Text

250500
Kartell
[Inhaltsverzeichnis]
|| [403]

250500

Kartell


Spielplan eines höfischen Aufzugs mit den Rollentexten der Allegorien und Hirten, vielleicht von Diederich v. dem Werder (FG 31, PA) oder Tobias Hübner (FG 25, PA) für die Vermählung Hz. Wilhelms IV. v. Sachsen-Weimar (FG 5, PA) mit Fn. Eleonora Dorothea v. Anhalt-Dessau (PA, TG 4) verfaßt. Die Charaktere, welche meistenteils einem Roman von Honoré d'Urfé (L'Astrée) entnommen sind, wurden wohl von Mitgliedern der Académie des Parfaits Amants dargestellt.

Beschreibung der Quelle

QLB u. Murhardsche Bibliothek d. Stadt Kassel: 4° Ms. poet, et roman. 9, Bl. 36r-51r. Unbekannte Hand; eigenh. Korrekturen Diederichs v. dem Werder .
|| [404]

Text

Cartell1
Der Akten weiber so von der Gottin Diana2
seint hieher geschickt worden


Gestern alß wir zum schornstein hinaußgefahren, vndt vf vnsern bocken hier in den negsten waldt mitteinander zütanczen angelangett wahren, kam ein vberauß schones weibsbiltt zu vns, welcher angesicht nicht anders alß milch vnd bludt war[,] ihre gelbe hahr hiengen verstrewett vf ihren schultern vf ihrem Kopff trug sie einen silbernen mon, an ihrer handt einen guldenen bogen, vf ihren Rücken einen Kocher vnd Pfeile, vnd sonst war sie grün bekleidet. Diese sprach zu vnß Lieber so ihr Ja begehret zu tanczen so thutt mir den gefallen, schonet euch biß morgen vndt begebt euch alßdan, in den saal so ich euch zeigen will, daselbst will ich euch die 10 schonste hirten hinein führen mitt euch zudanczen, die ihr ewr Lebtag gesehen habt, wir wahren alßbaltt willig vndt versprachen ihr solches ins werck zu seczen, welches wir auch nunmehr gethan haben, aber vnser [36v] Gevatter Lucifer kam heutt vnderwegens zu vnß, vndt sagte wist ihr wohll was ihr an dem ortt thun soltt da ihr ieczundt hinfahrett, das weibsbiltt so euch dahin geschickt ist die Gottin Diana, welche es verdreust, das ihre hirtten mitt den humoren der Liebe aufcziehen, vnndt so etwa einer das Lob in einigem humor erlangete, das die andern solchem noch weitter nachhengen solten, Darumb schicket sie euch dahin euch für ein Remedium Amoris zugebrauchen vndt ihnen durch euch alle ihr humor zubenehmen, Alß wir dieses hortten sagten wir nein der boße3 soll ihr nicht angehen so musten wir nichts geiernett haben in vnsern altten tagen, darumb so gebt achtung, ist vns schon die schonheitt vnndt Jugent vergangen so haben wir gelernett, das wir schon4 , heßlich Altt Jung, Vernunfftig vnuernunfftig vndt [37r] in was gestaltt es vnß gefeltt sein konnen wan wir wollen vndt wan wir vermercken, das wir in einer gestalt nicht anmutig seint, verwandeln wir vnß geschwindt in eine ander wir köntena vnß alle wanb wir wolten, in die allerschonsten Jungfrawen verwandeln,c wollen vnß in vielerley gestaltt verendern, auf das ihr vnsere wunderbahrliche geschicklikeitt erkennen lernet vndt Diana sich hinführo nicht mehr vnderstehe vnß zu vexiren, dan es kein Kinderspiell ist wan altte weiber danczen.
Darumbd habte ihr euch allef wohl furzusehen, das ihr recht ing vns verliebt werdett, dan es kein kinderspiel ist wan alte weiber danczen.

[37v-38r vacant]

[38v]

Intrada

(1)Destino
(2)Eittellkeitt vnndt thorheit mitt Fackeln
Die Music
(3)Konnen Hirtten Fauni oder Satyri sein
(4)Discordia soll die Intrada singen
|| [405] (5)Angst vnndt Herczenleidt mitt fackeln
(6)Celadon5 wirdt durch Passion an einem leibfarbenbandt geführett
(7)Hylas6 wirdt durch vnbestendikeitt an einem weißen bandt geführtt
(8)Lycidas7 wirdt durch eiffer an einem Blawen bandt geführet
(9)Palemon8 wirdt durch Kaltsinnikeit an einem silberfarben bandt
geführtt
(10)Syluander9 wirdt durch Melancolie an einem schwarczen bandt
geführt
[39r]
(11)Vngluck vnndt Schaden mitt fackeln
(12)Corilas10 wirdt durch Freude an einem gelben bandt geführtt
(13)Tircis11 wirdt durch verzweiffelung an einem feuille morte12 bandt
geführett
(14)Calydon13 wird durch hoffnung an einem grünen bandt geführett
(15)Damon14 wirdt durch zorn an einem Rothen bandt geführtt
(16)Pantesmon15 wirdt durch geduldt an einem braunen bandt geführett
(17)Vergenglichkeitth vnndt Rew mitt fackeln
(18)Cupido soll vnder den 10 hirten herumb lauffen
(19)Destino soll das Cartell vberlieffern


