Lukas Osiander d. Ä.: Bericht vom Nachtmahl - Einleitung
verfasst von Johannes Hund
[Inhaltsverzeichnis]

|| [985]

Einleitung

1. Historische Einleitung

Der „Consensus Dresdensis“, von Kurfürst August in Auftrag gegeben, um die kursächsische Position gegen die auswärtigen Vorwürfe, in Kursachsen werde insgeheim calvinistisch gelehrt, als „confessio bene lutherana“1 zu verteidigen, brachte die Diskussion keineswegs, wie vom Kurfürsten gewünscht, zu einem Ende, sondern eröffnete einen neuen Diskussionsgang innerhalb der Debatte um die Wittenberger Abendmahlslehre und Christologie. Während der Generalsuperintendent des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, Nikolaus Selnecker, seine Kritik an den Wittenberger Theologen nach Erscheinen des „Consensus Dresdensis“ einstellte, den er konsequent im Sinne der Theologie Luthers interpretierte, reagierten die Theologieprofessoren der ernestinischen Universität Jena mit einer Schrift, die dem„Consensus Dresdensis“ Unaufrichtigkeit und ein Abweichen von der „ reinen Lehre“ Luthers vorwarf.2 Eine ähnliche Debatte um die Interpretation des Dresdener Dokuments fand in der freien Reichsstadt Frankfurt am Main statt, wo die dortige reformierte Flüchtlingsgemeinde den Konsens abdrucken ließ und sich zu ihm bekannte. Die Prediger der Stadt reagierten ihrerseits mit einer konsequent lutherischen Interpretation des „Consensus Dresdensis“, die sie in ihrer „christlichen Prob“ in Teilen der Flüchtlingsgemeinde zur Bedingung machten, falls diese ihre Religion weiterhin in der Reichsstadt ausüben wollte. Auf diese Frankfurter Zumutung antwortete der ehemalige Pfarrer der Flüchtlingsgemeinde, der kurpfälzische HofpredigerPetrus Dathenus, indem er den „Consensus Dresdensis“ in seiner „ Bestendigen Antwort“ konsequent calvinistisch auslegte und die Berufung seiner ehemaligen Gemeinde auf ihn als legitim darstellte. Schon kurz nach dem Erscheinen des „Consensus Dresdensis“ waren so die Rezepienten in ein calvinistisches und ein sich als lutherisch verstehendes

|| [986]
Lager gespalten. Damit aber hatte sich das Dresdener Dokument als offen für beide Interpretationen gezeigt. Diese Zweideutigkeit des „Consensus Dresdensis“ darzustellen und damit die Unmöglichkeit aufzuweisen, sich mit ihm von den Vorwürfen, man lehre insgeheim calvinistisch, zu befreien, war das Ziel, das Lukas Osiander mit seinem „Bericht vom heiligen Nachtmahl“ verfolgte. Seine Schrift kam kurz nach dem Erscheinen der Schrift des Petrus Dathenus im Jahre 1572 heraus. Sie zerfällt in zwei thematisch voneinander zu unterscheidende Teile: An die kritische Würdigung des „Consensus Dresdensis“ (A 2r–E 2v), die hier ediert vorliegt, schließt sich ein umfangreicherer Teil mit eigenem Titelblatt an, in dem eine theologische Auseinandersetzung mit den „alten und neuen Zwinglianern“ stattfindet (E 4r–Y 4r), auf dessen Abdruck wir in unserer Ausgabe verzichten.

2. Inhalt

Osiander nennt zu Beginn seiner Schrift die Gründe, die ihn zur Abfassung dieses Gutachtens genötigt hatten: Im Kirchenvolk sei der Eindruck vorherrschend, dass sich die kursächsischen Theologen mit dem „Consensus Dresdensis“ deutlich gegen die calvinistische Christologie und Abendmahlslehre erklärt und damit die Vorwürfe, sie lehrten heimlich calvinistisch, widerlegt hätten. Er habe dagegen mit dieser Schrift auch den einfachen Leuten die Augen öffnen wollen, um einer „Verdunkelung“ und einem allmählichen Untergang der reinen Lehre Luthers entgegenzuwirken.Die vielen Streitschriften gegen den neuen Katechismus und die anderen Wittenberger Drucke im letzten Jahr hätten immerhin erreicht, dass der Kurfürst seine Theologen zur Abfassung einer Schrift aufgefordert habe, in der die Anschuldigungen durch auswärtige Theologen entkräftet werden sollten. Doch werde der daraufhin erstellte „Consensus Dresdensis“ seiner Aufgabe nicht gerecht. Denn bei näherer Betrachtung zeige sich, dass an der Erstellung dieses Dokuments zwei Gruppen beteiligt gewesen seien, von denen die eine bei der Lehre Luthers habe bleiben wollen, die andere hingegen darum bemüht sei, auch calvinistische Lehren mit aufzunehmen.3 Die erste Gruppe des zur Erstellung des Konsenses einberufenen Dresdener Konvents habe etwa die Abendmahlsdefinition aus dem Kleinen KatechismusLuthers mit in den „Consensus“ hinein genommen, in der die Gegenwart von Leib und Blut Christi „unter“ Brot und Wein ausgesagt werde. Dagegen habe aber die zweite Gruppe viele Formulierungen eingebracht, in denen von einer Gegenwart der Person Christi oder des Sohnes Gottes die Rede sei. Diese Abschnitte seien nun aber allesamt auch im Sinne der calvi

