Niedersächs. Bekenntnis (1571) - Einleitung
verfasst von Henning Jürgens
[Inhaltsverzeichnis]

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Einleitung

1. Historische Einleitung

Nachdem eine der ersten ablehnenden Stellungnahmen gegen den Wittenberger Katechismus in Braunschweig formuliert worden war, sahen sich die „sächsischen“ Theologen, also die Theologen der Territorien im niedersächsischen Reichskreis, durch die Grundfest herausgefordert, auf die darin formulierten Angriffe zu reagieren. Auf einer Theologenversammlung anlässlich der Taufe einer Tochter des Herzogs Julius von Braunschweig-Lüneburgwurde Anfang August 1571 der Beschluss gefasst, mit einem gemeinsamen Bekenntnis zu antworten, da man die Lehrgrundlage der niedersächsischen Kirchen insgesamt infrage gestellt sah. Ein erstes Konzept war Anfang September fertiggestellt und wurde für Stellungnahmen an die beteiligten Theologen in Norddeutschland versandt. Nach einigen Verbesserungen stand der Text wohl schon Ende September fest und wurde in die Städte und Territorien zur Unterzeichnung verschickt; im Oktober, noch bevor der „Consensus Dresdensis“1 bekannt geworden war, ging das Bekenntnis in Druck. Unterzeichnet ist diese „Erklerung“ von den Theologen der vier Braunschweig-Lüneburgischen Fürstentümer, des Fürstentums Mecklenburg, der HansestädteHamburg, Lübeck und Rostock, der Städte Hannover, Hildesheim, Göttingen, Goslar, Einbeck, Hameln, Halberstadt und Braunschweig sowie von den Theologen der Universität Rostock. Später schloss sich noch Halle an der Saale an.2 Die Hoffnung, dass auch andere Gebiete, etwa die württembergischen Kirchen, die „Erklerung“ übernehmen und damit die Kritiker der Wittenberger Theologen einhellig auftreten könnten, erfüllte sich nicht.3

2. Die Autorschaft

Das Niedersächsische Bekenntnis trägt keinen Hinweis auf einen Autor auf dem Titelblatt oder in den einleitenden Formulierungen. Vielmehr ist das Bekenntnis bewusst nicht von einer Einzelperson verantwortet, denn die niedersächsischen Theologen sahen ihre kollektive Glaubensgrundlage infrage gestellt und wollten zudem nicht als Einzelpersonen den Wittenbergern entgegentreten, um sich nicht weiteren persönlichen Angriffen auszusetzen. Zugleich kritisierten sie ihre Gegner als „etliche junge neue Theologen“ in Wittenberg, die ja ihrerseits ihre Schriften anonym veröffentlicht hatten, und erklärten gleichwohl, damit nicht die ganze sächsische Kirche angreifen zu wollen. Aufgrund der Entstehungsgeschichte kann man aber davon ausgehen, dass die Schrift unter der Federführung von Martin Chemnitz verfasst

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wurde.4 Die Beteiligung anderer Theologen an der Formulierung der Erklärung ist anzunehmen, lässt sich aber ebenso wenig im Text aufweisen wie die Korrekturen, die nach Versendung des ersten Entwurfs noch vorgenommen wurden.

