seinen creatu-
ren gegenwertig, erhelt aller ding wesen, regieret des himmels lauf, schaffet
die abwechslung der zeit im jahr, gibt fruchtbarkeit der erden vnndt allen
(25)lebendigen thieren, so auff erden seindt. Jn summa erhelt die gantze natur,
sonnderlich das menschliche geschlecht vnnd ihn demselben allermeist seine
kirche, wie hieuon der apostel Paulus sagt Act. 17: „Jn ime leben, weben
|| [237v:] vnnd seinndt wir“119 vnnd 1. Tim. 4: „Wir hoffen auf den lebendigen
Gott, welcher ist der heilandt aller menschen, sonnderlich aber der gleübi-
(30)gen.“120 Zum funften soll man diesse warhafte lehr vnndt trost lernen, das
Gott nicht angebunden sey an die ordnung der natur, sondern das er nach sei-
ner allmacht vnnd freywilligkeit könne der geschaffenen natur gang vndt
wirckung treiben vndt vorhinndern, entweder zw wolfart seiner kirchen oder
zur straf der gottlosen, wie der 114. Psalmspricht: „Vnnser Gott ist im him-
mel. Er kan schaffen was er wil“121 vnd Luc. 1: „Bey Gott sind all ding
müglich.“122
(5)Warumb hat Gott diese sichtbare welt geschaffen?
Gott der herr hat dieses schöne gebew der weldt darzu erschaffen, auf das er
sich darinnen zu erkennen gebe vnnd zeugnis von sich offenbaret, auch seine
güte vielen mitteylet vnnd sonderlich, das er ime aus menschlichen ge-
schlecht, nach seinem bildt erschaffen, eine ewige kirchen samlete, welcher
(10)er sein liecht, weisheit, gerechtigkeit vnd freude mitteylet, von welcher er
auch wiederumb erkant vnd gepreist würde in alle ewigkeit.
Warumb wirdt der person des Vaters im symbolo zugeschrieben das werck der
erschaffung, so es doch ein gemein wergk ist aller dreyer personen?
Erstlich geschiehet solches darumb, dieweil die andern || [238r:] zwo personen
(15)ohne das gleichsam ihre besündere vnnterschiedliche merck- oder kennzei-
chen haben, als der Sohn hat menschliche natur an sich genommen, der hei-
lige Geist erscheinet am pfingstage in fewriger zunngen gestalt. Derwegen,
das einfeltige leut auch den Vater bey einem sünderlichen kennzeichen er-
kennen mögen, wird der person des Vaters das werck der schöpfung zuge-
(20)schrieben. Zum anndern geschicht aber solches nicht der meynung, das von
diesem werck der Sohn vnd heiliger Geist außgeschlossen werden solten,
sintemal durch den Sohn alle dinng gemacht sindt123 vnnd der heylig Geist
vber allen creaturen schwebet,124 wie die schrifft klerlich zeuget, sondern
dieses ist die vrsach, das gleichwie der Vater ist der brunnquell der gantzen
(25)gottheit, also ist vom Vater der vrsprung aller creaturen. Vnnd wirdt dennoch
hiemit geweiset die ordnung der schöpfung, nemlich das der Vater will, das
die erschaffung geschehe, vnndt solchen seinen willen spricht er aus durch
das Wort, welches ist der Sohn. Durch dieses Wort wirdt alles geschaffen
vnnd durch125 den heyligen Geist wird regung gegeben, wie solche ordnung
(30)der apostel Paulus hat anzeigen wollen, Rom 11: „Von ime vnnd durch ihnen
vnd in ihme sind alle dinge.“126 Also redet auch der alte lehrer Basilius im
buch „De Spiritu sancto“ cap. 18: „Der Vater ist die vrsprungkliche vrsach
alles geschöpfs, der Sohn ist das Wort, durch welches alles außgesprochen,
der heylige Geist die regung, so alles vollenndet.“127
Sag mir den andern heuptartickel des apostolischen glaubens.
|| [238v:] Vnnd an Jesum Christum, seinen einigen Sohn, vnseren herrn, der entpfan-
(5)gen ist vom heiligen Geiste, geboren von der jungfrawen Maria, gelidten vn-
ter Pontio Pilato, gecreütziget, gestorben vnd begraben, niedergefaren zur
hellen, am dritten tag auferstanden von den todten, aufgefaren gen himmel,
sitzend zur rechten Gottes des allmechtigen Vaters, von dannen er kommen
wird zu richten die lebendigen vnnd die todten.
(10)Was ist der innhald dieses artickels?
Zwey ding werden furnemlich darinnen angezeiget: Erstlich wirdt die person
des herrn Christi beschrieben, zum anndern werden seine werck vnnd wol-
thaten erzelet, so zum ampt dieses vnnsers erlösers vnnd seligmachers gehö-
ren. Etliche sindt, die allbereit geschehen sindt, als das Christus vom heiligen
(15)Geist empfangen, aus Maria geboren, vnter Pontio Pilato gelidden, gecreut-
ziget, gestorben, begraben, zur helle gefahren, am dritten tag aufferstannden
vnnd gen himmel gefahren ist, etliches wehret noch für vnd für, als das er
sitzet zur rechten des Vaters, etliches ist noch zukünfftig, als das er wieder-
kommen wird, zu richten die lebendigen vnd die todten.
(20)Warinne stehet die rechtschaffene erkendtnis Christi?
Jn diesen beyden stücken, so ietzundt erst erzelet sinndt, nemlich im erkent-
nis seiner person vndt in erkentnis seines ampts, von welchen beyden der
prophet Esaias am 53. spricht: „Mein knecht, der gerechte, wird durch sein
erkendnis vil gerecht machen.“128
(25) || [239r:] Was soll man von der person Christi wissen?
Es sinnd nicht zwo personen, sonndern ist nur ein einige person des herrn
Christi, aber zwo vnderschiedliche naturn sindt in dieser einigen person nach
der menschwerdung, nemlich die göttliche vnd menschliche natur. Die gott-
liche natur ist das ewige Wortv Gottes vnnd ist warhaftig eine selbstendige
(30)person von ewigkeit mit dem Vater in einerley wesen, aber doch vnderschie-
-
den vom Vater durch die persönliche eigenschafft; die menschliche natur ist
nicht von ewigkeit, sondern zu bestimbter zeit angenommen in dem leib der
jungfrawen Marien.
Sag mir ein zeügnis von der person vnd beyden naturen in Christo?
(5)Es soll in sonnderheit allen christen bekandt sein der anfang des euangelium-
buchs Johannis, welches der euangelist eben darumb also geschrieben, auf
das baldt im eingang dieser hoher artickel von der person Christi öffentlich
vnd klerlich bezeüget würde. Also aber lauten die wort: „Jm anfang war das
Wort, vnd das Wort war bey Gott, vnnd Gott war das Wort. Dasselb war im
(10)anfang bey Gott“129 etc. vnnd hernach: „Er war in der welt, vnd die welt ist
durch ihn gemacht. Vnnd das Wort wart fleisch vndt wohnet vnter vnns vnd
wir sahen seine herrligkeit, eine herrligkeit als des eingebornen vom Va-
ter“130 etc.
Wie hat der Sohn Gottes die menschliche natur an
(15)sich genommen oder wie seind in Christo die
göttliche vnd menschliche natur vereiniget?
|| [239v:] Die kirche Gottes nennet es vnionem perso-
nalem, eine persönliche vereinigung. Dadurch wirdt
angezeiget, das die beyde naturn, göttliche vnnd
(20)menschliche vnd derselben eigenschafft nicht inei-
nander vorwandelt noch vermischet, sondern das
der Sohn Gottes, die ander person in der gottheit,
aus dem geheiligten fleisch vnd blut der jungfrawen
Marien menschlichen leib vnd seel an sich genom-
(25)men vnnd dieselb mit der göttlichen natur nicht
allein vnzertrennlicher weis, sonnderen auch per-
sönlichen vereinbaret hat (g) also, das die einige
person des ewigen Worttes bleib vndt von derselben
die angenommene menschliche natur getragen vnnd
(30)erhalten werde.
(5) || [240r:] Was ist das ampt Christi?
Es kan das ganntze ampt Christi nicht besser noch kürtzer gefasset werden
denn mit diesen viererley nahmen, nemlich das der herr Christus sey vnnser
mittler, vnnser vorsüner, vnnser gerechtigkeit vnnd vnnser heilandt oder
seligmacher. Der mitler, mediator, wird er genennet von wegen der stetwe-
(10)renden forbitt, dan er baldt anfangs nach dem fall des menschlichen
geschlechts for dasselb gebethen vnnd die straf auf sich zu nemen sich ver-
pflichtet, so bittet er for seine liebe kirche noch heutiges tages fur vnnd für.
Der vorsüner, redemptor, heist er von wegen der volkommenen gnugthuung
oder bezalung fur die sünde des menschlichen geschlechts, dazu er in seiner
(15)vorbitt sich vorpflichtet vnd dieselb entlich im fleisch geleistet hat. Denn
nachdem Gottes zorn nicht vorsünet noch seiner gerechtigkeit gnug gesche-
hen konte, wo nicht der mittler die sünde der || [240v:] menschen büsset vnnd
bezalet, hat Christus sich selbst aufopfern müssen mit seinem gehorsam
vnnd leyden, damit er die erlösung des menschlichen geschlechts außrichtet
(20)vnndt also das rechte lös geldt für die sünde bezalet.
Vnnser gerechtigkeit (h) oder iustificator heist er
von wegen des, das er sein vordiennst, opfer vnnd
lößgeldt vns schencket vnnd zueignet. Denn vmb
seines leidens vnnd sterbens willen werden wir fur
(25)Gott gerecht, das ist entpfahen vorgebung der sün-
den, vorsunung mit Gott, zurechnung der gerechtig-
keit vnnd werden angenommen zum ewigen leben.
Vberdies heist der herr Christus auch vnnser gerech-
tigkeit von wegen seiner krafft vnnd wirckung in
(30)vns. Denn die durch seinen todt vnd blut mit Gott
versünet sinndt, in denen zündet er auch ahn ein
ewige gerechtigkeit vnnd leben, welches ob es wol
in diesem leben nur wirdt angefangen, jedoch wird
es hernach vollendet in dem anndern folgenden le-
(35)ben. || [241r:] Zum letzten wirdt Christus auch vnser
heilandt, saluator, genennet von wegen der wunder-
baren regierung, schützunng vnd erhaltung seiner
kirchen in dißem leben, in sonderheit aber von we-
gen der entlichen erlösung vnnd seligmachung aller
ausserwelten nach der allgemeinen auffersthehung
|| [241v:] der todten.
Erklere mir ein iedes wort in sonnderheit in diesem artickel: „Jch gleub an
Jesum Christum, seinen einigen Sohn, vnnsern herrn.“
„Jesus“ ist der eigene nahm dieser person, heist soviel als ein heilandt oder
(15)seligmacher. Wiewol aber zuuor in erklerung der fürnembsten empter Christi
dieser nahmen sünderlich vf die entliche errettung oder erlösung der kirchen
Gottes gezogen ist, jedoch ist es breüchlich, das so man den nahmen „ hei-
landt“ allein vnd in sonderheit nennet, auch alle anndere wolthaten dieser
personen zugleich zusammen gefasset werden, vndt also redet der euangel.
(20)Math. 1: „Du solt seinen nahmen Jesus heissen, den er wird sein volck selig
machen von ihren sünden.“139 Der nahme Christus gehet eigentlich auf das
ampt Christi, heist soviel alls ein gesalbter, die Hebreer nennen es messias,
wirdt aber der person darumb zugeschrieben, das gleichwie die konige vnd
hohenpriester vorzeiten gesalbet wurden, also ist dieser herr auch verordnet
(25)zum obersten hohenpriester vnd könig der kirchen Gottes. Denn er ist der
rechte hohepriester, weil er diese person ist, die ohne mittel von Gott ge-
sanndt ist, das euangelium zw offenbaren, den zorn Gottes mit seinem opfer
zu vuorsünen vnd fur vns zu beten, wie er den auch des zeügnis hat, das er
gewißlich erhort werde. Vnnd werden durch in alle güter im neuen testament
verheissen, warhaftig geleistet vnd allen gleübigen außgeteilet. Diese be-
schreibung kompt vberein mit den viererley emptern eines priesters, welche
sind diese: lehren, opfern, beten, segen. || [242r:] Er ist auch der rechte konig,
denn er samlet im durchs predigampt zu allen zeiten der welt eine kirchen,
erloset sie von der sünde vnnd dem ewigen todt, heiliget sie mit dem heiligen
Geist, auf das sie sein ewiges erbtheil vnnd eigenthum sey, schützet vnnd
erhelt sie auch wündherbarlichen in diesem leben, auf das sie in warhafftig
anruffe vnnd erkenne, das ihr gebet erhöret werd vnd Gott dafur preise, wirdt
sie auch aus dem todt zum ewigen leben vnnd herrligkeit erwecken. Diese
(5)erzehlung kombt vberein mit der beschreibung des reiches Christi, wie auch
sonst in gemein dies eines königes ampt ist, das er seine vnterthanen aus der
feinde gewalt errette vnd das volck mit guten gesetzen regiere vndt die from-
men fur der bösen gewalt vndt vnnrecht beschütze.Sein einiger Sohn.
(10)Hiermit wirdt die göttliche natur Christi beschrieben. Er wirdt aber „der
Sohn“ genennet, weil er von ewigkeit geboren ist aus dem wesen vnd sub-
stantz des ewigen Vaters. „Einig“ aber heist soviel als „der eingeborne“,
Johan. am 1. vnd 3., oder der „eigene Sohn“, Rom. 8,140 vnnd wird hiemit
dieser Sohn Gottes vnterschieden von den ausserwelten, welche wol auch
(15)kinder Gottes sindt, aber nach der wahl, wie Johan 1 geschrieben stehet: „Er
gab ihnen macht Gottes kinder zu werden.“141 Dan allein Christus ist der
Sohn Gottes von natur, wir aber aus gnaden.
Vnnser herr.
Hierdurch werden wir erinnert, wie wir vnns allhe die wolthaten Christi sol-
(20)len zueigen. Er wirdt aber vnnser herr genendt, || [242v:] erstlich weil im sol-
che herrschafft gebüret von wegen der erschaffung, sinntemal wir durch in
geschaffen sinndt zum ebenbildt Gottes.142 Zum anndern gebüret im solch
recht von wegen der erlösung. Denn nachdem wir in sünden geboren werden
von wegen der vorderbung vnnserer natur, welche auf den fall Adae gefolget
(25)ist, hat er sich selbst fur vnns zum lösegeldt dargegeben, vnns vom fluch des
gesetzes, vom zorn Gottes, vom tode vndt aus dem reich des teufels mit sei-
nem tewerem blut erkaufft, auff das wir sein eigen sein vnd vnnter seinem
reich vnter im lebeten in ewiger gerechtigkeit, vnschuld vnd seligkeit.143
Zum dritten, weil er vns für vnd fur beschützet vnnd zur ewigen herrligkeit
(30)erheben wirdt. Denn darumb sitzet er zur rechten des Vaters, das er ime stets
eine kirche samle, dieselb auch regiere, schütze vnnd herlich mache in alle
ewigkeit.
Erklere mir diese wort: „entpfangen vom heiligen Geist, geboren aus Maria
der jungfrawen.“
(5)Jn diesen worten wirdt die menschwerdung Christi beschrieben.
Warumb hat der mittler sollen Gott vnd mensch sein?
Die erste vrsach ist, weil das menschliche geschlecht gesündiget hatte, ist der
gerechtigkeit Gottes also gnug geschehen, das einer aus menschlichem ge-
schlecht hat die straf tragen müssen, welche ein gnugsam lösegeldt oder vol-
(10)komene bezahlung wer fur die sünde. Derwegen hat der Sohn Gottes als der
furbitter die menschliche natur an sich nehmen wollen, auf das er alls ein
warer mensch leiden vnnd sterben möchte. || [243r:] Die annder vrsach ist: Es
kan keine creatur allein den zorn Gottes ertragen vnd in solcher hellenangst
warhafftig vnndt ernstlich ihn als einen gerechten Gott erkennen vnd rhü-
(15)men. Nuhn muss aber ihn der straffe, welche ein versünung göttlichs zorns
sein soll, Gotte dem herrn, der solche straf aufleget durch den mittler, war-
haftig das lob der gerechtigkeit gegeben werden. Derwegen hat der mitler
auch müssen Gott sein. Die dritte vrsach: Es ist ein vnnendlich vndt vner-
meßlich schrecklich vbel vmb die sünde. Damit nuhn die bezahlung fur die
(20)sünde nicht geringer vndt kleinschetziger wehr alls die sünde ahn sich selbst
ist, hat abermals der mittler müssen Gott sein.
Die vierde vrsach: (i) Eine creatur kan das ewige
leben nicht geben. Aber vom Sohn Gottes stehet
geschrieben Johan. 1: „Jn ihme war das leben.“146
(25)Derwegen weil der erlöser menschliches ge-
schlechts den todt vberwinden vnd das leben wieder
bringen solte, hat derselb zugleich müssen warhaff-
ter Gott sein. Dan gleichwie im annfang der er-
schöpfung das ewige Wort das leben gegeben hat,
(30)also werden auch die gleubigen, so ihme eingeleibet
sindt, wiederumb durch ihn lebendig gemacht.
|| [243v:] Die fünfte vrsach ist: Dieser mittler bittet zu
allen zeiten fur die kirchen vnnd ist für vnd fur an
allen orten bey der kirchen gegenwertig vnd schüt-
-
zet vnd erhelt sie. Wiewol aber diese wolthaten oder
werck alle von dem Sohn Gottes nuhmehr in der
angenommenen menschlichen natur geschehen
vnndt der gantzen person zugeschrieben werden, so
(5)sindt es doch eigendtlich wirckung der göttlichen
vnd allmechtigen natur. (k)
Wo stehet die historien der entpfengnis vnd geburt Christi beschrieben?
Von der entpfengnis Christi soll man in sonderheit die wort des engels zu der
Maria mit fleis betrachten: Lucae 1: „Der heilig Geist wirdt vber dich kom-
men, vnd die krafft des hohesten wirdt dich vberschaten“,156 item Math. 1zu
(5)Joseph: „Das in ir geboren ist, das ist vom heiligen Geist.“157 Die vmbstende
der geburt Christi beschreibet Lucas am 2. cap: || [244v:] Dann als Joseph
vnnd Maria zu Betlehem waren, kam die zeit, das sie geberen solte, vnd sie
gebar iren ersten sohn. Der engel Gottes aber verkündiget solches den hirten:
„Sieh, ich verkündige euch grosse freude, die allem volck wiederfaren wirdt.
(10)Denn euch ist heute der heilandt geboren, welcher ist Christus, der herr in
der stadt Dauidt, vnd das habt zum zeichen: ir werdet finden das kindt in
windeln gewickelt vnd in einer krippen liegen.“158
Warumb hat Christus vom heiligen Geist entpfangen vnd aus einer jungfraw
geboren werden sollen?
