Christliche Fragstück (1571) - Einleitung
bearbeitet von Johannes Hund
[Inhaltsverzeichnis]

|| [677]

Einleitung

1. Historische Einleitung

In der Debatte um ihre „Catechesis“ beließen es die Wittenberger nicht bei
der „Grundfest“ als Antwort auf die rasch laut werdende Kritik. Nur wenige
(5)Wochen nach ihrer großen Verteidigungsschrift veröffentlichten sie im
August 1571 die „Wittenberger Fragstück“. Mit dieser ebenfalls in Frage-
und Antwortform konzipierten Schrift, in deutscher Sprache und von über-
schaubarem Umfang, sollte die in der „Catechesis“ vertretene Abendmahls-
lehre und Christologie durch zusätzliche Klärungen untermauert werden.
(10)Zugleich richtete sich die Veröffentlichung an einen größeren Rezipienten-
kreis: Auch diejenigen, die nicht des Lateinischen mächtig waren und nicht
der anspruchsvollen Argumentation der „Grundfest“ folgen wollten, sollten
sich ein Urteil über den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe bilden können, die
gegen den Katechismus erhoben wurden. Die „Fragstück“ konzentrieren sich
(15)inhaltlich ganz auf einen wichtigen Teilaspekt der Debatte: die Frage des
rechten Verständnisses von Himmelfahrt und Sitzen zur Rechten des Gottes-
sohnes.
Die „Wittenberger Fragstück“ sind ebenso wie die „Catechesis“ als Gemein-
schaftswerk der Wittenberger Theologen gekennzeichnet. Deshalb ist die
(20)Frage nach der Autorschaft der Fragstück wohl nicht endgültig zu klären.
Begründete Vermutungen sprechen aber für Christoph Pezel als Autor der
Schrift.1

2. Inhalt

Die „Fragstück“ verstehen sich, wie die Titelformulierung erklärt, als Wider-
(25)legung solcher im Kontext der laufenden Debatte vertretenen Lehren, die für
sich in Anspruch nahmen, mit der Lehre Luthers und der des Corpus doctri-
nae Philippicum in Einklang zu stehen, aber tatsächlich – in den Augen der
Autoren – eine Verfälschung der Wahrheit darstellen.
Die ersten vier Fragen widmen sich dem Umstand, dass bereits im Apostoli-
(30)kum, ja sogar bei den Aposteln und Evangelisten, wie auch in der Confessio
Augustana die Himmelfahrt Christi und seine Erhöhung zur Rechten Gottes
als zwei unterschiedliche Glaubensartikel angeführt werden.
Die folgenden sieben Artikel behandeln die Auffahrt in den Himmel: Zuerst
werden Definitionen von Auffahrt und Himmel gegeben, dann nach der
(35)eigentlichen Bedeutung gefragt. Als Beleg für die sichtbare und leibliche
Aufhebung der menschlichen Natur Christi von der Erde hinauf in den als
Ort verstandenen Himmel wird auch hier die Stelle Act 3,21 in passivischer

|| [678]

lateinischer Übersetzung angeführt. Die „Fragstück“ erwarten als Antworten
aber nicht nur Nachweise aus der Heiligen Schrift, den altkirchlichen Be-
kenntnissen und der Confessio Augustana, sondern auch aus der Tradition
der Kirchenväter bzw. -lehrer der ersten acht Jahrhunderte und aus Martin
(5)Luthers
Äußerungen.
In ähnlicher Weise wird das Sitzen zur Rechten Gottes erläutert. Der erste
der fünf Artikel fragt nach der Definition der Rechten Gottes, die folgenden
erörtern die Bedeutung dieses Artikels und die Frage, auf welche Natur
Christi sich sein Sitzen zur Rechten bezieht und wie es zu verstehen ist. Die
(10)Fragstück deuten es als ein Ablegen aller irdischen Schwachheit, die der
menschlichen Natur Christi bis dahin anhaftete, insistieren aber zugleich
darauf, dass dies in keiner Weise den klaren qualitativen Unterschied
zwischen Gottheit und Menschheit einebne.
In einem Appendix werden drei Äußerungen Luthers und ein Zitat von
(15)Gregor von Nazianz angeführt, die man als ausschlaggebend für die Debatte
betrachtet, die aber meist nur verstümmelt zitiert würden.

