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Friedrich von Schilling an Ludwig Lucius
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Friedrich von Schilling an Ludwig Lucius


Schilling (FG 21) hat am 21. 4. 1621Lucius ' Antwort vom 10. 3. 1621 auf seinen Brief vom 26. 8. 1620 empfangen. Lucius ' Übersetzung des aristotelischen Organon, von der eine Probe dem Brief an Schilling beigelegt war, habe F. Ludwig sehr gut gefallen, so daß Lucius nach dem Wunsch des Fürsten die Arbeit vollenden und sie dann überschicken solle. Das Beispiel werde Ludwig Hz. Johann Ernst d. J. v. Sachsen-Weimar (FG 3) schicken. — In Köthen setzt man noch die ratichianische Reform der Sprachen und Wissenschaften fort, jedoch ohne erkennbaren Nutzen. — Johann Le Clerq , jetzt auf dem Leipziger Markt tätig, hat Anweisung, Lucius von allen Köthener Drucken (einschließlich der die FG betreffenden Werke) zwei Exemplare zu senden, auch von || [155] den verdeutschten Institutiones, sobald diese fertig sein werden. — Am 12. 4. (1621) soll unter Ausschluß Kf. Friedrichs V. zwischen dem kaiserl. General Spinola und den Unierten ein willkürlicher Waffenstillstand abgeschlossen worden sein, wonach die Union ihre Armee aus der Pfalz abführen und Spinola , auf englisches Verlangen hin, die Exekution gegen die Pfalz bis zum 14. 5. aufschieben soll. — Letzte Woche erhielt Schilling einen Brief seines Bruders aus Persien . Danach hat der tartarische Khan von Katai in China drei Provinzen erobert und 300000 Menschen versklavt. Der König v. Persien habe an der indisch-persischen Grenze die Stadt Kandahar mit Verlust eingenommen. In Konstantinopel rüste man gegen Polen . Der Sultan selber sei mit 300000 Mann ausgezogen und sammle seine Truppen zu Adrianopel . Der Friede zwischen dem Perser und dem Türken werde nicht lange dauern.

Beschreibung der Quelle

QStB Schaffhausen: Msc. Scaph. 5: Ludwig Lucius Briefwechsel. Vol. I, Fasc. 1/19: 2 Bl., ungez. [A: 2v]; eigenh., Sig.

Anschrift

ADem Ehrnuesten GroßAchtbarn vnndt hochgelarthen Ehrn Ludovico Lucio , furnehmen
professorn, bey der Universitet Baselletc. meinem besonders geehrten vndt werthen freundt etc.
Citó Citóa Basell.