(15)Die vrsach zeiget der engel selbst an, Lucae 1: „Das heilige, das von dir ge-
boren wirdt, wird Gottes Sohn genennet werden.“159 Dan darumb ist der
Sohn Gottes durch den heiligen Geist ohne zuthun eines mannes von einer
reinen, vnbefleckten jungfrawen geboren, auf das man wisse, das er warhaff-
tig ohne sündt mensch worden sey, sintemal alle anndere menschen, so
(20)durch beywonung mannes vndt weibes geboren werden, die erbsündt von
natur mit sich auf die weldt bringen.
Warumb wirdt der jungfrawen Marien mit nahmen aussdrücklich gedacht?
Dies geschicht nicht allein zur bestetigung der historien, wie man allzeit fur
gewisser helt, was mit vmbstenden der personen vnd dergleichen erzelet
(25)wirdt, sondern auch zu erinnerung von den verheissungen vnd weissagun-
gen, in welchen verkündiget war, das messias aus dem stam Dauidts solt
geboren werden, aus welchem den Maria herkommen ist, wie die geburtsli-
nien Christi außweisen.
|| [245r:] Was bekennen wir in den worten dieser artickel: „gelidten vnter
(30)Pontio Pilato, gekreuziget, gestorben vnd begraben“?
Diese artickel gehören zusammen vnd fassen in sich das bekentnis von der
allertiefsten erniedrigung des Sohnes Gottes in seinem gantzen leiden.
Was ist das leiden Christi?
Das leiden Christi ist der wunderbarliche vnd vnaußsprechliche gehorsam,
den vnnser herr Christus willig vnd gern in tragung vnd erduldung der aller-
grösten schmertzen ahn der seelen vnd am leib seinem himlischen Vater ge-
(5)leistet hat, damit durch diesen seinen gehorsam, in tiffster demut vnd ehrer-
bietung geleistet, fur die sünde des gantzen menschlichen geschlechts der
gerechtigkeit Gottes durch eine volkommene vnd gleichschetzige bezalung
gnug geschehe vnd der ewige Vater, durch dis hochwirdig opfer versünet,
alle, die in vertrawen dieses mittlers vndt schlachtopfers zu ihm zuflucht het-
(10)ten, zu gnaden ahnnehme vndt sie von dem fluch des gesetzes, von des teu-
fels tyranney vnd von ewigem todt erlöset würden vnd ewige gerechtigkeit
vnnd leben aus gnaden entpfiengen vmb des verdienst vnd furbitt dieses
Sohnes willen.
Wie sol das leiden Christi fruchtbarlich betracht werden?
(15)Es ist dreyerley betrachtung des leidens Christi: Erstlich heist man meditatio-
nem paedagogicam, || [245v:] das man viel vnd offt lese die historien, so bey
allen vier euangelisten nach der leng vom leiden Christi beschrieben ist.
Darzu dann dieser fleiß auch kommen sol, das man solche historien mit den
weissagungen der propheten vorgleiche. Dann solche zusammenhaltung der
(20)geschicht vnd der vorgehenden weissagung ist eine sönderliche bestetigung
des glaubens von diesem artickel, vnd sol jungen leuten fornemblich bekandt
sein die erste vorheischung Gen. 3160 , item der 22. Psalm, das 53. cap. Esa-
iae161 vndt das 9. cap. Danielis.162 Zum anndern ist eine spiritualis meditatio,
das ist eine geistliche betrachtung, da man die vrsachen des leidens Christj,
(25)als nemlich den grossen zorn Gottes wieder die sünde des menschlichen ge-
schlechts, die wunderbarliche vereinigung der gerechtigkeit vndt barmher-
zigkeit in Gott, die lieb des Sohnes Gottes vnnd desselben vnaussprechliche
demut vnd erniedrigung betrachtet vnnd dadurch zu warer gottesfurcht vnd
zum glauben sich erweckt. Zum dritten heist exemplaris meditatio, da man die
(30)exempel der demut vnd gedult Christi fur augen stellet, derselben nach-
zufolgen. Hieher gehören auch die bilde oder heimliche deutung, darinnen
abbgemahlet wird, wie es zw allen zeiten der christlichen kirchen in der welt
gehe. Denn Gott will, das die ausserwelten gleich werden sollen dem bild
seines Sohns, Rom 8.163
Warumb gedencket man des Pilati mit nahmen?
Pilatus ist vnter dem kaiser Tyberio landpfleger gewesen im jüdischen land.
Derwegen wirdt seines nahmens ausdrücklichen im symbolo gedacht, damit
man sich der vmbstende der zeit zu erinnern habe vnd daraus vermercke, das
(5)messias gewißlichen || [246r:] kommen sey laut der weissagungen des altua-
ters Jacob: „Es wirdt das scepter von Juda nicht entwendet werden, noch ein
meister von seinen füssen, bis das der helt komme.“164
Was ist es fur ein brauch gewesen mit der creützigung?
Bey dem jüdischen volck ist fürnemlich das creützigen im brauch gewesen,
(10)wie auch bey den anndern völckern im orient, die es villeicht von den Jüden
entpfangen haben. Aber auf ander weise geschach die creützigung bey den
Jüden als bey den heyden. Denn die Jüden pflegten die leuth, weil sie noch
am leben waren, nicht zu creutzigen, sonndern steinigten sie zuuor. Nach-
mals hingen sie ihre leichnam an ein creutz ohne besundere annagelung der
(15)hende vndt füsse. Bey den heiden aber wurden die vbeltheter, weil sie noch
lebendig wahren, gecreutziget also, das sie mit nageln an henden vnd füssen
durchnagelt worden. Von den heiden ist auch, wie es sich lest ansehen, ge-
wißlichen herkommen, das man den gecreützigten die bein gebrochen hat,165
wie solches in der euangelischen historien zugleich mitgedacht wirdt. Aus
(20)diesem erscheinet, das der herr Christus nicht nach jüdischem, sondern nach
heidnischem gebrauch gecreütziget ist worden. Denn zu der zeit hatten die
Jüden die peinlichen halsgericht166 nicht mehr vnter ihrer gewaldt, wie sie
selbst schreyen: „Wir dürffen niemands tödten.“167 Weil nuhn Christus dem
heidnischen landtpfleger vnd den römischen kriegesknechten zu creützigen
(25)vbergeben, ist er auch nach heidnischem brauch gecreütziget worden.
Von der creützigung schreibet man auch dieses, das die Juden sonderlich die
gotteslesterer vnd abgöttischen zum creutz zu vorurteilen gepfleget. Derwe-
gen sie auch Christum vmb solcher vrsachen willen begeren zu creutzigen,
als || [246v:] vber dem der hohepriester öffentlich hatte außgeruffen: „Er hat
(30)Gott gelestert“,168 dem sie auch diese schuld zugemessen, das er wieder den
tempel vndt wieder die geistliche obrigkeit solte geredt haben. Nhun pflegte
man aber solche nur auf die drey hohen fest hinzurichten, in welchen das
gantze jüdische volck zusammenkommen muste, weil Deut. 17geschrieben
stehet: „So jemandt vermessen handlen wurde, das er dem prister nicht ge-
(35)horchet, der soll sterben. Das alles volck höre vnd fürchte sich vnd nicht ver-
-
messen sey.“169 Demnach haben auch die hohenpriester sich bemühet, vf das
osterfest Christum vmbzubringen. Diese vmbstend der creutzigung sinnd
darumb nottwendig zu betrachten, damit man den gottlosen Jüden das maul
stopfen möge, vnter denen etliche heutiges tages so vnuorschemt sindt, das
(5)sie furgeben, Christus sey nit lebendig gecreutziget, wie die euangelisten
schreiben, sondern weil er fur ein gotteslesterer gehalten worden, hab er
nach jüdischem gebrauch zuuor müssen mit steinen getödtet werden. Solches
wurden die Jüden an Christo freylich nicht vnterlassen haben, wenn die
obern peinlichen halsgericht der zeit in ihrer gewalt noch gestanden wehren.
(10)Warumb bedencken sie aber nicht viel mehr, das sie diese gewaldt allebereit
dazumal verloren gehabt, dessen sie nicht allein in der euangelischen histori-
en, sondern auch aus iren eigenen schrifften können vberweiset werden.
Warumb hat Gott seinen Sohn mit diesem schmehelichem tode lassen
vmbbringen, das er an creutz gestorben ist?
(15) || [247r:] S. Paulus zeiget die vrsach an Galat. 3, da er spricht: „Christus hat
vns erlöset von dem fluch des gesetzes, da er ward ein fluch vor vnns. Denn
es stehet geschrieben: ‚Vorflucht ist jederman, der am holtz henget.‘“170 Die
eherne schlang, so in der wüsten von Moyse erhöhet wurde, ist ein furbild
gewesen der creüzigung Christi, Num 21, Joh. 3.171
(20)Was ist die vrsach gewesen, darumb Christus gestorben ist?
Zun Römern am vierden cap. spricht der apostel Paulus: „Christus ist gestor-
ben vmb vnser sünden willen“172 vnd im propheten Osea 13 stehet geschrie-
ben: „O todt, ich will dir ein gift sein“173 etc. Aus diesen sprüchen ist leicht-
lich zu vorstehen die vrsach des todes Christi, wie der alte schulvers auch
(25)lehret: „Mors mortis morti mortem mors morte redemit“,174 welcher in dem
teütschen ostergesang fast auf diese meinung gegeben ist: „Es war ein wün-
derlicher krieg, da todt vnnd leben rungen. Das leben behieldt den sieg, es
hat den todt vorschlungen. Die schrifft hat vorkundiget das, wie ein todt den
anndern fras. Ein spot aus dem todt ist worden.“175 Jm alten testament sindt
furbilde des todes Christi gewesen alle schlachtung der opfer, welche zu-
gleich getödtet vnd Gott aufgeopfert werden musten.
Warumb ist Christus begraben worden?
Es hat Christus nach dem tod auch sollen begraben werden, damit solch be-
(5)grebnis ein gewisses zeügnis wehr, das Christus warhafftig gestorben vnnd
das vnsere sünde mit ihme begraben vnnd vnnsere || [247v:] greber auch durch
seinen heiligen leichnam geheiligt würden.
Wie vorstehestu den artickel, das Christus
niedergefharen sey in die helle?
(10)Es darf dieser artickel keiner frembden deütung,
sondern es sollen die wort vorstanden werden wie
sie lauten, weil auch S. Paulus also redet, Ephes. 4:
„Er ist hienunder gefharen in die vntersten örter der
erden.“176 So bekennen wir nhun in diesem artickel,
(15)das die tyranney des teufels vnnd der hellen zerstö-
ret sey, das ist das alle so ahn Christum gleuben,
von der gewalt des teufels vnd aus der hellen erlöset
sein nach dem spruch Oseae am 13.: „Hell, ich will
dir ein pestilentz sein.“177 Diesen sieg hat der Sohn
(20)Gottes sichtbarlich den teufeln weisen wollen also,
das sie fülen mußen, das ire gewalt von diesem
siegman warhaftig vberwunden sey vnd das also
erfüllet sey, das des weibes sahmen hat sollen der
schlangen den kopf zutretten.178 (l) Jst derwegen
(25)dies der einfeltigste vorstandt dieses artickels, das
Christus mit seiner niederfart in die helle dem teufel
seinen sieg kreftiglich erweiset vnd denselben ge-
schrecket hab.
(5)Wie aber solches geschehen oder zugangen sey, gebüret vns nicht nachzufor-
schen. Cyprianus schreibt, das im symbolo der alten römischen kirchen so
wol als auch in etlichen kirchen in orient dieser artickel ausdrücklich nicht
sey erzelet worden.184
Sag mir ein zeugnis von der auferstehung Christi.
(10)Jm 16. Psalm spricht Dauid in der person Christi: „Du wirst meine seele
nicht in der hellen lassen vnnd nicht zugeben, das dein heiliger verwese.“185
Math. 12 saget Christus: „Gleichwie Jonas war drey tag vnnd drey nacht in
des walfisches bauch, also wirdt des menschen sohn drey tag vnd drey nacht
mitten in der erden sein.“186 Die historia aber von der aufferstehung Christi
(15)wird von den euangelisten beschrieben.187 Von der frucht vnd nutz derselben
spricht Paulus Rom. 4: || [248v:] „Er ist vmb vnnser gerechtigkeit willen aufer-
wecket“188 vndt 1. Cor. 15: „Jst Christus auferstanden, so werden wir auch
aufferstehen“189 vnd zun Röm. am 6.: „Christus ist auferwecket durch die
herrligkeit des Vaters, das auch wir in einem newen leben wanndeln.“190
(20)Warumb sprechen wir im symbolo, das Christus am dritten tag sey
auferstanden?
Das weiset die historien aus. Denn noch am karfreitag wurd er vom creutz
genommen vnd begraben wenig stunden zuuor, ehe der sabbath gegen
abendt ist angangen. Dann also pflegeten die Jüden den tag vom abendt ahn-
(25)zufangen. Den gantzen sabbath vber hat Christus im grab geruhet. Am ersten
der sabbathen aber, welches bey vns ist der ostertag, ist er mit auffgehender
sonnen aus dem grab erstanden.
Sag mir zeugnis vom artickel der himmelfart
Christi.
(5)Jn geschichten der apostel am 1. cap. wird die histo-
rien der himmelfart Christi beschrieben: „Er ward
aufgehaben zusehens vndt eine wolcke nam in auf
vor ihren augen weg“191 etc. vndt Act. 3: „Christus
hat müssen vom himmel aufgenommen werden bis
(10)auf die zeit, da alles herwieder gebracht werde“,192
oder wie es der erwirdige herr doctor Lutherus im
deutschen gegeben hat: „Christus muste den himmel
einnehmen“,193 welches man darumb darzu setzen
muß, damit nicht jemandt gedencke, als sey Chris-
(15)tus also auffgenommen vom || [249r:] himel, das er
daselbst gleichsam gefangen vnd an ein gewisses ort
eingeschlossen sey vnnd könne nicht sein, wo er
will vnnd wo er mit seinem wort zu sein sich vor-
pflichtet habe. (m)
(20)Souiel aber den artickel des glaubens an sich selbst
belanget, sol die auffart Christi kegen himmel ver-
standen werden „wie der buchstabe lautet vom dem
leib vndt dem raum, den ein leib einnimt. Die auf-
fart ist sichtbar vnd leiblich gewesen, vnd also ha-
(25)ben alle alten lehrer allezeit geschrieben, das Chris-
tus mit seinem leib einen raum einnimmt an einem
ort, ahn welchem er will, vndt ist diese leibliche
auffart geschehen ihn die höhe oder gen himel.“200 (n)
Warumb ist Christus gen himel gefahren?
(5)Erstlich hat er damit die jüdischen treume wollen wiederlegen, welche tich-
ten, messias werd vf erden ein weldtlich vnd leiblich reich anrichten. Zum
andern hat er vns mit seiner himmelfart den weg zum himel öffnen wollen
vnd vns vorsichern, das wir auch dahin sollen gebracht werden, wie er
spricht: „Vater, ich will, das wo ich bin, auch die bey mir seindt, die du mir
(10)gegeben hast“.201 Zum dritten hat er mit diesem herrlichen triumph bezeugen
wollen, das er vberwunden vnd gesieget hab wieder das gantze reich der sün-
den vnd des todes, dauon Coloß. 2 vnd im 68. Psalm gesaget wirdt.202 Es
gehöret aber auch vber die vrsachen der himmelfart Christi der folgende
artickel vom sitzen Christi zur rechten Gottes.
(15)Wie vorstehestu den artickel, das Christus sitze zur
rechten des Vaters?
Aufs aller einfelltigst soll dieser artickel verstanden
werden von der erhöhung Christi zum stetwehren-
den konigreich vnd priestertumb, dauon der 110.
(20)Psalm lehret: „Der herr sprach zu meinem herren:
‚Setze dich zu meiner rechten‘“203 etc. Denn dis ist
gantz gewis, das mit diesem artickel angezeiget
wirdt die maiestet vnd herrligkeit Christi, darein er
nach seiner himelfart eingangen vnnd aller creatu-
(25)ren ehr vnd herrligkeit vbertrifft. Denn es sindt wol
die ausserwelten engel vnd menschen auch ihm
|| [250r:] himmel vndt sehen Gott von angesicht zu
angesicht, aber Christus ist in dem vnbegreiflichen
licht erhöhet vber engel vndt menschen vnd regieret
(30)mit dem Vater vnd ist das heubt der kirchen, wel-
ches alles in allem erfüllet. Wiewol aber der vnter-
schiedt beider naturen in Christo in ewigkeit bleibt,
auch die wesentliche eygenschafften derselben stets
vnderschieden bleiben, so hat doch die menschliche
natur Christi nach der vorklerung auch fur sich vn-
aussprechliche gaben, herrligkeit vndt vorzug ent-
pfangen, welche aller creaturen gaben weit vbertref-
fen. (m)
Sag mir zeugnis des artickels, das Christus wird wiederkommen zu richten
die lebendigen vndt die todten.
Act. 1 sprechen die engel: „Dieser Jhesus, welcher von euch ist aufgenom-
(10)men ken himmel, wirdt kommen wie ir in gesehen habt gen himmel fa-
ren“,206 vndt Math. 25 wirdt nicht allein die wiederkunft Christi, sonndern
auch der gantze proceß des allgemeinen gerichtes nach der leng beschrie-
ben.207
Was wirdt der herr Christus außrichten in seiner letzten widerkunfft?
(15)Das erste wergk wird sein, das er mit seiner stimme alle menschen erwecken
wird, die jemals von anbegin der welt gestorben sindt, vnd wird derselben
seel wiederumb mit ihren auferweckten leiben voreinigen. Die aber noch
leben vnndt vbergeblieben sindt, werden zugleich mit denselben hinngezuckt
werden in den wolcken dem herrn entgegen in der lufft, 1. Thess. 4.208 Das
(20) andere werck wird sein das sichtbar vndt allgemeine gericht, darin die from-
men von den bösen vnterschieden werden sollen vndt das endurteil, beydes
vber die auserwelten vnd gottlosen, ergehen wirdt. Denn der Vater hat dem
Sohne alles gericht vbergeben, Johann. am 5.209 Das dritte werck wird sein
die einsetzung aller ausserwelten in das erbe der ewigen seligkeit, darauf sie
(25)in diesem leben mit glauben vnd hofnung gewartet haben, Matthei am
25.210 || [251r:] Das vierde werck wird sein die vorstossunge aller gottlosen mit
den verdampten geistern in die ewige qual, da ir wurm nicht sterben, ihr
feuer nicht wirdt außgeleschet werden vnd ir schande nicht wirdt aufhören,
Esaiae am 66.211 Das fünffte werck wird sein die verneuerung himmels vnd
(30)erden, welche mit fewer gereiniget vndt eine newe welt werden sollen, damit
es eine heilige vnd reine wonunng sey aller außerwelten vnd seligen engel
vnd menschen, 2. Pet. 3.212
Sag mir den dritten hauptartickel
des apostolischen glaubens.