[39v]

Kleidung


Destino soll gekleidt sein wie ein Bawr, vndt doch eine güldene Krone vf dem
haupt vndt zepter in der Handt haben
Eittelkeitt soll gekleidt sein wie eine Jungfraw, soll in der handt einen Spie-
gell tragen
Thorheitt soll gekleidet sein wie ein Nar vndt in der handt eine pouppin16
haben
Die Musici sollen gekleidet sein wie man sonst die hirten oder Satyri kleidett
Discordia soll gekleidet sein wie eine Jungfraw, bundt das keine färbe mitt
der andern accordire in den henden soll sie tragen einen Blasebalck
Angst vnndt Herczenleitti wie Jungfrawen bekleidet
Angst soll ein hercz in einer Preßen tragen, vndt Herczenleidt ein hercz in
ein schwarcz bandt gewickelt.
[40r] Celadon soll leibfarb bekleidet sein, welches lieb vnndt schmercz be-
deute
Passion oder Leiden soll wie ein Jungfraw bekleidet sein, ihr Leib mitt Pfeilen
durchschoßen, an ihrem halß ein strick vnndt ein Amboß in der Handt haben
Hylas soll weiß oder wiederschein17 welches coulleur changeante ist, gekleidet
seinj
Vnbestendikeitt soll wie ein Jungfraw bekleidet sein mit flügell vf dem
Rücken vnndt an fußen in der handt soll sie Blumen oder Laub so da abfelt
tragen
Lycidas soll in blaw welches eiffer bedeutet gekleidet sein
|| [406] Eiffer soll auch wie eine Jungfraw bekleidet sein ihr Rock soll voller augen
vnndt ohren sein vnndt in der hand soll sie einen gemahlten Argum haben
[40v] Palemon soll silberfarb bekleidet sein welches die farbe des kaltten erzes
ist
Kaltsinnikeitt soll auch wie eine Jungfraw doch gancz vnachtsamb gekleidet
sein in der handt soll sie ein eiszapffen tragen
Vnglück soll gekleidet sein wie ein Jungfraw, vnndt ein zerbrochenes Segell
in der handt tragen
Schaden soll auch gekleidet sein wie ein Jungfraw soll ihr geltt vnndt klei-
noden von ihr werffen
Syluander soll in die Melancolische schwarcze farb gekleidett sein
Melancolie, soll wie ein Jungfraw, iedoch in schwarcz bekleidet sein, ihren
kopff soll sie in der handt tragen.
[41r] Corilas soll gelb gekleidet sein, welches freude vndt iouissance bedeutett
Freude soll wie ein Jungkfraw bekleidett sein vnndt in der handt kartten,
würffel, Pfeiffen vnndt dergleichen tragenn.
Tircis soll feuille morte tragen, welches die verczweiffelte färbe ist, der blätter
so abgefallen sindt
Verczweiffelung soll wie ein Jungfraw bekleidet sein, soll ein bloßen dolch
vf ihr hercz seczen
Calydon soll grun bekleidet sein welches die hoffnung bedeutett
Hoffnung soll wie eine Jungfraw bekleidet sein einen grünen krancz vf dem
Kopff vnndt ein ancher in der handt tragenn.
[41v] Damon soll Roth bekleidet sein, welches Zorn bedeutett
Zorn soll wie eine Jungfraw bekleidet sein mitt hengenden haren, vnndt soll
eine brinnende fackell in der handt tragen
Pantesmon soll Braun bekleidet sein welche färbe der gedultt zuge[e]ignett ist
Geduldt soll wie eine Jungfraw bekleidet sein einen krancz vf dem Kopff
vnndt ein Lemblein vnderm arm tragen.
Vergenglichkeitt soll wie eine Jungfraw bekleidet sein in der hand soll sie
eine Raucherende Rauchkercze tragen.
Rewe soll gekleidett sein wie die Leutt die sich so selbst steupen vndt soll
sich auch schlagenn vnndt Geißeln
Cupidinis kleidung ist wohll bekant.

