K
In seiner verschollenen Briefsendung hatte F. Ludwig (der Nährende) Diederich v. dem Werder (FG 31. Der Vielgekörnte) das zwölfte Stück eines Manuskripts zur Korrekturdurchsicht mitgeschickt. Es dürfte sich, auch im Hinblick auf die
gleichfalls mitgesandte, eng damit verbundene
Cupido-Dichtung (s. Anm. 2), um einen Teil seiner kommentierten Übersetzung
FRANCISCI PETRARCHÆ ... Sechs Triumphi oder Siegesprachten (Cöthen 1643) handeln. S. 371027 K 2. Zur Korrespondenz
zwischen F. Ludwig und Werder und den im Korrespondenzjahrgang 1637 sämtlich fehlenden Stücken F. Ludwigs vgl. 370113 K 0.
F. Ludwigs Gedicht in 224 Alexandrinern „Kurtze Beschreibung Des erdichteten Cupidinis, oder Gottes der liebe“,
gedruckt veröffentlicht in dessen kommentierter Übertragung
FRANCISCI PETRARCHAE ... Sechs Triumphi oder Siegesprachten (Cö-
then 1643), 165–170. Ein auch durch den vorliegenden Brief bezeugter früherer Einzeldruck der
Cupido-Dichtung ließ sich nicht
nachweisen. S. 371027 K 2.
Werder bezieht sich hier auf seinen letzten Brief an F. Ludwig (371108) und dessen eigenwillige Datierung: „An des zweyhundersten Geselschafters
nahmenstage jm jahr 1637.“ Lt. Empfangsvermerk hatte F. Ludwig diesen Brief noch am selben Tag, am 8. 11., entgegen genommen. Das 200. FG-Mitglied war Martin Opitz v. Boberfeld, der Gekrönte. F. Ludwig muß in seinem verlorenen Antwortbrief auf 371108 das Datum in Rücksicht auf den Martinstag mißverstanden
und reklamiert haben: der Martins-Tag nämlich fällt auf den 11. November. Den kleinen Triumph, den sich Werder nun daraus macht, daß er F. Ludwig hinters Licht geführt hat, indem er Opitz’ Gesellschafts-, nicht Taufnamen gemeint und richtig angezeigt habe, stützt er durch den beigefügten, auf Bl. 333r aufgeklebten
Ausschnitt aus einem Kalenderblättchen (s. Abb. S. 283, vgl. unten). Dieser markiert den 8. November („Wintermonat“) als den kirchlichen Festtag „4 Gekrönt[e]“. Tatsächlich wurde in fast allen dt. Diözesen der 8. 11. als Festtag der „vier gekrönten Märtyrer“ („quattuor coronati“) begangen, als welche die frühchristlichen
röm. Märtyrer Castor, Symphorianus, Claudius und Nicostratus seit dem vierten Jh. in Rom verehrt wurden. Vgl.
Kalender Zerbst 1654, 632f.;
Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon;
Grotefend II.2, 157. Das ausgeschnittene Kalenderblättchen
stammt Werders eigenem Hinweis zufolge aus einem Jahrgang (vermutlich 1637) des zwischen 1609 und 1651 in Stettin und Nürnberg immer wieder aufgelegten
Alten und newen Schreibkalenders von David Herlitz/ Herlicius (1557–1636). Wir konsultierten den in der HAB vorhandenen Herlitz-
Kalender auf das Jahr 1630: New und Alt Schreibcalender auff das Jahr nach der Geburt vnsers Herren vnd Heylandes Jesu Christi M. DC. XXX./ Mit besonderm fleiß gerechnet/ Durch D. Davidem Herlicium, Medicum zu Stargard in Pommern (Stettin: Rhete 1629). HAB: Xb 6988 (1). In ähnlicher Aufmachung und
Druckgestaltung wie bei dem beigefügten Kalenderblättchen Werders wird auch hier zum 8. 11. angegeben: „4 Gekrönte“. Vgl. in der HAB auch die Herlitz-Kalender auf das Jahr 1610 (Xb 5126 [2]), 1646 (Xb 6222; d. i.
Kalender Herlitz 1646) und 1651 (Xb 1994 [1]; d. i.
