K Wie die Anschrift und der Gebrauch der Gesellschaftsnamen
andeuten, war Bodenhausens Brief ursprünglich wohl einem anderen, amtlichen
Schreiben Bodenhausens an Werder beigelegt, das dieser an den Fürsten
weiterleitete. In dem anderen Schreiben könnte Cuno Ordomar v. Bodenhausen (s.
Anm. 2) Diederich v. dem Werder (FG 31. Der Vielgekörnte) nicht über Aufträge F.
Ludwigs (Der Nährende) im Dienste der FG (vgl. z. B. 380423A I u. 380522)
berichtet haben, sondern über solche im Dienste des Landes. Bei einer anhaltischen
Fürsten- und Ständezusammenkunft am 14. 9. 1636 werden als Teilnehmer auch der
„Oberste [Diederich v. dem] Werder vndt Bodenhausen“ als Vertreter der Landstände
genannt (
Christian: Tageb. XIV, Bl. 200v), desgleichen am
19. 9. 1636 wiederum Werder, Bodenhausen und (Albrecht) Christof v. Krosigk (FG 7)
(a. a. O., 203r). Cuno Ordomar begegnet in den Quellen häufiger als Mitglied des
Großen wie auch des Engeren Ausschusses der Landstände. Vgl. etwa
KU IV, 16 (1. 1. 1637); 35ff. (10. 2. 1637); 223f.; 255ff.
(13. 9. 1637); 280ff. (30. 1. u. 17. 2.), 422f. (21. 2. u. 23. 2. 1639). Jenes
Schreiben Bodenhausens, das der vorliegende Brief als Beilage begleitete, ließ
sich ebenso wenig nachweisen wie ein Brief Werders, mit welchem der vorliegende
Brief an F. Ludwig gesendet worden sein muß. — Der vorliegende Brief, in dem sich
Bodenhausen über eine wohl deutschsprachige scherzhafte Schrift über das Podagra
(vgl. Anm. 3) äußert, welche ihm F. Ludwig durch D. v. dem Werder zur Anregung
überschickt hatte, stellt eines jener literarischen Schreiben dar, welche die FG
schon in ihrer Frühzeit förderte (vgl. 200125, 210401 u. 230430), um ihre beiden
Gesellschaftszwecke durch
conversatione civile und Pflege
der geschriebenen Sprache zu erfüllen und dadurch vor allem einen im Deutschen
neuen Briefstil einzuüben. Vgl.
Conermann I, Bl. A iij v u.
Conermann: Akademie.
Diederich v. dem Werder lebte auf seinem Gut Reinsdorf in
Anhalt unweit Köthen.
Cuno Ordomar v. Bodenhausen (FG 69. Der Bequeme), älterer
Bruder Bodos v. Bodenhausen (FG 152, s. 370305) und fl.-anhaltischer Landrat und
Ständevertreter, der in Görzig als unmittelbarer Nachbar Werders (Anm. 1) lebte.
Vgl. Anm. 0; 380423A I, 380522 u. 381030;
Conermann III,
75f.;
Gauhe I, 128f. Daß sich die Kontakte zwischen
Bodenhausen und Werder nicht auf amtliche Aufgaben für Land, Stände und
Fürstenhaus Anhalt beschränkten, für die beide tätig waren, zeigen dieser Brief
wie auch das Trauergedicht, das Werder 1654 seinem alten Kollegen und Freund
aufsetzte. Es erschien ohne Titel, gezeichnet „Jch rede dir von Trewe“ (Anagramm
für Diederich v. dem Werder), Inc.: „SOl Jch mich wohl unterstehn/ soll ich es
wohl dürfen wagen?“ in der Leichenpredigt:
Mors piorum, finis omnium malorum ...
Bey Wohlansehnlicher Leichbestattung Des Weiland WohlEdelgebornen/ Gestrengen
Herren Cuno Ordemars von Bodenhausen/ daselbsten und auff Niedergandern/ Görtzig
und Rhode Erbsassen. Welcher den
2. Octobris ... 1654. in seinem Erlöser Christo
Jesu sanfft und selig entschlaffen; Wie auch bey Leichbestattung seines
hertzgeliebten Jüngsten Sohnes/ Des Weiland WohlEdelgebornen Ernst Lebrecht von
Bodenhausen/ Der verwichenen 4. Julij des 1654. Jahres/ unversehens ... seinen
Geist selig aufgegeben. Welche beyde verblichene
Adeliche Leichnam ... den
folgenden
12. Decembris/ in volckreicher Gegenwart/ Eines Fürstl. Anhalt. ...
Abgesanten/ auch vieler ansehnlicher von Adel/ und anderer vornehmen Personen/ in
der Kirchen zu Görzig ... beygesetzet worden. Gehalten durch
Martinum Beutnitz (o.
