Die Widmungsepistel leitet ein in der vorliegenden Handschrift überliefertes Lehrbuch
Wilhelms v. Kalcheim gen. Lohausen (FG 172) zur Arithmetik ein, das als Seitenstück zu
seinen 1629 in Bremen erschienenen
gelten darf. Vgl. 300215 u.
I–II. Die von uns veröffentlichte Widmung gibt das Rechenbuch schon in ihrer Terminologie
(s.u.) auch als eine fruchtbringerische Arbeit zu erkennen. Der Widmungsempfänger
Pz. Christian (Ludwig I.) v. Mecklenburg-Schwerin (s. Anm.4) wurde jedoch — im
Unterschied zu seinem Vater Hz. Adolph Friedrich I. v. Mecklenburg-Schwerin (FG
175) und zwei anderen Söhnen (Hz. Hans Georg, FG 482; Hz. Friedrich, FG 795) —
nicht der Aufnahme in die FG gewürdigt. Das Lehrbuch
ist bislang praktisch unbekannt geblieben.
Nach den notwendigsten Begriffsklärungen (2r) und der Einschränkung, es werde
im Folgenden nur das Rechnen mit ganzen Zahlen „auf der Feder“, also schriftlich ohne
weitere Hilfsmittel (wie den Abakus oder Rechenpfennige auf Linien), behandeln (2v),
beginnt die Unterweisung im Zählen und den vier Grundrechenarten (2v–37r). Mit der
„Regel dreyer Satzungen, Gülden Regel, Regel detri, Regel der Proportz“ schließen zwei
Abschnitte über den Dreisatz an (37v–57r). Unter der „Regula Falsi“ wird das hypothetische
Rechnen mit falschen Zahlen als Ansatz vorgeführt, das dann zur richtigen Lösung
führt (57r–62v). Es folgen die Wurzelziehung (Quadrat- u. Kubikwurzel, 63r–81v) und
das Rechnen mit „Zehendzahlen“ (Dezimalbrüchen, 82r–84v). Abschließend folgen
nochmals ergänzende Unterweisungen und Proben zu den genannten Rechenarten im
Hinblick auf die Dezimalbrüche. Den Schluß bildet eine Multiplikationstabelle (97r).
Kalcheims Rechenbuch ist ein einfaches Elementarwerk für Schüler wie den Widmungsempfänger
und als solches ein typisches Beispiel für die mathematische Laienbildung (im
Gegensatz zur gelehrten Mathematik). Es fehlen schwierigere mathematische Operationen
und Praxisbezüge, etwa zum kaufmännischen Rechnen, zum Festungsbau oder zur
Artillerie. Letzteres Thema schnitt Kalcheim in seinen
von 1629
an; ein eigens dazu geplantes Werk ist jedoch nicht erschienen. Vgl. 300215 II. Ebenso
fehlen im
Übungen oder Beispiele aus dem Bereich der Unterhaltungsmathematik,
wie etwa in den
von Daniel Schwenter und Georg Philipp Harsdörffer (FG 368.
1642), 3 Teile, 1636 (Ndr. Frankfurt a.M. 1991), 1651 u. 1653 erschienen.
Nachdem sich Kalcheim, seit Juni
1630 hzl.-mecklenburg-schwerinischer Oberst, Geheimer und Kriegsrat
(vgl. LHA Schwerin: Acta Collegiorum et Dicasteriorum, 506), mit seinen
Truppen 1631 dem schwedischen Oberbefehl unterstellt hatte (vgl. 300215
K 1) und ihm von Kg. Gustav II. Adolf v. Schweden die Stelle eines
Sergeant-Major-Generals der niedersächsischen Armee unter Hz. Georg v.
Braunschweig-Calenberg (FG 231) angetragen worden war, wurde er nach der
Schlacht bei Lützen im November 1632 dem schwedischen Corps unter Hz.
Bernhard v. Sachsen-Weimar (FG 30) zugeteilt, mit dem er im Frühjahr
1633 nach Franken, der Oberpfalz und an die Donau zog. Noch im Laufe des
Jahres wurde er von Reichskanzler Friherre Axel Oxenstierna (FG 232) auf
den Posten eines schwedischen Kommandanten der Stadt Magdeburg berufen,
auf dem er drei Jahre verharrte. Er war dabei immer wieder in
diplomatischen Missionen für die Schweden tätig, etwa von Juni bis
August 1635 mit Vermittlungen bei Hz. Georg v. Braunschweig-Calenberg
oder im August und September 1635 bei Verhandlungen mit Kf. Johann Georg
I. v. Sachsen in Leipzig. Daneben war er in mecklenburgischen Diensten
verblieben und stand Hz. Adolph Friedrich I. beratend zu Seite. Der
Herzog sah ihr gegenseitiges Verhältnis in einem Brief an Kalcheim vom
19. 8. 1635 geprägt von großer Offenherzigkeit und „unserem alten guten
Vertrawen“, da „jetzo die welt so falsch, mißtrewig und eigennutzig ist,
das man sich nicht genugsam fürsehen und hüten kan“. Zit. nach
Schaumburg (s. u.), 152. Diese Klage reflektiert die politische Lage
unmittelbar nach dem Prager Frieden vom 30. 5. 1635, als die
evangelischen Reichsstände und alle deutschen Offiziere in schwedischem
Dienst, die strafbewehrten kaiserlichen und kursächsischen
Abberufungsbefehle (mandata avocatoria) vor Augen, sich zu entscheiden
hatten, dem Prager Frieden und der ksl. und Reichspartei beizutreten,
oder im Fall eines Ver-
bleibens beim Reichsfeind ernsthafte Konsequenzen
zu tragen. Vgl. dazu auch
DA Köthen I.3, 11ff.; 320313 K 0 (S.