[42r]

Cartell


Der Edlen Hirtten so an dem Cristallinen fluß des Lignons18 wohnhafftig, welche sich vorlengst guttwillig in diesen standt begeben haben. Die starcke vnndt gleichsamb veste Mauren vnserer dicken vndt schattichtten wälder, haben vns nicht verwahren können, das Cupido dieselbe nicht vberstiegen vndt zu vns hierein hatte kommen können, vnser niedriger vnndt schlechter standt, (in welchen wir die wir sonst die blume der dapffersten Cauallieri waren vns vnlengst guttwillig begeben haben, dieweil wir vermeint mehr ruhe vndt || [407] contentement darein zu finden) hatt vnß nicht entschuldigt, das wir im19 herberge in vnseren herczen bereitten solten, vnsere gute polcy20 vnndt gesetzt21 , seindt nicht starck genung gewesen das sie nicht von ihm vmbgestoßen, vnndt in die seinige soltten verwandelt worden sein, vnsere eintrechtige gemüther, durch die vnderschiedliche humor dardurch er vns gefangen, nicht lenger beisammen wohnen konnen, sondern vnser fridt vndt einigkeitt ist in eine [42v] hefftige zwiespaltt vndtk vnerhortten streitt gerathen, Verwundert euch nicht, ihr Edlen Cauallieri vndt schone Damen, das wihr, (ob wohll anczusehen geringe vnndt schlechtte hirtten) solcher gestalt oder wahll hefftiger, alß ihr wohll pflegett von Cupido angerennet zu werden, auch belagert vndt vberwunden seindt worden, Dan ob wihr wohll vnsern edlen standt verendert haben, so seint doch drumb vnsere Edele gemuter, so vnß angebohren nicht verendert worden, welche die Liebe mehr alß den standt suchet. So ihr aber die vnderschiedliche humor der Liebe vielleicht noch nicht recht kennet, so wißet das Cupido auch solche an vns gleich wie in einem spiegell ieczo fürstellet: damitt ihr aber auch erfahrett auß was vhrsachen wihr vnsre wälder verlaßen, vnndt alhie bey euch erschienen, so wißett das vnder vnß vnlengst eine grausame discordia wegen der vnderschiedlichen [43r] humor so Cupido vnder vnß außgesprenget entstanden ist, in dem ein Jeder vnder vns Manteniren will das sein Humor der rechte vnndt edelste zue Lieben seye, welches keiner dem andern gestehen will, vnd mehr wihr wohll die lenge22 zu den waffen greiffen mochtten, welches vnß nicht allein schedlich sondern auch schimpfflich nachzureden wehre, alß begehren wir, dieweill wir vnder vnß selbst niemantt erwehlen konnen, der vnß wiederumb vergliche, sintemahl die vnsrigen alle Parteyisch sein das ihr (alß deren furtreffliches Judicium in dieseml subiect vnß wohl bewust ist) vnß samptlich die wier von den vnderschiedlichen humoren der Liebe, nemblich passion, vnbestendikeitt, Eiffer, Kaltsinnikeitt Melancholie, Freude, Verczweiffelung, Hoffnung Zorn vndt gedult gefangen herein geführet vndt von den aigenschafften denen wir nicht entfliehen konnen, nemlich Eittelkeitt, Thorheitt Angst, Herczenleidt, Vnglückh, Schaden, Vergenglikeit vnndt Rew begleidett werden, wohl anschawen [43v] vndt betrachten, vnsern zustant bey euch bewegen vnser gemüeter lernen erkennen, vndt vnß einen gnedigen außschlag, nemlich welches humor vnder vnß der Edelste, vnndt Rechteste zu lieben sey, eroffnen, wollett: Darmitt das vnsere zwispaltt hindan geseczt, einem vnder vnß die victoria erscheine, vndt den andern ein gutt exempel durch denselben gegeben were, Solches in aller vnderthenikeitt wiederumb zuuerdienen erkennen sich schuldig vndt willig.
Celadon der passionirte.
Hylas der vnbestendige
Lycidas der Eiffrige
Palemon der Kaltsinnige
Syluander der Melancolische
Corilas der Froliche
Tircis der verczweiffelte
|| [408] Calydon der Hoffende
Damon der Zornige
Pantesmon der geduldige.

[44r]

Destino

Auff dieser weltt thu' ich alles regieren
Ein ich verwerff den andern thu ich zieren
Vnbillich thut man sich viel vnderstehen
Dan alles wie ich will muß ergehen

Eyttellkeitt

(5)Gleich wie ein gloß23 gancz schon ist anczusehen
so es aber einmahll feltt ists drumb geschehen
also was ich anfang muß ich gestehen
Gancz eittell ist vndt kan nicht bestehen

Thorheitt

Jch thu nach nichts alß meiner Kurczweill trachten
(10)auf dieser weltt thu ich alles gleich achtten
laß alles sehn wie es geht, Laß mich nichtt Krencken
ich thue gancz keiner sach weitter nachdencken.