O. 1655), Bl. K[iv]r – M[i]r.
LP Stolberg 6356/ 6357 und
HAB: Slg. Alv. Nh 203 [7]. Der Verstorbene hat demnach „nicht allein seinen
Benachbarten und Befreundten/ sondern auch dem gantzē Lande
und der Fürstl. Herrschafft in Verschickungen und Verrichtungen erspriesliche/
rühmliche und treue Dienste geleistet/ welches noch unvergessen/ und wird dieses
Fürstenthumb wohl beklagen/ daß es einen so treuen Patrioten/ und der es mit dem
Vaterlande recht auffrichtig und treulich gemeinet“, verloren habe. Obwohl er, so
rühmt der Lebenslauf in der LP weiter, ein „weltweiser/ gelehrter wohlgereister
von Adel gewesen“ sei, habe er doch „das sonst sehr gebräuchliche
politische
simuliren gar nicht
practiciren können/ sondern was ER im Hertzen und Sinne
gehabt/ und vor billich und recht/ seinem wohlgefasten
Judicio
nach/ erachtet/ alsobald offenhertzig bey grossen und kleinen ohne
scheu offentlich mit dem Munde heraus gesaget“ (Bl. J[iv]r f.). Seine freigiebige
Unterstützung der Armen, Kranken und Bedürftigen wird in den Personalia
unterstrichen, die Mitgliedschaft des „zur Arbeit“ „Bequemen“ in der FG aber
lediglich in einem Trauergedicht „Des Bequemen Andencken“ vom Gleichgefärbten
(Wilhelm Heinrich v. Freyberg. FG 439. 1645) (a. a. O., Bl. M ij r f.)
angesprochen. Der Gleichgefärbte hat übrigens später Werders Anagramm „Jch rede
dir von Trew“ zum thematischen Anlaß seines Epicediums auf Diederich v. dem Werder
gemacht. Vgl.
Beckmann VII, 288. Werder selbst
unterzeichnete mit dieser Formel seine Widmungsepistel in [Giovanni Francesco
Loredano:
La Dianea, zuerst Venetia 1635; dt. übersetzt von
Werder u. d. T.:] DIANEA | Oder | Rähtselgedicht/ | in welchem/ | Vnter vielen
anmuhtigen Fügnussen/ | Hochwichtige Staatsachen/ | Denklöbliche Geschichte/ und |
klugsinnige Rahtschläge/ | vermittelst | Der Majestätischen Deutschen Sprache/ |
Kunstzierlich | verborgen. | [Vignette mit Purpurmuschel] | Nürnberg/ | Jn
Verlegung Wolfgang Endters/ | [Linie] | M. DC. XXXXIV. Faksdr. hg. u. eingel. v.
Gerhard Dünnhaupt. Bern usw. 1984, Bl. [2]r. Zur Person Freybergs vgl. 371030 K 8.
„Furchtbar den Menschen, und dem Ohre schon verhasst |
Heiss’ ich die Fussgicht, schrecklich Weh den Sterblichen. […]”. So beginnt in der
dt. Übersetzung von K. F. Hermann der
Okypus des Lukianos
von Samosata, dem sich dessen
Tragopodagra anschließt,
welche bereits in Christoph Martin Wieland einen kongenialen Übersetzer gefunden
hatte. (Lucians Schnellfuss oder die Tragödie vom Podagra. Übers. v. Karl
Friedrich Hermann. Göttingen 1852, Zitat S. 10; Lucians von Samosata Sämtliche
Werke. Aus dem Griech. übers. … v. C. M. Wieland. 6 Tle., Leipzig 1789, 421–440).