3. Inhalt

In einer kurzen Vorrede (A 2r–A 3v) erklären die Unterzeichner, bei der bisher vertretenen, durch Luther erklärten und erstrittenen Lehre von Abendmahl, Christologie und Himmelfahrt bleiben zu wollen. Man habe sich nach den 1571 in Wittenberg veröffentlichten Schriften aber genötigt gesehen, dem Versuch, dem Calvinismus Eingang in die sächsischen Kirchen zu verschaffen, entgegenzutreten und vor der Sakramentsschwärmerei zu warnen. Deshalb habe man ein Bekenntnis verfasst, um zu zeigen, dass nicht wenige die Lehre Luthers verteidigten. Der anschließende Text gliedert sich laut den Angaben der Vorrede in vier Teile: Es soll zuerst gezeigt werden, dass es bei der Debatte eigentlich um die Einführung des Calvinismus gehe, und dann die Lehre Luthers und der Confessio Augustana vom Abendmahl, von der Vereinigung der Naturen in Christus und von der Himmelfahrt dargelegt sowie jeweils die Gegenlehre verworfen werden.Die Darlegung des Streitgegenstands (A 4r–B 4r) geschieht relativ knapp: Es gehe darum, die Lehre Zwinglis und Calvins wie in der Confessio Augustana zu verwerfen. Die Tatsache, dass man dies aber in Wittenberg nicht tue, sei decouvrierend. Dem stellen die niedersächsischen Theologen ihre Darstellung entgegen, jedoch nicht der ganzen Kontroverse, sondern nur der wichtigsten Artikel, beginnend mit dem Abendmahl. In zehn Abschnitten (B 4v–D 3v) behandeln sie die Einsetzungsworte, die Realpräsenz, die manducatio oralis und impiorum. Sie berufen sich immer wieder auf Äußerungen Luthers und die CA. Den Wittenbergern werfen sie vor, sich selbst verdächtig zu machen, weil sie nicht lutherische, sondern calvinische Redeweisen gebrauchen, sich nicht von den Sakramentierern abgrenzen wollen und deren Argumente stützen. In der anschließenden ausführlichen Argumentation behandelt die Schrift die Fragen der Vereinigung göttlicher und menschlicher Natur in Christus (D 3v–E 3v), die Communicatio Idiomatum (E 3v–F 2v), die Lehre von der Majestät des Menschen Christus, wie sie bei den Vätern (F 2v–I 1v) und bei Luther (I 1v–I 4v) gefasst sei, und dass Christus nach göttlicher und menschlicher Natur auf Erden sei und sein priesterliches Amt ausübe (K 1r–L 2v). Relativ kurz werden die Erhöhung Christi und die Omnipräsenz der Menschheit Christi behandelt (L 2v–M 1v). Der Rest der Schrift widmet sich wiede

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rum ausführlicher der Himmelfahrt (M 1v–O 2v) und dem Sitzen zur Rechten Gottes (O 2v–O 4v), wobei abschließend ausführlich die Interpretation der Stelle Act 3,21 diskutiert wird (O 4v–Q 3r).

