Grundfest - Einleitung
bearbeitet von Henning Jürgens/ Johannes Hund
[Inhaltsverzeichnis]

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Einleitung

1. Historische Einleitung

Noch bevor die erste Schrift gegen ihren Katechismus in den Druck ging,
fiel in der theologischen Fakultät der Universität Wittenberg der Beschluss,
(5)eine umfassende Schrift „Von der Person vnd Menschwerdung Christi“ zu
veröffentlichen, um so die Initiative in der beginnenden Auseinandersetzung
um Christologie und Abendmahlslehre zu ergreifen.1 Ausgangspunkt hierfür
war eine Abschrift des Briefes, den der Braunschweiger Theologe Martin
Chemnitz
am 1. April 1571 an den Rat der Stadt Halle geschrieben hatte.2
(10)Geht man davon aus, dass dieser Brief den Wittenberger Theologen frühes-
tens um die Monatsmitte des April vorlag, so dürfte der Beginn der Abfas-
sung auf Ende April/Anfang Mai des Jahres 1571 fallen. Kurze Zeit später
kam es zu einem Aufenthalt des Kurfürsten August in Wittenberg, bei dem
die dortigen Theologen Bericht über die zurzeit in Arbeit befindliche Schrift
(15)abstatteten. Dem Kurfürsten wurden einige bereits gedruckte Bögen aus die-
ser „Grundfest“ übergeben, auf die er positiv reagierte. Doch trug August
ihnen auf, die theologische Fakultät der Universität Leipzig in die Erstellung
der Schrift mit einzubeziehen. So wurden die jeweils fertig gestellten Stücke
sukzessive zur Prüfung durch die dortigen Theologieprofessoren nach Leip-
(20)zig
geschickt. Die Rückmeldungen fielen allesamt positiv aus.
Während der Monate Mai und Juni 1571 waren die Wittenberger damit
beschäftigt, Antworten auf die zeitgleich gegen ihren Katechismus erschei-
nenden Streitschriften in die „Grundfest“ mit einzuarbeiten, was den Er-
scheinungstermin deutlich verzögerte. Der Unterstützung ihres Kurfürsten
(25)glaubten sie sich während dieser Zeit noch sicher. Doch Augusts Haltung
änderte sich im Laufe des Monats Juni. Die erscheinenden Streitschriften
gegen den „Wittenberger Katechismus“ und ein Gutachten des Hofpredigers
Philipp Wagner über die Braunschweiger Publikationen gegen den „ Witten-
berger Katechismus“
, in dem die Empfehlung ausgesprochen wurde, die
(30)Veröffentlichung der „Grundfest“ zu verbieten,3 hatten den kursächsischen
Landesherrn gegenüber neuen Wittenberger Beiträgen zur Debatte um Chris-
tologie und Abendmahlslehre skeptisch gemacht. Die zu erwartende Ableh-
nung der Schrift als calvinistische durch das Fürstentum Braunschweig-
Wolfenbüttel
ließ die Publikation der „Grundfest“ auch politisch bedenklich
(35)erscheinen, zumal nur den Augsburger Konfessionsverwandten der Schutz
des Augsburger Religionsfriedens von 1555 garantiert war. Am 20. Juni
1571 ließ August darum den Befehl nach Wittenberg schicken, den Druck

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der „Grundfest“ einzustellen und bereits fertig gedruckte Exemplare dieser
Schrift nicht zu verkaufen. Dieser Befehl erreichte Wittenberg am 30. Juni
und damit 14 Tage zu spät. Denn schon am 16. Juni 1571 war der Witten-
berger Buchführer Conrad Rühel, der die „Grundfest“ auf eigene Kosten
(5)gedruckt und verlegt hatte, mit mehreren hundert Exemplaren zur Naumbur-
ger Messe abgereist und hatte dort mit dem Verkauf des Buches begonnen.
Die Wittenberger Fakultät reagierte auf den kurfürstlichen Befehl mit einer
sofortigen Instruktion an die Druckereien und Buchläden der Stadt, keine
weiteren Exemplare der „Grundfest“ mehr zu vertreiben. Doch war durch
(10)den begonnenen Verkauf in Wittenberg und Naumburg ein vollkommenes
Verbot unmöglich geworden. Die Wittenberger Professoren4 baten deshalb
darum, auch die restlichen Exemplare in den Handel geben zu dürfen. Kur-
fürst August kam ihrem Wunsch am 11. Juli 1571 nach.