Beide Texte bilden nach Hermann ein Ganzes; sie werden von der parodistischen Idee
getragen, daß die Gichtbrüchigen Eingeweihte und Diener der unbezwingbaren,
weltbeherrschenden Göttin Podagra sind (Podagra wurde meistens auf die Fuß-,
Chiragra auf die Handgicht eingeschränkt). Das kultische Opfer der podagrischen
Gemeinde sind ihre Qualen und Schmerzen. Die Moral lautet, daß sich jeder Kranke
geduldig in sein Schicksal fügen soll. Lukians Parodie ist stilbildend geworden
für eine Reihe weiterer ironischer Enkomia auf das Podagra in Antike und
Humanismus. Beide Epochen pflegten die komische Lob- oder Verteidigungsrede auf
niedrige Gegenstände. Caspar Dornau (1577–1631) sammelte eine beachtliche Fülle
alt- und neulateinischer Enkomia und verwandter Humoresken in seinem monumentalen
Werk Amphitheatrum Sapientiæ Joco-Seriæ (Hanoviæ: Daniel ac David | Aubrii
& Clemens Schleichius 1619: Typis Wechelianis), Ndr. hg. u. eingel. v.
Robert Seidel. Goldbach 1995. Eine unveränderte zweite Ausgabe erschien 1670 in
Frankfurt a. M. (HAB: P 506. 2° Helmst.). Dornaus Sammelwerk vereinigt rund 600
Texte von etwa 300 Autoren, darunter gut 30 antike Verfasser. Die Texte reichen
vom zweizeiligen Epigramm bis zur über vierzigseitigen Abhandlung oder Rede.
Darunter finden sich Ciceros „Encomium cæcitatis“, Ulrichs v. Hutten „Dialogus
Febris prima et secunda“ und Erasmus’ von Rotterdam „Stultitiæ laus“. Zur Gicht
bringt das Sammel-
werk Lukians „Tragopodagra“ (II, 196–202), Willibald Pirckheimers
„Podagræ lavs“ (II, 202–208), Hieronymus Cardanus’ (Girolamo/ Geronimo Cardano)
„Podagræ Encomium“ (II, 215–219), Ioannes Carnarius’ (Jean de Vleeschoudere d. Ä.)
„De Podagræ lavdibus oratio“ (II, 219–223), Johann Fischarts
Trostbüchlin
(s. u.) in lat. Übersetzung (II, 229–261), daneben auch
größere und kleinere Gedichte wie Erasmus’ „Podagræ et calcvli ex comparatione
vtriusque Encomium“ (II, 202), Friedrich Taubmanns „Podager et Chirager“ (II, 219)
oder des Prager Domprobsts Georg Barthold Pontanus 1605 in Frankfurt a. M.
erschienener „Trivmphvs Podagræ“ (II, 224–227) u. a. m. — Auch Petrarca knüpfte in
einem Dialog (in
De remediis utriusque fortunae) und in
seiner Fabel von der Spinne und der Gicht (in seinem Brief an Kd. Giovanni Colonna
in seinen
Epistolae de rebus familiaribus et variae) an die
antike Tradition an. Die Fabel wurde von Hans Sachs bearbeitet („Der Zipperlein
unnd die Spinn“). Von Cardanus’
Podagrae Encomium erschien
1557 in Frankfurt a. M. erstmals die dt. Übersetzung: Meßkram für die
Podagrischen: Darinn des Podagrams ursprung, altens herkommen, ... lob, nutz und
tugent, angzeigt ... auch vor ... missgünstigen ... nachreden ... verfochten ...
Wirt (STB-PK Berlin). Sowohl Ioannes Carnarius’ im Herbst 1552 an der U. Padua
öffentlich vorgetragene Lobrede als auch Willibald Pirckheimers mehrfach
aufgelegte und übersetzte Verteidigungsrede des Podagra von 1522 übersetzte recht
frei und stark erweiternd Johann Fischart in seinem „quodlibetischen“ Werk:
Podagram̄isch | Trostbüchlin. | Jnnhaltend | Zwo artlicher
SchuzReden von | herlicher ankonft/ geschlecht/ Hofhaltung/ | Nuzbarkait vnd
tifgesuchtem lob des Hoch= | geehrten/ Glidermächtigen vnd zarten | Fräulins
PODAGRA. | Nun erstmals zu kitzeligem trost vnd ergezung andächtiger
Pfotengrammischer perso- | nen/ oder Handkrämpfigen vnd Fusverstrick- | ten
kämpfern lustig vnd wacker (wie ain | Hund auf dem Lotterbett) bossirt | vnd
publicirt | Durch Hultrich Elloposcleron. | [Holzschnitt] | Anno M. D. LXXVII.