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Meine willige dienst vnndt gruß, neben wünschung alles glückhafften vnndt erfreulichen wohlstants iederzeit beuorn.
Ehrnuester GroßAchtbar vnndt hochgelarther besonders geehrter vielwerther freundt, deßelben mir sehr lieb vnndt angenehme gegen andtwortt vnterm dato Basell 10 Martij, auf mein ahn ihn den 26 Augustij præteriti anni gethanes schreiben,1 hab ich gar wohl den 21 Aprilis, empfangen, darauß sein wohl ergehen mitt allen freuden vernommen. Vnndt demnach meinem gnedigen Fürsten vnndt herrn, Fürst Ludwiegen zue Anhalt etc F. G. das specimen des verteutschten Organi Aristotelici,2 sehr wohl beliebet, alß haben hochgedachte J. F. G. neben vermeldung deroselben gnedigen grußes, dem herrn hiewiederumb zuverstehen zugeben, in gnaden mir anbefohlen, daß weil der anfang nunmehr darinnen gemacht, sehgen3 J. F. G. gerne darmitb in demselben weiter fortgefahren, vnndt wan solches verfertiget, anhero möchte vberschicket,c dieses aber solle vnterdeßen J. F. G. hertzog Johann Ernsten , dem Jüngern, zue Sachsen etc. communiciret werden,4 welches vorhochgedachte J. F. G. gegen den herrn in allen [1v] gnaden wiederumb zuerkennen, vnuergeßen sein wollen. Alhier wirdt noch stets in linguis, et scientijs juxta didacticam laboriret vndt fortgefahren,5 sed quocum fructu non video, nec etiam scire expeto, cum meæ professionis ista non sint. Johanni Clerico,6 so ahn itzo zue Leipzig auf den Marckt, ist anbefohlen worden, von ieder materi so biß dato alhier getruckt, dem hernd , 2 exemplaria zuvberschicken,7 des gleichen auch von deutschenbJnstit. Juris so baldt dieselben fertig sein werden.8 Was sonsten die Sachen im Reich anlanget so vernimbt man so viel daß den 12 Aprilis zue Meintz zwischen dem Marchese Spinola , alß Kays. Mayst. general vndt den Unirten Ständen ein frieden geschloßen, daß nehmlich die Unirten des Spinola Volck vnbeledigete laßen, sich des PfaltzGraffen Friedrichs mit volck vndt gelt hilff nicht annehmen, sondern dero habendes volck auß der Pfaltz abführen wollen, entgegen aber solle der Spinola die Unirten noch || [156] dero angehörigen auch nicht beleidigen, vndt mitt der execution gegen der Pfaltz, auf requisition des Königs in Engellandt biß auff 14 May innehalten, [2r] vndt daß vnterdeßen beyderseits keine feindtseligkeitt verübt noch ein theil vom andern vberfallen werden solle: hierinnen aber ist der Pfaltzgraff noch die Gülichische lande nicht begriffen;9 Jn summa es gehet dem geistlosen hauffen wie er selber will, vndt heist ahn itzo bey demselben sic volo, sic iubeoetc. Vergangen wochen hab ich schreiben von meinem Brudern10 auß Persia empfangen, welcher meldet daß der Tartar Cham von Chatai in Chinam gefallen, dreyer Provintzen sich daselbst bemächtiget, vndt 300 mf seelen zue Sclaven mitt hinweg geführet.11 Der Könige [!] in Persien aber habe eine statt mitt namen Candahar , welche an derg grentze in Jndien gegen Persien gelegen, mitt verlust 2000 Man der Seinigen eingenommen.12 Vndt daß man zue Constantinopell grose bereidtschafft macht zum krieg wieder die Polen,13 auch wieder[umb]h der Turckische Kayser in Person mitt 300000 man heraußer kommen, vndt sein der LauffPlatz zue Adrianopell bestimt. Ferner schreibt er auch daß esb ein schlecht ansehen habe alß wan der Fried zwischen dem Türckhen vndt Persianer wolte lange bestandt haben, sintemahlen was ein theil begehrt [2v] der ander nicht geben wihl.14 Gott der Allmechtige schicke alles seiner lieben außerwehlten Christenheitt zum besten, in deßelben allergnedigste obacht thue ich den herrn hirmit treulichen empfelen vndt verbleib deßelben ieder zeit,

dienstwilliger gueter freundt
Friedrich von Schilling mpp

Geben Cöthen den 22 Aprilis 1621.

Textapparat und Kommentar


Textapparat
T
a Untereinander, beide Wörter mit nur einem großen C geschrieben.
a Eingefügt.
b Folgt ⟨...⟩, unleserlich
c Für ⟨gesenden⟩, unsichere Lesung.
d Sic. vnbeleidiget.
e Steht über 300.
f Ab welche für ein gestrichenes Wort eingefügt
g Textverlust durch Papierriß.