[44v]

Discordia so die Jntrada
singett

1

Hab danck Pluton das du mich24 thust gewehren
Das ich ieczundt aufczihe mitt solchen ehren
(15)Dan so baltt ich die wonung dein
verließ vnndt auf erden thett sein
thett ich all mein wüntsch erlangen
weill ich alßbaldt bekam gefangen
zehen hirtten aller andern zier
(20)Darüber ich ieczt triumphir

2

Die Lieb vermeint den Ruhm allein zu haben
vndt ihn zu geben gleich Humor vndt gaben
aber solches thett mißfallen mihr
thett mich drumb wiederseczen ihr
(25)Vndt ob woll ihr gewalt groß vndt Prächtig
So war ich ihr dennoch zu mechtig
|| [409] Ein Jeder so mihr inclinirt
So wirt er auch leichtlich verführt

[45r]

3

Ehe ich ankam waren in allen herczen
(30)Gleich freudt, gleich leid, auch gleiche lieb vndt schmerczen
keiner dem andren nichts warff für
keiner den andren verachtet schier
Nuhn mach ich daß sie sich thun haßen
keiner will sich nicht sagen laßen
(35)Drumb führ ich sie zu euch herein
ob concordia bey euch thett seinm

Angst

Jch zittre, ich bebe, ich thu mich krencken
kan nimmer an nichts frolichs gedencken
Ein kalten schweiß, mein leib stetig thut tragen
(40)kan nimmermehr kein frolich aug aufschlagen

Herczenleitt.

All andre glieder konnen Leid außstehen
aber deß herczen Leid thut allen vorgehen
Eß kan den schmercz nicht Lang erleiden
drumb muß es baltt vom Leib abscheiden

[45v]

Celadon

(45)Schmercz Pein Jammer vndt weh muß außstehen
der so in rechter Lieb begehrt zue Leben
Er muß nach nichts alß nach der Liebe streben
Muß aller ander gedancken müßig gehen
Kein vnglück muß ihn Je machen abstehen
(50)Der thot selbst seiner Lieb kein endt muß geben
Es gehe wie es woll sein trew muß oben schweben
Muß ehe alles abczzustehen vor Lieb vergehen
Also hab ich mitt meinem treuen herczen
Gelibt Astream meines Lebens Crone
(55)ob wohll mitt großer passion vnd schmerczen
So meritirt sie doch viel mehr die edle Sonne
Drumb wer von Rechter Lieb will sein genennet
Jn dem solch passion muß sein erkennett

Passion

Jch leid ich lieb ich thu bestendig bleiben
(60)der thott selbst kan die Lieb nicht von mir treiben
|| [410] Dan wo ich einmahl recht eingewurczelt bin
Müst man mich auch ins grab mitt nehmen hin

[46r]

Hylas

Das man nicht rühm trew oder bestendikeitt
Jst auf der erdt kein Nerrischer ding zu finden
(65)Fürnemlich in der Liebe weil sie thun binden
Gleich wie mitt einem strick die Edle freiheitt
Zu vben ist an mir die vnbestendikeitt
weill ich damitt thu all Lieb vberwinden
mitt ihr kan ich meine wunden verbinden
(70)Bin doch bestendig weil ich stets Lieb die schonheitt
Also hab ich geliebt wohll tausent Damen
hab mich doch alczeitt wohll furgesehen
Das ich nicht verschercz der Freiheitt nahmen
Den ich mir nich[t] recht in die Kart Laß sehen
(75)Drumb rath ich wer recht Lieben will vf erden
Das er zuuor Hylas schüler muß werden.

Vnbestendikeit

Gleich wie das Laub wan der wind druber wehet
Leichtlich abfeilet vndt ganczlich nicht bestehett
Also in allem meinem thun ich binn
(80)Bleib kaum ein Augenblick vf einem sin

[46v]

Lycidas

Die Rechte Lieb kan man darbey erkennen
wan sich der eiffer darein thut einschleichen
Eiffer muß niemalß von der Lieb abweichen
Sonst kan man sie nicht billich eine Liebe nennen
(85)Also hab ich ihn auch recht lernen kennen
Das wohll darin nie ist gewest meins gleichen
Den so Phillis ein mahll von mir thet weichen
Thett ich im Eyffer gleich eim fewr brennen
war sie freundlich ich dacht sie thet mein spotten
(90)Redt sie mitt eim ich dacht sie thet ihn Lieben
Thett sie es nicht dacht ichs er hets ihr verbotten
Das ichs nicht merckt thett mich so stets bedrüben
Doch weill es das Kenczeichen rechter Liebe
Rath ich das sich ein Jeder darin vbe.