HAB: Lo 1408. In der Vorrede an alle „Podagramsgedultige vnd Zipperlinschuldige“
(Bl. B iijv – C iijr) bemüht Fischart nach dem Vorbild der
Consolatio des Boethius die Philosophie als Trösterin des menschlichen
Gemüts. Sie unterstütze oder ersetze, was die Heilkunst am Leib ausrichte bzw.
nicht mehr vermöge. Die erste „Rede von Vrsprūg Stammen/
zucht/ Lob vnd Nutz der Edelen/ Zarten Dirnen Podagrae: etwan offentlich zu Padua
auf der hohen schul/ durch den H. Medicum
Ioannem Carrarium[sic] lateinisch gehaltē: Nun aber zu trost
den Teutschen haußschim̄eligen Podagrischen/ widerrum inn truck
gepracht/ Vnd folgender gestalt Teutsch entworfen” (Bl. C iij v – H r) beschreibt
die Abstammung des edelen Fräulein Podagra von den Eltern Venus und Bacchus (nach
Vergil), ihre Auferziehung in den paradiesischen Heimatgefilden Zyperns. Überfluß
an allem, Unmäßigkeit und Müßiggang beherrschen ihr Leben ebenso wie das der
Reichen und Hohen, in deren Paläste und Häuser sie auf ihrem Weg zur
Weltherrschaft bevorzugt einzieht, so daß „die Reichesten/ herlichsten
vn̄ statlichsten sich zu Priestern vnnd Opferpflegern der
herlichen Glidgöttin Podagra darstellen. Dan hat sie nicht Gaistliche häupter/
Bäpst/ Cardinäl/ Bischoff/ Prelaten/ desgleichen weltliche vorsteher/ Kaiser/
König/ Fürsten/ Grauen/ Freiherrn/ Landherrn/ Edel/ vnd vnedle/ Gelehrte vnd
vngelehrte/ wolhäbige/ Müsige/ die alle dieser Göttinn auf das fleisigst vorgehn/
opfern vnd dinen? Welches warlich ihren nicht aine geringe ehr ist/ vnd sie inn
groses ansehen pringet.“ (D viijr f.) Der Beschreibung des hohen Adels der Podagra
und ihrer Klientel folgt eine Aufzählung der Nützlichkeitsaspekte: Sie führe die
von ihr Befallenen zu Selbsterkenntnis, Weisheit, Bescheidenheit und Mäßigung in
Glück und Unglück; sie bekämpfe den Stolz, prüfe die Geduld, bewähre den Glauben
und befördere eine christliche Vorbereitung auf den Tod. Als von Gott geschicktes
heilsames Übel, das selbst nicht zum Tode führt, sondern nur die Füße und Hände
befällt, erfährt Podagra eine Lobrede, die vom schlicht-populären Ton auf eine
ernste, erhabene Stilebene wechselt (F vijr ff.). Dieser Trostrede an die
Podagristen folgt nun eine zweite verdeutschte Rede, die
Apologia seu Podagrae Laus, welche Pirckheimer in Form einer
Verteidigungsrede der personifizierten Podagra vor ihren
Richtern verfaßt hatte:
„Lob des Podagrams/ etwa Latinisch von dem Hochgelehrten Herrn Bilibald
Pirckhaimer geschriben/ nun aber den Teutschen Podagrischen zu trost inn jrer
gemainen sprach an tag gegeben“ (H v – M viij v). Auch hier sind es, im Rückgang
auf Lukian, Petrarca u. a., die Reichen und Müßiggänger, die Prasser und Buhler,
die selbst durch ihre zügellose Lebensweise das schuldlose Podagra in ihre Glieder
zwingen. Somit spendet Podagra den Menschen leiblichen, geistigen und seelischen
Nutzen. — Wenn Bodenhausen im vorliegenden Brief ausdrücklich für eine „lob- vndt
Trostschrifft vber die fusgicht“ dankt, die ihm von F. Ludwig durch Werder
übermittelt worden war, haben wir Grund zu der Erwägung, ob es sich bei der
genannten Schrift um Fischarts
Trostbüchlin gehandelt haben
kann. Es weist ebenso den Charakter der Trost- als auch der Lobrede auf und
spricht das in Titel und Teiltiteln aus, verteilt es sogar mit dem jeweiligen
Schwerpunkt der Aspekte auf beide Reden. Allerdings nahm sich nach Fischarts
Trostbüchlin auch Georg Fleissner der Gicht in dt. Sprache
an: Ritter Orden | Deß Podagrischen Fluß: | Das ist: | KVrtze vnd eigentliche be-
| schreibung/ auß Mercurii der | Götter Postbotten Munde | selbst verfasset: | Von
deß zarten Jungfräwleins vnd | Göttin Podagræ Herkunfft/ Geburt/ Na- | men/
Complexion/ [...] Durch | Herrn Georgen Fleißnern [...] Anjetzten widerumb
auffgelegt/ vnd an vilen | örtern mit fleiß vbersehen. O. O. 1601. UB Leipzig: BST
8° 146 (2). 8° 23 Bl., in Versen. Das Werk erschien erstmals 1596 in Leipzig. SUB
Göttingen: 8 Med. pract. 912/7 (konnte nicht eingesehen werden). Ein Exemplar
befand sich einst in F. Ludwigs Bibliothek, s.