2. Inhalt


(15)Die „Grundfest“ stellt nach ihrem ausführlichen Vorwort (2r-10v) in einem
ersten Teil in positiv-affirmativer Entfaltung die Wittenberger Christologie
dar (10v-76v), bevor sie in einem zweiten Teil negativ ausgrenzend die his-
torischen und gegenwärtigen Abweichungen vom altkirchlichen Lehrkon-
sens brandmarkt (77r-152v). Der dritte Teil widmet sich abschließend der
(20)Debatte um den „Wittenberger Katechismus“ (153r-200v).
An die Darstellung der Wittenberger Christologie im ersten Teil schließt sich
eine umfangreiche Sammlung von Schriftbeweisen an, gefolgt von einer
Sammlung von Bezugnahmen auf Konzilsentscheidungen der Alten Kirche
und deren Glaubensbekenntnisse. Diese umfangreiche Sammlung von „dicta
(25)probantia“ sowie ein abschließender Teil mit Väterzitaten soll die Überein-
stimmung der Wittenberger Christologie mit der Lehre der Apostel und der
Alten Kirche nachweisen.
Als Kontrast dazu werden im zweiten Teil zunächst die Positionen der alt-
kirchlichen Häretiker vorgestellt, bevor als Auftakt der zeitgenössischen Irr-
(30)lehren der antitrinitarische Ansatz Michael Servets angeführt wird, gefolgt
von einer Darstellung der antitrinitarischen Bewegungen in Siebenbürgen
und Polen. Daran schließt sich eine umfangreiche Darstellung der Vergot-
tungschristologie Caspar von Schwenckfelds an, die im Folgenden paralleli-
siert wird mit der Württemberger Christologie und der Communicatio Idio-
(35)matum realis, die ebenso wie die Lehre Schwenckfelds die menschliche Na-
tur Christi aufhebe und wie die der Antitrinitarier einen vergotteten Men-
schen aus Christus mache. Mit diesem Angriff auf die Christologie der
beiden Württemberger Theologen Jakob Andreae und Johannes Brenz begin-
nen die Wittenberger die Auseinandersetzung mit ihren zeitgenössischen

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Gegnern.5 Sie stellen die ihrer Meinung nach in zentralen Teilen irrigen An-
sätze der lutherischen Theologen Johannes Wigand, Martin Chemnitz und
Joachim Mörlin vor, bevor sie den zweiten Teil mit einer Darstellung der
Auseinandersetzungen um ihre Promotionsdisputation (1570) abschließen.
(5)Der dritte Teil der „Grundfest“, der den „Wittenberger Katechismus“ und
seine Rezeption zum Thema hat, beginnt mit einer Darlegung der Erschei-
nungsgründe des Katechismus und seines Verhältnisses zum Katechismus
Luthers, bevor die Streitschriften des Sebastian Boëtius und des Martin
Chemnitz
eine kritische Würdigung erfahren. Auch dem Streit um ihre passi-
(10)vische Übersetzung von Act 3,21 widmen die Wittenberger Theologen einen
eigenen Abschnitt. Es folgt abschließend eine umfangreiche Darstellung der
verheerenden Folgen der Lehre von der Communicatio Idiomatum realis für
die Kirche und der Ruf zur Rückkehr zur altkirchlichen Christologie, die als
identisch mit der Wittenberger Lehre vorgestellt wird.
(15)Waren die Streitschriften gegen den „Wittenberger Katechismus“ vor allem
motiviert durch die abendmahlstheologische Fragestellung der Realpräsenz
von Leib und Blut Christi, die den Kritikern durch die Wittenberger Christo-
logie nicht mehr gewährleistet oder geradezu unmöglich gemacht erschien,
so insistierten die Wittenberger Theologen jetzt darauf, dass Christologie
(20)und Abendmahlslehre zwei voneinander zu scheidende Glaubensartikel dar-
stellten, die nicht miteinander vermischt werden dürften. Aus diesem Grund
enthält die „Grundfest“ nur am Rande abendmahlstheologische Aussagen,
die zur Bestätigung von kursächsischen Bekenntnistexten dienen sollen.

3. Ausgaben


(25)Nachgewiesen werden können folgende Ausgaben:
A: Von der Person vn || Menschwerdung vnsers HErrn || Jhesu Christi / ||
Der waren Christlichen || Kirchen || Grundfest/ || Wider die newen
Marcioniten / Sa= || mosatener / Sabellianer / Arrianer / Nesto= || rianer
/ Eutychianer vnd Monotheleten. || Vnter dem Flacianischen hauffen. ||
(30)Durch die Theologen zu Wittemberg / aus der hei= || ligen Schrifft / aus
den Symbolis / aus den frnembsten || Concilijs / vnd einhelligem
Consenss al= || ler bewerten Lerer. || Widerholet vnd Gestellet / zu
trewer lehr vnd ern= || ster verwarnung an alle fromme vnd Gott= ||
selige Christen. || Neben warhaffter vorantwortung / auff die gifftigen ||
(35)vnd boshafftigen verleumbdungen so von den Propositioni= || bus vnd
Catechismo zu Wittemberg ausgangen / || von vielen dieser zeit