(5)Jch glaub an den heiligen Geist, eine heylige christliche kirche, die gemeine
der heyligen, vorgebung der sünden, auferstehung des fleisches vnd ein ewi-
ges leben.
Was ist der inhalt dieses dritten heuptartickels?
Es wird darinnen offentlich bekennet die lehr vom heiligen Geist, von der
(10)kirchen Gottes, von den furnehmen wolthaten Gottes, die gleichsam das ende
oder nutz vnnd frucht sinnd aller vorgehenden artickel, so bisher erzelet
sindt.
Was sol ein christ wissen vom heyligen Geist?
Zwey stücke: 1. was sein person sey, 2. was sein werck vnd wolthaten sein.
(15)Wie sol man erweisen, das der heylige Geist fur sich eine selbstendige
person sey, nicht ein zufellig ding oder eine erschaffene bewegung in den
creaturn?
Das der heylige Geist warhafftig eine selbstendige person sey, vnderschieden
vom Vater vnd Sohn, beweiset || [251v:] erstlich die helle vnd klare offenba-
(20)rung vber der tauf Christi, den daselbst lest sich der heilig Geist sehen in der
gestalt einer tauben vnd ruhet vber Christo,213 zum anndern erscheinet der
heilig Geist am pfingstag in fewriger zungen gestalt,214 zum dritten befileht
der herr Christus, das die apostel alle völcker tauffen söllen im nahmen des
Vaters vnd des Sohnes vnd des heiligen Geistes.215 Nuhn seindt aber der
(25)Vater vnd der Sohn vnterschiedliche personen. Derwegen mus auch der
nahmen des heiligen Geistes ein selbstendige vndt vnterschiedliche person
anzeigen. Das aber dem heiligen Geist diese persönliche eigenschafft zuge-
schrieben wirdt, das er ausgehe vom Vater vnd dem Sohn, dieses wirdt in
dem spruch Christi gelehret, Johan. 15: „Wenn der Tröster kommen wirdt,
(30)welchen ich euch senden werde vom Vater, der Geist der warheit, der vom
Vater außgehet.“216 Vndt anderswo wirdt er nicht allein der Geist des Vaters,
sondern auch der Geist des Sohnes genennet.217
Welches sindt des heiligen Geistes werck vndt wolthaten?
Die werden eben mit dem nahmen des heyligen Geistes angezeiget. Denn
(5)darumb heist er der heiligew Geist, nicht allein, das er selbst rein vnd heilig
ist, sondern auch, das er die glaubigen heilig machet. Das ist, das er sie er-
leuchtet, das sie die göttliche lehr verstehen vndt derselben beyfall geben
vnnd richtet in inen an göttliche bewegungen vnd erwecket wahre anruffung
vnd freud an Gott. Zachariae am 12. wirdt er genannt der Geist der gnaden
(10)vnnd des gebets.218
|| [252r:] Warumb sprechen wir in symbolo: „Jch gleub an den heiligen Geist“
vnd warumb sagen wir nicht auch: „Jch gleub an die heilige christliche
kirchen“?
Es geburet allein Gott diese ehre, das man an in glaube, das ist alles vertrau-
(15)en vnd zuuorsicht auf in setze. Denn der prophet spricht klerlich: „Vorflucht
sey, der fleisch vor219 seinen arm helt“, Jer. 17.220 Demnach erkennen vnd
bekennen wir eben hiemit den heiligen Geist fur einen warhafften Gott, das
wir im symbolo bezeugen, das wir an den heyligen Geist gleüben. Aber in
dem nachfolgenden artickel von der kirchen Gottes lassen wir dieses wörtlin
(20)aus, sagen allein: „Jch gleub ein heylige christliche kirchen“. Denn es gebü-
ret sich nicht zu sprechen: „Jch gleub an die christliche kirchen“, weil vnser
glaub nicht auf die kirchen, sonndern auf Gott gegründet ist. Jm simbolo, so
in dem constantinopolischen synodo wiederholet ist, werden diese artickel
auch auf solche weise erzelet: „vnd an den herrn, den heiligen Geist, der da
(25)lebendig machet, der von dem Vater vnd dem Sohn außgehet, der mit dem
Vater vnd dem Sohn zugleich angebetet vnd zugleich geehret wirdt, der
durch die propheten geredt hat, in vnam ecclesiam“,221 das ist an oder zu ei-
ner einigen christlichen apostolischen kirchen. Aber allhier giebet das wort-
lein „in“ oder „an“ nicht den verstand, als wenn man schlecht sagete: „Jch
(30)gleub an die kirche“, sönndern dieses wird angezeiget, das der heilige Geist
an oder zu einer heiligen christlichen kirchen geredt habe. Es lest sich aber
ansehen, als hab man mit dieser art zu reden dieses lehren || [252v:] wollen,
das nur ein einiger Geist sey, der do im alten testament vndt newen testament
kreftig gewesen sey, wieder die irrige meinung derer, welche haben forgeben
durffen, es sey nicht einerley Geist des alten vnd newen testaments, sonn-
dern das newe testament hab ein besondern Geist, der dem alten Geist des
(5)alten testaments zuwieder sey. Es wirdt auch dieses hiedurch angezeiget, das
gleichwie einerley Geist sey zu allen zeiten, also sey auch ein einige kirche
von anfang biß zum ende der weldt.
Was ist die kirche Gottes?
Die christliche kirche in diesem leben ist eine sichtbare vorsamlung aller
(10)menschen, so die reine lehr des euangelij annehmen vnd rechten brauch der
sacrament behalten. Jn welcher versamlung der Sohn Gottes krefftig ist vndt
durch die predigt des euangelij vnd durch den heiligen Geist ir viel zum ewi-
gen leben bekeret vnd heiliget, vnd sindt gleichwol in dieser vorsamlung
viel, die nicht heilig sind, jedoch in eusserlicher gemeinschafft eintrechtig
(15)mit den heilig in der lehr.
Wo ist die christliche kirche vnd durch welche zeichen wirdt sie erkant?
Die christliche kirch ist, wo diese zeichen erfunden werden, nemlich reine
vnd vnuorfelschte lehr des euangelij, soviel das fundament betrifft, zum an-
dern rechter brauch der sacrament, zum dritten der gehorsam gegen dem mi-
(20)nisterio oder kirchendienst in göttlichen geboten.
Warumb wirdt die christliche kirche heylig genennet?
Es sinndt zweyerley gliedmassen der kirchen in diesem leben, etliches sinnd
lebendige || [253r:] gliedmassen, die da warhafftig geheiliget sindt durch den
heyligen Geist, etliches aber sindt tode glidmassen, die nicht warhafftig hei-
(25)lig sinndt vnd doch in der lehre mit anderen eintrechtig sindt. Nuhn pfleget
man ein dieng gemeiniglich zu nennen von deme, so das furnembste vnd
beste teil ist eines jeden dinges. Derwegen, obwol nicht alle gliedmassen der
kirchen warhafftig heilig sind, jedoch weil allzeit in dieser versamlung viel
gliedmassen mit dem heiligen Geist geheiliget vnd zum ewigen leben erwe-
(30)let sindt, wird die christliche kirche von diesen lebendigen gliedmassen, als
von dem besten vnd fürnemsten teil, eine heilige kirche genennet.
Wie kan die kirche Gottes heilig genennt werden, so doch in diesem leben in
allen menschen vielerley sünde vnd vnreinigkeit stets bleibet?
Das die lebendigen gliedmassen der kirchen Gottes heilig genennet werden,
(35)geschicht darumb: erstlich, das ire sünd vnd vnreinigkeit vmb des mittlers
willen in inen zugedeckt vnd die gerechtigkeit des Sohnes Gottes ihnen
durch den glauben zugerechnet wirdt. Darnach auch, das in inen die geistli-
che vnd innerliche vernewerung durch den heyligen Geist angefangen wirdt,
welche in dem zukünftigen leben wird vollendet werden. Jn schulen heist
man das erste vnter diesen beiden „imputationem“, das ist ein zugerechnete
(5)heyligkeit oder gerechtigkeit, das annder aber „inchoationem“, || [253v:] das
ist die angefangene heiligung im hertzen, welche doch in diesem leben stets
vnuolkommen bleibet.
Was heist das grichische wort, so im symbolo gebraucht wirdt, „catholica
ecclesia“, welches im deutschen wird gegeben „die christliche kirchen“?
(10)Das wort „catholica“ heisset ebenso viel als das wort „allgemein“, vndt wirdt
der kirchen Gottes derhalben diese beschreibung zugelegt, erstlich weil sie
nicht an gewisse personen vnd ort angebunden ist, wie die papisten tichten
von der ordinaria successione episcoporum, sonndern wo die reine lehre des
euangelij im schwanck gehet, do ist gewisslichen die kirche Gottes. Zum
(15)anndern heist es auch darumb ein allgemeine kirche, dieweil es einerley kir-
che ist, die zu allen zeiten der welt aus menschlichem geschlecht gesamlet
wirdt. Zum dritten auch darumb, weil die warhafte kirche nicht ein oder
zwey, sondern alle stück der lehr, so in der propheten vnd aposteln schrieften
vorfasset sindt, beisammen behelt vnd miteinahnder ohne trennung oder ab-
(20)sonderung bekennet, do dargegen die secten vndt ketzer aus der gantzen lehr
herausklauben, was inen gefellt. Das ander aber verwerffen sie.
Was ist der verstandt dieses artickels: „Jch gleub eine gemeinschafft
der heyligen“?
Dieser artickel henget an dem vorigen also, das er zugleich desselben erkle-
(25)rung ist. Denn es ist nicht ein besonder artickel, sondern wie man es in schu-
len nennet, werden per appositionem || [254r:] dieße wort zu einer erklerung
alsbaldt zu dem vorgehenden artickel gesetzt, damit man verstehe, was vfs
eigentligste die kirche zu nennen sey, nemlich eine gemeinschaft der heyli-
gen, das ist eine solche vorsamlunge, in welcher die menschen, so durch das
(30)blut des Sohnes Gottes gereiniget vnd durch den heiligen Geist geheiliget
sindt, Ephes 5222 , zu welcher zeit sie auch jemals gelebet haben oder noch
leben, nicht allein einerley lehr, sondern auch einerley geistliche güter vndt
wolthaten Gottes haben, als die da gliedmassen sindt eines leibes vnd zu-
gleich ein heupt haben, nemlich den herrn Christum, welcher durch seinen
(35)heiligen Geist in inen krefftig ist. Von dieser gemeinschaft stehet 1. Joan. 1
geschrieben: „Das wir gesehen vnd gehört haben, das vorkündigen wir euch,
auf das ir auch mit vns gemeinschafft habet, vnd vnser gemeinschaft sey mit
dem Vater vndt mit seinem Sohn Jhesu Christo“223 vnd der apostel Paulus
zun Ephes. 4 spricht: „Es ist ein leib, ein Geist, wie ir auch beruffen seit zu
einerley hoffnung.“224 Cyprianus vndt Augustinus gedencken dieses artickels
nicht ausdrücklich im symbolo. Derwegen auch bey inen desselben erkle-
(5)rung nicht zu finden ist.
Erklere mir in sonderheit die wort dieses artickels: „Jch gleub
vorgebung der sünden.“
Erstlich ist dieser artickel ein zeügnis, das ein jeder einen eigenen glauben
haben vnd in seinem herzen gewiß sein soll, das im in diesem leben durch
(10)den glauben vorgebung der sünden geschenckt vnd gegeben werde. Dieses
ist zugleich eine widerlegung || [254v:] des schedlichen irrthums der papisten,
welche den menschen heissen in steten zweifel bleiben. Zum anndern weil in
plurali numero, das ist in gemein, gesaget wird von vergebung „der sünden“,
wird dadurch dieser trost bestetiget, das keine sünde so groß oder so viel sein
(15)konne, die nicht in diesem leben vergeben werden mög, wo man nur buß thut
vnd mit warem glauben ergreiffet die verheissung der gnaden, welche ge-
wißlich, warhafftig vnd vnnwandelbar ist vmb vnd von wegen des mitlers
Christj. Zum dritten lehret das wort „vorgebung“, das nicht allein die
schuldt, sondern auch die ewige straf aus gnaden geschenckt vnd erlassen
(20)werde. Dann sünde vorgeben heist eigentlich von schuldt vnd ewiger pein
erlösen vnd frey machen, sintemal in dem wort „remissio“ oder „vergebung“
furnemlich dieses begriffen wirdt, nemlich das die vorpflichtung zum ewigen
tod vndt vordamnus aufgehaben vnd aus gnaden ohn einige vordinst erlassen
wirdt. Zum virden, weil man das symbolum fur vnd fur sprechen sol, ist es
(25)ein zeugnis, das auch die, so neugeboren sindt, dennoch in diesem leben ver-
gebung der sünden ohne vnterlaß stets bedürffen. Derwegen auch die heili-
gen errinnert werden, das in diesem leben allzeit hinnderstellige sünde in
inen bleiben, vmb welcher vorgebung sie fur vnd fur Gott zu bitten schuldig
sindt.
(30)Jst auch ein vnterscheid zwischen vorgebung der sünden vnd der
rechtfertigung?
Es ist beides einerley, so man die rechtfertigung vorstehet von der gerechtig-
keit, die fur Gott gilt. || [255r:] Dann also pfleget man diese rechtfertigung
oder gerechtigkeit zu beschreiben, das es sey vorgebung der sünden, vorsü-
(35)nung mit Gott, zurechnung der gerechtigkeit vnd ahnnehmung zum ewigen
leben.
Wie entpfehet man vorgebung der sünden oder wie wirdt der mensch fur
Gott gerecht?
Wenn ein mensch in warhafftiger bekehrung zu Gott seine sünde erkennet
vndt das hertz warhafftiglich fur Gottes zorn wieder die sünde erschrocken
(5)ist, erlanget er vergebung der sünden allein durch den glauben, aus gnaden,
nicht vmb seiner eigenen werck vnd vordienst, sondern vmb des mittlers, des
Sohns Gottes, vnsers herren Jesu Christi, wahren Gottes vnd menschen
willen.
Sag mir ein zeugnis von diesem artickel.
(10)Act. 10: „Diesem“, nemlich Christo, „geben zeugnis alle propheten, das in
seinem nahmen vergebung der sünden entpfahen alle, die an in gleuben.“225
Zu den Römern am 3.: „Wir werden ohne verdienst gerecht aus seiner gnade
durch die erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist, welchen Gott
hat furgestellet zu einem genadenstuel durch den glauben in seinem
(15)bluet.“226
Wie sol man diese rede vorstehen: „Durch den glauben werden wir gerecht“
oder: „Mit dem glauben entpfahen wir vergebung der sünden“?
Jn schulen pfleget man kürtzlich zu sagen, || [255v:] das diese rede zu vorste-
hen sey correlatiue, das ist wenn man spricht „durch den glauben sindt wir
(20)gerecht“, soll diese rede also verstanden werden: Durch die barmherzigkeit
Gottes vmb des mittlers willen sind wir gerecht. Weil aber der glaub allein
die barmherzigkeit Gottes vnd den mittler Jesum Christum ergreifft vnd
animmbt, ist es recht, das man des glaubens ausdrücklich gedencket, vnd ist
aber nicht zu vorstehen, das der glaub gerecht mache darumb, das er ein be-
(25)sonnder hohes werck in vns ist, sondern das wir vergebung der sünden haben
vmb des Sohns Gottes willen, welchen wir mit glauben ahnnehmen. Daher
man recht saget: Non propter nostrum credere, sed propter eum, in quem cre-
dimus, iustificamur, nicht vmb des glaubens alls vmb vnnsers werckes wil-
len, sonndern vmb des wegen, ahn den wir gleuben, werden wir gerecht.
(30)Jtem: Gleichwie ein ring vmb des edlen gesteins willen tewer geschetzet
wird, also machet der glaub gerecht, sofern er den mittler Jesum Christum
fasset vnd ahnnimt.227
Warumb mus man die exclusiuam „gratis“ oder „sola fide“, das ist die
eigentlichen wort „aus gnaden“, „allein durch den glauben“ etc. erhalten?
Es sind vier vrsachen, darumb man vmb dieser wort wegen streiten vnd die-
selben fest behalten mus: Die erste vrsach, das dem herrn Christo sein ehr,
(5)die ihm allein gebüret, gegeben werd, nemlich das er allein sey die versö-
nung fur vnsere sünde nach dem spruch: „Sieh, dis ist das lamb Gottes, das
der welt sünde tregt.“228 || [256r:] Die annder vrsach, das wir in erkendtnis
vnnser sünde vndt warhafftigem schrecken gewissen trost haben, wie ge-
schrieben stehet Rom. 4: „Darumb muß die gerechtigkeit aus dem glauben
(10)kommen, auf das sie sey aus gnaden vnd die vorheissung fest bleibe.“229 etc.
Die dritte vrsach, das rechte anruffung zu Gott geschehen konne im vertraw-
en vf den mittler Christum vnnd nicht auf eigene heyligkeit. Denn so das
gebet vf vnsere eigene tugenden solte gegründet sein, wurden wir in dieser
vnnser schwachheit nimmermehr recht beten können. Die vierd vrsach ist,
(15)damit man das gesetz vnd euangelium klar vnterscheiden könne. Denn diese
rede: „aus gnaden“, „durch den glauben“, vnd das man sich ausdrücklich auf
den mittler Christum ziehe, weisen fürnemlich den vnterschied zwischen
dem gesetz vnd euangelio.
Was heist die allgemein auferweckung der toden, dauon dieser artickel saget:
(20)„Jch gleub ein auferstehung des fleisches“?
Die allgemein auferweckung der toden ist dieses werck Gottes, da er durch
seine vnermeßliche kraft, wie er einmal freywillig beschlossen vnd solchen
beschlus hat offenbaret, aller menschen leibe von der verwesung freymachen
vndt mit iren seelen wiederumb voreinigen wirdt, damit sie zugleich in alle
(25)ewigkeit entweder die straf ihrer sünden sampt allen teufeln in der ewigen
vordamnis ausstehen oder bey Gott sein vnd bleiben vnd seines lichtes weis-
heit, gerechtigkeit vnd ewigen lebens teilhafftig sein mögen.
|| [256v:] Warumb sagt man außdrücklich von auferstehung des fleisches?
Vrsach ist dieses, das gleichwie der leib getödtet wird vmb der sünden wil-
(30)len, die seele aber ist vnsterblich, also werden allein die leib auferwecket
werden. Die seel aber darf der auferstehung nicht, weil sie nicht stirbet noch
vndergehet, ob sie gleich im tode von dem leib scheidet. Es wirdt aber am
jüngsten tag ein jede seele mit seinem eigenem leib nach desselben aufer-
weckung wiederumb voreiniget werden. Ciprianus schreibet, das in etlichen
(35)kirchen in orient dieser artickel demonstratiue ausgesprochen sey, das ist,
das ein ieder auf seinen leib gleichsam geweiset vndt ausdrücklich gesaget
habe: „Jch gleub ein auferstehung dieses fleisches“,230 gleichwie auch S.