IP, Bl.
284r, Nr. 233. Jacob Balde (1604–1668) veröffentlichte Jahrzehnte später einen
Trost der Podagristen: SOLATIUM | Podagri- | corvm | Avthore | JACOBO BALDE | è
Societate Jesv. | LIBRI DVO. | Cum Approbatione & Licentia | Superiorum. |
[Vignette] | MONACHII. | Typis LVCÆ STRAVB. | Sumptibus Ioannis Wagneri |
Bibliopolæ. | [Linie] | M. DC. LXI. HAB: 147.13 Med. (3) u. QuN 1050 (2);
Dünnhaupt: Handbuch, 396 (= Art. Balde, Nr. 27). Der erste
Teil faßt in 42 Kapiteln i. W. das zeitgenössische medizinische Wissen zusammen;
der 2. Teil enthält das lat. Gedicht „Lusus Satyricus“. Johann Michael Moscherosch
(FG 436. 1645) verarbeitete in seinen menippeischen Satiren die alt- und
neulateinische Tradition, besonders neben der Pirckheimer-Apologie auch Fischarts
Trostbüchlin: [Kupfertitel:] LES VISIONES | Don de
Quevedo | Continuatio. | SATYRISCHE | Gesichte | Philanders | vonn | Sittewalt. |
III. vnd IIII. Theil. Francofurti Anno 1645. | Mit Schönen Kupfferstucken
geziehret. S. 472–569 (= 1. Gesicht des 4. Teils), vgl. insbes. die eigentliche
Apologie des Podagra S. 488–535.
Faber du Faur, Nr. 428,
Microfilm-Ausgabe. Vgl. insgesamt: Moritz Maximilian Mayer: Wilibald Pirkheimer:
Vertheidigung oder Lob des Podagra. Nürnberg 1831; Johann Fischarts Werke. 3. Tl.:
Das Podagrammisch Trostbüchlin, Das Philosophisch Ehzuchtbüchlin. Hg. Adolf
Hauffen. Stuttgart 1894 (Abdr. der lat. Lobrede des Johannes Carnarius S.
VIII–XIX, der lat. Pirckheimer-Apologie S. XXIII–XXXVIII); Willibald Pirckheimer:
Verteidigungsrede oder Selbstlob der Gicht. Lat. u. dt. Übertragen v. Wolfgang
Kirsch (mit Anmerkungen und Nachwort). Mit zehn Kupferstichen v. Baldwin Zettl.
Jahresgabe der Pirckheimer-Gesellschaft im Kulturbund der DDR 1988. Berlin u.
Weimar 1988; Ulrich Winter: Willibald Pirckheimer: Apologia seu Podagrae Laus.
Verteidigungsrede oder Lob der Fußgicht. Einleitung, Text, Übersetzung, Wortindex.
Egelsbach u. a. 1997, dazu ders.: Willibald Pirckheimer: „Apologia seu Podagrae
Laus“. Ein Kommentar. Heidelberg 2002 (Beihefte zum Euphorion 43). Vgl. dazu die
ausgesprochen kritische Rezension von Niklas Holzberg in Zs. f. dt. Altertum u.
dt. Literatur 133 (2004), 145–147; Dieter Paul Mertz: Geschichte der Gicht.
Kultur- und medizinhistorische Betrachtungen. Stuttgart, New York 1990, 87ff.
„Do“ hier als zeitlich-konditionale Konjunktion: wenn,
insofern. Vgl. 371110 K 15.