|| [987]
nischen Abendmahlslehre interpretierbar. Daher stelle es auch für calvinistische Theologen kein Problem dar, den „Consensus Dresdensis“ zu unterschreiben, würde doch in ihm die Lehre Luthers in Formulierungen gefasst, die zumindest offen für die calvinistische Position seien. Die umstrittenen Fragen, ob der Leib und das Blut Christi mit dem Mund empfangen würden und ob auch die Ungläubigen ihn empfingen, fänden im „Consensus“ gar keine Erwähnung. Bei der Abgrenzung gegen die Calvinisten würden nur solche Positionen verworfen, die heute kein Theologe mehr im Ernst vertrete. Die Autoren des „Consensus Dresdensis“ beriefen sich zwar auf den Kleinen Katechismus Luthers, aber in ihren weiteren Ausführungen redeten sie den Calvinisten das Wort. Damit sei der „Consensus Dresdensis“ sowohl lutherisch als auch calvinistisch interpretierbar, und die Eindeutigkeit im Bekennen faktisch aufgehoben.Der Dresdener Konsens versuche den Eindruck zu erwecken, als habe der alte Luther seine Lehre von der Allgegenwart nicht nur der Gottheit, sondern auch der Menschheit Christi widerrufen. Den einzigen Beleg, den die Autoren des Konsenses dafür anführten, stelle ein apokryphes Lutherzitat dar, eine Auslegung von I Kor 11,24.4 Wenn die Wittenberger Theologen bei ihrer These bleiben wollten, dass sich die Christologie Luthers vor seinem Tod geändert habe, müssten sie jedoch weitere und eindeutigere Zitate anführen, die zweifelsfrei auf Luther zurückzuführen seien.Seine kritische Würdigung des „Consensus Dresdensis“ abschließend widmet sich Osiander den Abgrenzungen des „Consensus Dresdensis“ gegen die Vorstellung von der Allgegenwart der menschlichen Natur Christi. Den Kursachsen wirft er vor, sich damit explizit gegen Luther und Brenz zu richten. Der „Consensus Dresdensis“ behaupte, ohne ihre Namen zu nennen, dass diese beiden Theologen durch ihre Rede von der Allgegenwart Christi auch nach seiner menschlichen Natur die wahre Menschheit Christi zerstörten und so gegen ihre eigentliche Intention die Gegenwart seines wahren Leibes unmöglich machten. Mit dieser Verlagerung der Auseinandersetzung aber werde der „Consensus Dresdensis“ seiner eigentlichen Aufgabe, sich von den calvinistischen Irrlehren abzugrenzen, nicht mehr gerecht. Osiander endet mit einer eindringlichen Warnung davor, dass sich calvinistische Pfarrer auf der Grundlage des „Consensus Dresdensis“ auf legitimem Wege in Kursachsen anstellen lassen könnten, um dort die Lehre zu unterwandern. Dass der Konsens bereits von den Calvinisten als übereinstimmend mit ihrer Lehre angenommen worden sei, beweise der durch Petrus Dathenus veranlasste Druck, der in diesem Jahr veröffentlicht worden sei.

|| [988]

3. Ausgaben

Nachgewiesen werden kann folgende Ausgabe:
A: Bericht / || Was von der kurtzen || Widerholung der Lehre im Arti= || ckel des heiligen Nachtmals Christi / Welche || in der Versamlung der Theologen zu Dres= || den / den 10. Octobris / Anno 71. gestellt || vnd publiciert / zuhalten || sey. || Jtem / || Warnung fFr dem Zwinglischen || Jrthumb / welcher sich je lenger je weiter aus= || breitet / vnd durch newe Schrifften / vnter || anderm Schein in die Kirche Gottes || wil eingefFhret werden. || Lucas Osiander D. || Anno 1572. [12] Bl. 4° (VD 16 O 1183)Vorhanden in:Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: 1 an: Dm 3008; Dm 3012 (Titelblatt fehlt); 7 in: Dk 4Dresden, Sächsische Landesbibliothek: Theol. ev. dogm. 223m, misc. 2Gotha, Forschungsbibliothek: Th 243 (2); Theol. 4º 661/4 (5)Halle, Universitätsbibliothek: AB 153 450 (7); AB 154 584 (15); AB 47 13/a,2 (3)München, Universitätsbibliothek: 4º Theol. 1164:3Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Cat. XVI, 743 (n.2.)Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 151.9 Theol. (3) [benutztes Exemplar]; 125.13 Quod. (2); 288 Theol. (9); 316.18 Theol. (2); J 632.4º Helmst. (3)

Kommentar
1 HAB: Cod. Guelf. 64.8 Extrav., 571: Brief des Dresdener Superintendenten Daniel Gresser an seinen Schwiegersohn Nikolaus Selnecker vom 3. Oktober 1571.
3 Zur Vielfalt der Positionen zur Christologie und Abendmahlslehre innerhalb der Theologen Kursachsens, die den „Consensus Dresdensis“ als Kommissionswerk verfassten, vgl. die Einleitung zu Nr. 10: Consensus Dresdensis (1571), 797–799.
4 Vgl. die gründliche Untersuchung zur Diskussion über die Autorschaft in der Rezeption dieser Stelle bei Mahlmann, Das neue Dogma, 220–223.
Seite drucken

XML: http://diglib.hab.de/edoc/ed000211/nachtmahl/einleitung.xml
XSLT: http://diglib.hab.de/edoc/ed000211/tei-introduction.xsl