ausgespren= || get werden. || Wittemberg. 1571. 240 Blatt 4° [im
Kolophon: Gedruckt zu Wittemberg / durch || Johan. Schwertel. || 1571.]
(VD 16 W 3769)
Vorhanden in:
(5)BRAUNSCHWEIG, Stadtbibliothek: M 326.4º
ZWICKAU, Ratsschulbibliothek: 12.8.4. (2)
B: Von der Person vn || Menschwerdung vnsers HErrn || Jhesu Christi / ||
Der waren Christlichen || Kirchen || Grundfest / || Wider die newen
Marcioniten / Sa= || mosatener / Sabellianer / Arrianer / Nesto= || rianer
(10)/ Eutychianer vnd Monotheleten. || Vnter dem Flacianischen hauffen. ||
Durch die Theologen zu Wittemberg / aus der hei= || ligen Schrifft / aus
den Symbolis / aus den frnembsten || Concilijs / vnd einhelligem
Consenss al= || ler bewerten Lerer. || Widerholet vnd Gestellet / zu
trewer lehr vnd ern= || ster verwarnung an alle fromme vnd Gott= ||
(15)selige Christen. || Neben warhaffter vorantwortung / auff die gifftigen ||
vnd boshafftigen verleumbdungen so von den Propositioni= || bus vnd
Catechismo zu Wittemberg ausgangen / || von vielen dieser zeit
ausgespren= || get werden. || Wittemberg. 1571.
[246] Blatt 4° [im
Kolophon: Gedruckt zu Wittemberg / durch || Johan: Schwertel. || 1571.]
(20)(VD 16 W 3770)
Vorhanden in:
BERLIN, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dm 2741
BONN, Universitätsbibliothek: Gl 257/75
DRESDEN, Sächsische Landesbibliothek: Theol. ev. pol. 521s, Theol. ev. pol.
(25)521t, misc.1
GOTHA, Forschungsbibliothek: Th 223, Theol. 4º 520d (1)
LÜNEBURG, Ratsbücherei: ThD 145 (3)
MÜNCHEN, Bayerische Staatsbibliothek: 4º H. ref. 99/2, 4º Polem. 1439
WOLFENBÜTTEL, Herzog August Bibliothek: 313.11 Theol. (2), G 102.4º
(30)Helmst. (1)
C: Von der Person vnd || Menschwerdung vnsers HERRN || Jhesu Christi / ||
Der waren Christlichen || Kirchen || Grundfest / || Wider die newen
Marcioniten / Sa= || mosatener / Sabellianer / Arianer / Nesto= || rianer /
Eutychianer vnd Monotheleten / || vnter dem Flacianischen hauffen. ||
(35)Durch die Theologen zu Wittemberg / aus der heiligen || Schrifft / aus
den Symbolis / aus den frnemesten Concilijs || vnd einhelligem
Consenss aller bewerten Lerer. || Widerholet vnd Gestellet / zu trewer
lere vnd ernster || verwarnung an alle frome vnd Gottselige Christen. ||
Neben warhaffter vorantwortung / auff die gifftigen vnd || boshafftigen
(40)verleumbdungen / so von den Propositionibus vnd || Catechismo zu