4. Ausgaben

Der Text kann in fünf Druckausgaben nachgewiesen werden:A: Wiederholte || Christliche Gem(m)eine || Confeßion vnd Erklerung. || Wie in den Sechsischen Kirchen ver= || mge der heiligen Schrifft / vnd Augsprgischen || Confession / nach der alten Grundtfest D. Lutheri / || wieder die Sacramentierer / gelehret wird: || Vom Abendmal des HERRN. || Von der Persnlichen vereinigung der Gttli= || chen vnd Menschlichen Natur in Christo. || Von seiner Himelfart / vnd Sitzen zur || Rechten GOttes. || Jetzundt Repetieret vnd Publiciert || zum Bericht / Warnung / vnd Wiederlegung / || von wegen etlicher newlich außgesprengten Bchern / Dar= || inn etliche newe Theologi zu Wittenberg der Sacramen= || tierer Sprach / Lehr / Meinung / vnd Grundfest in || die Kirchen der Augßprgischen Confession / vn= || ter einem frembden schein / sich vn= || terstehen einzuschieben. || Anno. 1571. || Mense Octobri. [64] Blatt 4° [im Kolophon: Gedruckt in der ge= || freyten Heinrichstadt / bey der || Lblichen Vhestung Wulffenbttel / || durch Cunradt Horn. || M. D. LXXI.] (VD 16 C 2229)Vorhanden:Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dk 3395Coburg, Landesbibliothek: Cas A 5666Braunschweig, Stadtbibliothek: C 446(1).4ºDresden, Sächsische Landesbibliothek: Theol.ev.pol.111m,misc.3Gotha, Forschungsbibliothek: Theol. 4º 629(7) [unvollständig]; Theol. 4º 654a (2); Theol. 4º 692 (1)Lüneburg, Ratsbücherei: SB Th 447(1)München, Bayerische Staatsbibliothek: 4ºPolem.475mWolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: G 121.4° Helmst. (2) ( benutztes Exemplar); J 631.4º Helmst. (1); H 175a.4º Helmst. (1); 231.68 Theol. (4); 231.185 Theol. (6); 288 Theol. (5)
B: Wiederholte || Christliche Gemeine || Confession vnd Erklerung: || Wie in den Sechsischen Kirchen ver= || mge der heiligen Schrifft / vnd Augsprgischen || Confeßion / nach der alten Grundtfest D. Lutheri / || wieder die Sacramentierer / gelehret wirdt: || Vom Abendmal des HERRN. || Von der Persnlichen vereinigung der Gttli= || chen vnd Menschlichen Natur in Christo. || Von seiner Himelfarth / Vnd Sitzen zur || Rechten GOTtes. || Jetzundt Repetieret vnd Publiciert || zum Bericht / Warnung / vnd Wiederlegung / || von wegen etlicher newlich außgesprengten Bchern / Dar= || inn etliche newe Theologi zu Wittenberg der Sacramen= || tierer Sprach / Lehr / Meinung / vnd Grundfest || in die Kirchen der Augsprgischen Confeßi= || on / vnter einem frembden schein / sich || vnterstehen einzuschieben. || M. D. LXXI. [64] Blatt 4° [im Kolophon: Gedruckt in der Hein= || richsstadt / bey der lb= || lichen Vestung Wol= || ffenbttell / durch || Cunrad Horn. || 1571.] (VD 16 C 2228)Vorhanden:Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: 8 in: Dk 3; Dk 3396München, Universitätsbibliothek: 4ºTheol. 1392:12Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 149.2 Theol. (20); 181.7 Theol. (2); 240.22 Quod. (2); 312 Theol. (2); Alv Ed 54 (2); J 675.4º Helmst. (4)
C: Widerholte || Christliche Gemeine || Confession vnd Erklerung. || Wie in den Sechsischen Kirchen / || vermge der heiligen Schrifft / vnd Augspur= || gischen Confession / nach der alten Grund= || fest D. Mart: Lutheri / wider die Sacra= || mentierer gelert wird. || Vom Abendmal des HERRN. || Von der Persnlichen vereinigung der Gtt= || lichen vnd Menschlichen Natur in Christo. || Von seiner Himelfart / vnd sitzen || zur Rechten GOttes. || Jetzund Repetiret vnd Publici= || ret zum Bericht / Warnung vnd Widerle= || gung / von wegen etlicher newlich ausgesprengten || Bchern / Darin etliche newe Theologi zu Wittenberg der Sa= || cramentierer Sprach / Lere / Meinung / vnd Grundfest in || der Kirchen der Augspurgischen Confession / || vnter einem frembden Schein / sich || vnterstehen eynzuschieben || ANNO M. D. LXXI. || Mense Octobri. [62] Blatt 4° [im Kolophon: Gedruckt in der ge= || freyten Heinrichstat / bey der || Lblichen Vestung Wulffenbttel / || durch Conrad Horn. ] (VD 16 C 2230)Vorhanden:Gotha, Forschungsbibliothek: Th 713/176RWolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 151.9 Theol.