Kalender
Herlitz 1651). Einen Herlitz-Kalender auf das Jahr 1637 konnten wir nicht ermitteln. Vgl. Jill Bepler, Thomas Bürger: Alte und neue Schreibkalender. Katalog zur Kabinettausstellung in der Herzog August Bibliothek. In: SIMPLICIANA 16 (1994) 211–252, 222. Vgl. zu den Schreibkalendern Herlitzens: Helga Meise: Das
archivierte Ich. Schreibkalender und höfische Repräsentation in Hessen-Darmstadt 1624–1790. Darmstadt 2002, 45, 53f., 56f., 67, 78, 607 u. 609. Zu Herlitz vgl.
ADB XII, 118;
DBA I, 519/ 267ff. u. 307f.;
DBA II, 566/ 19f.;
Poggendorf
I, 1077; VIIa Supplemente, 278; Deutsche Biographische Enzyklopädie. Hg. Walther Killy u. Rudolf Vierhaus. Bd. 4 (1996), 618; Deutsches Literatur-Lexikon. Begr. v. Wilhelm Kosch. 3., völlig neu bearb. Aufl. Ergbd. 4 (1997), 637–639.
Götze, 221: „urbietig adj. erbötig, willig“.
Die Lehrdichtung F. Ludwigs über
Deuteronomium, Teil eines anspruchsvollen poetischen Bibelprojekts über die Bücher Mose, das aber nicht erhalten ist und nicht zum Druck gelangte. Beim Tode des Fürsten lagen noch die folgenden Manuskripte vor: „Manuscriptum daß erste buch Mosis in reimen verfaßt deutsch.“ (
IP, 333v);
„Manuscriptum deß Ertzvatters Josophats [
recte Josephs] geschichten in Deutsche Reimen“ (
IP, 333v; vgl. 401214 [auch in
KE, 80f.]: „Des Joseps[!] geschichte ist mir sehr anmuthig zu lesen vorkommen [...], weil schone erklährungen darinnen enthallten,
welche also klärlich nicht in dem ersten vndt andern buch Mose zu befinden“); „Manuscriptum daß Fünfte buch Moysis in Reimen.“ (
IP, 333v). Vgl. 371014 K 7, 371226A, 380226, 380321, 380321A u. 380405 K 5. Andere, erhaltene Lehrdichtungen des Fürsten auf den Psalter und die Sprüche
Salomonis und das allein veröffentlichte
Buch Hiob (Wittenberg 1638: Johann Röhner) lassen erwarten, daß auch die Reime über die Bücher Mosis folgendermaßen gegliedert waren: kurze Inhaltsangabe eines Buchs oder kleineren Abschnitts, Pa-
raphrase des jeweils behandelten biblischen Texts
und mehrstrophige Auslegung des gewählten Stücks. S.
Conermann: Ludwig und Christian II. von Anhalt, 411ff., bes. 416.
Dieses Gedicht Werders in paarreimigen Alexandrinern hat sich nur in einer Abschrift erhalten: Erster Vrsprung | Des Weyrauchbaums vndt der Sonnenbluhm | Auff Poetisey. | Jm Jahr |
1637. LHA Sa.-Anh./ Dessau: Abt. Köthen A 9a Nr. 167, Bl. 109r–121v; 109v u. 121v leer; Schreiberh., ungezeichnet, undatiert. Das Titelbl. trägt den späteren Bleistift-Vermerk: „Krause Erzschrein p. 145 (10 Nov. 1637) Cf. Wittkowski p. 44.“ Trotz der Hinweise bei
Hille, 196;
Neumark:
Palmbaum, 453 u. a. ist eine zeitgenössische Druckveröffentlichung fraglich. Vgl.
Dünnhaupt: Handbuch, Art. Werder Nr. 10 mit dem Hinweis auf die ungedruckt gebliebene Handschrift; ferner Georg Witkowski: Diederich von dem Werder. Ein Beitrag zur deutschen Litteraturgeschichte des 17.