Paulus diese art zu reden brauchet: „Dieses verweßliche mus anziehen das
vnuorwesliche“231 etc.
(5)Sag mir ein zeugnis der schrift von diesem artickel.
Jungen leuten sol in sonnderheit bekant sein das gesicht Ezechielis am 37.
cap.232 vnd die epistel Pauli in der 1. Cor. 15233 vnd 1. Thess. 4,234 an wel-
chen orten dann dieser artickel von der auferstehung sehr fein erkleret vndt
gegründet ist.
(10)Werden denn alle menschen einerley auferstehung haben?
Der herr Christus spricht Johan. 5: „Es kompt die stunde, in welcher alle, die
in den grebern sindt, werden die stimme des Sohnes Gottes hören vndt wer-
den herfür gehen, die da guttes gethet haben, zur aufer- || [257r:] stehung des
lebens, die aber vbel gethan haben, zur aufferstehung des gerichtes.“235
(15)Diese wort des herren Christi machen einen vnterschiedt zwischen der auff-
erstehung der außerwelten vnd verdampten menschen. Denn wiewol sie her-
nachmals beyderseits vnsterblich sein werden, jedoch machet das ende, dazu
diese vnd jene auferwecket werden, eine grosse vngleicheit. Denn die gottse-
ligen werden das ewige leben besitzen, die gottlosen aber werden vmb der
(20)sünden willen, derer vergebung sie von Gott durch den mittler nicht erlanget
haben, die ewige straf vndt vordamnus tragen müssen.
Was nennet man das ewige leben, dauon der letzte artickel
des glaubens saget?
Das ewige leben heißet souiel als die ewige seligkeit nach diesem leben, da
(25)Gott alle auserwelten, nachdem sie von aller sünde vndt todt gentzlich erlö-
set, ohne mittel mit seinem liecht vnd freuden erfullen wirdt vndt wird in alle
ewigkeit sein alles in allem.236 Dagegen heist der ewige todt soviel als die
vorstossung aller vordampten von Gott in alle ewigkeit sampt der ewigen
qual an leib vnd seel, die nimmermehr ahn inen wird aufhören.
Sag mir zeugnis von diesem artickel.
Johan. am 3. stehet geschrieben: „Wehr an den Sohn gleubet, der hat das
(5)ewige leben. Wehr an den Sohn nicht gleubet, der wirdt das leben nicht se-
hen, sondern der zorn Gottes bleibet vber ihme.“237 Johan. am 10. spricht der
herr Christus: „Meine schafe hören mei- || [257v:] ne stimme vnd folgen mir,
vnd ich geb inen das ewige leben.“238
Warumb wird dieser artickel zuletzt im symbolo erzelt?
(10)Das symbolum oder christliche glaube wirdt derhalben mit diesem artickel
von dem ewigen leben beschlossen, 1. das wir erinnert werden, was das
höchste, gröste vnd ewigwerend gut sey, darnach alle menschen streben sol-
len, 2. das wir erkennen lernen, wozu wir erschaffen, erlöset vnd geheiliget
sein, 3. das durch die vnsterbligkeit zwischen menschen vnd vnuornünfftigen
(15)tiehren ein vnterscheidt gemacht vnd wir zugleich auch getröstet werden, das
alles elendt vnd jammer dieses zeitlichen lebens einmal aufhören vnd ein
ende nehmen müße. Denn wir ie nicht zu diesem sterblichen leben allein wie
das vieh, noch zw stetwerendem jammer vnd elend geschaffen sindt, sonn-
dern das wir vnsterblich sein vnd in ewiger seligkeit leben sollen. Aber die-
(20)ser ewigen seligkeit wird niemands teilhaftig werden, ohn ihndeme das ewi-
ge leben auch alhier in diesem leben wirdt angefangen.
Wie wirdt denn das ewige leben alhier in diesem leben angefangen?
Es wird das ewige leben also in vns in diesem leben angefangen, wenn wir
Gott aus seinem Wort, dadurch er sich geoffenbaret, recht erkennen vndt sei-
(25)ne gnad vnd barmherzigkeit in seinem Sohn mit wahrem glauben ergreiffen,
dadurch die hertzen warhaftig den trost des heiligen Geistes entpfinden,
durch welchen zugleich angezündet wirdt ein newes liecht, || [258r:] newe ge-
rechtigkeit vnd freude, welche ist gleichsam ein geschmack vnd anfang des
ewigen lebens.
Das dritte stück dieses catechismusbüchlins:
Vom gebeth des vaterunnsers.
Was ist der innhalt des vaterunnsers?
Es ist im vaterunser die allerbeste vndt vollkommeneste form vnd weiß zu
(5)beten vom Sohn Gottes, vnserm herren Jesu Christo vns furgeschrieben, da-
rinnen er beyde vfs allerkürtzste vndt mit der allerschönsten ordnung gefas-
set hat alles, was wir von Gott bitten vnd begeren sollen.
Was ist der vnderscheidt zwischen eines christen gebeth vndt anderer
gottlosen anruffung?
(10)Fürnemlich sindt zwo grosse vnterschiedt, die eine von Gottes wesen, die
ander von Gottes willen. Denn zum ersten wissen die heiden, Türcken, Jüden
vnd anndere irrige secten nicht, das dis der rechte Gott sey, den man allein
soll anruffen, welcher da ist Gott Vater, Sohn vnd heyliger Geist. Zum ann-
dern wissen sie nichts von der verheissung der gnaden vnd von dem mittler,
(15)drumb sie in stetem zweyfel stecken, ob Gott die elenden menschen erhören
will vnd warumb er sie erhöret. Dagegen aber spricht die kirche Gottes in
irem gebeth ahn den warhaften Gott, der sich mit klaren zeugnissen hat geof-
fenbaret vnd erkennet denselben, wie er sich selbst hat geoffenbaret. Hier-
uber || [258v:] helt sie sich auch an die vorheissung Gottes vnd an den mittler
(20)vnd gleubet festiglich, das vnns Gott vmb dieses mittlers willen gewißlich
gnedig sein wil vnd wil vmb desselben willen erhören vnd helfen, wie der
herr selbst gesprochen hat: „Was ihr den Vater bitten werdet in meinem nah-
men, das wird er euch geben.“239
Was gehöret furnemblich zw einem rechtschaffenem gebeth?
(25)Diese sechs stück gehören furnemlich zu einem christlichen vnd rechtschaf-
fenem gebeth. Das erste: Du solt anfenglich betrachten, wen du ansprechen
wollest, wer Gott ist vnd wie er sich hat geoffenbaret, wie Johan. am 4. ge-
schrieben stehet: „Wir wissen, was wir anbeten.“240 Das ander ist die be-
trachtung des geboths vnd befelch Gottes von der anruffung, wie Gott im 50.
(30)psalm spricht: „Ruffe mich an in der not.“241 Das dritte: Ein jeder, der recht-
schaffen beten will, soll sich selbst erforschen, ob er auch warhafftig zu Gott
bekehret sey. Denn ohn bekehrung ist das gebeth vnfruchtbar, wie Johan. 9
gesaget wirdt: „Wir wissen, das Gott die sünder nicht erhöret.“242 Die vierde
ist betrachtung der vorheissung, das Gott vnser gebeth erhören wolle, wie
der herr Christus spricht Math. 7: „Bittet, so wirdt euch gegeben“,243 Luc.
11: „Wieuielmehr wirdt mein himlischer Vater den heilig Geist geben denen,
die darumb bitten.“244 Das fünfte ist glaub vnd vortrawen, dadurch man die
vorheissung der gnaden annimbt vnd nicht zweyfelt, das wir vmb des mitt-
(5)lers willen erhöret werden. || [259r:] Das sechst ist die betrachtung geistlicher
vnd leiblicher notdurfft, was man bitten soll, damit das gebeth nicht ein vor-
geblich geschwetz sey.
Was sol man fur einen vnterschiedt halten, so man ewige
oder zeittliche güter bittet?
(10)Wann wir die himelischen vnd ewigen güter bitten, die zu vnser seelen selig-
keit gehören, als da seindt vorgebung der sünden, vorsünung mit Gott, ewi-
ges leben, heiligung vnd regierung vnserer seelen, soll der glaub schlechts
ohne einige bedingung solche gaben von Gott bitten vnd gewarten. Dann
Gott hat klerlich vnd ohne vorbehalt oder bedingung vorheissen, das er diese
(15)güter aus gnaden geben wölle. Da wir aber leibliche vnd zeitliche güter bit-
ten, als narung, schutz, hülf in kranckheiten, in armut vnd dergleichen, da
soll der glaub in gemein darauf bleiben, das diese anruffung nicht vorgeblich
sey vnd das Gott einen gefallen daran habe. Gleichwol sol neben dieser an-
ruffung allzeit zugleich sein ein fursatz vnd willen, Gott zu gehorsamen245
(20)auch in widerwertigkeit vnd trübsal, so vns Gott je lennger darinnen üben
wolt. Dann man mus beides wissen, das Gott gewißlich die kirche auch in
diesem leben erhalten wil vnd will dennoch, das sie vnter dem creutz sey.
Daher pflegen die heyligen allerley leibliche güter von Gott gleichsam mit
dieser bedingung zu bitten, wie der aussetzige Math. 8: „Herr, so du wilt,
(25)kanstu mich wol reinigen.“246 Also spricht auch der könig Dauid 2. Sam. 15:
„Werd ich gnad || [259v:] finden vor dem herrn, so wird er mich wol wider
heimbringen. Spricht er aber also: ‚Jch hab nicht lust zu dihr‘, sie hie bin ich.
Er mache es mit mir, wie es im wolgefellet.“247 Diese bedingung, ob sie es
wol alles Gottes gnedigen willen heimstellet, ist es doch nicht ein zweifel.
(30)Auch ist ein solch gebet nicht vngewis noch vnfruchtbar. Denn gewislichen
Gott, wenn er auch vmb zeitliche gütter gebeten wirdt, gibet er dennoch all-
zeit vnter diesen dreyen eines: entweder errettung oder linderung oder inner-
lichen trost, das man die widerwertigkeit ertragen könne.
Notwendige erinnerung vom gebeth.
Was man von Gott bitten will, es sey geistlich oder leiblich, das mus also
gebeten werden, das allzeit der glaub im hertzen furleuchte, welcher sich an
die vorheischung der gnaden helt vnd festiglich trawet, das Gott vmb seines
(5)Sohnes willen vns gnedig sein vnd vns erhören woll. Wann gleich alle leib-
liche gütter von vns genommen werden vnd wir auch das zeittliche leben
vorlieren müssen, so soll doch der glaub von der gnad Gottes gegen vns vnd
die hoffnung der ewigen erlösung fest bleiben nach dem spruch Job: „Vnnd
ob er mich tödtet, so will ich dennoch auf in hoffen.“248 Jn leiblichen nöthen
(10) soll man Gott nicht zeit vnd weise furschreiben, wann vnd wie er helffen
solle.
Vmb welcher vrsach willen sol man das gebeth
fur vnd fur treiben vnd üben?
1. Dieweil man Gott die hogste ehr damit erzeiget, 2. damit wir vnnsere eige-
(15)ne vnd der kirchen wol- || [260r:] fart dadurch erlanngen mögen, 3. weil in der
anruffung die rechtschaffene erkentnis Gottes in sonderheit gesterckt vnndt
vormehret wird, 4. weil das gebet der hoheste trost eines christlichen hert-
zens ist, 5. weil der teufel durch das gebeth geschreckt vnd von vnns vor-
ringert249 wirdt, 6. weil hiedurch das rechte bekentnis geschicht, damit die
(20)kirche Gottes vnd derselben lebendige gliedmasse von allen andern secten
vnterschieden werden.
Wie heißen die wort des vaterunsers?
Vater vnser, der du bist im himel, geheiliget werde dein nahm, zukom dein
reich, dein will geschehe wie im himel also auch auf erden, vnser teglich
(25)brot gib vns heut vnd verlaß250 vns vnser schuldt, als wir vorlassen vnsern
schuldigern, vnd füre vns nicht in vorsuchung, sondern erlöse vns von dem
vbel. Denn dein ist das reich vnd die krafft vnd die herrligkeit in ewigkeit.
Amen.
Was ist fur ein ordnung im gebeth des vaterunsers?
Es sindt drey teil dis gebeths: der eingang, exordium, die erzelung der bitte,
narratio, vnd der beschlus, epilogus.
Was stehet im exordio oder eingang?
Jm eingang, darinnen diese wort sindt: „Vater vnser, der du bist im himel“,
wirdt der warhafte Gott von allen ertichten götzen vnterschieden vnd werden
die heidnischen gedancken der Epicurer vndt Stoicorum widerlegt. Dan die
(5)Epicurer leugneten, das in Gott ein ernster wille wehre, des menschlichen
geschlechts || [260v:] sich anzunehmen.251 Dagegen gaben die Stoici dieses
von Gott fur, das er weiter nicht helfen könte als die natürlichen mittel mitt-
brechten etc.252 Hierwider bekennen wir in diesem eingang beides, das Gott
wolle helffen, weil er vnser Vater ist, vnd das er konne helffen, weil er im
(10)himel ist.
Was stehet in der narration oder in erzelung der bitten?
Die ersten vier bitte bitten, was vns Gott fur gutes, geistlich vnd leiblich,
geben soll. Die folgenden drey bitte bitten, das Gott woll von vns hinweg
nehmen, was vns böse vnd schedlich ist.
(15)Was sindt den nuhn die geistlichen vnd leiblichen güter,
die vns Gott geben soll?
Jn schulen heist man die gaben Gottes, damit er etwas gutes vns mitteylet
„gratias positiuas“, die sindt zweyerley: nemlich geistliche vnd leibliche ga-
ben. Die geistlichen sindt diese drey: die heyligung des nahmens Gottes, das
(20)ist wahre erkentnis Gottes nach seinem heiligen wort; das reich Gottes, das
ist die regierung vnd trost des heiligen Geistes, der in vns das reich Gottes
anfahe vnd von tag zu tage vormehre; gehorsam nach dem willen Gottes in
vnnserm leben, beruf vnd in widerwertigkeit. Die leiblichen gaben werden
semptlich mit dem einigen nahmen des teglichen brodts angezeiget in der
(25)vierden bitte.
Was sind die vnglück vnd das böse, das Gott von vns wegknehmen soll?
Jn schulen nennet man diß gratias priuatiuas, || [261r:] nemlich solche woltha-
ten Gottes, dadurch er von vns abwendet, was vns böse vnd schedlich ist.
Solcher wolthaten sind auch dreyerley: 1. vergebung der sünden, 2. beschüt-
(30)zung wieder den teufel, welt vnd fleisch, 3. erlösung, das ist linderung oder
rettung in den straffen dieses lebens, vndt entlich die vollkommene erlösung
von dem gantzen reich der sünden vnd des todes.
Was stehet im beschlus des vaterunsers?
Jm beschlus werden erzelet die vrsachen, warumb vnd wozu Gott der herr
seine wolthaten vns erzeigen sol, die wir von im gebethen haben. Diese vrsa-
chen stehen in diesen worten: „Dein ist das reich vnd die kraft vnd die herr-
(5)ligkeit“, dauon hernach weiter sol gesaget werden. Hierauf folget das
„amen“, welches aus einem starcken glauben herfliessen vnd vns erinnern
sol, das wirs gewislich dafur halten sollen, das wir vmb des mittlers willen
erhöret sindt.
Erklere mir auch ein iedes wort in sonderheit im vaterunser. Vom eingang:
(10)„Vater vnser, der du bist im himel“.
Der nahmen „Vater“ sol allhier nicht allein von einer, das ist von der ersten
person der gottheit vorstanden werden, (n)x sonndern von dem gantzen gött-
lichen wesen.
Dann ware anruffung Gottes gehet zugleich auf alle
(15)drey personen, nemlich den Vater, Sohn vndt heili-
gen Geist. || [261v:] Es errinnert vns aber dieser leib-
liche nahmen des vaters, das wir in vnserem gebeth
die vorheissung Gottes betrachten vndt mit wahrem
|| [262r:] glauben im vortrawen sollen. Ja, es zeiget
(20)vns eben dieser nahmen an, was in Gott fur grosse
vnd hertzliche lieb vnd trewe gegen vns sey, weil ie
kein grösser lieb sein kan als vaters lieb, daruon der
103. psalm spricht: „Wie sich ein vater vber kinder
erbarmet, also erbarmet sich der herr vber die, so
(25)ihn fürchten.“258
Vnser.
(10)Mit diesem wort wirdt erstlich angezeiget, das ein ieder mit eigenem glauben
sich zu Gott als seinem lieben Vater alles gutes vorsehen soll. Zum anndern
geschicht auch hiermit erinnerung, das die christen als kinder eines vaters
sich brüderlich vntereinander lieben sollen vnd das einer fur den anndern zu
beten schuldig sey, weil das gebeth ein gemein gut der christlichen kirchen
(15)ist.
Der du bist im himel.
Diese beschreibung lehret vns von der allmechtigkeit Gottes. Denn dieses
muß man vngezweifelt vor gantz gewiß wissen, das Gott nicht allein wolle,
sondern konne vns auch helfen, vndt das er nicht ein Gott sey, der nichts
(20)nach vns frag oder an die natürlichen mittel angebunden sey.
Erinnerung von der außlegung der ersten vier bitten.
Die ersten vier bitten soll man vorstehen relatiue, das ist das man bitte, das
bey vns auch der nahm Gottes werd geheiliget, das sein reich auch zu vns
komme, das sein will auch bey vns geschehen mög vnd das auch wir erken-
(25)nen mögen, das leibliche narung vndt notdurfft Gottes gaben sindt. || [262v:]
Den ohne das muß vnd soll auch wol ohne vnsere bitte der nahmen Gottes
geheiligt werden, sein reich zukommen, sein will geschehen. So gibt auch
Gott wol ohne vnser bitt das tegliche brodt allen menschen, das aber wir sol-
ches alles zu vnser ewigen vnd zeitlichen wolfart teilhafftig werden vnd mit
(30)dancksagung gegen Gott geniessen mögen, hat vns Christus vmb vnsertwil-
len also bethen gelehret. Wann man bittet vmb heiligung des nahmens Got-
tes, vmb die zukunft seines reichs vnd vmb den gehorsam nach seinem wil-
len, soll man wissen, das man zugleich bitte wieder alles, was diesem zuwie-
der ist. Daher D. Lutherus zu sagen gepfleget: „Jch kan nicht beten, ich mus
zugleich fluchen, nemlich wieder alle verfelschung der einen lehr, wieder
das gantze reich des teufels, wieder vnsers fleisches eigenen willen“.261 etc.