Eiffer

(95)Jch sehe vndt höre mitt tausent ohren vndt äugen
thu mich selbst quelen vnndt das hercze nagen
|| [411] Alles was geschicht leg ich zum ergsten auß
bring mich in Leiden kan mir nicht helffen draus
[47r]

Palemon

Zuuiel ist vngesundt pflegt man zu sagen
(100)Also ists vngesundt, vndt sehr zu scheltten
wan man die Lieb bißweil nicht Lest erkelten
Sondern thut gar zu brinnende Liebe tragen
Wan man zu hefftig Liebt thut sichs zu tragen
Das schier kein verstandt mehr bey ihm thut gelten
(105)Das hercz muß seiner thorheitt dan entgeltten
Vndt ists zu späth sich darob zubeclagen
Doris hab ich geliebt stets von Herczen
Doch nicht so das ich ihr nicht kont vergeßen
Der Liebt nicht recht sondern ist nur vermeßen
(110)Welcher vermeint stets zu Leiden Liebes schmerczen
Drumb wehr den nahmen rechter Lieb will führen
thu mitt kaltsinnikeitt sein Liebe temperiren

Kaldtsinnikeitt

Mein Complexion phlegmatisch wirdt genendt
mein sin kein vbermaßige hieze kendt
(115)Jch thu von mir allen vbervleiß treiben
Laß meine Sachen fein beimn gleichen bleiben

[47v]

Sylvander

Melancolie thut oft viel herczen Plagen
doch keine so sehr alß die der Lieb ergeben
in traurikeitt die stetig müßen Leben
(120)So wollen den Ruhm rechter Liebe tragen
wan ich Dian nicht sehe so thu ich klagen
bin ich bey ihr thu[t] sich mein Leid erheben
wan ich denck das ich sie balt muß begeben
kan also mich von keiner freude sagen
(125)Doch ist mir all mein traurikeitt ein freude
wan ich bedenck das ich dardurch recht liebe
Auch all mein trauren darin ich mich vbe
Jst sueß weill ich es fur Diana Leide
Drumb wer ein rechter Liebhaber will werden
(130)muß mitt Melancolie leben auf erden.

Melancolie

Jch wein ich seufftz ich thu mich stets beclagen
ich trag mein Leid bey mir thu es niemant sagen
|| [412] Dieweillo mein bleiche gestaltt vnndt mein geberden
Zu leczt meines Leidts verräther werden.

[48r]

Vnglück.

(135)Wo ich hin kam da ist es gutt gewesen
vnangenehm bin ich an allen ortten
Kom doch alß wieder wo ich schon gewesen
Dan für mir hilft kein zuschließen der Pforten

Schaden

Jch bin ein gast welcher kompt vngeladen
(140)Ob ich schon binp vnd bringe nichts dan schaden
So muß der fürwar gar wohll fursehen
Der mihr allezeitt wolt können entgehen.

[48v]

Corilas

Nach freudt vndt lust stehet ains Jeden verlangen
Contentement thutt Jederman begehren
(145)Drum wen das glück diesen sol gewehren
Muß sein sachen auch Recht darnach anfangen
wan ich selbst desperirt wehre ich gefangen
wan ich mich selbst nicht tröst wer wolt wehren
Melancolie die so vieln bringt beschweren
(150)Jch schaffe mir selber freud, thu freudt erlangen
Jch thue mitt frolikeitt mein Stella Lieben
so sie mich wiedrumb Liebt bringt mirs mehr freude
So sie mich hast Laß ich michs nicht betrüben
Dan wer sich noch betrübt hatt doppel Leiden
(155)Drumb wehr recht Lieben will mitt freudt thu lieben
Laß sich kein klein vngück Jemalß betrüben

Freude

Tanczen vnndt springen vnndt frolich Leben
ist all mein sorg darnach ich thu streben
Jch kan mich kein traurig Mine machen
(160)weill mir der mundt nur stets stehet zu lachen.

[49r]

Tircis

Hoffnung kan nicht bestehen wan sichs zutreget
Das die vhrsach zu trauren ist vnerträglich
Sie muß verleschen, verczweiffeln muß gancz Cläglich
Der solch elendt versucht wie mein hercz treget
|| [413] (165)Meine Cleon ist thott dardurch ich pflegett
Jn freudt vnndt allem Lust zue Leben täglich
Waß soll ich hoffen mein schmercz ist vnsäglich
Verczweiffelung die Victoria vber mich träget
Verczweiffelt vnndt trostloß will ich stets bleiben
(170)Begehren nichts alß nur ein schellen25 thott
All trost vndt Hoffnung will ich von mir treiben
Verczweiffelung hilfft mir ab, Hoffnung bringt mich in noth
Drumb wehr recht Lieben will hoff nicht lang vf sein Leiden
thue mitt verzweiffelung sein Leidt vndt leben abscheiden.

