Einleitung
1. Historische Einleitung
Der „Consensus Dresdensis“, von
Kurfürst August in Auftrag gegeben, um die kursächsische Position gegen die
auswärtigen Vorwürfe, in Kursachsen werde insgeheim calvinistisch gelehrt, als
„confessio bene lutherana“1 zu verteidigen, brachte die Diskussion
keineswegs, wie vom Kurfürsten gewünscht, zu einem Ende, sondern eröffnete
einen neuen Diskussionsgang innerhalb der Debatte um die Wittenberger
Abendmahlslehre und Christologie. Während der
Generalsuperintendent des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, Nikolaus Selnecker,
seine Kritik an den Wittenberger Theologen nach Erscheinen des „Consensus
Dresdensis“ einstellte, den er konsequent im Sinne der Theologie Luthers
interpretierte, reagierten die Theologieprofessoren der ernestinischen
Universität Jena mit einer Schrift, die dem„Consensus Dresdensis“ Unaufrichtigkeit
und ein Abweichen von der „ reinen Lehre“ Luthers vorwarf.2 Eine ähnliche Debatte um die
Interpretation des Dresdener Dokuments fand in der freien Reichsstadt
Frankfurt am Main statt, wo die dortige reformierte Flüchtlingsgemeinde den Konsens
abdrucken ließ und sich zu ihm bekannte. Die Prediger der Stadt reagierten
ihrerseits mit einer konsequent lutherischen Interpretation des „Consensus
Dresdensis“, die sie in ihrer „christlichen Prob“ in Teilen der
Flüchtlingsgemeinde zur Bedingung machten, falls diese ihre
Religion weiterhin in der Reichsstadt ausüben wollte. Auf diese Frankfurter Zumutung
antwortete der ehemalige Pfarrer der Flüchtlingsgemeinde, der
kurpfälzische HofpredigerPetrus Dathenus, indem er den „Consensus Dresdensis“ in
seiner „ Bestendigen Antwort“ konsequent calvinistisch auslegte
und die Berufung seiner ehemaligen Gemeinde auf ihn als legitim darstellte. Schon kurz nach dem Erscheinen
des „Consensus Dresdensis“ waren so die Rezepienten in ein calvinistisches und ein
sich als lutherisch verstehendes Lager gespalten. Damit aber hatte sich
das Dresdener Dokument als offen für beide Interpretationen gezeigt. Diese
Zweideutigkeit des „Consensus Dresdensis“ darzustellen und damit die
Unmöglichkeit aufzuweisen, sich mit ihm von den Vorwürfen, man lehre insgeheim
calvinistisch, zu befreien, war das Ziel, das Lukas Osiander mit seinem „Bericht vom heiligen Nachtmahl“
verfolgte. Seine Schrift kam kurz nach dem Erscheinen der Schrift des
Petrus Dathenus im Jahre 1572 heraus. Sie zerfällt in zwei thematisch voneinander zu
unterscheidende Teile: An die kritische Würdigung des „Consensus
Dresdensis“ (A 2r–E 2v), die hier ediert vorliegt, schließt sich ein
umfangreicherer Teil mit eigenem Titelblatt an, in dem eine theologische
Auseinandersetzung mit den „alten und neuen Zwinglianern“ stattfindet (E
4r–Y 4r), auf dessen Abdruck wir in unserer Ausgabe verzichten.2. Inhalt
Osiander nennt zu Beginn seiner
Schrift die Gründe, die ihn zur Abfassung dieses Gutachtens genötigt hatten: Im
Kirchenvolk sei der Eindruck vorherrschend, dass sich die kursächsischen
Theologen mit dem „Consensus Dresdensis“ deutlich gegen die calvinistische
Christologie und Abendmahlslehre erklärt und damit die Vorwürfe, sie lehrten
heimlich calvinistisch, widerlegt hätten. Er habe dagegen mit dieser Schrift auch
den einfachen Leuten die Augen öffnen wollen, um einer „Verdunkelung“ und einem
allmählichen Untergang der reinen Lehre Luthers entgegenzuwirken.Die vielen Streitschriften gegen den neuen Katechismus und die
anderen Wittenberger Drucke im letzten Jahr hätten immerhin erreicht, dass der
Kurfürst seine Theologen zur Abfassung einer Schrift aufgefordert habe, in
der die Anschuldigungen durch auswärtige Theologen entkräftet werden sollten. Doch
werde der daraufhin erstellte „Consensus Dresdensis“ seiner Aufgabe nicht gerecht.
Denn bei näherer Betrachtung zeige sich, dass an der Erstellung dieses
Dokuments zwei Gruppen beteiligt gewesen seien, von denen die eine bei der Lehre
Luthers habe bleiben wollen, die andere hingegen darum bemüht sei, auch
calvinistische Lehren mit aufzunehmen.3 Die erste Gruppe des zur
Erstellung des Konsenses einberufenen Dresdener Konvents habe etwa die
Abendmahlsdefinition aus dem Kleinen KatechismusLuthers mit in
den „Consensus“ hinein genommen, in der die Gegenwart von Leib und Blut
Christi „unter“ Brot und Wein ausgesagt werde. Dagegen habe aber die zweite Gruppe
viele Formulierungen eingebracht, in denen von einer Gegenwart der Person
Christi oder des Sohnes Gottes die Rede sei. Diese Abschnitte seien nun aber
allesamt auch im Sinne der calvinischen Abendmahlslehre interpretierbar.