Wittemberg ausgangen / von vielen || dieser zeit ausgesprenget werden.
|| Jtzund auffs newe vbersehen / vnd mit verdolmetschung || der Sprche
so zuuor Latinisch angezogen / vormehret. || Wittemberg / || Anno 1571.
200 [7] Blatt 4° [im Kolophon: Gedruckt zu Wit= || temberg / durch
(5)Hans Lufft. || 1571.] (VD 16 W 3768)
Vorhanden in:
BERLIN, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: 1 an: Dm 2752, 4 in: Dg
5 [benutztes Exemplar]
COBURG, Landesbibliothek: Cas A 5071
(10)GOTHA, Forschungsbibliothek: Theol. 4º 691-692 (10)
MÜNCHEN, Bayerische Staatsbibliothek: Polem. 3133 t
WEIMAR, Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Aut.VII (11a)
WIEN, Österreichische Nationalbibliothek: 77. G. 10
WOLFENBÜTTEL, Herzog August Bibliothek: 109 Theol. (2), 266 Theol. (3),
(15)Alv Eh 147 (2), G 122. 4º Helmst. (9), S 236.4º Helmst. (2)
D: Von der Person vnd || Menschwerdung vnsers HERRN || Jhesu Christi / ||
Der waren Christlichen || Kirchen / || Grundfest / || Wider die newen
Marcioniten / Sa= || mosatener / Sabellianer / Arianer / Nesto= || rianer /
Eutychianer vnd Monotheleten / || vnter dem Flacianischen hauffen. ||
(20)Durch die Theologen zu Wittemberg / aus der heiligen || Schrifft / aus
den Symbolis / aus den frnemesten Concilijs || vnd einhelligem
Consens aller bewerten Lerer. || Widerholet vnd Gestellet / zu trewer
lere vnd ernster || verwarnung an alle frome vnd Gottselige Christen. ||
Neben warhaffter vorantwortung / auff die gifftigen vnd || boshafftigen
(25)verleumbdungen / so von den Propositionibus || vnd Catechismo zu
Wittemberg ausgangen / von vie= || len dieser zeit ausgesprenget
werden. || Jtzund auffs newe vbersehen / vnd im ersten teil mit ||
verdolmetschung der Sprche so zuuor Lati= || nisch angezogen /
vormehret. || Wittemberg. || Anno 1572.
|| 200 [8] Blatt 4° (VD 16 W
(30)3771)
Vorhanden in:
ASCHAFFENBURG, Stiftsbibliothek: I-1013
Die Ausgaben C und D geben sich durch den Zusatz „Jtzund auffs newe
(35)vbersehen“ als Neuauflagen zu erkennen, D durch die Jahresangabe „1572“
als jüngste Auflage. Die Drucke A und B weisen eine Zusammenstellung
von Satzfehlern auf, die bei B noch erweitert wurde. A und B sind bis zum
Bogen Yy satzgleich. A ist damit als Erstausgabe anzusehen, B aufgrund der
fehlenden Beseitigung der anfänglichen Satzfehler, der Erweiterung der
(40)Fehlerliste und dem nur teilweisen Neusatz als bald darauf erstellte Zweit-
auflage, C als dritte und D als letzte Auflage. Bei C und D wurden Überset-

|| [390]
-
zungen für die lateinischen Zitate hinzugefügt. D setzt Marginalien teilweise
als Überschriften. Ansonsten sind nur in Details inhaltliche Veränderungen
vorgenommen worden. Im Anschluss an den Text der „Grundfest“ werden in
D noch die „Fragstück“6 mit abgedruckt.
(5)Zur Edition wurde ein Druck der wirkungsgeschichtlich wohl wichtigsten
dritten Ausgabe C gewählt.7 Vor der Drucklegung von D erfuhr der Text der
„Grundfest“ einen umfangreichen Korrekturvorgang, bei dem Rechtschreib-
fehler und alte Errata beseitigt wurden. Die Edition übernimmt stillschwei-
gend die verbesserten Lesungen aus D.

Kommentar
1 Zur historischen Einordnung vgl. Hund, Das Wort ward Fleisch, 311-319 (dort weitere
Literatur).
3 Vgl. hierzu Hund, Das Wort ward Fleisch, 299-302.
4 Zu den Biogrammen der Wittenberger Professoren vgl. die Einleitung zu Nr. 2: Wittenberger
Katechismus (1571), 81-83.
5 Vgl. Kolb, Grundfest, 711: „After two decades of avoiding public confrontation, the electoral
Saxon ecclesiastical leadership was striking back. [...] the Wittenberg faculty was taking the
offensive against its antagonists.“
6 Vgl. unsere Ausgabe, Nr. 8: Christliche Fragstück (1571), 681-702.
7 Die Rezeptionsgeschichte der „Grundfest“ begann 1571 mit dem „Niedersächsischen Bekennt-
nis“
(VD 16 C 2229), dem die Ausgabe B vorlag, (Vgl. die Bogenzählung der „Grundfest“ im
„Niedersächsischen Bekenntnis“ auf D 3r, unsere Ausgabe, Nr. 9: Niedersächsisches Bekenntnis
(1571), 729, die auf die Ausgabe B bezogen ist) fand aber mit den Stellungnahmen des Lukas
Osiander
(VD 16 O 1183, vgl. unsere Ausgabe, Nr. 12: Bericht vom Nachtmahl (1572), 989-
1012) und des „Württemberger Bekenntnisses“ (VD 16 B 2283. Vgl. unsere Ausgabe, Nr. 11:
Württemberger Bekenntnis (1572), 833–981) vor allem im Jahr 1572 statt. Zu vermuten ist da-
her, dass den Württemberger Publikationen, die keine Blatt- oder Seitenzahlen für ihre Zitate
oder Anspielungen auf die „Grundfest“ angeben, die Ausgabe C oder D vorlag.
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