Kommentar
1 Lucius ' Antwort auf Friedrichs v. Schilling (FG 21) Schreiben (200826) ist verschollen. Über Ludwig Lucius vgl. 190220, 191231 u. ö.
2 Lucius ' Teilübersetzung seiner Ausgabe des aristotelischen Organon. S. 191231
3 sähen. Während -h in sehgen an sich nur der orthographischen Konvention folgt und Länge des vorhergehenden Vokals anzeigt, scheint -g den im Mitteldeutschen des 17. Jahrhunderts intervokalisch noch vorkommenden Reibelaut wohl deshalb zu bezeichnen, um die Öffnung des Stammvokals hervorzuheben. Vgl. Moser: Frühnhd. Grammatik I. 3, 244f.
4 Hz. Johann Ernst d. J. v. Sachsen-Weimar (FG 3) mußte als einer der beiden Mäzene der Köthener ratichianischen Reform und als Mitglied der FG an dieser Arbeit ebenso interessiert sein wie F. LLudwig . Vgl. Anm. 5.
5 Fortführung der Köthener ratichianischen Reform, die die Abfassung vieler Lehrbücher, die Herausgabe von Übungstexten und die Neugestaltung der „Lehrart" nach den Ideen Wolfgang Ratkes vorsah.
6 Der Präzeptor Johannes Clericus (Johann Le Clerq), „Francofurtensis", unterschrieb am 23. 11. 1619 seine Bestallung zum Inspektor der fürstlichen Druckerei in Köthen . Seine Aufgaben schlossen die Aufsicht über die Schriftgießer und den Korrektor und den Vertrieb der Bücher || [157] ein. Le Clerq sollte sogar beim Korrekturlesen, im ratichianischen Unterricht des Französischen und bei der Übertragung der Universalgrammatik Ratkes (s. 180102) helfen und außerdem ein französisches Lexikon schreiben. Im September 1620 bemühte er sich auch um die Einrichtung eines Ladens in Frankfurt a. M. LHA Sa.-Anh./OB: Kö. C 18 Nr. 48. Vgl. KR 55. 57f. Der spätere fürstliche Sekretär Johann Le Clerq , Sohn des Frankfurter Kaufmanns Peter (Pierre) und seiner Gattin Esther Hußi , war ein Enkel des wegen seiner reformierten Religion aus Lanoy (Flandern) vertriebenen Bartholomäus (Barthélémy). Beckmann VII, 331f. Vgl. Franz Münnich: Die Leichenpredigten-Sammlung des Francisceums in Zerbst. Regensburg 1958, 30 (LP von Le Clerqs Sohn Jonathan ). Er ist vielleicht mit dem Frankfurter bzw. Hanauer Buchdrucker gleichen Namens (Sohn eines David Le Clerq ) verwandt (bestattet am 17. 6. 1616). Benzing: Buchdrucker, 189
7 Zu einer früheren Sendung Köthener Drucke an Lucius vgl. 191231. S. 211006 u. 40418.
8 Der Rechten Desz Keysers Justiniani vier Anweisungs-Bücher. Zur Lehrart. (Cöthen 1622). Christoph Schulzes Übersetzung von: Imp. Cæs. Justiniani Institutionum Libri IV. Pro Didactica. (Cothenis Anhaltinorum 1622). Vgl. 190424. Die deutsche Ausgabe wurde schon in den Katalogen der Frankfurter Fastenmesse und der Leipziger Ostermesse 1621 angezeigt, konnte jedoch bis zum Jahresende nicht fertiggestellt werden.
9 Theatrum europaeum I, 487-493. Spinola hatte im Auftrag des Kaisers die „Execution der Pfalz" durchzuführen. Durch Vermittlung des Kf. von Mainz und des Lgf. von Hessen-Darmstadt kam es in Mainz (12. 4.) zu einer „Tractation", wonach Spinola bis zum 14. Mai die „Execution" aussetzen sollte, „jedoch mit dem beding/ daß die Vnirte Fürsten verschaffen sollen/ daß das besondere deß [...] Pfaltzgraffen Kriegsvolck/ so jetzunder in der Pfaltz oder benachbarten Orten sich befindet/ vnder dessen keine Hostilität oder Feindschafft wider den Marggraffen Spinolam / dessen Kriegesvolcks vnd Oerther so er jnne hat/ wie dann auch andere getrewe Stände deß Reichs/ vnd deren Diener vnd Vnderthanen fürnehmen vnd beweisen sollen.” (S. 491). Gindely IV, 139.
