Württemberger Bekenntnis (1572) - Einleitung
verfasst von Henning Jürgens/ Johannes Hund
[Inhaltsverzeichnis]

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Einleitung

1. Historische Einleitung

Bis zum Sommer 1572 hatte sich, trotz der harten Attacken gegen die Tübin-
ger Christologie in der Wittenberger „Grundfest“ und im „Consensus Dres-
(5)densis“
, kein Württemberger Theologe an der Debatte beteiligt. Allem
Anschein nach gab es in Württemberg ein Veröffentlichungsverbot zu die-
sem Streit,1 stand dieser doch in Widerspruch zu den Württemberger Be-
mühungen um eine Konkordie. Man verfolgte eine Politik des Ausgleichs
zwischen den einzelnen lutherischen Ständen, zu der eine Streitschrift der
(10)Theologen des Herzogtums nicht gepasst hätte. Den niedersächsischen Kon-
kordienplänen, die dezidiert gegen Kursachsen gerichtet waren,2 stand man
darum zunächst skeptisch gegenüber, da man an der Einbeziehung einer
möglichst großen Anzahl evangelischer Stände interessiert war. Diese reli-
gionspolitische Grundhaltung Württembergs scheint sich zu Beginn des Jah-
(15)res1572 geändert zu haben. Alarmiert durch Veröffentlichungen, in denen
Theologen Genfer Prägung den „Consensus Dresdensis“ calvinistisch inter-
pretierten und ihn sich so zu eigen machten,3 und durch die Tatsache, dass
dies innerhalb Kursachsens ohne Widerspruch blieb, erkannte man auch in
Württemberg, dass der niedersächsische Kurs der bekenntnismäßigen
(20)Abgrenzung von der Wittenberger Fakultät und das Bemühen um Bundes-
genossen in möglichst vielen Territorien gegen die Wittenberger Fakultät
Erfolg versprechender war, wollte man Kursachsen ohne die Wittenberger
Theologen doch noch in das lutherische Konkordienprojekt eingebunden
wissen und einer theologischen Allianz Kursachsens mit dem Calvinismus
(25)einen Riegel vorschieben. Daher entschlossen sich die Württemberger Theo-
logen dazu, in einem Bekenntnis ihre eigene theologische Position der Öf-
fentlichkeit bekannt zu machen, darin auch das „Niedersächsische Bekennt-
nis“
als rechtgläubig anzuerkennen und auf diese Weise der Koalition gegen
die Wittenberger Abendmahlslehre und Christologie beizutreten.4 Ob diese

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Entscheidung auf einen obrigkeitlichen Befehl zurückzuführen ist oder nicht,
lässt sich mangels Quellen nicht entscheiden. Das „Württemberger Bekennt-
nis“
ging im Herbst des Jahres 1572 in den Druck und wird hier erstmals
wissenschaftlich ediert.


