Einleitung
1. Historische Einleitung
Obwohl ihm der
„Wittenberger Katechismus“ schon seit dem Jahresende
1570 bekannt war, hatte sich
Nikolaus Selnecker in
seinem Amt als Generalsuperintendent des
Fürstentums
Braunschweig-Wolfenbüttel anfangs zurückgehalten und
nicht öffentlich Stellung bezogen, zumal er sich im Frühjahr 1571 in
Gandersheim abseits der großen Zentren
aufhielt. Erst nach seiner Rückkehr nach
Wolfenbüttel erfuhr er durch die herzoglichen
Räte über die Vorgänge in
Braunschweig und von dem Gutachten, das
Martin Chemnitz, Stadtsuperintendent von
Braunschweig, für den Rat der Stadt
Halle verfasst hatte. Auf
dem Konvent der braunschweigischen Theologen unter Vorsitz von
Herzog Julius geriet
Selnecker wegen seines
Schweigens in öffentliche Kritik:
Chemnitz warf ihm vor, die Verbreitung des
Katechismus im Fürstentum nicht verhindert zu haben. Wegen seines
Votums, das Gespräch mit den Wittenbergern zu suchen und eine
öffentliche Verurteilung zu vermeiden, geriet
Selnecker sogar in Verdacht, mit der im
Katechismus vertretenen Interpretation von
Act 3,21 zu sympathisieren, zumal er als aus Kursachsen
beurlaubter Professor der Universität
Leipzig ohnehin zwischen den Lagern zu stehen schien. Auf
Befehl des Herzogs musste
Selnecker noch während des Konvents am 1. Mai 1571 eine Stellungnahme zur Auslegung
dieser Stelle abgeben.
1 Der
in wenigen Stunden verfasste Text wurde nachmittags öffentlich
verlesen, gutgeheißen und von
Herzog Julius für den Druck bestimmt. Er
erschien unter dem Titel
„De verbis actor. 3 [...] brevis et necessaria
commonefactio“ in Wolfenbüttel und wird im Folgenden ediert.
2. Der Autor
Nikolaus Selnecker
(1530–1592) aus
Hersbruck im Nürnberger Landgebiet
2 wurde schon im Knabenalter Organist an der Burgkapelle in
Nürnberg und kam dadurch 1543 in Kontakt mit den Nürnberger Predigern
Wenzeslaus Link und
Veit
Dietrich. 1549 immatrikulierte er sich in
Wittenberg und wohnte im Hause
Melanchthons. Am
31. Juli 1554 wurde
Selnecker unter dem Dekanat
Caspar Peucers zum Magister
Artium promoviert. Wohl unter dem Einfluss
Melanchthons entschied er sich zum
Theologiestudium und hielt erste philosophische und
theologisch-bibelexegetische Vorlesungen. Nach seiner Ordination am
1. Februar 1558 in
Wittenberg trat
Selnecker die Stelle als
dritter Hofprediger in
Dresden an. Er
bekam die Erziehung des
Kurprinzen bis zu dessen
frühem Tod übertragen und veröffentlichte zahlreiche theologische
und philosophische Schriften. 1564 wurde er nach
Kritik an der Lebensführung seines Landesherrn aus der
Hofpredigerstelle entlassen. Im März 1565
übernahm Selnecker eine Professur an der zeitweilig philippistisch geprägten Universität
Jena, die
er nach drei Jahren wieder aufgab, als
Herzog Johann Wilhelm einen deutlicher
gegen
Wittenberg gerichteten
Kurs verfolgte. Am 16. August 1568 wurde
er Professor in
Leipzig,
Superintendent und Prediger an der Thomaskirche. Zwei Jahre
später, am 24. April 1570, nahm
Selnecker, vom Kurfürsten beurlaubt, eine Stelle als Hofprediger, Generalsuperintendent und Kirchenrat im
Fürstentum
Braunschweig-Wolfenbüttel an. Kurz nach Amtsantritt, am 11. Mai 1570, wurde er zusammen mit
Caspar Cruciger d.J.,
Christoph Pezel,
Heinrich Moller,
Friedrich Widebram und
Johannes Bugenhagen
d.J. zum Doktor der Theologie promoviert. In der als
Reaktion auf die Promotionsthesen entstehenden Debatte um die
Wittenberger Christologie und Abendmahlslehre bezog
Selnecker eine zunehmend deutliche
Gegenposition zu den Theologen der Universität
Wittenberg.