Jahrhunderts. Leipzig 1887, 44f.; Diederich v. dem Werder: Dianea oder Rähtselgedicht. Faks.dr. der Ausg. von 1644. Hg. u. eingel. v. Gerhard Dünnhaupt. Bern usw. 1984, 21*f. Werders Lehrdichtung greift eine Episode aus Ovids
Metamorphosen auf. Hatte F. Ludwig in seinem
Liebesgott-Gedicht (s. 371027 K 2) die Episode der im Ehebruch öffentlich ertappten Venus und Mars eingearbeitet, so schließt sich Werders hier vorgestellte Dichtung dem weiteren Verlauf bei Ovid an: Venus rächt sich an Phoebus Apollo für ihre Zurschaustellung, indem sie ihn in Liebe zur achämenischen
Königstochter Leucothoë entbrennen läßt. Verwandelt in die Gestalt ihrer Mutter, sucht der Gott sie auf und nimmt, in seine wahre Gestalt zurückgekehrt, mit Gewalt, wessen er begierig. Clythie aber, von Eifersucht getrieben, macht die Tat allgemein bekannt und verrät sie in entstellter Form auch dem Vater, der die Tochter,
ungeachtet all ihrer Beteuerungen, Opfer einer Gewalttat geworden zu sein, lebendig begräbt. Die Strahlen des Sonnengottes und der duftende Himmelsnektar, mit dem er die Grabstätte besprengte, können die Begrabene zwar nicht mehr ins Leben zurückrufen, jedoch erwecken sie im Erdgrund den Weihrauchbaum,
der dem Grab entwächst. Clythie aber, fortan verschmäht von Apoll, verwächst im Wahnsinn der Liebe und immerfort nur nach dem Geliebten schauend mit dem Boden und wird zur Sonnenblume, die dem Lauf der Sonne, verwurzelt in unauflösliche Ferne gebannt, beharrlich wie vergeblich mit dem Blütenkopf folgt. Ov.
met. IV, v. 190–270. Wie in F. Ludwigs
Liebesgott begegnet auch in Werders Dichtung der poetische Vorbehalt gegenüber theologischen Inkriminationen, wenngleich nur knapp: Werder erzähle die Geschichte „nach der Poeten kunst, | Vndt ihrer meinung nach, auff diese Karte setze, | Vndt mich vndt
andre mitt, in ehrligkeit ergetze.“ (110r; Z. 8ff.). Ansonsten schildert Werder die Episode stark ausgeschmückt und im höfischen Kolorit von Ort und Handlung, verzichtet indes am Ende auf eine moralische Lehre oder Warnung vor dem Wahnsinn der Liebe. Vgl. auch
Merzbacher: Werder, 64. Der Stoff
wurde auch bearbeitet von Johann Georg Schoch: Poetischer Weyrauch-Baum und Sonnen-Blume (Leipzig: Johann Wittigau 1656). HAB: T 1175. 4° Helmst. (16). Schoch bezieht sich nicht auf Werders frühere Arbeit, spricht nur davon, daß es sich um das sechste und siebte Gedicht des vierten Buchs der
Metamorphosen handele. — 1637 war der Weihrauchbaum als Gesellschaftspflanze der FG noch nicht vergeben. 1644 wurde der „Weirauch“ zur Gesellschaftspflanze von Gaspard Corneille de Mortaigne dit de Pottelles (FG 419); 1659 erhielt Lgf. Wilhelm VI. v. Hessen-Kassel (FG 694) den Weihrauchbaum als sein
FG-Bildnis. Die Sonnenblume wurde in verschiedenen Spielarten schon von früh an als Imprese in der FG geführt: von F. Christian I. v. Anhalt-Bernburg (FG 26; „Sonnenblume“), Kg. Karl X. Gustav v. Schweden (FG 513. 1648; „Die hochsteigende Sonnen Blume kleiner art“), Philipp Melchior Diede zum Fürstenstein (FG
576. 1652; „Sonnengoldblum mit gekräuselten Blumen“), Achaz v. dem Knesebeck (FG 781. 1661; „Vielästige Sonnenblume“) und Georg Schöbel v. Rosenfeld (FG 817. 1669; „Sonnenwende“). Auf eine aktuelle Impresenvergabe in der FG ging Werders dichterische Übung also weder im einen noch andern Fall zurück.