Verzweiffelunge

(175)Jch weiß von keinem drost thu auch keinen entpfangen
Des thotes eigen zu sein steht mir all mein verlangen
Guetts vndt böß thu ich alles gleich achten
weill ich gancz desperirt alles thu verachten

[49v]

Calydon

Wer woltt die edle Hoffnung nicht stets Preisen
(180)So sie in allen Stenden nucz vndt trostlich
Fürnemlich aber ist die hülffe Lieblich
So sieq den Liebhabern stets thutt beweisen
Sie thut vnß vf das zukünfftig stets weisen
Alles vnglück vnndt leidt ist vns ertraglich
(185)wan wir gedencken das gudt ist noch zukünfftigk
Die zeitt verzehrett stahll vnndt eisen
Mitt Hoffnung lieb ich Celideam mein Leben
Jn Glück Vnglück, in freudt, in Lieb vndt Leidt
Vndt ob sie schon einem andern wurdt gegeben
(190)So erwartte ich mitt Hoffnung meines glücks zeitt
Drumb wehr den nahmen Rechter Lieb will tragen
thue nimmermehr der Hoffnung gancz absagen

Hoffnung

Der Edle Lorberbaum stets thut Floriren
Der wintter kan sein laub nicht offendiren
(195)Also kan kein vnglück mich auch Je machen sagen
Mein Hoffnung kein grün Laub ieczt mehr thut tragen.

[50r]

Damon

Mitt zorn vndt gewalt man alles beczwingett
Zornig mus sein der so der Lieb will Leben
er muß gancz nicht nach discretion streben
(200)Sonsten er nichts Jemalß zu wege bringett
|| [414] Gedultt noch auch demuth bey ihm klingett
Kinder vndt weiber mögen sich den ergeben
denen ihr destin kein ander waffen hatt geben
Bey mir aber allein der zorn durchdringet
(205)wan ich Fortunae stets geduldig druge
wurdt sie mich selbst zu Leczt recht wohll außlachen
wan ich mitt demut all mein Leiden wuge26
würden gar schlecht bestallt sein meine Sachen
drumb wer da in der Lieb gerecht will leben
(210)thu nimmer in stolcz vndt zorn nichts nachgeben

Zorn

Mitt vngestumb thu ich alles anfangen
nach nichts alß schaden mich stets thut verlangen
Jch begehre nichts alß nur zu vben Räch
denck nicht das mich es oft gerewt hernach

[50v]

Pantesmon

(215)Ein sprichwortt ist geduldt alles vberwindett
das solches wahrhafftig sey thu ich bekennen
Content kan sein der so gedult thut kennen
Fürnemlich in der Liebe sich solches befindett
Durch gedult tragen alles Leid verschwindett
(220)Sie thut das vnglück selbst Ringen vndt trennen
Auch wirdt ein Jeder den klug vndt weise nennen
Der mitt geduldt in alles sich recht findet
Also hab ich Doris geliebt viel Jahre
ob schon viel schmercz vndt Pein ich hab entpfunden
(225)vndt ob schon haß vndt neidt mein Lohn stets wahr
Hab ich doch mitt gedult alles vberwunden
Drumb wer sich recht zu lieben Lest gefallen
Erwehlt gedultt vor andern tugenden allen

Geduldt

Vnglück, schimpff vnndt elendt ich vberwinde
(230)Nimmermehr ohne drost ich mich befinde
Das macht das ich schweigen vndt leiden kan
ducke mich dan doch das wetter sein willen will han

[51r]

Vergengklikeit

Schon sein hilft nichts Reichtumb kan nicht bestehen
weißheitt geschicklikeitt muß auch vergehen
(235)Alles was sich nur vf erde mag anczeigen
Es sey was es woll es muß an meinen Reigen.
|| [415]

Rewe

Ein Sprichwort ist am Ende wirt sichs finden
solches thu ich an mir stets wahr befinden
Dan wan ein sach erst ist zum endt gelauffen
(240)Muß ich mich schlagen vndt mein hahr außrauffen

Cupido

Hier bin ich auch man thutt mich gar woll kennen
Drumb ists vnnotig das ich mich thu nennen
wer wolt doch sein der mich konte verstecken
Findt ich mich doch an allenn ortt vndt Ecken.

Fin.