So erklere mir nun ein jedes wort in der ersten bitte:
„Geheiliget werd dein nahm.“
(5)Der „nahm“ Gottes heist alles, was von Gott bekandt ist oder das er von sich
zu wissen vnd zu erkennen offenbaret hat; „heiligen“ heist etwas heilig hal-
ten, tewer, hoch vndt werdt achten. Es weist vns aber dieses wort in sonnder-
heit auf das heilige wort Gottes, welches vns lehret, wie Gott will erkant vnd
geehret sein. Das wortlein „dein“ erfordert ein sonderliches nachdencken,
(10)denn nicht vnser, sondern Gottes nahme soll geheiliget werden, das ist Got-
tes ehr soll nicht allein vnserm ruhm, sondern allen menschlichen dingen fur-
gezogen werden.
|| [263r:] Was ist den der vorstandt der gantzen ersten bitte?
Wir bitten in dieser bitt, das wir Gott recht erkennen mügen nach seinem hei-
(15)ligem worth, welches er vns selbst offenbaret hat laut des spruchs Christi:
„Vater, heilige sie in der warheit, dein wort ist die warheit.“262 Darnach bit-
ten wir auch, das Gott woll hinweg nehmen alles, damit sein nahmen vorun-
heiligt wirdt, als da ist vnwissenheit Gottes, verachtung Gottes, verfelschung
der lehr, irrthumb, abgötterey, gotteslesterung, secten, ergernis.
(20)Erklere mir die wort in der anndern bitte: „Dein reich komme“.
Das reich Gottes in diesem leben ist gerechtigkeit, fried vnd freud im heili-
gen Geist, zun Rom. 14.263 Das wort „zukommen“ fasset nicht allein den ers-
ten anfang, sondern auch die tegliche vernehuerung264 des reichs Gottes in
vns, bis endlich im zukünftigen leben alles vollendet werde.
(25)Was ist den der vorstandt dieser anndern bitte?
Wir bitten in der anndern bitte, das wir die krafft des worts Gottes in vns
entpfinden mögen, nemlich das der heilig Geist mit dem wort vns gegeben
werde, der vns regiere vnd tröste, bitten auch, das des sathans reich zustöret
werde vnd das wir entlich nach der allgemeinen aufferstehung der todten
(30)gentzlich in das ewige reich Gottes werden eingesetzt.
Erklere mir die wort der dritten bitte: „Dein wille geschehe
wie im himel also auch auf erden.“
|| [263v:] Der wille Gottes heist, was Gott wil vnd im gefallen lest. Das aber
himel vnd erden gegeneinander gehalten werden, damit wird vns das exem-
(5)pel der heiligen engel als ein schöner spiegel aller tugenden forgestellet. Den
die lieben engelein dienen Gott im himel mit hertzlicher frewde vndt sindt
keusche, demütige, warhafftige geister, in summa: sindt dem willen Gottes
oder dem göttlichen gesetz durchauß gleichförmig.
Was ist nhun der vorstandt der dritten bitte?
(10)Wir bitten in der dritten bitt, das Gott in vns anrichten woll seinen willen,
das wir nach seinem wolgefallen in vnnserem beruf vnd leben, auch im
creutz vnd wiederwertigkeit im rechtschaffenen gehorsam leisten mögen.
Daneben bitten wir, das Gott in allen stenden wölle verhindern alles thun
vndt furnehmen, das seinem göttlichen willen entgegen ist.
(15)Erkler mir etwas deütlicher, wie Gottes will geschehe?
Erstlich geschicht Gottes will in eines jedern beruf vnd stande, wenn ein je-
der trewlich ausrichtet, was ime in seinem beruf geziemet, nach dem spruch
S. Pauli: „Dieses wird erfodert an einem diener, das er trewe sey.“265 Zum
anndern geschicht Gottes wille in eines jedem leben, thun vnd lassen, wenn
(20)ein jeder sich befleissiget, das er gegen Gott gottselig, gegen sich selbst
züchtig, gegen dem nechsten gerecht vnd auffrichtig lebe laut des spruchs
Pauli: „Dazu ist erschienen die heilsame gnad Gottes allen menschen,“ etc.
„das wir züchtig, gerecht vnd gottselig leben in dieser weldt.“266 Zum dritten
geschicht Gottes wille, wann wir im || [264r:] gedüldig auch vnterm creutz
(25)außhalten nach dem spruch S. Petri: „Demütiget euch vnter die gewaltige
handt Gottes, das er euch erhöhe zu rechter zeit.“267
Erklere mir die vierde bitte: „Vnser teglich brot gib vns heut.“
Mit dem wordt oder nahmen des brotes wird alles angezeiget, was zu vnter-
haltung dieses leiblichen lebens gehöret, vnd mag man hier aus dem cat-
(30)echismo des erwirdigen herrn doctoris Lutherj widerholen die gantze erkle-
rung der frag, was da heiß teglich brot, da in sonnderheit etliche furnehm
stück erzelet werden, die man zu diesem leben nicht kan entraten.268 Das
aber solches alles mit dem nahmen „brodt“ genennet wirdt, dadurch werden
wir errinnert, das wir vns genügen sollen lassen, do wir nicht gar zum eüs-
sersten mangel leiden müssen, ob wir gleich nicht alles zum vberflus haben
(5)können. Das wörtlin „vnser“ wirdt darumb dazu gesetzt, das ein jeder an
dem seinigen sich soll genügen lassen, nicht nach frembden gütern streben.
Den Gott pfleget die leiblichen guter vngleicher weis außzuteilen, sintemal
er nicht einem jedem gibet soviel oder auf solche weis wie einem anndern.
Das aber dazu gesetzt wirdt, das wort „teglich“, „quotidianus“, damit wird
(10)angezeigt, das wir fur vnd fur von einem tag zum andern Gottes gaben be-
dürffen vnd ohn vnterlaß Gott darumb zu bitten schuldig sinndt. Das aber
auch das wörtlin „heüt“ dabey stehet, dadurch werden wir erinnert, das es ein
kurtz vnd vnbestendig dieng sey vmb das menschliche leben, werden auch
vormahnet, || [264v:] das wir vns an den gegenwertigen gaben Gottes gnügen
(15)sollen lassen vndt vmb zukünftige dieng, wie die heiden vnd gottlosen thuen,
nicht zuuiel sorgfeltig sein, sintemal es vngewies, ob wir den heutigen tag
noch vberleben vnd ob das zukünftige also oders anders geraten möge.
Was ist denn der gantze innhalt der vierten bitte?
Wir bitten hiermit, das vns Gott geben wolle narung, gesundheit, gedeyen
(20)vnserer arbeit, glückliche regierung, fried, fruchtbarkeit der erden, glück im
ehestand vnd in der kinderzucht vnd was zu erhaltung vnd fortgang vnsers
lebens vnd berufs ferner dienet. Darneben bitten wir, das vns Gott behütten
wolle vor dem schendlichen vndanck vnd mißbrauch der gaben Gottes, item
vor geitz, sorgfeltigkeit,269 vorsuchung vnd stricke des teufels, in welche die
(25)zu fallen pflegen, die da wollen reich werden, item das von vns mögen abge-
wendet werden hunger, pestilentz, krieg, vngewitter vnd allerley vnglück in
weltlichen regimenten vnd in haußstandt.
Erklere mir die fünfte bitte: „Vorgib vns vnser schuldt, als wir vorgeben
vnsern schüldigern“.
(30)„Die schuldt“ heissen alle sünden, damit wir Gott beleidigen vnd seinen ewi-
gen zorn vber vns ziehen. Denn gleichwie der, so einem andern etwas schul-
dig ist, nach ordnung der gesetz die bezalung zu thuen vorpflichtet ist, also
gehöret eigentlich auf die sünde der zorn Gottes vnd die vordamnis, wo diese
vorpflichtung zur straf nicht wird aufgehoben. || [265r:] Das aber dabey stehet
„vnser schuldt“, damit bekennen auch alle heyligen die gantze zeit ires le-
bens, das sie mit manchfeltigen sünden vnd gebrechen beladen sindt. Die
folgenden wort „als wir vorgeben vnserm schüldigern“ erinnern vns von der
(5)lieb des nechsten, damit man auch ander leut schwacheit zudecken, vnd da
wir von inen beleidiget sindt, solches inen vorzeihen vnd vorgeben sollen,
damit allenthalben fried vnd einigkeit möge gestifftet vnd erhalten werden.
Was ist denn der innhalt der fünften bitt?
Wir bekennen hiermit, das wir arme vnd schuldige sünder sindt, bitten aber
(10)vmb vorgebung der sünden, die vns aus gnaden vmb des mittlers willen ver-
sprochen ist, erinnern vns auch daneben, das wir schuldig sindt, vns teglich
zu Gott zu bekehren vnd vns brüderlich zu vorsunen mit vnserem negsten,
der vns beleydiget hat.
Jst vnser vorsünung mit dem nechsten eine vrsach oder verdienst, das vns
(15)Gott vnsere schuldt vergiebet?
Wenn vns Gott vmb vnnsers wercks willen vnnser schulden vergeben solte,
kont es nicht eine vergebung oder versonung heissen aus gnaden. Do auch
wir mit vnserer vorzeihung gegen dem nechsten die vorgebung vnnserer sün-
den bey Gott erlangen solten, würden wir stets vnngewiß sein, ob wir auch
(20)zu grund aus mit Gott versünet wehren, sintemal auch in denen, so bekehret
sindt vnd dem haß vnd groll zu steuern sich bevleissigen. Dennoch allzeit
eine schwacheit hinderstellig bleibet, das man es || [265v:] nicht gar aus dem
hertzen vorgeben vnd vorgessen kan.
Erklere mir die wort der sechsten bitte: „Füre vnns nicht in vorsuchung“.
(25)Vorsuchung heist allerley anreitzung, anfechtung oder antreibung, damit vn-
ser fleisch, welt vnd teufel vns zu solchen diengen treibet, die wieder Gott
sindt vnd zu ewigem vorderben vns gerathen. Das wort „einfüren“ aber heist
nach hebraischer sprachen art so viel als „verhengen solche einfürung vnd
abfall.“ Dann eben dis bitten wir von Gott, das er je nicht zu weit vber vns
(30)vorhengen wolle oder vns in anfechtung sincken lasse, vndt gehören hieher
die zwo regeln, so in hebraischer sprach gebreuchlich seindt: Die erste ist,
das viel hebraische wort non effectiue, sed permissiue zu vorstehen sein, das
ist das man nicht meine, als wircke oder thue Gott das böse in vns, so ers
verhenget vnd geschehen lest. Die annder regel ist, das nach art der hebra -
(35)ischen sprach offtmals die wort cum effectu oder completiue zu vorstehen
sein, das ist nicht allein von einem anfang eines dienges, sondern von vollen-
dung, es sey nhun zum guten oder zum bösen. Also wurde nhun auch hie
dieser verstandt sein, das vns Gott nicht in vorsuchung fure, das ist das er
vns je nicht also in vorsuchung oder anfechtung wolt kommen lassen, das
wir gentzlich stecken bleiben vnd gar miteinander darinnen verderben müs-
ten.
So faße mir nun den rechten innhalt vnd verstand
(5)dieser bitte zusammen.
|| [266r:] Wir bitten eigentlich hiemit, das vns Gott je nicht woll vorderben las-
sen durch fleischliche gedancken vnd böse zuneigungen vnserer vorderbten
natur oder durch hinderlist des teufels oder auch durch vorheissung oder
bedrawung der welt, sondern das er vns in diesem allen den sieg geben wolte
(10)wieder vnser fleisch, den teufel vnd die welt durch vnnsern herrn Jesum
Christum.
Erklere mir die wort der siebenden bitt: „Erlöse vns von dem vbel“.
Das wort „vbel“ heist fürnemlich hie „malum poenae“, das ist allerley vn-
glück vnd straffen, gemein vnd in sonnderheit, zeitlich vnd ewig, wie es im-
(15)mer nahmen haben mög. Die erlösung begreift beides, die linderung vnd ret-
tung von der kegenwertigen straffen vnd die endliche vnd vollkomliche
erlösung.
Was ist den der vorstandt dieser bitt?
Wir bitten, das vns Gott nicht in seinem grim straffen wolle, damit wir nicht
(20)gar von dem fewer seines zorns vorzeret werden, sondern das er in wieder-
wertigkeit vns linderung gebe, erzeig seine gegenwertigkeit in abwendung
der grossen gefhar, vorleih vns ein seliges stundlin, aus diesem jammertal
abzuscheiden in die ewige ruhe270 vnd vaterlandt.
Erklere mir nuhn auch die wort des beschluß: „Denn dein ist das reich, dein
(25)ist die kraft, dein ist die herrligkeit.“
Da wir das reich nennen, erkennen wir Gott fur vnseren konig vnd vns fur
seine vnderthanen, welcher er sich billich annehmen sol. Da wir aber von der
kraft oder gewalt sagen, erinnern wir vns vnser grossen schwacheit vnd dürf-
tigkeit vnd schreiben Gott allein zu, das er vns mechtiglich helffen vnd
(30)rheten konne. || [266v:] Das wir aber auch am ende der ehr vnd herrligkeit
Gottes gedencken, dadurch werden wir erinnert, das dieses das ende vndt die
frucht sey, so hernach folget, wenn Gott den seinen hilft, nemlich das diesel-
ben ihn mit ihrer bekentnüs vnd dancksagung nach entpfangener hülffe prei-
-
sen vnd dagegen alle teufel vnd gottlose lesterer daruber zu schanden mus -
sen gemacht werden.
Faße mir nuhn den inhalt des beschlußes zusammen.
Es gehet dieser beschlus fürnemlich dahin, das Gott ein mitleiden vnd erbar-
(5)mung mit vns zu haben vnd vns zu erhören beweget werde. Darumb diese
vrsachen beysammen stehen ab honesto, a facili vnd a causa finali, nemlich
das Gott dem herrn solches gebüre vnd das es im gar leicht sey, auch zu sei-
nen ehren entlich gereichen werde. Denn soviel ist es gesaget: Ach Gott, ver-
laß vns nicht, gieb vns, was wir gebeten haben. Denn du bist vnser könig,
(10)wir sindt dein elend volck. Du bist allein starck vndt mechtig, wir sind
schwach vnd dürfftig, vmb deine ehre ist es gantz zu thuen, damit nicht die
heiden sagen: „Wo ist nhun ir Gott?“271 Wir wollen dir von hertzen vor deine
gaben dancken vnd deinen rhum vorkündigen immer fur vnd fur.
Warumb wirdt am ende das „amen“ zugesetzt?
(15)Es ist dieses wort aus hebraischer sprach genommen, heist souiel als „ja“
vnd „gewis sein.“ Derwegen wirdt hiemit aller zweifel ausgeschlossen, ob
Gott vnser gebeth vnd seuftzen erhören wolle, vnd ist dieses wort gleichsam
das rechte petschaft,272 darmit wir vnser gebeth vorsiegeln vnd offentlich
bezeugen, das wir mit festem glauben vnd hoffnung vns allein auf Gott las-
(20)sen vnd vngezweifelt alles, was vns gut vnd nutzlich ist, von ime gewarten
laut der vorheissung, welche Christus mit einem eide beweret hat: „Warlich,
warlich, so ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem nahmen, das wirdt
er euch geben.“273
(25) || [267r:] Das vierde theil dieses catechismusbüchleins. Von der
christlichen bus vnd absolution.
Was ist die christliche buß oder poenitentia?
Die christliche buß oder poenitentia heißet die gantze bekehrung zu Gott,
welche ist in erkentnis des zorns Gottes wieder die sünde warhaftiglich er-
(30)schrecken vnd im lassen leidt sein, das man wieder Gott gesündiget habe,
aber doch mit wahrem glauben sich widerumb aufrichten vnd vorgebung der
sünden entpfahen mit rechtem vortrawen vf den Sohn Gottes, auch in sol-
chem glauben einen newen gehorsam anfahen.
Welche stuck fasset die bekehrung oder christliche
buß in sich?Diese drey stück gehören eigentlich zur christlichen
bus: rew vnd leidt, glaub vnd newer gehorsam. (o)
|| [267v:] Was heißet rew vnd leidt?
(15)Rew vnd leidt (contritio) ist warhaftig erschrecken fur Gottes zorn wieder
die sünde vnd im lassen leidt sein, das man wieder Gott gesündiget hab.
Was ist der glaub?
Glaube, fides, heist nicht allein die gantze lehr, so von Gott offenbaret ist,
fur war halten vnd annehmen, sondern sich in sonderheit zur vorheissung der
(20)gnaden halten vnd auf die barmherzigkeit Gottes, so er vnns darinnen zuge-
saget hat, vortrawen, dadurch dann das hertz vmb des mittlers willen vnd
durch in aus der hellen angst erlediget wirdt, vnd kan widerumb zu Gott
kommen vnd in anruffen vnd sprechen: „Abba, lieber Vater“277 vnd hat also
durch diesen trost freud in Gott durch den Sohn, welcher zugleich den heili-
(25)gen Geist in die hertzen der gleubigen ausgeust.
Was ist newer gehorsam?
Newer gehorsam, auffs allereigentlichste zu reden, ist, wie es S. Paulus
selbst beschreibet, eine gute ritterschafft üben, glauben vnd gut gewissen
erhalten.278
Jst die predigt der buß aus der lehre des gesetzes oder euangelij?
„Die buß, so allein aus dem gesetz kompt, ist nur ein halbe bus“, spricht herr
Lutherus.279 Denn wo nicht rechte erklerung aus der predigt des euangelij
dazu kommet, ist die bus, so allein nach dem gesetz geprediget wirdt, nicht
(5)eine warhaffte noch volkommene bekehrung zu Gott. Dagegen aber ist es
recht gesaget, das die predigt der buß zum euangelio vnd darein gehöre.
Dann allein das euangelium weiset ördentlich alle stücke einer warhafften
christlichen bus vnd lehret, was eines jeden stucks rechte eigenschafft sein
soll.
(10) || [268r:] Wie wirdt dann die bus recht geprediget nach
erklerung des euangelij?
Jm gesetz Gottes werden alle sünde beschüldiget vnd angeklaget, die den
zehen geboten des gesetzes zuwieder sindt. Derwegen man allezeit die bus-
predigten von dem gesetz anfahen sol. Aber die rew vnd schmertzen, so al-
(15)lein aus dem gesetz kommen, richten nicht mehr denn eine vnbusfertige
knechtische furcht an im hertzen, da man sich zu Gott als zu einem zornigen
richter noch nichts gutes versehen kan. Derwegen, das diese rew vnd leid
nicht zum vorderben vnd zur vorzweifelung gereiche, sonndern eine bußfer-
tige kindtliche furcht im hertzen entstehe, ist vonnöthen, das die predigt des
(20)gesetzes, welche on einigen widerruf stracks alle menschen vordammet vnd
vorfluchet, wiederumb durch das euangelium gehindert vnd zum trost ge-
wendet werde, welches den armen sündern zugleich auch die gnad vorkündi-
get vnd lehret, das Gott eben darumb alle menschen vnter die sunde be-
schliesse, auf das er sich vber alle erbarme.280
(25)Hieraus ist zu sehen, mit was vnterscheidt das ge-
setz vndt das euangelium vom ersten teil der bus
predige. Souiel aber das ander teil anlangt, welches
das heuptstück ist in der bekehrung, muß man ie
bekennen, das von dem glauben das gesetz nichts
(30)lehren kan ohne vnd außer der offenbarung des eu-
angelij. Denn das gesetz weis dem mittler Christo,
welchen der glaub ergreift, gantz vnd gar nichts, wo
nicht aus dem euangelio zuuor die vorheissung von
Christo, dem mittler bekant ist.