(5)2. Die Autoren

Das „Württemberger Bekenntnis“ ist laut seinem Titelblatt „gestelt von den
Würtembergischen Theologen“, unter denen 1572Jakob Andreae und Lukas
Osiander d.Ä.
durch eigene Publikationen zur Debatte um die Wittenberger
Christologie und Abendmahlslehre hervortraten5 und so vermutlich auch bei
(10)der Abfassung des Bekenntnistextes tonangebend waren. Jakob Andreae
(1528-1590) immatrikulierte sich 1541 in Tübingen als herzoglicher Stipen-
diat. 1543 erwarb er den Grad des Baccalaureus, 1545 den des Magister Ar-
tium. In seinem bis Sommer 1546 andauernden Theologiestudium wurde
Erhard Schnepf sein wichtigster Lehrer. 1553 wurde Andreae Pfarrer und
(15)Superintendent in Göppingen und erhielt die neu geschaffene Generalsuper-
intendentenstelle. Noch im selben Jahr wurde er zum Doktor der Theologie
promoviert. In den Jahren 1553-1559 beteiligte er sich an der reformatori-
schen Umgestaltung Württembergs und umliegender Territorien. 1556 be-
mühte sich Andreae, eine Einigung mit Calvin und Beza in der Abendmahls-
(20)frage zu erreichen. Da aber keine Seite von ihrer Position wich, scheiterten
diese Bemühungen. Ende 1559 legte sich Württemberg im Stuttgarter Be-
kenntnis6 im Blick auf Christologie und Abendmahlslehre auf die Linie des
Johannes Brenz fest. An dem Religionsgespräch in Poissy(1561) und den
Verhandlungen Herzog Christophs mit den Guisen in Elsasszabern nahm
(25)Andreae ebenfalls teil. 1562 wurde er zum Kanzler und Professor der
Universität Tübingen und zum Propst der Stiftskirche berufen. Im selben
Jahr wurde er nach Weimar geschickt, um den synergistischen Streit um die
Äußerungen Victorin Strigels beizulegen. Da Württemberg an guten Bezie-
hungen zum Herzogtum Sachsen interessiert war, bewirkte Andreae eine
(30)Rehabilitation des Jenaer Theologen Strigel. 1563 zur Schlichtung des Kon-
fliktes zwischen dem Lutheraner Johannes Marbach und dem calvinistisch
lehrenden Girolamo Zanchi um die Prädestinationsfrage nach Straßburg
gerufen, erreichte Andreae ein Einlenken Zanchis, der allerdings noch im
selben Jahr die Stadt verließ. Das Maulbronner Kolloquium (1564), in dem
(35)Andreae die Württemberger Position gegen die Theologen der seit 1563 zum

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Calvinismus tendierenden Kurpfalz vertrat, führte zu keinem Erfolg. 1568
wurde er zsammen mit Martin Chemnitz zur Neuorganisation der Braun-
schweiger Kirche berufen. Andreaes Versuch, auf dem Zerbster Konvent im
Mai 1570 eine innerlutherische Einigung zu erreichen, scheiterte am Wider-
(5)spruch der Theologen Kursachsens, die auf dem Corpus doctrinae Philippi-
cum als Lehrgrundlage bestanden. 1573 verfasste Andreae seine sechs
„Predigten von den Spaltungen“, die später als Grundlage der Schwäbischen
Konkordie dienten.7 Lukas Osiander d.Ä. (1534-1604) begann sein Studium in Königsberg, wo-
(10)hin sein Vater Andreas Osiander1548 gewechselt war. Er beendete seine
theologischen Studien in Königsberg und Tübingen, wo er 1553 immatriku-
liert wurde. 1555 wurde er erster Diakonus (Stadtpfarrer) in Göppingen und
damit Kollege Jakob Andreaes. 1558 übernahm er die Pfarrstelle und Super-
intendentur in Blaubeuren, bevor er 1563 in das Amt des Superintendenten
(15)an St. Leonhard in Stuttgart wechselte. 1564 nahm er wie Andreae an dem
Maulbronner Religionsgespräch zwischen Württemberger und pfälzischen
Theologen teil. 1569 wurde er Hofprediger und Konsistorialrat in Stuttgart.8

3. Inhalt

Aus dem Titel des „Württemberger Bekenntnisses“ geht hervor, dass die
(20)Schrift neben dem Anschluss an die Unterzeichner des „Niedersächsischen
Bekenntnisses“
auch eine offizielle Verteidigungsschrift Württembergs auf
die in der Wittenberger „Grundfest“ erhobenen Anschuldigungen an die Tü-
binger Christologie darstellen sollte. Ihre Antwort hatten die Württemberger
Theologen bereits 1571 verfasst. Sie war durch das Druckverbot jedoch erst
(25)jetzt in den Druck gekommen9 und erreichte mit 255 Seiten einen beacht-
lichen Umfang. Der Text zerfällt in fünf Hauptabschnitte, denen oft lange
Teile mit Referenztexten folgen, die zur Stützung der Württemberger These
dienen, die eigene Christologie sei identisch mit dem Glauben der rechtgläu-
bigen Kirche aller Zeiten, der in der Wittenberger Reformation einmütig zu
(30)neuer Geltung gebracht worden sei:

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So schließt sich an das Vorwort in einem ersten Hauptteil ein Bericht über
die christologisch-abendmahlstheologischen Auseinandersetzungen der Ver-
gangenheit an (1-7). Hauptteil II enthält das eigentliche Bekenntnis Würt-
tembergs zur Christologie und Abendmahlslehre (7-18). Dieses Bekenntnis
(5)wird durch Rückgriff auf die Position Luthers (18-36) gesichert und exege-
tisch begründet (37-59). Daran schließt sich der Nachweis an, dass die in
Württemberg gelehrte Christologie und Abendmahlslehre mit den altkirch-
lichen Symbolen (60-94), den Konzilien der Alten Kirche (94-151) und der
überwältigenden Mehrheit der altkirchlichen Väter (151-169) übereinstim-
(10)me. In einem dritten Hauptteil werden drei Motive der Württemberger Theo-
logen genannt, warum sie an ihrer Christologie festhalten und keine Kom-
promisse mit den Calvinisten eingehen können: die Realpräsenz von Leib
und Blut Christi im Abendmahl, die Präsenz des ungeteilten Christus bei
seinen Gläubigen und das Wissen Christi um die Nöte und Anfechtungen
(15)seiner Gemeinde auch seiner menschlichen Natur nach, mit der er vor dem
Thron Gottes für seine Brüder eintritt (169-184). An diesen dritten Hauptteil
schließt sich ein Unterabschnitt an, der nachweisen soll, dass Württemberg
mit den Kirchen Augsburger Konfession und deren wichtigsten Lehrern
übereinstimme (184-235). Der vierte Hauptteil enthält eine Zusammenfas-
(20)sung und Verwerfung der „zwinglianischen“ Lehre (235-240), bevor in
einem fünften und letzten Teil der Nachweis über die tatsächliche Position
der „Zwinglianer“ anhand von Zitaten calvinistischer und zwinglianischer
Autoren geführt wird, um sich von deren Lehre präzise abgrenzen zu können
(240-255).


(25)4. Ausgaben

Nachgewiesen werden können folgende Ausgaben:
A: Bestendige widerho= || lung vnnd grundtliche erklrung der || Kirchen
vnd Schůlen im Fürstenthumb || Würtemberg Lehr vnd Be= || kantnus ||
Von der Person vnd beeden Naturen || vnsers Herrns vnnd Heylands
(30)Christi / von || seiner Himelfart / sitzen zur Rechten Gottes / vnd ||
warhafftigen gegenwertigkeit seines || Leibs vnd Blůts im heili= || gen
Nachtmal. || Zů Ehren der Maiestet deß Menschen Christi / || Bericht der
warheit / vnd endtschuldi= || gung aller vnuerschuldten Auff= || lagen. ||
Gestelt von den Würtember= || gischen Theologen. || Tüwingen / Anno ||
(35)1572.
[10] Blatt, 255 Seiten 4° [im Kolophon: Getruckt zů Tübingen
bey Ulrich || Morharts Wittib / in verlegung || Georgen Gruppenbachs. ||
M. D. LXXII.] (VD 16 B 2282)
Vorhanden:
DRESDEN, Sächsische Landesbibliothek: Theol. ev. dogm. 223m, misc. 1
(40)GOTHA, Forschungsbibliothek: Th 254