(1); Alv Di 166(3)Wien, Österreichische Nationalbibliothek: 79.R.122Wittenberg, Lutherhaus: Kn Nachtrag 1D: Wiederholte || Christliche Gemeine || Confession vnd Erklerung. || Wie in den Sechsischen Kirchen ver= || mge der heiligen Schrifft / vnd Augspurgischen || Confession / nach der alten Grundfest D. Lutheri / || wieder die Sacramentierer / gelehret wird: || Vom Abendmal des HERRN. || Von der Persnlichen vereinigung der Gtt= || lichen vnd Menschlichen Natur in Christo. || Von seiner Himelfart / vnd Sitzen zur || Rechten GOttes. || Jetzund Repetieret vnd Publiciert zum || Bericht / Warnung / vnd Wiederlegung / von we= || gen etlicher newlich ausgesprengten Bchern / Darinn || etliche newe Theologi zu Wittenberg der Sacramen= || tierer Sprach / Lehr / Meinung / vnd Grund= || fest in die Kirchen der Augspurgischen Con= || fession / vnter einem frembden || schein / sich vnterstehen || einzuschieben. || Gedruckt || Anno M. D. LXXII. [63] Blatt 4° [im Kolophon: Gedruckt zu Jhena. || Anno M. D. LXXII.] (VD 16 C 2231)Vorhanden: Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dm 2789Dresden, Sächsische Landesbibliothek: 40.8.3774München, Bayerische Staatsbibliothek: 8ºAsc.5547o/2Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 100 Theol.(6); G 96.4º Helmst. (5); H 420.4º Helmst. (2)Zwickau, Ratsschulbibliothek: 12.8.4.(1)
E: Wiederholete. || Christliche Gemeine || Confession vnd Erklerung. || Wie in den Sechsischen Kirchen / ver= || mge der heiligen Schrifft / vn Augspurgischen Con= || fession / nach der alten Grundtfest D. Lutheri / || wieder die Sacramentierer / gelehret wirdt. || Vom Abendtmal des HERRN. || Von der Persönlichen vereinigung der Göttlichen || vnd Menschlichen Natur in Christo. || Von seiner Himelfart / vnd Sitzen zur Rechten GOTTES. || Jetzundt Repetieret vnd Publiciert || zum Bericht / Warnung / vnd Widerlegung / wegen || etlicher newlich außgesprengten Bchern / Darinn etliche || newe Theologi zu Wittenberg / der Sacramentirer Sprach / || lehr / Meinung / vnd Grundfest in die Kirchen der Aug= || spurgischen Confession / vnter einem frembden/ || schein / sich vnterstehen einzuschieben. || Knigsperg bey Johan Daubman. || M. D. LXXII. [60] Blatt 4° (VD 16 ZV 19686)Vorhanden: Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dm 2788Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: Vg 1668,QKWittenberg, Predigerseminar: LC883/8Als Textgrundlage wird auf die vermutliche Erstausgabe, den Druck Azurückgegriffen, der auf Q 4r eine Errataliste aufweist, die in Druck Cberücksichtigt worden ist. Der Druck weist auch über die Errataliste hinaus eine nennenswerte Anzahl offenkundiger Satzfehler (gedrehte Lettern, fehlende Spatien) auf, die in der Edition stillschweigend emendiert werden. Bei Ausgabe B fehlt der Zusatz „Mense Octobri“, sie enthält aber die UnterschriftHalles, die in den Ausgaben A und C noch nicht vorliegt, und eine

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weitere Errataliste bei weitgehender Satzgleichheit mit A. Sie ist deshalb als späterer, nur in Einzelheiten veränderter Nachdruck von A anzusehen. Die Ausgaben D und E sind schon durch die Jahresangabe als spätere Neudrucke identifiziert. Bei einer gemeinschaftlichen Erklärung sind Änderungen im Textbestand nach der Zustimmung der Unterzeichner nicht mehr zu erwarten. Entsprechend beschränken sich die textkritisch relevanten Änderungen in den späteren Ausgaben auf wenige Einzelfälle, die nachgewiesen werden.

Kommentar
1 Vgl. unsere Ausgabe, Nr. 10: Consensus Dresdensis (1571), 807–822.
2 Die Unterschrift von „Halle in Sachssen“ findet sich erst 1572 in der Ausgabe D, vgl. unten.
3 Vgl. zur Entstehungsgeschichte den Abschnitt bei Hund, Das Wort ward Fleisch, 406–408.
4 Zu Chemnitz vgl. die Einleitung zu Nr. 3: Treuhertzige Warnung (1571), 295
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