Derwegen auch das gesetz diese allergröste, höchste
vnd schwerste sünde von vnd fur sich selbst nicht
ancklaget noch beschuldiget, nemlich den Sohn
Gottes nicht erkennen, ahn ihn nicht gleuben, den-
(5)selben verachten vnd in vorzweifelung steckend
bleiben. (p)
Es wird aber diese sünde eigentlich vnd allein durch das euangelium von
glauben an Christo geoffenbaret.
(15) || [268v:] Zum letzten, souiel das dritte teil der buß betriefft, ist das gesetz
auch in den bekerten die regel vnd richtschnur des newen gehorsams vnd
zeiget an, was Gott fur gute werck von inen erfodere, aber allein im euange-
lio wird geweiset, wie solche gute wercke angefangen werden vnd gesche-
hen konnen in so grosser schwacheit vnser vorderbten natur vnd in so großer
(20)gefahr, so wir in vnserm beruf vndt ganzem leben vom teufel vnd der welt
gewarten müssen. Hieruber weißet vns auch allein das euangelium, wie sol-
cher angefangene gehorsam Gott wollgefellt vnd die angefangene tugenden
in vns warhaffte gottesdienste werden, so doch allzeit in den heiligen hinn-
derstellige sünde bleiben vnd alle tugenden || [269r:] in diesem leben vnuol-
(25)kommen vnd schwach sein vnd dem gesetz Gottes, welches eine volkom-
mene gleichformigkeit mit Gott erfodert, fur sich selbst nicht gnugthuen
mögen.
Was ist fur vnterschiedt zwischen der knechtischen
vnd kindtlichen furcht?289
Knechtische furcht, timor seruilis, ist, wenn man von Gott fleuchet vndt wie-
der in murret vnd gantz keinen glauben vnd gutes vortrawen zu Gott hat.
(5)Eine solche knechtische, vnbusfertige furcht ist diese rew vnd leidt, so in
Cain, Saul vndt Juda gesehen wirdt.290 Kindtliche furcht Gottes, timor filia-
lis, heisset warhafftig sich schewen vnd erschrecken vor Gottes zorn vnd vor
der göttlichen straf, aber doch also, das man in solcher rew vnd leidt mit
wahrem glauben vnd trost sich aufrichtet vndt widerumb zu Gott kompt vnd
(10)von im bittet vnd entpfehet vorgebung der sünden. Eine solche kindtliche,
bußfertige furcht ist in der rew vndt leidt, so an Petro291 vnd allen heiligen
Gottes in irem gantzem leben gesehen wirdt, vnd ist diese furcht ein Gott
wollgefelliges werck vnd gottesdienst nach dem spruch des Psalms: „Die op-
fer, die Gott gefallen, sindt ein geengster geist. Ein geengstes vnd zerschla-
(15)gen hertz wirstu, Gott, nicht verachten.“292
Was heist ein gottesdienst?
Gottesdienst, cultus Dei, heist ein solch werck, das von Gott befholen ist vnd
geschiehet im glauben, das ist in warhaffter erkentnüs vnd vortrawen des
mittlers Christj. Geschiehet auch zu dem ende oder derhalben, das man Gott
(20)dadurch ehre, das ist das man dadurch bezeuge, das wir diesen fur den war-
haften Gott halten, welchen wir also ehren, vndt das er selbst wolle also von v
ns geehret sein.
|| [269v:] Was haben die papisten fur eine lehr von der buse?
Sie erzelen diese drey stück: rew vnd leidt im hertzen, contritio cordis, die
(25)beicht mit dem munde, confesssio oris, vnd die gnugthuung mit dem werck,
satisfactio operis.293 Sie lassen aber das fürnembste stück der christlichen
bus gar aussen, nemlich den glauben, vnd haben schreckliche irrthumb von
den dreyen stücken der buß, die sie erzelen, wie anderswo weitleüfftig ge-
handelt wirdt.
Sag mir doch die furnembsten irrthumb, welche in der bepstlichen lehre sein
von der poenitentia oder buß, dieweil vmb dieses artickels willen sich der
erste anfang begeben, das der erwirdige herr D. Luther sich wieder das
bapstumb geleget hat.
(5)Von der contrition, das ist von rew vnd leid vber die sünde, haben sie diese
zwen große irrthumb, das sie sagen, man mus gnugsame rew vnd leidt ha-
ben, item das dieselbige gnugsame rew vnd leidt vordiene vergebung der
sünden. Von der confeßion oder beicht streiten die papisten hefftig, das nötig
sey, alle sünde vnd furnemlich die heimlichen sünde dem priester in der
(10)beicht zu erzelen, setzen noch dazu diese drey offentliche vnwarheit: 1. das
man durch diese erzelung vordiene vorgebung der sünden als durch ein sol-
ches werck, dadurch wir vnns selbst wegen der begangenen sünden besche-
men müssen, 2. das man diese erzelung darumb vor notig halten müsse, auf
das der priester die satisfaction oder buß vnd gnugthuung vor die begangene
(15)sünde könn auflegen, 3. das diese erzelung von Gott geboten sey vnd das oh-
ne dieselbe kein absolution oder vorgebung geschehen konne. Von der satis-
faction oder gnugthuung haben die papisten || [270r:] sehr viel vngehewre lü-
gen vnd abgötterey dem armen volck furgebildet. Denn ob sie wol fürgeben,
das die sünde vmb der gnugsamen rew vnd beicht willen vorgeben werde,
(20)jedoch dichten sie, das hiermit noch nicht gemeinet sey die ewige straffe.
Denn dieselbe werd nicht alsbaldt vorgeben mit der sünden, sondern werde
den büssenden vorwandelt in zeittliche straf vnd diese straf konne als dan
zum teil durch gewalt der schlüssel vorgeben werden, zum teil aber müße
man dafur durch eigene werck genugthuen.
(25)Was sind es dann vor werck gewesen, die man satisfaction oder
genugthuung genennet hat?
Alhier haben sie fünferley vnterschied gemacht: Erstlich waren es wergk, die
Gott in seinem gesetz nicht geboten hatte, sondern welche den leuthen vfge-
legt wurden ausser Gottes wort, als wolfarten,294 vnterscheidt der speise,
(30)soviel rosenkrantz beten vnd dergleichen. Zum anndern musten sich etliche
in die brüderschafften einkeuffen, damit sie teilhafftig wurden aller guten
werck, welche die mönche zum vberflus nicht allein vor sich, sondern auch
fur andere thaten. Daher viel keiser vnd könige sich in münchskappen haben
begraben lassen. Zum dritten waren die indulgentien oder ablaß, welche
(35)nichts anders gewest sein denn nachlaßung der satisfaction. Daraus hat der
bapst zu Rom hernach einen jarmarckt gemacht. Denn er solche indulgentien
vorkauffte vnd gab fur, das er macht hette die vordienste der vorstorbenen
heiligen hiemit den lebendigen auszuteilen. Zum vierden schreckten sie die
leuth mit dem fegfewer, welches sie doch selbst sagten, das es nicht ein ewi-
-
ges feuer oder verdamnis wehre, sondern || [270v:] nur so lange werete, bis
man vollend die sünde büssete, so in diesem leben nicht gnugsam versünet
oder bezalt wehren. Zum fünften weißen sie die leuth vf vigilien vnd seel-
messen. Dadurch, sagten sie, konte man den seelen aus dem fegfewer hel-
(5)ffen.
Behelt man dann auch die gewonheit in vnseren kirchen, dem kirchendiener
zu beichten, vnd auß was vrsachen geschiehet solchs?
Es wollen vnnsere kirchen keinesweges hiemit bestetigen die bepstischen
irrthumb von der ohrenbeicht, dauon zuuor gesaget ist, sondern behalten die
(10)confeßion nuhr als eine solche caeremonien, darinnen ein jeder in gemein fur
seinem beichtvater sich schüldig giebet, das er sich fur einen armen sünder
warhafftig erkenne, welches dann darzu dienet, das dadurch die priuatabso-
lution erhalten werde.
Auch dienet solches besonder gesprech zu guter
(15)zucht, nemlich das die einfeltigen in sonderheit vor-
höret vndt vnterweiset werden vnd also erforschung
geschehen möge, ob sie auch die notwendige lehr
der kirchen Gottes recht vorstehen. (q)
Was ist die priuatabsolution?
(30)Die besondere oder priuatabsolution ist, im predigampt einem, der da trost
bedarf, in sonderheit vorkündigen vnd appliciren oder zueigenen vorgebung
der sünden auf den nahmen, krafft vnd befhel des herrn Christi, vnd ist diese
absolution ein zeugnis, das die predigt des euangelij nicht allein vielen in
gemein, sondern auch einem jeden in sonderheit, der sich zu Gott bekehret
vnd trost suchet, vorgebung der sünden vortrage vnd applicire nach dem
spruche: „Welchen ir die sünde vorgebet, dem sindt sie vorgeben“,
Johan. 20.298
(5)Jst denn die erzehlung der sünden aller oder ettlicher bey den kirchendienern
vonnöthen oder kan ohne dieselben die absolution nicht krefftig sein?
Die erzelung der sünde in der beicht kan nicht für nötig gehalten noch den
leuthen aufgedrungen werden, erstlich weil kein göttlich geboth hieuon ge-
geben ist, nachmals weil auch alle sünde zu erzelen vnmöglig ist, wie Dauid
(10)spricht: „Wer kan mercken, wie oft er fehlet?“299 Das aber die papisten fur-
werffen, es könne der priester nicht von sünden ledig sprechen, es sey denn
die verhör aller sünden forhergangen, gleichwie ein richter nicht vrteil spre-
chen kan, er hab denn verhör gehalten, darauf ist dieses die antwort, das der
priester oder kirchendiener in den heimlichen sünden nicht ist als richter,
(15)sondern als der diener Jesu Christi den befhel hat, diese menschen, die sich
zu Gott bekehren vnd trost suchen, ledig zu sprechen. Was aber von den
kirchengerichten zu sagen ist in offentlichen vnd bekanten sünden vnd von
der öffentlichen absolution, dauon geschiehet anderswo erinnerung.
|| [271v:] Jst es recht gelehret von den papisten, das die ewige straf nicht
(20)zugleich mit der sünde vorgeben werde, sooft man vorgebung der sünden
spricht den bekerten?
Es ist vnnrecht gelehret. Denn die gnedige vorgebung der sünden ist zugleich
auch die vorgebung der ewigen straf nach dem spruch Esaiae 45: „Jch, ich
tilge deine vbertretung vmb meinetwillen vnd will deine sünden nicht mehr
(25)gedencken“,300 vnd Esaiae am 1.: „Wenn ewere sunde gleich blutend ist, soll
sie doch schneeweis werden vnd wann sie gleich ist wie rosinfarbe, soll sie
doch wie wolle werden.“301
Werden auch alle zeitliche straffen in diesem leben mit der vorgebung der
sünden aufgehoben?
(30)Nein. Denn Adam, Dauid vnd andere heyligen haben gewißlich vorgebung
der sünden gehabt. Gleichwol bleiben sie in diesem leben noch allerley zeit-
lichen straffen vnterworffen. Aber solche straffen sindt noch keinesweges
bezahlung oder gnugthuung vor die ewige straffe, wie die mönche getichtet
haben, sondern haben gar viel andere vrsachen, welche zur errinnerung vnd
trost allen menschen bekant sein sollen.
Was sindt denn die vrsachen, darumb die kirche Gottes vnd auch die, so zu
Gott warhafftig bekehret sindt, dennoch vnter das creutz geleget werden?
(5)Die erste vrsach ist die erbsünde, damit menschliche natur verderbet ist, wel-
che die welt weder kennet noch achtet, derwegen Gott in seiner kirchen sei-
nen zorn wieder solche vorderbung sehen lest, das wir so viel desto mehr die
sünde erkennen vnd seinem gerechten gericht vns vnterwerffen. || [272r:] Die
ander vrsach ist der teufel wüten, die wieder die kirchen grimmiger sind den
(10)wieder andere völcker vnd gottlosen. Die dritte vrsach ist, das vnter dem
creutz wachse vnd zunehme rechtschaffene bekehrung zu Gott, glauben, an-
ruffung vnd die gantze innerliche vnd geistliche vorneuerung nach dem
spruch: „Es ist mir gut herr, das du mich gedemutiget hast.“302 Die vierte
vrsach ist, das in der kirchen Gottes auch die heyligen offt schwerlich fallen.
(15)Solche felle vnd wirckliche sünden straffet Gott vmb seiner gerechtigkeit
willen vnd andern zum exempel vnd abschew, auch das viel durch solche
straf zur bus gefordert werden. Die fünfte vrsach, das der heyligen leiden ein
zeugnis sey von dem künfftigen gericht. Die sechste vrsach ist, das leiden
vnd wiederwertigkeit auch ein zeugnis sey von der lehre, nemlich das die
(20)heiligen vngezweifelt diese lehr vor war halten vndt nicht vmb ires genießes
willen der rechtschaffen lehr anhenngig sein. Die siebend vrsach ist, das wir
dem ebenbilde Christi gleichformig werden. Die acht vrsache, das man im
creutz vnd wiederwertigkeit, darinnen allein Gott helffen muß, erkenne, das
Gott warhafftig in seiner kirchen gegenwertig sey.
(25)Wie pfleget man allerley leiden, so in der kirchen Gottes bekandt ist, mit
nahmen zu vnterschieden?
Es seindt viererley vnterschiedt: 1. etliches leiden ist ein straf der sünden, als
da Dauid von seinem vngeratenen sohn Absalon voriaget wirdt,303 2. ett-
liches ist ein probierung vndt vbung der || [272v:] gottseligkeit, als da der
(30)fromme Joseph vnuorschulter sachen in kercker geworffen wirdt,304 3. etli-
ches geschiehet zum zeugnis von der lehr vnd ewigem leben, als der todt
Johannis des teuffers,305 des apostels Pauli306 vnndt aller merterer, 4. ist ein
sönderliches leiden, nemlich der gantze gehorsam des Sohns Gottes. Dieses
ist allein die bezalung vnd vorsünung fur der welt sünde.307
Mit was vrsachen kan man trösten die vnter dem creütz sindt?
Diese zehen stucke sindt die fürnembsten quellen, darauß man allen trost
schöpfen mus: 1. das es Gottes befhel ist, ime vnter dem creutz gedult zu
leisten, 2. das es eine sonderliche herrligkeit vnd ehre ist, vmb des leidens
(5)willen nicht von Gott abfallen, 3. das oftmals einer vnschuldig leiden muß
vnd er in seinem gewissen befindet, das er solches leiden im nicht mutwillig
hab zugezogen, 4. das er einen gnedigen Gott hab, der ime seine sünde vor-
geben hat, 5. das Gott vorheischet, er woll in widerwertigkeit gegenwertig
bey vns sein vnd vns helffen, 6. das wir hoffnung haben der entlichen erlö-
(10)sung vnd ewigen seligkeit, 7. das wir die exempel des Sohnes Gottes vnd der
furnembsten heiligen fur vns sehen, die stets vnter dem leiden gewesen
sinndt, 8. das es Gott mit vns gut meinet, wenn er vns züchtiget, weil er sol-
ches thut, nicht das wir vorderben sollen, sondern das in vns die wahre gott-
seligkeit vnd alle christliche tugenden wachsen mögen, 9. das wir gegenei-
(15)nander halten, wie wir fur Gott wol grössere straf vorschuldet || [273r:] hetten
vndt das Gott gleichwol die straf vns gnediglich linndere vmb des mittlers
Christi willen, damit die kirche Gottes nicht gar vmbkomme vnd vorderbe,
10. das wir vnns nuhr soviel desto mehr sehenen sollen vnd grösser vorlann-
gen tragen nach der entlichen erlösung von aller sünd vnd vnnglick vnd nach
(20)der seligen beywonung mit Gott im ewigen leben.
Werden aber nicht die vordieneten straffen auch gelindert bey dehnen, so
sich zu Gott bekehren?
Das die bekerten oftmals von einem vorstehenden vnglück gar miteinander
errettet oder das je die zuuor verdinten straffen inen gelinderet werden, be-
(25)zeuget das exempel der Niniuiten308 vnd der spruch Christi: „So ihr euch
nicht bessert, werdet ir alle also vmbkomen.“309 Die fürnembste vrsach aber,
darumb die zeittlichen straffen den bekerten gelindert werden, ist diese, das
der Sohn Gottes fur vnd fur ist der schirm vnd schatten seiner kirchen. Dar-
neben ist gleichwol auch dieses wahr, das auch in den bekerten die guten
(30)werck in diesem leben ihre belohnung haben.
Das fünfte vndt letzte theil dieses catechismus büchlins. Von den
heyligen sacramenten.
Was nennet man sacrament in christlicher kirchen?
Diese rede ist in der kirchen gewönlich, das man sacrament im newen tes-
(5)tament nennet solche caeremonien oder gebreuch, die der herr Christus
selbst verordnet vnd an die || [273v:] gnadenvorheißung des euangelij ange-
henget hat, das sie ein gewisses zeugnis, pfand vnd vorsicherung sein sollen,
das die vorheissung der gnaden diesen menschen gegeben vnd appliciret
werde, welche diese außerliche zeichen recht gebrauchen.
(10)Warumb sindt die sacrament eingesetzt vnd verordnet?
Es sinndt zwo furnehme heuptursachen, darumb Gott eußerliche zeichen zu
der vorheissung der gnaden angehenget hat: Die erste vrsach ist, das sie zei-
chen des gnedigen willens Gottes gegen vnns sindt, das ist das sie vns als
göttliche zeugnis erinnern sollen von der vorheissung vnd dieselb einem je-
(15)den insonderheit appliciren vnd zueigenen. Die annder vrsach ist, das sie
sein zeichen der öffentlichen bekentnis vnd die kirchen Gottes von allen an-
dern volckern vnterscheiden. Hiezu kommen nachmals auch anndere viel
vrsachen, dauon anderswo weiter gehandelt wird.
Wieuiel sindt sacrament im newen testament?
(20)S. Augustinus zehlet nicht mehr als diese zwey, nemlich die tauf vnd das
abentmal des herren.310 Jm bapstum hat man sieben sacrament gezelet, wel-
ches weder zeugnis der schrifft noch anndere genugsame vrsachen hat, als
nemlich die tauf, die firmung, das abendmal, die buß, die letzte ölung, die
ordination vnd den ehestandt.
|| [274r:] Was ist fur vnterschiedt zwischen den sacramenten vndt opfern?