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MÜNCHEN, Bayerische Staatsbibliothek: 4º H. ref. 761h; 4º J. can. P. 896/1
MÜNCHEN, Universitätsbibliothek: 4º Theol. 242:1
STUTTGART, Württembergische Landesbibliothek: Theol. qt. 7614
WOLFENBÜTTEL, Herzog August Bibliothek: 125.13 Quod. (4); 127.12
(5)Theol. (2); J 631.4º Helmst. (2)
BIBLIOTHECA PALATINA: IV 1058 (6) (ted. o. Nr.) (benutztes Exemplar)
B: Bestendige widerho= || lung vnnd grundtliche erklrung der || Kirchen
vnd Schůlen im Fürstenthumb || Würtemberg Lehr vnd Be= || kanntnus /
|| Von der Person vnd beeden Naturen || vnsers Herrns vnnd Heilands
(10)Christi / von || seiner Himelfart / sitzen zur Rechten Gottes / vnd ||
warhafftigen gegenwertigkeit seines || Leibs vnd Blůts im heili= || gen
Nachtmal. || Zů Ehren der Maiestet deß Menschen Christi / || Bericht der
warheit / vnd endtschuldi= || gung aller vnuerschuldten Auff= || lagen. ||
Gestelt von den Würtember= || gischen Theologen. || Tüwingen / Anno ||
(15)1572.
[10] Blatt, 255 Seiten 4° [im Kolophon: Getruckt zů Tüwingen /
durch Geor= || gen Gruppenbach / im Herpstmon. || M. D. LXXII.] (VD
16 B 2283)
Vorhanden:
BERLIN, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dm 3008; 8 in: Dk 4
(20)BUDAPEST, Országos Széchényi Könyvtár: Ant. 2635 (3)
DRESDEN, Sächsische Landesbibliothek: Theol. ev. asc. 169, misc. 2
GOTHA, Forschungsbibliothek: Theol. 4º 520c
HALLE, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: If 2211; If
2211b (1); If 3134a (2)
(25)STUTTGART, Württembergische Landesbibliothek: Theol. qt. 7615
WOLFENBÜTTEL, Herzog August Bibliothek: 151.9 Theol. (2); 177.4 Theol.
(2); 288 Theol. (8); Alv Ed 54 (3); H 184.4º Helmst. (1); S 72.4º
Helmst. (1); YK 5.4º Helmst. (22)
(30)Ausgabe B korrigiert die am Ende von A angegebenen Setzfehler und ist
somit als Zweitauflage zu werten. Unserer Edition liegt die Erstausgabe A
zugrunde.

Kommentar
1 Vgl. das bei Mager, Konkordienformel, 139, angeführte Zitat aus einem Brief Jakob Andreaes
vom 23. März 1572: „Quod hactenus Nebulonibus Wittenbergensibus non responderim, non
privato consilio factum est.“
2 Vgl. die Einleitung zu Nr. 9: Niedersächsisches Bekenntnis (1571), 707.
3 Vgl. die Publikation des Heidelberger Hofpredigers Petrus Dathenus: Bestendige Antwort etli-
cher fragstck / so die Predicanten zu
Franckfurt am Mayn / zur prob / vber die jngst zu Dreß-
den der Churfrstlichen Sächsischen Theologen gestelte bekandtnuß / in truck zur warnung ha-
ben außgehen lassen [...], Heidelberg 1572 (VD 16 D 261).
4 Zu dieser Entscheidung dürfte wohl auch die Widmung der „Institutio christianae religionis“
Nikolaus Selneckers im September 1572 an Herzog Ludwig von Württemberg beigetragen ha-
ben, in der der Braunschweiger Theologe erstmals die volle theologische Lehreinheit der Kirchen
des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel mit den Württemberger Kirchen und der Lehre der
beiden Theologen Brenz und Andreae behauptet hatte. Vgl. Nikolaus Selnecker, INSTITVTI-
ONIS CHRISTIANAE RELIGIONIS, PARS PRIMA [...], Frankfurt/Main 1572/1573
(VD 16
ZV 14334), A 3v.
7 Zu weiteren biographischen Informationen zur Person Jakob Andreaes vgl. Johannes Hund,
Jakob Andreae, in: Biographien zum Forschungsprojekt "Controversia et Confessio", http://
www.controversia-et-confessio.adwmainz.de
; zuletzt besucht am 21.05.07 sowie Martin Brecht,
Art. Jakob Andreae, in: TRE 2 (1978), 672-680.
8 Zu weiteren biographischen Informationen zur Person Lukas Osianders vgl. Johannes Hund,
Lukas Osiander, in: Biographien zum Forschungsprojekt "Controversia et Confessio", http://
www.controversia-et-confessio.adwmainz.de
; zuletzt besucht am 21.05.07 sowie Herrmann
Ehmer, Art. Lukas Osiander d.Ä., in: BBKL 6 (1993), 1299-1304 und Julius Wagenmann/ Gus-
tav Bossert, Art. Lukas Osiander I., in: RE3 (1904), 509-512.
9 Vgl. „Württemberger Bekenntnis“, a 4v: „[...] dise Schrifft, so wir allbereit vnnd vorlangst zů
widerlegung sollicher beschwerlichen Calumnien verfasset“, unsere Ausgabe, Nr. 11: Württem-
berger Bekenntnis (1572), 835.
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