Der vorliegende Brief ist der einzige
Nachweis, daß Werder auch eine dichterische
Bearbeitung des Pyramus- und Thisbe-Stoffs vorgenommen hatte. Diese Dichtung ist aber weder im Druck noch in einer handschriftlichen Überlieferung erhalten. Vgl.
Dünnhaupt: Handbuch, Art. Werder, Nr. 11; Diederich v. dem Werder: Dianea (s. Anm.
6), 21*f.;
Merzbacher: Werder, 62 u. 64; Witkowski (s. Anm. 6), 44. Ohne genauere Hinweise und ohne Kenntnis des Texts läßt sich unter den vielen älteren Bearbeitungen des Ovid-Stoffs (met. IV, v. 55–166) keine Vorlage von Werders Dichtung namhaft machen. Vgl. z. B. Elisabeth Frenzel: Stoffe der
Weltliteratur. Stuttgart 1963, 531ff.
Diederich v. dem Werder und seine zweite Frau Juliana Ursula, geb. v. Peblis (Die Vielgekörnte, †1655. PA), die sich am 14. 6. 1629 vermählt hatten. Zur Praxis, den Frauen von FG-Mitgliedern deren Gesellschaftsnamen beizulegen, vgl. weiterhin den vorliegenden Brief
sowie etwa 280412, 280414, 310113, 340107 K 20, 371031, 371219, 371220, 371221, 371231, 380120, 380226, 380423A, 380502, 380504, 380507, 380522A, 380522B, 380803 u. ö.
Anna Dorothea (Die Nankletternde),
geb. v. Schenck, Gattin Christophs v. Hartlow, in späterer Ehe 1639 mit Esche v. Wallwitz (FG 68) vermählt. Vgl. Anm. 10.
Christoph v. Hartlow (FG 85. Der Nankletternde), schon 1624
in die FG aufgenommen, wie Werder am
Collegium Mauritianum in Kassel erzogen, jedoch sind sein Geburts- und Todesjahr unbekannt.
Conermann III, 90f. Vgl. 371227. Die gestickten Wappen der FG-Mitglieder wurden in prächtigen Wappengobelins zusammengenäht und
diese im Köthener Schloßsaal aufgehängt. Die Wappenvisierungen oder -zeichnungen dienten zur Vorlage der Wappengemälde im
GB Kö. Vgl. 371220 K 10.
Die Bezeichnung
ertzschrein für Archiv im allgemeinen wird hier für uns
erstmals greifbar. Sie scheint besonders anfangs den Inbegriff der schriftlichen und bildlichen Zeugnisse der FG und ihrer Mitglieder (Gesellschaftsbuch, Werkmanuskripte, Korrespondenzen und Wappen- bzw. Impresenteppiche) und dadurch gewissermaßen die Gesellschaft selbst oder deren Vorort bedeutet zu haben.
Diese Bedeutung scheint auch bei
Hille, 143 noch durch, wenn er von dem löblichen Brauch spricht, „daß in dem Ertzschrein zu Cöthen bey dero Hochlöblichen Fruchtbringend Gesellschafter Versamlung/ einer jeden Tugendliebenden Person [...] ein Gesellschaftname [...] ertheilet wird.“ (Zitat fast
wörtlich wiederholt in
Neumark: Palmbaum, 147). In einer Randnote wird der Erzschrein der FG als „
Achitheca [
lies: Architheca]
Carpophorum“ übersetzt. Aus dem Verzeichnis der Hinterlassenschaft F. Ludwigs (
IP) geht nicht hervor, daß mit dem
„Erzschrein“ ein eigenes Behältnis verbunden war. Der Ausdruck verbreitete sich schnell im Briefverkehr der Akademiemitglieder. S. auch 371120 (im Textapparat Anmerkung e, betr. GB), 371209 (betr. GB), 371220 (betr. GB u. Wappengobelins), 371221 (betr. GB), 371226, 380108, 380202, 380312, 380328 (eigener
Erzschrein der Nährenden, d. i. Ludwigs Gattin Sophia für FG-Impresen u. FG-Wappen) u. 381204 (allgemein Archiv der FG). Daß mit der Übersendung des Hartlow-Wappens nicht nur F. Ludwig, sondern auch seiner Frau Sophia (Der und Die Nährende) genügt werden soll, zeigt auch hier, wie stark Fn. Sophia (AL 1629,
TG 38) in das Sammeln und Sticken der Wappen und Impresen einbezogen war. S. auch 371220 u. 380328 K 7. Vgl. „Schrein“ als dt. Bezeichnung für Archiv in 380108 u. 380410 und — hinsichtlich der Wappengobelins — „gedechtnüs schrein“ in 371220 als Synonym für
Erzschrein. Georg Neumark
(FG 605. 1653) rühmte sich selbst 1668 als „Ertzschreinhalter und Gesellschafts-Secretario“, der „in das zehende Jahr bey dem Ertzschrein/ und in denen dabey befindlichen Uhrkunden und dießfals ergangenen Schriften/ als unwürdiger Gesellschafts-Secretarius“ diene.