Die sacrament sindt caeremonien, also geordnet, das Gott dadurch vns vber-
gibet vnd zueignet seine vorheissung, die ehr im euangelio hat furgestellet.
Dagegen sindt die opfer, sacrificia, solche werck, darinnen wir Gott vnseren
(5)dienst, gehorsam vnd ehrerbietung erzeigen.
Wie mancherley sindt die Opfer?
Es sindt zweyerley opfer, erstlich ist ein versühnopfer, das die bezalung fur
die sünd ist vnd fur die sünde gnugthuet, sacrificium propiciatorium genen-
net. Ein solch versühnopfer ist allein das leiden vnd gehorsam Christi, da-
(10)durch den menschen vorgebung der sünden vnd der ewigen straf erworben
ist. Zum anndern sindt danckopfer, sacrificia eucharistia, als da sindt allerley
gute werck, so von den heyligen im glauben geschehen, damit man aber
nicht vorgebung der sünden vordienet noch vordienen kan. Hieher gehoren
auch die opfer im gesetz Mosi, die man typica sacrificia, das ist vorbilder
(15)vnd deutopffer nennet. Den dadurch erzeigten die, so im glauben solche op-
fer theten, auch ire bekentnus vnd dancksagung gegen Gott.
Was ist die tauffe?
(20)Die tauf ist die ordnung, von dem Sohn Gottes ein-
gesetzt, das man den menschen in das wasser tau-
chen oder mit wasser begiessen soll vnd zugleich
diese wort sprechen: „Jch tauffe dich in nahmen des
Vaters vnd des || [274v:] Sohnes vnd des heiligen
(25)Geistes.“ (r) Dadurch offentlich bezeuget wird, das
dieser getauffte mensch mit Gott vorsünet vnd zu
gnaden angenommen werde vmb des herrn Christi
willen vnd das er geheiliget werde mit dem heiligen
Geist zum ewigen leben vnd das der getauffte
(30)mensch hinnwiderumb vorpflichtet werde, diesen
einigen vnd warhafften Gott zu erkennen vnd zu
preysen.
|| [275v:] Wo stehet der befhel Christi von der tauf?
Math. am letzten cap.: „Gehet hin in alle weldt, lehret alle heiden vnd tauffet
sie im nahmen des Vaters vnd des Sohns vnd des heiligen Geistes.“316
(30)Wo stehet die vorheissung von der tauf?
Marci am letzten: „Wer da gleubet vnd getaufft wird, der wirdt selig, wer
aber nicht gleubet, der wirdt vordammet.“317
Wie sollen die christen irer tauf recht gebrauchen in irem gantzem leben?
Fürnemlich sollen sie in irem gantzem leben vnd in aller bekehrung zu Gott
(35)dieses hohe zeugnis betrachten, das sie durch dieses zeichen einmal vorsi-
chert sein, das sie angenommen sind zw gnaden von dem warhafften Gott,
welcher ist der ewige Vater, Sohn vnd heiliger Geist, vnd das sie vmb des
Sohnes willen mit Gott vorsünet sein vndt mit dem heiligen Geist geheiliget.
Hieruber sind noch andere zeugnis in der tauf zu betrachten. Dann der da
getaufft ist, wirdt von der kirchen Gottes angenommen als derselben glied-
mas. Es bezeuget auch, der so getauft wird, sein bekentnis vnd sondert sich
(5)ab von allen secten, wird auch erinnert in seinem gantzem leben, das weil er
durch dieses gnadenzeichen mit dem blut des Sohnes Gottes vnd mit dem
heyligen Geist von sünden gereiniget ist, er hinnfurt vorpflicht sey, in einem
newen leben zu wandeln, wirdt auch dieses erinnert, das er in allerley trübsal
eingetauchet vnd doch gewislichen daraus wiederumb soll errettet werden.318
(10)Soll man die kleinen kindlin auch teuffen?
Antwort: Man soll die kleinen kindlin tauffen. || [276r:] Dann das ist gantz
gewiß, das die vorheißung der göttlichen gnaden, heiligen Geistes vnd selig-
keit auch den kleinen kindlin gehöret, wie der herr spricht: „solcher ist das
himmelreich“, Marc. 10,319 item „Es ist nicht des Vaters wille, das eines von
(15)diessen kindlin verlohren werde, die ahn mich gleuben“, Math. 18.320 Nhun
ist es gewiß, das dieses allein geredt ist von diesen kindlin, die der kirchen
inngeleibet vnd zum herrn Christo gebracht sindt. Denn ausser der kirchen
ist nicht seligkeit.321 Daraus folget, das man die kindlin tauffen vnd also zum
herrn Christo bringen vnd sie gliedmaß der kirchen machen soll.
(20)Vom heyligen abendmal des herren.
Welches sind die fürnembsten nahmen, damit dieses sacrament
genennet wird?
Erstlich wird es das „abendtmal“ des herrn genant, 1. Cor. 11. Zum anndern
wirdt es „sacra synaxis“, das ist eine heilige vorsamlung genent bey den al-
(25)ten vetern. Zum dritten heist es „eucharistia“ von der dancksagung, die man
im brauch dieses sacraments thun soll gegen Gott vndt vnserem herren Jesu
Christo. Zum vierten hat man es auch genant „liturgia“, welches souiel ist als
ein offentlicher vnd gemeiner kirchendienst. Zum fünften wird es genennet
„agape“ als ein zeugnis der lieb, weil man bey dem abendtmal vorzeiten
(30)auch pflegte, allmosen || [276v:] außzutheilen. Dann die es im vormügen hat-
ten, brachten mit sich zur gemeinschafft des abendtmals brodt vnd anndere
speise, welches vnder die armen wurde außgeteilet. Zum sechsten: Die römi-
sche kirche hat den nahmen „missa“ oder „messe“ gebraucht, welches wort,
ob es aus der hebreischen sprach genommen oder ein lateinisch wort sey, ist
(35)vngewiß. Man pfleget aber mit diesem nahmen gewönlich nicht allein das
abendtmal des herren, sondern das gantze ampt zu nennen, nemlich alles,
was in der offentlichen versamlung gehandelt wirdt, als die gesenge, die pre-
digt, die austeilung des abendtmals, das gemein gebet vnd dancksagung. Die
papisten mißbrauchen aber dieses nahmens. Denn durch die meß vorstehen
(5)sie allein das abgöttische opfer, damit sie ihrem vohrgeben nach den Sohn
Gottes in der hostien Gott aufopfern for die lebendigen vnd die todten.
Was ist das abendmal des herren?
Es ist die Gemeinschafft (s) des leibes vndt blutes
(10)vnsers herren Jesu Christi, wie sie in den worten des
euangelij ist eingesetzt, in welcher niessung der
Sohn Gottes warhafftig vnd wesentlich gegenwertig
ist vnd bezeuget, das er den gleubigen alle seine
wolthaten zueigene. Bezeuget auch, das er darumb
(15)menschliche natur hab angenommen, auf das wir
ime durch den glauben eingeleibet vnd er vns seine
gliedmassen mache. Demnach bezeuget er auch hie-
mit, das er in den gleübigen sein, sie lehren, leben-
dig machen vnd schützen wolle.
Wo stehet die einsetzung des nachtmals des herren beschrieben?
Die historia der einsetzung beschreibet Math. am 26., Marcus am 14., Lucas
(5)am 22., vndt S. Paulus 1. Cor. 11.331
Wie lauten die wort vnd die gantze historia der einsetzung?
Vnnser herr Jesus Christus in der nacht, da er vorraten war, nam er das brot,
dancket vnd brachs vnd gab es seinen jüngern vnd sprach: „Nemet hin vnd
esset, das ist mein leib, der fur euch || [277v:] gegeben wirdt. Solchs tuht zw
(10)meinem gedechtnis.“ Desselbengleichen nam er auch den kelch nach dem
abendtmal, dancket vnd gab in den vnd sprach: „Trincket alle darauß. Dieser
kelch ist das newe testament in meinem blut, das fur euch vorgossen wirdt
zur vorgebung der sünden. Solches thut, soofft irs trincket, zu meinem ge-
dechtnis.“
(15)Wozu soll die nießung des abendmals des herren geschehen?
Erstlich vnd fornemlich zur sterckung des glaubens. Dann diese nießung ist
ein pfandt, dadurch der Sohn Gottes bezeuget, das er den gleubigen zueigene
vnd vbergebe die wolthaten, die er mit seinem todt vordienet hat, auf das
wir, durch dies pfand vorgewisset vndt vorsichert, warhafftig gleuben, das
(20)wir gliedmassen Gottes Sohns sein vnd werden vnd das wir durch das blut
des Sohnes abgewaschen sein vnd das er in vns wöll krefftig sein vnd vnser
schwache natur im einvorleiben, erhalten vnd lebendig machen. Nach die-
sem trost soll die nießung auch vmb ander vrsachen willen geschehen, vnd
kan dis der anndere finis genennet werden, nemlich die dancksagung. Denn
(25)wen wir vns solchen wolthaten erinnern, soll in vns zugleich angezündet
werden eine dancksagung. Derwegen so offtmals wir das nachtmal gebrau-
chen, sollen wir hertzlich dancken, das Gott seinen Sohn gesandt hab, das
der Sohn die menschliche natur angenommen hat, das er gelidten hat, das er
vns erlöset hat, das er vns das euange- || [278r:] lium gegeben hat, das wir le-
(30)bendig gemacht werden durch den Sohn vndt heyligen Geist, das vns das
ewige leben wiederbracht worden ist, das fur vndt fur eine kirche gesamlet
wirdt vnd was ferner fur große, vnaussprechliche wolthaten Gottes sindt.
Zum dritten soll diese nießung dienen zu erhaltung der offentlichen vorsam-
lung, darinnen Gott die predigt des euangelij gehöret vnd erhalten haben wil.
(35)Darumb auch S. Paulus spricht: „Sooft ihr dieses thut, solt ihr den todt des
herrn vorkündigen, bis er komme.“332 Zum vierten soll es in der offentlichen
vorsamlung ein zeugnis sein vnser bekentnis, wie S. Paulus saget: „Jr könt
nicht zugleich den kelch des herren trincken vnd der teufel kelch.“333 Zum
fünften soll es sein ein zeichen brüderlicher lieb nach dem spruch: „Wir sindt
(5)ein brodt vnd ein leib.“334
Welche gebrauchen des abendtmals wirdiglich?
Diejenigen gehen wirdigklich hinnzu, die sich selbst prüfen, das ist die, so
recht in Gottes wort vnterweiset, ernstlich buße thun, das ist haben rew vnd
leidt vber ire sünde, erschrecken fur dem zorn Gottes wieder die sünde vnd
(10)die derwegen sich herzufinden, das sie, durch dis pfand vnd zeugnis erinnert,
den glauben erwecken vnd bestetigen, auf das sie gewiß sein, das sie ange-
nommen werden, das inen die sünde vorziehn vnd vorgeben werden vmb
Christi willen, der gecreutziget vnd auferwecket ist, vnd haben ein ernsten
vorsatz, Gott zu gehorsamen335 vnd ihr leben vnd wandel zu bessern.
(15) || [278v:] Welche empfangen es denn vnnwirdigk vnd fallen derwegen in
Gottes gericht?
Vnnwirdig entpfangen es, die vnbusfertig hinzugehen, das ist, die nicht mit
sich bringen furcht Gottes vnd glauben vnd vorharren in sünden wieder das
gewissen.
(20)Wasserley weiß wirdt das heylig abendmal bey den
papisten mißgebraucht?
Es sindt sechs furnehme vnd sehr scheusliche mißbreuche des abentmals des
herrn bey den papisten: Der erste ist der abgöttisch irrthumb von der trans-
substantion oder vorwandelung. Denn sie dichten, das die substantz vnd das
(25)wesen des brotes in den leib Christi verwandelt werde vnd bleib mus die
eusserliche gestalt des brots.336 Der ander ist vmbtragen des gesegneten
brots. Denn sie weichen ab von dem gebrauch, so von Christo befholen ist
vnd schliessen das brot in die monstrantz vnd tragen es herumb, gleichwie
vorzeiten die Perser in öffentlichen vorsamlungen pflegten ir heiliges fewer,
(30)das sie „Orimasda“ nannten, vmbzutragen.337 Der dritte ist das anbeten des
brots. Denn sie dem brot, wen es in die höhe auffgehoben oder in die mons-
-
trantzen eingeschlossen ist, die ahnruffung zueigenen. Welcher gottesdienst
allein göttlicher maiestet gebüret.338 Zum vierten dichten sie, das die meß ein
opfer sey vnd zwar nicht ein lobopffer, sondern ein sünopfer, darinnen der
Sohn Gottes aufs newe geopfert werde fur die || [279r:] lebendigen vnd todten.
(5)Daher sie denn die gantze meß zu einem jahrmarckt vnd kremerey ma-
chen.339 Der fünfte mißbrauch ist das gottlose vnd schendliche gedicht von
dem opere operato, das man vmb des werckes willen selig werde, auch wenn
kein glaub noch andacht ist bey dem, der es gebrauchet.340 Der sechste miß-
brauch ist, das sie den leyen den kelch abstelen vnd nehmen.341
(10)Es mißbrauchen aber vnd schmehen oder verunehren das sacrament des
nachtmals des herren auch die, so dieses nachtmal nicht von anderer gemei-
ner speise vnterscheiden, vndt (s) die da leugnen, das die niessung dieses
brotes vnd weins sey die gemeinschafft des leibs vnd bluts Christj vnd ma-
chen nur bloße zeichen oder lehre symbola daraus vnd sagen, das die sacra-
(15)ment allein kennzeichen sein, dabey man eusserlich einen christen von
einem vnnchristen kennen soll.
Diese mißbreuche vnd verunehrung des sacraments
widerlegung konnen nicht mit kurtzen worten gefas-
set vnd widerholet werden, vnd dieweil man allhie
(20)der jungen knaben schonen muß, welche alters vnd
vnuerstandes halben || [279v:] allzu lange disputatio-
nes nicht erreichen können, vbergehen wir dieselben
ietzund wissentlich, vormanen aber die, so zu irem
vorstande kommen sindt, das sie beydes dieser
(25)stück, die wir kürtzlich erzelet, vnd auch anderer
dieng, die wir in diesem kindercatechismo nicht
haben fassen können, weitleufftigere erklerung hier-
zu nehmen wolle aus dem büchlin Examinis theolo-
gici vnd andern büchern des Corporis doctrinae,
dazu sich vnsere kirchen bekennen, welches wir
(5)vnngezweifelt halten vor die einhellige lehre der
rechtgleubigen kirchen Gottes, so mit den propheti-
schen vnd apostolischen schriefften vndt mitt den
allgemeinen symbolis vbereinstimmet.
Warumb soll man die lehr der christlichen kirchen
(10)fur gewiß vnd war halten?
Die fürnembste vrsach, darumb man die christliche lehr fur warhafftig halten
soll, ist, das sich Gott also hat offenbaret vnd solche offenbarung in den
schrifften der propheten vnd apostel hat lassen auffschreiben.
Was haben die alten lehrer fur feine zeugnis angezogen, damit sie wieder die
(15)heyden erweiset haben, das allein die christliche religion von Gott sey?
Es haben die alten lehrer aus gutem bedencken diese sieben vnterschiedene
erweisung vnd gründe wieder die heiden angezogen: zum ersten die wunder-
werck vnd weissagung von zukünfftigen diengen. Denn allein in der kirchen
Gottes solche wunderthaten wieder den gemeinen lauft vnd ordnung der na-
(20)tur geschehen sindt, welche sonsten keiner creaturen müglich sein. Daruber
hat die kirche Gottes besondere hohe weissagungen nicht allein vom messia,
sondern auch von den allgemeinen vorenderungen in || [280r:] menschlichem
geschlecht vnd von der ordnung der monarchien vnd keysertumen, welche
gewißlich also ergangen sindt. Dergleichen man in keinen heidnischen
(25)schrifften sonst befindet. Zum anndern haben sie angezogen, das die lehr der
kirchen die eltiste sey für aller ander völcker vnd secten lehre. Denn je keine
eltere gesetz furhanden sindt, als die von Mose beschrieben sind. So wird der
anfang der welt vnd die ordentliche vollige jarzal in keiner andern historien
so gewiß vnd eigentlich beschrieben als in der bibel. Zum dritten haben sie
(30)die lehren der kirchen Gottes von stück zu stück mit ander volcker vnd sec-
ten lehr gegeneinander gehalten. Denn die heiden, Türcken, Jüden vnd ande-
re secten haben mehr nicht denn allein ein stück vom gesetz Gottes, treiben
etliche eüsserliche burgerliche werck vnd tugende, bleiben indes in mancher-
-
ley abgötterey. Daruber wissen sie lauter nichts vom Sohn Gottes noch von
der gnadenvorheissung, so im euangelio ist offenbaret. Aber die kirche Got-
tes allein behelt beydes, die lehre des gesetzes vnd euangelij gantz vnd vn-
uorfelscht, erkennet den Sohn Gottes, vnsern herrn Jesum Christum, der fur
(5)vns gecreutziget vnd widerumb vom tod auferwecket ist, weiß auch allein
die vrsach, woher sünde vnd todt kommen, vnd hat warhafften bestendigen
trost in allen nöten. Zum vierten haben sie das auch fur ein groß zeugnis ge-
halten vnd angezogen, das die, so der christlichen religion mit hertzen zuge-
than sindt, in irem gewissen befinden trost des heiligen Geistes, erhörung des
(10)gebetes vnd viel vndt mancherley zeugnis der gegenwart Gottes bey ihnen.
Dieses zeugnis, so ein jeder christ bey sich selbst in geistlicher erfarung
|| [280v:] fület, ist gewislich eines von den furnemsten anzeigungen, das Got-
tes wort warhafftig sey. Zum fünften haben sie auch den grossen muth vnd
bestendigkeit der merterer billich hoch geruhmet. Denn weil dieselben vor-
(15)nunftige leut gewesen sind vnd doch allerley merter vnd den todt selbst von
wegen der christlichen religion haben außgestanden, muss es ie nicht fabel-
wergk sein, darumb sie leib, leben, gut vnd blut so getrost vnd freüdig haben
zugesetzt. Zum sechsten ist auch als ein großes zeugnis von inen angezogen,
das die christliche kirche zu allen zeiten geblieben vnd derselben lehr ie
(20)mehr vnd mehr fortgepflanzet, auch fur vnd fur lehrer erwecket sindt, die
solcher lehr haben zeugnis geben vnd treülichen andere dauon vnterrichtet.
Zum siebenden bestetiget die christliche religion auch dieses, das die feinde
der kirchen Gottes, ketzer vnd tyrannen, zu allen zeiten so greülich gestraft
vnd schrecklich zu boden gangen sindt, das man hat müssen bekennen, das
(25)es Gottes straffen sindt.