Daher stelle es auch für calvinistische Theologen kein Problem
dar, den „Consensus Dresdensis“ zu unterschreiben, würde doch in ihm die
Lehre Luthers in Formulierungen gefasst, die zumindest offen für die
calvinistische Position seien. Die umstrittenen Fragen, ob der Leib und
das Blut Christi mit dem Mund empfangen würden und ob auch die Ungläubigen ihn
empfingen, fänden im „Consensus“ gar keine Erwähnung. Bei der Abgrenzung gegen die
Calvinisten würden nur solche Positionen verworfen, die heute kein
Theologe mehr im Ernst vertrete. Die Autoren des „Consensus Dresdensis“
beriefen sich zwar auf den Kleinen Katechismus Luthers, aber in ihren
weiteren Ausführungen redeten sie den Calvinisten das Wort. Damit sei der
„Consensus Dresdensis“ sowohl lutherisch als auch calvinistisch interpretierbar, und
die Eindeutigkeit im Bekennen faktisch aufgehoben.Der Dresdener Konsens versuche
den Eindruck zu erwecken, als habe der alte Luther seine Lehre von der Allgegenwart
nicht nur der Gottheit, sondern auch der Menschheit Christi widerrufen. Den einzigen
Beleg, den die Autoren des Konsenses dafür anführten, stelle ein
apokryphes Lutherzitat dar, eine Auslegung von I Kor 11,24.4 Wenn die Wittenberger Theologen bei
ihrer These bleiben wollten, dass sich die Christologie Luthers vor seinem
Tod geändert habe, müssten sie jedoch weitere und eindeutigere Zitate anführen, die
zweifelsfrei auf Luther zurückzuführen seien.Seine kritische Würdigung des
„Consensus Dresdensis“ abschließend widmet sich Osiander den Abgrenzungen
des „Consensus Dresdensis“ gegen die Vorstellung von der Allgegenwart der
menschlichen Natur Christi. Den Kursachsen wirft er vor, sich
damit explizit gegen Luther und Brenz zu richten. Der „Consensus
Dresdensis“ behaupte, ohne ihre Namen zu nennen, dass diese beiden Theologen durch
ihre Rede von der Allgegenwart Christi auch nach seiner menschlichen Natur die wahre
Menschheit Christi zerstörten und so gegen ihre eigentliche Intention die Gegenwart
seines wahren Leibes unmöglich machten. Mit dieser Verlagerung der
Auseinandersetzung aber werde der „Consensus Dresdensis“ seiner
eigentlichen Aufgabe, sich von den calvinistischen Irrlehren abzugrenzen,
nicht mehr gerecht. Osiander endet mit einer eindringlichen Warnung davor, dass sich
calvinistische Pfarrer auf der Grundlage des „Consensus Dresdensis“ auf
legitimem Wege in Kursachsen anstellen lassen könnten, um dort die Lehre
zu unterwandern. Dass der Konsens bereits von den Calvinisten als
übereinstimmend mit ihrer Lehre angenommen worden sei, beweise
der durch Petrus Dathenus veranlasste Druck, der in diesem Jahr veröffentlicht
worden sei.3. Ausgaben
Nachgewiesen werden kann folgende
Ausgabe:A: Bericht / || Was
von der kurtzen || Widerholung der Lehre im Arti= || ckel des heiligen Nachtmals
Christi / Welche || in der Versamlung der Theologen zu Dres= || den / den 10.
Octobris / Anno 71. gestellt || vnd publiciert / zuhalten || sey. || Jtem / ||
Warnung fFr dem Zwinglischen || Jrthumb /
welcher sich je lenger je weiter aus= || breitet / vnd durch newe Schrifften / vnter
|| anderm Schein in die Kirche Gottes || wil eingefFhret werden. || Lucas Osiander D. || Anno 1572. [12] Bl. 4° (VD 16 O
1183)Vorhanden in:Berlin, Staatsbibliothek Preußischer
Kulturbesitz: 1 an: Dm 3008; Dm 3012 (Titelblatt fehlt); 7 in: Dk 4Dresden, Sächsische Landesbibliothek:
Theol. ev. dogm. 223m, misc. 2Gotha, Forschungsbibliothek: Th 243 (2);
Theol. 4º 661/4 (5)Halle, Universitätsbibliothek: AB 153 450
(7); AB 154 584 (15); AB 47 13/a,2 (3)München, Universitätsbibliothek: 4º Theol.
1164:3Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek:
Cat. XVI, 743 (n.2.)Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek:
151.9 Theol. (3) [benutztes Exemplar]; 125.13 Quod. (2); 288 Theol. (9); 316.18
Theol. (2); J 632.4º Helmst. (3)