Einleitung
1. Historische Einleitung
Die theologische Fakultät der Universität Wittenberg befand sich zum Jahreswechsel1569/70 in einer Umbruchsphase:
Nach dem Tod Paul Ebers am 10. Dezember 1569 war von der alten
Besetzung der Wittenberger Fakultät nur noch Georg Major aktiv, der als Dekan der Fakultät
bereits am 14. Dezember 1569 drei
junge Theologen in das Kollegium aufnahm: Caspar Cruciger d.J. aus Wittenberg, einen Sohn des Caspar Cruciger d.Ä. und dessen
Frau Elisabeth, Heinrich Moller aus Hamburg und Christoph Pezel aus Plauen.1 Am 15. Januar 1570 wurde
Friedrich Widebram zum
Stadtprediger Wittenbergs
ernannt und mit der Aufgabe der Inspektion aller Kirchen im Kurfürstentum betraut. Am 18. März 1570 wurde er
zusammen mit Johannes
Bugenhagen d.J. ebenfalls durch Major in das theologische Kollegium aufgenommen.2 Die theologische Fakultät war so zu
Beginn des Jahres 1570 auf sechs Mitglieder
angewachsen. Da die fünf neuen Dozenten noch nicht über den Grad eines
Doktors verfügten, wurde von Georg
Major am 5. Mai 1570eine Thesenreihe vorgelegt, über die Moller, Widebram, Pezel, Bugenhagenund der beurlaubte Leipziger Theologieprofessor und neue Generalsuperintendent des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, Nikolaus Selnecker, disputierten,
nachdem Caspar Cruciger bereits
am 4. März 1570 über eine Thesenreihe über
die Rechtfertigung und gute Werke disputiert hatte.3 Am 11. Mai 1570 wurden Moller, Widebram, Pezel, Bugenhagen, Cruciger und Selnecker durch den Kurfürsten August zu Doktoren der Theologie
promoviert. Am 26. Mai
disputierten fünf weitere Theologen über dieselben Promotionsthesen, um am 29. Mai ebenfalls den
Doktorgrad verliehen zu bekommen: der spätere Wittenberger
Stadtprediger und Theologieprofessor Kaspar Eberhard (ab 1574) und die Superintendenten Siegfried Sack, Jakob Lechner, Johannes Garcaeus, Adam Rother und Georg Langenvoit.Die Qualifikationsdisputation von 1570 steht im Kontext
der kurfürstlichen Bemühungen, einen Konsens zumindest unter den
eigenen Theologen herzustellen, um im Disput mit den
herzoglich-sächsischen Theologen in Jena mit
einer Stimme sprechen zu können. Schon 1570 hatte
der Kurfürst deshalb Theologen von Leipzig und Wittenberg nach
Dresden kommen lassen und ihnen
zusammen mit den kurfürstlichen Superintendenten die gemeinsame Abfassung des „Endlichen Berichtes“,4 einer umfangreichen
Kampfschrift gegen die Jenaer, aufgetragen. Die Promotionsthesen stellen
kompendienartig die kursächsische Lehrtradition in allen
theologischen Lehrstücken zusammen und können so auch als Extrakt
der kursächsischen Lehre gewertet werden, zu der sich die Promovenden
mit ihrer Disputation bekannten. Mit dieser Promotionsdisputation waren
aber auch die Grenzen der Wittenberger Gesprächsbereitschaft gegenüber den
herzoglichen Theologen in Jena abgesteckt. Die Disputationsthesen erreichten indes nicht die
beabsichtigte integrierende Wirkung, sondern wurden zur
Initialzündung für die Auseinandersetzung um die
Wittenberger Abendmahlslehre und Christologie.2. Der Autor
Der Autor der Wittenberger Promotionsthesen ist aller Wahrscheinlichkeit
nach Georg Major
(1502–1574).5 1521 begann er sein Studium in Wittenberg. Am 18. Dezember 1544 wurde er von Luther zum D. theol. promoviert und
trat am 31. Mai 1545 in die theologische Fakultät
ein. An der Erstellung des Leipziger Landtagsentwurfs, an dem sich der
adiaphoristische Streit entzündete, war er beteiligt. Nach dem
Tod von Johannes Bugenhagen
war Major ab 1558 ständiger Dekan der theologischen Fakultät und mehrfach