3. Ausgaben

Nachgewiesen werden können folgende Ausgaben:
A: Christliche Fragstck || Von dem vnterschied || der zweyen Artickel /
(20)des Apostolischen || Glaubens Bekentnis / Das Christus gen Hi= || mel
auffgefaren sey / vnd nuhn sitze zur Rech= || ten Gottes des
Allmechtigen || Vaters / || Dorinnen || Warhafftig / grůndlich / vnd rich=
|| tig erkleret wird / was der Heiligen Schrifft / || vnd der gantzen
Rechtgleubigen Kirchen lehre sey / von || der Himelfart Christi / vnd
(25)von seiner Maiestet || vnd Herrligkeit / In die er nach seiner ||
ernidrigung ist eingesetzt. || Gestellet || Durch die THEOLOGEN in ||
der Vniuersitet Witteberg. Zum vnterricht || des Christlichen Lesers /
vnd zu widerlegung der Newer= || dichten vorfelschungen / so dieser
zeit vnter dem angemasten schein der || Schrifften Lutheri / vnd
(30)Corporis Doctrinae, von etli= || chen durch den Druck ausgesprenget ||
worden sind. || Anno CHRISTI 1571. || Mense Augusto.
[20] Bl., 4° [im
Kolophon: Gedruckt zu Wittenberg durch || Lorentz Schwenck. || Anno
1571.] (VD 16 W 3716).
Vorhanden in:
(35)Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 199 Theol. (5) [benutztes
Exemplar]; Alv. Ed 54 (6)
Augsburg, Staatsbibliothek: 4º Th. H. Grundfeste 1571/1
Dresden, Landesbibliothek: Hist. Sax. L 199,26
Gotha, Forschungsbibliothek: Th 1653 (13); Theol. 4º 658-659 (8)
(40)Halle, Universitätsbibliothek: Ung VI 48 (4)

|| [679]

Jena, Universitätsbibliothek: 4º Theol. XLIII,15 (5)
Lüneburg, Ratsbücherei: 15 in: Inc 8º1379
Wien, Österreichische Nationalbibliothek: 79. R. 119
B: Christliche Fragstck || Von dem vnterschied || der zweien Artickel / des
(5)Apostolischen || Glaubens Bekentnis / Das Christus gen Hi= || mel
auffgefaren sey / vnd nuhn sitze zur Rech= || ten Gottes des
Allmechtigen || Vaters / || Dorinnen || Warhafftig / grndlich / vnd rich=
|| tig erkleret wird / was der Heiligen Schrifft / || vnd der gantzen
Rechtgleubigen Kirchen lehre sey / von || der Himelfart Christi / vnd
(10)von seiner Maiestet || vnd Herrligkeit / In die er nach seiner ||
ernidrigung ist eingesetzt. || Gestellet || Durch die THEOLOGEN in der
Vni= || versitet Witteberg. Zum vnterricht des Christlichen || Lesers /
vnd zu widerlegung der Newerdichten vorfelschun= || gen / so dieser
zeit vnter dem angemasten schein der || Schrifften Lutheri / vnd
(15)Corporis Doctrinae, || von etlichen durch den Druck ausge= || sprenget
worden || sind. || Anno CHRISTI 1571. || Mense Augusto.
[s.l.] [20] Bl.,
4° (VD 16 W 3715).
Vorhanden in:
Gotha, Forschungsbibliothek: Theol. 4° 629(3)
(20)Dresden, Landesbibliothek: Hist.Sax.L 199,28
Jena, Universitätsbibliothek: 4ºBud.Theol.251(28)
Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek: 31,4:379(n.1.); Aut.VII(15)
Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: G 94.4° Helmst. (9); 386.7
Theol. (7); Alv.: Eh 146 (2)
C: Christliche Fragstck || Von dem vnterschied || der zweien Artickel / des
Apostolischen || Glaubens Bekentnis / Das Christus gen Hi= || mel
auffgefaren sey / vnd nuhn sitze zur Rech= || ten Gottes des
Allmechtigen || Vaters / || Dorinnen || Warhafftig / grndlich / vnd rich=
|| tig erkleret wird / was der Heiligen Schrifft / || vnd der gantzen
(30)Rechtgleubigen Kirchen lehre sey / von || der Himelfart Christi / vnd
von seiner Maiestet || vnd Herrligkeit / In die er nach seiner ||
ernidrigung ist eingesetzt. || Gestellet || Durch die THEOLOGEN in der
Vni= || versitet Witteberg. Zum vnterricht des Christlichen || Lesers /
vnd zu widerlegung der Newerdichten vorfelschun= || gen / so dieser
(35)zeit vnter dem angemasten schein der || Schrifften Lutheri / vnd
Corporis Doctrinae, || von etlichen durch den Druck ausge= || sprenget
worden || sind. || Anno CHRISTI 1571. || Mense Augusto.
[s.l.] [16] Bl.,
4° (VD 16 W 3714)
Vorhanden in:
(40)Leipzig, Universitätsbibliothek: Syst. Th. 233r/5