Lies: au ich. Interjektion: weh mir!
Hatte schon Bodenhausens Vater Melchior lange Zeit heftig
unter Gicht und Verkalkung (Calcination) gelitten, so ist auch bei Cuno Ordomar
das Podagra „immer
stärcker und stärcker/ an Füssen/ Knien und Händen geschlagen/
daß ER vielmahl etliche Wochen nicht eine Hand zum Munde bringen/ oder sich
alleine ümbwenden mögen/ welche
prodragische Schmertzen
Jhme auch die Schenckel der massen an Kräfften ausgemergelt/ daß er nicht alleine
nicht mehr stehen und gehen können/ sondern hat sich nun in das fünffte Jahr aller
Orten hin heben/ legen und tragen lassen müssen“ (s. Leichenpredigt [Anm. 2], Bl.
K[i]v f.; vgl. Bl. J iij v).
Zur Legitimation adliger Rechte und Privilegien, wie der
Lehens-, Turnier- und Satisfaktionsfähigkeit, des Zugangs zu Ritterorden und
Hofämtern oder zu den reichen Pfründen der Domkapitel und adligen Stifter, bei
Fideikommissen usw. bedurfte es der Adels- oder Ahnenprobe. Vgl.
Haberkern/ Wallach I, 30; Deutsches Rechtswörterbuch. (Wörterbuch der
älteren deutschen Rechtssprache). Hg. Preuß. Akademie der Wissenschaften. Bd. 1
(Weimar 1914–32), 470; Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Hg. Adalbert
Erler u. Ekkehard Kaufmann. Mitbegr. v. Wolfgang Stammler. Bd. 1 (Berlin 1971),
82ff.; Handbuch der Genealogie. Bearb. u. hg. v. Eckhart Henning u. Wolfgang Ribe.
Neustadt a. d. Aisch 1972, 8, 15.
Zwar, adv. Vgl. 180000 K 3, 300320 K 8 u. 371027 K I 1.
Nur, adv. Vgl. 181023 K 4, 360428 K I 5 u. 371220 K 13.
Vermutlich aus Holm(en)stuhl/ Holbenstuhl, ein an einem
Querbalken oder zwischen Balken montierter Tragsessel/ -stuhl. Kaum eine Bildung
im Anschluß an fnhd. holbere (Bahre mit Vertiefung,
Goetze,
124). Fehlt als Kompositum in
deutschen Wörterbüchern,
daher wohl als Neologismus Bodenhausens zu werten. Vgl. die engl. Umschreibung des
etwa im zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts in England aus Italien, bes. Neapel
eingeführten „sedan”: „the hand-barrowes? what call you ’em the Sedans?“,
„Hand-litters [...] what call yee it, a Sedan.“; zit. nach Richard Brome: The
Sparagus Garden (1640), Akt 1, Sz. 3 bzw. 4, 10, in: The Compact Edition of the
Oxford English Dictionay. 2 Vols. Oxford 1971, II, 2705. Vgl. it. portantina,
angeblich zuerst in Genua bezeugt (1645) lt. Salvatore Battaglia: Grande
Dizionario della lingua italiana XIII (1986), 954. Zum Gegenstand s.
Zedler XXXIII, 477 (Sänfte, Tragsessel, frz. porte chaise,
im Stil des 18. Jh.s) „ein hölzernes, mit Leder überzogenes und mit Fenstern
versehenes Behältniß, darinne man sich durch Hülfe zweyer Menschen, oder auch wohl
durch ein paar Thiere gar sanfft und gemächlich von einem Ort zum andern bringen
lässet.“; vgl. XLIV, 1852–1855 (Träger, Porte- Chaisen-Träger) mit Hinweis auf
Carl Christian Schramm: Abhandlung von Porte Chaises und Trage-Sänfften, durch
Menschen und Thiere, in allen vier Theilen der Welt, nach der Critick, Mechanick,
Historie, dem Recht, wie auch Cammer- und Policey-Wesen, mit Urkunden und
Kupffern. Nürnberg 1737. Vgl.
Krünitz MF, Bd. 24 (Holm);
Bd. 41, 341f. (lectica); Bd. 106, 165 (Palankin); a. a. O. (J. W. D. Korth), Bd.