Textapparat und Kommentar


Textapparat
T
a Aus unleserlicher Korrektur.
b Bis wolten für ⟨da... el zu trutz⟩ Hand Diederichs v. dem Werder .
c Folgt ⟨aber solches wollen wir anizo nicht thun, sondern⟩
d Bis danczen eigenh. Verbesserung Diederichs v. dem Werder .
e Für ⟨fahet an⟩
f Eingefügt.
g Aus ⟨v⟩n
h Aus Verge⟨blich⟩keit
i Aus herczen ⟨f⟩
j Grammatischer Fehler ist
a Folgt ⟨vnnach⟩, unsichere Lesung.
b deisem Schreibfehler.
a Gebessert aus unleserlichem Wortanfang.
b Eingefügt.
c Erste Silbe korrigiert.
d Anfangsbuchstabe aus ⟨k⟩ gebessert.
e Aus ⟨d⟩ie

Kommentar
1 Begriff des Turnierwesens, der hier nicht „die festsetzung der kampfregeln" (DW V, 239 „Kartel", n.), sondern im übertragenen Sinn den Plan — bzw. ein dem heutigen Drehbuch vergleichbares Regiebuch — für eine festliche Veranstaltung bezeichnet. Durch die Aufnahme der Rollentexte gehen solche Kartelle zu Ringelrennen oder Aufzügen verschiedener Art über bloße Regieanweisungen hinaus. Vgl. 250218A V-VII. Das Kartell und die ihm in der Handschrift vorausgehenden und folgenden Gedichte sind von einer unbekannten Hand geschrieben und an einigen Stellen von Diederich v. dem Werder (FG 31, PA) korrigiert worden (s. T). Der oder die Verfasser bzw. Verfasserinnen dürften schon deshalb in den Kreisen der FG oder PA zu suchen sein. Die Handschrift könnte von Anhalt nach Hessen geschickt worden sein. Auf die PA (s. 231206 u. ö.) weisen auch die bukolischen Namen aus dem Roman L'Astrée von Honoré d'Urfé hin. In den damit abgesteckten zeitlichen Rahmen (Ende 1623 bis spätestens 1628) fügt sich auch die Prosodie und Metrik der Verse, welche nicht an die Regeln des Martin Opitz (FG 200) gebunden sind, sondern mit der Nachahmung italienischer Endecasillabi (Bl. 44r u. ö.) ein eigenes, im Kreise um F. Ludwig aufgestelltes Programm verfolgen. Vgl. 230819. Deshalb, auch wegen der eigenhändigen Korrekturen Diederichs v. dem Werder bleibt zu erwägen, ob dieser Übersetzer Tassos und ehemalige Kasseler Hofmann der Autor des Kartells ist. Der von den Hirten ausgetragene Streit über ihre Liebesauffassungen legt die Vermutung nahe, daß die Aufzüge anläßlich einer Hochzeit aufgeführt wurden. Da Fürsten oder Fürstinnen von Anhalt, Brandenburg (Administrator des Erzbst. Magdeburg zu Halle/Saale), Braunschweig-Wolfenbüttel, Hessen-Kassel und Sachsen-Weimar an den Rollenspielen der PA teilnahmen, sind in dem genannten Zeitraum die folgenden Vermählungen in Betracht zu ziehen: Weimar 23. 5. 1625 Fn. Eleonora Dorothea v. Anhalt-Dessau (PA; TG 4) u. Hz. Wilhelm IV. v. Sachsen-Weimar (FG 5, PA); 7. 5. 1626 [n. St.?] Fn. Eleonora Maria v. Anhalt-Bernburg (AL 1617, TG 17) u. Hz. Johann Albrecht II. v. Mecklenburg-Güstrow (FG 158); 16. 12. 1627 [n. || [416] St.?] Fn. Sibylla Christina v. Anhalt-Dessau (PA) u. Gf. Philipp Moritz v. Hanau-Münzenberg (FG 144). Die Hochzeit F. Christians II. v. Anhalt-Bernburg (FG 51) mit Hzn. Eleonora Sophia v. Schleswig-Holstein-Sonderburg (TG 39) am 28. 2. 1625 fand wohl ohne solche Festspiele statt (Christian: Tageb.). Nur für die Weimarer Vermählung wurde, soweit bekannt, ein Kartell [mit Versen Tobias Hübners (FG 25, PA)] zu einem Ritterspiel geschrieben (250609). Obgleich der von Hübner in 250609 erwähnte Aufzug eines Turniers nicht in der vorliegenden Quelle enthalten ist, könnte doch auch dieser Dessauer Hofmann, der als Erfinder von Kartellen ausgewiesen ist (s. 250218A K 16, K V 1 u. K VII), als Verfasser unseres Textes (für die Vermählung einer Dessauer Prinzessin!) angesehen werden. Vgl. in 250609 K 17 die Zeugnisse über seinen festfreudigen jungen Fürsten Johann Casimir v. Anhalt-Dessau (FG 10, PA). Lt. Thür. HSTA Weimar: Fürstl. Haus A 118, Bl. 190r waren am 25. 5. 1625 in Weimar „Rinckrennen" (Plural) und für den folgenden Tag noch unbestimmte „Exercitia" vorgesehen. Vgl. 250609. Das vorliegende Kartell läßt sich auch deshalb am besten mit diesem Ereignis verknüpfen, weil aus den folgenden Jahren nur noch wenige verstreute Hinweise auf die kurzlebige PA bekannt sind.