10 Albrecht v. Schilling , kaiserlicher Rat. Vgl. Carl Friedrich Schilling von Cannstadt: Geschlechts Beschreibung derer Familien von Schilling. Carlsruhe 1807, 307. Imm. 14. 10. 1596Mat. Altdorf II, 497; 2. 10. 1599Mat. Tübingen I, 756. Pietro della Valle: Reisz-Beschreibung in unterschiedliche Theile der Welt/ Nemlich Jn Türckey/ Egypten/ Palestina/ Persien/ Ost-Jndien/ und andere weit entlegene Landschafften [...] auß dem Original in die Hoch-Teutsche Sprach übersetzet. (Genff 1674), Tl. 4: Della Valle verließ Anfang 1623Persien . Sein Brief vom 22. 3. 1623 enthält folgende Notiz über ein am 10. 2. 1623 geführtes Gespräch mit dem Präsidenten der englischen Ostindischen Kompanie: „Er berichtete mich dabenebens/ daß der Herr Albert von Schilling , ein Teutscher von Adel/ mit welchem ich in Persien bekandt worden bin/ nach dem er den Hof deß grossen Mogols besichtiget/ und andere Landschafften in Jndien durchreyset/ anjetzo sich zu Suràt auffhalte; und daß er vor etlichen Tagen nach der Stadt Barocci , welche nicht weit von dannen lige/ gezogen/ dieselbe zu besehen/ jedoch in kurtzer Zeit wieder zu Suràt seyn würde: über welche Zeitung ich zum höchsten erfreüt würde/ weil dieser Edelmann mein grosser Freund war/ und mich hertzlich verlangete/ ihn zu sehen.” (S. 8). Am 13. 2.„wurde ich auf dem Platz eines Reüters gewahr/ welcher wie ein Jndianer gekleidet/ und mit einem Säbel/ und Rundatschen gewaffnet war/ und gerad auf vnser Zelt zu ritte [...]. Wir setzeten vns neben einander nider/ vnd erzehlete einer dem andern nach der länge/ wie es ihm vnterdessen ergangen [...].” (S. 9). Della Valle und Schilling verbrachten die folgenden Tage mit Besichtigungen und Besuchen, wobei Schillings Vertrautheit mit den am Ort stationierten Niederländern auffällt. Am 24. 3. 1623 verabschiedete sich Della Valle von Schilling , welcher das englische Schiff „Delphin" bestiegen hatte, „umb nach dem rotten Meer zu || [158] segeln/ deß Vorhabens/ von dannen in Mohrenland/ wann er Gelegenheit dahin haben könte/ an den Hoff der Abissyner zu gehen [...].” (S. 47, Brief d. d. 27. 4. 1623).
11 Gemeint ist vielleicht die Eroberung der chinesischen Provinz Liaodong durch den Tungusen-Khan Nurhaci (1618-1620) oder seine Unterwerfung mehrerer mongolischer Fürstentümer (1620). Als Tataren von Katai konnten alle östlich der Usbeken lebenden Völker bezeichnet werden. Della Valle, Tl. 2, 87.
12 Schah Abbas I. gelang es erst im August 1622, endgültig den Mogulen die (heute afghanische) Stadt Kandahar zu entreißen.
13 Die Unterstützung König Sigismunds III. v. Polen für den Kaiser hatte Gabriel Bethlen eine willkommene Gelegenheit geboten, um die Hohe Pforte zu einem Angriff gegen Polen zu bewegen. Zwar konnte Iskender Pascha im September 1620 die Polen bei Cecora besiegen, jedoch vermochten diese sich ein Jahr später gegen eine dreifach größere türkische Armee unter Sultan Osman II. bei Chocim am Dnjestr zu behaupten.
14 Die osmanisch-safawidischen Kriege endeten erst 1639 nach fast dreißigjährigem Kampf.
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