Rektor der Universität. Als einer der führenden philippistischen Theologen
vertrat Major die
Wittenberger Theologie in Auseinandersetzung mit den Gnesiolutheranern. Im
sogenannten Majoristischen Streit stand seine Theologie über
Jahrzehnte im Kreuzfeuer der Kritik. Kurz vor seinem Tod am 28. November 1574 in Wittenberg erlebte er noch den Sturz des später so
genannten Kryptocalvinismus in Kursachsen und unterzeichnete
die „Torgauer Artikel“.6 3. Inhalt
Die Promotionsdisputation enthält 130 Thesen in sieben Kapiteln über die
Gottes- und Trinitätslehre (Thesen 1–20), die Christologie (Thesen 21–35),
das Gesetz und die Sünde (Thesen 36–59), die Rechtfertigung (Thesen 60–77), die guten Werke (Thesen 78–84), die Bekehrung (Thesen 85–111)
sowie die Kirche (Thesen 112–130) und ist somit als kompendienartige Dar
stellung der Wittenberger Lehrtradition in allen wichtigen
theologischen Fragen der Zeit anzusehen. In allen Artikeln folgte Major oft bis in den Wortbestand
hinein seinem einstigen Lehrer Melanchthon. In der Auseinandersetzung mit den
Antitrinitariern in Siebenbürgen, die
in der Häufigkeit deutlich vor der theologischen Kritik an Rom und den Gnesiolutheranern rangierte,7 sah sich Major mit neuen Herausforderungen konfrontiert.8 Gegen das antitrinitarische Argument,
dass die Trinitätslehre auf keinem direkten Schriftbeleg stehe, machte Major die kirchliche Autorität stark.
Zwar waren für ihn Konzilsentscheidungen immer an der Heiligen
Schrift zu überprüfen. Doch sie hätten auch ihre Gültigkeit aufgrund ihrer
„Katholizität“ und ihres Alters. In dem christologischen Abschnitt der
Promotionsdisputation wandte sich Major, ebenfalls in der Nachfolge Melanchthons, gegen alle Konzepte, die
mit einer realen Ausgießung göttlicher Eigenschaften in Christi menschliche Natur arbeiteten. Sein Anliegen war es dabei, die
von ihm so wahrgenommene antitrinitarische Vorstellung von
Christus als einem Menschen, der in der Taufe vergottet worden sei, nicht
aber über eine eigene göttliche Präexistenz verfügt habe, schon im Keim zu
ersticken. Implizit nahm Majormit dieser Kritik aber auch Stellung gegen die Lehre einer realen
Mitteilung göttlicher Eigenschaften an Christi menschliche Natur,
wie sie Johannes Brenz in
Auseinanderetzung mit dem Calvinismus entwickelt hatte, und die auch von Martin Chemnitz vertreten
wurde.9 Beiden Theologen ging es vornehmlich
darum, die Realpräsenz von Christi Leib und Blut, d.h. seiner Gottheitund Menschheit, im Abendmahl
zu sichern und so der lutherschen Abendmahlslehre in der Diskussion mit dem
Calvinismus größere Argumentationskraft zu verleihen, wobei Chemnitz – anders als Brenz – eine „ Multivolipräsenz“10 vertrat. Dass Majors implizite Kritik an diesen beiden christologischen Ansätzen ihm den Vorwurf einbrachte, es heimlich
mit den Calvinisten zu halten, ist deshalb nicht
verwunderlich.11 4. Ausgaben
Nachgewiesen werden können folgende Ausgaben:A: PROPOSITIONES, ||
COMPLECTENTES || SVMMAM PRAECIPVO= || RVM CAPITVM DOCTRINAE
|| Christianae, sonantis, Dei beneficio, in Aca- || demia &
Ecclesia VViteber- || gensi. || DE QVIBVS CONFESSIONEM || suam
edituri sunt ad diem 5. Maij. || Anno Christi 1570. || M. Henricus
Mollerus Hamburgensis, || M. Fridericus VVidebramus Pesnicensis, ||
M. Nicolaus Selneccerus Noribergensis, || M. Christophorus
Pezelius Plauuensis, || M. Iohannes Bugenhagius VVitebergensis. ||
ET DE IISDEM RESPONDEBVNT || ad diem 26. eiusdem Mensis || &
Anni: || M. Casparus Eberhartus Schnebergensis, || M. Sigefridus
Saccus Northusanus, || M. Iacobus Lechnerus Austriacus, || M.