2 Diane, auch der Name einer Figur aus L'Astrée, in der PA wohl die Rolle Lgfn. Julianas v. Hessen-Kassel . Vgl. 231206, 240301, 240718 u. 250514.
3 Streich, List, vgl. Posse. DW II, 261ff. Lies: ,... sollte ihr der Streich gelingen, müßten wir....' DW I, 342 zit. Jakob Ayrer : „und dieser bosz gieng mir bei diesem närrischen volk frei (schön) an.”
4 Die Gegensatzpaare alt: jung und vernünftig: unvernünftig machen es notwendig, „schon" nicht als das Adjektiv schön zu identifizieren (wie unten Bl. 51r), sondern als das Adverb schon, das hier die Häßlichkeit zugibt. Sonst hätte es statt „schon, heßlich” häßlich: schön heißen müssen. Die Konvention der alten Zeichensetzung erlaubt es, die konzessive Bedeutung durch ein Komma hervorzuheben. Wir dürfen „schon, heßlich” also der Funktion nach mit einem konzessiven Nebensatz vergleichen (s. DW IX, 1463) und den Sinn der Stelle, an der der Autor sich durch äußerste Verknappung des sprachlichen Ausdrucks um eine Zuspitzung der Gegensätze bemüht, so verdeutlichen: „daß wir, obschon wir häßlich sind, doch alt jung, vernünftig unvernünftig ... sein können ...” Erst die Fortsetzung des Satzes bringt den logischen Widerpart (Fähigkeit zur Schönheit) zum Ausdruck
5 Céladon, ein Hirte aus L'Astrée; in der PA Name des Autors Honoré d'Urfé . Vgl. 240301, 240400, 250228, 260000 u. 260000A. D'Urfé kam nicht nach Deutschland , seine Rolle muß daher von einem anderen Hofmann übernommen worden sein.
6 Name eines Hirten aus L'Astrée. In der PA Name Lgf. Wilhelms V. v. Hessen-Kassel (FG 65)? Vgl. 231206 u. 240301.
7 Bruder Céladons in L'Astrée. In den Quellen der PA sonst unbekannt.
8 In der PA sonst nicht belegbar.
9 Silvandre, Schäfer in L'Astrée-, in der PA Rollenname Diederichs v. dem Werder (FG 31).
10 Name eines Schäfers aus L'Astrée, in der PA sonst unbekannt.
11 Verspricht in L'Astrée Cléon, sie über ihren Tod hinaus zu lieben; in der PA sonst unbekannt.
12 In der Farbe toten Laubs. Vgl. Bl. 40v.
13 Calidon, Hirte in L'Astrée. In der PA sonst nicht belegt.
14 Hirte in L'Astrée. In der PA Hz. Wilhelm IV. v. Sachsen-Weimar (FG 5); vgl. 240112 u. 250305.
15 In der PA sonst unbekannt.
16 Puppe. Huguet VI, 109: „Poupine. Poupée, figurine.”
17 Changierend. DW XIV.1.2, 1178.
18 Fluß im französischen Forez , der Kernlandschaft des Romans.
19 ihm.
20 Sic, statt Policey.
21 Gesetze. DW IV.1.2, 4071.
22 Mit der Zeit, schließlich.
23 Glas.
24 Kein grammatischer Fehler oder Irrtum eines Kopisten, da das Verb hier noch den alten Akkusativ der Person erfordert. Den zu erwartenden Genetiv der Sache ersetzt der folgende Nebensatz. Vgl. DW IV.1.3, 4834 und die anderen Akkusative („mich"), Bl. 47v u. 48v.
25 Schreibfehler für schnellen oder tatsächlich zu scheel, schiel: krumm, schief, mißgünstig, feindselig. Die Lesart || [417] schiellen ist hier auch möglich.
26 wüge (im Reim mit drüge), Konjunktivform zu dem im Md. verbreiteten wegen, Präteritum wug/ wugen wog/ wogen. DW IV.1.2, 1527. Die Bedeutung des Verbums könnte wägen gleichkommen, jedoch mag der Reimzwang starke Flexion des schwachen wiegen verursacht haben. DW IV.1.2, 1537.
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