Neumark: Palmbaum, Bl.
c viij r u. S. 8f., vgl. S. 5, 150 u. 225. Hier erscheint der Erzschrein unmißverständlich als die FG-Geschäftsstelle und ihr Archiv. Bei der förmlichen Übertragung der Oberleitung nach dem Tode F. Ludwigs wurde Hz. Wilhelm IV. v. Sachsen-Weimar (FG 5) am 8. 5. 1651 durch eine Gesandtschaft von FG-Mitgliedern der
„Ertzschrein/ mit dem großen silbern Siegel/ Registern und andern darzu gehörigen Sachen“ ausgehändigt. A. a. O., 296, vgl. 421. Französisch erscheint die Bedeutung im
Briefwechsel der Gesellschaft zuerst als
reservoir (371028) bzw.
archive (380423). Die Philologen der
FG haben sich in ihren Publikationen kaum mit dem Wort beschäftigt, vielleicht zur Wahrung der gesellschaftlichen Diskretion und wegen seiner behaupteten fremden, griechisch-lateinischen Wurzeln. In einer Liste von Zusammensetzungen mit „Ertz-“ berücksichtigte
Schottelius, 255f.
Erzschrein nicht, bemerkte allerdings: „Dieselbe/ so dieses schönes uhraltes Teutsches Wörtlein Ertz wollen aus ἀρχἠ bakken/ sind Ertzcritici.“
Stieler, 53 u. 741 bot immerhin das ihm wenigstens aus dem Gebrauch der FG geläufige Wort „Erzschreinhalter” als Verdeutschung
von „Archivarius“ bzw. „Præfectus scriniorum, thesaurarius chartarum, magister scrinii.“ Gegen
Erzschrein und
Erzschreinhalter argumentiert scheinbar überzeugend, jedoch ohne Einsicht in das historische Verständnis und die Absicht der Fruchtbringer
Campe Fremdwb., 124 s. v. Archiv: „Die Fruchtbringenden verdeutschten es, nicht schicklich, durch Erzschrein, so wie den Archivarius durch Erzschreinhalter, nach der Ähnlichkeit anderer Deutscher Wörter, worin die Vorsilbe Erz die Stelle des Griechischen archi vertritt, wie in Erzbischof. Allein dieses griechische Wort
und Archiv haben nichts als den ähnlichen Klang mit einander gemein. Denn dieses letzte stammt nicht von jenem, sondern von dem lat. arca, so wie dieses von arceo ab, (quod arcet visum vel furem. Isidor. lib. 20. Originum) S. Frisch.“ Campe setzt sich mit anderen, späteren Verdeutschungen von archivum auseinander
und schlägt vor: „Urkundenschatz, Urkundensammlung für die aufbewahrten Schriften, und Urkundengewölbe, Urkundensaal, Urkundenkammer und Urkundenschrank für den Ort der Urkundenbewahrer.“
Etymolog. Wb. (Pfeifer), 57f. erhält diese etymologische Trennung von
Erz-
und
Archiv nicht aufrecht, weil danach spätlat. archivum über griech. ἄρχειον ,Regierungsgebäude, Behörde, Amt’ abgeleitet wird von griech. ἀρχἠ ,Anfang, Ursprung, Herrschaft’, was ebenso wie
Erz- auf griech. ἀρχέίν ,der erste sein, anfangen, herrschen’ zurückgeht.