434ff.), 350800 K 0 u. K 19;
Londorp IV, 546f. Viele deutsche
Funktionsträger und Offiziere aus den Kreisen der FG quittierten die
schwedischen Dienste, neben F. Ludwig (der als kgl.-schwed. Statthalter
im Ebst. Magdeburg zurücktrat) die schwedischen Generäle Hz. Georg v.
Braunschweig-Calenberg (s. o.) und Hz. Wilhelm IV. v. Sachsen-Weimar (FG
5), Offiziere wie Diederich v. dem Werder (FG 31), Johann Georg aus dem
Winckel (FG 219), Joachim Ernst v. Krockow (FG 257) und Kalcheim, der im
Sommer und Herbst 1635 zusammen mit Krockow die Sache der dt. Offiziere
in schwedischem Dienst in ebenso ausdauernden wie vergeblichen
Verhandlungen mit Kursachsen maßgeblich zu vertreten hatte. Dabei ging
es Kalcheim als Sprecher jener Offiziere um die Eidespflicht gegenüber
der Krone Schweden („Ehre vnd
reputation, welche jedem Teutschen
Biederman lieber/ als sein Leben“). Zum anderen verteidigten sich diese
Offiziere gegen die schnöde Mißachtung ihrer „vmb das gantze Vatterlandt
Teutscher
Nation, das gemeine Evangelische Wesen vnnd E. Churf. Durchl.
[v. Sachsen] selbsten“ erbrachten Leistungen und Opfer und verlangten
angemessene Kompensation für die Quittierung ihrer schwedischen Chargen.
S. (Michael Caspar Londorp:) Actorum Publicorum Dritter Theil: ... Jetzo
zum ersten mal ... von Anno 1629. außgangen/ vnd biß auffs 1640. Jahr
continuirt Durch Nicolaum Bellum Hyst. (Frankfurt a. M.: Johann
Gottfried Schönwetter 1640), Buch 7, 34ff., Zitate S. 36 u. 38 (HAB: Gl
2° 56). Vgl. auch
Londorp IV, 508–517;
Pufendorf:
Kriegs-Geschichte, 271ff., 285f., 334; Schaumburg (s. u.),
153ff. Kalcheim wie Hz. Adolph Friedrich I. v. Mecklenburg-Schwerin, der
im September 1635 die Initiative zu einer Friedensvermittlung zwischen
Schweden und, über Kursachsen, dem Kaiser ergriff, arbeiten
gewissermaßen schon „der sogenannten dritten Partei“ vor, „die gegen
Ende 1639 im Reiche hervortritt und eine bewaffnete Mittelpartei“
zwischen den Kaisertreuen und den ausländischen Mächten bildete. Vgl.
Richard Stehmann: Auswärtige Politik des Herzogs Adolph Friedrich I. v.
Mecklenburg-Schwerin in den Jahren 1636–1644. In: Jahrbücher des Vereins
f. mecklenburg. Geschichte u. Altertumskunde. 72 (1907), 1–84, hier 21.
Vgl. 370729 K 11. Bei einem anderen, mit Schweden bereits zerfallenen
einstigen Parteigänger, dem ehemaligen Magdeburger Kanzler Johannes
Stalmann (FG 214), fungierte Kalcheim im August 1635 in einem gegen
Stalmann wegen einer aufgeflogenen Verschwörung wider den Feldmarschall
Johan Banér (FG 222) in Magdeburg geführten Hochverratsprozeß als
Militärrichter (vgl. 350800). Kalcheim hielt die Stadt Magdeburg in der
Folgezeit gegen die kursächsischen Forderungen, Stadt und Erzbistum nach
den Vereinbarungen des Prager Friedens vollständig zu räumen, für die
Schweden, überwarf sich aber im Januar/ Februar 1636 in Magdeburg mit
Banér und erhielt seinen Abschied von Oxenstierna (s. o.) im April 1636.
Am 25. 4. 1636 verließ er Magdeburg, das noch bis Anfang Juli der
kursächsischen Belagerung standhielt und am 3./ 13. 7. kapitulierte.
Vgl.
Chemnitz II, 995f. Kalcheim kehrte in mecklenburgischen
Dienst zurück und wandte sich Ende April 1636 zunächst nach Schwerin.