|| [680]

Aschaffenburg, Stiftsbibliothek: I-1013/1
Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dm 2742
München, Bayerische Staatsbibliothek: 4ºPolem.1284
Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek: 5,4:2c(n.3.)2
(5)
Ausgabe B nimmt grammatikalische Korrekturen an A vor, die Druck C
ebenfalls aufweist, der darüber hinaus aber noch weitere Korrekturen an A
und B enthält. A hat damit als Erstausgabe zu gelten, B als Zweitauflage und
C als dritte Auflage des Druckes. Einzig A gibt im Kolophon Wittenberg als
(10)Erscheinungsort und Lorenz Schwenck als Drucker an. B und C sind ohne
Orts- und Druckerangabe erschienen. Textgrundlage für diese Edition ist die
Erstauflage, da die Diskussion um die Wittenberger Fragstück kurze Zeit
nach deren Publikation einsetzt und A somit als rezeptionsgeschichtlich
bedeutsamste Ausgabe zu gelten hat.3

Kommentar
1 Vgl. Helmar Junghans, Art. Kryptocalvinisten, in: TRE 20 (1990), 125, und Klueting,
Wittenberger Katechismus
, 19f. Zu Pezel vgl. die Einleitung zu Nr. 2: Wittenberger Katechismus
(1571), 81f.
2 Im elektronischen Zusatzverzeichnis zum VD 16 wird unter der Nummer ZV 17832 eine
weitere Ausgabe nachgewiesen, die sich in der Forschungsbibliothek Gotha befindet (Signatur
Theol. 4° 520d [4]). Nach der freundlichen Auskunft von Frau Franziska König, Erfurt,
entsprechen in diesem Exemplar die Bögen A–D dem Druck W 3716, während Bogen E mit dem
Druck W 3715 übereinstimmt. Es handelt sich also um ein Mischexemplar. Ob dieser Druck so
verkauft worden sei oder es nur durch die Bindung zu dieser Zusammenstellung gekommen sei,
lasse sich nicht mehr feststellen. Angesichts des Umstands, dass nur in Gotha ein solches
Exemplar nachgewiesen ist, sei aber ein Bindefehler wahrscheinlich. Der Druck wird deswegen
hier nicht gesondert erfasst.
3 Zur Rezeptionsgeschichte der Wittenberger Fragstück vgl. Hund, Das Wort ward Fleisch,
398–419.
Seite drucken

XML: http://diglib.hab.de/edoc/ed000211/fragstueck/einleitung.xml
XSLT: http://diglib.hab.de/edoc/ed000211/tei-transcript.xsl