Arche dagegen weist als Ableitung von lat. arca ,Behältnis zum Verschließen, Kasten, Kiste, (Totenlade)’ auf lat. arcere ,verschließen, einhegen’ zurück und kommt u. a. über got. arka, ags. ærc, earc, mnd. mnl. arke, ahd. arka, archa (bezogen auf die Arche Noah und die Bundeslade) und mhd. arke,
arc, arch(e) ins Germanische bzw. Deutsche. Campe widerspricht sich sogar ausdrücklich, wenn er s. v. Arche (in
Campe Wb. I, 421ff.) nicht nur diese und andere german. Formen auch von lat. arca ableitet, sondern bemerkt, daß
Arche „mit demselben aus einer und derselben
weit ältern aber nunmehr unbekannten Quelle“ herstamme. Ebenso wie Schottelius nach einem germanischen Ursprung von Ertz suchte, tat dies auch
Stieler, 51 mit seiner Herleitung von
Arche: „Arch/ & Arche/ Saxon. Arke/ die. Unde latinum arca, non ab arcendo, qvia
fures arcat, id qvod vigil paterfamilias aut canis catenarius multò melius efficere possent. Notat autem Arche qvamlibet capsam, cistam & qvodvis scrinium clausum. Die Arche Mosis/ arca Mosis.“ Da für Schottelius und Stieler das Deutsche als uralte, den übrigen ,Hauptsprachen’ der Menschheit gleichrangige
Sprache galt, suchten sie nach uralten ,teutschen’ Wurzeln von
Erz- und
Arche oder im Falle von
Archiv doch wenigstens nach Gleichstellung mit dem Griechischen und Lateinischen. So leitet
Stieler, 53 s. v. Archiv dieses Wort zwar
aus dem Griechischen und Lateinischen ab, fügt aber hinzu: „Ego commodiùs ad nostrum Arch/ scrinium, transfero, cùm scriniæ sint arculæ, in qvibus scripta aliaq; secreta reponuntur. Hinc: Magister scriniorum, qvalis Ulpianus Alexandro fuit, ein Ertzschreinhalter/ Archivarius.“ Da wir die Argumentation hinter Werders
bzw. F. Ludwigs Bildung „Ertzschrein“ nicht kennen, wissen wir nicht, ob sie zumindest Ertz- als uraltes ,teutsches’ Wort empfanden. Da der Fürst aber oft keinen strengen Purismus verfocht und eingebürgerte Wörter zuließ (vgl. „materÿ“ in 240109 K 5), kann er auch das zusammengesetzte Wort ohne
etymologische Germanisierung in der allgemeinen Bedeutung von ,hervorragendes Archiv’ benutzt und damit auch das zu lateinisch klingende
archivum vermieden haben
„Die andre liebste handt“, Tochter einer Werder verwandtschaftlich nahestehenden Dame, muß im vorausgegangenen (verlorenen) Brief F. Ludwigs eigenhändig einen Gruß
oder eine Nachricht
an Werder mitgegeben haben. Die folgende Passage läßt sich aufgrund der fehlenden Einsicht in die Vorgeschichte nicht völlig aufhellen, wird jedoch in ihren Anteilen an (selbst-)ironischem Verwirrspiel einigermaßen verständlich. Jene Schreiberin nämlich soll Werder vertraulich und an F. Ludwig vorbei die Identität des
Nankletternden (s. Anm. 10) preisgeben, die weder ihm noch ihrer Mutter bekannt sei. Der Widerspruch zur noch eben erteilten Zusicherung, bei dessen Witwe um das Wappen des verstorbenen Mitglieds anzuhalten, ist zu eklatant, als daß er unbeabsichtigt unterlaufen sein dürfte. Auch daß F. Ludwig die Geheimhaltung
ihm selbst gegenüber mitgeteilt wird, gibt die intendierte Groteske zu erkennen. Werder, so schreibt dieser weiter, habe F. Ludwig seine Unkenntnis über die Identität des Gesellschaftsgenossen nicht zugeben wollen aus Furcht vor einer rituellen Gesellschaftsstrafe (mit dem Ölberger-Kelch, s. Anm. 14). F. Ludwig brauche
sich nun, so Werder scherzhaft, nicht zu entschuldigen, daß er jener Schreiberin gestattet habe, etwas seinem (Gesellschafts-)Brief hinzuzufügen. Sie sei zwar keine Gesellschafterin in der FG, könne es aber noch werden und würde, ihrer Tugend und Verwandtschaft halber, von Werder mehr geliebt als manche
Gesellschafterin. Dieses „Verbrechens“ — also wohl des Verstosses gegen Diskretionspflichten in der FG (vgl. dazu auch 371220) — hätten sich beide schuldig gemacht, am besten also, wie zu ergänzen ist, auch F. Ludwig übe Nachsicht.