Iohannes Garcaeus VVitebergensis, || M. Adamus Rotherus
Nouoforensis. || M. Georgius Langenvoit Naumburgensis. || Pro
Licentia in Theologia || consequenda. || VVITEBERGAE || EXCVSAE
TYPIS IOHANNIS || Schuuertelij Anno M.D.LXX. [32] Blatt 4°
(VD 16 ZV 12845)Vorhanden in:Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dm 2556Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: If 3994 a (2), If 4600
(7)Jena, Universitätsbibliothek: 4º Theol. XLIII,12 (6)Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 159 Quod. (8) [benutztes Exemplar]B: PROPOSITIONES,
|| COMPLECTENTES || SVMMAM PRAECIPVO- || RVM CAPITVM DOCTRINAE ||
Christianae, sonantis, Dei beneficio, in Aca- || demia &
Ecclesia VViteber- || gensi. || DE QVIBVS CONFESSIONEM || suam
edituri sunt ad diem 5. Maij, || Anno Christi 1570. || M.
Henricus Mollerus Hamburgensis, || M. Fridericus VVidebramus
Pesnicensis, || M. Nicolaus Selneccerus Noribergensis, || M. Christophorus Pezelius Plauensis, || M. Iohannes Bugenhagius
VVitebergensis. || ET DE IISDEM RESPONDEBVNT || ad diem 26.
eiusdem Mensis || & Anni. || M. Casparus Eberhartus
Schnebergensis, || M. Sigefridus Saccus Northusanus, || M. Iacobus
Lechnerus Austriacus, || M. Iohannes Garcaeus VVitebergensis,
|| M. Adamus Rotherus Nouoforensis. || M. Georgius Langvoit
Naumburgensis. || Pro Licentia in Theologia || consequenda. ||
VVITEBERGAE || EXCVSAE TYPIS IOHANNIS || Schuuertelij Anno M. D.
LXX. [32] Blatt 4° (VD 16 P 5069)Vorhanden in:Gotha, Forschungs- und Landesbibliothek: Th 3356 (4)Jena, Universitätsbibliothek: 4º Theol. XXVII,30 (4)München, Bayerische Staatsbibliothek: Th. u. 478
yMünchen, Universitätsbibliothek: 4º Theol. 1323:2Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: H 179.4º Helmst. (5)C: PROPOSITIONES || COMPLECTEN= || TES SVMMAM PRAECI- ||
PVORVM CAPITVM DOCTRI- || nae Christianae, sonantis, Dei
beneficio, in Academia & Ecclesia VVite- || bergensi. || DE QVIBVS
CONFES- || sionem suam ediderunt die 5. Maij. || Anno Christi 1570. ||
D. Henricus Mollerus Hamburgensis, || D. Fridericus VVidebramus Pesnicensis, || D. Nicolaus Selneccerus Noribergensis, || D.
Christophorus Petzelius Plauensis, || D. Iohannes Bugenhagius
VVitebergensis. || ET DE IISDEM RESPON- || derunt die 26. eiusdem
Mensis || & Anni. || D. Casparus Eberhartus Schnebergensis, || D.