186, 576ff. (Trage, Bahre), 582f. (Tragebett), 598 (Tragesessel, Tragestuhl). Es
paßt zum scherzhaften Ton des Briefs, wenn Bodenhausens Hollenstuhl die
Assoziation mit Höllenstuhl weckt, da auch der neumodische Tragsessel offenbar die
Hoffnung des Kranken auf bequemen Transport enttäuschte. Auf dem Höllenstuhl
erlitten die Verdammten in verschiedenen mittelalterlichen Höllenvisionen ihre
Martern. Im Faustbuch von 1587 trägt Beelzebub Faust in einem Sessel auf seinem
Rücken in die Hölle und zurück. Vgl.
HWDA IV, 207, 236 u.
241.
Zumindest auf Fischart geht dieser Spott gegen den Papst
nicht zurück. Er mag ebenso Bodenhausens eigene Zugabe zur Ausschmückung des
Themas sein wie die genealogische Variation der Ahnenprobe (s. Anm. 7).
Bodenhausens Nennung der „fusgichtträgerey geselschafft“ könnte auf die
überwiegend adlige FG anspielen, wir treffen jedoch einen „Ritterorden der
Podagrischen“ auch bei Fleissner und Balde an. S. Anm. 3; vgl. Johann Fischarts
Werke. 3. Tl.: Das Podagrammisch Trostbüchlin, Das Philosophisch Ehzuchtbüchlin.
Hg. Adolf Hauffen. Stuttgart 1894, S. XLVIIIf.
Zitat aus dem im 17. Jahrhundert sehr beliebten
sechsstrophigen Beichtlied (Inc.:) „ACh GOtt vnd HERR/ Wie groß vnd schwer [...]“
von Martin Rutilius/ Rüdel (1551–
1618), Archidiakon zu Weimar, am 29. 5. 1604
verfaßt und erstmals 1613 im Druck veröffentlicht: [Holzschnittrahmen] Gedenck vnd
Erinnerungs | Predigt/ | [Zierleiste] | VOn dem graw- | samen Gewitter/ vnnd
schräcklichem | Gewässer/ darmit Thüringen heimgesuchet | worden/ am Sonnabend vor
Trinitatis in der Nacht/ | war der 29.
Maji, dieses instehenden | 1613. Jahrs. | Gehalten/ vnd nunmehr mit
particulari- | teten vnd sonsten in etwas vermehret/ zu | Jena den 2. Junii: |
[Zierleiste] | Von | IOHANNE MAIORE, | der heiligen Schrifft Doctore vnd Profes- |
sore auch Pfarherrn vnd Superintenden- | ten daselbst. | [Linie] | Erstlich
Gedruckt zu Jehna/ jetzo aber zu Erf- | furt bey Joachim Mechler/ Anno M. DC.
XIII. HAB: 485. 2 Theol. (25). 16 Bl. 4°. Das Lied beschließt das Bändchen
undatiert und ohne Angabe des Verfassers, Bl. Diij v f. Die vierte Strophe lautet
hier: „Solls ja so seyn/ Daß Straff vnd Pein/ Auff Sünde folgen müssen: So fahre
hier fort/ Vnd schone dort/ Vnd laß mich ja wol büssen.“ Die genannte (bei Johann
Weidner erschienene) Jenaer Erstausgabe (STB Berlin — PK) und weitere nachfolgende
Ausgaben konnten wir nur zum Teil einsehen: Eisleben 1613: Jacob Gaubisch (HAB:
176. 9 Theol. [3]. 16 Bl. 4°); o. O. 1614 (HAB: Th Kapsel 6: 18. 16 Bl. 4°). Auch
hier markiert das ungezeichnete und undatierte sechsstrophige Lied jeweils den
Beschluß der Predigt (Bl. Diij vf.) Das Lied fand Eingang in geistliche
Liedersammlungen und Gesangbücher, darunter zum ersten Mal mit Melodie in Melchior
Franck: Geistlichen Musicalischen Lustgartens Erster Theil: Darinnen allerley ...
Harmonien, von Psalmen unnd andern trostreichen Texten ... so wol voce als
instrumentis zu musiciren ... mit 4. 5. 6. 7. 8. und 9. Stimmen componiret
(Nürnberg: Georg Leopold Fuhrmann 1616), 17. Gesang.
RISM
A/ I/ 3, 101. Hier lautet die letzte Zeile der 4. Strophe analog zur Fassung bei
Bodenhausen: „Vnd laß mich hie wol büßen“ (nach
Fischer/
Tümpel I, 40, vgl. 39f., wo das Lied in der Rubrik unbekannter Verfasser
erscheint). Noch heute steht das Lied im Evangelischen Kirchengesangbuch. Vgl.
Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch. Hg. Christoph Mahrenholz u. Oskar
Söhngen unter Mitarb. v. Otto Schlißke. Bd. 3: Liederkunde, 1. Tl.: Lied 1–175.
Göttingen 1970, 551f.; Handbuch zum Evangelischen Gesangbuch. Bd. 2: Komponisten
und Liederdichter des Evangelischen Gesangbuchs. Hg. Wolfgang Herbst. Göttingen
1999, 268f. Der Anhalter Kanzler und Dichter Martin Milagius (FG 315. Der
Mindernde) nahm das Lied in den Anhang zu seinem Gesangbuch auf: Der Singende
Jesaia/ Oder Der Prophete Jesaia/ Jn reine deutsche Reime gebracht/ Vnd Jn ein
hundert und vierzehen Gesänge eingetheilt/ Die Nach den bekandten Frantzösischen
melodeyen der Psalme D. Ambrosii Lobwassers gesungen werden können: Gefertiget
Durch den Mindernden (Berthold de Villiers: Bremen 1646). Mit Noten, S. 536–538
(Ein Buß und Trost-gesang). Vgl. zu Milagius’ Werk 371222 I Q u. 380504 K 14.
Die Farbe Grün repräsentierte in Heraldik, Liturgie und
Volksbrauch i. d. Regel Freude, Hoffnung, Schönheit, Fruchtbarkeit, das Paradies,
Kraft, Jugend, auch den Ehestand; im Mittelalter aber auch Teufel, Neid, Gift,
Krankheit. Vgl.
DW IV.1.6, 650, 653f.;
Paul: Wörterbuch, 435;
Stieler, 709f., 2264;
Zedler XI, 1106; Gottfried Haupt: Die Farbensymbolik in der
sakralen Kunst des abendländischen Mittelalters. Dresden 1941, 107ff. In der
Theologie stand die Farbe Grün des weiteren im Zusammenhang mit der Buße des
Sünders. Mit ihr fängt der „verdorrte Zweig wieder an zu grünen“ (freundl.
Mitteilung von Günter Preckel, Archivar der Evangel. Landeskirche Anhalts). Mit
Buße könnte auch die obige Briefstelle aufgrund ihrers Kontextes zu tun haben. Auf
jeden Fall scheint eine pejorative Bedeutung vorzuliegen; möglicherweise auch eine
problematische Pacht- oder Patronatssache. Die erhaltenen Kirchenbücher des
Kirchspiels Reinsdorf beginnen leider erst mit dem Jahr 1676; die Trauregister
1712. Vgl.
Graf: Anh. Pfarrerbuch, 128. Ansonsten haben,
nach freundlicher Auskunft Frau Gabriele Hansteins (Predigerseminar Braunschweig)
und des Landeskirchlichen Archivs in Wolfenbüttel die jeweiligen Amtsleiter, auch
in der kirchlichen Verwaltung, mit grüner Tinte geschrieben und Korrekturen
angebracht.
So nennt Bodenhausen die Reformierten im Scherz wegen der
Confessio Augustana variata von 1540. Die orthodoxen
Lutheraner hielten in ihrem Bekenntnis an der ursprünglichen, Ks. Karl V. auf dem
Augsburger Reichstag am 24. 6. 1530 vorgetragenen und tags darauf überreichten
Confessio Augustana invariata fest. Der Augsburger
Religionsfrieden von 1555 sprach den Schutz des Bekenntnisses Katholiken wie den
„Verwandten der Augsburger Konfession“ zu, ohne zwischen den mittlerweile
entstandenen verschiedenen Fassungen der
Confessio
Augustana zu differenzieren. Erst der Westfälische Frieden von 1648 bezog
explizit auch die Reformierten ein. Vgl. 270406 K 11, 330920 K 0;
RGG4 I, 953ff.;
TRE IV, 616ff.; Das
Augsburger Bekenntnis. Hg. Heinrich Bornkamm. Gütersloh 1978, 13f.; Valentin v.
Tetleben: Protokoll des Augsburger Reichstages 1530. Hg. u. eingel. v. Herbert
Grundmann. Göttingen 1958, 74ff.
D. h. zuträglicher, vgl. 320715 K 2.