3. Inhalt
Ohne den seine Veröffentlichung auslösenden
„Wittenberger Katechismus“beim Namen zu nennen oder auch nur deren Urheber zu erwähnen,
nimmt
Selnecker
Stellung zu einigen Schriften, in denen wie auch bei
Beza die Stelle
Act 3,21 in passivischer Form verstanden wurde. Er
bedauere die Verbreitung dieser Schriften und hoffe auf spätere
Gelegenheit zur vollständigen Erörterung. Jetzt könne er sich nur der
Stelle selbst und den Kommentaren dazu zuwenden, um den
Versuchen, die Jugend damit zu verderben, entgegenzutreten. Im
Folgenden stellt
Selnecker
den griechischen Text, die lateinische Fassung der Vulgata und
bei Erasmus, die auf der syrischen Überlieferung beruhende
Version sowie die Übersetzung
Luthers
nebeneinander, um zu belegen, dass in der wahren Kirche nie vorher
diese Stelle in Bezug auf ein räumliches Sitzen der Menschheit
Christi zur Rechten Gottes oder eine Gebundenheit der menschlichen
Natur an einen Ort, sondern allein auf die Erhöhung Christi verstanden
worden sei. Unter Berufung auf zahlreihe Äußerungen der Kirchenväter
sagt
Selnecker aus, die
Rechte Gottes sei nicht als topographisch bestimmbarer Ort, sondern als
Beschreibung der an die menschliche Natur Christi mitgeteilten
göttlichen Allmacht zu verstehen. Abschließend zitiert Selnecker
ausführlich in Griechisch und Lateinisch den Katechismus von Joachim
Camerarius, der in Kursachsen
verwendet wurde.
Selnecker hebt hervor, dass die passivische Übersetzung von
Act 3,21 der analogia fidei
entgegenstehe und man sie missbilligen müsse: aus sprachlichen Gründen, aus Ehrfurcht vor der Heiligen Schrift und weil sie die
räumliche Umschlossenheit der menschlichen Natur nahe lege, die
sonst nirgends
in der Schrift ausgesagt werde. Sie
widerspreche dem Konsens aller rechtgläubigen Versionen,
sei in der Alten Kirche und der Gegenwart ungebräuchlich, leiste
dem Niedergang des Abendmahls Vorschub und spiele den Irrlehren der
„Sakramentierer“ in die Hände. Ein abschließendes Gebet betont
den Charakter eines persönlichen Bekenntnisses.
4. Ausgaben
Nachgewiesen werden können folgende Ausgaben:
A: DE VERBIS || Actor. 3. || OPORTET CHRISTVM || COELVM ACCIPERE. ||
BREVIS ET NECESSARIA || commonefactio Nicolai || Selnecceri D.
|| HENRICOPOLI. [8] Blatt 8° (VD 16 S 5674)Vorhanden: Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt:
AB 154 802 (8)Weimar, Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek: Cat. XVI: 492 d (n.4.).Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 527.36 Quod. (3) (benutztes Exemplar); 786.4 Theol. (3); 1165.8 Theol. (9); Ts 245 (5)
B: DE VERBIS || Actor. 3. || OPORTET || CHRISTVM COE= || LVM
ACCIPERE. || BREVIS ET NECESSA= || ria commonefactio Nicolai ||
Selnecceri D. || HENRICOPOLI. [7] Blatt 8° (VD 16 S 5675)Vorhanden: Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: AB 59
632(2);
154 144(7)Wolfenbüttel,Herzog August Bibliothek: 751.5 Theol. (2); 919.103 Theol.
(2)
C: DE VERBIS || Actor. 3. || OPORTET || CHRISTVM COE= || LVM ACCIPERE. || BREVIS ET NECESSARIA || commonefactio Nicolai ||
Selnecceri D. || Henricopoli. [7] Blatt 8° (VD 16 S 5676)Vorhanden: Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Bs 10400; an: Dk 2202 R Jena, Thüringische Universitäts- und Landesbibliothek: 8º Art. lib. IX,30 (11) München, Bayerische Staatsbibliothek: Conc. C.59/2Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: S 93.8º Helmst. (3)
D: DE VERBIS || Actor. 3. || OPORTET || CHRISTVM COE= || LVM
ACCIPERE. || BREVIS ET NECESSARIA || commonefactio Nicolai || Selnecceri D. || HENRICOPOLI. [7] Blatt 8° (VD 16 ZV 14332)
Vorhanden: Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek 8º Theol. XXIX, 70
(7).E: Enthalten in:
D. NICOLAI || SELNECCERI || EXEGEMA: || 1. De vnione personali duarum naturarum in || Christo. || 2. De Idiomatum
Communicatione. || 3. De Coena DOMINI. || COMMONEFACTIO DE VER- ||
bis Actor. 3. Oportet Christum || coelum accipere. || DISPVTATIO
GRAMMATICA || VVitebergae scripta contra Selneccerum, || & huius in
illam ὐπομνηματα. || BREVIS APPENDIX, DE MO= || do explorandi
Sacramentarios, qui || aperte tales esse nolunt. || HENRICOPOLI. || M.
D. LXXII. 94 Blatt 8° (VD 16 ZV 14333)Vorhanden: Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dk 4375Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt:
AB 153 927 (2)Jena, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek: 8 Theol.
XLIV,7 (2) (unvollständig)Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 921.13 Theol. (1); Ts 245(2)Als Editionsgrundlage dient der im VD 16 unter der Nummer
S 5674 verzeichnete Druck A, der wohl aus der Wolfenbüttler Werkstatt von
Konrad Horn stammt. Die beiden anderen Ausgaben sind Nachdrucke,
S 5675 vielleicht sogar, entgegen dem anders lautenden Impressum, aus
der Jenaer Offizin von
Donatus Richzenhan. Alle Nachdrucke weisen
über Satzvarianten und -fehler hinaus keinerlei textkritisch relevanten
Lesarten auf.