Diese zeugnis ist sehr nütz, das sie allen menschen vnd sonderlich der ju-
gendt bekandt sein, damit jedermenniglich349 fur gewiß halten möge, das die-
ses allein die rechte vnd warhaffte lehr von Gott sey, welche vorfasset ist in
den schrifften der propheten vnd apostel. Wir bitten aber den ewigen Sohn
(30)Gottes, das er solche lehr bey vns vnd vnseren nachkommen erhalten vndt
vnsere hertzen dardurch zu seiner warhafften erkendtnis vnd anruffung er-
wecken wolle vmb seines nhamens ehre willen vnd zu vieler menschen trost
vnd seligkeit. Amen.
(20)Die tauf ist die ordnung, von dem Sohn Gottes ein-
gesetzt, das man den menschen in das wasser tau-
chen oder mit wasser begiessen soll vnd zugleich
diese wort sprechen: „Jch tauffe dich in nahmen des
Vaters vnd des || [274v:] Sohnes vnd des heiligen
(25)Geistes.“ (r) Dadurch offentlich bezeuget wird, das
dieser getauffte mensch mit Gott vorsünet vnd zu
gnaden angenommen werde vmb des herrn Christi
willen vnd das er geheiliget werde mit dem heiligen
Geist zum ewigen leben vnd das der getauffte
(30)mensch hinnwiderumb vorpflichtet werde, diesen
einigen vnd warhafften Gott zu erkennen vnd zu
preysen.
|| [275v:] Wo stehet der befhel Christi von der tauf?
Math. am letzten cap.: „Gehet hin in alle weldt, lehret alle heiden vnd tauffet
sie im nahmen des Vaters vnd des Sohns vnd des heiligen Geistes.“316
(30)Wo stehet die vorheissung von der tauf?
Marci am letzten: „Wer da gleubet vnd getaufft wird, der wirdt selig, wer
aber nicht gleubet, der wirdt vordammet.“317
Wie sollen die christen irer tauf recht gebrauchen in irem gantzem leben?
Fürnemlich sollen sie in irem gantzem leben vnd in aller bekehrung zu Gott
(35)dieses hohe zeugnis betrachten, das sie durch dieses zeichen einmal vorsi-
chert sein, das sie angenommen sind zw gnaden von dem warhafften Gott,
welcher ist der ewige Vater, Sohn vnd heiliger Geist, vnd das sie vmb des
Sohnes willen mit Gott vorsünet sein vndt mit dem heiligen Geist geheiliget.
Hieruber sind noch andere zeugnis in der tauf zu betrachten. Dann der da
getaufft ist, wirdt von der kirchen Gottes angenommen als derselben glied-
mas. Es bezeuget auch, der so getauft wird, sein bekentnis vnd sondert sich
(5)ab von allen secten, wird auch erinnert in seinem gantzem leben, das weil er
durch dieses gnadenzeichen mit dem blut des Sohnes Gottes vnd mit dem
heyligen Geist von sünden gereiniget ist, er hinnfurt vorpflicht sey, in einem
newen leben zu wandeln, wirdt auch dieses erinnert, das er in allerley trübsal
eingetauchet vnd doch gewislichen daraus wiederumb soll errettet werden.318
(10)Soll man die kleinen kindlin auch teuffen?
Antwort: Man soll die kleinen kindlin tauffen. || [276r:] Dann das ist gantz
gewiß, das die vorheißung der göttlichen gnaden, heiligen Geistes vnd selig-
keit auch den kleinen kindlin gehöret, wie der herr spricht: „solcher ist das
himmelreich“, Marc. 10,319 item „Es ist nicht des Vaters wille, das eines von
(15)diessen kindlin verlohren werde, die ahn mich gleuben“, Math. 18.320 Nhun
ist es gewiß, das dieses allein geredt ist von diesen kindlin, die der kirchen
inngeleibet vnd zum herrn Christo gebracht sindt. Denn ausser der kirchen
ist nicht seligkeit.321 Daraus folget, das man die kindlin tauffen vnd also zum
herrn Christo bringen vnd sie gliedmaß der kirchen machen soll.
(20)Vom heyligen abendmal des herren.
Welches sind die fürnembsten nahmen, damit dieses sacrament
genennet wird?
Erstlich wird es das „abendtmal“ des herrn genant, 1. Cor. 11. Zum anndern
wirdt es „sacra synaxis“, das ist eine heilige vorsamlung genent bey den al-
(25)ten vetern. Zum dritten heist es „eucharistia“ von der dancksagung, die man
im brauch dieses sacraments thun soll gegen Gott vndt vnserem herren Jesu
Christo. Zum vierten hat man es auch genant „liturgia“, welches souiel ist als
ein offentlicher vnd gemeiner kirchendienst. Zum fünften wird es genennet
„agape“ als ein zeugnis der lieb, weil man bey dem abendtmal vorzeiten
(30)auch pflegte, allmosen || [276v:] außzutheilen. Dann die es im vormügen hat-
ten, brachten mit sich zur gemeinschafft des abendtmals brodt vnd anndere
speise, welches vnder die armen wurde außgeteilet. Zum sechsten: Die römi-
sche kirche hat den nahmen „missa“ oder „messe“ gebraucht, welches wort,
ob es aus der hebreischen sprach genommen oder ein lateinisch wort sey, ist
(35)vngewiß. Man pfleget aber mit diesem nahmen gewönlich nicht allein das
abendtmal des herren, sondern das gantze ampt zu nennen, nemlich alles,
was in der offentlichen versamlung gehandelt wirdt, als die gesenge, die pre-
digt, die austeilung des abendtmals, das gemein gebet vnd dancksagung. Die
papisten mißbrauchen aber dieses nahmens. Denn durch die meß vorstehen
(5)sie allein das abgöttische opfer, damit sie ihrem vohrgeben nach den Sohn
Gottes in der hostien Gott aufopfern for die lebendigen vnd die todten.
Was ist das abendmal des herren?
Es ist die Gemeinschafft (s) des leibes vndt blutes
(10)vnsers herren Jesu Christi, wie sie in den worten des
euangelij ist eingesetzt, in welcher niessung der
Sohn Gottes warhafftig vnd wesentlich gegenwertig
ist vnd bezeuget, das er den gleubigen alle seine
wolthaten zueigene. Bezeuget auch, das er darumb
(15)menschliche natur hab angenommen, auf das wir
ime durch den glauben eingeleibet vnd er vns seine
gliedmassen mache. Demnach bezeuget er auch hie-
mit, das er in den gleübigen sein, sie lehren, leben-
dig machen vnd schützen wolle.
Wo stehet die einsetzung des nachtmals des herren beschrieben?
Die historia der einsetzung beschreibet Math. am 26., Marcus am 14., Lucas
(5)am 22., vndt S. Paulus 1. Cor. 11.331
Wie lauten die wort vnd die gantze historia der einsetzung?
Vnnser herr Jesus Christus in der nacht, da er vorraten war, nam er das brot,
dancket vnd brachs vnd gab es seinen jüngern vnd sprach: „Nemet hin vnd
esset, das ist mein leib, der fur euch || [277v:] gegeben wirdt. Solchs tuht zw
(10)meinem gedechtnis.“ Desselbengleichen nam er auch den kelch nach dem
abendtmal, dancket vnd gab in den vnd sprach: „Trincket alle darauß. Dieser
kelch ist das newe testament in meinem blut, das fur euch vorgossen wirdt
zur vorgebung der sünden. Solches thut, soofft irs trincket, zu meinem ge-
dechtnis.“
(15)Wozu soll die nießung des abendmals des herren geschehen?
Erstlich vnd fornemlich zur sterckung des glaubens. Dann diese nießung ist
ein pfandt, dadurch der Sohn Gottes bezeuget, das er den gleubigen zueigene
vnd vbergebe die wolthaten, die er mit seinem todt vordienet hat, auf das
wir, durch dies pfand vorgewisset vndt vorsichert, warhafftig gleuben, das
(20)wir gliedmassen Gottes Sohns sein vnd werden vnd das wir durch das blut
des Sohnes abgewaschen sein vnd das er in vns wöll krefftig sein vnd vnser
schwache natur im einvorleiben, erhalten vnd lebendig machen. Nach die-
sem trost soll die nießung auch vmb ander vrsachen willen geschehen, vnd
kan dis der anndere finis genennet werden, nemlich die dancksagung. Denn
(25)wen wir vns solchen wolthaten erinnern, soll in vns zugleich angezündet
werden eine dancksagung. Derwegen so offtmals wir das nachtmal gebrau-
chen, sollen wir hertzlich dancken, das Gott seinen Sohn gesandt hab, das
der Sohn die menschliche natur angenommen hat, das er gelidten hat, das er
vns erlöset hat, das er vns das euange- || [278r:] lium gegeben hat, das wir le-
(30)bendig gemacht werden durch den Sohn vndt heyligen Geist, das vns das
ewige leben wiederbracht worden ist, das fur vndt fur eine kirche gesamlet
wirdt vnd was ferner fur große, vnaussprechliche wolthaten Gottes sindt.
Zum dritten soll diese nießung dienen zu erhaltung der offentlichen vorsam-
lung, darinnen Gott die predigt des euangelij gehöret vnd erhalten haben wil.
(35)Darumb auch S. Paulus spricht: „Sooft ihr dieses thut, solt ihr den todt des
herrn vorkündigen, bis er komme.“332 Zum vierten soll es in der offentlichen
vorsamlung ein zeugnis sein vnser bekentnis, wie S. Paulus saget: „Jr könt
nicht zugleich den kelch des herren trincken vnd der teufel kelch.“333 Zum
fünften soll es sein ein zeichen brüderlicher lieb nach dem spruch: „Wir sindt
(5)ein brodt vnd ein leib.“334
Welche gebrauchen des abendtmals wirdiglich?
Diejenigen gehen wirdigklich hinnzu, die sich selbst prüfen, das ist die, so
recht in Gottes wort vnterweiset, ernstlich buße thun, das ist haben rew vnd
leidt vber ire sünde, erschrecken fur dem zorn Gottes wieder die sünde vnd
(10)die derwegen sich herzufinden, das sie, durch dis pfand vnd zeugnis erinnert,
den glauben erwecken vnd bestetigen, auf das sie gewiß sein, das sie ange-
nommen werden, das inen die sünde vorziehn vnd vorgeben werden vmb
Christi willen, der gecreutziget vnd auferwecket ist, vnd haben ein ernsten
vorsatz, Gott zu gehorsamen335 vnd ihr leben vnd wandel zu bessern.
(15) || [278v:] Welche empfangen es denn vnnwirdigk vnd fallen derwegen in
Gottes gericht?
Vnnwirdig entpfangen es, die vnbusfertig hinzugehen, das ist, die nicht mit
sich bringen furcht Gottes vnd glauben vnd vorharren in sünden wieder das
gewissen.
(20)Wasserley weiß wirdt das heylig abendmal bey den
papisten mißgebraucht?
Es sindt sechs furnehme vnd sehr scheusliche mißbreuche des abentmals des
herrn bey den papisten: Der erste ist der abgöttisch irrthumb von der trans-
substantion oder vorwandelung. Denn sie dichten, das die substantz vnd das
(25)wesen des brotes in den leib Christi verwandelt werde vnd bleib mus die
eusserliche gestalt des brots.336 Der ander ist vmbtragen des gesegneten
brots. Denn sie weichen ab von dem gebrauch, so von Christo befholen ist
vnd schliessen das brot in die monstrantz vnd tragen es herumb, gleichwie
vorzeiten die Perser in öffentlichen vorsamlungen pflegten ir heiliges fewer,
(30)das sie „Orimasda“ nannten, vmbzutragen.337 Der dritte ist das anbeten des
brots. Denn sie dem brot, wen es in die höhe auffgehoben oder in die mons-
-
trantzen eingeschlossen ist, die ahnruffung zueigenen. Welcher gottesdienst
allein göttlicher maiestet gebüret.338 Zum vierten dichten sie, das die meß ein
opfer sey vnd zwar nicht ein lobopffer, sondern ein sünopfer, darinnen der
Sohn Gottes aufs newe geopfert werde fur die || [279r:] lebendigen vnd todten.
(5)Daher sie denn die gantze meß zu einem jahrmarckt vnd kremerey ma-
chen.339 Der fünfte mißbrauch ist das gottlose vnd schendliche gedicht von
dem opere operato, das man vmb des werckes willen selig werde, auch wenn
kein glaub noch andacht ist bey dem, der es gebrauchet.340 Der sechste miß-
brauch ist, das sie den leyen den kelch abstelen vnd nehmen.341
(10)Es mißbrauchen aber vnd schmehen oder verunehren das sacrament des
nachtmals des herren auch die, so dieses nachtmal nicht von anderer gemei-
ner speise vnterscheiden, vndt (s) die da leugnen, das die niessung dieses
brotes vnd weins sey die gemeinschafft des leibs vnd bluts Christj vnd ma-
chen nur bloße zeichen oder lehre symbola daraus vnd sagen, das die sacra-
(15)ment allein kennzeichen sein, dabey man eusserlich einen christen von
einem vnnchristen kennen soll.
Diese mißbreuche vnd verunehrung des sacraments
widerlegung konnen nicht mit kurtzen worten gefas-
set vnd widerholet werden, vnd dieweil man allhie
(20)der jungen knaben schonen muß, welche alters vnd
vnuerstandes halben || [279v:] allzu lange disputatio-
nes nicht erreichen können, vbergehen wir dieselben
ietzund wissentlich, vormanen aber die, so zu irem
vorstande kommen sindt, das sie beydes dieser
(25)stück, die wir kürtzlich erzelet, vnd auch anderer
dieng, die wir in diesem kindercatechismo nicht
haben fassen können, weitleufftigere erklerung hier-
zu nehmen wolle aus dem büchlin Examinis theolo-
gici vnd andern büchern des Corporis doctrinae,
dazu sich vnsere kirchen bekennen, welches wir
(5)vnngezweifelt halten vor die einhellige lehre der
rechtgleubigen kirchen Gottes, so mit den propheti-
schen vnd apostolischen schriefften vndt mitt den
allgemeinen symbolis vbereinstimmet.
Warumb soll man die lehr der christlichen kirchen
(10)fur gewiß vnd war halten?
Die fürnembste vrsach, darumb man die christliche lehr fur warhafftig halten
soll, ist, das sich Gott also hat offenbaret vnd solche offenbarung in den
schrifften der propheten vnd apostel hat lassen auffschreiben.
Was haben die alten lehrer fur feine zeugnis angezogen, damit sie wieder die
(15)heyden erweiset haben, das allein die christliche religion von Gott sey?
Es haben die alten lehrer aus gutem bedencken diese sieben vnterschiedene
erweisung vnd gründe wieder die heiden angezogen: zum ersten die wunder-
werck vnd weissagung von zukünfftigen diengen. Denn allein in der kirchen
Gottes solche wunderthaten wieder den gemeinen lauft vnd ordnung der na-
(20)tur geschehen sindt, welche sonsten keiner creaturen müglich sein. Daruber
hat die kirche Gottes besondere hohe weissagungen nicht allein vom messia,
sondern auch von den allgemeinen vorenderungen in || [280r:] menschlichem
geschlecht vnd von der ordnung der monarchien vnd keysertumen, welche
gewißlich also ergangen sindt. Dergleichen man in keinen heidnischen
(25)schrifften sonst befindet. Zum anndern haben sie angezogen, das die lehr der
kirchen die eltiste sey für aller ander völcker vnd secten lehre. Denn je keine
eltere gesetz furhanden sindt, als die von Mose beschrieben sind. So wird der
anfang der welt vnd die ordentliche vollige jarzal in keiner andern historien
so gewiß vnd eigentlich beschrieben als in der bibel. Zum dritten haben sie
(30)die lehren der kirchen Gottes von stück zu stück mit ander volcker vnd sec-
ten lehr gegeneinander gehalten. Denn die heiden, Türcken, Jüden vnd ande-
re secten haben mehr nicht denn allein ein stück vom gesetz Gottes, treiben
etliche eüsserliche burgerliche werck vnd tugende, bleiben indes in mancher-
-
ley abgötterey. Daruber wissen sie lauter nichts vom Sohn Gottes noch von
der gnadenvorheissung, so im euangelio ist offenbaret. Aber die kirche Got-
tes allein behelt beydes, die lehre des gesetzes vnd euangelij gantz vnd vn-
uorfelscht, erkennet den Sohn Gottes, vnsern herrn Jesum Christum, der fur
(5)vns gecreutziget vnd widerumb vom tod auferwecket ist, weiß auch allein
die vrsach, woher sünde vnd todt kommen, vnd hat warhafften bestendigen
trost in allen nöten. Zum vierten haben sie das auch fur ein groß zeugnis ge-
halten vnd angezogen, das die, so der christlichen religion mit hertzen zuge-
than sindt, in irem gewissen befinden trost des heiligen Geistes, erhörung des
(10)gebetes vnd viel vndt mancherley zeugnis der gegenwart Gottes bey ihnen.
Dieses zeugnis, so ein jeder christ bey sich selbst in geistlicher erfarung
|| [280v:] fület, ist gewislich eines von den furnemsten anzeigungen, das Got-
tes wort warhafftig sey. Zum fünften haben sie auch den grossen muth vnd
bestendigkeit der merterer billich hoch geruhmet. Denn weil dieselben vor-
(15)nunftige leut gewesen sind vnd doch allerley merter vnd den todt selbst von
wegen der christlichen religion haben außgestanden, muss es ie nicht fabel-
wergk sein, darumb sie leib, leben, gut vnd blut so getrost vnd freüdig haben
zugesetzt. Zum sechsten ist auch als ein großes zeugnis von inen angezogen,
das die christliche kirche zu allen zeiten geblieben vnd derselben lehr ie
(20)mehr vnd mehr fortgepflanzet, auch fur vnd fur lehrer erwecket sindt, die
solcher lehr haben zeugnis geben vnd treülichen andere dauon vnterrichtet.
Zum siebenden bestetiget die christliche religion auch dieses, das die feinde
der kirchen Gottes, ketzer vnd tyrannen, zu allen zeiten so greülich gestraft
vnd schrecklich zu boden gangen sindt, das man hat müssen bekennen, das
(25)es Gottes straffen sindt.
Diese zeugnis ist sehr nütz, das sie allen menschen vnd sonderlich der ju-
gendt bekandt sein, damit jedermenniglich349 fur gewiß halten möge, das die-
ses allein die rechte vnd warhaffte lehr von Gott sey, welche vorfasset ist in
den schrifften der propheten vnd apostel. Wir bitten aber den ewigen Sohn
(30)Gottes, das er solche lehr bey vns vnd vnseren nachkommen erhalten vndt
vnsere hertzen dardurch zu seiner warhafften erkendtnis vnd anruffung er-
wecken wolle vmb seines nhamens ehre willen vnd zu vieler menschen trost
vnd seligkeit. Amen.