Mit Urkunde vom 1. 7. 1636 wurde er von Hz. Adolph Friedrich I. und der
Stadt Rostock zum dortigen Kommandanten bestellt bzw. akzeptiert und
ließ sich am 19. 8. dort nieder. Am 21. 12. 1636 berichtete Kalcheim Hz.
Adolph Friedrich I. von einer kürzlich erfolgten Reise nach Güstrow,
wohin ihn der gerade dort weilende F. Ludwig dringend gebeten habe, „da
er ihm sehr wichtige Sachen, die ihm nicht unangenehm sein würden“,
mitzuteilen habe. Kalcheim folgte dem Ruf: „Ludwig von Anhalt hatte das
Vaterunser aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt, und wünschte
Lohausens Ansicht über das Werk zu hören!“ (Ein von Schaumburg [s. u.],
173 angeführter,von uns nicht aufgefundener Brief aus dem „Archiv zu
Schwerin“). Richtig an dieser merkwürdigen Mitteilung dürfte sein, daß
F. Ludwig Kalcheim eigene Arbeiten aus dieser Zeit vorlegte, vielleicht
eine seiner biblischen Lehrdichtungen (vgl. 371110 K 5). — Mit der
Einnahme der Warnemünder Schanze vor den Toren Rostocks im März 1638
durch kursächsische Truppen unter Dam Vitzthum v. Eckstädt (FG 312; vgl.
371221 K 6), der da-
bei sein Leben verlor, gerieten Kalcheim und seine
Neutralitätspolitik, die den Bemühungen seines Dienst- und Landesherren
um Friedensvermittlung (s. o.) entsprach, unter Druck. Trotz seiner
Beschäftigung mit politisch-militärischen Organisationsaufgaben pflegte
er Kontakt zur Universität und ihren Gelehrten und bildete sich in
literarischer Lektüre und gelehrtem Verkehr. In Rostock gab er seine
Übersetzung des
Verfolgten David nach dem Italienischen des
Virgilio Malvezzi heraus (vgl. 381028 und die dortige Widmung an Hz.
Adolph Friedrich I.), entstand auch sein oben beschriebener
Unterricht der Arithmetik mitsamt dem Widmungsbrief, den wir
hier veröffentlichen. Vgl. zu Kalcheim die Aktenbestände im Mecklenburg.
LHA Schwerin: Acta com. lit. 1542 u. 1543, welche u. a. amtliche
Schreiben und Gegenschreiben Hz. Adolph Friedrichs I. und Kalcheims aus
den Jahren 1639/40 enthalten, sowie Acta com. lit. 1544 mit Kopien der
Kalcheimschen Handakten aus den Jahren 1609–1640 (überwiegend
militär.-diplomat. Schriftstücke) und Acta com. lit. 1559 mit
Archivalien zur Beisetzung Kalcheims 1640 in der Marienkirche zu
Rostock. Korrespondenz zwischen Kalcheim und Hz. Adolph Friedrich I.
findet sich auch in den Beständen 2.11-2/1: Auswärtige Beziehungen (Nr.
151 u. 182), 2.12-2/4: Regierungskollegien und Gerichte (Nr. 506:
Bestallungsurkunde für den Geheimen u. Kriegsrat Kalcheim, 1630),
2.12-1/24: Herzogliche Korrespondenz mit Gelehrten (Nr. 219, s. 291009)
u. a. m. Ein Kirchenpfeiler-Epitaph mit Wappen und lat. Inschrift hielt
Kalcheims Andenken wach. Sein Grab deckte ein Stein mit der Inschrift:
„Hie liegt ein armer Sünder, aber ein redlicher Teutscher“. Beides
verschwand im Zuge von Kirchenerneuerungen irgendwann nach 1840. Nach E.
v. Schaumburg: General Wilhelm von Calckum genannt Lohausen, ein
Bergischer Kriegsmann. In: Zs. des Bergischen Geschichtsvereins 3
(1866), 1–223, bes. 124ff., hier 199.
Die beiden in der LB
Schwerin erhaltenen Sammelbände mit Funeralschriften auf den
verstorbenen Kalcheim enthalten kein Epicedium eines FG-Mitglieds. LB
Schwerin: Mkl gen k 13 und Schmidt 69. Vgl. auch
Roth, Nr. 435.
Vgl. außerdem 291009, 291222, 300215 u. 300216;
Conermann III,
173f.;
Engerisser, 138ff. u. ö.; Erneuertes Andenken des
ehemaligen Herzoglich-Mecklenburgischen General-Majors, geheimen- und
Kriegs-Raths, auch Obersten und Commendanten der Stadt Rostock Wilhelm
von Calcheim, genannt Lohausen. In: Erneuerte Berichte von gelehrten
Sachen. Rostock 1766, 257–266; Johann Bernhard Krey: Andenken an hiesige
Gelehrte aus dem 16., 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Bd. 5, Rostock 1815, 38–42 (nicht eingesehen); Wilhelm v. Calcheim
genannt v. Lohausen (1584–1640). In: Claus Heinrich Bill:
Mecklenburgischer Adel in der frühen Neuzeit. 1550–1750. Owschlag 1999,
68f.