Sigefridus Saccus Northusanus, || D. Iacobus Lechnerus Austriacus, ||
D. Iohannes Garcaeus VVitebergensis, || D. Adamus Rotherus
Nouoforensis, || D. Georgius Langvoit Naumburgensis. [41] Blatt 8°,
enthalten in: DE
PRAECIPVIS HORVM || TEMPORVM CONTRO- || VERSIIS: || PROPOSI= ||
TIONES, ORA= || TIONES ET || QVAESTIO- || NES, || CONTINENTES SVM-
|| MAM CONFESSIONIS ACA- || demiae VVitebergensis,
congruentem cum per- || petua sententia purioris & ortho- ||
doxae antiquitatis. || SCRIPTAE ET PROPOSI- || tae publicè
VVitebergae Anno Chri- || sti 1570. ||
Catalogum sequens pagina monstrabit. || VVITEBERGAE, || Excusae
typis Iohannis Schvvertelij || Anno M. D. LXX. [199] Blatt 8° [im Kolophon: VVITEBERGAE || EXCVDEBAT IOHANNES ||
Schvvertelius Coburgen- || sis. || ANNO M. D. LXX.] (VD 16 W 3749),
C 8v–I 1v.Vorhanden in:Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: 919.124 Theol., C 223.8º Helmst. (2)D: PROPOSITIONES || COMPLECTEN= || TES SVMMAM PRAECI- || PVORVM
CAPITVM DOCTRI- || nae Christianae, sonantis, Dei beneficio, in
Academia & Ecclesia VVite- || bergensi: || DE QVIBVS CONFES- ||
sionem suam ediderunt die 5. Maij. || Anno Christi 1570. || D.
Henricus Mollerus Hamburgensis, || D. Fridericus VVidebramus
Pesnicensis, || D. Nicolaus Selneccerus Norbergensis, || D.
Christophorus Petzelius Plauensis, || D. Iohannes Bugenhagius
VVitebergensis. || ET DE IISDEM RESPON- || derunt die 26. eiusdem
Mensis || & Anni. || D. Casparus Eberhartus Schnebergensis, || D.
Sigefridus Saccus Northusanus, || D. Iacobus Lechnerus
Austriacus, || D. Iohannes Garcaeus VVitebergensis, || D. Adamus
Rotherus Nouoforensis, || D. Georgius Langvoit Naumburgensis. [41]
Blatt 8°, enthalten in: DE PRAECIPVIS HORVM ||
TEMPORVM CONTRO- || VERSIIS: || PROPOSI= || TIONES, ORA= || TIONES
ET || QVAESTIO- || NES, || CONTINENTES SVM- || MAM
CONFESSIONIS ACA- || demiae VVitebergensis, congruentem cum
per- || petua sententia purioris & orthodo- || xae
antiquitatis. || SCRIPTAE ET PROPOSI- || tae publicè VVitebergae,
Anno Chri- || sti 1570. || Catalogum sequens pagina monstrabit. ||
VVITEBERGAE || Excusae typis Iohannis Schwertelij, || Anno
M. D. LXXI. [255] Blatt 8° [im Kolophon: VVITEBERGAE ||
Excusae typis Iohannis Schwertelij, || Anno M.D.LXXI.] (VD 16 W 3750),
D 5v–I 6v.Vorhanden in:Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz: Dm 2561 Bem: Titelblatt fehlt; unvollständig, 1 an: Dm 2730Gotha, Forschungs- und Landesbibliothek: Theol. 440a/3 (1), Theol. 440a/6Halle, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt: AB 155 341
(2)Jena, Universitätsbibliothek: 8º Theol. XXXVII,3 (2)München, Universitätsbibliothek: 8º Misc. 72 (5:2)Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek: Alv Ac 441 (1), K 145. 8º
Helmst. (1), Yv 683.8º Helmst.B weist
grammatikalische Verbesserungen und Korrekturen von Druckfehlern
gegenüber A auf.
A hat damit als
Erstausgabe zu gelten, B als Neuauflage. C und D
stellen Neuausgaben im Rahmen einer Sammlung von Wittenberger
Disputationsthesen, akademischen Reden und Quaestiones dar, die im Oktober 157012 in
den Druck ging und 1571 eine Neuauflage erlebte. Der
Edition liegt die Erstausgabe A zugrunde, da die Debatte um den Text
der Disputation unmittelbar nach der Promotion der Doktoranden
einsetzte.13