befahren, sw. V.: befürchten. S. 370422 K II 3.
Anspielung auf die Buß- und „Pranger“-Praxis innerhalb der FG. Von Gesellschaftsbußen oder einem
Gesellschaftspranger ist in den Dokumenten der FG verschiedentlich die Rede, ohne daß es eine offizielle, satzungsmäßige Kodifizierung dieser „Verhansungs“-, also Strafpraxis bei Verstößen gegen die Gesetze der Gesellschaft oder die Obliegenheiten ihrer Mitglieder gegeben zu haben scheint. Immerhin dürften ein
Drehstuhl und der rituelle Trinkpokal des „Ölbergers“ (vgl.
DA Köthen I.1, 81 u. 86; 510000A), der zur Strafe zu leeren war, die Hauptrollen in der Bestrafungszeremonie gespielt haben. Vgl. 371220, 371221, 380602, 450725 (=KE, 178f.), 480625, 480807 (=
KE, 64ff.), ferner
Herz, 372ff.
Do, adv., conj.; hier als Konditionalkonjunktion „wenn, insofern“. Vgl. 310000 K 16, 371123, 380000, 380100 K 8, 380110, 380128, 380202,
380302, 380321, 380720 u. 381116.
Der Duckmäuser steht im heutigen Deutsch für opportunistische Unterwürfigkeit. Im Fnhd. meint der „duckelmuser“ oder „tuckenmeuser“ i. A. den verschlagenen Intriganten oder hinterlistigen Heuchler (
Götze, 57;
Paul Wb., 234f.
Stieler, 1258: „Tuckmeuser/ tenebrio, veterator, planus, fraudator, captiosus, dolosus, machinator“), aber auch „Memme/ verzagter Hase“ (2623). Letztere Bedeutung kommt wohl dem hier gemeinten Sinn von Schüchternheit am nächsten.
Demnach hätte auch Werder gegen Diskretionspflichten der FG verstoßen und jener ungenannten jungen Dame Einblicke in Gesellschaftsinterna oder Gesellschaftsbriefe gestattet. Die gesamte Passage über die Unkenntnis des Nankletternden ist als ein Scherz Werders aufzufassen.
Der 10. bzw. 12. November war in den katholischen Diözesen der Festtag des Papstes Martin I. (591–655, 649 zum Papst gewählt), der 653 vom
oström. Kaiser Constantius II. abgesetzt, gefangengenommen und schließlich auf die Krim verbannt wurde und schon früh als Märtyrer verehrt wurde.
Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon;
LThK (1957) VII, 113;
LThK (1993) VI, 1425;
REThK (1896) XII, 380f.;
RGG IV, 778. Papst Martin I. ist nicht zu verwechseln mit dem Hl. Martin, Bf. v. Tour, dessen auch von den Protestanten begangener Festtag auf den 11. November fällt.
Grotefend II.2, 139. Werders scherzhafter Verweis auf seine
Datierung in 371108 legt nahe, daß er sich bei der angesichts seines reformierten Bekenntnisses nur ironisch zu verstehenden Angabe „Martin Papsttag“ ebenfalls auf Herlitz’ Kalendarium (vgl. Anm. 3) stützte, das,
[Handschrift: [332r]]
[Handschrift: [332v]]
[Handschrift: [333r]]
[Handschrift: [333v]] jedenfalls in der uns vorliegenden Ausgabe auf das Jahr 1630 (s. ebd.), in der Tat den 10. 11. als Festtag
des Papstes Martin anführt. Diesen Hinweis war Werder wohl sich und F. Ludwig schuldig, um seinen Datierungsscherz zu „legitimieren“.